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SOZIALE RISIKEN VON DIGITALISIERUNGSPROZESSEN 192 ARBEITERKAMMER WIEN 7.1 Befunde aus den Dossiers Digitalisierung von (Erwerbs-)Arbeitsprozessen Diskurse zur Digitalisierung von Arbeitsprozessen sind überwiegend technologiezentriert. Dadurch werden oftmals übertriebene – positive wie negative – Zukunftsvisionen generiert, wohingegen kon- tinuierliche Veränderungen im Rahmen bestehender Arbeitsprozesse, Tätigkeiten und Berufe eher wenig diskutiert werden. Dazu zählt z.B. die an Digitalisierung ausgerichtete Strukturierung und da- mit einhergehend die Umorganisation vieler Arbeitsschritte sowohl in Dienstleistungen als auch in der Produktion (z.B. durch ERP-Systeme). Darauf aufbauend lassen sich dann weitere, an den jewei- ligen Kontext angepasste Digitalisierungsvorhaben relativ leicht realisieren. Generell kann nicht oft genug betont werden, dass der Einsatz von neuen Technologien in Arbeits- prozessen keinen Naturgesetzen folgt, sondern politisch, organisatorisch und gesellschaftlich beein- flussbar ist und sich zudem wirtschaftlich rentieren muss. Deshalb verlaufen betriebliche Investitio- nen in Richtung Digitalisierung oder Industrie 4.0 etc. langsamer als von vielen erhofft und bleibt Belegschaften mehr Zeit zur Anpassung als befürchtet wird. Bislang vorliegende Prognosen zu digitalisierungsbedingten Arbeitsplatzeffekten gehen für Öster- reich von einem (selten genau spezifizierten und insofern „mittelfristigen“) Jobrückgang von ca. 10% aus. Wie in der Vergangenheit wird es zu einer Verschiebung der Beschäftigung kommen, wodurch bestimmte heutige Berufsprofile mit einem stärkeren Rückgang konfrontiert sind und andere mit Jobwachstum. Bereiche mit hohem Frauenanteil (z.B. Einzelhandel, Administration, Back-office), aber auch das Transportwesen werden von Jobverlusten betroffen sein, wohingegen in den männer- dominierten MINT-Sektoren ein Jobwachstum vorausgesagt wird. Plattformökonomie / Crowdwork sowie Peer-to-Peer-Sharing Bei Arbeit, die über Onlineplattformen organisiert wird, bewegt man sich begrifflich auf schwierigem Terrain: Varianten der online vermittelten Arbeit werden z.B. als Crowdwork, Crowdsourcing, Microwork, Gig-Economy, Platform Economy, Sharing Economy usw. bezeichnet. Hier in erster Linie von „Plattformökonomie“ zu sprechen macht auch deshalb Sinn, weil zumindest diesem Begriff das Flair von „Sharewashing“ fehlt. Ob Arbeiten online erledigt werden (Grafik, Programmierung etc.) oder offline (Transport, Reinigung etc.), hat großen Einfluss auf das Lohnniveau sowie die Möglich- keit, sich überhaupt organisieren zu können. Die Komplexität der Aufgabe, die Kleinteiligkeit oder der Standardisierungsgrad sind ebenso von Bedeutung. Aus bisherigen empirischen Befunden lässt sich festhalten, dass auch bei „gehaltvollen“ Tätigkeiten über Onlineplattformen problematische As- pekte dominieren: schlechte Bezahlung, unbezahlte Arbeitszeiten, unsichere Auftragslage, hohes Ri- siko und intensive Konkurrenz, eine schwache Verhandlungsposition gegenüber Plattformen und AuftraggeberInnen sowie Bewertungssysteme als rigide Kontrollinstanzen. Die spärlichen Befunde zur internationalen Verbreitung zeigen, dass ortsunabhängiges Crowdworking gegenwärtig überwie- gend in Asien verrichtet wird, d.h. in Ländern mit niedrigen arbeits- und sozialrechtlichen Standards.

