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9 Atome, Moleküle und Festkörper 9.1 Atome als Grundbestandteile der Materie 9.1.1 Historisches Wir gehen heute als selbstverständliche Grundlage davon aus, dass Atome die Bausteine der Materie sind, die uns umgibt und aus der auch wir selber be- stehen. Obwohl wir diese Tatsache heutzutage in der Schule unterrichten, und Tageszeitungen sie als be- kannt voraussetzen, ist es noch keine hundert Jahre her, dass ihre Existenz auch wissenschaftlich nicht gesichert war. Einzelheiten über ihre Verhalten, ja sogar ihre Größe waren nur in sehr groben Umris- sen bekannt. Der Begriff “Atom” stammt aus dem Griechischen. Zu den zentralen Fragen der griechischen Philoso- phen gehörte die Suche nach Unvergänglichem, nach einem ewigen Sein. Wenn aber es aber ein ewiges Sein gab, so schien dies nicht vereinbar mit Verände- rungen. Insbesondere Parmenides forderte, dass al- les Seiende unwandelbar sein müsse. Veränderungen waren deshalb nicht möglich, respektive nur Schein. Abbildung 9.1: Zeitliche Abfolge der antiken Philo- sophen. Natürlich konnten nicht alle Philosophen diese The- se akzeptieren (! Abb. 9.1). Insbesondere Demo- krit 1 suchte nach einer Lösung dafür. In heutiger Ausdrucksweise kann man seine Lösung etwa so be- schreiben: Die Welt besteht nach Demokrit aus lee- rem Raum und unteilbaren, unwandelbaren Grund- bestandteilen der Materie, den Atomen. Wir kennen heute Demokrit deshalb als den Entdecker der Ato- me. Genau so wichtig wie seine Forderung nach der Existenz von Atomen war aber, dass er dem leeren Raum eine eigenständige Existenz zubilligte. Da- durch wurde die Existenz von Atomen in seinem Sinn erst möglich. Diese bilden die Grundbausteine der Materie, sie und der leere Raum sind unwandel- bar. Damit besteht eine sichere Basis für das Sein, und Veränderung ist trotzdem möglich, da die Ato- me sich im leeren Raum bewegen und neu gruppie- ren können. Demokrit forderte bereits die Existenz unterschiedlicher Atome, welche sich durch Form, Lage und Geschwindigkeit unterschieden. Auch un- sere Sinneseindrücke werden gemäß Demokrit von Atomen übertragen; in heutiger Lesart würden wir sagen, dass auch Licht aus Atomen besteht. Ja so- gar die Seele besteht gemäß Demokrit aus Atomen - aus einer besonders glatten, feuerartigen Atomen, welche von Körperatomen umgeben sind. Demokrit war keineswegs der einzige, der eine sol- che These vertrat; es gab auch schon frühere Ver- suche, z.B. durch Leukipp 2 , von dem Demokrit we- sentlich beeinflusst wurde. Aber es gab auch Kritiker, welche sich mit die- sem Konzept nicht anfreunden konnten, insbesonde- re Aristoteles, der lehrte, dass die Materie aus den vier Elementen Erde, Luft, Feuer und Wasser auf- gebaut sei. Abb. 9.2 zeigt die vier Elemente und ih- re Eigenschaften. Die Eigenschaften der Stoffe soll- ten dann von der anteilmäßigen Zusammensetzung bestimmt werden. Der große Einfluss von Aristote- les war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass die 1 Demokrit von Abdera (ca. 460 v. Chr. - 370 v. Chr.) 2 Leukipp (5. Jh. v. Chr., Lehrer von Demokrit) 356

9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

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Page 1: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

9.1 Atome als Grundbestandteileder Materie

9.1.1 Historisches

Wir gehen heute als selbstverständliche Grundlagedavon aus, dass Atome die Bausteine der Materiesind, die uns umgibt und aus der auch wir selber be-stehen. Obwohl wir diese Tatsache heutzutage in derSchule unterrichten, und Tageszeitungen sie als be-kannt voraussetzen, ist es noch keine hundert Jahreher, dass ihre Existenz auch wissenschaftlich nichtgesichert war. Einzelheiten über ihre Verhalten, jasogar ihre Größe waren nur in sehr groben Umris-sen bekannt.

Der Begriff “Atom” stammt aus dem Griechischen.Zu den zentralen Fragen der griechischen Philoso-phen gehörte die Suche nach Unvergänglichem, nacheinem ewigen Sein. Wenn aber es aber ein ewigesSein gab, so schien dies nicht vereinbar mit Verände-rungen. Insbesondere Parmenides forderte, dass al-les Seiende unwandelbar sein müsse. Veränderungenwaren deshalb nicht möglich, respektive nur Schein.

Abbildung 9.1: Zeitliche Abfolge der antiken Philo-sophen.

Natürlich konnten nicht alle Philosophen diese The-se akzeptieren (! Abb. 9.1). Insbesondere Demo-

krit1 suchte nach einer Lösung dafür. In heutigerAusdrucksweise kann man seine Lösung etwa so be-schreiben: Die Welt besteht nach Demokrit aus lee-rem Raum und unteilbaren, unwandelbaren Grund-bestandteilen der Materie, den Atomen. Wir kennenheute Demokrit deshalb als den Entdecker der Ato-me. Genau so wichtig wie seine Forderung nach derExistenz von Atomen war aber, dass er dem leerenRaum eine eigenständige Existenz zubilligte. Da-durch wurde die Existenz von Atomen in seinemSinn erst möglich. Diese bilden die Grundbausteineder Materie, sie und der leere Raum sind unwandel-bar. Damit besteht eine sichere Basis für das Sein,und Veränderung ist trotzdem möglich, da die Ato-me sich im leeren Raum bewegen und neu gruppie-ren können. Demokrit forderte bereits die Existenzunterschiedlicher Atome, welche sich durch Form,Lage und Geschwindigkeit unterschieden. Auch un-sere Sinneseindrücke werden gemäß Demokrit vonAtomen übertragen; in heutiger Lesart würden wirsagen, dass auch Licht aus Atomen besteht. Ja so-gar die Seele besteht gemäß Demokrit aus Atomen- aus einer besonders glatten, feuerartigen Atomen,welche von Körperatomen umgeben sind.

Demokrit war keineswegs der einzige, der eine sol-che These vertrat; es gab auch schon frühere Ver-suche, z.B. durch Leukipp2, von dem Demokrit we-sentlich beeinflusst wurde.

Aber es gab auch Kritiker, welche sich mit die-sem Konzept nicht anfreunden konnten, insbesonde-re Aristoteles, der lehrte, dass die Materie aus denvier Elementen Erde, Luft, Feuer und Wasser auf-gebaut sei. Abb. 9.2 zeigt die vier Elemente und ih-re Eigenschaften. Die Eigenschaften der Stoffe soll-ten dann von der anteilmäßigen Zusammensetzungbestimmt werden. Der große Einfluss von Aristote-les war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass die

1Demokrit von Abdera (ca. 460 v. Chr. - 370 v. Chr.)2Leukipp (5. Jh. v. Chr., Lehrer von Demokrit)

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heiss

nass

Feuer

trocken

Erde

kalt

Luft

Wasser

Abbildung 9.2: Elementelehre von Aristoteles (384-322 v. Chr.).

Atomtheorie lange Zeit nicht akzeptiert wurde. 3

9.1.2 Die moderne Atomtheorie

Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhundertswurde die Atomhypothese auf wissenschaftlicherGrundlage wieder entdeckt.

Wasser- stoff

Wasser- stoff

Sauer- stoff Wasser+

Abbildung 9.3: Gesetz der konstanten Proportionenvon Antoine Lavoisier (1743-1794).

Den Anstoß dazu gab die Chemie, wo insbesonde-re Lavoisier empirisch gefunden hatte, dass chemi-sche Elemente in bestimmten Verhältnissen mitein-ander reagieren. Wie in Abb. 9.3 gezeigt, entste-hen z.B. aus zwei Teilen Wasserstoff und einem TeilSauerstoff Wasser. Dies war ein völlig unerwartetesResultat. Wenn die Materie aus den vier aristoteli-schen Elementen aufgebaut wäre, würde man erwar-ten, dass diese in beliebigen Verhältnissen reagierenkönnten und dabei Produkte mit unterschiedlichenEigenschaften entstehen würden.

John Dalton4 führte diese Experimente weiter. Erfand insbesondere, dass die möglichen Verhältnis-se, in denen die gleichen Elemente reagieren konn-ten, durch kleine ganze Zahlen beschrieben werden

3Weitere Einzelheiten: [7, 6]4John Dalton (1766 - 1844)

Abbildung 9.4: Gesetz der multiplen Proportionenvon John Dalton (1766-1844).

konnten. Abb. 9.4 zeigt als Beispiel verschiedeneMoleküle aus den Elementen Stickstoff und Sauer-stoff. Diese experimentellen Resultate konnte Dalton1808 so erklären, dass er die Existenz von Atomenpostulierte, die sich unterschiedlich zusammenfügenund so die beobachtete Vielfalt der Substanzen er-zeugen.

1811 zeigte Avogadro5, dass die Dalton’sche Hypo-these auch die experimentellen Resultate von Gay-Lussac erklären kann: Das Volumen eines idealenGases hängt nur von Druck, Temperatur und Teil-chenzahl ab, nicht von der Art des Gases.

