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Solide Tumoren Neuroendokrine Neoplasien (NEN) 8.7.3 991 8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) M. Schnitzler, F. Otto, C.F. Waller Def: maligne Tumoren neuroendokrinen Ursprungs. Charakteristisch ist die Sekretion von Serotonin und anderen Hormonen. Synonyme: neuroendokrine Tumoren (NET), Karzinoide ICD-10: C17, C34 Ep: seltene Tumoren (0,52 % aller Neoplasien; 0,41 % aller gastrointestinalen Tumo- ren). Inzidenz: 12 Fälle/100 000 Einwohner, : = 2:3. Gleichmäßige Altersverteilung Pg: Die Pathogenese der sporadisch auftretenden Karzinoide ist ungeklärt. Familiäre Formen treten im Rahmen genetischer Syndrome auf (Kap. 8.7.2): multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1) Neurofibromatosis Recklinghausen Typ 1 (NF1) Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL) Path: Histologie Der Nachweis einer Expression der neuroendokrinen Marker Synaptophysin und Chromogranin A ist entscheidend für die Diagnose neuroendokriner Neoplasien. Die histologischen Angaben sollten die Differenzierung, das Grading und die Mito- serate bzw. den Ki67-Index beinhalten. Metastasierung in lokoregionäre Lymphknoten in Leber (80 %), Peritoneum (20 %), Knochen und Lunge (10 %) Klass: Die Klassifikation nach Williams und Sandler (1969) unterteilt neuroendokrine Tumoren nach Lokalisation und embryogenetischen Gesichtspunkten: Ursprung im „Foregut“: Thymus, Lunge, Pankreas, Magen, Duodenum, oberes Jejunum Ursprung im „Midgut“: unteres Jejunum, Ileum, Appendix, Zoekum Ursprung im „Hindgut“: Kolon, Rektum Klinisch hat sich die WHO-Klassifikation der neuroendokrinen Neoplasien (2010) durchgesetzt. WHO-Klassifikation der neuroendokrinen Neoplasien (2010) Histologische Differenzierung Grad- ing Mitoserate (/10 HPF*) Ki67- Index (%) WHO 2010 gut G1 2 2 neuroendokriner Tumor gut G2 2–20 3–20 neuroendokriner Tumor gut G3 ! 20 ! 20 neuroendokriner Tumor schlecht G3 ! 20 ! 20 kleinzelliges neuroendokrines Karzinom schlecht G3 > 20 > 20 großzelliges neuroendokrines Karzinom * HPF high power fields

8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) · aggressives Wachstum, meist metastasiert, mit Karzinoid-Syndrom (Flush), 15–25 % der Magenkarzinoide, ! Dünndarm distales Ileum, oft multizentrisch

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Solide Tumoren Neuroendokrine Neoplasien (NEN) 8.7.3

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8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN)M. Schnitzler, F. Otto, C.F. Waller

Def: maligne Tumoren neuroendokrinen Ursprungs. Charakteristisch ist die Sekretion von Serotonin und anderen Hormonen. Synonyme: neuroendokrine Tumoren (NET), Karzinoide

ICD-10: C17, C34

Ep: seltene Tumoren (0,5–2 % aller Neoplasien; 0,4–1 % aller gastrointestinalen Tumo-ren). Inzidenz: 1–2 Fälle/100 000 Einwohner, :  = 2:3. Gleichmäßige Altersverteilung

Pg: Die Pathogenese der sporadisch auftretenden Karzinoide ist ungeklärt. Familiäre Formen treten im Rahmen genetischer Syndrome auf ( Kap. 8.7.2):• multiple endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN1)• Neurofi bromatosis Recklinghausen Typ 1 (NF1)• Von-Hippel-Lindau-Syndrom (VHL)

Path: HistologieDer Nachweis einer Expression der neuroendokrinen Marker Synaptophysin und Chromogranin A ist entscheidend für die Diagnose neuroendokriner Neoplasien. Die histologischen Angaben sollten die Differenzierung, das Grading und die Mito-serate bzw. den Ki67-Index beinhalten.