7.1 Befunde aus den Dossiers - emedien.arbeiterkammer.at€¦ · tigeren Umgang mit Dat en bzw. für mehr Schutz der Privatsphäre ist, muss einstweilen offenbleiben. Doch n ach wie

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Page 1: 7.1 Befunde aus den Dossiers - emedien.arbeiterkammer.at€¦ · tigeren Umgang mit Dat en bzw. für mehr Schutz der Privatsphäre ist, muss einstweilen offenbleiben. Doch n ach wie

SOZIALE RISIKEN VON DIGITALISIERUNGSPROZESSEN

192 ARBEITERKAMMER WIEN

7.1 Befunde aus den Dossiers

Digitalisierung von (Erwerbs-)Arbeitsprozessen

Diskurse zur Digitalisierung von Arbeitsprozessen sind überwiegend technologiezentriert. Dadurch

werden oftmals übertriebene – positive wie negative – Zukunftsvisionen generiert, wohingegen kon-

tinuierliche Veränderungen im Rahmen bestehender Arbeitsprozesse, Tätigkeiten und Berufe eher

wenig diskutiert werden. Dazu zählt z.B. die an Digitalisierung ausgerichtete Strukturierung und da-

mit einhergehend die Umorganisation vieler Arbeitsschritte sowohl in Dienstleistungen als auch in

der Produktion (z.B. durch ERP-Systeme). Darauf aufbauend lassen sich dann weitere, an den jewei-

ligen Kontext angepasste Digitalisierungsvorhaben relativ leicht realisieren.

Generell kann nicht oft genug betont werden, dass der Einsatz von neuen Technologien in Arbeits-

prozessen keinen Naturgesetzen folgt, sondern politisch, organisatorisch und gesellschaftlich beein-

flussbar ist und sich zudem wirtschaftlich rentieren muss. Deshalb verlaufen betriebliche Investitio-

nen in Richtung Digitalisierung oder Industrie 4.0 etc. langsamer als von vielen erhofft und bleibt

Belegschaften mehr Zeit zur Anpassung als befürchtet wird.

Bislang vorliegende Prognosen zu digitalisierungsbedingten Arbeitsplatzeffekten gehen für Öster-

reich von einem (selten genau spezifizierten und insofern „mittelfristigen“) Jobrückgang von ca. 10%

aus. Wie in der Vergangenheit wird es zu einer Verschiebung der Beschäftigung kommen, wodurch

bestimmte heutige Berufsprofile mit einem stärkeren Rückgang konfrontiert sind und andere mit

Jobwachstum. Bereiche mit hohem Frauenanteil (z.B. Einzelhandel, Administration, Back-office),

aber auch das Transportwesen werden von Jobverlusten betroffen sein, wohingegen in den männer-

dominierten MINT-Sektoren ein Jobwachstum vorausgesagt wird.

Plattformökonomie / Crowdwork sowie Peer-to-Peer-Sharing

Bei Arbeit, die über Onlineplattformen organisiert wird, bewegt man sich begrifflich auf schwierigem

Terrain: Varianten der online vermittelten Arbeit werden z.B. als Crowdwork, Crowdsourcing,

Microwork, Gig-Economy, Platform Economy, Sharing Economy usw. bezeichnet. Hier in erster Linie

von „Plattformökonomie“ zu sprechen macht auch deshalb Sinn, weil zumindest diesem Begriff das

Flair von „Sharewashing“ fehlt. Ob Arbeiten online erledigt werden (Grafik, Programmierung etc.)

oder offline (Transport, Reinigung etc.), hat großen Einfluss auf das Lohnniveau sowie die Möglich-

keit, sich überhaupt organisieren zu können. Die Komplexität der Aufgabe, die Kleinteiligkeit oder

der Standardisierungsgrad sind ebenso von Bedeutung. Aus bisherigen empirischen Befunden lässt

sich festhalten, dass auch bei „gehaltvollen“ Tätigkeiten über Onlineplattformen problematische As-

pekte dominieren: schlechte Bezahlung, unbezahlte Arbeitszeiten, unsichere Auftragslage, hohes Ri-

siko und intensive Konkurrenz, eine schwache Verhandlungsposition gegenüber Plattformen und

AuftraggeberInnen sowie Bewertungssysteme als rigide Kontrollinstanzen. Die spärlichen Befunde

zur internationalen Verbreitung zeigen, dass ortsunabhängiges Crowdworking gegenwärtig überwie-

gend in Asien verrichtet wird, d.h. in Ländern mit niedrigen arbeits- und sozialrechtlichen Standards.

