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VersöhnungRundbrief 2/201 2

Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig e.V.

Themen u.a.:

Jahrestagung des Versöhnungsbundes

Iran, Israel und die Kriegsgefahr in der Region

Debatte um ein Gedicht von Günter Grass

Büchelfasten 2011

Offener Brief an Bundespräsident Gauck

2

Inhaltsverzeichnis

Editorial 3

Verlautbarungen und Berichte von derJahrestagung

Zivilgesellschaftliche Wachsamkeit – Sehen – Hören – Widersprechen. SechsThesen (U. Hahn) 4

Macht, Ohnmacht und freiwillige Unterwerfung (M. Engelke) 5

Jahrestagung 201 2 in Arendsee 8

Berichte aus den Arbeitsgruppen

AG 1 : Wie machen wir „gesellschaftliche Wachsamkeit“? (C. Rinneberg, E. Bürger) 8

AG 5: Rückgewinnung von Verantwortung (H. Fetköter) 9

AG 7: Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“ (R. Firgau) 9

AG 8: Rechte von Menschen mit Behinderung (M. Austermann, S. Bosco) 1 0

AG 1 0: Energie selber machen – natürlich! (C. Neumann) 1 0

AG 11 – Gewaltfreies Aktionstraining (M. Geue) 11

Erstes Treffen der Flüchtlingskommission (A. Schneider, M. Geue) 11

Bericht vom Jugendforum (S. Korff) 1 2

K 5: Militärfreie Bildung (A.Schmitz) 1 2

K.4: Arbeitskreis Friedensaufgabe und Soldatenseelsorge 1 3

Jährliches Treffen der europäischen Versöhnungsbundzweige (M. Klemm) 1 3

Politische Analysen

Iran, Israel und die Kriegsgefahr in der Region (C. Ronnefeldt) 1 4

Was gesagt werden muss - Anmerkungen zum Prosagedicht von G. Grass

- Ein Aufschrei der Empörung (J. Vollmer) 1 7

- Die Probleme liegen tiefer ... (O. Steinbicker) 1 8

Versöhnungsarbeit vor Ort

Büchelfasten 2011 - Tagebuchnotizen (M. W. Engelke) 1 6Offener Brief des Internationalen Versöhnungsbundes - Deutscher Zweig an

Bundespräsident Gauck 20

Anregungen und Impulse

- Kreuz und Krieg - Ein Schritt zur Friedenskirche (L. Petersmann) 21

- Gedenktag am 28. Oktober 201 2 (L.Petersmann) 21

- Rührgedanken - oder: Was würde Mahatma Gandhi dazu sagen? (H.-H. Lützow) 21

- Zum Tag der Arbeit (M.-W. Engelke) 22

(Leser-)Briefe 22

Material 23

Termine 23

Pfingstlied vom G. Weerth 24

Impressum

Versöhnung - Rundbrief desInternationalen VersöhnungsbundesDeutscher ZweigVierteljährliche ErscheinungsweiseHerausgeber: Versöhnungsbund e. V.Schwarzer Weg 8; 32423 MindenTelefon: 0571 - 8 5 08 75Fax: 0571 - 8 29 23 87E-Mail: [email protected]: www.versoehnungsbund.deVerantwortlich für den Inhaltdieser Ausgabe:Maria Krisinger, Marta Przyrembel, Dagmar Schulte,Andreas Hämer

Redaktionsanschrift:Andreas Hämer, Zur Urselsbach 466352 GroßrosselnE-Mail: a24haemer@ googlemail.com

Redaktionsschluss der nächstenAusgabe: 1 5. August 201 2

Referat für Friedensfragen:Clemens Ronnefeldt,A.-v.-Humboldt-Weg 8 a85354 FreisingTel.: 081 61 - 54 70 1 5Fax: 081 61 - 54 70 1 6Spendenkonto:Versöhnungsbund e. V.Konto-Nr.: 400 906 72Sparkasse Minden-LübbeckeBLZ 490 501 01IBAN: DE20 4905 01 01 0040 0906 72(SWIFT Code: WELADED1 MIN)Druck und Versand:Knotenpunkt Offsetdruck GmbH,Buch/Hunsrück

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Editorial

„Die Molche spielen nicht; sie liegen aufdem Bauch, atmen und verdauen; die ha-ben von Langeweile noch nicht einmal ei-ne Ahnung .. . Neulich habe ich wieder vonden griechischen Göttern gelesen; wie diesich langweilen! Sie stiften Mord undKrieg, nur damit sie sich unterhalten in ih-rer Unsterblichkeit . . . die Götter, von kei-nem Ende bedroht, und die Molche, die aufdem Bauch liegen und atmen, ich möchteweder mit den Molchen noch mit den Göt-tern tauschen. Das Bewusstsein unsererSterblichkeit ist ein köstliches Geschenk..." (M. Frisch, Tagebuch 1 946-1 949; S.349) . - Während ich dies lese, geht derRio+20-Gipfel zu Ende - welch seltsamerZufall! Wie makaber! Und wie anders diepersönliche Bilanz einer Teilnehmerin un-serer Jahrestagung:

„Sonntag Abend komme ich hundemüde,aber irgendwie glücklich wieder zu Hausean. Hinter mir l iegt ein unglaubliches Him-melfahrtswochenende: die Jahrestagung.Es kommt mir vor als wäre ich über Wo-chen weg gewesen, so viel habe ich mit-genommen ... „Alles neu macht dieJahrestagung“ .. . Neu sind zunächst all dieInformationen, die man auf der Jahresta-gung bekommt. Ob bei den Vorträgen,AGs, Diskussionsgruppen oder einfach beieinem netten Gespräch.   Neu beziehungs-weise erneuert ist auch der Mut, etwasverändern zu können. Besonders das The-ma der Jahrestagung „zivi lrechtlicheWachsamkeit“, hat mir wieder gezeigt,dass auch der einzelne schon eine Mengeverändern kann und wie vielfältig die Mög-lichkeiten sind", schreibt Samya Korff inihrem Bericht (S 1 2) .

Vielen, die auf der Jahrestagung in Arend-see dabei waren, geht es ähnlich. Aber dasErlebte und Erfahrene ist eins; es zu ver-schriftl ichen und anderen mitzuteilen,wenn sie nicht dabei waren (oder nur:wenn sie nicht in dieser oder jener Gruppedabei waren oder nicht an dieser oder je-ner Veranstaltung teilgenommen haben) ,ist immer noch mal etwas anderes. In die-sem Bewusstsein drucken wir eine Reihevon Berichten oder Texten von der Jahres-tagung ab. Abdrucken - wie wahr! - kön-nen wir nur die Berichte, die bei unseingegangen sind. Wenn noch die einenoder anderen hinterher kommen, währenddie fertigen Dateien längst zum Layoutoder zum Druck unterwegs sind, dürfen siewarten bis zur nächsten Ausgabe. Es muss

ja nicht alles auf einmal kommen, und werweiß, wie umfangreich das Sommerloch indiesem Jahr ausfällt.

Ullrich Hahn hat die Jahrestagung traditi-onsgemäß mit sechs Thesen eingeleitet.Weniger euphorisch, gewissermaßen kon-kretisierend gegenüber dem obigen „Allesneu .. ." sagt er: „Im gemeinsamen Handelnkann aus der Zivilgesellschaft heraus aberauch Neues entstehen. In solchem ge-meinsamen Handeln liegt immer auch dieMacht zum Gelingen. Dabei fallen aberauch im Bereich der Politik Saat und Erntenur selten zusammen, zuweilen nicht ein-mal in einem Menschenleben. Über denErfolgt zivi lgesellschaftl icher Initiativen —vor allem über den Zeitpunkt des Erfolges— können wir deshalb meist nichts sagen.Das Beginnen aber liegt in unserer Hand"(S. 4) .

Matthias Engelke hat uns seine Rede vonder Blockade-Aktion in Gorleben zur Ver-fügung gestellt. Er reflektiert darin „dieAnatomie von Macht und Ohnmacht" undkommt schließlich zu der Schlussfolge-rung: „Wir verlassen die Linie der Herr-schenden, die klar vorzeichnet, wie Machtund Ohnmacht verteilt sein sollen und dieauch unser Leben immer wieder durch-kreuzt, sondern zelebrieren unsere Ohn-macht, um darin zu erkennen, welchebefreiende Macht in ihr l iegt, indem wir diefreiwil l ige Unterwerfung zurücknehmen".

Einen weiten Raum in diesem Heft neh-men wieder die politischen Analysen ein —alle mehr oder weniger zur politischen Si-tuation im Nahen Osten: sowohl der Bei-trag von Clemens Ronnefeldt (dessen20-jähriges Dienstjubiläum auf der Tagungnoch einmal nachgefeiert wurde und dersich dann in ein Sabbat-Vierteljahr verab-schiedete) als auch die beiden Beiträge,die sich an der Aufregung über das Prosa-Gedicht von G. Grass festmachen. DieWellen haben sich längst geglättet, aberdas Thema bleibt aktuell .

Manchmal überschlagen sich die Ereig-nisse. Auf der Jahrestagung wurde einBrief an Bundespräsident Gauck auf denWeg gebracht, in dem - im Anschluss aneine Anregung von H. Pomp - die Erset-zung militärischer Rituale bei Staatsemp-fängen durch ein sinnvolleres Ritual - dasÜberreichen von Brot und Salz - vorge-schlagen wird. War unser Schreiben viel-

leicht allzu optimistisch? Oder konnten wirnicht längst ahnen, was der Bundespräsi-dent in seiner Rede beim Antrittsbesuchbei der Bundeswehr (1 2.6.201 2) offenkundtat: nicht nur seine unkritische Beja-hung von Auslandseinsätzen der Bundes-wehr, sondern in diesem Zusammenhang(abweichend vom Redemanuskript) dieBemängelung einer gewissen Distanz derBürger zu den Streitkräften: „Dass es wie-der deutsche Gefallene gibt, ist für unsereglücksüchtige Gesellschaft schwer zu er-tragen", konstatiert er — kaum zu fassen!Inzwischen hat unser Vorsitzender ihm ineinem Offenen Brief unser Entsetzen undunsere Empörung mitgeteilt (S.20) .

Zuletzt eine persönliche Bemerkung: Aufunserer Jahrestagung haben wir erstmalsauf Holger Klee verzichten müssen. Er istim Frühjahr erneut erkrankt und wird, wiewir hörten, vor dem Herbst seine Arbeitkaum wieder aufnehmen können. Wir ha-ben ihm eine große Karte mit unserenbesten Genesungswünschen geschickt, dieich an dieser Stelle im Namen der Redak-tion wiederhole.

Maria-Elisabeth Scharinger, unterstütztvon einigen VB-Mitgliedern, gibt das Bes-te, um trotz Ruhestand bzw. Mini-Job denBetrieb in Gang zu halten.

Allen unseren Leserinnen und Lesernwünschen wir eine anregende Lektüre undggf. bereits einen angenehmen Urlaub.

Für die Redaktion

Andreas Hämer

4

Sechs Thesen

Zivilgesellschaftliche Wachsamkeit –Sehen – Hören – Widersprechen

von Ullrich Hahn

1 . Zivilgesellschaftliche Wachsamkeit ge-schieht im Gegenüber zum Staat.

Damit ist nicht gemeint, dass die Gefahren,auf die sich die zivilgesellschaftliche Wach-samkeit bezieht, nur aus Richtung desStaates erwartet werden. Vielmehr bedeutetdieses Gegenüber eine Unabhängigkeit vomStaat und insbesondere von seinen Mitteln.Die Vollzugsorgane der staatlichen Gewaltsind in letzter Konsequenz uniformiert undbewaffnet. Die Zivilgesellschaft ist dagegennicht uniform sondern vielfältig; sie besitztkeine Gewalt, aber die Macht der Argumen-te, des gemeinschaftlichen Handelns undmanchmal auch der größeren Zahl.

2. Die als Zivilgesellschaft auftretendenPersonen handeln nicht im Auftrag desStaates, nicht im Namen einer Partei oderals Vertreter anderer Menschen, sondern imeigenen und zugleich gemeinschaftsbezo-genen Interesse. Die Legitimität zivilgesell-schaftlichen Handelns beruht nicht aufirgendeinem Mandat, sondern auf demSelbstbestimmungsrecht der Menschen undauf dem daraus folgenden Anspruch, die ei-genen Angelegenheiten jederzeit – auch vonden gewählten VertreterInnen – wieder indie eigenen Hände, in die eigene Zuständig-keit zurücknehmen zu dürfen.

3. Zivilgesellschaftliche Wachsamkeit setztEigenverantwortung voraus, die nicht nurdas Private meint, sondern auch die Mitver-antwortung für die Angelegenheiten der Ge-meinschaft.

4. Wachsam sind wir als Zivilgesellschaftaus dem Wissen über die Verletzlichkeit derfür unser Leben wesentlichen Rechte undGüter, die durch Eingriffe staatlicher Macht,durch die Gier des Kapitals, aber auch durchlebensfeindliche Einstellungen aus der Mitteder Gesellschaft heraus bedroht werden.

5. Aus der Wachsamkeit – dem Hören undSehen – folgt, wenn nötig, Widerspruch und,wenn nötig, Widerstand gegen unrechteEntwicklungen und Übergriffe.

6. Zivilgesellschaftliche Wachsamkeit istzunächst konservativ: Sie will bewahren,was aus der gemeinsamen Rechtsordnung,den sozialen Gütern und der Natur für dasLeben der Gemeinschaft wesentlich ist.

Im gemeinsamen Handeln kann aus der Zi-vilgesellschaft heraus aber auch Neues ent-stehen.

In solchem gemeinsamen Handeln liegt im-mer auch die Macht zum Gelingen. Dabei

fallen aber auch im Bereich der Politik Saatund Ernte nur selten zusammen, zuweilennicht einmal in einem Menschenleben. Überden Erfolg zivilgesellschaftlicher Initiativen –vor allem über den Zeitpunkt des Erfolges –können wir deshalb meist nichts sagen. DasBeginnen aber liegt in unserer Hand.

Arendsee, den 1 7.05.201 2

Aufmerksam wird zugehört auf der Jahrestagung. Foto: Pütter

Macht, Ohnmacht undfreiwillige UnterwerfungZum 100. Todestag von Henry David Thoreau

von Matthias-W. Engelke

Den folgenden Beitrag hat Matthias Engelkeanlässlich der Blockade des angeblichenEndlagers von Gorleben im Rahmen der IVB-Jahrestagung am Samstag, den 19. Mai2012 vorgetragen.

Wo Atomwaffen sind, gibt es Atomkraft-werke. Wo Atomkraftwerke sind, sindAtomwaffen – zumindest geplant oder ge-plant gewesen. Atomwaffen und Atomkraft-werke sind zwei Seiten der gleichenMedaille.

Das ungelöste Problem, derLagerung von radioaktivem Material

wird hier erfahrbar. Wir sind hier am Abortder technischen Moderne.

Es ist das höchste Ziel der Konsumgesell-schaft, aus möglichst Allem etwas Verwert-bares so herzustellen.

Ob etwas verwertbar ist, entscheidet sichdaran, ob es zu Abfall werden kann, nurdann kann es verbraucht – konsumiert wer-den.

So sind wir hier zugleich am Höhepunkt dermodernen Konsumgesellschaft, die einst-mals damit antrat, die schier unerschöpfli-che Energie der Sonne durch die Atomkraftauf die Erde zu holen.

Hier soll das, was da im Laufe der Zeitausgeschieden wurde, für immer ver-schwinden – und es zeigt sich die uner-messliche Hybris, ein unmenschlicherHochmut, vor dem von Anfang an gewarntwurde: dass das nicht geht.

Angesichts von solchem Desaster stehenwir immer wieder neu vor der Frage vonMacht und Ohnmacht.

War es etwas anderes als purer Zynismus,wie mit einem Federstrich dafür gesorgtwurde, vom Vater einer heutigen Ministerin,alle Bedenken diesem Standort gegenübervom Tisch zu wischen und damit auch per-sönlich eine Verantwortung zu tragen, fürdie er nicht mehr persönlich zu Rechen-schaft gezogen werden kann?

Und so ist – angesichts der jahrelangenProteste dagegen – ein erschütterndes Pro-blem da: wie kommt es, dass diese Asym-metrie von Herrschaft, Bürokratie, Kapitalund Interesse über solch einen langen Zeit-raum gegen allen Widerstand aufrecht er-halten werden kann?

Es sind und waren nicht zuletzt immerwieder auch Ohnmachtserfahrungen, diehier und an allen Orten gemacht werden,wo sich Menschen dem Atomwahnsinn inden Weg stellten und stellen; verletzende,demütigende, tödliche Erfahrungen, dienicht selten nach Kompensation schreien,einen Ausgleich suchen, der wiederum eineSehnsucht der erlösenden Gewalt zu nährenin der Lage ist.

So bewegt sich Ohnmachtserfahrung ander Linie der Aufteilung von Macht undOhnmacht.Kann es sein, dass genau diese Aufteilungselber genau das erzeugt – sozusagen ineiner zweiten Ebene – was Ohnmacht fürdie einen und Macht für andere sind?

*Wie weit diese Verteilung im Denken undHandeln reicht, wird darüber hinaus deut-lich, wenn die Perspektive hinzugenommenwird, die landläufig für religiös gehaltenwird – ich halte sie eher phänomenologischgesehen schlicht für menschlich: Menschen,die unter Ohnmacht leiden oder litten, ent-wickeln nicht selten Allmachtsvorstellungen,um nicht zu sagen Allmachtsphantasien.Was bei Kindern ein normaler Teil ihrergeistigen und verhaltensmäßigen Entwick-lung zu sein scheint, dass sie Allmachts-vorstellungen entwickeln, die sie in andereprojizieren oder spielerisch vielleicht auchselbst ausprobieren, das trägt bei Erwach-senen schnell zerstörerische Züge, wirktselbst- oder/und fremdzerstörerisch: weilalles, was dem zu widersprechen droht, ausdem Weg geräumt werden muss. Der Glau-be an die Wirkungskraft von Waffengewaltbirgt offenbar diese Abhängigkeit in sich:Der Gegner schränkt meine mit der Waffephantasierte Allmacht ein und im Konfliktgibt es keine andere Wahl, als ihn ggf. zutöten, damit meine Allmacht uneinge-schränkt ist und bleibt.