Metastasierung• in lokoregionäre Lymphknoten• in Leber (80 %), Peritoneum (20 %), Knochen und Lunge (10 %)

Klass: Die Klassifi kation nach Williams und Sandler (1969) unterteilt neuroendokrine Tumoren nach Lokalisation und embryogenetischen Gesichtspunkten:• Ursprung im „Foregut“: Thymus, Lunge, Pankreas, Magen, Duodenum, oberes

Jejunum• Ursprung im „Midgut“: unteres Jejunum, Ileum, Appendix, Zoekum• Ursprung im „Hindgut“: Kolon, Rektum

Klinisch hat sich die WHO-Klassifi kation der neuroendokrinen Neoplasien (2010) durchgesetzt.

WHO-Klassifikation der neuroendokrinen Neoplasien (2010)

Histologische Differenzierung

Grad-ing

Mitoserate(/10 HPF*)

Ki67-Index (%)

WHO 2010

gut G1 2 2 neuroendokriner Tumor

gut G2 2–20 3–20 neuroendokriner Tumor

gut G3 20 20 neuroendokriner Tumor

schlecht G3 20 20 kleinzelliges neuroendokrines Karzinom

schlecht G3 > 20 > 20 großzelliges neuroendokrines Karzinom

* HPF high power fields

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8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) Solide Tumoren

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WHO-Klassifikationen im Vergleich

WHO 1980 WHO 2000 WHO 2010

Karzinoid hoch differenzierter endokriner Tumor

hoch differenziertes endokrines Karzinom

schlecht differenziertes endokrines Karzinom

neuroendokriner Tumor G1

neuroendokriner Tumor G2

neuroendokrines Karzinom G3

TNM-Stadieneinteilung nach ENETS (European Neuroendocrine Tumor Society), 2006/2007) und AJCC (2010)

T für alle Lokalisationen

TxT0(m)

Tumor kann nicht beurteilt werden.kein Nachweis eines Primärtumorsfür multiple Tumoren

Magen

TisT1T2T3T4

In-situ-Tumor ( 0,5 mm)Tumor infiltriert die Lamina propria oder Submukosa und ist 1 cm.Tumor infiltriert die Muscularis propria or Subserosa oder ist 1 cm.Tumor infiltriert Serosa.Tumor infiltriert benachbarte Strukturen.

Pankreas

Klassifikation nach ENETS:

T1T2T3

T4

Tumor begrenzt auf Pankreas und 2 cmTumor begrenzt auf Pankreas und 2–4 cmTumor begrenzt auf Pankreas und 4 cm oder Infiltration von Duodenum oder Ductus hepaticus communisInfiltration von Nachbarorganen oder Truncus coeliacus oder Arteria mesenterica superior

Nach AJCC (wie exokrine Pankreaskarzinome):

T1T2T3

T4

Tumor begrenzt auf Pankreas und 2 cmTumor begrenzt auf Pankreas und 2 cmTumorausbreitung jenseits des Pankreas, jedoch keine Infiltration von Trun-cus coeliacus oder Arteria mesenterica superior Infiltration von Truncus coeliacus oder Arteria mesenterica superior

Duodenum, Ampulla vateri und oberes Jejunum

T1T2T3T4

Tumor begrenzt auf Submukosa und 1 cmTumor infiltriert Muscularis propria oder 1 cm.Infiltration von Pankreas oder RetroperitoneumInfiltration von Peritoneum oder Nachbarorganen

Unteres Jejunum und Ileum

T1T2T3T4

Tumor begrenzt auf die Submukosa und 1 cmTumor infiltriert Muscularis propria oder 1 cm.Infiltration der SubserosaInfiltration von Peritoneum oder Nachbarorganen

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Solide Tumoren Neuroendokrine Neoplasien (NEN) 8.7.3

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Appendix

Klassifikation nach ENETS:

T1T2

T3T4

Tumor infiltriert die Submukosa oder Mukosa und ist 1 cm.Tumor infiltriert die Submukosa, Muscularis propria und/oder minimale Invasion ( 3 mm) der Subserosa/Mesoappendix und 2 cm.Tumor infiltriert die Subserosa tief ( 3 mm) oder 2 cm.Tumor infiltriert Serosa oder benachbarte Organe/Strukturen.