9.1.3 Experimentelle Hinweise für dieExistenz von Atomen

Periodisches System der Elemente

Atomgewichte

Brown'sche Bewegung

kinetische Gastheorie P T

Abbildung 9.5: Entwicklung der Theorie im 19.JHd.

5Lorenzo Romano Amedeo Carlo Avogadro, Conte di Quare-gna e Cerreto (1776 - 1856)

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Im Verlauf des 19. Jh. kam es zu einer Reihe vonweiteren Erkenntnissen, wie in Abb. 9.5 zusammen-gefasst. So wurden die wichtigsten Arten von Ato-men entdeckt und im periodischen System der Ele-mente aufgelistet - zunächst entsprechend dem re-lativen Gewicht, dann aufgrund der Ordnungszahl.Die Entdeckung der Brown’schen Bewegung, einerscheinbar zufälligen Bewegung von kleinen Rauch-und Pollenteilchen, wurde als Hinweis auf die Exi-stenz von Atomen gedeutet, welche zwar selber nichtsichtbar sind, aber durch Stöße die Bewegung desTeilchens beeinflussen. Die Annahme, dass Gase ausAtomen aufgebaut seien, erlaubte auch, die Ther-modynamik auf ein mechanisches Modell, nämlichdie kinetische Gastheorie zurückzuführen und insbe-sondere den Druck als eine große Zahl von Stößender Atome mit den Gefäßwänden zu interpretieren.Wenn das Volumen verkleinert oder die Temperaturerhöht wurde, wurden die Stöße zahlreicher und hef-tiger und der Druck damit größer.

Damit war eine der wichtigsten Grundlagen für diePhysik, wie auch für die Chemie geschaffen - ob-wohl bisher noch niemand ein Atom gesehen hatte.Man glaubte an ihre Existenz, doch niemand wusste,wie die Atome aussehen, ja nicht einmal wie großsie sind.

Erste Hinweise darauf lieferte die Beugung vonElektronen und Röntgenstrahlen an kristallinen Ma-terialien. Diese ergaben nicht nur eine Bestätigungder Wellenhypothese von de Broglie, sondern aucheine erste Messung von Gitterkonstanten. Allerdingsergeben sie Bilder im Impulsraum, nicht direkt imgewohnten Ortsraum.

9.1.4 Feld-Ionen Mikroskopie

Die erste Methode, welche Atome direkt im Orts-raum sichtbar machte, war die Feld-Ionen Mikrosko-pie. Wie in Abb. 9.6 gezeigt handelt sich dabei umein relativ einfaches Gerät: im wesentlichen benötigtman eine sehr scharfe Spitze, an die man eine positi-ve elektrische Spannung anlegt. Dadurch erhält manan der Spitze ein sehr hohes elektrisches Feld. Au-ßerhalb der Spitze befindet sich mit niedrigem Druckein Gas, typischerweise Helium oder Barium. Wenn

Schirm

V

He

+Spitze

Abbildung 9.6: Schematische Darstellung des Feld-Ionen-Mikroskops.

ein Heliumatom in die Nähe der Spitze gelangt, wirdes durch dieses enorme elektrische Feld ionisiert, dasheißt diese Metallspitze zieht eines der Elektronendes Heliumatoms weg. Dadurch wird das Heliuma-tom zu einem positiv geladenen Heliumion und wirdnun durch das starke elektrische Feld sehr rasch vonder Spitze weg beschleunigt. Nach einer Distanz vonetwa 10 cm trifft es auf einen Schirm, wo es sichtbargemacht wird. Da sich die Atome auf dem direkte-sten Weg von der Spitze entfernen, entsteht dadurchauf dem Schirm ein direktes Bild der Spitze. DieVergrößerung kommt direkt durch das Verhältnis desRadius der Spitze zur Distanz vom Schirm zustandeund benötigt keine weiteren abbildenden Elemente.

Abbildung 9.7: Messaufbau und Bild eines Feld-Ionen-Mikroskops.

Abb. 9.7 zeigt einen entsprechenden Messaufbauund ein damit aufgenommenes Bild. Man erhält alsoauf diese Weise auf dem Schirm ein Bild dieser Spit-ze mit sehr hoher Auflösung. Allerdings ist das Bildziemlich stark verzerrt. [8] Diese Art von Mikrosko-pie ist inzwischen mehr als 50 Jahre alt, sorgt aberimmer noch für spektakuläre Bilder.

Der Kontrast kommt dadurch zustande, dass die Io-

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierteEmissionsmaxima.

nisierung des Heliums davon abhängt, dass ein frei-er Zustand für das Elektron im Metall vorhanden ist.Diese Zustände haben bevorzugte Richtungen inner-halb der Einheitszelle. In diese Richtungen werdendie Ionen von der Spitze weg beschleunigt und er-geben dadurch ein Bild der atomaren Struktur derSpitze, wie in Abb. 9.8 gezeigt.

9.1.5 Mikroskopie

Eine der heute am weitesten verbreiteten Metho-den, mit denen man die atomare Struktur der Ma-terie sichtbar machen kann, ist die Elektronenmi-kroskopie. Dabei werden anstelle von Licht Elek-tronenstrahlen verwendet, und anstelle von Linsenaus Glas verwendet man dabei elektromagnetischeLinsen, um den Strahl zu fokussieren und abzubil-den. Wie beim Lichtmikroskop kann man dabei Bil-der erzeugen, wobei die Auflösung sehr viel grö-ßer sein kann. Für hoch auflösende Elektronenmi-kroskopie verwendet man Beschleunigungsspannun-gen von mehreren 100 kV. Bei diesen Energien be-wegen sich die Elektronen relativistisch und ihrede Broglie Wellenlänge ist liegt in der Größenord-nung von 10�12 m. Die Auflösung wird somit nichtmehr durch Beugungseffekte beschränkt, sondernnur noch durch experimentelle Probleme, wie z.B.Linsenfehler.

Abb. 9.9 zeigt eine elektronenmikroskopische Auf-nahme eines Molekülkristalls. Man sieht hier direktdie einzelnen Atome und kann gut schwerere vonleichteren Atomen unterscheiden. Außerdem kannman erkennen, wie diese Atome in Molekülen ge-bunden sind.

Abbildung 9.9: Atomar aufgelöstes TEM-Bild einesMolekülkristalls.

Nickel

Elektronik

x piezo

y piezo

z piezo

Strom

Abbildung 9.10: Prinzip der Raster-Tunnel-Mi-kroskopie.

Eine neue Art, Atome abzubilden, wurde 1982in Zürich entwickelt: die Rastertunnelmikroskopie.Wie in Abb. 9.10 gezeigt, wird dafür eine feine Spit-ze über eine Oberfläche geführt, wobei der Abstandzwischen der Spitze und der Oberfläche konstant ge-halten wurde. Indem man die Position der Spitze auf-zeichnet, kann man ein Bild der Oberfläche erhalten.Man tastet also die Oberfläche mit einer Spitze ab,benutzt also eine Art verfeinerten Tastsinn, um dieOberfläche sichtbar zu machen.

Abbildung 9.11: Ein ”Kristall” aus Magnesium-Ionen in einer Ionenfalle.

Auch mit optischen Methoden kann man einzelneAtome sichtbar machen. Abbildung 9.11 zeigt einenKristall aus atomaren Ionen, welche in einer elektro-magnetischen Falle gespeichert und mit Laserlichtzur Fluoreszenz angeregt wurden. Der Grund, dass

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diese mit optischen Methoden sichtbar gemacht wer-den können, liegt darin, dass ihr Abstand auf Grundder Coulomb-Abstoßung in der Größenordnung von10 µm liegt.

9.1.6 Größe eines Atoms

Es gibt heute eine Reihe von Möglichkeiten, dieGröße von Atomen zu bestimmen. Bereits erwähntwurden Rastertunnelmikroskopie und hochauflösen-de Elektronenmikroskopie. Auch die Röntgenbeu-gung, welche die Abstände von Atomen in einemKristallgitter bestimmt, kann als Messmethode be-trachtet werden. Eine weitere Möglichkeit ist überdie Messung der van der Waals-Konstanten realerGase, welche das effektive Volumen bezeichnen,welches ein Atom einnimmt. Das effektive Volu-men kann auch über die Dichte eines Festkörpers be-stimmt werden, sofern die Loschmidt’sche Zahl be-kannt ist:

Atomvolumen : V0 =4p3

r3 =mM

rNL.

In enger Analogie dazu kann man die Oberfläche ei-nes Öltröpfchens messen, welches z.B. auf eine Was-seroberfläche aufgebracht wird: Der Ölfilm ist eineMonolage dick, d.h. die Fläche ist gleich der Quer-schnittsfläche eines Atoms, multipliziert mit der An-zahl der Atome im Öltröpfchen.

Abbildung 9.12: Überblick über die Historische Ent-wicklung der Atomtheorie.

9.2 Aufbau der Atome

9.2.1 Historische Grundlagen

Wenn man Atome als Bausteine der Materie iden-tifiziert hat, stellt sich sofort die Frage, woraus denndie Atome bestehen. Abb. 9.12 fasst die Entwicklungzusammen.