Wie viel mehr erst muss eine Waffe wie dieAtombombe Vorstellungen erzeugen, die inweniger martialischer Sprache sich darinzeigt, dass mit ihr die Erwartung verknüpftist, „nicht erpressbar“ zu sein: Es sind All-machtsphantasien von dem restlos freien, inallem unbeeinflussbaren, autonomen Sou-verän, die der Besitz von Atomwaffen zuversprechen scheint. In Wirklichkeit ist esumgekehrt: Wer so denkt, hat sich von derAtomwaffe und dem Besitz von Atomwaffenund dem Betreiben von Atomkraftwerkenabhängig gemacht, verfügt also nicht mehrüber die Freiheit, sich für oder gegen sieentscheiden zu können – wie jemand, derkeine Pistole trägt und vor der Entscheidungsteht, wenn da vor ihm eine liegen sollte, siezu ergreifen oder nicht.

Wer das Gewehr im Anschlag hält, ist nichtmehr frei, sondern abhängig von der Waffe.Wer Atomwaffen besitzt, ist nicht mehr freisondern erpressbar durch den und die, diedarüber verfügen.

Wer Atomkraftwerke betreibt, ist nicht mehrfrei, sondern gefesselt an die durch sie er-zeugten, sogenannten Sachzwänge – wiedies Lager hier suggeriert.

Politiker, die den Besitz von Atomwaffenund das Betreiben von Atomkraftwerkenimmer noch befürworten oder gar sich dafüreinsetzen, zeigen darin ihre Abhängigkeitvon der Faszination durch Atomwaffen undAtomkraft.

Sie sind in ihrer phantasierten Macht, ohn-mächtig – ohnmächtig dafür, wahrzuneh-men, welcher Gewinn, welcher Vorteil,menschlich, wirtschaftlich, gesellschaftlichund politisch darin liegt, nicht auf Atomwaf-fen und Atomkraft zu verzichten, sondernbeides endlich und endgültig abzuschaffen.

Dem dient unsere heutige Demonstration:Sie hat auch den Zweck, dass unsere ge-genwärtigen und zukünftigen Politikerinnenund Politiker die Freiheit wieder erlangen,unabhängig von Atomwaffen und Atomkraftentscheiden zu können.

*Und damit sind wir bei uns angekommen,wo doch so viele von uns, gerade die, dieschon viel länger als ich in diesem Kampfdabei sind, immer wieder mit dieser Emp-findung zu kämpfen haben: Warum konntendie Proteste damals und bis heute nichtverhindern, dass es überhaupt Atomwaffenund Atomkraftwerke in Deutschland gibt?Warum haben wir es bis heute nicht ge-

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schafft, dass Deutschland, dass Europaatomwaffenfrei ist – und wie weit entfernterscheint das Ziel, dass es in Europa keineAtomkraftwerke mehr gibt??!!

So haben wir zwar atomwaffenfreie Konti-nente – Süd-Amerika, Australien und Afrika,aber noch lange nicht atomkraftfreie Konti-nente!Diese immer wieder sich einschleichendeOhnmacht, vor dieser Aufgabe schier immerwieder das Gefühl des Versagens zu haben,ist ein schleichendes Gift, das teils zur Untä-tigkeit führt und teils zur Gewaltbereitschaftverführt, im Glauben, dabei den angeblichkürzeren Weg genommen zu haben.

*

Dabei hat ein französischer Literat, der von1 530 bis 1 563 gelebt hat und von dem wirwohl überhaupt nichts wüssten, hätte nichtMichael de Montaigne in seinem Essay überFreundschaft ihm ein unvergessenes Denk-mal gesetzt: Zu der gleichen Zeit, als Koper-nikus am Himmel bewies, dass die Sonnesich nicht um die Erde dreht, sondern esumgekehrt ist, entdeckte dieser Freund diegleiche Umkehrung im Gesellschaftlich-Poli-tischen: die Herrschenden sind nicht so ge-waltig, weil sie über so viel Macht verfügen,sondern umgekehrt: weil die Vielzahl derMenschen ihnen soviel Macht überlassen.Modern ausgesprochen: es ist ein Null-Summen-Spiel: der Macht der Herrschen-den entspricht die freiwillige Unterwerfungderer, die sich beherrschen lassen.Macht und Ohmacht beschreiben also nichtdas gesamte Feld, um das es hier geht,sondern Macht – erzwungene Ohnmachtund vor allem freiwillige Unterwerfung.

Der Mensch, der das entdeckte, war Éti-enne de La Boëtie – und sein kurzer, nur einpaar Seiten umfassender Beitrag lautet –lange vor Kant formuliert: Von der freiwilli-gen Knechtschaft des Menschen – zum ers-ten Mal ins Deutsche übersetzt vor wenigmehr als hundert Jahren (1 91 0) von GustavLandauer – für manche kein Unbekannter.Nun kann auch diese Gleichung wiederumneue Ohnmachtsgefühle wecken, indem unsvor Augen tritt, wie wenig wir sind, und wiranfangen zu glauben: ‚Wären wir viele,Atombomben und Atomkrafterke wärenweg‘.

Das ist wohl noch ein Schritt zu kurz ge-dacht: es geht um die Aufkündigung allerfreiwillig eingegangenen Unterdrückung undAbhängigkeit. Hierfür benötigen wir eineAnatomie der freiwilligen Knechtschaft, der

freiwilligen Unterwerfung. Diese Anatomiewird höchstwahrscheinlich im hochtechni-sierten Zeitalter anders aussehen als - sa-gen wir mal - zur Zeit von Ètienne de LaBoëtie, aber das Prinzip dürfte ähnlich sein.Hierzu eine Geschichte

*

Der Traum des Schrankenwärters

Er war Schrankenwärter geworden. Schonals er zur Schule ging, führte ihn sein Wegalltäglich an einem Schrankenwärterhäus-chen vorbei. Er sah sie ihr Werk verrichten,die großen Kurbeln schwingen und quiet-schend, gleichmäßig im Sinkflug neigte sichdie Schranke, die eben noch die Wolken zuberühren schien, direkt vor ihm, weiß-rotbemalt, in die metallische Halterung – dieGitterlamellen zitterten: Ein Zug kommt!

Dieser Schrankenwärter träumte eines Ta-ges, dass er eine Schraube sei. Nur eine aneinem ganzen Apparat. An welchem, bliebder Schraube verborgen, sie war sich selbstgenug und mit sich selbst beschäftigt. Nurab und an wurde sie fest- und alsbald wie-der losgeschraubt. Zumeist, wenn da je-mand vor ihr auf dem Gerät Platzgenommen hatte. Und ein Metallring wurdeum dessen Hals gelegt. Die Schraube wur-de gedreht, es ging meist ziemlich schnellund es gab nicht viel zu hören. Derjenige,der da vor ihr Platz genommen hatte, wurdeweggetragen, er konnte nicht mehr gehen,war er tot? Was konnte sie dagegen tun,was mit ihr gemacht wurde? Sie wurde ge-dreht, sie war nur eine Schraube. Beim Auf-wachen ahnte der Schrankenwärter, dassdas, wovon er da geträumt hatte, eine Ga-rotte war; die Schraube: die Hinrichtungs-schraube.

Er ging zur Arbeit. Er bekam den Fahrplanfür den Tag bestätigt. Zwischen den fahrplan-mäßigen auch heute wieder zehn Güterzüge,direkt aus Warschau, direkt nach Treblinka.Immer mit zehn Waggons. Er kannte sieschon. Schon seit Tagen kamen sie über sei-ne Strecke. Welche Güter wurden damittransportiert? Tiere? Die werden nicht mit be-waffneten Männern bewacht, die über einigenWaggons thronten. Manchmal hörte erSchreie. Manchmal hörte er Schüsse. Jetztwurde wieder solch ein Zug angemeldet. Erkam pünktlich. Die Schranke senkte sich, dasSignal sprang um, freie Fahrt. Der Zug konntedurchfahren. Diesmal sah er genau hin. Undzwischen den Luftspalten der Viehwaggons –sah er Hände – Gesichter. Aber er war ja nurein einfacher Schrankenwärter.

De La Boëtie beschreibt Folgendes in seinerkleinen Schrift: „O ihr armen, elenden Men-schen, ihr unsinnigen Völker, ihr Nationen,die [ihr] auf euer Unglück versessen und füreuer Heil mit Blindheit geschlagen seid, ihrlasst euch das schönste Stück eures Ein-kommens wegholen, eure Felder plündern,eure Häuser berauben und den ehrwürdigenHausrat eurer Väter stehlen! Ihr lebt derge-stalt, dass ihr getrost sagen könnt, es gehö-re euch nichts; ein großes Glück bedünkt eseuch jetzt, wenn ihr eure Güter, eure Familie,euer Leben zur Hälfte euer Eigen nennt; undall dieser Schaden, dieser Jammer, dieseVerwüstung geschieht euch nicht von denFeinden, sondern wahrlich von dem Feindeund demselbigen, den ihr so groß machet,wie er ist, für den ihr so tapfer in den Kriegziehet, für dessen Größe ihr euch nicht wei-gert, eure Leiber dem Tod hinzuhalten. DerMensch, welcher euch bändigt und über-wältigt, hat nur zwei Augen, hat nur zweiHände, hat nur einen Leib und hat nichtsanderes an sich als der geringste Mann ausder ungezählten Masse eurer Städte; alles,was er vor euch allen voraus hat, ist derVorteil, den ihr ihm gönnt, damit er euchverderbe. Woher nimmt er so viele Augen,euch zu bewachen, wenn ihr sie ihm nichtleiht? Wieso hat er so viele Hände, euch zuschlagen, wenn er sie nicht von euch be-kommt? Die Füße, mit denen er eure Städteniedertritt, woher hat er sie, wenn es nichteure sind? Wie hat er irgend Gewalt übereuch, wenn nicht durch euch selber? Wiemöchte er sich unterstehen, euch zu pla-cken, wenn er nicht mit euch im Bundestünde? Was könnte er euch tun, wenn ihrnicht die Hehler des Spitzbuben wäret, dereuch ausraubt, die Spießgesellen des Mör-ders, der euch tötet, und Verräter an euchselbst? Ihr säet eure Früchte, auf dass er sieverwüste; ihr stattet eure Häuser aus undfüllet die Scheunen, damit er etliches zustehlen finde; ihr zieht eure Töchter groß,damit er der Wollust fröhnen könne; ihrnähret eure Kinder, damit er sie, so viel ernur kann, in den Krieg führe, auf dieSchlachtbank führe; damit er sie zu Gesel-len seiner Begehrlichkeit, zu Vollstreckernseiner Rachbegierden mache; ihr rackerteuch zu Schanden, damit er sich in seinenWonnen räkeln und in seinen gemeinen undschmutzigen Genüssen wälzen könne; ihrschwächet euch, um ihn stärker und straffzu machen, daß er euch kurz im Zügel hal-te: und von so viel Schmach, daß sogar dasVieh sie entweder nicht spürte, oder abernicht ertrüge, könnt ihr euch frei machen,wenn ihr es wagt, nicht euch zu befreien,sondern nur es zu wollen. Seid entschlos-sen, keine Knechte mehr zu sein, und ihr

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seid frei. Ich will nicht, dass ihr ihn verjagetoder vom Throne werfet; aber stützt ihn nurnicht; und ihr sollt sehen, dass er, wie einriesiger Koloss, dem man die Unterlagenimmt, in seiner eigenen Schwere zusam-menbricht und in Stücke geht“.

Boëtie weiß sehr wohl, dass es in Folge vonKrieg, Gefangenschaft und Sklaverei unend-liches Leid gibt. Trotzdem besteht er darauf,dass es eine optische Täuschung gibt, die„den Mächtigen“ unterstellt mehr und ande-res zu sein, als man selbst ist. Er beschreibtes so:

„Ich will jetzt von einem Punkt sprechen,der das Geheimnis und die Erklärung derHerrschaft, die Stütze und Grundlage derTyrannei ist. Wer vermeint, die Hellebardender Wachen oder die Büchsen der Postenbeschütze die Tyrannen, der ist nach mei-nem Urteil sehr im Irrtum: sie bedienen sichihrer, glaube ich, mehr zur Form und als Vo-gelscheuche, als dass sie Vertrauen in siesetzten. Diese Wachen hindern die Unge-schickten, die wehrlos sind, aber nichtWohlbewaffnete, die zu einem Unternehmengerüstet sind. Man erinnere sich nur der rö-mischen Kaiser: deren gibt es nicht so viele,die durch die Hilfe ihrer Wachen einer Ge-fahr entronnen sind, wie solche, die von ih-ren Wachen umgebracht worden sind. Nichtdie Reitertruppen, nicht die Kompagnien derFußsoldaten, nicht die Waffen schützen denTyrannen; sondern, man wird es nichtgleich glauben wollen, aber es ist dochwahr, viere oder fünfe sind es jeweilen, dieden Tyrannen schützen; viere oder fünfe, dieihm das Land in Knechtschaft halten. Immerist es so gewesen, dass fünfe oder sechsedas Ohr des Tyrannen gehabt und sich ihmgenähert haben oder von ihm berufen wor-den sind, um die Gesellen seiner Grausam-

keiten, die Genossen seiner Vergnügungen,die Zuhälter seiner Lüste und die Teilhaberseiner Räubereien zu sein. Diese sechserichten ihren Hauptmann so fein her, dasser für die Gesellschaft nicht bloß den Urhe-ber seiner eigenen Schändlichkeiten, son-dern auch der ihrigen vorstellt. Diese sechsehaben sechshundert, die unter ihnenschmarotzen, und diese sechshundert ver-halten sich zu ihnen, wie diese sechs sichzum Tyrannen verhalten. Diese sechshun-dert halten sich sechstausend, denen sieeinen Rang gegeben haben, die durch sieentweder die Verwaltung von Provinzen odervon Geldern erhalten, damit sie ihrer Hab-gier und Grausamkeit hilfreiche Hand leistenund sie zur geeigneten Zeit zur Ausführungbringen und überdies so viel Böses tun,dass sie nur unter ihrem Schutz sich haltenund unter ihrem Beistand den Gesetzen undder Strafe entgehen können. Davon kommtviel her.“

Soweit dazu Étienne de La Boëtie. ZurAnatomie der freiwilligen Unterwerfungscheint ein Tausch zu gehören:

Ich werde Glied eines überindividuellen Ge-bildes – einer Bürokratie etwa oder einer Ar-mee oder einer Partei oder auch einer Kircheoder Firma etc.; ich übernehme darin einebegrenzte, überschaubare Aufgabe und de-legiere die Verantwortung und die Auswir-kung dieser Aufgabe auf das überindividuelleGebilde. Die freiwillige Unterwerfung scheinteinherzugehen mit einem eingebildetenMachtgewinn: Teil eines „Großen Ganzen“ zusein – zu dessen Vorteil man beiträgt. Wie oftgeschieht es, dass sich Menschen zum Wi-derstand erst nach langen Mühen durchrin-gen? Und oft dann erst, wenn schon so vielpassiert ist, dass bereits viel Schlimmes umsie herum geschehen ist!

*Die Aufkündigung aller freiwil l ig einge-gangenen Unterdrückung und Abhängig-keit, die Aufkündigung der freiwil l igenUnterwerfung – diese geht durch die eige-ne Ohnmacht und die eigene Unterwer-fung hindurch:

Wir verlassen die Linie der Herrschenden,die klar vorzeichnet, wie Macht und Ohn-macht verteilt sein sollen und die auchunser Leben immer wieder durchkreuzt.Wir zelebrieren unsere Ohnmacht, um dar-in zu erkennen, welche befreiende Machtin ihr l iegt, indem wir die freiwil l ige Unter-werfung zurücknehmen.

Wir sitzen hier und tun gar nichts, wir sit-zen auf der Straße, über die die Kommuni-kation läuft, die diesen Apparat am Lebenerhält. Wir entziehen demonstrativ diesemGebilde unsere Unterstützung und verzich-ten auch lieber auf die damit angeblichverbundenen Vorteile, als weiter mit demoffenbaren Unrecht in Verbindung gebrachtzu werden. Wir zeigen öffentl ich unsereOhnmacht, indem wir gar nichts tun.

Wir verzichten auf alles, was Atomwaffenund Atomkraft rechtfertigen würde, undwiderstreiten allen solchen Rechtferti-gungsversuchen. Indem wir gar nichts tun,sondern durch unsere Person das ganzeGegenteil von Gewalt und Herrschaft sind,zeigen wir etwas anderes auf – etwas, dasnicht die Gewichte verteilt gemäß der Linievon Macht und Ohnmacht, sondern – freivon Dualismen, dem Denken in sich aus-schließenden Gegensätzen – das Kraftfeldder Menschlichkeit, und laden dazu ein indieses Kraftfeld zurückzukehren, sich ihmneu anzuvertrauen. Wir laden ein alle, dieauf Masse und Macht vertrauen und auchund gerade die, die in Gefahr stehen, sichvon diesem Feld davonzumachen.

Dieser Ruf, in das Feld der Menschl ich-keit zurückzukehren oder sich ihrer neuzu besinnen und sie neu wahrzuhaben:Das ist nur dann wahrhaftig und wahrhaftfrei , wenn wir dabei auf jede Gewalt ver-zichten und keinen überreden und nie-manden verurtei len , sondern aus-schl ießl ich auf Güte und ihre umwälzendeKraft und das Gewissen vertrauen. Dareicht manchmal ein einziger Mensch, umdies aufzuzeigen.