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ARBEITERKAMMER WIEN 193

International agierende Unternehmen dringen mit ihren Plattformen in verschiedene Dienstleis-

tungsbereiche vor: Im Personentransport Uber, in der Zustellung von Speisen z.B. Foodora und in der

Vermietung von privaten Wohnungen an TouristInnen Airbnb. Sobald Fragen zur Regulierung von

online vermittelter Arbeit ins Blickfeld rücken, ergreifen bislang eher die größeren Städte die Initia-

tive – so etwa Wien im Fall der Ortstaxe für Airbnb. Im Vergleich dazu sind Regulierungsansätze bei

der ortsunabhängigen plattformbasierten Onlinearbeit noch wesentlich schwieriger durchzusetzen.

Nicht-kommerzialisierte Aktivitäten, die sich unscharf als Peer-to-Peer-Sharing umschreiben lassen,

sind gleichsam ein Gegenpol zur marktwirtschaftlich organisierten Plattformarbeit. Gerade Städte

tun gut daran, solche „komplementärökonomischen“ Netzwerke zu unterstützen. Einerseits liefern

Orte der alternativen Produktion wie z.B. Makerspaces Impulse zur Revitalisierung von Stadtvierteln.

Andererseits bieten über Internetplattformen organisierte Nachbarschaftsnetze viel Potenzial für

mehr Verankerung in der lokalen Nachbarschaft.

Digitalisierung im (Einzel-)Handel und Finanzdienstleistungen inkl. Blockchain

Mittelfristige Proportionen von Jobverlusten und -gewinnen durch Digitalisierung im (Einzel-)Handel

sind schwer abschätzbar, mit Verlusten ist allerdings zu rechnen. Das wird vor allem davon abhängen,

wie rasch technologische Potenziale tatsächlich umgesetzt werden bzw. inwiefern es dem stationä-

ren Einzelhandel gelingt, proaktiv auf die Konkurrenz durch Online-Händler (und damit den Abfluss

von viel Umsatz ins Ausland) zu reagieren. Allerdings ist hier die demografische Entwicklung relevant:

Die prognostizierte Bevölkerungszunahme in Österreich und insbesondere in Wien impliziert stei-

gende Konsumausgaben im gesamtwirtschaftlichen Maßstab. Insgesamt ist anzunehmen, dass der

Online-Handel die zukünftige Beschäftigungsentwicklung im Einzelhandel zwar spürbar bremsen,

aber nicht zum Erliegen bringen wird. In der mit 40.000 Beschäftigten relativ großen Bekleidungs-

branche ist das Rationalisierungspotenzial besonders hoch einzustufen. Dementsprechend verliert

vor allem die Modebranche, flächenmäßig die wichtigste Handelssparte in den Innenstädten, an Prä-

senz. Ein Blick auf Daten zu Leerstandsraten im Einzelhandel ist aufschlussreich: Diese sind 2017 in

Einkaufszonen wie der (inneren) Wiener Mariahilfer Straße (4,1%) oder der Wiener City (2,3%) eher

unproblematisch. Anders ist die Situation z.B. in der Wiener Favoritenstraße (16% Leerstand) sowie

in Städten wie Villach (17,5%) oder Wiener Neustadt (14%).

Der Finanzdienstleistungssektor steht vor ähnlichen Herausforderungen wie der Einzelhandel. Um

Kosten zu reduzieren, wird auf die Differenzierung zwischen Standard- und Beratungsgeschäft ge-

setzt, mit Online-Banking und Automatisierung anstatt Routineaufgaben am Bankschalter. In einer

Befragung von Banken-CEOs in Österreich gehen diese mehrheitlich davon aus, dass bis 2030 die

Basisprodukte und Servicedienstleistungen weitgehend automatisiert bzw. im Modus „Do it yours-

elf“ ablaufen werden, die Personalkosten und die Anzahl der Filialen gegenüber heute dramatisch

sinken, viele Dienstleistungen im Zahlungsverkehr durch Technologieunternehmen erbracht und

Bargeld-Transaktionen eher Seltenheitswert haben werden. Als Herausforderer werden die Internet-

größen Amazon, Apple oder Google bzw. deren chinesische Pendants wie Alibaba eingestuft, die auf

Basis der von ihnen kontrollierten Userdaten in den Markt der Online-Finanzdienstleistungen drän-

gen.

