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Rechtsprechung/Jurisprudence

ARV/DTA 2006100

Urteilsbesprechungen/Commentaires d’arrêts

I. Einleitung

Das Bundesgericht hat sich in jüngster Zeit in zweiFällen mit einem Kaderoptionsplan und dem sog.Truckverbot auseinander gesetzt. Im Ergebnis hatdas Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz geschützt, dass der betreffende Kaderoptionsplangegen das in Art. 323b Abs. 3 OR festgesetzte Truck-verbot verstiess und daher nichtig sei. Die Arbeitgebe-rin wurde verpflichtet, den zwei klagenden Arbeitneh-mern diejenigen Beträge zurückzuerstatten, welchediese ursprünglich für die Optionen bezahlt hatten.

Dieser Entscheid erstaunt auf den ersten Blick, die-nen Beteiligungspläne wie Kaderoptionspläne ja inder Regel dazu, finanzielle Anreize für die Mitarbei-ter zu schaffen, und werden gerade von Mitarbeiternin der Regel geschätzt, wenn nicht sogar gewünscht.

Der Beizug des aus der frühen Industriezeit stam-menden Truckverbotes, welches den Arbeitnehmerdavor schützen soll, vom Arbeitgeber statt des hartverdienten Lohnes mit Produkten des Arbeitgebersentschädigt zu werden, die er dann erst zu Geldmachen muss, erstaunt im Zusammenhang mitOptionen auf den ersten Blick. Erst auf den zweitenBlick wird klar, dass sich ähnliche Probleme für den«white collar worker» stellen könnten, wie sie sicheinmal für den «blue collar worker» gestellt haben.Wird der Arbeitnehmer «gezwungen», seinen Lohn inBeteiligungspapiere zu investieren (der BegriffBeteiligungspapiere wird hier weit verstanden undumfasst neben Aktien, Partizipationsscheinen, Ge-nussscheinen etc. auch Rechte auf solche Papierewie Optionen und Warrants), über die er währendlängerer Zeit nicht verfügen kann und die einem vol-len Verlustrisiko ausgesetzt sind, kann er die Früchteseiner Arbeit nicht geniessen.

Kommt wie im vom Bundesgericht angewendetenFall das Truckverbot zur Anwendung, kann dies für

eine Arbeitgeberin ein substanzielles Risiko bedeu-ten. Stellt man sich vor, dass ein Grosskonzern plötz-lich rückwirkend dazu verpflichtet wird, den Wert derden Arbeitnehmern ausgerichteten Optionen (oderAktien) zurückzuzahlen, so kann dies auch für Gross-unternehmen zu akuten Finanzproblemen führen. Matthias Staehelin stellt zu Recht fest, dass als Konse-quenz ein Arbeitgeber bei sinkenden Aktienkursenmöglicherweise für den für die Ausgabe von Optionenoder Aktien vereinnahmten Kaufpreis Rückstellungenbilden müsste (M. Staehelin: Gesperrte Optionen – alsLohn unzulässig?, SJZ 101 (2005) Nr. 8, 181 ff., 182).

Es soll daher im Folgenden genauer untersucht wer-den, was das Truckverbot konkret beinhaltet und inwelcher Form es auf Mitarbeiterbeteiligungspläne(nachfolgend kurz «Beteiligungspläne») in Form vonOptionsplänen, Aktienbeteiligungsprogrammen oderMischformen davon Anwendung findet.

II. Das Truckverbot

1. Allgemeines

Die Bezeichnung Truckverbot stammt vom engli-schen Wort «truck», welches Tausch bedeutet. ZuBeginn des Industriezeitalters bestand die verbreite-te Unsitte, dem Arbeitnehmer in Anrechnung an denLohn vom Arbeitgeber produzierte Ware zum Ver-kaufspreis zu liefern (A. Staehelin: Zürcher Kommen-tar, Bd. V/2/c, Zürich 1996, Art. 323b OR N 17). DerArbeitnehmer war so gezwungen, nach langerArbeitszeit weitere Arbeit darauf zu verwenden, dieerhaltene Ware zu veräussern, um Geld für lebens-notwendige Güter erhältlich zu machen. Der Arbeit-nehmer trug das Risiko des Verkaufs, unter Umstän-den erhielt er beim Verkauf nicht einmal den Betrag,welchen er als Lohn erhalten hätte.