Das ist die Macht in der Ohnmacht – odergenauer: das zeigt die unaufhaltsame Wir-kungskraft der Güte in der angeblichenOhnmacht.

Foto: Pütter

Jahrestagung 201 2 in Arendsee

Berichte aus den Arbeitsgruppen

AG 1 : Wie machen wir „gesellschaftliche Wachsamkeit“?

von Christoph Rinneberg und Eberhard Bürger

Die kleine AG (mit Björn Rohde-Liebenau alsReferent und Eberhard Bürger als Moderator)hat sich mit Achtsamkeit und Wachsamkeitbefasst. Ausgehend von konkreten, persönli-chen Erlebnissen haben wir grundlegendeAspekte gesellschaftlicher Wachsamkeit be-dacht:

- Ambivalenz von Technik (sie kann zivil undmilitärisch gebraucht werden),- Frieden nicht nur als Ziel, sondern auch alsWeg (neue Rolle der Bundeswehr, Rekrutie-rung von Jugendlichen)- Wie kann die Asymmetrie zwischen globalplayers und zivilen Kräften überwunden wer-den?- Ist es nicht an der Zeit, dass dem „LernenGottes“ – vom stammesgeschichtlich ge-

prägten Nationalgott zum Gott aller Völkerund Menschen – unser eigenes praktischverändertes Verhalten folgt?- Wie können an einem Ort Christen ver-schiedener Konfessionen gemeinsam ihrenGlauben und ihre Solidarität mit anderen le-ben, auch wenn das von den Hauptamtlichenboykottiert wird?- Wie können wir Palästinensern in den be-setzten Gebieten unsere Solidarität zeigen?

Ein Kernproblem sehen wir darin, wie in un-serer eher individualistisch geprägten Gesell-schaft Menschen wieder für soziale undgesellschaftliche Verantwortung aufgeschlos-sen werden können. Zum „sozialen Humus“einer Gesellschaft, aus dem Neues wächst,beizutragen, muss wieder ein Ziel werden.

Über einen methodischen Weg zu qualifizier-ter gesellschaftlicher Wachsamkeit haben wirintensiver nachgedacht:- Was ist da (bei uns selbst z.B.) an emotio-nalen Bedürfnissen, an Vorurteilen …? –und: Welche Ressourcen sind vorhanden?- Mit wem können wir uns vernetzen?- Mit wem verbünden wir uns und gehengemeinsam los?

Es ist uns wichtig geworden, vor dem Ein-bringen des eigenen Standpunktes und vordem Widersprechen achtsam zu werden – zusehen und zu hören, welche Ausgangslageund welche Anknüpfungspunkte für einengemeinsamen Weg vorhanden sind. Das wirdhelfen, Teil der Lösung und nicht Teil desProblems zu sein.

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Vom 1 7. – 20. Mai 201 2 fand die Jahresta-gung des Internationalen Versöhnungsbun-des, Deutscher Zweig, in Arendsee/Altmarkstatt. Über 1 90 Teilnehmende, darunterauch viele Kinder und Jugendliche, warengekommen, um sich auf verschiedene Wei-se dem Thema „ZivilgesellschaftlicheWachsamkeit. Sehen – Hören – Widerspre-chen“ zu nähern. Ein Impulsreferat vonBjörn Rohde-Liebenau zu „Zivil, gesell-schaftlich und achtsam: von der Verantwor-tung zu antworten“ und einePodiumsdiskussion zur „Zivilgesellschaftli-chen Wachsamkeit“ mit VertreterInnen ver-schiedener Initiativen bildeten den Auftakt

für den weiteren Tag mit der Arbeit in ver-schiedenen Gruppen zu Themen wie Zivil-klausel an Universitäten, investigativer undkonfliktsensitiver Journalismus, Verantwor-tung zurück gewinnen anhand von Thoreau,Dresden nazifrei, UN-Konvention für Rechtevon Menschen mit Behinderungen, Straf-vollzug, Energie selber machen, Blockade-aktionen, Sehen-Hören-Tanzen, Konfliktegewaltfrei lösen. Diesen ganz verschiedenenThemenbereichen ist gemeinsam, dass sieein Engagement brauchen, das achtsam(Sehen und Hören) und widerständig (Wi-dersprechen) ist, weil sonst lebenswichtigeBereiche vernachlässigt oder behindert

werden. Vor dem Erkundungsbergwerk inGorleben nahmen etwa 1 20 Tagungsteil-nehmer an der Aktion „Gorleben 365“ teil:Mit dieser Veranstaltung wurde das Ein-gangstor für den Vormittag blockiert. Dabeierfuhren die Teilnehmenden von anderenBesonderheiten: vom Gorleben-Gebet, dasseit 1 989 jeden Sonntag um 1 4 Uhr abge-halten wird, und von den vielen Aktionen zu„Gorleben 365“, die bisher zum Wachhaltenund Blockieren beigetragen haben. DieJahrestagung wurde am Nachmittag des1 9. Mai mit der Arbeit der 1 3 Kommissio-nen fortgesetzt und endete mit einem Festam Abend. Zum Angebot der Tagung ge-hörte auch die Möglichkeit, den Tag mit Yo-ga und mit Andachten zu beginnen und dieWoche mit einem Gottesdienst zu beenden.– Eingerahmt wurde die Jahrestagung vonder Mitgliederversammlung des Internatio-nalen Versöhnungsbundes, DeutscherZweig, auf der Berichte zur laufenden Ar-beit, Finanzfragen und Anträge beratenwurden und die Wahl eines neuen Vorstan-des erfolgte. Erneut wurde Dr. Matthias En-gelke für zwei Jahre als Vorsitzendergewählt. Die Mitgliederversammlung be-stimmte den neuen Vorstand durch dieWahl von sieben weiteren Mitgliedern,ebenfalls für zwei Jahre. (Pressemitteilungvom 20.5.201 2)

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AG 5: Rückgewinnung von Verantwortungvon Hanna Fetköter

Grundlage der Arbeitsgruppe war Leben undWerk von Henry David Thoreau (1 81 7-1 862),die bis heute von großer Bedeutung sind für dieAktionen und Kampagnen des gewaltfreien Wi-derstandes  gegen staatliches und gesellschaftli-ches Unrecht. Seinen Einfluss finden wir beiTolstoi, Gandhi, über Hannah Arend bis JohannGaltung und Martin Buber. Den AmerikanischenBürgerkrieg für den Traum von Frei-heit  (1 875)   hat Thoreau nicht mehr erlebt, aberer hat gegen die Sklavenhaltung und für dieFreiheit des Individuums gelebt und geschrie-ben. Ein Jahr vor seinem frühen Tod - er waran Lungentuberkulose erkrankt - begann deramerikanische Bürgerkrieg.

Zu Thoreaus Lebensstationen gehören das Stu-dium der Pädagogik und die praktischen Erfah-rungen im Lehrerberuf. Er wollte  mit denSchülern lernen und geriet mit Kollegen und El-tern aneinander, weil er die noch übliche Prügel-strafe nicht anwenden wollte. Für ihn konnte„Gehorsam" nur unter der Voraussetzung derEinsicht in das Verlangte erreicht werden. Zu-gleich  lebte und erwartete er Ungehorsam ge-gen Befehle, die von ihm Unrecht am Anderenverlangten. Durch seinen Vater konnte er  zudem

die Kenntnisse und den Alltag eines industriellenHandwerkers ausprobieren, indem er Bleistifteherstellte.

Aus der Kirche trat er aus. Für ihn war die Na-tur der „Spiegel der göttlichen Weltseele" undder Ort, um das höhere Selbst zu verwirklichen.Die Suche nach dem höheren Selbst ist in sei-nen Tagebüchern (1 4 Bände) und in seinemBuch „Walden" festgehalten, in denen er dasExperiment, als Einsiedler anderthalb Jahre ein-sam und allein im Wald zu leben, beschriebenhat.  Sein Fazit: 1 Tag in der Woche arbeiten - 6Tage leben!

Thoreaus Bedeutung als Sozialkritiker ist unsüberliefert in seinem Werk „Über die Pflicht zumUngehorsam gegen den Staat", das erst seit1 966 in deutscher Sprache vorliegt. Es gehtdarin um so wichtige Schritte wie Informieren,und zwar auch über Alternativen, Lesen, Spra-che verstehen, auch die Sprache des anderen,Inhalte  denken zu  lernen, selbst denken zu ler-nen, und zu versuchen, den Anderen zu denken.

Thoreau ist damit auch ein Wegweiser für denVersöhnungsbund und dessen Aufgabe, zivilge-

sellschaftliche Wach- und Achtsamkeit einzuü-ben und die Eigenverantwortung zurückzu-gewinnen. z.B. die Frage: wen müssen wir imBlick haben, wenn wir gerechte Verhältnisse er-reichen wollen? Von Thoreau können wir lernen,dem Staat und der Regierung in ihren unge-rechten Gesetzen und Maßnahmen zu wider-sprechen und uns ihnen  zu verweigern. Wirkönnen uns auf die Suche machen, nach Tho-reaus von heute, nach Gemeinschaften, die inseinem Sinne leben, das meint: auf der Suchenach Wahrheit und unserem Gewissen.

Zum Schluss noch ein Zitat von H. D. Thoreau:„Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Kriegund Sklaverei sind, und die doch praktischnichts unternehmen, um sie zu beseitigen, ... dieruhig sitzen bleiben, die Hände in den  Taschenund sagen, sie wüssten nicht, was zu tun sei,und eben auch nichts tun ... Sie warten wohlsi-tuiert, dass andere den Übelstand abstellen, da-mit sie nicht mehr daran Anstoß nehmenmüssen. Höchstens geben sie ihre Stimme zurWahl ab, das kostet nicht viel, und der Gerech-tigkeit geben sie ein schwaches Kopfnicken unddie besten Wünsche mit auf den Weg, währenddie an ihnen vorübergeht ..."

AG 7: Bündnis „Nazifrei – Dresden stellt sich quer“von Renate Firgau

„Dresden Nazifrei“ ist der Name eines spektren-übergreifenden Bündnisses. Dies sorgte schon fürerste Irritationen - Nazi-Terminologie? Der Berichtvon Andreas Herwig über die Aktivitäten desBündnisses in Dresden regte die TeilnehmerInnenan, ihre eigenen Erfahrungen in München, Halleoder Münster, mit Naziaufmärschen oder demUmbruch der DDR ... zu reflektieren. Freilich istdie Situation in Dresden eine besondere: In derrechtsextremen Szene ist „Dresden 1 3./1 4. Fe-bruar“ (Jahrestag der Bombardierung Dresdens1 945) eines der wichtigsten Daten im jährlichenTerminkalender.

So erscheinen alljährlich tausende (Neo-)Nazis inder Stadt und knüpfen mit ihrem Aufmarsch anden in der Stadtgesellschaft Dresdens verbreite-ten Opfermythos an. Viele Jahre stellten sich ih-nen nur vergleichsweise wenigeGegendemonstrantInnen entgegen. Keine einfa-che Ausgangslage.

Das Aktionsbündnis wurde im Dezember 2009gegründet - mit dem Ziel, die größte regelmäßigeNaziveranstaltung Europas durch Menschenblo-ckaden zu verhindern. Bereits Februar 201 0wurde dieses Ziel erreicht: 1 2.000 (!) Menschen

beteiligten sich an Blockaden und stoppten denAufmarsch der Nazis.

Die Diskussionen, die in Dresden im Vorfeld ge-führt wurden, bewegten auch die AG: Wasspricht für Blockaden, mit denen ja den Nazis defacto das Demonstrationsrecht genommen wird?Da in diesem Kontext wohl kaum Überzeugungs-arbeit geleistet werden kann, geht die Botschafteher an die potentiellen Opfer und kann als star-kes Signal der Zivilgesellschaft an durch NazisBedrohte verstanden werden.

Mit einer Blockade ist nicht unbedingt der An-spruch an den Staat verbunden, Naziaufmärschegerichtlich verbieten zu lassen. Vielmehr nimmtsich die Zivilgesellschaft das Recht, Positionen alsunverhandelbar zu kennzeichnen und durch brei-te zivile Präsenz zu verhindern, dass Nazi-Ideolo-gie eine Bühne in der Stadt bekommt: Den Nazisnicht die Geschichtsdeutung zu überlassen - dieDresdner Gedenkkultur nachhaltig zu verändernund damit dem Naziaufmarsch den Boden in derStadt zu entziehen ... So informierte z. B. ein„Mahngang Täterspuren" über die NS-GeschichteDresdens und ließ Spuren von Tätern und Opfernjenseits der Bombardierung sichtbar werden.

Der Begriff „Gewaltfreiheit" taucht im DresdnerBündnis nicht auf, kann er doch nach außenspalterisch wirken („gute“ versus „böse“ De-monstranten). Stattdessen einigten sich dieDresdner AkteurInnen darauf, dass von ihnen„keine Eskalation“ ausgeht. Da das Antifa-Spektrum alleine nicht blockadefähig gewesenwäre, hatte es ein hohes Interesse am Bündnismit anderen Gruppen, um gemeinsam stärkerauftreten zu können. Hier besteht die großeChance der gewaltfreien Kräfte, für Gewaltver-zicht zu werben.

Durch das Einbinden von Akteuren, die ggf. zuGewalt greifen würden, kann Gewalt eher verhin-dert werden ... Diese Strategie kann umso erfolg-reicher sein, wenn die Aktion von Anfang anspektrengemischt stattfindet, also die Gewerk-schafterin mit dem Antifa-Pärchen und der Ge-meindegruppe schon im gleichen Busgemeinsam anreist. Keine Utopie, sondern so ge-schehen in Dresden 2011 . „Entscheidend ist nichtder Heldenmut einzelner, sondern die Entschlos-senheit vieler.“ (Wer weiterlesen möchte, z. B.Sieben Thesen, was den Erfolg ermöglicht hat,dem sei die Website www.dresden-nazifrei.comempfohlen).

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Eine eingetragene Genossenschaft (eG) hat keineProspektpflicht und eine Beteiligung ist schon mitgeringen Mitteln möglich. In der Genossenschafthaftet jeder mit seinen Anteilen, und eine Ge-winnpflicht besteht nicht. Jede Person besitzt eineStimme unabhängig von der Höhe ihrer Anteile.

Die friedensfördernde EnergiegenossenschaftHerford eG, die aus dem Plenum des Anti-Atom-Bündnisses Herford heraus entstand, ist im ge-samten Regierungsbezirk Herford (Kreis Herfordund Ostwestfalen-Lippe) aktiv. Der Begriff „frie-densfördernd“ im Namen der eG stieß bei derGründung auf breite Zustimmung.

Das Herforder Vorzeigeprojekt nimmt keines-wegs eine Vorreiterrolle ein. Der ZukunftskreisSteinfurt sieht mit seinem Klimaschutzkonzept„Regional-Dezentral-Co2neutral“ die Energiever-sorgungsautarkie bis 2050 vor und Münchenbeabsichtigt, bis 2025 nur noch regenerativeEnergieträger zum Einsatz zu bringen. Energie-autarkie ist mehr als 1 00% erneuerbare Energiezu verwenden! Die Autarkie setzt voraus, dassnichts von außerhalb dazu gekauft werden muss.Soweit gehen die Herforder noch nicht.

E.on als Großkonzern steht insofern in der Kritik,weil nur 1 0% des Umsatzes in die verbrauchen-

de und zahlende Region zurückfließen. Ein ekla-tantes Ungleichgewicht, welches Spannungenerzeugt und dem die Herforder um Barbara Rodisich entgegenstellen.

Die friedensfördernde EnergiegenossenschaftHerford zählt aktuell 66 Mitglieder. Ein Minde-stanteil liegt bei 250 Euro. Die seit März 201 2eingetragene Genossenschaft hat zwei Anlagenerrichtet und bereits 55.000 Euro investiert. DiePresse widmet sich der friedensfördernden Ener-giegenossenschaft Herford eG aufmerksam.

Vorstandsmitglied Martin Sonnabend testet zur-zeit ein innovatives Solarcarport am Bahnhof ei-nes Nachbarortes von Herford aus. Und eineandere Nachbargemeinde von Herford ist an Zu-sammenarbeit interessiert, will aber zunächstselbst ein Klimaschutzkonzept aufstellen und einWindgut-achten anfertigen lassen.

Die Herforder Initiative, die zurzeit zwei Solaranla-gen betreibt, öffnet sich Innovationen gegenüber.Wasserkraft soll z.B. mit Gravitationswirbelwas-serkraftwerken an den Stellen nutzbar gemachtwerden, wo es bereits Wehre zum Hochwasser-schutz gibt. Der Eingriff in die Natur soll dabeiaber stets so gering wie möglich gehalten wer-den. So etwas geht nur mit kompetenten Fach-

leuten. Ein Wasserbauingenieur, ein Solateur, einUnternehmer und andere Mitglieder mit Erfah-rungen in Finanzierungsfragen bringen sichwechselseitig tatkräftig ein.

Solarenergie ist weniger effektiv als Wind undGeothermie in der Mitte Europas. Die Herforderkümmern sich zunächst nur um das Stromge-schäft. Aber die Wärmefrage beginnt zuneh-mend interessanter zu werden. Demnächstbeabsichtigt ein Mitglied der Energiegenossen-schaft Herford mit einem Mikroblockheizkraft-werk Erfahrungen zu sammeln. DieKombination aus dem Strom- und Wärmesek-tor birgt weit mehr Erfolgspotenzial als das Ge-schäft mit einer Energieform allein.

Die friedensfördernde EnergiegenossenschaftHerford eG speist ihren Strom über Zähler insNetz von E.on ein, weil die Genossenschaft überkeine eigenen Netze verfügt.