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SOZIALE RISIKEN VON DIGITALISIERUNGSPROZESSEN

194 ARBEITERKAMMER WIEN

Eine weitere Herausforderung (nicht nur) für den Finanzdienstleistungssektor ist die Blockchain-

Technologie, der zugetraut wird, durch die dezentrale Dokumentation von Transaktionen Interme-

diäre wie Banken, Notare, Treuhänder längerfristig überflüssig zu machen. Blockchain ist ein dezent-

rales System, dass es erlauben soll, Transaktionen und Daten nachvollziehbar und manipulationssi-

cher festzuhalten. Die Technologie wird häufig mit einem Buchungssystem verglichen, in dem sämt-

liche der durchgeführten Transaktionen abgelegt sind und mit geringem Aufwand nachvollzogen

werden können. Eine wichtige Anwendung betrifft so genannte „smart contracts“. Hierbei handelt

es sich um Programme, die sich nach Vertragsabschluss selbst ausführen. Das bedeutet, dass kein

menschliches Zutun bei der Vertragsüberwachung erforderlich ist. Die Möglichkeiten solcher Ver-

träge sind zahlreich, es können so bspw. automatisch Bestellungen veranlasst werden, wenn Waren

knapp werden. Überall, wo Programme automatisch kommunizieren (Internet of Things), etwa in der

Logistik, hat die Blockchain-Technologie viel Potential.

Private IKT-Nutzung mit Fokus auf Social Media

Bei der Thematisierung des „Digital Divide“ im privaten Nutzungskontext sind mehrere Risiken zu

nennen, die sich mit dem (Selbst-)Ausschluss einer Computer- bzw. Internetverwendung ergeben:

Erstens die Leistbarkeit von IT-Equipment und Anwendungen (Smartphone, PC, Smart-TV etc.), zwei-

tens fehlende Basis-Kompetenzen im praktischen Umgang mit Technologien; drittens mögliche Wis-

sensdefizite, wenn man auf das Internet als Informationsquelle verzichtet oder diese nicht adäquat

nutzen kann; viertens vielfältige Kostennachteile bzw. Mehraufwand, wenn man keine Kenntnis über

günstigere Angebote hat, die sich im Vergleich von online vs. offline ergeben (z.B. Tickets, Reisen, E-

Banking, Behördenwege etc.). Ein fünfter Aspekt betrifft ungenügende Infrastrukturen, vor allem in

Bezug auf Breitbandanschlüsse in ländlichen Regionen.191

Während ein kleinerer und schrumpfender Teil der Gesellschaft weiterhin überwiegend IKT-absti-

nent lebt (in Österreich je nach Erhebung ca. 20%, aber 60% der über 65-Jährigen und 40% der Per-

sonen aus unteren sozialen Schichten) und so kaum Zugang zum Informationsreichtum des Internet

hat, zeigt sich andererseits, dass intensive Internet- und insbesondere Social-Media-Nutzung eben-

falls problematisch ist. Teilweise unreflektierte Verwendungsweisen z.B. des Smartphones sind dem

Umstand geschuldet, dass digitale Interfaces inzwischen zu selbstverständlichen Alltagsbegleitern

geworden sind, über die sowohl die Informationsaufnahme als auch die sozialen Beziehungen gema-

nagt werden. Vor dem Hintergrund der Kommerzialisierung des Internets, dem Geschäftsmodell Gra-

tisdienst gegen Datenverkauf sowie der Verlagerung des politischen Marketings in soziale Medien

steigen die Anfälligkeit für die Preisgabe sensibler persönlicher Daten, für mediale Manipulation so-

wie die Abhängigkeit von Geräten und Diensten – bis hin zur Smartphone-Sucht. Dazu kommt, dass

die auf sozialen Netzwerken dominierenden Präsentationsformen UserInnen zu einer Anpassung an