Bereits das Bundesgesetz vom 18. Juni 1914 betref-fend die Arbeit in den Fabriken (Fabrikgesetz; SR

Urteilsbesprechungen/Commentaires d’arrêts

Das Truckverbot und Mitarbeiterbeteiligungspläne

Besprechung von Bundesgericht, I. Zivilabteilung, Urteile vom 1. Oktober 2004, Berufungen(4C.237/2004, 4C.239/2004) und staatsrechtliche Beschwerden (4P.149/2004, 4P.151/2004)

Dr. Ueli Sommer, Rechtsanwalt, LL.M., Zürich

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ARV/DTA 2006 101

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ARV/DTA 2006

821.41) bestimmte daher in Art. 28 Abs. 2 (aufgeho-ben durch Ziff. II Art. 6 Ziff. 3 des BG vom 25. Juni1971 über die Revision des Zehnten Titels und des Zehnten Titelsbis des Obligationenrechts [DerArbeitsvertrag]), dass der Fabrikinhaber vom Arbei-ter für die Lieferung von Waren nicht mehr als denBetrag der Selbstkosten fordern dürfe. Damit wurdedas Risiko des Arbeitnehmers minimiert. Mit Einfüh-rung des Art. 323b Abs. 3 OR wurde der Schutz desArbeitnehmers erweitert. Abreden über die Verwen-dung des Lohnes im Interesse des Arbeitgebers wur-den generell für nichtig erklärt.

2. Inhalt des Truckverbots

a) Konkreter Inhalt des Verbots

Art. 323b Abs. 3 OR will die freie Verfügbarkeit desLohnes sicherstellen. Gemäss einem Teil der Lehregilt das Verbot umfassend und umfasst sämtlicheAbreden über die Verwendung des Lohnes (A. Staehe-lin: a.a.O., Art. 323b OR N 17). Unzulässig ist insbe-sondere, dass der Arbeitnehmer durch Waren stattGeld entlöhnt wird, sei es durch Übereignung anZahlungs Statt oder durch vorherigen Abschluss vonKaufverträgen. Das Truckverbot untersagt demArbeitgeber aber grundsätzlich auch, dem Arbeit-nehmer Waren auf Kredit zu liefern, wenn dies einerLohnvorauszahlung gleichkommt, mit anderen Wor-ten, wenn die Forderung mit zukünftigen Lohnforde-rungen verrechnet werden soll. Das Gleiche giltbezüglich einer Verpflichtung zur Benützung einerKantine (BGE 130 III 19, 26 ff. E. 4). Unzulässig istauch die Verpflichtung, nach der ein Arbeitnehmerausschliesslich Kleider der Arbeitgeberfirma zu tra-gen hat, welche verbilligt eingekauft werden können(Arbeitsgericht Zürich, JAR 1990, 180).

b) Umfasste Parteien

Verboten sind nicht nur Geschäfte mit dem Arbeitge-ber, sondern auch mit dem Arbeitgeber nahe stehen-den Unternehmen (A. Staehelin: a.a.O., Art. 323b ORN 18; zustimmend wohl das Bundesgericht in BGE130 III 495, 501 E. 4.2.1). Damit sind grundsätzlichauch Geschäfte zwischen Arbeitnehmer und Konzern-gesellschaften unter dem Blickwinkel des Truckver-botes zu prüfen.

c) Umfasste Lohnarten

Das Truckverbot schränkt nicht die Vertragsfreiheithinsichtlich der Art des Lohnes ein, sondern will die

zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung überdie Ausrichtung des Lohnes durchsetzen. DemArbeitgeber ist es damit untersagt, statt des verein-barten Lohnes (v.a. Geldlohn), oder in Anrechnungan ihn, andere Leistungen (v.a. Waren) zu liefern(ähnlich A. Staehelin: a.a.O., Art. 323b OR N 23; M.Rehbinder: Berner Kommentar, Bd. VI/2/2/1, Bern1985, Art. 323b OR N 21). Das Truckverbot stehtaber der Vereinbarung von Naturallohn (insbesonde-re der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung)nicht entgegen.