Die Arbeitsgruppe könnte sich vorstellen, dassder Internationale Versöhnungsbund deutscherZweig e.V. einen Anteil an der friedensförderndenEnergiegenossenschaft Herford eG erwirbt. Einenentsprechenden Antrag soll Frau Christiane Loh-se stellen. Des Weiteren wird nahegelegt, zu ei-nem zertifizierten Ökostromanbieter zu wechseln.

AG 1 0: Energie selber machen – natürlich!von Chris Neumann

Die UN-Konvention für die Rechte von Menschenmit Behinderungen war der Ansatzpunkt. Denkenwir überhaupt an Behinderte? Wenn wir in einenRaum kommen, erkennen wir dann Stufen alsbeinahe unüberwindbares Hindernis für jeman-den, der im Rollstuhl sitzt? Das grün leuchtendeNotausgangsschild sendet ein für uns unüber-sehbares Signal. Was aber ist mit denen, dienicht sehen können? Sie werden übersehen.

Ein Wort ist zurzeit in aller Munde: „Inklusion“.Inklusion sieht den Einzelnen als Maßstab, mitseinen Stärken und seinen Schwächen. Im Ge-gensatz zur Integration will sie nicht die Minder-heit der Menschen mit Behinderung in den Kreisder „Normalos“ aufnehmen. Nein, sie löst dieseKreise auf und führt alle zusammen. Uns ist be-wusst geworden, dass, damit Inklusion erfolg-reich sein kann, ein Denkwandel nötig ist.

In drei kleineren Gruppen haben wir überlegt,wie wir diesen Wandel im Alltag bewirken kön-nen. Grundsätzlich müssen wir unserem Gegen-über, egal ob behindert oder nicht, achtsam

begegnen. Es sollte selbstverständlich werden,dass wir Unterstützung anbieten und zwar jedem,denn jeder von uns ist mal mehr und mal weni-ger darauf angewiesen. „People with differentneeds“ bezieht sich nicht nur auf Menschen mitBehinderung, sondern auf Wesensmerkmale je-des einzelnen.

Dazu gehört es, den Mut zu haben, diese Unter-stützung anzunehmen. In unserer Gesellschaft,die von Anfang an auf Leistung zielt, soll jedermöglichst autonom sein. Aber Autonomie behin-dert. Sie verhindert das menschliche Bedürfnis,sowohl Können als auch Schwächen mit einan-der zu teilen.

Viele Menschen, vor allem jüngere, benutzen dasWort „behindert“ als Beleidigung, ohne darübernachzudenken. Oft liegt das daran, dass sie mitBetroffenen nicht in Berührung kommen. Vor al-lem im Schulalter können Begegnungen zwi-schen behinderten und nicht behinderten Kinderndiese Grenzen überbrücken. Auch Selbsthilfe-gruppen von Betroffenen könnten durch Öffent-

lichkeitsarbeit die Toleranz fördern. Allerdingssollten sie auf eine positive Selbstdarstellungachten und niemanden dazu verpflichten, seinenNamen zu nennen.

Was bedeutet der Denkwandel für den Versöh-nungsbund? - Schon bei der Anmeldung sollteselbstverständlicherweise gefragt werden, ob einebenerdiges Zimmer gewünscht wird. Allgemeinist Barrierefreiheit unbedingte Voraussetzung fürInklusion. Dabei geht es nicht nur um baulicheBarrieren, sondern auch um Maßnahmen wieBraille-Übersetzungen für blinde oder Gebärden-dolmetscher für gehörlose Teilnehmer. Auchkomplizierte Sprache kann eine Barriere sein. DieHomepage des VB strukturiert, übersichtlich undmit leichter Sprache aufzubauen, wäre ein weite-rer kleiner Schritt, der viel bewegen kann.

Der Erfahrungsaustausch und die tiefsinnigenGespräche in unserer AG bewirken vielleicht,dass wir in unserem Umfeld dabei helfen, dass„Inklusion“ nicht nur ein Wort bleibt, sondern zurRealität wird.

AG 8: Rechte von Menschen mit Behinderungenvon Maren Austermann und Stella Bosco

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AG 11 – Gewaltfreies AktionstrainingUm uns die Grundlagen gewaltfreier Aktion inTheorie und Praxis näher zu bringen, reisteMarkus Wutzler, Psychologiestudent in Leipzigund Trainer in gewaltfreier Aktion, direkt vomBlockadecamp „Gorleben365“ an und konnteso aus erster Hand von der aktuellen Situationdort berichten.

Markus leitete das Aktionstraining ein, indemer uns einige nonverbale Zeichen erklärte, dieStimmungsbilder in einer Gruppendiskussionschaffen, ohne den Diskussionsfluss zu unter-brechen, wie z.B. das Handwedeln für die eige-ne Zustimmung, überkreuzte Arme für eineAblehnung oder auch eine beschwichtigendeHandbewegung, damit jemand langsamerspricht.

Als erste Schritte zur Vorbereitung einer ge-waltfreien Aktion sind die Bildung von Tan-dems, Bezugsgruppen und einesSprecherInnen-Rats wesentlich, um die Kom-munikation unter den Aktivisten zu strukturie-ren und zu beschleunigen und die Sicherheitjedes Einzelnen zu gewährleisten. Mit Hilfe des„Konsens-Fischs“ können die wichtigsten In-formationen, Fragen, Ängste und Wünsche in-nerhalb einer Bezugsgruppe raschzusammengetragen werden und zu einer Kon-sens-Entscheidung führen.

Erste Übung: Wir suchten uns einen oder zweiTandempartner und bildeten dann Bezugsgrup-

pen mit vier bis sechs Leuten, in denen wir unsnäher kennen lernten, einen Namen für dieGruppe fanden (z.B. „Krautsalat“) und dannganz konkret zur Blockadeaktion am kommen-den Sonntag in Gorleben die wesentlichenSchritte der Informations- und Konsensfindungerarbeiteten. Außerdem wählten wir einen Ver-treter, der die Interessen der Gruppe in einemzweiten Schritt in den SprecherInnen-Rat tra-gen sollte, um sich mit allen Bezugsgruppenabzusprechen. Nachdem dieser sich über dieErgebnisse der einzelnen Gruppen ausge-tauscht hatte und einige wichtige Fragen zurAktion geklärt wurden, bereitete uns Markusmit einigen wesentlichen juristischen Informa-tionen zu unseren Rechten und denen der Poli-zei auf die letzten beiden sehr praktischenÜbungen vor.

Zweite Übung: In den Bezugsgruppen draußenzur Blockade auf den Boden setzen. Markusspielte eine Gruppe grölender, aggressiver Akti-visten, die versucht, uns zum Steine schmeißenund randalieren zu bewegen - und stellte unsso vor die Frage, wie wir mit einer solchen Si-tuation umgehen können. Neben Vorschlägen,sie auf verschiedenste Weise zu beruhigen undmögliche Wurfgegenstände in unserem Bereichaufzusammeln, schien es äußerst wichtig, deneigenen gewaltfreien Aktionskonsens entschie-den zu vertreten und ihn ggf. noch mal lautdurchzusagen, damit auch die Polizei und an-dere Aktivisten mitbekommen, dass von unse-

rer Blockade keine Gewalt ausgehen wird.

Dritte Übung: Wir trainierten für den Fall einerpolizeilichen Räumung die richtige Körperhal-tung und die verschiedenen Techniken, umuns wegtragen zu lassen (z.B. das Hängenlas-sen oder den „klassischen Blockadesitz“).

Letzte Übung: Wir lernten wir das „Durchflie-ßen“ einer Polizeikette mithilfe der „5-Finger-Strategie“. Jeder von uns schlüpfte nun aucheinmal in die Rolle eines Polizisten und mussteversuchen, die Aktivisten, die sich auf die ganzeBreite der Kette verteilten, aufzuhalten. Nachwenigen Minuten stellte sich jedoch heraus,dass es einfach nicht möglich war, die Augenüberall zu haben, von allen Seiten zugequatschtund angelächelt zu werden und dann auchnoch den Auftrag zu befolgen, keinen durchzu-lassen.

Es war faszinierend, zu erleben, wie man ganzohne Gewalt eine scheinbar übermächtigeMauer „durchfließen“ kann, und hat vielen vonuns Mut gemacht, an einer richtigen Blockadeteilzunehmen und uns nicht von gepanzertenPolizisten abschrecken zu lassen, auch wennbei einigen eine berechtigte Angst vor Über-griffen geblieben ist und jeder seine ganz indi-viduelle Grenze hatte, wo mensch nochmitmacht und wo die Angst zu groß ist. - Vie-len Dank an Markus Wutzler für dieses tolleTraining!

Erstes Treffen der Flüchtlingskommissionvon Anka Schneider, Marco und Mechthild Geue

Das Thema lag sozusagen in der Luft. DieAktion von Pro Asyl brachte es auf denPunkt: In unserem Namen werden täglich hil-fesuchende Menschen vor den Küsten Euro-pas abgewiesen und nicht selten in den Todgeschickt.

Nicht wenige Versöhnungsbundmitgliedersetzen sich auf unterschiedliche Weise fürFlüchtlinge ein, aber im Gesamtverband istdas Thema trotz der entsprechenden Jahres-tagung 201 0 zu Flucht und Migration nichtpräsent. Inspirierende Aktionsbeispiele amInfoabend gaben den letzten Anstoß für denspontanen Vorschlag  einer zusätzlichen Kom-mission, worauf sich überraschend- und er-freulicherweise elf Personen trafen.

Zunächst gab es eine ausführliche Kennen-lern-Runde, bei der es vor allem  um unsereGründe ging, uns an dieser neuen Versöh-nungsbundaktivität zu beteiligen. Wir stelltenfest, dass wir alle von der Problematik durch

persönliche Kontakte und andere Erfahrun-gen betroffen sind.

Drei TeilnehmerInnen arbeiten hauptberuflichmit Flüchtlingen, als Ärzte, in der Trauma-therapie und im Deutschunterricht, anderesind oder waren in örtlichen Initiativen enga-giert oder sind mit Menschen, die aus ihrenHeimatländern fliehen mussten, befreundet.Entsprechend unterschiedlich sind unsere In-formationen und Kenntnisse über dasSchicksal von nicht anerkannten Asylbewer-berInnen, sowohl was die Gesetzgebung wieauch was ihre Situation betrifft.

Nach dieser ersten Runde ging es um dieFrage, wie wir als Gruppe zum Thema  arbei-ten können. Als Möglichkeiten wurden unteranderem die Initiierung und Vorbereitung  öf-fentlicher Stellungnahmen des Versöhnungs-bundes, Information und Austausch übermögliche politische und direkte Aktionen unddie Kontaktaufnahme zu einzelnen Politikern

genannt. Wichtig war uns auch die Samm-lung und Unterstützung konstruktiver, mit-menschlicher und phantasievoller Projekte.Als bereits bestehende Beispiele wurde dasGärtnern mit Flüchtlingen, die Sofa-Aktionenauf Marktplätzen und die Band mit Musikernaus Asylheimen genannt.

Alle wollten sich näher die von Pro Asyl undanderen Initiativen gesammelten Infos undderen Aktionen und Arbeitsweisen anschauenund gegebenenfalls auch versuchen, sie zuverbreiten. Auch eine offizielle Vertretung desVersöhnungsbundes bei Pro Asyl und in denörtlichen Flüchtlingsräten wurde vorgeschla-gen. Marco Geue hat  angeboten, eine Mai-lingliste und eventl. auch ein Austauschforumauf der VB-Website vorzubereiten, um einenintensiveren Austausch zu ermöglichen. DieMailingliste wurde nun bereits eingerichtet.Schreibt einfach eine Mail an: [email protected] wenn ihr dort eingetragenwerden wollt.

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Bericht vom Jugendforumvon Samya Korff

Sonntag Abend komme ich hundemüde, aberirgendwie glücklich wieder zu Hause an. Hintermir liegt ein unglaubliches Himmelfahrtswo-chenende: die Jahrestagung. Es kommt mir vorals wäre ich über Wochen weg gewesen, soviel habe ich mitgenommen.

Die Liedzeile „Alles neu macht der Mai“kommt mir in den Sinn - „Alles neu macht dieJahrestagung“ ist eigentlich auch ganz pas-send.  Neu sind zunächst all die Informationen,die man auf der Jahrestagung bekommt. Obbei den Vorträgen, AGs, Diskussionsgruppenoder einfach bei einem netten Gespräch. 

Neu beziehungsweise erneuert ist auch derMut, etwas verändern zu können. Besondersdas Thema der Jahrestagung „zivilgesellschaft-liche Wachsamkeit“, hat mir wieder gezeigt,dass auch der einzelne schon eine Menge ver-ändern kann und wie vielfältig die Möglichkei-ten sind. 

Und auch im Jugendforum ist so einiges neu.Tobias Lohse und Hannah Klemm gaben ihrelangjährige Tätigkeit im Vorstand ab, und derJugendrat wurde neu gewählt. Viel hat sichwährend ihrer Amtszeit getan. Auf der Jahres-tagung wurde immer mehr Raum für Jugendli-che geboten, zum Beispiel durch die Treffen desJugendforums. Auch dieses Jahr boten dieseTreffen, neben „Gummibärchen für alle", dieMöglichkeit, sich untereinander besser kennenzu lernen und Erfahrungen auszutauschen.

Zum Beispiel berichtete Clara von unserer ers-ten Jugendtagung im Januar. An dieser Stellevielen Dank an Tobias und Hannah für diewunderbare Arbeit im Vorstand, für die Organi-sation vieler Aktionen auf den Jahrestagungenfür das Jugendforum und alles, was ihr für dieJugend im Versöhnungsbund getan habt. Undauch einen großen Dank an Sophia Firgau,Clara Hahn, Marco Geue und Clara Ahlbornvom alten Jugendrat, die die beiden in all dem

unterstützt haben.

Entsprechend standen dieses Jahr wiederWahlen an. Marco Geue und Sarah Boos wur-den vom Jugendforum einstimmig zur Vertre-tung der Jugendlichen und jungenErwachsenen in den Vorstand gewählt. Für dieMitarbeit im neuen Jugendrat haben sichAmala Bommer, Nele Buchholz, Clara Ahlbornund Sophia Firgau, die sich mit mir (SamyaKorff) einen Platz teilt, bereit erklärt. 

Eine ganze Menge hat sich also geändert. DasWichtigste ist aber gleich geblieben: Die wun-derbare Atmosphäre, die auf jeder Jahresta-gung herrscht. Und schließlich bot dasAbschlussfest, wie gewohnt tolle Stimmung,Musik, die zum Tanzen einlud, und zum Endeeinen etwas wehmütigen Abschied. Aber dienächste Jahrestagung kommt bestimmt - undvielleicht ja auch noch eine Jugendtagung da-zwischen, um die Wartezeit zu verkürzen.

K 5: Militärfreie Bildungvon Achim Schmitz

Der Schwerpunkt der diesjährigen Ar-beitsgruppe war ein Austausch mit AchimSchmitz, dem Ansprechpartner des Ar-beitsfeldes „Schule ohne Bundeswehr“beim Versöhnungsbund, und Peter Heim,einem Vertreter der neu gegründetenKommission „Friedensbildung in derSchule“ bei Pax Christi Deutsche Sektion.Angedacht wurde eine intensivere Koope-ration zwischen Versöhnungsbund undPax Christi zu diesem Themenbereich bzw.zur Friedensbildung - vorbehaltl ich ent-sprechender Beschlüsse der beiden Orga-

nisationen. In beiden hat christl ichbegründete Friedensarbeit ihren Platz;beide werden von Menschen getragen, diewichtige Beiträge der Friedensbildungleisten können. Von einer Zusammenarbeiterhoffen wir uns, dass wir unsere Kräftemehr bündeln und gemeinsam mehr er-reichen können.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir unsgegenseitig über aktuelle Entwicklungen zuden Bundeswehr-Kooperationen mit Schulenund Netzwerken für militärfreie Bildung in

verschiedenen Bundesländern informieren.Dazu gehören auch Hinweise auf geplanteüberregionale Aktivitäten wie eine interna-tionale Tagung der War Resisters' Interna-tional „Gegen die Militarisierung der Jugend“im Juni 201 2 und eine Aktionswoche fürmilitärfreie Bildung und Forschung im Sep-tember 201 2. Auf dieser Basis können wiruns gut vorstellen, dass wir uns gegenseitigzu Treffen einladen bzw. gemeinsame Aktio-nen planen.

Eine weiterhin wichtige Zielsetzung bleibt dieVerankerung von Inhalten der Friedensbil-dung in die Curricula der Aus- und Fortbil-dung von Lehrerinnen und Lehrern.

Foto: Pütter

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Jährliches Treffen der europäischen

Versöhnungsbundzweigevon Miriam Klemm

K.4: Arbeitskreis Friedensaufgabe und Soldatenseelsorge

Christoph berichtet davon, wie jüngst ei-nem polnischen Kriegsdienstverweige-rer/Deserteur das Leben gerettet werdenkonnte.

Zusammenarbeit mit EAK, EvangelischeBeratungsstelle für die Betreuung vonKriegsdienstverweigerern – Christian Grie-benau hat geschrieben; seine Nachfolgerinwird eine Frau sein. Inzwischen gibt es wie-der vermehrt Anrufe, vor allem von Frauen,die als Sanitäter Dienst tun. Deren Kriegs-dienstverweigerung bis lang nicht anerkanntworden ist. Die Rechtsprechung hat diesgekippt.

Bernhard hat den Briefverkehr mit Kirchen-leitung und Bischöfen geführt. Es liegt eineeinzige – unzureichende - Antwort vor.

Bernhard wird gebeten, einen Termin zusetzen, bis dahin eine Antwort vorliegensoll, falls nicht wird der Briefwechsel veröf-fentlicht.

Betr.: CA (Augsburgisches Bekenntnis)Art.1 6: Die Diskussion sollte auch beson-ders im Blick auf das Lutherjahr 201 7 auf-genommen werden.