191 Jüngst publizierte Daten aus dem 2016 durchgeführten Social Survey Österreich zur privaten Internetnutzung ergeben

im Stadt-Land-Vergleich, dass es die erwarteten Unterschiede zwischen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohne-rInnen gegenüber Dörfern und Kleinstädten mit weniger als 5.000 Einwohnern weiterhin gibt: Private Internetnutzung – 85% in Großstädten vs. 69% in Dörfern / Kleinstädten (gesamt 78%); Social-Media-Nutzung – 75% in Großstädten vs. 53% in Dörfern / Kleinstädten (gesamt 64%). Auch das regelmäßige Lesen von Büchern ist unter StädterInnen verbrei-teter als bei LandbewohnerInnen (44% vs. 22%). (Quelle: Bodi-Fernandez / Prandner 2018, 317)

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ARBEITERKAMMER WIEN 195

die Kommerzialisierungslogiken verleiten, etwa in Form der beständigen Präsentation und Optimie-

rung der eigenen digitalen Präsenz, des eigenen Auftritts auf Facebook, Instagram etc.

Inwiefern die 2018 eingeführte Datenschutzgrundverordnung tatsächlich ein Hebel für den vorsich-

tigeren Umgang mit Daten bzw. für mehr Schutz der Privatsphäre ist, muss einstweilen offenbleiben.

Doch nach wie vor ist es ein mühsamer Prozess, das Kleingedruckte auf den diversen Smartphone-

Apps durchzuarbeiten, um sich besser vor dem Absaugen von Daten oder vor Werbung zu schützen.

Und nach wie vor dürfte sich die Mehrheit dafür entscheiden, den Weg des geringsten Widerstandes

zu gehen, um möglichst rasch zur anvisierten Plattform zu kommen. Wenn man den vom Betreiber

vorinstallierten Modus akzeptiert – d.h. aus dessen Sicht aktiv wählt –, ändert sich wenig an der

vielkritisierten Praxis.

Smart-City- und Smart-Home-Anwendungen

Smart-City-Anwendungen bieten viele Chancen zur Steigerung von Energie- und Verkehrseffizienz.

Umwelt- und Klimaschutz sind hier relevante Zielsysteme – und werden etwa in der Smart-City-Stra-

tegie der Stadt Wien priorisiert, gegenüber rein technologischen Zielsetzungen. Einsatzfelder von

Smart-City-Lösungen dürften wichtige Zukunftsmärkte sein: Energieversorgung (z.B. intelligente

Stromnetze), Mobilität (vom Messen der Verkehrsströme mit Sensoren über Carsharing bis hin zum

autonomen Fahren) oder Gebäudetechnik (inkl. einer breiten Palette an Smart-Home-Anwendun-

gen). Anders als in Business-to-Consumer-Märkten sind Kommunen bzw. sonstige Gebietskörper-

schaften wichtige Nachfrager von Smart-City-Technologien. Unter der Annahme, dass öffentliche

Nachfrager imstande sind, die System-Architekturen von Smart-City-Anwendungen mitzugestalten

(gegenüber den Präferenzen der Technologieanbieter), bestehen mehr Handlungschancen, die ge-

nerellen Risiken bei Daten- und Konsumentenschutz zu kontrollieren (gegenüber der privaten Inter-

netnutzung mitsamt Selbstauslieferung der Daten an die Digitalkonzerne). Dystopien wie die in China

geplante umfassende staatliche Überwachung mittels künstlicher Intelligenz sind hierzulande zwar

eher unwahrscheinlich, mahnen aber dennoch zur Vorsicht.

Aus Sicht der KonsumentInnen werden Smart-City- bzw. Smart-Home-Applikationen (vom öffentli-

chen WLAN bis zum intelligenten Stromzähler) zunehmend akzeptiert. In der Gegenüberstellung von

Vor- und Nachteilen auf Basis von Meinungsforschung finden sich erwartbare Befunde: Vereinfa-

chung des Alltags, Zeitersparnis, geringerer Energieverbrauch sowie z.B. die gebündelte elektroni-

sche Steuerung im eigenen Smart Home einerseits versus Sorge vor der Sammlung personenbezoge-

ner Daten, Hackerangriffen, höheren Kosten sowie vor einer technologischen Abhängigkeit anderer-

seits. Erwähnenswert ist, dass man in Österreich trotz prinzipieller Akzeptanz keineswegs bereit ist,

sich allzu euphorisch neuen smarten Technologien auszuliefern. Beispielsweise stimmen der Aussage

„je smarter mein Zuhause, umso besser“ nur ein Viertel der Befragten zu. Ebenso wie in anderen

Consumer-Märkten werden das Interesse an den Produkten sowie die Leistbarkeit eine Differenz

zwischen den „Haves“ und „Have Nots“ markieren.