Nach einem Teil der Lehre betrifft das Truckverbotsämtliche Lohnarten, inkl. Gratifikation, Ferienent-schädigung etc. (A. Staehelin: a.a.O., Art. 323b OR N17). Diese Meinung wird nicht näher begründet undist nach Auffassung des Autors auch teilweise unzu-treffend (gemäss M. Staehelin: a.a.O., 185, sogarvöllig unzutreffend). Das Truckverbot will wie aus-geführt den Arbeitnehmer davor schützen, dass eretwas anderes erhält, als ihm versprochen wurde. DieGratifikation, heute häufig Bonus genannt, qualifi-ziert sich v.a. dadurch, dass die Höhe und/oder dieArt der Auszahlung im subjektiven Ermessen desArbeitgebers liegt (s. auch die Diskussion hinten inKapitel III.2). Entscheidend für die Qualifikation desBonus ist die tatsächliche rechtliche Ausgestaltung.Häufig sind als Bonus bezeichnete Lohnbestandteileauch als variabler Lohn und nicht als Gratifikation zuqualifizieren. Wurde vom Arbeitgeber lediglich eineGratifikation in Aussicht gestellt, besteht konkretaber keine Verpflichtung zu einer Leistung, so kanndas Truckverbot darauf keine Anwendung finden.Wurde hingegen eine Zusage auf eine Geldleistung(wenn auch in offener Höhe) gemacht, so kann dasTruckverbot zur Anwendung gelangen.

d) Ausnahmen

Grundsätzlich zulässig sind Vereinbarungen, welcheim vorwiegenden Interesse des Arbeitnehmers ste-hen. Liegt ein Geschäft sowohl im Interesse desArbeitgebers als auch im Interesse des Arbeitneh-mers, ist die Zulässigkeit wertend aufgrund der kon-kreten Umstände zu beurteilen (M. Rehbinder/W.Portmann: Basler Kommentar, Obligationenrecht I,Basel 2003, Art. 323b OR N 6). Allgemein als zuläs-sig erachtet werden die folgenden Geschäfte:– Verkauf von Waren gegen bar.– Einräumen von Waren- und Bezugsvergünstigun-

gen, solange der Arbeitnehmer nicht verpflichtetist, von den Vergünstigungen Gebrauch zu machen.

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ARV/DTA 2006102

Urteilsbesprechungen/Commentaires d’arrêts

– Abrede, dass der Arbeitnehmer ein vom Arbeitge-ber erhaltenes Darlehen durch regelmässige Lohn-abzüge tilgt, falls das Darlehen vorwiegend imInteresse des Arbeitnehmers gewährt wurde unddie Verrechnungsbeschränkung von Art. 323b Abs.2 OR beachtet wird (A. Staehelin: a.a.O., Art. 323bOR N 20).

– Die bei Fälligkeit des Lohnes getroffene Abrede,dass der Arbeitnehmer einen Teil des Lohnes zummarktüblichen oder einem höheren Zinsfuss beimArbeitgeber stehen lässt, sofern er jederzeit überdas Guthaben verfügen kann (nicht jedoch beifester Dauer des Darlehens) (M. Rehbinder: a.a.O.,Art. 323b OR N 20).

Keine spezielle Ausnahme gilt für Mitglieder desKaders (Urteil 4C.239/2004 vom 1. Oktober 2004 E.3.3; U. Streiff/A. von Kaenel: Arbeitsvertrag. Praxis-kommentar zu Art. 319–362 OR, 6. Aufl., Zürich 2006,Art. 323b N 7; noch unklar hingegen BGE 130 III495, 501 E. 4.2.2). Bei CEO sowie Mitgliedern desVerwaltungsrates könnte jedoch argumentiert wer-den, dass diese nicht in einem Arbeitsverhältnis zurGesellschaft stehen und damit die Bestimmungen desObligationenrechts keine Anwendung finden (fürDetails s. U. Sommer: Die rechtliche Qualifikation vonVerwaltungsrats- und anderen Organverträgen. EineEntgegnung auf die bundesgerichtliche Absage andas Konzerninteresse in BGE 130 III 213, AJP 9/2004,1059 ff.).