Dabei besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass sieelementar, also nicht mehr teilbar sind. Dies ent-spricht der Idee von Demokrit und auch der vorherr-schenden Meinung gegen Ende des 19. Jh. Tatsäch-lich hatte man aber schon im 19. Jh. erste Hinwei-se darauf, dass Atome nicht die ewigen und unteil-baren Grundbestandteile der Materie waren, welcheDemokrit postuliert hatte. Ein Hinweis auf die end-liche Lebensdauer war die Radioaktivität.

Dass sie nicht unteilbar sind zeigte die Entdeckungdes Elektrons: bei der Elektrolyse, wie auch bei derEntdeckung der Kathodenstrahlen schienen die La-dungsträger aus den Atomen herauszukommen.

Diese Teilchen, welche z.B. auch in einem Funken

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Abbildung 9.13: Joseph John Thomson (1856-1940).

Abbildung 9.14: Vakuumröhre, mit der Thomsonseine Messungen durchführte.

beobachtet werden können, sind für alle Arten vonAtomen identisch. Sie tragen eine negative elektri-sche Ladung. Da die Atome elektrisch neutral sind,mussten sie also außer den Elektronen auch einenpositiv geladenen Teil enthalten.

Lord Thomson stellte sich das in der zweiten Hälftedes 19. JH. so vor, dass der positiv geladene Teil ei-ne Art Teig oder Pudding darstellte, in dem sich dieElektronen wie Rosinen aufhielten, wie in Abb. 9.15gezeigt. Damit konnte er schon einige Punkte erklä-ren. Allerdings gab es auch Diskrepanzen zum Expe-riment; so stimmten die berechneten Schwingungs-frequenzen nicht mit den beobachteten überein.

- -

-+ -

Abbildung 9.15: Atommodell “Pudding mit Rosi-nen”.

9.2.2 Rutherford´s Experiment

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden verschiede-ne Experimente durchgeführt, welche das Innere desAtoms erkunden sollten. Dünne Metallfolien, wur-den mit subatomaren Partikeln, insbesondere Elek-tronen und a-Teilchen beschossen.

Blei

Rn (α-Quelle)

α

Zinksulfid-SchirmMikroskop

Metallfolie

Abbildung 9.16: Rutherford und sein Experiment.

Die bekanntesten Experimente wurden von E. Ru-therford (1871-1937, Abb. 9.16) in den Jahren 1911-1913 durchgeführt. Die Resultate zeigten, dass dergrößte Teil der Teilchen durch die Folien durchflog,ohne wesentlich abgelenkt zu werden.

Ein kleiner Teil aber wurde praktisch in die Richtungzurück gestreut, aus der sie gekommen waren. Abb.9.17 fasst die Trajektorien zusammen. Dies war einvöllig unerwartetes Ergebnis, in krassem Gegensatzzu den Voraussagen aufgrund des Thomson’schenModells des Atoms.

Rutherford beschrieb den Ausgang seiner Experi-mente so, dass es aussah als wäre eine Kanonenku-gel an einem Blatt Papier abgeprallt. Die Resulta-te ließen sich nur interpretieren, wenn man annahm,

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

1 MV2,5 MV5 MV

Z = 79 (Au)

0 1 2 3 .10-14 m

Abbildung 9.17: Trajektorien der a-Teilchen.

dass der größte Teil der Masse des Atoms ist in ei-nem sehr kleinen Gebiet konzentriert ist. Der Durch-messer dieses Atomkerns ist von der Größenordnungvon 4 � 10 · 10�15 m, etwa 100’000 mal kleiner alsdas Atom als ganzes. Auf die Erde übertragen, wür-de dies bedeuten, dass die gesamte Masse der Er-de in einer Kugel von wenigen Metern Durchmesserkonzentriert wäre. Dieser Kern musste die positiveLadung des Atoms enthalten, während die negativeLadung in den Elektronen lokalisiert war.

9.2.3 Das klassische Atommodell

Daraus folgte, dass der Kern positiv geladen seinmusste. Aufgrund der damals bekannten Naturgeset-ze konnte man annehmen, dass das Atom durch elek-trostatische Kräfte zusammengehalten wurde, alsodie Anziehung zwischen entgegen gesetzten Ladun-gen. Damit erinnerte dieses System stark an das Son-nensystem.

Die Elektronen sollten also auf kreisförmigen oderelliptischen Bahnen um den Atomkern kreisen, wo-bei sie von der elektrostatischen Anziehung auf derBahn gehalten wurden, wie in Abb. 9.18 gezeigt. Dadie Masse des Kernes sehr viel größer war als dieder Elektronen, konnte man davon ausgehen, dassder Kern praktisch in Ruhe bleibt, während sich dieElektronen um ihn bewegen, analog zu Planeten umdie Sonne.

Abbildung 9.18: Modell eines Atoms in der Form ei-nes Sonnensystems.

Dabei tauchte aber ein großes Problem auf: EineKreisbewegung ist eine beschleunigte Bewegung.Die Elektrodynamik, welche im 19. Jh. durch Max-well festgeschrieben worden war, sagte aber vor-aus, dass beschleunigte elektrische Ladungen elek-tromagnetische Strahlung aussenden. Diese Strah-lung würde Energie aus dem Atom abführen. DasElektron müsste demgemäß immer näher zum Kernrücken, dabei schneller werden und mehr Energieabstrahlen und innert sehr kurzer Zeit in den Kernstürzen. Nach diesem Modell wären also Atomenicht stabil, es sollten gar keine Atome und deshalbauch keine Materie existieren. Es gab hier also einenWiderspruch zur experimentell beobachteten Tatsa-che, dass Materie existiert. Damit war klar, dass die-ses Modell die Wirklichkeit nicht korrekt beschrieb.

9.2.4 Das Wasserstoff-Spektrum

H

He

Ba

Hg

Abbildung 9.19: Spektrum einer thermischen Quelleund von vier atomaren Gasen.

Schon im 19. Jahrhundert hat man festgestellt, dassfreie Atome Licht bei einigen wenigen, scharf be-stimmten Wellenlängen absorbieren oder emittieren,

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wie in Abb. 9.19 gezeigt. Dies war ebenfalls im Wi-derspruch zu einem Modell der Atome, welche ge-mäß der klassischen Elektrodynamik den Atomkernumkreisen: die dabei erzeugte Strahlung müsste einkontinuierliches Spektrum aufweisen.

Um das Spektrum von Wasserstoff (! Abb. 9.19)zu messen, werden Wasserstoffatome erzeugt undmit einem Elektronenstrahl zum Glühen gebracht.Wenn man das Licht, das insgesamt rosa aussieht,spektral analysiert, findet man eine Reihe von dis-kreten Emissionslinien. Diejenigen, die im sichtba-ren Bereich des Spektrums liegen, können auf demBildschirm dargestellt werden. Weitere Linien fin-den sich im Ultravioletten und infraroten Bereich desSpektrums. Allgemein kann man die Frequenz derResonanzlinien schreiben als

n = cRy

✓1n2 � 1

m2

◆mit n < m

Ry =mee4

8e20 h3c

= 109677,581cm�1.

Hier sind n und m sind ganzzahlige “Quantenzah-len” und Ry stellt die Rydbergkonstante dar. Diesentspricht einer Frequenz

cRy = 3,29 ·1015 Hz.

In Energieeinheiten hat sie den Wert

hcRy = 2,18 ·10�18 J = 13,6eV.

Sie gehört zu den wichtigsten Naturkonstanten undbestimmt u. A. die Energieskala chemischer Bindun-gen.

Abbildung 9.20: Numerische Werte für dieRydberg-Konstante.

Abb. 9.20 gibt die Rydbergkonstante in unterschied-lichen Energie-Einheiten an.

n legt die “Serie” fest: n = 1 definiert die Lyman Se-rie, n = 2 die Balmer Serie etc. Somit gilt für die

Lyman-Serie

Em = R✓

1� 1m2

◆,

für die Balmer Serie

Em = R✓

14

� 1m2

◆,

Ähnliche Linien findet man im Spektrum einerQuecksilberdampflampe. Ein besser bekanntes Bei-spiel sind die Natriumdampflampen, welche als Stra-ßenbeleuchtung verwendet werden. Wenn man dieAuflösung des Spektrometers hoch genug wählt,sieht man, dass diese Linien sehr schmal sind.

Auch bei Molekülen, z.B. N2, findet man diskreteSpektrallinien, doch sind sie in diesem Fall nichtmehr ganz so schmal, und ihre Zahl wird größer.

Gemäß der Beziehung zwischen Energie und Fre-quenz E = hn bedeutet dies, dass Atome Energie nurin bestimmten Paketen aussenden oder absorbieren.Dies, sowie die Tatsache, dass die klassische Elek-trodynamik die Existenz von stabilen Atomen nichtbefriedigend erklären konnte, war eine der wichtig-sten Triebfedern für die Entwicklung der Quanten-mechanik.

Eine weitere wichtige Entdeckung war der FaradayEffekt. Faraday, einer der Pioniere der klassischenElektrodynamik, hatte gezeigt, dass Magnetfelderdie Wechselwirkung zwischen Licht und Atomen be-einflussen. Insbesondere können sie die Polarisati-onsebene des Lichtes drehen.