Im Hinblick auf einen neuen Namen wur-den folgende Vorschläge unterbreitet:- von Wolfram Rohde-Liebenau: „GEWIS-SENSFRAGEN - zum Dienst mit der Waffe“- von Matthias: „Friedensaufgabe undSeelsorge für Menschen in der Bundes-wehr“- aus Duderstadt: „GEWISSENSFRAGENzum Kriegsdienst - Wenn sich das Gewissen

meldet ... Beratung und Begleitung fürMenschen in der Bundeswehr- „Friedensauftrag und Beratung und Be-gleitung für Menschen in der Bundeswehr“- „Friedensauftrag und beratende Beglei-tung für Menschen in der Bundeswehr“– „Arbeitskreis Friedensauftrag und Bera-tung für Menschen in der Bundeswehr“– Friedensarbeit für Menschen im Bereichder Bundeswehr– Friedensarbeit im Blick auf die Bundes-wehr- Friedensauftrag und Beratung und Be-gleitung für Menschen in der Bundeswehr- Friedensauftrag und Beratung, Begleitungfür Menschen in der Bundeswehr

Wir beschließen als neuen Namen: Ar-beitskreis Friedensauftrag und Militär.

In diesem Jahr trafen sich die Delegiertender verschiedenen europäischen Versöh-nungsbundzweige auf Einladung des italieni-schen MIR vom 1 3.-1 5 April in Turin undPrali. Das Treffen begann mit der Teilnahmean der 60-Jahr Feier des italienischen Zwei-ges in der Turiner Innenstadt. In der offiziellenZeremonie richtete unser amtierender inter-nationale Präsident, Hansuli Gerber(Schweiz) , ein Grußwort aus und lud darinzur Mithilfe ein, dem Internationalen Versöh-nungsbund (IFOR) als Bewegung und Netz-werk wieder neues Leben einzuhauchen unddabei auf IFORs Besonderheit der konsequentgewaltfreien Perspektive im Hinblick auf The-men wie Gerechtigkeit, Frieden, Krieg, Ökolo-gie oder Gender zu bauen. Das darananschließende Buffet und die Busfahrt zu un-serem Tagungsort in Prali luden zu einemersten Austausch über persönliche und ver-bandsspezifische Neuigkeiten ein.

Noch geprägt von den Gedanken Hansulis,stiegen wir am nächsten Morgen in die ei-gentliche EFOR-Tagung ein. Dabei bot diegeschichtsträchtige Begegnungsstätte Agape(Liebe) , die auf 1 550 Metern in den Walden-sertälern in der Nähe von Turin liegt, für unsDelegierte aus Deutschland (Davorka Lovre-kovic und Miriam Klemm), Belgien, England,Wales, Schottland, Schweiz, Österreich, Nie-derlanden und Italien einen geeigneten Ort

zum gemeinsamen Arbeiten. Wenngleich indiesem Jahr einige europäische Zweige nichtvertreten waren, beschäftigte uns vor allemdie Frage der Zusammenarbeit mit der inter-nationalen Geschäftsstelle und der Zweigeuntereinander.

Für viele der Delegierten stellte das Europa-treffen die erste Gelegenheit dar, unserenneuen internationalen Geschäftsführer per-sönlich kennen zu lernen. Francesco Can-delari (Italien) arbeitet seit Beginn des Jahres201 2 in der IFOR-Geschäftstelle in Alk-maar/Niederlanden. Mit viel frischer Energiebesuchte er bereits einige Mitgliedsorganisa-tionen in Asien und arbeitet an der Schaffungneuer Strukturen und Ziele. Der Bericht ausdem IFOR-Büro wurde von Hansuli und Da-vorka, unserer internationalen Vize-Präsiden-tin ergänzt. Die Trennung zwischen IFOR undunserem Women's Peacemaker Program(WPP) verläuft gut und wird wie geplant En-de 201 2 abgeschlossen. WPP wird ihre an-erkannte Arbeit danach als eigenständigeOrganisation weiterführen, jedoch weiterhinmit dem Versöhnungsbund zusammenarbei-ten.

Das Hauptaugenmerk der diesjährigen Ta-gung lag demnach auch auf der Frage, wiewir uns zukünftig die Arbeit des internatio-nalen Verbandes vorstellen.

In Arbeitsgruppen diskutierten wir die dazu imVorfeld in den eigenen Zweigen gesammeltenWünsche. Im Hinblick auf die Zusammenar-beit mit der IFOR-Geschäftsstelle wurde ins-besondere das Anliegen einer intensiverenKommunikation angesprochen, damit einbesserer Informationsfluss zwischen den Akti-vitäten des Büros und der Zweige gewährleis-tet ist. Zudem soll eine„Wir-suchen-und-bieten“-Liste erstellt werden,um einen intensiveren Austausch zwischenden Mitgliedsorganisationen zu erleichtern unddamit Expertise gemeinsam besser nutzbarmachen zu können.

Ein weiterer wichtiger Tagungsordnungspunktwar das im Jahr 201 4 anstehende 1 00jährigeJubiläum des internationalen Versöhnungs-bundes und der in diesem Rahmen inDeutschland stattfindenden Feierlichkeiten unddort ausgerichteten internationalen Konferenz.Für die Planung der Ereignisse in Konstanzwurde eine Schweiz-Deutsch-ÖsterreichischeArbeitsgruppe gebildet, die sich über weitereinteressierte MitarbeiterInnen freut. Das Euro-patreffen ermöglichte überdies, mehr über dieArbeit unserer Repräsentanten bei der UN zuerfahren. Derek Brett (Schweiz) , berichteteüber seine Arbeit im ECOSOC in Genf undMaria Antonietta Malleo (Italien) , über ihre Ar-beit innerhalb der UNESCO.

Zum Abschluss des Treffens verabschiedetenwir eine Stellungnahme anlässlich des „Glo-balen Aktionstag gegen Militärausgaben“. Sieist auf der IFOR-Homepage als Declaration ofPrali in voller Länge nachlesbar:http://www.ifor-mir.org.

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Der langjährige Nahost-Korrespondent derHamburger Wochenzeitung „Die Zeit" undhäufige Kommentator bei allen großen Fern-seh- und Radiostationen in Deutschland, Dr.Michael Lüders, hat im A pril 2012 sein neu-es Buch veröffentlicht: „Iran. Der falscheKrieg. Wie der Westen seine Zukunft ver-spielt". Clemens Ronnefeldt hält dieses Buchfür eines der derzeit wichtigsten politi-schen  Bücher  überhaupt, u.a. auch deswe-gen, weil sich der Autor dazu entschlossenhat, in einer  äußerst angespannten weltpoliti-schen Lage „Klartext" zu schreiben. Kritikverdiene allein schon der Titel, der den Um-kehrschluss nahelegt, es könne auch „richti-ge Kriege" geben - und im Gegensatz zumInhalt des Buches eine eurozentristischeHaltung einnimmt, während vor allem die Zu-kunft des Nahen und Mittleren Ostens derzeitzur Disposition steht.

Die Zeichen stehen auf Eskalation

Michael Lüders schreibt: „Spätestens seitdem 25. Januar 201 2 konnte jeder, der eswissen wollte, erfahren, dass die Zeichenauf Krieg stehen. An dem Tag veröffentlichtedie «New York Times» eine Innenansicht derisraelischen Regierung in Sachen Iran. Ausder Feder von Ronen Bergman, dem israeli-schen Seymour Hersh (US-amerikanischerStarjournalist, Anm.: C.R.) . Bergman zufolgehatte Verteidigungsminister Ehud Barakeinen israelischen Angriff auf die iranischenAtomanlagen bereits für den 20. Januar an-geordnet, wurde aber im letzten Momentvon Washington daran gehindert. Darübersei es zu einer ernsten Verstimmung ge-kommen, und die israelische Regierung ha-be zu verstehen gegeben, dass sie die USAüber eine künftige Offensive erst in Kenntnissetzen werde, nachdem sie bereits angelau-fen sei. In Israel, so Bergman, wisse mannur zu gut, dass die USA in dem Fall keineandere Wahl hätten als ihrem Verbündetenmilitärisch beizustehen. Die israelischenKampfflugzeuge würden demzufolge denWeg über Jordanien und den Irak nehmen -beide Staaten verfügen über keine Flugab-wehr. Bergman beendet seinen Artikel mitdem Resümee, die Frage sei nicht, ob Israelden Iran angreifen werde, sondern wann (S.28ff) .

Unter der Überschrift „Geheimer Krieg ge-gen Iran" schrieb Paul-Anton Krüger am22.1 2.2011 in der Süddeutschen Zeitung:

„Bei einer Explosion starb im November(2011 , Anm.: C.R.) der Chef des iranischenRaketenprogramms. Es gibt Indizien dafür,dass dies kein Unfall, sondern ein gezielterAngriff war. Experten vermuten, dass derisraelische Geheimdienst Mossad dahinter-stecken könnte. (...) Ein früherer Pentagon-Analyst, der selbst Luftangriffe geplant hat,sagte der SZ, er tippe auf eine Attacke mitMarschflugkörpern. Ein Drohnen-Angriff mitkleinen, gelenkten Bomben ist ebensodenkbar. Auch lässt sich nicht ausschließen,dass Sprengsätze auf das Gelände ge-schmuggelt worden sind. Doch darüber ge-ben die Satellitenfotos ebenso wenig preis,wie über mögliche Urheber. Die USA verfü-gen über entsprechende Waffensysteme,und Israel vermutlich auch. Doch das istblanke Spekulation. Sicher dagegen ist: Einmöglicher Angriff, vor allem aus der Luft,wäre der Schritt von Geheimdienstoperatio-nen an die Schwelle eines Krieges. Darinliegt zugleich eine Erklärung, warum Irandie USA und Israel nicht beschuldigt - wo-möglich wider besseren Wissens: Ein Luft-schlag würde eine militärische Reaktion fastunausweichlich machen - eine Eskalation,die das Regime wahrscheinlich um jedenPreis vermeiden will. Vielleicht können der-zeit alle Beteiligten am besten damit leben,wenn der Tod von General Moghaddam einMysterium bleibt".  

Am 30.11 .2011 berichtete Peter Münch inder „Süddeutschen Zeitung", dass erstmalsnach zwei Jahren aus dem Libanon mehrereKatjuscha-Raketen auf den Norden Israelsabgefeuert worden waren, die einen Hüh-nerstall und einen Gastank zerstörten. PeterMünch sieht einen Zusammenhang zwi-schen diesen Raketeneinschlägen und demTod von General Moghaddam in Iran: „In Is-rael wird das von manchen bereits in Ver-bindung gebracht mit einer Reihemysteriöser Explosionen in Iran. Vor zweiWochen war westlich von Teheran ein Ra-ketenlager in die Luft geflogen, am Montag-abend wurde zudem eine Explosion aus derStadt Isfahan gemeldet, wo auch eine Uran-anreicherungsanlage betrieben wird. IsraelsGeheimdienst-Minister Dan Meridor gab da-zu sogleich ein Radio-Interview mit einembemerkenswerten Dementi. 'Nicht jede Ex-plosion' sei gleich ein Sabotage-Akt, erklärteer und fügte möglichst vielsagend an, dasses im Umgang mit Iran 'Staaten gibt, die

Wirtschaftssanktionen erlassen und Staaten,die auf andere Art handeln'".

Die israelische Regierung hat nach einemArtikel in „Foreign Policy" vom 28. März201 2 zufolge einen Vertrag mit Aserbai-dschan abgeschlossen, der die Nutzung ei-nes Militärflughafens in der Nähe von Bakuzum Inhalt hat. Damit gewinnt die israeli-sche Regierung Handlungsspielraum für ih-re Iran-Angriffspläne, da eine Luftbetankung- wie bei Starts von Israel aus - nicht not-wendig wäre. Die israelische Regierung wirdnach einem Vertrag vom Februar 201 2 imWert von 1 ,6 Milliarden US-Dollar Aserbai-dschan Rüstungsgüter liefern, darunterDrohnen und Flugabwehrraketen, die nacheinem israelischen Angriff von Aserbai-dschan aus Vergeltungsraketen aus Iranabfangen könnten.

Folgen eines Angriffs auf Iran

Die Folgen eines Angriffs auf die iranischenAtomanlagen lässt Michael Lüders in sei-nem Buch „Der falsche Krieg" den pensio-nierten Vier-Sterne-US-General AnthonyZinni beschreiben, der bereits im Jahre2009 in seinen Vortrag vor der New Ameri-can Foundation in Washington folgenderhetorische Fragen stellte: „Nachdem ihralso Bomben auf deren Bunkeranlagen ab-geworfen habt, wie geht es dann weiter?Was, wenn sie beschließen, von ihren Bun-keranlagen aus ihre mobilen Raketen abzu-feuern? Was, wenn sie die in Richtung derUS-Militärbasen auf der anderen Seite desPersischen Golfs lenken? Oder damit Israelangreifen oder sonst wen? Oder ihre Rake-ten in saudische Ölfelder lenken? ... Was,wenn sie alles raushauen, was sie haben,

Iran, Israel und dieKriegsgefahr in der Region

von Clemens Ronnefeldt

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ihre Patrouillenboote, ihre Raketen, den Per-sischen Golf verminen und Öltanker versen-ken?

Spätestens dann knallen in der Weltwirt-schaft alle Sicherungen durch. Was, wennihre Geheimdienste Schläferzellen aktivie-ren? Die USA und Israel weiterhin dem Iraneinheizen, während die bei uns zuhause denStraßenkampf proben? Ich würde mal sa-gen, in dem Fall hätten wir ziemlich vieleProbleme. Und jetzt erklärt mir doch bitte,wie wir die lösen wollen, okay? ... MeinenFreunden sage ich immer: Wenn euch Af-ghanistan und Irak gefallen haben, werdetihr den Iran lieben".

Die US-Präsidentschaftswahlen und ihreBedeutung für den Israel-Iran-Konflikt

Anfang November 201 2 finden in den USAPräsidentschaftswahlen statt. Barack Obamakann im Vorfeld des US-Wahlkampfes kei-nen weiteren Krieg in der Region führen,ohne den wirtschaftlichen und politischenNiedergang der ehemals einzigen Super-macht USA noch mehr zu beschleunigen.Daher wird der derzeitige US-Präsident allesversuchen, die israelische Führung wie be-reits im Januar 201 2 auch bis zu denWahlen am 6. November 201 2 von einemKrieg gegen Iran abzuhalten.

Sollten Benjamin Netanjahu und Verteidi-gungsminister Ehud Barak einen Krieg inunmittelbarer zeitlicher Nähe zu den US-Wahlen beginnen, wäre Barack Obama ge-zwungen, aufgrund des Drucks der israeli-schen Lobby in den USA dem VerbündetenIsrael beizustehen und an der Seite Israels indiesen Krieg einzutreten. Eine Verweigerungwürde seine Wiederwahlchancen enormsinken lassen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der wiederge-wählte Barack Obama in den nächsten vierJahren Israel bei einem Krieg gegen Iranunterstützen würde, tendiert gegen Null. Weildies auch die israelische Führung weiß,schließt sich langsam das Zeitfenster füreinen israelischen Angriff, den allein zu füh-ren eine Mehrheit der israelischen Bevölke-rung ablehnt.

Benjamin Netanjahu gelang im Mai 201 2das Kunststück, Neuwahlen im letzten Mo-ment abzuwenden und mit dem ehemaligenVerteidigungsminister Shaul Mofas, der1 948 in Teheran geboren wurde und seineersten Lebensjahre in Iran verbrachte, einestarke Koalition zu bilden, die 94 von 1 20Abgeordneten der Knesset hinter sich weiß -eine Machtfülle, die in der israelischen Ge-

schichte ihresgleichen sucht. Im Falle einesIran-Krieges gäbe es kaum nennenswerteparlamentarische Opposition.

Der Münchner Appell

Angesichts der aktuellen Kriegsgefahr hatHans-Georg Klee, Versöhnungsbund-Mit-glied aus München, zusammen mit anderenlokalen Friedensbewegten den „MünchnerAppell" initiiert, den ich zur Verbreitung undUnterzeichnung empfehlen möchte: „Auf-stehen für den Frieden. Kein Krieg gegenIran! Afghanistan, Irak, Libyen - und jetztIran? Wir stehen am Rande eines neuenKrieges. In aller Öffentlichkeit wird er propa-gandistisch und militärisch vorbereitet. Die-ser Krieg wäre völkerrechtswidrig und hätteverheerende Folgen für die Menschen imIran, in Israel und in allen Ländern der Regi-on. Die Auswirkungen bekämen wir alle zuspüren.

Das legitime Sicherheitsinteresse der Be-völkerung Israels ist nicht mit militärischerGewalt durchsetzbar. Allein Verhandlungenauf Grundlage der Gleichberechtigung allerBeteiligten und ihrer legitimen Sicherheits-interessen eröffnen eine Zukunftsperspekti-ve.

Die zahllosen Opfer und die Verwüstungenin Afghanistan, Irak, Libyen ... zeigen: Kriegist ein Verbrechen und Ursache für weitereGewaltakte. Der gefährliche Eskalationskursmit immer härteren Sanktionen, der als‚letzte Option' den Einsatz von Waffen vor-sieht, ist ein Irrweg.

Ginge es in diesem Konflikt tatsächlich nurum das iranische Atomprogramm, dann gä-be es friedensfördernde Alternativen zu

Wirtschaftskrieg und Drohung mit Militär-schlägen:

- Gegenseitige Nichtangriffsgarantien alsGrundlage für Verhandlungen- Die unverzügliche Aufnahme der von derUNO beschlossenen Verhandlungen übereine atomwaffenfreie Zone im Nahen undMittleren Osten- Die Einrichtung einer ständigen Konferenzfür Sicherheit und Zusammenarbeit im Na-hen und mittleren Osten nach dem Vorbildder KSZE in Europa.