III. Anwendbarkeit des Truckverbots aufBeteiligungsprogramme

1. Grundsatz

Nach der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesge-richts ist die Anwendbarkeit des Truckverbots aufBeteiligungsprogramme nicht auszuschliessen. DieAnwendbarkeit hängt massgeblich von der Ausge-staltung des Arbeitsvertrages, des Beteiligungspro-gramms respektive einzelner Klauseln ab. In dennachfolgenden Kapiteln soll daher detailliert auf dieeinzelnen Gestaltungsmöglichkeiten eingegangenwerden.

2. Lohn oder Gratifikation (Bonus)

Das wohl wichtigste Kriterium ist, ob die Ausrich-tung einer Beteiligung als Lohn im Sinne von Art.322 Abs. 1 OR oder als Gratifikation im Sinne von

Art. 322d OR qualifiziert wird. Das Bundesgericht hatdenn auch in einem neueren Entscheid eine Klauselals zulässig erachtet, gemäss welcher Optionen beieiner Kündigung durch den Arbeitnehmer vor Ablaufeiner dreijährigen Sperrfrist entschädigungslos ver-fallen, wenn die Optionen als einseitige Gratifikationeingeräumt wurden (BGE 131 III 615). Wie in KapitelII.2.c) ausgeführt, muss jedoch nach Meinung desAutors berücksichtigt werden, in welcher Form eineGratifikation ausgerichtet wird. Räumt ein Arbeits-vertrag oder die konkrete Ausrichtung einer Gratifi-kation dem Arbeitnehmer ein Recht auf eine Gratifi-kation in Geld ein, so findet das Truckverbotdennoch Anwendung. Es ist daher äusserst wichtig,dass im Arbeitsvertrag ganz eindeutig festgelegtwird, dass Höhe und Art einer Gratifikation im freienErmessen des Arbeitgebers liegen. Wird eine Gratifi-kation in Aussicht genommen, so sollte das Schrei-ben nicht von der Ausrichtung eines festen Betragessprechen, wenn effektiv Beteiligungsrechte einge-räumt werden sollen (so z.B. nicht «Wir freuen unsIhnen mitzuteilen, dass Ihr Bonus in diesem JahrCHF 50000 beträgt», sondern «Wir freuen uns Ihnenmitzuteilen, dass Sie als Bonus 100 Aktien der FirmaXY erhalten, welche nach den derzeitigen Marktver-hältnissen einem Wert von ca. CHF 50000 entspre-chen»).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellteine Vergütung immer dann eine Gratifikation dar,wenn sie freiwillig ausgerichtet wird (BGE 107 II 447 ff.; so auch U. Streiff/A. von Kaenel: a.a.O., Art.322d OR N 3; s. auch D. Portmann: Mitarbeiterbetei-ligung, Bern 2005, 93 ff., mit Kritik an der bundes-gerichtlichen Rechtsprechung). Mit anderen Wortenliegt eine Gratifikation vor, wenn keine rechtlicheVerpflichtung zur Ausrichtung der Vergütung be-steht. Lediglich am Rande sei hier erwähnt, dass sichdie Pflicht auch aus einer regelmässigen, vorbehalt-losen Ausrichtung ergeben kann (BGE 129 III 276 E.2). Der Arbeitgeber ist jedoch nicht vollständig frei,in welchen Anteilen er die Gesamtentschädigungausrichtet. Gemäss Bundesgericht darf das Entgeltnicht ausschliesslich aus einer Gratifikation beste-hen. Daraus folge, dass es nicht zulässig sein könne,einen kleinen Lohn und dafür eine grosse freiwilligeGratifikation zu vereinbaren. In einem solchen Fallerscheine die Gratifikation trotz der vereinbartenFreiwilligkeit als das eigentliche Entgelt für dieArbeit und sei zumindest teilweise als Lohn zu quali-fizieren (Urteil 4C.364/2004 vom 30. Mai 2005; s.