9.2.5 Das Bohr’sche Atommodell

Aus diesen Tatsachen entwickelte Niels Bohr (1885-1962) im Jahre 1913 ein Atommodell, welches sche-matisch in Abb. 9.21 dargestellt ist. Er sah sich ge-zwungen, dafür zusätzlich zu den bekannten physi-kalischen Gesetzen weitere Annahmen zu machen.Er postulierte insbesondere, dass die Bewegung derElektronen um den Kern nicht durch die MaxwellGleichungen beschrieben wurde, sondern dass esstationäre Bahnen geben sollte:

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Abbildung 9.21: Schematische Darstellung desBohr’schen Atommodells.

• es sind nur solche Bahnen erlaubt, deren Bahn-drehimpuls ein ganzzahliges Vielfaches desPlanck’schen Wirkungsquantums h ist :

L = mer2w = nh.

r

λ

Abbildung 9.22: Stehwellen auf einem Kreis (links)und in einem Fabry-Perot Resona-tor (rechts).

Man kann dies mit Hilfe von

l =2pk

=2p h

p=

h2prL

=Umfang

n

so interpretieren, dass der Umfang der Kreisbahn ge-rade einem Vielfachen der Wellenlänge des Elek-trons entspricht, wie in Abb. 9.22 gezeigt. Damitsind Radius und Energie des Elektrons festgelegt.

• Bewegung auf diesen Bahnen ist strahlungslos;Absorption und Emission finden beim Über-gang zwischen unterschiedlichen Bahnen statt.

Wenn sich das Elektron auf einer dieser Bahnen be-fand, so sollte es keine Energie abstrahlen. Energiekonnte hingegen zwischen Licht und den Atomen

ausgetauscht werden, indem ein Elektron von einerdieser stationären Bahnen auf eine andere sprang -auf diese Weise konnte Bohr das Linienspektrum desWasserstoffs erklären. Mit Hilfe der Einstein’schenBeziehung E = hn konnte man damit wiederum dieGröße der Atome bestimmen.

Sommerfeld modifizierte die Bohr’schen Postulate:Die Bahn der Elektronen soll elliptisch sein; diegroße Halbachse ist bestimmt durch die Hauptquan-tenzahl n, die kleine durch die Nebenquantenzahl k;für diese gilt: 0 k < n. Diese Zustände sind imeinfachsten Modell entartet; genauere Betrachtun-gen zeigen, dass relativistische Effekte die Entartungaufheben: Bahnen, die näher beim Kern sind entspre-chen höheren Geschwindigkeiten und damit stärkerrelativistischen Effekten.

Das Bohr’sche Atommodell wurde parallel zu denAnfängen der Quantenmechanik entwickelt. Da-durch war seine Lebensdauer wohl von Anfang annur kurz. Insbesondere die Zuhilfenahme von adhoc-Annahmen stellte natürlich einen Schönheitsfehlerdar. Wenige Jahre später wurde mit der Schrödinger-Gleichung, resp. der Quantenmechanik von Schrö-dinger und Heisenberg die Grundlage für eine Be-schreibung des Atoms ohne zusätzliche ad hoc An-nahmen geschaffen.

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

- - Bestandteile

Kern Z+ Spektrum

me = 9,11.10-31 kg mP = 1,67.10-27 kg e = 1,60.10-19 C

z Elektronen

Wellenlänge

- -

Abbildung 9.23: Fakten zum Wasserstoffatom.

E

Abbildung 9.24: Coulomb-Potenzial des Kerns.

9.3 Die Quantenmechanik desWasserstoffatoms

9.3.1 Grundlagen, Hamiltonoperator

Das Wasserstoffatom besteht aus einem Proton (La-dung +e) und einem Elektron (Ladung –e). Der Kerndes leichtesten Wasserstoffatoms besteht aus einemProton; er besitzt die Masse mP = 1,67 · 10�27 kgund Ladung e = 1,602 ·10�19 C. Abb. 9.23 fasst diewichtigsten Fakten zusammen.

Die Elektronen wurden 1897 von J.J. Thomson ent-deckt. Sie besitzen eine Ladung �e = �1,602 ·10�19 C und eine Masse me = 9,11 · 10�31 kg. DasElektron kann als Punktpartikel betrachtet werden;man kann ihm aber auch einen Radius von 2,8 ·10�15 m zuordnen.

Der Hamiltonoperator H des Systems hat die Form

H = � 14pe0

e2

r� h2

2mD. (9.1)

Hier stellt der erste Term die Coulomb-Wechselwirkung zwischen Kern und Elektrondar, mit r als Abstand zwischen Kern und Elektron.Abb. 9.24 zeigt das Potenzial. Der zweite Term istdie kinetische Energie des Elektrons.

9.3.2 Wasserstofforbitale

Die stationären Zustände des Wasserstoffs ergebensich laut dem Bohr-Sommerfeld’schen Modell da-durch dass die elektronische Wellenfunktion gera-de in ein Kreis-, resp. ellipsenförmige Umlaufbahnpasst. In der Heisenberg-Schrödinger’schen Quan-tenmechanik stellen sie Eigenfunktionen des Hamil-tonoperators dar. Diese Zustände sind für den Ha-miltonoperator (9.1) exakt bestimmbar. Sie werdenals Orbitale bezeichnet und mit drei Indizes n, ` undm indexiert. In Polarkoordinaten lauten sie

Yn`m(r,q ,j) = Rn`(r)Y`m(q ,j). (9.2)

Die Radialfunktion ist

Rn`(r) =2n2

s(n� `�1)!((n+ `)!)3

1

a3/20

e�r/na0 ·

·✓

2rna0

◆`

L2`+1n+`

✓2rna0

◆,

wobei L2`+1n+` das entsprechende Laguerre Polynom

darstellt. Die Winkelfunktionen Y`m(q ,j) sind dieKugel(flächen)funktionen.

Die Hauptquantenzahl n bestimmt die Energie desSystems und gibt gleichzeitig an, wie groß das ent-sprechende Orbital ist. Wie in anderen Systemennimmt die Anzahl der Nulldurchgänge (=Knoten)der Funktion mit der Energie zu. Für Wasserstoff istdie Zahl der Knoten jeweils n�1.

Für den oben angegebenen Hamiltonoperator ist dieEnergie aller Zustände mit gleichem n identisch.Man spricht von Entartung. Die Energie beträgt

En =E1

n2 = �hc

Ry

n2 .

Für n = 1 erhält man den Grundzustand des Wasser-stoffatoms

E1 = �13,6eV.

Abb. 9.25 zeigt die Energien.

365

Page 11: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Ener

ige

[eV]

Abbildung 9.25: Energien der Zustände im H-Atom.

9.3.3 Drehimpuls

Die Drehimpuls-Quantenzahl ` bezeichnet denBahndrehimpuls des Zustandes Yn`m:

L = hp

`(`+1) ` = 0,1,2, . . .n�1 .

Während die Bahn selber nicht scharf bestimmt ist,ist der Drehimpuls in jedem stationären Zustand eineexakte Größe, d.h. sämtliche Messungen des Bahn-drehimpulses an einem Elektron in einem bestimm-ten Zustand würden den selben Wert ergeben. FürElektronen in einem Zustand mit ` = 0 (sog. s-Elektronen) verschwindet der Bahndrehimpuls ex-akt. Dies ist offenbar ein Resultat, welches in einemklassischen Atom nicht möglich wäre.

Nicht nur der Betrag, sondern auch die Orientierungdes Drehimpulses sind quantisiert (siehe Abb. 9.26).Deshalb bezeichnet die dritte Quantenzahl m in Glei-chung (9.2) die Komponente des Drehimpulses ent-lang der z-Achse:

Lz = mh; m = �`,�`+1, . . .�1,0,1,2, . . .`.

Die z-Komponente kann somit positiv oder negativsein, der Betrag kann jedoch nicht größer werden,als der gesamte Drehimpuls `.

Die Orbitale können auf unterschiedliche Weise gra-phisch dargestellt werden, wie z.B. in Abb. 9.27. Aufdiese Weise werden auch die Symmetrieeigenschaf-ten besser sichtbar, welche z.B. für die Interpretati-on der Spektren eine große Rolle spielen. Berechnet

Abbildung 9.26: Quantisierung des Drehimpulses.

L=1

L = 0 : s

px

py

pz

L=2

dz2

dxz

dxy

+ dxy, dxy2-y2

Abbildung 9.27: Graphische Darstellung einigerWasserstofforbitale.

man den Erwartungswert des Ortsoperators h~ri, sofindet man, dass er für alle Orbitale identisch ist:

h~riYn`m = 0,

d.h. das Elektron befindet sich im Schnitt beim Kern.Allerdings ist das Quadrat des Abstandes,

h~r2iYn`m > 0,

d.h. die mittlere Entfernung vom Kern ist > 0; siewächst mit der Hauptquantenzahl n.

9.3.4 Das Wasserstoffspektrum

Damit kann das Linienspektrum des Wasserstoffs in-terpretiert werden, welches in Abb. 9.28 dargestellt

366

Page 12: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Infrarot sichtbar UV

Abbildung 9.28: Übersicht über das Wasserstoff-spektrum.

ist. Die einzelnen Linien entsprechen Übergängenzwischen Zuständen mit Hauptquantenzahl n1, n2.Die Lyman-Reihe entspricht den Übergängen in denGrundzustand, n = 2 der Balmer Reihe, n = 3 derPaschen Reihe und so weiter.