Nach AJCC:

T1T2T3T4

Tumor 2 cmTumor 2–4 cm oder Ausbreitung in das ZoekumTumor 4 cm oder Ausbreitung in das IleumTumor infiltriert Nachbarorgane oder Strukturen, z.B. Bauchwand und Ske-lettmuskulatur.

Kolon und Rektum

T1aT1bT2T3T4

Tumor infiltriert die Submukosa oder Mukosa und ist 1 cm.Tumor infiltriert die Submukosa oder Mukosa und ist 1–2 cm.Tumor infiltriert die Muscularis propria oder ist 2 cm.Tumor infiltriert die Submukosa oder perikolisches/perirektales Fettgewebe.Tumor infiltriert andere Organe/Strukturen oder durchbricht das viszerale Peritoneum.

N für alle Lokalisationen

N0N1

kein Lymphknotenbefalllokoregionärer Lymphknotenbefall

M für alle Lokalisationen

M0M1

keine MetastasenFernmetastasen einschließlich nicht lokoregionärer Lymphknoten

Wegen den Unterschieden in der ENETS- und UICC-Klassifikation von Pankreas und Appendix

wurden für diese Lokalisationen beide Klassifikationen angegeben. Zusätzlich ist zu beachten,

dass schlecht differenzierte Karzinome nach ENETS analog den gut differenzierten neuroendo-

krinen Tumoren und nach AJCC/UICC analog Adenokarzinomen eingeteilt werden.

Stadieneinteilung (nach ENETS, 2006/2007 und AJCC, 2010)

Stadium T N M

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jedes Tjedes T

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Alle Lokalisationen

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T1T2T3

T1–3T4

jedes T

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jedes Njedes N

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pankreatische NET nach AJCC* (analog Pankreaskarzinomen)

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8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) Solide Tumoren

994

IIIIII

IV

T1T2–3T4

jedes Tjedes T

N0N0N0N1

jedes N

M0M0M0M0M1

NET der Appendix nach AJCC* (analog Appendixkarzinomen)

* Nach AJCC 2010 liegen für NET des Pankreas und der Appendix eigene Stadieneinteilungen

vor.

Sy: Unspezifi sche Symptomeabdominelle Beschwerden, Dünn- oder Dickdarmileus, Anämie

Spezifi sche Syndrome bei hormoneller Aktivität• Charakteristisch für NEN ist die Sekretion von hormonell aktiven Proteinen/

Polypeptiden, die mit einer charakteristischen Symptomatik (siehe unten) ein-hergeht.

• Als funktionell aktiv werden diejenigen NEN bezeichnet, die ein klinisches Syn-drom verursachen (etwa 40–50 %).

• Von den funktionell aktiven pankreatischen neuroendokrinen Tumoren sind etwa 70 % Insulinome, 15 % Glukagonome und 5–10 % Gastrinome und Soma-tostatinome.

Karzinoid-Syndrom• Unabhängig von der Ausscheidung von 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES)

können NEN von einem „Karzinoid-Syndrom“ begleitet sein. Symptome: Flush-Attacken, intestinale Hypermotilität und Hypersekretion mit Diarrhoe, Broncho-spasmus, Endokardfi brose, Hypotonie, Arthropathie, Glukoseintoleranz

• Etwa 40 % der NEN mit Ursprung im „Midgut“ verursachen ein Karzinoid-Syn-drom.

• Auftreten oft erst bei Lebermetastasierung (hepatischer Abbau der Polypep-tide  )

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8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) Solide Tumoren

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Hormonsekretionssyndrome neuroendokriner Neoplasien

Tumor/Syndrom(sezerniertes Hormon)

Lokalisation Leitsymptome Diagnostik

Karzinoid-Syndrom(Serotonin)

Dünndarm ( ),Lunge ( )

Flush,Diarrhoe,Bronchospasmus,Endokardfibrose

5-HIES im angesäu-erten 24-h-Urin

atypisches Karzinoid-Syndrom(Histamin)

Magen Flush,Bronchospasmus

Methylimidazol-essigsäure im 24-h-Urin

Gastrinom/Zollinger-Ellison-Syndrom(Gastrin)

Dünndarm,Pankreas

therapierefraktäre Ulzera, Diarrhoe

Gastrin im Serum, Sekretintest,Magen-pH

Insulinom(Insulin)