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ARV/DTA 2006ARV/DTA 2006 103

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ausführlich dazu P. Schneiter: Qualifikation einerGratifikation als Lohn, ARV 4/2005, 241 ff.). Wel-ches Verhältnis noch zulässig ist, sei im Einzelfallanhand der Umstände zu entscheiden. Andere Urteilelegen nahe, dass der fixe Grundlohn auf keinen Falldas Existenzminimum unterschreiten darf (s. U.Streiff/A. von Kaenel: a.a.O., Art. 322d OR N 4, mitHinweisen auf die Rechtsprechung), was unterBerücksichtigung der neueren Rechtsprechung wohlnur im Sinne einer untersten absoluten Grenze ver-standen werden kann.

Ob der Lohn eine angemessene Entschädigung fürdie Position des jeweiligen Arbeitnehmers darstellenmuss, bleibt nach der derzeitigen Rechtsprechungunklar. Das Bundesgericht führt in BGE 129 III 276denn auch selbst aus, dass es fraglich sei, wo dieentsprechende Grenze zu ziehen ist. Diese könnenicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischendem vereinbarten Lohn und der freiwilligen Gratifi-kation liegen. Es liege auf der Hand, dass bei einemniedrigen Einkommen schon ein (auch relativ) klei-ner Einkommensunterschied sehr viel mehr Bedeu-tung haben werde, als bei einem hohen Einkommen.Entsprechend könne bei einem hohen Einkommender als Gratifikation ausgerichtete Teil der Leistungprozentual zum Lohn grösser sein, als bei einem nie-drigen Einkommen. Ob die fragliche Leistung für dieParteien zur entscheidenden Entschädigung für dieArbeitsleistung und damit zum Lohn geworden odereine blosse Zusatzvergütung und damit Gratifikationgeblieben ist, hänge überdies von ihrer Regelmässig-keit ab. Auch bei einer im Verhältnis zum Lohn sehrhohen Leistung könne der Charakter als Gratifikationgewahrt sein, wenn ihre Ausrichtung einmalig seiund sich in dieser Höhe nicht wiederhole. Auch des-halb liesse sich keine allgemeine Schranke für dieHöhe der Gratifikation festsetzen. Immerhin erschei-ne der akzessorische Charakter dann kaum mehrgewahrt, wenn die Gratifikation regelmässig einenhöheren Betrag erreiche als der Lohn (BGE 129 III276, 279 f. E. 2.1). Noch weiter ging das Bundesge-richt in einem neueren Entscheid, gemäss welchemes nicht zulässig sein könne, einen kleinen Lohn unddafür eine grosse freiwillige Gratifikation zu verein-baren (Urteil 4C.364/2004 vom 30. Mai 2005). DieseArgumentation geht jedoch klar an der wirtschaft-lichen Realität und dem Flexibilisierungsbedürfnisdes Arbeitgebers vorbei (so bereits P. Schneiter:a.a.O., 244 f.). Ein Arbeitnehmerschutz rechtfertigtsich auf keinen Fall, wenn das Verhältnis zwischen

Lohn (meist das Fixum) und Gratifikation markt-üblich ist und der Lohn allein eine vertretbare Höheerreicht. Insgesamt sollten die Gerichte mit Blick aufdie ältere Rechtsprechung bezüglich der Umqualifi-zierung einer als Gratifikation ausgestatteten Leis-tung zurückhaltend sein, wenn sich Löhne imBereich von und über CHF 100000 bewegen (sowurde bei einem Fixlohn von CHF 90000 in BGE 130III 495, 502 E. 4.2.3 keine Bemerkung darübergemacht, auch wenn der Arbeitnehmer substanzielleSummen in Optionen investierte und damit Mil-lionengewinne realisierte).

Insgesamt erscheint es daher wichtig, das Grundge-halt (fixer und variabler Lohn) in angemessenerHöhe festzulegen. Gratifikationen sollten wie ausge-führt eindeutig als freiwillige Leistungen des Arbeit-gebers ausgestaltet werden, auf welche kein Rechts-anspruch besteht (es empfiehlt sich, entsprechendeFormulierungen in Arbeitsverträgen, Arbeitsbedin-gungen und Beteiligungsprogrammen durch Spezia-listen vornehmen zu lassen). Bei der Ausrichtung istes fast zwingend, dass der Freiwilligkeitsvorbehaltwiederholt und darauf hingewiesen wird, dass wederdie Art noch die Höhe der Ausrichtung einen Hinweisund/oder Anspruch auf zukünftige Leistungenbegründen.