9.3.5 Elektronenspin

Dass Elektronen nicht nur eine Ladung und eineMasse besitzen, wurde aus der Untersuchung deratomaren Linienspektren sowie des periodischen Sy-stems relativ bald klar. So konnten die beobachtetenAufspaltungen im Magnetfeld (der Zeeman-Effekt)nur erklärt werden, wenn man dem Elektron weitereEigenschaften zuschrieb.

Abbildung 9.29: Wolfgang Pauli (1900-1958).

Wolfgang Pauli (! Abb. 9.29) stellte die Vermu-tung auf, dass die Elektronen durch eine zusätzli-che Quantenzahl beschrieben werden müssen, wel-che nur zwei mögliche Werte annehmen kann. Es

stellte sich heraus, dass diese Quantenzahl dem Spinentspricht, einem quantisierten internen Drehimpuls.Dieser Spin ist an ein magnetisches Moment gekop-pelt.

Abbildung 9.30: Kraft auf einen magnetischen Di-pol in einem inhomogenen Ma-gnetfeld.

Wie in Abb. 9.30 gezeigt, spürt ein magnetischesMoment, welches durch ein inhomogenes Magnet-feld fliegt, eine Kraft in Richtung des Magnetfeldes,welches von seiner Orientierung bezüglich dem Ma-gnetfeld abhängt. Ist das Magnetfeld stärker beimmagnetischen Südpol des inhomogenen Magneten,so wird der fliegende Magnet in die Richtung abge-lenkt, in der sich sein magnetischer Nordpol befin-det.

Abbildung 9.31: Resultat des Stern-Gerlach Experi-mentes.

Stern und Gerlach konnten als erste zeigen, dass die-se magnetischen Momente tatsächlich durch Ablen-kung in einem inhomogenen Magnetfeld gemessenwerden konnten und dass sie praktisch nur zwei un-terschiedliche Werte annehmen konnten. Abb. 9.31zeigt schematisch das Experiment und das gemesse-

367

Page 13: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

ne Ergebnis. Ein Elektron besitzt einen internen Dre-himpuls, welcher als Spin bezeichnet wird. Er hat dieGröße

s =h2

= 5,3 ·10�35 Js.

Man kann sich dies in einer ersten Annäherung alseine rotierende Kugel vorstellen. Allerdings ist derDrehimpuls fest, d.h. die Rotationsgeschwindigkeitist fix.

Eine rotierende, elektrisch geladene Kugel bedingteinen Kreisstrom und damit ein magnetisches Mo-ment. Dies trifft auch für das Elektron zu: es besitztein magnetisches Moment

µ = gµB = geh

2me.

Der Faktor g bezeichnet das Verhältnis zwischendem magnetischen Moment aufgrund des Spins unddemjenigen, welches für einen klassischen Kreis-strom erwartet würde. Dieses wird mit µB = 9,3 ·10�24 Am2 bezeichnet.

Der Spin ist neben der Ladung und der Massedie dritte fundamentale Eigenschaft eines Elektrons(und vieler anderer Elementarteilchen). Er spieltauch eine wichtige Rolle für die Unterscheidungzwischen Zuständen, welche in der Natur vorkom-men (erlaubten Zuständen) und solchen, welchenicht beobachtet werden. So gilt insbesondere, dasszwei Teilchen mit einem Spin, der ein ungeradzah-liges Vielfaches von h/2 ist (“Fermionen”) sich nieim gleichen Quantenzustand befinden dürfen. Wennsich z.B. 2 Elektronen im gleichen räumlichen Zu-stand, z.B. dem Orbital eines Atoms befinden, müs-sen ihre Spins entgegengesetzt ausgerichtet sein. Fürvollständig gefüllte Schalen existiert deshalb zu je-dem Drehimpuls ~i,~si auch der entgegengesetzte undder Gesamt-Drehimpuls~L, ~S verschwindet:

~L = Âi

~i = 0 ~S = Âi~si = 0.

Hier bezeichnet ~L, ~i den Bahndrehimpuls und ~S, ~siden Spindrehimpuls.

Ähnlich wie Elektronen besitzen auch Atomkerneeinen Spin. Diesen kann man u.a. mit Hilfe der ma-

Abbildung 9.32: Kernspin-Tomographie bildet Pro-tonendichte ab.

gnetischen Resonanz, resp. Kernspinresonanz unter-suchen. Eine bildgebende Variante der Kernspinre-sonanz, die Kernspintomographie oder MRI (=Ma-gnetic Resonance Imaging) wird in der Medizin ver-wendet. Abb. 9.32 zeigt ein Beispiel eines MRI Bil-des.

9.3.6 Schwerere Atome

Atome mit mehreren Elektronen können ähnlich ver-standen werden wie das Wasserstoff-Atom. Sie be-stehen aus einem Kern mit Ladung +Ze und Z Elek-tronen, jeweils mit Ladung �e. In einer ersten Nähe-rung kann man die Wechselwirkung der Elektronenuntereinander vernachlässigen und die Zustände fürdie einzelnen Elektronen entsprechend den Zustän-den des Wasserstoffatoms schreiben, mit den Quan-tenzahlen n, `, m und s. Die wichtigsten Unterschie-de zum Wasserstoffatom sind

• In wasserstoffähnlichen Atomen (Kernladung =+Ze, ein Elektron) ist die Energie der Zustände

En = �Z2 E1

n2 = �hZ2 Ry

n2 .

Bei mehreren Elektronen schirmen diese dieKernladung teilweise ab.

• Die Orbitale zu einer Hauptquantenzahl n sindnicht mehr entartet. Ihre Energie nimmt mit zu-nehmendem Drehimpuls ` zu.

368

Page 14: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Dies kann so interpretiert werden, dass ein Elek-tron in einem s-Orbital sich näher beim Kern be-findet und deshalb die vollständige Kernladungszahl“spürt” und aufgrund dieser Coulomb-Energie eineniedrigere Gesamtenergie besitzt, während ein Elek-tron in einem höheren Drehimpulszustand nur dieeffektive Kernladungszahl der Atomrumpfs (Kern +tiefer liegende Elektronen) “sieht”. Man bezeichnetZustände mit Drehimpuls ` =0, h, 2h, 3h, . . . als s�,p-, d�, f -, . . . Orbitale.

n=1 n=2 n=3

p

d

s

Abbildung 9.33: Konfiguration von Mehr-Elektronen Atomen.

Gemäß Pauli-Prinzip kann jeder Zustand maximalvon 2 Elektronen mit entgegengesetztem Spin be-setzt sein. Im Grundzustand sind dementsprechendjeweils die Z/2 energetisch niedrigsten Orbitale mit2 Elektronen besetzt. Daraus ergibt sich die Strukturdes Periodensystems. Abb. 9.33 zeigt einige Beispie-le von besetzten Orbitalen.

9.3.7 Das Periodensystem

Bei der Betrachtung der Elemente als Funktion derKernladungszahl fallen unterschiedliche Regelmä-ßigkeiten auf. Dmitri Iwanowitsch Mendelejew (!Abb. 9.34) erarbeitete eine Systematik der chemi-schen Elemente, die er periodische Gesetzmäßigkeitnannte.

Sie werden deshalb in ein periodisches System ein-geteilt, welches in Abb. 9.35 dargestellt ist. Am Be-ginn der Periode steht jeweils ein Alkalimetall (Aus-nahme: Wasserstoff), am Ende ein Edelgas. Die Peri-oden haben unterschiedliche Länge: Sie betragen 2,8, 8, 18, 18 und 32.

Die Zahlen entsprechen der Anzahl der Elektronen,

Die älteste Darstellung des Periodensystems

Dmitrij Iwanowitsch Mendlejew (1834-1907)

Abbildung 9.34: Dmitri Iwanowitsch Mendelejew(1834 - 1907) und seine Darstel-lung des Periodensystems.

13 14 15 16 17

12

1 IA 1A

18 V IIIA 8A

1 1

H 1.008

2 IIA 2A

2

IIIA IVA VA VIA VIIA He 3A 4A 5A 6A 7A 4.003

23

Li4

Be5

B6

C7 8

N O9

F10

Ne

3

6.941 9.012

11 12

Na Mg 22.99 24.31

10.81 12.01 14.01 16.00 19.00 20.18

13 14 15 16 17 18

IIB Al Si P S Cl Ar 2B 26.98 28.09 30.97 32.07 35.45 39.95

3 4 5 6 7 8 9 10 11 IIIB IVB VB VIB VIIB ------- VIII ------ IB 3B 4B 5B 6B 7B - 1B ------- 8 -------

419

K 39.10

20

Ca 40.08

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr 44.96 47.88 50.94 52.00 54.94 55.85 58.47 58.69 63.55 65.39 69.72 72.59 74.92 78.96 79.90 83.80

537

Rb85.47

38

Sr87.62

39

Y40 41 42 43

88.91 91.22 92.91 95.94 (98)

44 45 46 47 48 49 50 51 52

Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te53

I54

Xe101.1 102.9 106.4 107.9 112.4 114.8 118.7 121.8 127.6 126.9 131.3

655

Cs132.9

56

137.3

57 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86

Ba La * Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn138.9 178.5 180.9 183.9 186.2 190.2 190.2 195.1 197.0 200.5 204.4 207.2 209.0 (210) (210) (222)

787

Fr(223)

88

(226)

89 104 105 106 107 108 109

(227) (257) (260) (263) (262) (265) (266)

110

()

111

()

112

Ra Ac ~ Rf Db Sg Bh Hs Mt --- --- ---()

114

---()

116

---()

118

---()

Gruppen (=Spalten)

Abbildung 9.35: Aktuelle Darstellung des Perioden-systems.

welche in einer vollständig gefüllten Schale unterge-bracht werden kann. Es ist jeweils die Reihenfolgezu berücksichtigen, in der die Orbitale gefüllt wer-den. Die Periodizität schlägt sich in unterschiedli-chen Größen nieder. So erreicht der Atomradius je-weils bei den Alkalimetallen ein Maximum. Wennweitere Elektronen in die gleiche Schale eingefülltwerden nimmt der Atomradius unter dem Einflussder zunehmenden (effektiven) Kernladungszahl ab.Das Minimum wird kurz nach der Mitte der Periodeerreicht, danach nimmt der Atomradius wieder zu.

