6
62 | DLR NACHRICHTEN 121

62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

62 | DLR NACHRICHTEN 121

Page 2: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

Tag der ersten bemannten Mondlan-dung – die Wiederaufnahme ihrerLiebe, und das am Telefon! Da kannman ob der Anspielung und der ra-dikalen Umkehrung des Satzes: „… ein großer Schritt für die Mensch-heit“, schon schmunzeln. Mulischverbindet zudem Sichtweisen unge-wohnt und kühn: Er lässt den Astro-nomen Delius die Sterne des Kosmosmit den Judensternen korrelieren,platziert sogar eine Sternwarte an denOrt, von dem aus Delius` Mutter de-portiert wurde.

Verbindende Elemente, die die Haupt-personen zusammenbringen, sind En-gel, sind die Cherubim (herausragendUdo Samel, Jochen Striebeck). Hierzeigt sich eine Überlegenheit des Hör-spiels gegenüber Buchstaben, dennauf dieser Klangebene schaffen Regie

(Vibeke von Saher) und Kom-position exakt den engelhaf-ten Schwebezustand, dender Autor im Roman darstel-len wollte. So wird „Die Ent-deckung des Himmels“ alsHörspiel eine Entdeckung aufneuen Ebenen; was kann manBesseres sagen?

Peter Zarth

Die letzte Ausgabe der DLR-Nachrichten im Jahr 2008 widmet sich „himmlischen Entdeckungen“.

Harry Mulisch schrieb in den frühen neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit der

„Entdeckung des Himmels“ den „besten niederländischen Roman aller Zeiten“ (so die Leser des NRC

Handelsblad). Ob das nun erschienene gleichnamige Hörspiel dem Roman gerecht wird, lesen Sie bei

uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist

eine literarische Auseinandersetzung mit der Luftfahrerin und deren tragischem Ende. Thomas Pynchon

bewegt sich mit Luftschiffern ganz anderer Art in seinem Roman „Gegen den Tag“. Für die mehr als

1.500 Seiten dieses, selbst im Kulturbetrieb fast nur als Legende bekannten, großen amerikanischen

Autors braucht es einen langen Atem. Himmlisch geht es natürlich auch in der Raumfahrt zu: Der

40. Jahrestag der ersten bemannten Mondlandung steht bevor. Da wird es Zeit, dass nun eine Frau

den Erdtrabanten betritt. Jo Lendle schickt „Die Kosmonautin“ dorthin, jedenfalls literarisch. Blick-

wechsel: Den faszinierendsten Beitrag dieses Jahres zu Wissenschaftsgeschichte und dem, was früher

Abend- und Morgenland genannt wurde, hat Hans Belting vorgelegt: Sein „Florenz und Bagdad“

betiteltes Werk macht deutlich, wie das westliche Bild der Neuzeit erst in einem intensiven Austausch

mit Wissenschaft und Kultur der arabischen Welt entstehen konnte. Kurztipps und der Tipp für Kids

runden unsere Empfehlungen ab.

Im Schwebezustand

„Die Entdeckung des Himmels“ vonHarry Mulisch liegt nun als Hörspiel(der Hörverlag) vor. Der Roman des„in den Niederlanden weltberühm-ten“ Autors (Mulisch über sich selbst)als Hörspiel – geht das? Beginnen wirmit der Titelgestaltung: Beide, Buchund Hörspiel, zeigen das schönstealler Sternbilder, das „Zeichen derLiebe“ (Entwurf: Urs Lüthi). Das The-ma des Werks ist damit allerdingsnicht vorgegeben. Und Musik undKlang? An Henny Vrientens Klang-welt wird sich jeder erfreuen, beson-ders der, der meinte, die „Ebene derEngel“ bereits im Buch „gehört“ zuhaben. Vrientens Töne erschaffen denRaum, die Farben, ja die Architekturder Geschichte herausragend. Undwie bei den großen Komponistenvon Film- und Hörspielmusikenwird dieser Klang kaum bewusstwahrgenommen. Aber können130 Minuten Ton die 800 Buch-seiten dieses „opus magnum“(Mulisch über sein Werk) wie-dergeben? Ja und nein. DieGrundgeschichte des Astrono-men Max Delius, des PolitikersOnno Quist, der Cellistin Ada

Brons und des von Engeln in die Weltgeschickten Quinten, der die Geset-zestafeln Mose den Menschen ent-reißen soll, bringt dieses Hörspiel bis-weilen sogar besser auf den Punkt alsder manchmal weitschweifende (undweitschweifige) Roman. Das Kom-primieren für die Gattung Hörspielkann solche Schwächen wettma-chen. Dennoch faszinieren in bei-dem die unerwarteten Sichtweisenvon Mulisch.