3. Geldlohn oder Naturallohn

Liegt keine Gratifikation, sondern ein Lohnbestand-teil im Sinne von Art. 322 Abs. 1 OR vor, so kann dieVereinbarung der Parteien noch immer auf Natural-lohn und nicht auf Geldlohn gerichtet sein. Lehreund Rechtsprechung gehen bei Beteiligungsprogram-men überwiegend von einer Form des Naturallohnsaus (respektive, wie Dominique Portmann richtiger-weise ausführt, von einer Naturalgratifikation, wenneine Gratifikation vorliegt, D. Portmann: a.a.O., 92)(R. Müller: Mitarbeiterbeteiligung, Schriftliche Aus-fertigung des am 29. November 2001 im Rahmen desSeminars «Aktuelle Probleme im Arbeitsrecht» derUniversität St. Gallen gehaltenen Referats, 15; M.Rehbinder: Schweizerisches Arbeitsrecht, 15. Aufl.,Bern 2002, N 169. Diese Auffassung wurde durch dasUrteil 5C.6/2003 vom 4. April 2003 bestätigt). Ent-scheidend ist jedoch die konkrete Vereinbarung.Wird eine Geldleistung vereinbart und werdendanach an Zahlungs statt oder verrechnungshalberBeteiligungspapiere gegeben, so ändert sich an derQualifikation als Geldlohn nichts. In einem solchen

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ARV/DTA 2006104

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Fall kommt das Truckverbot grundsätzlich zur An-wendung (ausser eine andere Ausnahme findet An-wendung).

Regelmässig wird den Arbeitnehmern keine Geldsum-me, sondern nur ein Anspruch auf Beteiligungspa-piere eingeräumt. In einem solchen Fall handelt essich um Naturallohn, auf welchen das Truckverbotkeine Anwendung findet, da der Arbeitnehmer gera-de das erhält, was ihm versprochen wurde (so auchM. Staehelin: a.a.O., 186). Wichtig ist jedoch, dassbei der Rechtseinräumung die Formulierung richtiggewählt wird.

Dominique Portmann argumentiert, dass der Regel,wonach das Truckverbot auf Naturallohn keineAnwendung fände, nach der ratio legis des Gesetzesnicht gefolgt werden könne. Sie stützt ihre Begrün-dung v.a. darauf, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerhäufig zuerst eine Gesamtentschädigung festlegenund erst danach die Aufteilung auf einzelne «Ent-schädigungskategorien» vornehmen würden (D. Port-mann: a.a.O., 147 ff.). Diese Argumentation er-scheint nicht richtig. Das Truckverbot will denArbeitnehmer in erster Linie davor schützen, dass eretwas anderes erhält, als was vereinbart wurde (s.vorne, Kapitel II.2.c). Wurde eine Gesamtentschädi-gung in Geld festgelegt und nicht ein ausdrücklicherVorbehalt vereinbart, dass ein Teil davon in Beteili-gungspapieren begeben wird, so wurde Geldlohn ver-einbart, womit das Truckverbot grundsätzlich zurAnwendung gelangt.

4. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse

Liegt weder eine Gratifikation noch ein Naturallohnvor, so kann ein überwiegendes Arbeitnehmerinter-esse die Nichtanwendung des Truckverbots gebieten(s. Kapitel II.2.d). Das Bundesgericht verwies ineinem seiner neueren Entscheide zur Anwendbarkeitdes Truckverbots (Urteil 4C.239/2004 vom 1. Okt-ober 2004 E. 3.2) auf die Erläuterungen der Vorin-stanz, wonach das Interesse des Arbeitnehmers ander Zuteilung von Optionen gewichtiger sein könneals dasjenige des Arbeitgebers, solange er die Mög-lichkeit habe, einen unter Umständen erheblichenKapitalgewinn zu erzielen. Dies gelte insbesonderedann, wenn der Arbeitnehmer in geeigneter Form voreinem Kapitalverlust geschützt sei. Wenn der Arbeit-nehmer hingegen ein volles Verlustrisiko trage, soreduziere sich sein Interesse erheblich.

