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4. Informationsbörse Schizophrenie am 10.11.2006 WiSo-Fakultät Lange Gasse 20 90403 Nürnberg Verein zur Förderung der Ziele im Kompetenznetz Schizophrenie gefördert vom Sozialer Rückzug Parallel zu diesen ersten erwähnten Anzeichen begann ich emotional abzusterben, jeden Tag ein bisschen mehr, ich wurde depressiv. Ich habe ab etwa 1983 keine Tageszeitung mehr gelesen, wurde immer wortkarger, sozial zunehmend isolierter und habe mich kaum noch privat unterhalten. In meinem sozialen Umfeld wurde wohl bemerkt, dass ich so schweigsam und emotionslos geworden war. Aber ich war gedankenleer, obwohl ich als Ingenieur perfekt funktioniert und mich mit Begeisterung in meine Arbeit gestürzt habe, die mich voll forderte und auffraß. 4. INFORMATIONSBÖRSE SCHIZOPHRENIE 4. INFORMATIONSBÖRSE SCHIZOPHRENIE Eine Psychose entwickelt sich schleichend Eine Psychose entwickelt sich schleichend Erfahrungsbericht eines Betroffenen Erfahrungsbericht eines Betroffenen Manfred Kruse Manfred Kruse Manfred Kruse über sich: Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder (25 und 27 Jahre alt) und leide seit fast 22 Jahren unter einer chronischen paranoiden Schizophrenie, die im Februar 1985 im Alter von 35 Jahren durch langjährigen Stress zum Ausbruch kam. Ich bin medikamentös auf das atypische Neuroleptikum Solian eingestellt. Teil meiner Krankheitsbewältigung sind ausgedehnte Radtouren, auf denen ich Stimmungsbilder mit der Kamera einfange. Die ersten Vorboten Die ersten Vorboten der Psychose traten bei mir etwa 1979 auf. Im Büro, wo ich als Elektroingenieur tätig war, hatte ich manchmal das Gefühl, dass über mich getuschelt wurde. Diese Symptome habe ich auch heute noch ab und zu. Dabei werden von mir leise, undeutlich mitgehörte Gespräche inhaltlich so wahrgenommen, dass ich diese negativ auf mich beziehe. Dieses erste Anzeichen war stundenlang vorhanden, um dann wieder wochenlang vollständig zu verschwinden. Dabei fühlte ich mich hilflos, verängstigt und mit dieser Situation vollständig überfordert. Ich habe niemandem davon erzählt aus großer Unsicherheit. „Im Zwiespalt der Seele“ von Manfred Kruse / Seite 13 „Bis zu meinem ersten psychotischen Schub im Februar 1985 hatte ich als Elektroingenieur wegen eines Großauftrages – ein sehr großes tägliches Arbeitspensum zu erbringen. Weil ich emotional durch die große Arbeitsbelastung schon längst abgestorben war, habe ich nur noch funktioniert mit einer ungeahnten Perfektion und Präzision, wie eine Maschine. Als bittere Ironie zeigte sich, dass ich den Großauftrag erst zu Ende abgewickelt habe, ehe es zu einem seelischen Zusammenbruch kam.“ „Im Zwiespalt der Seele“ von Manfred Kruse / Seite 10 „Ein paar Monate vor Ausbruch der Psychose habe ich im Büro keine Mittagspause mehr eingelegt und bin nicht mehr in das Kasino zum Essen gegangen. Ich verspürte Angst, dorthin zu gehen, wegen der vielen Menschen dort. Statt dessen habe ich wie ein Besessener die Mittagspause durchgearbeitet. Außerdem verfiel ich auf die fixe Idee, einen Kollegen von mir in den Wahnsinn treiben zu wollen, da er, wie ich mir einbildete, gegen mich eine Intrige führte. Bei diesem Vorhaben fühlte ich mich teilweise euphorisch und kam mir vor wie der Fiesling J.R. Ewing in der damaligen Fernsehserie >Dallas<. Ich habe genau beobachtet, wie er von Tag zu Tag geistig-seelisch abbaute, ohne zu bemerken, dass ich es war, der allmählich wahnsinnig wurde. Einige Tage vorher glaubte ich, alle meine engsten Kollegen haben sich gegen mich verschworen. Ich war schließlich ganz allein. Dann wurde ich endgültig wahnsinnig und habe nicht einmal dabei geweint! Eine qualvolle Leidenszeit begann.“ erschienen im Frieling-Verlag, Berlin ISBN 3-8280-2096-8

4. Informationsbörse Schizophrenie am 10.11.2006 WiSo-Fakultät Lange Gasse 20 90403 Nürnberg Verein zur Förderung der Ziele im Kompetenznetz Schizophrenie