Die Ionisierungsenergie zeigt ebenfalls ein periodi-sches Verhalten, wie in Abb. 9.36 dargestellt. Hierwird das Maximum bei den Edelgasen erreicht:Wenn eine Schale vollständig gefüllt ist wird fürdie Entfernung eines Elektrons eine besonders hoheEnergie benötigt. Bei den Alkaliatomen hingegen ist

369

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Ordnungszahl Z

Ioni

sieru

ngse

nerg

ie [e

V]

Abbildung 9.36: Abhängigkeit der Ionisierungsener-gie von der Ordnungszahl.

die Bindungsenergie des äußersten Elektrons rela-tiv gering. Jedes Atom besitzt ein charakteristischesLinienspektrum. Aus den Frequenzen dieses Spek-trums kann man die Energien der elektronischen Zu-stände berechnen.

9.4 Bindungen und Moleküle

9.4.1 Wechselwirkung und Bindungsenergie

Atome haben die Tendenz, sich zu größeren Syste-men wie Molekülen oder Festkörpern zu verbinden.Diese größeren Systeme bildet sich “spontan” durchdie Wechselwirkung zwischen den Molekülen, unddie Moleküle selber sind ebenfalls durch eine Anord-nung minimaler Energie bestimmt. Man kann somitdie Struktur bestimmen, indem man die Abstand-sabhängigkeit der Wechselwirkungsenergie berech-net und deren Minimum als Funktion des Abstandesbestimmt.

Abstand

neutrale Bestandteile

getrenntin Ruhe

Ges

amte

nerg

ie

Bindungsenergie

Gleichgesichts-abstand

Abbildung 9.37: Definition der Bindungsenergie.

Bestimmt man die Gesamtenergie eines stabilen Mo-leküls als Funktion der interatomaren Abstände, soexistiert bei einem endlichen Abstand ein Minimum.Dieser Abstand ist der Gleichgewichtsabstand, wel-cher die Struktur des Moleküls definiert und seineEnergie bestimmt die Bindungsenergie.

Die Energie, die man benötigt, um ein Molekülin Atome zu zerlegen, wird als Bindungsenergiebezeichnet.

Bindungsenergien werden meist in der Einheit eVpro Molekül oder kJ pro Mol angegeben. Dabei ent-spricht 1eV/Molekül

1eV

Molekül= 1,6 ·10�19 J

MolekülDie Energie pro Molekül kann man auch umrechnenin makroskopische Energien, z.B. Energie pro Mol,indem man sie mit der Avogadro-Konstante multi-pliziert:

1,6 ·10�19 JMolekül

·6 ·1023 MolekuleMol

= 96kJ

Mol.

370

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Für die Berechnung der Energie benötigt man ei-ne quantenmechanische Beschreibung. Allerdingsbeschreibt man nie ein vollständiges Modell desSystems, sondern man geht aus von der Born-Oppenheimer Näherung. Diese Näherung behandeltnur die Elektronen rein quantenmechanisch, wäh-rend die Position der Kerne als klassische Größenbehandelt werden. Die Grundlage dafür ist, dass beigleichem Impuls die Kerne sich um mindestens dreiGrößenordnungen langsamer bewegen als die Elek-tronen, bei schwereren Atomen bis zu 5 Größenord-nungen. Außerdem vernachlässigt man in erster Nä-herung die Wechselwirkung zwischen den Elektro-nen und behandelt sie als unabhängige Teilchen. Fürdie Wechselwirkung mit den Kernen ist dann in er-ster Linie der mittlere Aufenthaltsort relevant. DieElektronen bewegen sich in einem Potenzial, wel-ches durch die Coulomb-Wechselwirkung mit denKernen und den übrigen Elektronen gegeben ist.

Die quantenmechanische Beschreibung benötigt inder Born-Oppenheimer Näherung nur eine Zustands-funktion für die Elektronen, in denen die Positionender Kerne als klassische Parameter auftauchen. Umdie Bewegung der Kerne zu diskutieren, kann mananschließend die gemittelte Gesamtenergie für un-terschiedliche Kern-Konfigurationen berechnen. Indiesem Potenzial folgt die Bewegung der Kerne ei-nem Satz von harmonischen Oszillatoren.

9.4.2 Bindungstypen

Anziehende Wechselwirkungen zwischen Atomen,welche zu einer stabilen Anordnung führen, könnensich auf qualitativ sehr unterschiedliche Weise be-merkbar machen. Eine erste Klassifizierung unter-scheidet vier Arten von Wechselwirkungen, welchein Tabelle 9.1 und Abb. 9.38 zusammengefasst sind..

• kovalente Bindung

• van der Waals Bindung

• Wasserstoffbrücken

• Coulomb-Wechselwirkung

Grob vereinfacht kann man sich vorstellen, dass imFall der van der Waals Bindung die neutralen Be-standteile (z.B. Argon im Festkörper oder Lipidmo-

Typ Beispiel Bindungs-energie in

kJ/Mol

Konstitu-enten

kovalent Diamant 710 Cvan derWaals

CH4 10 CH4

Wasserstoff-brücken

H2O 50 H2O

Coulomb NaCl 780 Na+,Cl�

Tabelle 9.1: Einige Eigenschaften der wichtigstenBindungstypen

C

C

C

C

C

Abbildung 9.38: Schematischer Vergleich der Elek-tronendichteverteilung bei kovalen-ten Bindungen (links) und van derWaals Bindungen (rechts).

leküle in einer Membran) sich gerade berühren unddurch schwache Kräfte aneinander gehalten werden.Im Fall der kovalenten Bindung existiert ein ver-stärkter Überlapp zwischen den Elektronen der ein-zelnen Atome, welcher zu einer starken, gerichte-ten Bindung führt. Die kovalente Bindung hält dieAtome innerhalb der Moleküle zusammen, die vander Waals Bindung und die Wasserstoffbrücken wir-ken zwischen den Molekülen und sind verantwort-lich für die Kondensation der Moleküle zu Flüssig-keiten und Festkörpern, sowie für die Bildung vonsupramolekularen Strukturen, wie z.B. Zellmembra-nen oder molekularen Aggregaten.

Die Coulomb-Wechselwirkung spielt eine wichtigeRolle in wässrigen Lösungen, nicht nur bei gelade-nen Molekülen (Ionen), sondern auch bei der Wech-selwirkung zwischen Teil-Ladungen, d.h. polarisier-ten Molekülen.

371

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

9.4.3 Das Wasserstoffmolekül

Wir betrachten zunächst nur die Kräfte, welche beider Wechselwirkung zwischen zwei Atomen auftre-ten. Das einfachste System, bei dem sich mehre-re neutrale Teilchen zu einer bestimmten Strukturzusammenfinden, ist das Wasserstoffmolekül. Mitklassischer Mechanik allein ist es schwierig einzuse-hen, wie zwischen zwei neutralen Teilchen eine bin-dende Wechselwirkung zustande kommen soll. Umdies zu verstehen, muss das System also quantenme-chanisch analysiert werden.

�A�B

S = h�A|�Bi Ort

|�|

A B

Abbildung 9.39: Überlapp der Atomorbitale im H2-Molekül.

Ausgangspunkt sind zwei Wasserstoffatome A undB, deren Elektronenhüllen sich zum Teil überla-gern. Die Wellenfunktionen der beiden Elektronenseien YA und YB. Sind die beiden Atome räum-lich gut getrennt, so kann die Zustandsfunktion desGesamtsystems in guter Näherung als das ProduktYA(1)YB(2) der beiden einzelnen Funktionen ge-schrieben werden; hier sind die Koordinaten (Ortund Spin) der beiden Elektronen zu den Indices (1,2) zusammengefasst. Dies berücksichtigt nicht dasPauliprinzip, nach dem der Zustand der beiden Elek-tronen unter Vertauschung ihrer Koordinaten anti-symmetrisch sein müsste.