Die deutsche Geschichte, das Grundgesetzund die UN-Charta verpflichten die Bundes-regierung zu einer konsequenten Friedens-politik. Die Beihilfe zur Vorbereitung einesAngriffskrieges gehört mit Sicherheit ebensowenig dazu wie die Aufrüstung der Region -durch die Lieferung von atomwaffenfähigenU-Booten an Israel und von Leopard-Pan-zern an Saudi-Arabien. Ohne Druck von un-ten wird die Bundesregierung nicht tun, wasfriedenspolitisch getan werden muss. Des-halb kommt es darauf an, dass wir den an-gekündigten Militärschlag nichtwiderspruchslos hinnehmen, sondernrechtzeitig aufstehen für den Frieden. Wirrufen dazu auf mit uns aktiv zu werden undin den kommenden Monaten an Veranstal-tungen und Protestaktionen in Münchenteilzunehmen".

Mehr zum Münchner Appell und zur Onli-ne-Unterzeichnung unter:www.versoehnungsbund.de

(1 ) Michael Lüders, „Iran. Der falsche Krieg.Wie der Westen seine Zukunft verspielt, C.H.Beck-Verlag, München 201 2, 1 75 Seiten,1 4,95 Euro.

Clemens Ronnefeldt und Mohammed Al-Hassoun

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Was gesagt werden mussAnmerkungen zum Prosagedicht von Günter Grass

1 . Günter Grass schätzt die Gefahr, die ge-genwärtig von Israel ausgeht, größer ein alsdie Gefahr, die vom Iran ausgeht. Israel denktseit Monaten laut über einen militärischenErstschlag gegen den Iran nach, der die mut-maßlichen Produktionsstätten von Atomwaf-fen zerstören soll. Die Asymmetrie derMachtverhältnisse ist offensichtlich. Israel istein militärisch hochgerüsteter Staat, der überein großes Arsenal von Atomwaffen verfügt,während der Iran nicht einmal im Besitz einereinzigen nachgewiesenen Atomwaffe ist. Esist möglich, dass der Iran gegen seine Be-teuerung die Herstellung von Atomwaffen an-strebt.

2. Der Iran bestreitet permanent das Exis-tenzrecht Israels, bestreitet den Holocaust unddroht mit der Vernichtung Israels. Diese Ver-nichtungsrhetorik ist als Bedrohung Israelsernst zu nehmen. Sie wird – so vielfach dieKritik – von Grass nicht angesprochen. Es istaber zu unterscheiden zwischen der Vernich-tungsrhetorik auf der einen Seite und demernsthaften Vernichtungswillen und der tat-sächlichen Vernichtungskapazität des Iran aufder anderen Seite.

3. Nicht fragen die Kritiker, worin die Bedro-hung, der Israel ausgesetzt ist, ihren Grundhat. Diese Frage ist tabu. Israel verletzt seit1 947, also schon vor der Gründung des Staa-tes, fortwährend und permanent die Men-schenrechte und das Völkerrecht, indem esdas palästinensische Volk seines Landes be-raubt, es enteignet, Häuser und Olivenbäumeseiner Bewohner zerstört, das palästinensi-sche Volk aus seinen angestammten Gebietenvertreibt. Die Bedrohung, der Israel ausgesetztist, ist auch begründet in seinen permanentenRechtsverletzungen an dem palästinensischenVolk und seinen permanenten Missachtungender Resolutionen der Völkergemeinschaft. Erstunlängst hat der Staat Israel alle Verbindun-gen zum Menschenrechtsrat der UN abgebro-chen. Damit stellt sich Israel außerhalb derRechtsgemeinschaft der Vereinten Nationen.

4. Die Regierung Netanjahu / Liebermankann es sich nach eigenen Aussagen nichtleisten, aus Gründen seiner Sicherheit denvölkerrechtswidrigen Siedlungsbau einzustel-len. Das heißt, um seiner Sicherheit willenmeint Israel, das Völkerrecht fortlaufend bre-chen zu müssen. Dass seine Völkerrechts-verletzungen seine Sicherheit erst rechtbedrohen, weigert sich Israel zu erkennen.

5. Ein militärischer Schlag Israels gegen denIran – mit oder ohne Atomwaffen – hätte un-geahnte Folgen für die Region und für dieWelt. Einen dritten Weltkrieg könnte niemandausschließen. Israel gefährdet mit seinerständigen militärischen Drohgebärde undseinem Drängen auf deren Realisierung denWeltfrieden. Davor warnt Günter Grass. SeinGedicht ist ein Aufschrei, der Aufschrei einesalten Mannes, der in seinem Leben durchSchweigen schuldig geworden ist und der aufseine alten Tage nicht wieder durch Schwei-gen schuldig werden will, bevor es definitiv zuspät ist und wir als Überlebende „allenfallsFußnoten sind“.

6. Warum Israel Atomwaffen haben darf, derIran aber nicht, wird man in der Rechts- undStaatengemeinschaft nicht vermitteln können.Genau das ist das Problem, dass hier ständigmit zweierlei Maß gemessen wird („Heucheleides Westens“) . Darauf kann der Iran bei allenSchwierigkeiten, die er der Völkergemein-schaft macht, sich nicht einlassen. Ist es soschwer nachzuvollziehen, dass der Iran sichjede Bevormundung verbittet? Ein konstruk-tives Bemühen um einen gemeinsamen Wegmuss auf jede Bevormundung verzichten.

7. Der Aufschrei der Israel-Lobby geschiehtreflexartig. Ich unterscheide ausdrücklichzwischen dem Judentum und der Israel-Lob-by und dem Zentralrat der Juden in Deutsch-land. Die meisten Politiker und renommiertenPresseorgane in Deutschland haben in vor-auseilendem Gehorsam gegenüber der Israel-Lobby sich an der Empörung beteiligt, ohnenach der Intention des Grass-Gedichtes zu

fragen. Aus Angst vor der Israel-Lobby begibtman sich – mit Immanuel Kant gesprochen –in die selbstverschuldete Unmündigkeit undverzichtet auf eigenverantwortliches Denken.

8. Es ist für mich unerträglich, wenn Israel-kritik mit Antisemitismus gleichgesetzt wird.Auch wer in seiner Israelkritik irrt, weil er diepolitische Situation anders oder falsch analy-siert, ist noch lange kein Antisemit. Dass dieIsrael-Lobby und der Zentralrat der Juden inDeutschland die exklusive Deutungshoheitüber das, was dem Judentum entspricht, wieüber das, was als antisemitisch zu gelten hat,in Anspruch nehmen, ist nicht hinnehmbar.Der Zentralrat der Juden in Deutschland ver-rät mit seiner unkritischen Identifizierung mitdem Staat Israel und seiner Politik die großenhumanistischen und universalen Traditionendes Judentums, indem er fortwährend dasEinverständnis der deutschen Bürger undBürgerinnen mit den Rechtsverletzungen desStaates Israel einfordert.

9. Dass Günter Grass jetzt nicht mehrschweigen kann, als sein persönliches Pro-blem abzutun, weil er lange genug schuldhaftgeschwiegen habe und sich jetzt durch diesesGedicht von seiner Schuld gleichsam reinwa-schen wolle, halte ich für eine perfide Unter-stellung und einen Versuch, ihn mundtot zumachen. Wie soll ein Schuldeingeständnisanders möglich sein, als dass man nicht diegleichen Fehler von früher endlos wiederholenwill? Wer das moniert und daran Anstoßnimmt, weiß nichts von der befreienden Kraftder Vergebung durch Eingeständnis vonSchuld. Das Schweigen zu den unsäglichenRechtsverletzungen an Israel und der Juden-heit und das Schweigen zu den Rechtsverlet-zungen an dem palästinensischen Volk unddas Schweigen zu den Rechtsverletzungen andem iranischen Volk durch einen möglichenmilitärischen Erstschlag Israels sind zusam-men zu sehen. Rechtsverletzungen sindRechtsverletzungen – von wem immer siebegangen werden.

1 0. Auch wenn man der Auffassung ist, dassGrass manches hätte differenzierter sagenund manches hätte noch angesprochen wer-den sollen, so berechtigen diese „Mängel“nicht entfernt zu der Kritik, die Grass nun er-fährt.

11 . Das Spiel mit dem Feuer eines militäri-schen Erstschlags von Seiten Israels gegenden Iran ist politisch unverantwortlich undwiderspricht den besten Traditionen des Ju-dentums. Deutschland, die EU, die USA unddie Völkergemeinschaft müssen Israel helfen,die Gefangenschaft in seinem Apartheidssta-tus zu überwinden, in die Rechtsgemeinschaft

Ein Aufschrei der Empörungvon Jochen Vollmer

Das Anfang A pril dieses Jahres veröffentlichteProsagedicht von Günter Grass zum Konfliktzwischen Israel und dem Iran hat eine breiteEmpörung ausgelöst. Reflexartig wurde vorallem der Antisemitismus-Vorwurf wiedereinmal laut. Zwei Mitglieder des VB — Jochen

Vollmer und Otmar Steinbicker — haben dazuihre Anmerkungen gemacht. Wenn wir imFolgenden diese Texte abdrucken, so geht esuns nicht nur um das Gedicht als solches,sondern insbesondere auch um dieEinschätzung der politischen Situation.

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Günter Grass hat ein Gedicht geschriebenmit dem Titel „Was gesagt werden muss“und er hat damit in ein Wespennest gesto-chen! Wohl selten haben so wenige Zeileneines Literaturnobelpreisträgers so schnellein so riesiges Echo in der Weltpresse ge-funden. Es ist seine zentrale These „DieAtommacht Israel gefährdet den ohnehinbrüchigen Weltfrieden“, die polarisiert.

Da melden sich auch gleich die üblichenLager zu Wort. Von „Antisemitismus“ istsofort die Rede bei einigen unkritischen Be-fürwortern einer brandgefährlichen israeli-schen Regierungspolitik, die ihrerseits offenauf eine baldige militärische Konfrontationmit dem Iran setzt. Andererseits sehen sicheinige Friedensbewegte schnell in ihremUrteil durch eine prominente Stimme bestä-tigt, die obendrein in den Medien wahrge-nommen wird – endlich drucken dieZeitungen Warnungen vor einer israelischenKriegspolitik.

Doch die Probleme liegen tiefer!

Günter Grass äußert in seinem Gedicht sei-ne Befindlichkeit, seine sehr persönlicheSicht der Dinge. Da geht es um Grass undseine eigene Biografie, da geht es um Iran,Israel und den Weltfrieden – ein weites Feldfür spätere Gedichtinterpretationen.

Natürlich hat sein Gedicht auch eine politi-sche Dimension, aber welche?

Einerseits gelingt es Grass, auf einigewichtige Probleme unüberhörbar aufmerk-sam zu machen: vor allem auf die israeli-schen Atomwaffen und die deutsche

Lieferung von U-Booten als Trägerwaffenfür eben diese Atomwaffen.

Andererseits fehlt Grass die nötige Differen-zierung, um politisch ernst genommen zuwerden. Die Problematik des iranischenAtomprogramms auf einen „Maulhelden“ Ah-madinedschad zu reduzieren, greift zu kurz.Von einem „Erstschlag, der das … iranischeVolk auslöschen könnte“, also einem unmit-telbar bevorstehenden Atomkrieg, ist in kei-nem bisher diskutierten Szenario einesisraelischen Militärschlages die Rede, was al-lerdings nicht ausschließen muss, dass ein alskonventionell begonnener Krieg irgendwann ineinen Atomkrieg münden kann.

Auch reicht es als Lösungsansatz nicht,„darauf (zu) bestehen, daß eine unbehinderteund permanente Kontrolle des israelischenatomaren Potentials und der iranischen Ato-manlagen durch eine internationale Instanzvon den Regierungen beider Länder zugelas-sen wird.“

Da sind kompliziertere Schritte erforderlich,die letztlich in eine atomwaffenfreie Zone unterEinschluss Irans und Israels münden müssen,wenn nicht in absehbarer Zeit der ganze Naheund Mittlere Osten aus einem Konglomeratsich gegenseitig bedrohender Atommächtebestehen soll.

Nein, den ernsten Gefahren, die von der ge-genwärtigen israelischen und iranischenAtompolitik ausgehen, wird das Gedicht vonGünter Grass nicht gerecht! Da ist Israel, dasdem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetretenist, nicht einmal bereit, den Besitz von Atom-waffen zuzugeben und der Iran, der dem

Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist, ver-weigert Kontrolleuren der InternationalenAtomenergieagentur (IAEA) die effektiveKontrolle seiner öffentlichen Versicherung,keinen Atomwaffenbesitz anzustreben.

Da liegt der Erklärung aus der deutschenFriedensbewegung und der Friedensfor-schung „Friedens- statt Kriegspolitik imIrankonflikt“, die mittlerweile von mehr als1 700 Personen unterzeichnet und veröffent-licht wurde, eine differenziertere Analyse desKonflikts zugrunde und sie kommt auch zudurchdachteren politischen Handlungsoptio-nen. Allerdings kommt diese Erklärung dafürauch nicht mit wenigen Zeilen aus.

Wird Günter Grass mit seinen Zeilen letztlichdazu beitragen, die Problematik des Konfliktsum Israel, Iran und die Atomwaffen bewusstzu machen und seine Leserinnen und Leserzu motivieren, sich ernsthaft mit diesemkomplexen Thema auseinanderzusetzen? Eswäre zu wünschen!

Oder werden seine persönlichen Zeilen unddie wohlfeile Politikerschelte am Ende dazuführen, eine ernsthafte Debatte dieses The-mas zu erschweren?

Einiges wird jetzt davon abhängen, wie sichdie Friedensbewegung und die Friedensfor-schung, aber auch diejenigen, die auf unter-schiedlichen Ebenen und mit unter-schiedlichen Positionen nach einem ernst-haften politischen Ausweg aus diesemschwierigen Konflikt suchen, positionieren!Werden sie sich in Gedichtinterpretationenüben oder wird es ihnen gelingen, die Auf-merksamkeit auf den schwierigen politischenDiskurs zu lenken?

Erstveröffentlicht im Aachener Friedensma-gazin www.aixpaix.de

Die Probleme liegen tiefer ...von Otmar Steinbicker

der Völker und Staaten zurückzukehren undmit dem Iran und anderen Staaten, die Israelbedrohen, einen Modus Vivendi zu finden.

1 2. Dass Deutschland an Israel ein weiteresU-Boot liefern soll, das mit atomaren Spreng-köpfen bestückt werden kann, ist ausgespro-chen kontraproduktiv und vereitelt alleBemühungen, mit dem Iran doch noch ineinen vernünftigen Interessenausgleich zukommen.

1 3. Die Reaktionen auf das Gedicht vonGrass zeigen, dass die Streitkultur in unse-rem Land für die ungeteilten Menschen-rechte weltweit, für ein Israel, das dieMenschenrechte achtet, für das palästinen-

sische Volk, das menschenwürdig lebenkann, für die arabischen Völker und auchfür den Iran wie für alle Menschen auf derErde, in welchen Staaten sie immer leben,auf einem Tiefststand angekommen ist. Ichjedenfalls bin nicht bereit, mich von der Is-rael-Lobby bzw. von einer von der Israel-Lobby nahezu gleichgeschalteten Presse inDeutschland bevormunden zu lassen, wannund wem gegenüber ich für die Menschen-würde und die Menschenrechte eintretendarf, wann, wie und wem gegenüber ichmeine Sorge um den Frieden in Nahost ar-tikulieren darf.

1 4. Den Vorschlag von Grass, das israelischeund das iranische Atompotenzial einer inter-

nationalen Kontrolle zu unterstellen, halte ichfür ausgesprochen sinnvoll und produktiv.Statt reflexartig auf Grass einzuschlagen,sollte man die positiven Ansätze seines Ge-dichts aufgreifen und in der Diskussion wei-terführen. Wir sollten Günter Grass dankbarsein, dass er sein Schweigen überwundenund Ansätze zu einem konstruktiven Dialogformuliert hat. Wenn doch Israel und die Is-rael-Lobby hierzulande erkennten, was demFrieden in Nahost dient. Die Empörungen überdas Grass-Gedicht bestätigen nur Israel aufseinem falschen Weg.

Erstveröffentlicht in Forum Pazifismus Nr. 33I/201 2, hier mit mit geringfügigen Änderun-gen.

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Zum zweiten Mal hat im vergangenen Jahrvor dem Haupttor des letzten Atomwaffenla-gers in Deutschland, dem Fliegerhorst desJABO 33 in Büchel bei Cochem an der Mo-sel, eine öffentliche Fastenaktion stattgefun-den - vom 04. bis 09.August 2011 . MatthiasEngelke, der mit Elke Koller die A ktion imWesentlichen vorbereitet hatte, stellte unsAuszüge aus seinem Tagebuch zur Verfü-gung. Die Zahlen am Rand bezeichnen dieUhrzeit der Aufzeichnungen, die teils Ein-drücke aus der Erinnerung wiedergeben, teilsGegenwärtiges festhalten.

Alflen vor dem Haupttor des Atomwaffenla-gers Büchel – Fliegerhorst des Jagdbom-bergeschwaders 33

Freitag, der 5. August 201 1 , 1 1 .46 Uhr.

Die gestern aufgestellten Versammlungszel-te wurden beide in dieser Nacht zerstört, ei-nes derart, dass es nicht wieder aufgestelltwerden konnte. Das andere ließ sich not-dürftig wiederherstellen. Die Nacht hattenwir in Zelten auf einer schönen Lichtung,vielleicht 250 Meter entfernt, zugebracht:Martin Otto, Bernhard Funke und ich. MeineFrau übernachtet auswärts und kommtmorgens und versorgt uns mit frischem Tee.Wir sind hier die Fasten-Crew.

Die Polizei, die sonst bei solchen Aktionenallgegenwärtig ist, lässt sich lange nicht bli-cken. Mehrfach musste ich nachfragen. Na-türlich lassen sich keine Spuren mehrfeststellen, es hatte die Nacht geregnet. Die-ser Vorfall war wenigstens gut genug, dassich den neuen Commodore kennen lernenkonnte; er kam, um sich das Malheur anzu-sehen. Im Gespräch mit ihm und einemweiteren Soldaten heißt es, „das warenChaoten“. Ein Gesprächsfaden wurde ge-knüpft.