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Page 1: 4. Informationsbörse Schizophrenie am 10.11.2006 WiSo-Fakultät Lange Gasse 20 90403 Nürnberg Verein zur Förderung der Ziele im Kompetenznetz Schizophrenie

4. Informationsbörse Schizophrenie

am 10.11.2006 WiSo-Fakultät

Lange Gasse 2090403 Nürnberg

Verein zur Förderung der Ziele im Kompetenznetz Schizophrenie

gefördert vom

Sozialer Rückzug

Parallel zu diesen ersten erwähnten Anzeichen begann ich emotional abzusterben, jeden Tag ein bisschen mehr, ich wurde depressiv. Ich habe ab etwa 1983 keine Tageszeitung mehr gelesen, wurde immer wortkarger, sozial zunehmend isolierter und habe mich kaum noch privat unterhalten. In meinem sozialen Umfeld wurde wohl bemerkt, dass ich so schweigsam und emotionslos geworden war. Aber ich war gedankenleer, obwohl ich als Ingenieur perfekt funktioniert und mich mit Begeisterung in meine Arbeit gestürzt habe, die mich voll forderte und auffraß.

4. INFORMATIONSBÖRSE SCHIZOPHRENIE4. INFORMATIONSBÖRSE SCHIZOPHRENIE

Eine Psychose entwickelt sich schleichendEine Psychose entwickelt sich schleichendErfahrungsbericht eines BetroffenenErfahrungsbericht eines Betroffenen

Manfred KruseManfred Kruse

Manfred Kruse über sich:

Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder (25 und 27 Jahre alt) und leide seit fast 22 Jahren unter einer chronischen paranoiden Schizophrenie, die im Februar 1985 im Alter von 35 Jahren durch langjährigen Stress zum Ausbruch kam. Ich bin medikamentös auf das atypische Neuroleptikum Solian eingestellt. Teil meiner Krankheitsbewältigung sind ausgedehnte Radtouren, auf denen ich Stimmungsbilder mit der Kamera einfange.

Die ersten Vorboten

Die ersten Vorboten der Psychose traten bei mir etwa 1979 auf. Im Büro, wo ich als Elektroingenieur tätig war, hatte ich manchmal das Gefühl, dass über mich getuschelt wurde. Diese Symptome habe ich auch heute noch ab und zu. Dabei werden von mir leise, undeutlich mitgehörte Gespräche inhaltlich so wahrgenommen, dass ich diese negativ auf mich beziehe. Dieses erste Anzeichen war stundenlang vorhanden, um dann wieder wochenlang vollständig zu verschwinden. Dabei fühlte ich mich hilflos, verängstigt und mit dieser Situation vollständig überfordert. Ich habe niemandem davon erzählt aus großer Unsicherheit.

„Im Zwiespalt der Seele“ von Manfred Kruse / Seite 13

„Bis zu meinem ersten psychotischen Schub im Februar 1985 hatte ich als Elektroingenieur – wegen eines Großauftrages – ein sehr großes tägliches Arbeitspensum zu erbringen. Weil ich emotional durch die große Arbeitsbelastung schon längst abgestorben war, habe ich nur noch funktioniert mit einer ungeahnten Perfektion und Präzision, wie eine Maschine. Als bittere Ironie zeigte sich, dass ich den Großauftrag erst zu Ende abgewickelt habe, ehe es zu einem seelischen Zusammenbruch kam.“

„Im Zwiespalt der Seele“ von Manfred Kruse / Seite 10

„Ein paar Monate vor Ausbruch der Psychose habe ich im Büro keine Mittagspause mehr eingelegt und bin nicht mehr in das Kasino zum Essen gegangen. Ich verspürte Angst, dorthin zu gehen, wegen der vielen Menschen dort. Statt dessen habe ich wie ein Besessener die Mittagspause durchgearbeitet. Außerdem verfiel ich auf die fixe Idee, einen Kollegen von mir in den Wahnsinn treiben zu wollen, da er, wie ich mir einbildete, gegen mich eine Intrige führte. Bei diesem Vorhaben fühlte ich mich teilweise euphorisch und kam mir vor wie der Fiesling J.R. Ewing in der damaligen Fernsehserie >Dallas<. Ich habe genau beobachtet, wie er von Tag zu Tag geistig-seelisch abbaute, ohne zu bemerken, dass ich es war, der allmählich wahnsinnig wurde. Einige Tage vorher glaubte ich, alle meine engsten Kollegen haben sich gegen mich verschworen. Ich war schließlich ganz allein. Dann wurde ich endgültig wahnsinnig und habe nicht einmal dabei geweint! Eine qualvolle Leidenszeit begann.“

erschienen im Frieling-Verlag, Berlin

ISBN 3-8280-2096-8