Pankreas ( 90 %)

Nüchternhypoglyk-ämie

72-h-Fastentest,Insulin, C-Peptid

Glukagonom(Glukagon)

Pankreas ( 90 %)

Diabetes mellitus,Erythema necrolyti-cum migrans

Glukagon im Serum, Glucose im Serum

VIPom/Verner-Morri-son-Syndrom(VIP)

Pankreas ( 90 %)

wässrige Diarrhoe,Hypokaliämie,Achlorhydrie

VIP im Serum

Somatostatinom(Somatostatin)

Pankreas (50 %),Duodenum (50 %)

Diabetes mellitus,Cholelithiasis,Steatorrhoe, Diarrhoe

Somatostatin im Serum

PPom(Pankreatisches Polypeptid)

Pankreas (90 %)

Hepatomegalie,abdominelle Schmerzen

PP im Serum

ACTHom(ACTH)

LungePankreas

Cushing-Syndrom ACTH im Serum, Kortisol im 24-h-Urin, Dexamethason-Hemmtest

ACTH Adrenocorticotrophes Hormon, PP Pankreatisches Polypeptid, VIP vasoactive intestinal

peptide

Dg: Anamnese, Klinik• Anamnese, einschließlich Symptomen der Polypeptidsekretion• klinische Untersuchung mit abdomineller Untersuchung

Labor• Blutbild, Leber- und Nierenfunktionsparameter• Tumormarker: Chromogranin A, 5-HIES, Hormonspiegel (bei funktionell aktiven

Tumoren)

Histologie• Die Diagnose eines neuroendokrinen Tumors wird anhand der Expression der

neuroendokrinen Marker Synaptophysin und Chromogranin A gestellt. Immun-peroxidasefärbung (Polypeptidhormone, ACTH, Parathormon, Gastrin, VIP etc.)

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Solide Tumoren Neuroendokrine Neoplasien (NEN) 8.7.3

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Bildgebung• Sonografi e Abdomen, Röntgen Thorax, CT Thorax/Abdomen• Somatostatin-Rezeptor-Szintigrafi e (Über 90 % der gut differenzierten NEN

exprimieren Somatostatin-Rezeptoren in hoher Konzentration.)• 68Gallium-DOTATATE-PET/CT (bei gut differenzierten NEN höhere Sensitivität

als Somatostatin-Rezeptor-Szintigrafi e; geringe Sensitivität bei neuroendokri-nen Karzinomen)

• 18F-FDG-PET (hohe Sensitivität bei schlecht differenzierten neuroendokrinen Karzinomen)

• Gastroskopie, Rektosigmoidoskopie, Koloskopie, Kapselendoskopie, Endoso-nografi e

• präoperativ: Angiografi e, MRT• Skelettszintigrafi e

Ko: Komplikationen in Abhängigkeit von der Lokalisation und Sekretion• Dünn- oder Dickdarmileus, Blutung• Die Karzinoid-Krise stellt eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation dar,

gekennzeichnet durch Blutdruckabfall, Kreislaufi nsuffi zienz, Ödembildung, Luftnot. Sie wird verursacht durch massive Ausschüttung von Botenstoffen aus dem Tumor, z.B. durch Druck oder im Rahmen von Narkosen (Octreotid-Pro-phylaxe erforderlich).

• Karzinoid-Herz-Syndrom (rechtskardiale Endokardfi brose) als Spätfolge des Karzinoid-Syndroms

Th: Therapieprinzipien

Die Mehrzahl der NEN sind bei Diagnosestellung durch chirurgische Therapiemaß-nahmen alleine nicht heilbar. Die Behandlung erfordert daher einen multimodalen Ansatz.

Therapieverfahren

Operative Therapie• Die chirurgische Resektion stellt wegen des langsamen Wachstums von NEN

das zentrale Therapieverfahren dar.• Bei kurativem Behandlungsansatz sollte die radikale Entfernung des Primärtu-

mors (auch bei multilokulärem Befall) inklusive aller erreichbaren Lymphknoten-stationen im Abfl ussgebiet des Tumors erfolgen.