Damit erhellt sich, dass im Falle der Qualifikation derZuteilung von Beteiligungsrechten als Geldlohn dieVereinbarung von Sperrfristen fast verunmöglichtwird, denn mit der Länge der Sperrfrist steigt natur-gemäss das Gewinn- und Verlustpotenzial. Anderswäre die Lage eventuell nur zu beurteilen, wenn dieBeteiligungspapiere deutlich unter Marktwert bege-ben würden und somit das Verlustpotenzial äusserstgering wäre (dabei wäre jedoch auch zu berücksich-tigen, welchen Wert der Arbeitnehmer im Zeitpunktder Begebung der Beteiligungsrechte bereits als Ein-kommen versteuern muss).

Kann der Arbeitnehmer jederzeit über die einge-räumten Beteiligungsrechte verfügen (z.B. am Kapi-talmarkt), d.h. kommen keine Sperrfristen zurAnwendung (sog. ungesperrte Aktien oder Optio-nen), dürfte das Interesse des Arbeitnehmers aneinem möglichen Kapitalgewinn grundsätzlich über-wiegen (ebenfalls für grundsätzlich zulässig erachtetM. Staehelin: a.a.O., 182, die Ausrichtung von un-gesperrten Mitarbeiteraktien und -optionen von börsenkotierten Firmen als Lohnbestandteil). Diesscheint denn auch der ratio legis des Truckverboteszu entsprechen, kann der Arbeitnehmer doch denLohn ohne grosse Hindernisse verwenden. Bei nichtkotierten Beteiligungsrechten oder solchen, für wel-che kein liquider Markt besteht, ist jedoch vomGegenteil auszugehen.

5. Anlegerrisiko

Nach einem neueren Bundesgerichtsentscheid ent-fällt der Arbeitnehmerschutz und damit auch dieAnwendbarkeit des Truckverbots, wenn der Arbeit-nehmer beim Erwerb der Mitarbeiterbeteiligung vor-wiegend als Anleger handelt, der das mit der Anlageverbundene Risiko aus freien Stücken akzeptiert(BGE 130 III 495, 501 f. E. 4.2.2). Dies kann nachdem bundesgerichtlichen Entscheid auch der Fallsein, wenn sich die Beteiligung bei einem hochdotierten Kader oder Angestellten als Bonus unddamit als Gegenleistung für seine Tätigkeit darstellt.Diesfalls würden die Bestimmungen der Beteili-gungsvereinbarung ohne Rücksicht auf zwingendeVorschriften des Arbeitsrechts gelten. Ob sich eineBeteiligung als Bestandteil des Arbeitsvertrags oderals davon losgelöste Investition ausnehme, sei auf-grund der Verhältnisse des Einzelfalles zu beurteilen.Dabei erscheine insbesondere wesentlich, ob Beteili-

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ARV/DTA 2006ARV/DTA 2006 105

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gungen oder Optionen Lohnbestandteil bilden, wassich aus verschiedenen Elementen ergeben könne.

Die Argumentation des Bundesgerichts verwirrt, danicht klar zwischen der Einräumung von Lohn (gleichin welcher Form) und dem Investment unterschiedenwird. Nach Meinung des Autors ist die bundesge-richtliche Aussage im Ergebnis grundsätzlich richtig,bedarf jedoch der Präzisierung. Es muss zwischen derAusrichtung des Lohnes und der Investition klarunterschieden werden. Zuerst ist die Ausrichtung desLohnes nach den in den vorgehenden Kapiteln auf-geführten Kriterien zu prüfen. Auf diese Ausrichtungkann das Truckverbot wie ausgeführt Anwendung fin-den. Wird ein Geldlohn oder eine Gratifikation inForm von Geld ausgerichtet, dann kann es jedochsein, dass der Arbeitnehmer als Investor agiert unddas erhaltene Geld in Beteiligungspapiere desArbeitgebers oder einer verbundenen Gesellschaftinvestiert. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmerdie Wahl hat, ob er sich den Lohn auszahlen lässtoder investiert. Nur wenn diese Voraussetzungeneines freien Entscheides erfüllt sind, kann von einemeigentlichen Anlageentscheid und Investmentausserhalb der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriftenausgegangen werden.