„Die Entdeckung des Himmels“ wirktwie eine calvinistisch gewendete,neue Messiasgeschichte, wenn auchvielfach getarnt. Mulisch „dreht diePerspektiven um“, wie er es Deliussagen lässt. So blickt dieser Astronom,wenn er die Erde meint, ins All. Einanderes Beispiel: Zwei der Hauptper-sonen wagen – hochsymbolisch am

DLR NACHRICHTEN 121 | 63

Page 3: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

64 | DLR NACHRICHTEN 121

VielschichtigesBeziehungsgeflecht

Luftfahrt und Literatur – da denktman zunächst an den großen Antoinede Saint Exupéry, an die Gedicht-sammlung „Flugzeuggedanken“ vonJoachim Ringelnatz oder auch anFranz Kafkas Erzählung vom Flugtagin Brescia. Doch allzu oft ist die Luft-fahrt in der Literatur noch nicht the-matisiert worden. Einen bemerkens-werten Beitrag leistet jetzt Uwe Timmmit seinem Roman „Halbschatten“,der bei Kiepenheuer & Witsch er-schienen ist. Mit diesem Buch setztTimm der jungen deutschen FliegerinMarga von Etzdorf ein Denkmal. Zu-dem zeichnet er mithilfe eines Be-ziehungs- bzw. Stimmengeflechtseine beeindruckende ZeitaufnahmeDeutschlands im frühen 20. Jahrhun-dert.

Marga von Etzdorf zählte in denfrühen Dreißigern zu den bekann-testen deutschen Fliegerinnen. Ge-meinsam mit Elly Beinhorn, TheaRasche und Liesel Bach war sie quasiAushängeschild der damaligen Luft-sportbewegung. Als erste Copilotinder Lufthansa sowie mit mehrerenLangstreckenflügen, darunter einerabenteuerlichen Flugreise bis nachTokio, hatte sie sich bereits einenNamen gemacht, als sie – nach aller-dings auch vorausgegangenen Bruch-landungen – zu Beginn ihres neuenFernfluges nach Australien bei einerZwischenlandung im syrischen Aleppoihr Flugzeug aufgrund eines Piloten-fehlers abermals erheblich beschä-digte – und sich kurz darauf noch imFlughafengebäude erschoss. Um die-sen tragischen Tod und seine Hinter-gründe rankt sich der Roman vonUwe Timm. Der Autor besucht Margavon Etzdorfs Grab auf dem Berliner

Invalidenfriedhof und lässt sie selbstzu Wort kommen. Stimmen von hierBestatteten gesellen sich hinzu, dar-unter frühe preußische Feldherren,später berühmt gewordene Fliegerwie Udet oder Mölders, sogar derberüchtigte Holocaust-OrganisatorHeydrich. Aber auch namenlose Opferaus der Endphase des Krieges, diediese Zeit schnörkellos beschreiben.Ein spannendes Geflecht von Einzel-charakteren, die eine facettenreicheund oftmals beklemmende Sicht derdreißiger und vierziger Jahre offen-baren.

Wie ein roter Faden zieht sich vorallem eine Begegnung der jungenFliegerin mit dem deutschen Diplo-maten von Dahlem durch das Zeiten-gemälde. Die beiden verbringen amRande ihres Tokio-Fluges in der fernenKaiserstadt mit langen Gesprächeneine gemeinsame Nacht, wenn auchdurch einen Paravent strikt vonein-ander getrennt. Timm lässt die Flie-gerin ausführlich zu Wort kommen,über ihre Sehnsüchte, über das Flie-gen, über die „Rauchsignale unserergeheimen Wünsche“, wie die Roman-figur von Dahlem es romantisch for-muliert. Unterdes werden immer wei-tere Facetten deutlich, längst hat derNationalsozialismus das Fliegen kor-rumpiert. Und hier bringt Timm einen

neuen Gedanken zum Selbstmord derFliegerin ins Spiel, der von Unterlagenaus dem Politischen Archiv des Aus-wärtigen Amtes offenbar untermauertwird. Demnach war die Bereitstellungeines neuen Langstreckenflugzeugsfür Marga von Etzdorf offenbar miteinem illegalen Waffengeschäft ver-bunden. So musste sie nach ihrerneuerlichen Bruchlandung befürch-ten, durch die Entdeckung der heim-lich mitgeführten Maschinenpistolebloßgestellt zu werden, was das Endeihrer fliegerischen Laufbahn bedeutethätte. Beides für sie eine unerträglicheScham.