• Bei palliativer Situation, d.h. bei lokal nicht kurativ zu behandelnder Erkrankung, stellt ein Tumordebulking (insbesondere bei Lebermetastasen, manifestem Karzinoid-Syndrom und lokaler Obstruktion) das Therapieziel dar.

Strahlentherapie/Nuklearmedizinische Verfahren• Therapie mit Radioliganden 90Y-DOTA-Octreotid (90Y-DOTA-TOC) bzw.

177Lu-DOTA-Octreotid (177Lu-DOTA-TATE). Bei neuroendokrinen Tumoren pankreatischen, intestinalen und anderen Ursprungs wurden Ansprechraten um 45 % sowie eine hohe Rate von Tumorstabilisierungen beschrieben.

• konventionelle Strahlentherapie nur bei Hirnmetastasen oder zur Schmerzbe-handlung indiziert

Somatostatin-Analogasymptomatische Therapie durch Blockade von Somatostatin-Rezeptoren. Zusätz-lich wurde ein tumorstabilisierender Effekt bei NEN mit Ursprung im „Midgut“ nach-gewiesen.

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8.7.3 Neuroendokrine Neoplasien (NEN) Solide Tumoren

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• Octreotid: Dosierung: 2 × 50 μg/d bis 3 × 500 μg/d als s.c. Injektion mindestens über 6 Wochen; bei Ansprechen als Dauertherapie. Alternativ: Octreotid-LAR 10–30 mg alle 4 Wochen

• Lanreotid-Autogel: Dosierung: 60–120 mg alle 4 Wochen, tief s.c.

Interferon- (IFN )• Dosierung: 3–9 Mio. Einheiten als s.c.-Injektion, 3–7  pro Woche. Antiprolifera-

tiver Effekt durch Induktion nukleärer Enzyme. Symptomkontrolle (60 %), Tumorregression (15 %), Stabilisierung (40 %) und biochemisches Ansprechen (50 %) wurden beschrieben. Mediane Dauer des Ansprechens: 32 Monate. Im Gegensatz zur Behandlung mit Somatostatin-Analoga liegen keine Daten aus randomisierten Studien vor.

Tyrosinkinase- und mTOR-Inhibitoren• Sunitinib: Dosierung: 37,5 mg/d. Zur Behandlung nicht resezierbarer oder

metastasierter, gut differenzierter neuroendokriner Tumoren des Pankreas mit Krankheitsprogression zugelassen. Es wurde eine Verbesserung des progres-sionsfreien Überlebens (PFS) von 5 auf 11 Monate gegenüber Placebo nachge-wiesen.

• Everolimus: Dosierung: 10 mg/d. In Deutschland zur Behandlung von inoperab-len oder metastasierten, gut oder mäßig differenzierten neuroendokrinen Tumoren des Pankreas mit Krankheitsprogression zugelassen. Es wurde eine Verbesserung des PFS von 5 auf 11 Monate gegenüber Placebo nachgewie-sen.

Chemotherapie• Bei gut differenzierten neuroendokrinen Tumoren ist die Chemotherapie wegen

der geringen Wirksamkeit nur nach Versagen von biologischen Therapien indi-ziert. Bei niedrigmalignen NEN des Vorderdarmes konnten mit Streptozocin-basierten Therapien Ansprechraten bis 69 % (Doxorubicin + Streptozocin) erzielt werden. Für die Kombination von Temozolomid und Capecitabin bei NEN des Pankreas wurde in einer retrospektiven Fallserie eine Ansprechrate von 70 % berichtet. Für NEN mit Ursprung im „Midgut“ wurden deutlich schlechtere Ansprechraten berichtet, daher werden Kombinations-Chemothe-rapien für diese Primärlokalisationen üblicherweise nicht eingesetzt.

• bei schlecht differenzierten neuroendokrinen Karzinomen: Kombination von Cisplatin und Etoposid ( Protokoll 13.2.1)

„Cisplatin/Etoposid“ Protokoll 13.2.1 Wiederholung d 22

CisplatinEtoposidphosphat

75 mg/m2/d100 mg/m2/d

i.v.i.v.

d 1d 1–3

Prg: Die Prognose ist primär abhängig vom Tumorstadium, von der histologischen Dif-ferenzierung, dem Grading und der Primärlokalisation ( Tab. unter Charakteris-tika).

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