In der Nacht hatte ich wohl Geräusche ge-hört. Ich dachte (oder wollte es denken?) :Unser Nachbar, ein Musik- und Bühnenver-anstalter, räumt sein Lager mit den Stangenfür seine Bühnenelemente auf.

Der Straßenbelag einer Zufahrt zum Haupt-tor wird erneuert, sie ist abgesperrt. Sokommt so gut wie kein Verkehr vorbei – au-ßer den Soldaten und Angestellten, die hierin den Fliegerhorst fahren. Immer wiederauch Autofahrer mit rüpelhaften Zeichen. Inden letzten Jahren hatte sich die Polizei alleFahrzeugkennzeichen von uns aufgeschrie-

ben. Nun halte ich alle Kennzeichen allerAutos fest, deren Fahrer oder Mitfahrendesich uns gegenüber missfallend bis aggres-siv äußern.1 4.11 Uhr: – Frau Mengel macht für eineRadiosendung im WDR ausführliche Inter-views.

Samstag, den 6. August 201 1 , 1 2.00 Uhr

Einer der Gründe für mein Fasten: Mir übermeine eigenen Anteile an dem gegenwärti-gen Unrecht klar zu werden. Mein Fazitnach der Introspektion: Ich bin Rädchen imGetriebe, ich habe funktioniert. Den Friedentreiben – das war nur ab und an meine Sa-che, immer so, wie es/sie gerade passte.

1 2.1 0 Uhr: Ein schwarzbehelmter Motor-radfahrer auf hellblauer Vespa schoss Bil-der: von Beate und mir im Zelt und Rolf aufder Bank vor dem Versöhnungsbund-Trans-parent Akkordeon spielend.

1 2.1 6 Uhr: Ein BMW fuhr eben in eineParkbucht, zwei schwarzgekleidete Damenunterschiedlichen Alters entsteigen derdunklen Limousine, rauchten sich beide ei-ne und stiegen wieder ein. Zwei Soldatenfahren heim, eine US-Amerikanerin mit ei-nem Kind auf dem Beifahrersitz.

1 2.40 Uhr: Die beiden Frauen in Schwarzschauen wie die Pinguine zum Haupttor.Jetzt hierüber. Und wieder zum Haupttor.

1 2.43 Uhr: Die Sirene von Alflen geht, auchvon Büchel?

1 2.50 Uhr: Eine weitere Frau kommt mitroten Wagen, steht und wartet. Keine sprichtmit einer anderen. Ich höre quietschende Ei-sen und drei Autos rasen vorbei. Die ältereDame in Schwarz trägt einen Rock, die jün-gere eine Leggins.

1 3.04 Uhr: 1 7 oder 1 8 Karten mit Namenvon Opfern der Hiroshima-Atombombe be-schriftet. Die Damen warten immer noch.Zwei Soldaten kommen aus der Kaserne,nein drei; zwei mit schweren Rucksäcken.Die beiden Schwarz-Frauen empfangen denMann, auf den sie gewartet haben, er in Zi-vil. Die Autos fahren davon. Die Umarmun-gen sahen nicht nach Partnerschaft aus.Das Zeltdach des Versammlungszeltes fängtan zu trommeln, es regnet. Mein Konzeptvom letzten Jahr geht dieses Jahr auf: Kar-tenschreiben als Wertschöpfung der Frie-

densbewegung. Es grummelt und donnertim Hintergrund.

Es prasselt.1 3.20 Uhr: Als würden alle Fliegen Schutzim Trockenen suchen. Ein Autofahrer mitrüpelhaften Reaktionen incl. Vögelchen zei-gen.

Sonntag, den 7. August

1 5.31 Uhr: Sportflieger dürfen am Wo-chenende von hier fliegen! Sie fahren mitihren langen Anhängern aufs Gelände.

1 6.1 0 Uhr: Der vierte Fastentag beginnt! –Um diese Zeit am Donnerstag zuletzt etwasgegessen.

1 7.50 Uhr: Ein vollsportlich gekleideterRadrennfahrer hielt vor dem Stand. Was wirdenn wollten. Ich wollte ihm die Karte mitden Bildern von Salvatore Minten geben –er lehnte ab. Er erklärte: Alle in der Gegendstünden hinter den Atombomben. Er ludmich ein, die umliegende Gegend zu durch-streifen und 60.000 Menschen zu befragen,was sie von den Atombomben hielten. „Allesind dafür“. Ihnen ging es nicht um die Ar-beitsplätze oder den Fliegerhorst, sondernum die Atomwaffen. Er lebe seit 46 Jahrenhier und sei 22 Jahre Soldat gewesen, erhätte auch selbst Tornados geflogen.

Dass alle dafür seien, zog ich in Zweifel. Icherzählte von den Gesprächen vom vergan-genen Vormittag im Cochemer evangeli-schen Gemeindehaus. „Ja, Rüdiger Lancelleund so“. „Nein, der war nicht da“. Einigeseien unseren Anliegen gegenüber offen. Erbestand trotzdem darauf, dass er sich ge-stört fühle und die Bevölkerung – nunschränkte er ein: fast überwiegend - für dieAtombomben ist. Frau Koller sei ja nochnicht so lange hier. Aber wenn sie nicht da-mit einverstanden sei, dass Atombombenhier lägen, könne sie ja wegziehen. Elke er-zählt, dass sie erst sechs Jahre nach demkalten Krieg erfahren hat, dass hier Atom-waffen liegen, und in der Tat überlege sie,wegzuziehen. Entschied sich dann aber da-für, es sei einfacher dafür zu sorgen, dasssie abgeschafft werden als umzuziehen.

Sein Argument: Es gebe Atombomben inRussland und Nordkorea. Wer demonstrieredenn dort? Warum ich denn behaupte, dassdie Atombombe ein Verbrechen wäre? Siesind ein Bruch des Völkerrechts, ein Ver-

Büchelfasten 2011 - Tagebuchnotizenvon Matthias-W. Engelke

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brechen gegen die Menschlichkeit und ge-gen den christlichen Glauben. „Ach so“. Erfühle sich in seiner Meinungsfreiheit einge-schränkt, wenn er in der Zeitung lesenmüsse, was wir hier veranstalteten. Er fühlesich in seiner Menschenwürde einge-schränkt, weil er sich ständig mit diesenAktionen auseinander setzen müsse. Auseinem blauen Wagen ertönt es „Haut ab“.Ich machte ihm einen Vorschlag: Wenn ermitkäme, würde ich Kontakt zur russischenPartnergruppe aufnehmen und mit ihm dortgegen Atomwaffen demonstrieren. NachNordkorea rein zu kommen sei ja bekannt-lich schwerer. Er sei überhaupt einer derwenigen, sagt er, die hier den Mund aufma-chen, um zu sagen, was die Bevölkerungdenke. Er könne sich gut an das Spießru-tenlaufen im Gymnasium erinnern, als er alsEinziger in der Oberstufe erklärte, dass erzur Bundeswehr gehe und Offizier werde!

Montag, den 8. August

Heute erneut verteilt – Karten mit Namender Hiroshima-Bombenopfer und kleine Tü-ten mit einem Tee und einer netten Auf-schrift, wie „Entspann Dich – und triff dierichtige Entscheidung!“

Am Freitag bei der Verteilaktion gedacht:Erst wundere ich mich, dass keiner etwasnimmt. Dann wundere ich mich, warum derStapel in der Hand plötzlich alle ist. Unddann wundere ich mich, warum ich die letz-ten Karten nicht los werde.

Heute ähnlich. Am Vormittag verteilen wirKarten und Infos in Cochem in der Innen-stadt an den Mosel.

Beate: Etliche Zustimmung – vor allen vonausländischen Touristen: „Bon courage àvous“, „Baste nuklear!“. Dänisches Ehepaar:„Macht's uns nach – wir haben keine“.

Jemand aus Grevenich: „Wenn die Torna-dos starten, verstehen wir kein Wort mehr!Gut dass ihr das macht!“

Schüler/innen: „Atomwaffen? Ohne Waffenkann ich nicht leben!“ Zwei: „Bin auch da-für!“

Einer fragte: „Was ist das Gefährliche anAtomwaffen?“ Ich erzählte von den qual-lenartigen Babys in Hiroshima, von denKrebstoten in meiner Gemeinde auf Grundder Atombombentests in Kasachstan – alsRusslanddeutsche wohnen sie nur wenigehundert Kilometer davon entfernt.

1 4.20 Uhr: Elke: Ca. 800 Leute arbeitenhier. Wagen der amerikanischen Soldatentragen Cochemer Nummernschilder. Pan-zerspähwagen – zwei fuhren heute Morgenraus – 1 7.27 Uhr:– und jetzt zurück.

Dienstag, den 9. August 201 1

7.11 Uhr: Von 6.00 bis 7.04 Uhr verteilt:Acht Karten nebst Tütchen losgeworden.Kühler Wind, kalte Hände, das Schreibenfällt schwer. Die neunte Karte plus Tütchen

Protestaktion gegen Atomwaffen in Büchel

an der Wache angemeldet, dass ich siedem Commodore persönlich überreichenmöchte. Um den Frust zu überwinden –warum Frust? Von ziemlich genau 6.00Uhr an kamen in unterbrochener FolgeAutos ohne anzuhalten - sprach ich überjeden Fahrer, jede Fahrerin und Mitfahrer:„Gott segne dich/euch und führe dich/euchauf den Weg der Wahrheit!“

9.00 Uhr: Großes Autotreffen: Treffen derEhemaligen des Jagdbombergeschwaders:Am Nagasaki-Gedenktag!

Einen angesprochen, ob er denn wisse,was heute für ein Tag sei. Ja, Nagasakitag,das wüssten sie. Und warum sie ausge-rechnet diesen Tag gewählt haben? Dannkönnte man ja keinen Tag nehmen, weil anjedem was ist. Ob sie denn zu unserer An-dacht am Abend kämen? Oder wenigstensselbst der Opfer von Nagasaki gedenkenwürden. – Ja, jeder hat seine eigene Mei-nung.

9.35 Uhr: Ein Besuch vom Dekanat Karden-Martental: Der Erste, der uns hier seine Un-terstützung ausspricht. Im Gespräch mit ihmerzählte Werner davon, dass Sartre in Trieracht Monate in Kriegsgefangenschaft war,dort sein erstes Theaterstück schrieb, dasauch dort aufgeführt wurde, und sich be-freundete mit einem katholischen Priester,Louis Perrin – er habe zeitlebens Kontaktmit ihm gehabt. Werner packt sein Lärm-messgerät aus. Auto: 80 dbA: Dezibel. LKW:89 dbA. Die Maße sind logarithmisch, nichtlinear, es wird in Potenzen gemessen. 35dbA nachts und 45 dbA sind tags in Wohn-gebieten erlaubt. Tornado: Aus der Entfer-nung als Maximum gemessen: 91 ,4 dbA

Wenn ich laut lache, in unmittelbarer Nähegemessen: 90 dbA. Martins Schrei: 80 dbA.

Gestern flogen vier Maschinen zwei Stun-den, pro Stunde koste es ca. 40.000 Euro.Einer von denen, die mit zu denen gehörten,die vor 40 Jahren hier waren, antwortet aufdie Frage, gegen wen die Atombomben ge-richtet seien: „Gegen den Iran!“

1 0.1 5 Uhr: Die Regengeräusche auf demZeltdach, die Tropfen auf dem Asphalt vomKreisverkehr: machen so melancholisch wieoffenes Feuer. 70 dbA der Regen auf demZelt.

1 0.20 Uhr: Jetzt schafft der Regen 80 dbA– plus LKW auf dem Kreisverkehr.1 0.25 Uhr: Erneuter Start eines Tornados?

Was ich hier lerne: Geduld und Standhalten.

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Offener Brief des Internationalen

Versöhnungsbundes - Deutscher Zweig an

Herrn Bundespräsident Joachim Gauck

Minden, den 26. Juni 201 2

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck,

mit Entsetzen und Empörung haben wir IhreRede bei der Führungsakademie der Bundes-wehr am 1 2.6.201 2 vernommen.

Insbesondere sehen wir Ihre Rede sehr kri-tisch als eine Rechtfertigung und Verharmlo-sung von Kriegseinsätzen an. Wir wollen undkönnen uns nicht damit abfinden, dass nochmehr (deutsche) SoldatInnen getötet werdenund auch andere Menschen töten, was Sieim übrigen nicht erwähnen.

Eine Gesellschaft in diesem Kontext als"glückssüchtig" zu bezeichnen, finden wirsehr zynisch, da es nicht einfach um "Hedo-nismus" geht, von dem Sie an anderer Stellesprechen, sondern um die Würde und dasRecht auf Leben und Unversehrtheit, die jederMensch - egal ob als SoldatIn oder ZivilistIn -besitzt. Über dieses Recht setzen Sie sich mitIhrer Rede hinweg, das ebenso für alle Men-schen gilt wie z. B. für die Menschen, die imSeptember 2009 im afghanischen Kundusbei der vom deutschen Oberst Georg Kleinbefohlenen Bombardierung getötet wurden.

Nach den neuen „VerteidigungspolitischenRichtlinien“ des Verteidigungsministers deMaizière gehört die Rohstoffabsicherung zuden „nationalen Interessen“ (Quelle s. u.) . Esgeht also nicht um die von Ihnen beschwore-ne Freiheit, oder bedeutet Freiheit nach Ihrem

Verständnis, dass die Bundesrepublik wie an-dere Industriestaaten die Freiheit hat, dieZweidrittel-Welt auszuplündern? Die Bundes-wehr praktiziert die staatlich-institutionalisier-te Aufhebung des in unserer Gesellschaftverankerten Tötungstabus. SoldatInnen erler-nen dort die Anwendung tötender Gewalt.

Bereits das Erlernen, wieviel mehr die An-drohung und erst recht die Anwendung tö-tender Gewalt stehen im direktenWiderspruch zur Gewaltfreiheit. Unseres Er-achtens ist Gewaltfreiheit eine unverzichtbareVoraussetzung, wenn nicht der Ermögli-chungsgrund für jede Art menschlicher Kom-munikation. Ohne Gewaltfreiheit ist dieAchtung vor der Würde des Menschen nichtmöglich. In diesem Sinne können wir es nichtverstehen, wenn Sie die "Ohne uns"-Haltunggegen eine neue Erstarkung des Militarismusin Deutschland kritisieren. Sie selbst bezeich-nen (militärische) Gewalt als ein Übel, recht-fertigen sie aber als ein - manchmalnotwendiges - Mittel, um andere Gewalt zuüberwinden.

Uns geht es auch nicht nur um "Ohne uns":Sie ignorieren, dass es viele zivile, gewaltfreieAlternativen der Konflitkbearbeitung gibt, vondenen einige als Ziviler Friedensdienst auchvon der Bundesregierung finanziert werden.Dabei sind auch die zivilenInterventionen in Konflikte nach dem "Do noharm"-Ansatz von Mary B. Anderson mit dernotwendigen Konfliktsensibilität durchzufüh-ren, die wir bei militärischen Interventionen

vermissen. Wenn nun Waffengewalt undKriege Frieden schaffen würden, sozusagenals Ihre Lehre aus der Geschichte, dannmüsste ja nach all dem Töten, den Zerstö-rungen und den Grausamkeiten, nach all denzivilen und militärischen Toten der letztenJahrhunderte, der Weltfrieden schon längstausgebrochen sein.

Das ist er aber nicht.

Auch unser Lehrer und Bruder, der Wander-prediger aus Nazareth, in dessen NachfolgeSie als Pfarrer stehen, war an dieser Stelleschon anderer Meinung als Sie.

Der Internationale Versöhnungsbund setztsich seit 1 91 4 für eine Kultur der Gewaltfrei-heit ein und ist weltweit in über 40 Ländernvertreten. Seine Mitglieder haben in zahlrei-chen Projekten Erfahrungen damit gesam-melt, Gewalt gewaltfrei zu überwinden.Bekannt geworden sind vor allem die Frie-densnobelpreisträger Martin Luther King,Mairead Corrigan-Maguire und Adolfo MariaPérez Esquivel. In der Hoffnung auf einen indieser Hinsicht alsbald wirksamen Politik-wechsel – für Rückfragen stehen wir gernezur Verfügung –

verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Dr. Matthias Engelke,

Vorsitzender des Internationalen Versöh-nungsbundes - Deutscher Zweig

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Kreuz und Krieg - Ein Schritt zur Friedenskirche

von Leo Petersmann

Gedenktag am 28. Oktober 201 2von Leo Petersmann

In diesem Herbst haben wir einenungewöhnlichen Gedenktag: Am 28.1 0.31 2siegte Kaiser Konstantin an der MilvischenBrücke mit seiner Vorstellung vom Kreuz alsgottgegebenem Kriegszeichen. Damit begannder Sieg des Christentums im RömischenReich, und das war der Auftakt für 1 700 JahreKrieg und Gewalt im Zeichen des Kreuzes. Bisheute schmückt sich die Bundeswehr mit demKreuz der christlichen Ordensritter.

Ich finde, dieses besondere Datum ist einwichtiger Anlass, sich kritisch mit deminstitutionellen Ursprung der unheiligen Allianzvon Kreuz und Krieg und seiner Auswirkung bisheute auseinander zu setzen.

Es ist Zeit, in Wort und Tat umzukehren vonder Konstantinischen Kirche zur Friedenskirche,von einer Kirche, die Krieg (notfalls)befürwortet, zu Jesus, der die Sanftmütigen undFrieden-Stiftenden selig preist und uns den

Die zunächst folgenden Sätze hat Leo Petersmannnoch aufderJahrestagung 2011 in Duderstadt vor-getragen; die anschließenden hat erkürzlich aus An-lass des bevorstehenden Gedenktages formuliert.