In der Vielschichtigkeit der einzelnenStimmen und Handlungsablaufs-ebenen schafft Timm mit diesemüberaus lesenswerten Roman einbeeindruckendes Kaleidoskop vonBeziehungen, Abhängigkeiten, Träu-men und Wünschen und zugleichein Abbild jener Zeit, in welcher fürunbefangene Flieger und Träumerkein Platz mehr war.

Hans-Leo Richter

Großartiger Brückenschlag

Ich schlage das Buch „Gegen denTag“ von Thomas Pynchon (Rowohlt-Verlag) zufallsgeleitet auf und lese:„Er begegnete ein, zwei Gesichtern,die er aus Dr. Prandtls Versuchsan-stalt in Göttingen kannte … Manbegrüßte ihn mit einer rituellen Bier-dusche und der ernsten Ermahnung:‚Jedes Tragflächenprofil hier siehtwie ein Kreis nach einer Schukowski-Transformation aus. Das ist dasschmähliche Geheimnis der Tragflä-chenkonstruktion. Verraten Sie esniemandem.’“

Page 4: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

DLR NACHRICHTEN 121 | 65

Ich blättere zurück und finde dieBeschreibung der 1. InternationalenZeitreisetagung von 1895 an derCandlebrow University, Illinois, ein-schließlich der Schilderung einesSchrottplatzes voll von „ausgeschlach-teten Rümpfen gescheiterter Zeitma-schinen“. Bei weiterem, zunehmendinteressiertem Hin- und Herblätternstoße ich auf Themen der höherenMathematik, so die Quaternionen-Theorie und die Riemann’sche Vermu-tung, und bemerkenswert detailge-treues Göttinger Lokalkolorit, nichtzu vergessen die Schilderung einesSeminars bei David Hilbert.

Ein Science-Fiction-Roman also? Mitdem Akzent auf „Science“? Aberdann geht es auch seitenlang umIndianer-Mystik, bewusstseinserwei-ternde Drogen, Bilokationsphänome-ne, eine Hohlweltreise, esoterischeOrganisationen, staatliche Geheim-dienste mit einem Hang zu parapsy-chologischen Experimenten und Mis-sionen mit mythologischen Zielen imOrient. Jules Verne, Carlos Castanedaund Indiana Jones lassen grüßen.

Zwischendurch sind kalauernde Ge-dichte von zweifelhafter Überset-zungsqualität eingestreut. Hat da einAlt-68er oder Spät-Hippie seinenPhantasmen freien Lauf gelassen?

Weiten Raum nimmt eine ganz ande-re, realistische Erzählungsebene vonbemerkenswerter Drastik ein, Sex in-klusive. Hier geht es um die sozialeLage von Minenarbeitern in ColoradoEnde des 19. Jahrhunderts, Spreng-stoffanschläge, Blutrache, Brutalkapi-talismus und die Revolution in Mexi-ko, aber auch die Boulevardtheater-und Entertainmentszene in New Yorkund Paris. Viele Handlungslinien kreu-zen sich in Venedig und Triest.

Apropos Handlungslinien: Der Romanumfasst 1.596 (in Worten: eintau-sendfünfhundertundsechsundneun-zig) Seiten und bietet geschätzte dreibis vierhundert Personen auf. Einekurze Inhaltsangabe auch nur derwichtigsten Handlungstränge ist unterdiesen Umständen illusorisch. Gibtes trotzdem so etwas wie einen rotenFaden, und sei es nur als runninggag? Doch, den gibt es. Es ist dasLuftschiff Inconvenience, bemanntvon einer pfadfinderhaften Crew mitgleichwohl geschliffener Rhetorik undOscar-Wilde-mäßigen Umgangsfor-men. Sie schweben über allem, beob-achten, kommentieren und greifenfallweise ein, alles im Auftrag einerhöheren, nicht näher beschriebenenOrganisation. Sie nennen sich „Freun-de der Fährnis“ (schwer überhöhteÜbersetzung von chums of chance),und sie begleiten das Handlungsnetzvom Anfang (der Weltausstellung inChicago 1893) bis zum Ende (dem1. Weltkrieg). Die sympathischste Figurin dieser hochfiktiven Parallelwelt istzweifellos Pugnax, der kontemplativveranlagte Bordhund der Inconveni-ence. In so ziemlich jedem Roman von

Thomas Pynchon tritt angeblich ir-gendwann ein sprechender Hund auf.Pugnax kommentiert das Geschehennur selten (und dann bellend), statt-dessen liest er gern und viel (vonHenry James bis zu luftfahrttechni-scher Fachliteratur).