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E-Health und E-Government

Angesichts eines kurzen Streifzugs durch Trends bei E-Government und E-Health lässt sich prognos-

tizieren, dass insbesondere technologische und organisatorische Innovationen in Richtung persona-

lisierter Gesundheitsdienstleistungen – auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft – ei-

nen riesigen Zukunftsmarkt im Business-to-Consumer-Segment erwarten lassen. Eine personali-

sierte, individuell auf den Menschen zugeschnittene Medizin, die auf digitale Daten zurückgreift, ist

eine Vision, die vielen Akteuren in der medizinischen Forschung und Entwicklung als Stoßrichtung

dient. Künstliche Intelligenz, wie sie gegenwärtig diskutiert, eingesetzt und weiterentwickelt wird,

basiert darauf, aus Massendaten (Text, Bild, Ton) Muster zu erkennen. Anwendungen in der Medizin

sind geradezu prädestiniert dafür, Programme der künstlichen Intelligenz einzusetzen, um z.B. aus

Röntgenbildern oder der Netzhaut im Auge bestimmte Muster und daraus schneller und günstiger

Diagnosen abzuleiten (z.B. Krebs oder Diabetes). So werden etwa in der Pharmaindustrie KI und

selbstlernende Software bei der Suche nach neuen Wirkstoffen für Arzneimitteln eingesetzt; oder

liegt die Ermittlung von Wechselwirkungen im Zusammenspiel von Medikamenten nahe, um besser

als heute gewährleisten zu können, dass z.B. Patienten, die täglich eine Vielzahl von Tabletten schlu-

cken, seltener mit negativen Nebenwirkungen konfrontiert sind.

„Gesundheit ist fast überall auf der Welt der größte oder zweitgrößte Sektor der Wirtschaft“, sagt

dementsprechend Apple-Chef Tim Cook auf der Suche nach neuen Absatzpotenzialen. Auch deshalb

will z.B. Apple aus seiner Apple Watch einen universellen Gesundheitssensor machen, der Herzano-

malien entdeckt, kleinste Anzeichen von Demenz registriert und den Zuckerhaushalt von Diabetikern

managt (Profil 44/2018, 75). All das wird KonsumentInnen bzw. PatientInnen viele Vorteile bringen,

enthält allerdings auch Nebenwirkungen, die nicht immer auf dem Beipacktext vermerkt sind. Vor

allem Datenschutz- und Konsumentenschutzfragen sind bei der privaten Nachfrage nach Gesund-

heitsleistungen sensibel wie in kaum einem anderen Bereich. Während beim weiteren Ausbau von

E-Government-Leistungen das Risiko vor allem darin besteht, älteren und/oder sozial schwachen

Gruppen bzw. sonstigen Internet-Abstinenten auch analoge Alternativen offen zu halten, um die di-

gitale Kluft nicht weiter zu vergrößern, sind die Risiken im weiten Feld von E-Health wesentlich diffi-

ziler und die Missbrauchsmöglichkeiten größer.

7.2 Schlussfolgerungen

In einer weiteren Verdichtung greifen wir – selektiv – ausgewählte Befunde aus unseren Trendana-

lysen mit Blick auf zentrale Risiken bzw. auf Gewinner- und Verlierergruppen nochmals auf und bün-

deln diese zu den nachfolgend aufgelisteten Schlussfolgerungen.

(1) In einer vergleichenden Betrachtung möglicher Risiken von Digitalisierungsprozessen in der

Erwerbsarbeit einerseits und der Privatsphäre andererseits, und dies vor dem Hintergrund der Struk-

tur an etablierten Schutzmechanismen, postulieren wir, dass es deutlich mehr bzw. wirksamere In-

stitutionen und (kollektive) Interessen gibt, den Arbeitsmarkt regulierend vor ungebremster Digita-

lisierung zu schützen als KonsumentInnen in ihrer (individuellen) Rolle als Medien- bzw. IKT-Nutze-

rInnen. Zur Erwerbsarbeitssphäre zählen wir hier auch das Aus- und insbesondere das berufliche

Weiterbildungssystem, das besser als bislang an Digitalisierungstrends angepasst werden muss,