Den Hamiltonoperator des Systems sei H . Er ent-hält neben der kinetischen Energie die Coulomb-Wechselwirkung mit beiden Atomkernen. Eine voll-ständige Analyse des molekularen Hamiltonopera-tors ist sehr aufwändig. Für ein qualitatives Ver-ständnis genügt jedoch eine relativ einfache Be-schreibung. Dafür wird die Eigenfunktion Y desgesamten Hamiltonoperators benötigt, wobei nichtdie explizite Darstellung des Hamiltonoperators ver-

wendet wird, sondern lediglich die (unbekannten)Matrixelemente in der Basis der Grundzustands-Eigenfunktionen der einzelnen Atome.

9.4.4 Zustandsenergie

Als Ansatz für die Berechnung der EigenfunktionY eines einzelnen Elektrons im Molekül verwendetman eine Linearkombination der beiden atomarenZustände:

Y = cAYA + cBYB.

Die beiden Basisfunktionen sind für endliche Ab-stände nicht orthogonal, sondern besitzen ein end-liches Überlappintegral

S = hYA|YBi.

S ist ein Maß für die Stärke der Wechselwirkungzwischen den beiden Atomen: je näher die Atomezusammen liegen, desto größer ist der Überlapp zwi-schen den beiden Orbitalen. Aufgrund der Normie-rung ist S < 1. Die Energie E des Zustandes Y ist

E =hY|H |Yi

hY|Yi

=c2

AHAA + c2BHBB +2cAcBHAB

c2A + c2

B +2cAcBS, (9.3)

wobei die Koeffizienten cA, cB und die Matrixele-mente HAB = HBA als reell angenommen wurden.Die Matrixelemente sind

Hxy = hYx|H |Yyi.

Das Überlappintegral S wurde ebenfalls als reell an-genommen.

Erweitern von Gleichung (9.3) mit dem Nenner derrechten Seite ergibt

E (c2A + c2

B +2cAcBS)

= c2AHAA + c2

BHBB +2cAcBHAB.

Diese Gleichung erlaubt es, die Energie zu mini-mieren und so den Eigenzustand zu finden. Ableitennach cA ergibt

∂∂cA

= cA(HAA �E )+ cB(HAB �E S) = 0.

372

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Die Ableitung nach cB ergibt entsprechend

∂∂cB

= cA(HAB �E S)+ cB(HBB �E ) = 0.

Da die beiden Atome identisch sind, muss HAA =HBB sein. Damit können die beiden Gleichungen inMatrixschreibweise geschrieben werden:

✓HAA �E HAB �E SHAB �E S HAA �E

◆✓cAcB

◆=

✓00

◆.

Damit dieses Gleichungssystem lösbar ist, muss dieDeterminante

(HAA �E )2 � (HAB �E S)2 = 0

verschwinden. Dies ergibt eine Gleichung für dieEnergie

E 2(1�S2)�2E (HAA +HABS)

+H 2AA �H 2

AB = 0.

Die Lösungen dieser quadratischen Gleichung sind

E =(HAA � HABS) ±

p(HAA � HABS)2 � (H2

AA � H2AB)(1 � S2)

1 � S2

=(HAA � HABS) ±

pH2

AA + H2ABS2 � 2HAAHABS � H2

AA + H2AB + H2

AAS2 � H2ABS2

1 � S2

=(HAA � HABS) ± (HAB � HAAS)

1 � S2

=(HAA ⌥ HAB)(1 ± S)

1 � S2

oder

Es,a =HAA ⌥HAB

1⌥S.

9.4.5 Molekülorbitale

Die zugehörigen Eigenfunktionen, welche die mög-lichen Zustände eines Elektrons im Molekül be-schreiben, sind

Ys =YA +YBp

2(1+S)

Ya =YA �YBp

2(1�S),

d.h. die symmetrische und antisymmetrische Linear-kombination der beiden Atomorbitale.

Die Energie Es des symmetrischen Zustandes ist ge-genüber der Energie HAA der Atomorbitale um einenBetrag abgesenkt, der vom WechselwirkungstermHAB und dem Überlappintegral S abhängt. Die Ener-gie Ea des antisymmetrischen Zustandes liegt dage-gen höher, um einen Betrag der von den gleichen Pa-rametern abhängt.

EA

EA

EB

Es

Energie

Abbildung 9.40: Energie der Orbitale im H2-Molekül.

Die Wechselwirkung zwischen den beiden Atomenführt also zu einer Aufspaltung der Energiezustände,die ohne Wechselwirkung entartet sind. Das symme-trische Molekülorbital Ys liegt energetisch unterhalbder Atomorbitale, die antisymmetrische Linearkom-bination Yas oberhalb. Wie im Atom kann jedes die-ser Molekülorbitale mit maximal zwei Elektronenmit entgegengesetztem Spin besetzt werden. Offen-sichtlich weist das neutrale Wasserstoffmolekül, beidem das tiefer liegende Orbital Ys von zwei Elektro-nen besetzt wird, die stabilste Konfiguration auf.

�A

�B

�s

�as

Abbildung 9.41: Molekülorbitale im H2-Molekül.

Beim symmetrischen Molekülorbital Ys werden diebeiden Atomorbitale mit dem gleichen Vorzeichenaddiert. Es entsteht deshalb zwischen den beiden

373

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Atomen eine positive Interferenz und die Elektro-nendichte steigt in diesem Gebiet. Das antibinden-de Orbital Ya hingegen weist zwischen den beidenKernen eine Knotenebene auf; in dieser Ebene ver-schwindet die Elektronendichte. Treten mehr als 2Atome in Wechselwirkung, so ergeben sich weitereAufspaltungen.

9.4.6 Kovalente Bindung

74 pm Bindungslänge

H HAbstand zu kurz

H H

Abstand zu lang

H H

Kern-Kern Abstand in a0 = 0.53 Å

Ener

gie

in R

y (1

3.6

eV)

Abbildung 9.42: Energie der Molekülorbitale imH2-Molekül als Funktion des Ab-standes.

Das Überlappintegral und damit die Stärke derWechselwirkung nimmt mit abnehmendem Abstandzu. Die Energie des antisymmetrischen Orbitals liegtfür alle Abstände über der Energie der Atomorbitale.Bringt man das Molekül in diesen Zustand, so kanndas System immer Energie gewinnen, indem die bei-den Atome sich voneinander entfernen - es fliegt so-mit auseinander. Man nennt dieses Orbital deshalbantibindend.

Im Gegensatz dazu liegt die Energie des symmetri-schen Molekülorbitals für einen großen Abstandsbe-reich unterhalb der Energie der freien Atome. Be-findet sich das Atom in diesem Zustand, so müssteEnergie aufgebracht werden, um die Atome vonein-ander zu trennen; sie bleiben deshalb aneinander ge-bunden. Erst wenn der Abstand unter den Gleich-gewichtswert fällt, führt die Abstoßung zwischenden Kernen (und ev. zwischen den geschlossenen

Schalen) zu einer zusätzlichen abstoßenden Wech-selwirkung, so dass die Gesamtenergie wieder an-steigt. Das Energieminimum entspricht dem Gleich-gewichtsabstand.

Insgesamt kann das System seine Energie erniedri-gen, wenn jedes der beiden Atome ein Elektron zurBindung beiträgt. Solche Bindungen werden als ko-valente Bindungen bezeichnet. Innerhalb von Mole-külen werden die Atome durch kovalente Bindun-gen zusammengehalten. Sind es mehr als 2 Elektro-nen (z.B. bei gefüllten Schalen, wie den Edelgasen),so müssen auch antibindende Orbitale belegt wer-den. Dadurch erhöht sich die Gesamtenergie und ei-ne Bindung findet nicht statt.

Kovalente Bindungen sind für alle Moleküle diewichtigste Wechselwirkung. Bei den meisten Mole-külen arrangieren sich die Atome so, dass sie ihreElektronen so teilen, dass jedes Atom lokal die Kon-figuration eines Edelgasatoms annimmt. Dies bedeu-tet z.B. beim Kohlenstoff, welcher vier Elektronen inder äußersten Schale besitzt, dass er bevorzugt viereinfache Bindungen eingeht und dadurch auf insge-samt 8 Elektronen kommt. Sauerstoff benötigt noch2 Elektronen, Wasserstoff eines.

9.4.7 Polare Bindungen

A

B

�s

Ort

Ort�a

Energie

Abbildung 9.43: Energie und Form der Molekülor-bitale in einem polaren Molekül.

Die obige Diskussion ging aus von der Annahme,dass es sich um zwei identische Atome handelt. Ko-valente Bindungen können aber auch bei ungleichen

374

Page 20: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Partnern entstehen. In diesem Fall sind auch die Ko-effizienten cA und cB der Atomorbitale bei der Kom-bination zu Molekülorbitalen

Ys = cAYA + cBYB

(und analog für Ya) nicht mehr vom gleichen Be-trag, wie Abb. 9.43 zeigt. Das tiefer liegende Orbi-tal ist dominiert durch das energetisch tiefer liegendeAtomorbital. Ist nur das bindende Orbital besetzt, istdementsprechend die Elektronendichte ist auf die-sem Atom konzentriert. Beim antibindenden Orbi-tal ist der größte Teil der Elektronendichte auf demenergetisch höher liegenden Atom, wie in Abb. 9.43gezeigt.

Abbildung 9.44: Ladungsverteilung im Wassermo-lekül: negative Ladungsdichte istblau, positive grün.