Es gibt unstreitig in unserem gesell-schaftlichen Hier und Jetzt immernoch die von dem englischen Physi-ker C. P. Snow festgestellte und kriti-sierte Kluft zwischen den „Zwei Kulturen“, der geisteswissenschaft-lich-humanistischen und der natur-wissenschaftlich-technischen. Wasimmer man von Thomas Pynchonsphantastischem Megaroman haltenmag, die Kluft zwischen diesen nichtkommunizierenden „Zwei Kulturen“ist hier in größtem Stil überbrückt.

Dr. Robert Backhaus

Sehnsucht nach dem Mond

Als Reinhold Messner einmal gefragtwurde, warum er denn auf Bergesteige, war seine Antwort kurz undbündig: „Weil sie da sind.“ Jo Lendlelässt einen Raumfahrttechniker seineHeldin, „Die Kosmonautin“ (DVABelletristik) Helga Bruns fragen, wa-rum sie denn zum Mond wolle. Sieantwortet mit einer Gegenfrage:„Warum wollen sie hier bleiben?“Zwei Fragen, zwei Antworten, diesehr nah beieinander liegen. So vieleGründe es gibt, auf dem Boden zubleiben, so viele Gründe gibt es, hochhinaus zu wollen.

Nach einer langen Reise durch diekasachische Steppe trifft Helga Brunsim russischen Kosmodrom Baikonur ein. Allein diese Reise, beschrieben in

Page 5: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

66 | DLR NACHRICHTEN 121

lebendigen Bildern, vermittelt einenEindruck über das Vergangene, wel-ches heute immer noch Realität ist. Baikonur – ein Gleichnis für die Raum-fahrt. So wie die Raumfahrt technischgeprägt ist, so beantwortet das Buchdie Fragen nach dem Warum auf po-etische Weise. Die Gewissheit derHeldin in Richtung Mond zu starten,hält dennoch den Leser am Boden.Denn es gelingt dem Autor, den Leserin die Gedankenwelt von Helga Brunseinzubeziehen, der man am Ende allesGute für ihren Flug wünschen mag.

„Die Kosmonautin“, ein Buch nichtnur für verträumte Nachmittage, andenen der Leser seinen Gedankennach dem Warum der Raumfahrtfreien Lauf lassen kann. Die Antwor-ten darauf findet er bei Jo Lendle.

Andreas Schütz

Genaues Denken

Der überaus angesehene Kunsthisto-riker Hans Belting beginnt sein hochgelobtes, aktuelles Werk „Florenz undBagdad“ mit Erwähnung des Buchseines anderen: „Islamische Naturwis-senschaft und die Entstehung dereuropäischen Renaissance“ vonGeorge Saliba. Allein in dessen Titelliegt eine, wenn nicht Provokation,so doch überraschende These. Bel-tings Untersuchung begibt sich aufdiesen Weg und stellt zugleich neueFragen, bei denen es „nicht alleinum die zwei wissenschaftlichen Kul-turen, um Naturwissenschaft undGeisteswissenschaft, von denen heuteso oft die Rede ist (…)“ geht. Viel-mehr „wird eine historische Begeg-nung mit der arabischen Kultursichtbar, welche die westliche Kulturnachhaltig geprägt hat“, so der Autor.Wahrlich, was für ein Auftakt!

Scheinbar behandelt Beltings Werk„nur“ das, was wir gemeinhin als„Perspektive“ kennen, etwas, dasfälschlicherweise als Erfindung dereuropäischen Renaissance gilt. In„Florenz und Bagdad“ wird „diePerspektive“ indes nicht allein alseine Kunstfrage abgehandelt: „WasKulturen mit ihren Bildern machenund wie sie die Welt in Bilder fassen,führt zum Zentrum ihrer Denkweise“,schreibt Belting, und weitet so denBlick von einer Frage des Sehens zueiner Frage des Denkens und damitzur Frage der Kultur überhaupt, auchder wissenschaftlichen. Was für einGedanke!

Im Folgekapitel, das die spannungs-geladene Überschrift: „ArabischeMathematik und westliche Kunst“trägt, nähert Belting sich dem „Quan-tensprung“ des „Wandels der wissen-schaftlichen Theorie zur künstlerischen

Praxis, der arabischen Sehtheorie zurwestlichen Bildtheorie“. Es war derMathematiker Alhazen (965-1040),der die „Perspektive“ „erfunden“hat; und es werfe, so Belting, dieFrage auf, wie es überhaupt zur his-torischen Begegnung zweier Kulturenkommen konnte, die zu Bild und Blickein völlig gegensätzliches Verhältnishatten und haben“. En passant lassesich die immer noch verbreitete Mei-nung, die Araber hätten nichts weitergetan, als die antike Wissenschaft zuüberliefern, mit Alhazen gründlichwiderlegen.