IV. Weitere Hinweise zu Sperrfristen undVerfallsklauseln

Die Einräumung von Beteiligungsrechten mit Sperr-fristen und/oder Verfallsklauseln ist nicht nur inBezug auf die Anwendbarkeit des Truckverbotes pro-blematisch. Eigentliche Verfallsklauseln solltengrundsätzlich vermieden werden, da diese u.a. gegenden Grundsatz der Kündigungsparität sowie die Vor-schriften über Lohnrückbehalt und Lohnrückzahlungverstossen können. «Verfallsklauseln» sollten daherin Beteiligungsplänen nur in Form eines bedingtenRechtsanspruchs verwendet werden. Mit anderenWorten sollte das sogenannte Vesting (der Erwerbdes eigentlichen Rechtsanspruchs auf das Beteili-gungspapier) frühestens mit Ablauf der Sperrfriststattfinden (s. dazu U. Sommer: Verfallsklausel inAktienbeteiligungsplan bei Kündigung, ARV 2003,85 ff.). Das Bundesgericht scheint in seinem neustenEntscheid grundsätzlich Verfallsklauseln dann alsunproblematisch zu erachten, wenn Beteiligungs-rechte als betragsmässig sekundäre Sondervergütungim Sinne einer Gratifikation gemäss Art. 322d OR

eingeräumt werden (Urteil 4C.183/2005 vom 21. Sep-tember 2005).

Sehr lange Sperrfristen könnten zudem das Recht desArbeitnehmers auf Kündigung verletzen und eineübermässige Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB dar-stellen. Das Bundesgericht scheint hier jedoch eineliberale Haltung einzunehmen und hielt eine fünf-jährige Sperrfrist für zulässig (BGE 130 III 495, 502 ff. E. 4.2.4 und E. 5.5. Aus der Argumentationdes Bundesgerichts könnte sogar der Schluss gezo-gen werden, dass Sperrfristen bis zu zehn Jahrenzulässig sind, da erst Arbeitsverträge mit einer fes-ten Dauer von mehr als zehn Jahren als übermässigbindend angesehen werden).

V. Konklusion

Trotz der zahlreichen bundesgerichtlichen Entscheidefehlt es an einer klaren dogmatischen Erfassung derAusrichtung von Beteiligungsrechten. Es ist daher zuhoffen, dass sich das Bundesgericht in kommendenEntscheiden ausführlicher mit der Thematik befasst.Klar ist jedoch, dass das Truckverbot auf Beteili-gungspläne Anwendung finden kann. Wie zu Beginnausgeführt, kann eine solche Anwendung für einenArbeitgeber schwerwiegende finanzielle Folgenhaben, da die Einräumung der Beteiligungsrechtenichtig wäre und die vom Arbeitnehmer eingesetztenBeträge zurückerstattet werden müssten (denkbarwäre, wie von D. Portmann: a.a.O., N 194, 149 f.,aufgezeigt, auch eine modifizierte Teilnichtigkeit,gemäss welcher die Beteiligungsrechte durch einegleichwertige Regelung, z.B. in Form einer Gewinn-beteiligung, ersetzt würden). Mit der sorgfältigenFormulierung und Gestaltung der auf die Einräumungvon Beteiligungsrechten anwendbaren Regeln lässtsich die Anwendbarkeit des Truckverbots jedoch ver-meiden und eine den wirtschaftlichen Bedürfnissenvon Arbeitgeber und Arbeitnehmer angemesseneRegelung finden.

In der Praxis stellen sich Probleme mit dem Truckver-bot häufig dann, wenn ausländische Beteiligungs-programme ohne Lokalisierung zur Anwendung ge-bracht oder bestehende Lohnbestandteile (z.B. einvariabler Lohnbestandteil) durch ein Beteiligungs-programm ersetzt werden, ohne dass eine saubereÄnderungskündigung vorgenommen wird.