Das Kreuz, an dem sich Jesus widerstandslos fürseine Überzeugung hinrichten ließ, ist ein Zeichenfür seine gewaltfreie Liebe und für die Gewalt der

Mächtigen.

Kaiser Konstantin betrachtete erstmalig aufgrundeiner Vision das christliche Kreuz als Kriegszeichenund leitete damit den Sieg des Christentums imRömischen Reich ein. Die Kreuzritter trugen alschristliche Krieger das Kreuzzeichen auf ihremMantel.

Rührgedankenoder: Was würde Mahatma Gandhi dazu sagen?

von Hans-Hartwig Lützow

Fast jede Tätigkeit kann Friedensarbeit seinund zwar immer dann, wenn sie authentischund von gutem Willen getragen ist. Authen-tisch heißt, eine innere Gestimmtheit findet inder Tätigkeit ihren Ausdruck; keine Gewis-sensbisse und kein innerer Widerstand ste-hen im Wege. Ein weiteres Merkmal ist dieSelbstbestimmtheit des Menschen in seinerTätigkeit. Bei der Tätigkeit kann es sich umSozialarbeit, Handel, Journalismus, Haushalt,Erziehung, Handwerk oder eben auch umLandwirtschaft handeln.

Der biologisch-dynamisch arbeitende Land-wirt erkennt an, dass es hinter der materiel-len Welt auch eine geistige Realität gibt. DerEinsatz entsprechender Hilfsmittel, die mitdieser geistigen Realität in Verbindung ste-hen, ist in seiner Art am ehesten mit Homöo-pathie zu vergleichen. Auch Homöopathiewirkt nicht chemisch oder physikalisch, son-dern durch Übertragung einer Gestimmtheit,die dann im Körper in materielle Vorgängeumgesetzt wird. So wirken auch die biolo-gisch-dynamischen Spritzpräparate, die alsWasser ausgebracht im Boden oder derPflanze wirksam werden.

Hornkiesel ist eines dieser Präparate. Um eszur Wirkung zu bringen, wird es eine Stunde inwechselnder Richtung in Wasser gerührt.

9. August 2011 :

Bei strömendem Regen beginne ich meineArbeit. Ich rühre von Hand. Nach einer halbenStunde nässt mein Filzhut durch, dann begin-nen die Gedanken zu fließen: Was hat Gandhidamit zu tun? Er sagt: Mein Ziel muss sichtbarwerden in der Art und Weise, wie ich etwasunternehme. Kein Friede durch Gewehre. Denndem Ziel eines Friedens unter den Menschenentspricht allein die Gewaltfreiheit.

Dem biologisch-dynamischen Landbau gehtes um die Verlebendigung des Bodens und derPflanzen – also bleiben wir im Lebendigen undrühren mit lebendiger Hand. So stehen hier dieeingesetzten Mittel in Übereinstimmung mitdem Ziel. Das ist die Gemeinsamkeit von Frie-densarbeit und biologisch-dynamischemLandbau.

Ein anderer Gedankenfaden setzt an derWissenschaft der Kybernetik an. Sie er-

forscht die Verknüpfungsstellen in Syste-men. In einem Gerät (z.B. einer Präparate-Rührmaschine) sind diese Verknüpfungs-stellen mechanischer Natur. Einzelteile, dievorher keinerlei Beziehung zueinander hat-ten, werden zusammengebaut und erfülleneine bestimmte Aufgabe. In einem Organis-mus sind die Verbindungsstellen lebendig.Sie beeinflussen sich wechselseitig, regelnsich durch die unterschiedlichsten Vorgän-ge. Lebensqualität, nach der wir streben,entsteht beim Leben in lebendigen Zusam-menhängen. Ein Bauernhof kann wie einOrganismus erlebt werden, als Individualitätaus vielen Einzelwesen. Das Eigenlebenstärken, das ist der Individualisierungsvor-gang, zu dem die Feldpräparate wie Horn-mist und Hornkiesel beitragen.

Was meint Gandhi? Wir denken an seinSpinnrad, das er jedem Menschen empfahl.Auch am Ende dieses Gedankenfadenssteht für mich fest: Mittel und Ziel entspre-chen einander am besten, wenn wir denAutomaten beiseite lassen und das Rührenvon Hand verrichten.

An die Adresse von uns Friedensbewegten:Lasst uns Verbündete dort finden, wo diegleiche Grundüberzeugung herrscht, wasdas Verhältnis von Weg und Ziel angeht,z.B. im biologisch-dynamischen Landbau.

Der preußische König stiftete das Eiserne Kreuz ingleicher Form als Orden im Kreuzzug gegen Na-poleon; der Orden wurde mehrfach erneuert, zuletztvon Adolf Hitler. Die Bundeswehr benutzt dasselbeKreuz als ihr Symbol.

Ich verstehe die Benutzung des Kreuzes durch dasMilitär als Missbrauch des zentralen christlichenSymbols und fordere die Evangelische Kirche inDeutschland auf, gegen diesen Missbrauch ent-schlossen vorzugehen.

Weg der Feindesliebe zeigt.  Reformationstag,Friedenswoche und Buß- und Bettag sind guteAnlässe für Christen und Kirchen, dieseBotschaft in die Öffentlichkeit zu bringen. 

„Jetzt werden Weichen gestellt, und jetzt musssich die Ernsthaftigkeit des kirchlichenFriedensbekenntnisses und -anspruchesbeweisen. Welche Kirche wollen wir?“

(M. Weingardt / R. Brahms / H. Scheffler: DieZukunft der protestantischen Friedensarbeit inDeutschland. 201 2. S. 21 )Weitere Hinweise: [email protected]

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Zum Tag der ArbeitLobberich, am Tag der Arbeit 201 2 von Matthias-W. Engelke

Einen Tag der Arbeit - für den Versöh-nungsbund

Vor einigen Jahren, als ich noch mit meinerFamilie in Idar-Oberstein wohnte, begleitetich meinen Sohn statt zur Grundschule insstädtische Theater. Ich hatte nicht ganz mit-bekommen, warum und wieso, erwarteteden Rest der Klasse dort und lernte statt-dessen den sehr netten Hausmeister desStadttheaters kennen.

Es ging um die Aktion „Einen Tag für diePartnerschaft mit Ruanda". Das Land Rhein-land-Pfalz unterhält eine Partnerschaft mitRuanda und unterstützt verschiedene sozialeEinrichtungen in dem Land. Schülerinnenund Schüler arbeiten für einige Stunden inverschiedenen Einrichtungen und Betriebenund diese spenden einen Betrag für diesesProjekt. Das blieb mir in Erinnerung: Warumnicht auch „Einen Tag der Arbeit für denVersöhnungsbund?

Morgen werde ich bei verschiedenen Fir-men, Unternehmen, Handwerkern bzw.Kaufleuten fragen, ob ich bei Ihnen meinen„Tag der Arbeit für den Versöhnungsbund"leisten kann, indem ich einige Stunden beiIhnen arbeite, verbunden mit der Bitte, demVersöhnungsbund zu spenden.

Ich bin gespannt, was daraus wird ...

Leserbriefe

Liebe Freunde,

vor zwei Monaten hatte ich auf Peter Bein-art aufmerksam gemacht, der in der NewYork Times vom 1 8.3. zum Boykott von is-raelischen Siedlungsprodukten aufgerufenhat - um Israel zur Änderung seiner politi-schen Ziele zu bringen.  

Vor drei Wochen hatte ich darüber berich-tet, dass die britische Supermarktkette„coop" alle Handelskontakte zu Lieferantenabgebrochen hat, die Produkte exportieren,die in den "Siedlungen" der Westbank her-gestellt wurden.  

Die Liste lässt sich fortsetzen: Der däni-sche Außenminister Vil ly Sovndal plant,den Supermärkten seines Landes zu ge-statten, Produkte aus Westbank-"Siedlun-gen" mit einer besonderen Etikette zuversehen. Mit dieser Ankündigung verhältDänemark sich gleich wie Südafrika, dasdieser Tage eine ähnliche Initiative lancierthatte. „Dieser Schritt", erklärte Sovndal ineinem Zeitungsinterview, „zeigt den Kon-sumenten klar, dass diese Produkte unterBedingungen hergestellt werden, die nichtnur die dänische Regierung sondern auchandere europäische Regierungen nichtgutheißen.

Es bleibt dann den Konsumenten überlas-sen, die betreffenden Produkte zu kaufenoder nicht." (www.tachles.ch  vom 21 .5.)

Und wie ist es in Deutschland?   Wir könnenetwas bewegen: Unter dem Motto „Besat-zung schmeckt bitter" hat pax christiDeutschland nun eine Initiative gestartet, dieich aus tiefstem Herzen begrüße. Näheresauf:http://www.paxchristi.de/nahost.in-fos.2/nahost.partner.2/nahost.in-fos.2.2/nahost.infos.2.2.3/index.html

Mit besten Grüßen  Rolf Verleger

Liebe Freunde,

Ich weiß, dass Ullrich Hahn der allseits an-erkannte, verehrte Präsident des Versöh-nungsbundes in Deutschland ist. Wenn ichals neues Mitglied (aber jahrelanger Unter-stützer) des Versöhnungsbundes trotzdemkritisch zum Artikel von Ullrich Hahn „Akti-on Aufschrei – eine Mogelpackung“ Stel-lung nehme, dann wegen meiner Hoffnung,Versöhnung in der Praxis und nicht in An-feindung nahestehender Organisationen zusehen.

Ullrich Hahn meint in seinem Artikel u.a.„vom Aufschrei bleibt nur ein leises Räus-

pern übrig ... es steht wieder einmal etwasanderes drauf als drin ist – eine ärgerlicheMogelpackung.“

Ich meine, dass Pax Christi eine Aktion ge-startet hatte, die ein Aufschrei sein wollte,die dem von der Mehrheit der deutschenBevölkerung getragenen Widerwillen gegenRüstungsexporte Ausdruck geben wollte(insbesondere gegen die Panzerexportenach Saudi-Arabien) .

Dies als Mogelpackung (= Betrug) und zumSchluss des Artikels als ärgerliche Mogel-packung (als ärgerlichen Betrug) zu be-zeichnen, wird m.E. weder den Absichten

von Pax Christi noch dem Konsens unterallen Menschen guten Willens, aller demWirken für den Frieden verpflichteten Men-schen in Deutschland gerecht.

Wenn Kritik berechtigt ist, sollte sie vomVersöhnungsbund zu Pax Christi auf direk-tem Wege kommen (die Worte des Präsi-denten werden dort sicher ernstgenommen) , die Spalten des RundbriefsVersöhnung sollten positiven Aussagen vor-behalten bleiben. Das Negative sehen wirdoch ohnehin zu häufig.

Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihrgez. Wolfram Rohde-Liebenau

„Aktion Aufschrei – eine Mogelpackung“ ?

Zum Boykott von israelischen Siedlungsprodukten

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MaterialSchott, HannaVon Liebe und Widerstand

Das Leben von Magda und André TrocméEine inspirierende und herausforderndeBiografie über mutige Retter, die bisherkaum bekannt waren.Das Leben von Magda (1 901 –1 996) undAndré Trocmé (1 901 –1 971 )

Ein französisch-russisch-italienisches Paar,das sich in New York kennenlernt und nachIndien reisen will, um Gandhi zu treffen ...Schon diese Geschichte wäre filmreif.

Doch es geht weiter – ganz anders, als diebeiden es planen, und mit zunehmenderDramatik. Statt in Indien landen sie nämlichin der tiefsten französischen Provinz, Andréals Pfarrer, Magda als Lehrerin. Als deut-sche Truppen Frankreich besetzen, eröffnensich ihnen jedoch ungeahnte Möglichkeiten,

gerade weil sie „am Ende der Welt“ leben.

Wie aus einem unscheinbaren Luftkurortein zentraler Ort des Widerstands wurde, er-zählt Hanna Schott so lebendig, als wärenwir dabei.Es ist eine Liebesgeschichte, ein zentralesStück deutsch-französischer Geschichte undnicht zuletzt die Geschichte einer Zivilcoura-ge, die eine ganze Region ansteckte. – AmEnde zählten die einen 3000 Menschen, dievor dem sicheren Tod gerettet worden wa-ren. Die anderen sprachen von mehr als5000. Nur eins ist bis heute unbestritten:dass die Retter nichts anderes taten, als„einfach ihrem Gewissen zu folgen“.

240 Seiten, gebunden, mit 33 s/w-Fotosund einer Karte; 1 3,5 x 21 cm; Bestell-Nummer 588.722ISBN 978-3-86256-01 7-2; 1 . Auflage; Au-gust 2011 ; Neufeld-Verlag

Broschüre "Frieden, Versöhnung und Gerechtig-keit in der biblischen Überlieferung"

Der Autor, Neal Blough, zeigt darin, dassFriede, Versöhnung und Gerechtigkeit denKern der biblischen Erzählung bilden. DieHeilsgeschichte fordert die Kirchen heraus,diese Botschaft ernst zu nehmen und sie imheutigen Kontext in die Praxis umzusetzen.  Unter  http://www.church-and-pe-ace.org/peace-theology.html?&L=1   herun-terzuladen.Ein gedrucktes Exemplar (24 Seiten, Text inEnglisch, Deutsch, Französisch und Ser-bisch/Kroatisch/Bosnisch) kostet 4,- Europro Heft plus Porto.

TermineSonntag, den 5. August, 1 6.00 - 1 8.00 UhrWorkshop mit Dr. Martin Arnold, Essen: MitGütekraft Atomwaffen abschaffen. Von denErfahrungen von Hildegard Goss-Mayr, Bartde Ligt und Mohandas K. Gandhi lernen.

23. - 25. November 201 2In jedem Menschen das Antlitz Gottes se-hen. Das Kairos-Palästina Dokument. EineTagung von Church and Peace, DeutschesMennonitisches Friedenskomitee, Internatio-naler Versöhnungsbund, Religiöse Gesell-schaft der Freunde (Quäker)Thomashof-Karlsruhe. Hauptreferentin istViola Raheb. Anmeldeschluss ist der1 5.09.201 2. Den Flyer mit allen weiterenInformationen fügen wir bei. Hinweise zurAnfahrt finden sich auf www.thomas-hof.com oder können bei uns erfragt wer-den.

Armin Torbecke bietet an:Ab September in Hannover.Fortbildung GEWALTFREIE KOMMUNIKATI-ON (5-teilig) : Fünf Seminare Samstag +Sonntag zwischen September und Mai.Grundlagen und Vertiefung der GewaltfreienKommunikation für Beruf und Privatleben.(Frühbucherrabatt bei Anmeldung bis 1 .Juli) .

http://www.konflikttransformation.de/GFK-Fortbildung ab März 201 3 in Hannover.MEDIATIONS-AUSBILDUNG:  auf Grundlageder Gewaltfreien Kommunikation (GFK): be-rufsbegleitend; Vollausbildung nach denStandards des Bundesverbands Mediation.Infoabende am 6.11 . in Leipzig und am 9.11 .in Hannover. (Frühbucherrabatt bis1 5.11 .201 2)http://www.konflikttransformation.de/me-diationsausbildung

22.8. bis 26.8. 201 2 am Hohen Meißner beiKasselVISIONS-SEMINAR „Herzvisionen neu ent-decken und manifestieren": 5 inspirierendeTage zum (Neu-)Entdecken von eigenen Le-bensträumen und Zielen! Mein Lieblingsse-minar.http://www.konflikttransformation.de/visi-onsseminar

1 .9.201 2 in Hannover, am 20.1 0. in Lüne-burgEinführungs-Tag „GFK+Mediation kennen-lernen"http://www.konflikttransformation.de/Ein-fuehrungsseminare

 SCHULE, ORGANISATION, BETRIEB: Ge-waltfreie Kommunikation kann das gemein-same Arbeiten und Lernen sehr bereichern.Auf Anfrage leite ich Fortbildungen in IhrerEinrichtung.

Näheres zu den Veranstaltungen auf derWebseite von Armin Torbecke (auch direktper Telefon oder Email) .

* Mediation (Organisation, Partnerschaft,Team)* Fortbildung an Schulen (Lehrerfortbil-dung/SCHILF, Projekttage etc.)* Bildungsschecks (Zuschuss bis 500,-) .Weitere Infos:  http://www.konflikttransfor-mation.de/BildungspraemieArmin Torbecke  • Ginsterweg 1 0 •  D-31 595 SteyerbergTelefon: +49 (0)5764 / 41 6999  • E-Mail:Konflikttransformation@ jpberlin.deWebseite: http://www.konflikttransformati-on.de/ "Wenn wir die Bedürfnisse des anderenhören, dann erkennen wir die Menschlich-keit, die wir gemeinsam haben." (MarshallB. Rosenberg)

Pfingstlied

Sie herzten sich und sie küßten sichMit liebevoller Gebärde.Der junge Herr Frühling wonniglich,Der besuchte die alte Frau Erde.

Er ist der guten, ehrlichen FrauMit eins an den Hals gesprungen,Daß bis hinauf in den Himmel blauNur Lust und Jubel erklungen.

"Mein Sohn, es freut mich, daß du hier!Lang währte des Winters Tosen.Meine Felder brauchen die goldne Zier,Meine Gärten Lilien und Rosen.

Verstummt sind all meine Nachtigalln,Seit ich dich verloren hatte;Drum schmücke den Vögeln die grünen HallnUnd den Hirschen die blumige Matte.

Ich habe so oft an dich gedacht,Wenn es stürmte wilder und wilder;Doch sprich, was hast du mir mitgebrachtFür die lieblichen Menschenbilder?"

"Für die Menschenbilder?" versetzte daDer junge Herr Frühling stutzend -In die Tasche griff er behend: "Voilà!Revolutionen ein Dutzend."

Georg Weerth, 1 848