Dass keine Naturwissenschaft im-mun ist gegen die Kultur, in der siegepflegt wird, und gegen deren Welt-bilder – solche Sätze stehen so ein-fach wie großartig in diesem heraus-ragenden Werk. Es verschlägt einemden Atem. Leider ist an dieser Stellenicht der Raum für eine Rezension inder Ausführlichkeit eines Feuilletons.Kaufen Sie sich einfach dieses Werk.Nebenbei zeigt uns der Autor auchnoch auf, wie genau man denkenund Quellenstudium betreiben kann.

Peter Zarth

Page 6: 62 | DLR NACHRICHTEN 121 · uns. Uwe Timm hat die deutsche Fliegerin Marga von Etzdorf wiederentdeckt. „Halbschatten“ ist „Halbschatten“ ist eine literarische Auseinandersetzung

DLR NACHRICHTEN 121 | 67

Kurztipps

Die Ursprünge der deutschen undvielfach auch der internationalenEntwicklungen in der Luft- undRaumfahrt gehen auf Forschungs-und Ingenieurleistungen engagierterErfinder, unternehmerischer Enthusi-asten in Berlin und Brandenburg,aber auch aus Mecklenburg-Vor-pommern und Sachsen-Anhalt, Thü-ringen und Sachsen zurück. Nachdem Zweiten Weltkrieg zogen be-dingt durch die politische TeilungDeutschlands und Europas die Ent-wicklungs- und Produktionsstandor-te von Fluggeräten und Raketen inandere Teile Deutschlands, in denNorden nach Hamburg und Bremen,in den Süden nach München. Abernicht zu vergessen: In der DDR gabes auf diesem Gebiet der Hochtech-

Tipp für KidsEngel sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!Elias, dem kleine Bäckerengel, ist furchtbar langweilig.Seit hundertzwölf Jahren backt er nun Weihnachts-plätzchen. Davor hat er 317 Jahre lang Sterne ge-putzt – das war noch langweiliger. Jetzt möchte erin der Wunschzettelabteilung arbeiten. Kurz ent-schlossen geht er zu Petrus und bittet um Verset-zung. Der sagt ja, unter einer Bedingung: Elias mussbis zum Abend eine gute Tat auf Erden vollbringen.

Für einen Engel kinderleicht? Denkste. So einfach istes dann doch nicht … „Engel Elias wünscht sich was“von Gaby Scholz ist frech, und frech illustriert vonBetina Gotzen-Beek. Zudem vom Coppenrath-Verlagliebevoll (Goldprägedruck!) editiert. Empfehlens-wert für kleine und große (B)engel.

- za

nologie trotz vieler Vorbehalte undtrotz Dirigismus bemerkenswerteEntwicklungen mit internationalerAnerkennung. Udo Gorontzy undBernd Schlütter erinnern mit „Lilien-thals Vermächtnis“ (technoMedia)an diesen wesentlichen Anfang. Ver-vollständigt wird das Buch durch dieheutigen Potenziale der Unternehmen,Dienstleister, Wirtschaftsförderungs-einrichtungen sowie Forschungs- undEntwicklungsinstitute.

- ütz

Wer „Florenz und Bagdad“ (sieheRezension links) liest, sollte dazuunbedingt das Hörspiel „Rot ist meinName“ des Nobelpreisträgers OrhanPamuk hören. Nicht nur, weil in„Florenz und Bagdad“ der Roman-

vorlage ein ganzes Kapitel gewidmetist; auch nicht allein deshalb, weil dieThemen beider Publikationen sichhervorragend ergänzen, teils sogarüberschneiden, nein: einfach des-halb, weil „Rot ist mein Name“(der Hörverlag) einen in die Zeitversetzt, in der „Florenz und Bag-dad“ angesiedelt ist: ins Europa derRenaissance, in den Orient der Zeitdes osmanischen Sultan Murads III.Die Klangwelt dieses Hörspiels istzwar mehr als gewöhnungsbedürftig;genaugenommen findet sie in einerdem Rezensenten kaum nachvoll-ziehbaren „Parallelwelt“ zur Ge-schichte statt und macht aus demRoman eher ein Hörbuch mit musi-kalischer Untermalung. Suggestiv-kraft entfaltet sie aber auf jeden Fall.

- za