Abb. 9.44 zeigt als Beispiel die Ladungsverteilung ineinem Wassermolekül. In der O-H Bindung werdendie Bindungselektronen näher zum Sauerstoff ver-schoben. Dieser erhält dadurch eine partiell negativeLadung, die Wasserstoffatome eine positive Partial-ladung.

Abbildung 9.45: Verlauf der Elektronegativität imPeriodensystem.

Elektronegativität ist ein relatives Maß für die Kraft,mit der ein Atom ein gemeinsames Elektron an sich

bindet und damit ein Maß für die Asymmetrie beipolaren Bindungen. Sie ist für kleine Atome aufder rechten Seite des Periodensystems am höchsten(Bsp. : Fluor 3,98), während große Atome mit nurwenigen Elektronen in der äußersten Schale (Bsp:Cs 0,79) diese leichter abgeben. Je nach Differenzder Elektronegativitäten kann dieser Transfer voll-ständig sein (siehe auch Kapitel 9.4.12). Dies ent-spricht dem Fall der ionischen Bindung. 2 Beispiele:

Wasser : cO � cH = 3,44-2,2 = 1,24

! polare kovalenteBindung

NaCl : cCl � cNa = 3,16-0,93 = 2,23

! ionische kovalenteBindung

9.4.8 Van der Waals Bindung

Atome oder Moleküle können aber auch eine bin-dende Wechselwirkung eingehen, bei der keineElektronen transferiert werden. Dies geschieht im-mer dann, wenn die Bausteine schon gefüllte Elek-tronenschalen aufweisen, sodass keine Elektronenzur Verfügung stehen, welche geteilt werden könn-ten und dadurch eine Bindung erzeugen könnten.Diese Art der Wechselwirkungen tritt auch in rea-len (van der Waals-) Gasen auf und wird als van derWaals Wechselwirkung, London-Wechselwirkungoder induzierte Dipol-Dipol Wechselwirkung be-zeichnet. Sie kann so verstanden werden, dass diebeiden Atome gegenseitig Dipole induzieren, wel-che sich anziehen. Allerdings handelt es sich nichtum statische Dipole. In einem klassischen Bild (dasnotwendigerweise unvollständig ist) müssten dieAtome oszillierende Dipolmomente besitzen. Wenndiese in Phase oszillieren, stellt sich insgesamt eineanziehende Wechselwirkung ein.

Um zu verstehen, wie die van der Waals Wechselwir-kung zustande kommt, kann man das einfache elek-trostatische Modell betrachten, welches in Abb. 9.46dargestellt ist. Zwei Atome bestehen aus jeweils ei-nem Kern und einer Elektronenhülle, die sich ge-genüber dem Kern verschieben kann. Die elektro-statische Anziehung zwischen Kern und Elektronen-hülle stellt eine rücktreibende Kraft dar, welche zu

375

Page 21: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

R

~x1 ~x2

Abbildung 9.46: Schwingung benachbarter Atome.

einer oszillatorischen Bewegung führt. Die Schwin-gungsfrequenz entspricht einer optischen Resonanzmit Frequenz w0. Der Abstand zwischen den beidenAtomen sei R und die Auslenkungen der Elektronen-hülle aus der Ruhelage seien x1 und x2. In guter Nä-herung können die Positionen der Kerne als konstantbetrachtet werden.

9.4.9 Wechselwirkung

Die anziehende Wechselwirkung zwischen den bei-den Systemen entsteht, wenn man zusätzlich dieCoulomb-Wechselwirkungen zwischen Kern undElektronenhülle des ersten Systems mit den Kom-ponenten des zweiten Systems berücksichtigt:

q2

4pe0

1R

+1

R� x1 + x2� 1

R� x1� 1

R+ x2.

Hier ist die Ladung des Kerns +q und diejenigeder Elektronenhülle –q. Die beiden ersten (positiven)Terme stellen die Abstoßung zwischen den Kernenund zwischen den Elektronen dar, die beiden nega-tiven Terme die Anziehung zwischen der Elektro-nenhülle des einen Atoms und dem Kern des andernAtoms. Offenbar sind alle vier Terme von der Grö-ßenordnung

q2

4pe0R.

Um zu verstehen, ob die abstoßende oder anziehen-de Wechselwirkung dominiert, entwickelt man die-sen Ausdruck für kleine Auslenkungen, x1,x2 ⌧ R.Dazu verwendet man sinnvollerweise eine dimensi-onslose Schreibweise:

q2

4pe0R

1+

11� x1

R + x2R

� 11� x1

R� 1

1+ x2R

�.

In erster Ordnung, d.h. für 1/(1+e) ⇡ 1�e , mit e =x1,2/R, verschwindet der Ausdruck in der Klammer.In zweiter Ordnung, d.h. mit

11+ e

⇡ 1� e + e2

erhält man

H1 ⇡ q2

4pe0R1

R2

⇥(x1 � x2)

2 � x21 � x2

2⇤

= � q2

2pe0

x1x2

R3 . (9.4)

Offenbar ist der Kopplungsterm proportional zumProdukt x1x2 der beiden Auslenkungen. Er ist ne-gativ, d.h. anziehend, wenn die beiden Auslenkun-gen das gleiche Vorzeichen haben, d.h. wenn beideElektronenhüllen in die gleiche Richtung verscho-ben sind.

9.4.10 Eigenmoden

Der gesamte Hamiltonoperator ist die Summe

H = H0 +H1

des ungestörten Systems H0 und des Kopplungs-terms H1. Die Eigenwerte dieses Operators, d.h. dieEnergien des Systems, erhält man durch Verwen-dung von symmetrieangepassten Koordinaten

xs =1p2(x1 + x2) xa =

1p2(x1 � x2),

wobei s und a für symmetrische und antisymmetri-sche Linearkombination stehen. In diesen Koordina-ten sind

x1 =1p2(xs + xa) x2 =

1p2(xs � xa).

In dieser Form besteht der Hamiltonoperator auszwei unabhängigen Termen, welche jeweils einenharmonischen Oszillator darstellen. Der eine ent-hält die Variablen xs und ps, der andere xa und pa.Beim symmetrischen Term ist die Kraftkonstante re-duziert, beim antisymmetrischen erhöht. Die beiden

376

Page 22: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Terme besitzen deshalb unterschiedliche Frequen-zen. Das System spaltet somit auf, wie bei gekop-pelten klassischen Pendeln. Die beiden Eigenmodenhaben die Frequenzen

w =

sCm

✓1± q2

2pe0R3C

◆.

Mit Hilfe der Taylor-Reihe

p1± x = 1± x

2� x2

8+ . . .

erhalten wir für x = q2/(2pe0R3C) in zweiter Ord-nung die Näherung

w ⇡ w0

"1± 1

2q2

2pe0R3C� 1

8

✓q2

2pe0R3C

◆2#

.

Ener

gie

�0

R → ∞

Aufspaltung

1. Ordnung 2. Ordnung

Verschiebung

Abbildung 9.47: Energieverschiebung durch dieKopplung.

Offenbar sind die Frequenzen der beiden Eigenmo-den leicht verschoben. Die Verschiebung erster Ord-nung ist für die beiden Frequenzen entgegengesetzt,die Verschiebung zweiter Ordnung ist für beide zukleineren Frequenzen.

9.4.11 Das Lennard-Jones Potenzial

Die bindende Wechselwirkung kommt dadurch zu-stande, dass der Zustand niedrigster Energie, also derSchwingungs-Grundzustand, nicht die Energie 0 be-sitzt, sondern hw/2 (pro Freiheitsgrad). Die Energiedes Gesamtsystems ist somit

h2(ws +wa) = hw0

"1� 1

8

✓q2

2pe0R3C

◆2#

.

Diese ist etwas geringer als die Grundzustandsener-gie hw0 der beiden getrennten Atome, zwar um denBeitrag zweiter Ordnung

DU = �hw018

✓q2

2pe0R3C

◆2

= � AR6 . (9.5)

Da diese Energie mit abnehmendem Abstand im Be-trag zunimmt, stellt dies einen bindenden Beitragzur gesamten Energie des Systems dar. Die anzie-hende Wechselwirkung ist indirekt proportional zursechsten Potenz des Abstandes. Da es sich um eineÄnderung der Nullpunktenergie handelt, sollte die-ser induzierte Dipol nicht als schwingender Dipolverstanden werden. Offensichtlich verschwindet dieWechselwirkung im statischen Grenzfall (w0 ! 0),wie auch im klassischen Grenzfall (h ! 0).

Die Wechselwirkung (9.5) ergibt mit abnehmendemAbstand eine immer stärkere Bindung µ R�6. Es exi-stieren jedoch auch abstoßende Kräfte, welche beigeringen Abständen dominieren. Ein wichtiger Bei-trag kommt dazu, wenn sich die Elektronendichte-verteilungen zweier Atome mit gefüllten Elektro-nenschalen überlappen: dann muss auf Grund desPauli-Prinzips eines der beiden Elektronenpaare inein höher gelegenes Orbital ausweichen. Weil dafüreine hohe Energie aufgebracht werden muss, ent-spricht dies einer starken abstoßenden Wechselwir-kung. Empirisch hat man für Edelgase ein Potenzi-al gefunden, das etwa mit R�12 von der Distanz Rabhängt. Das gesamte Potenzial für die Wechselwir-kung zwischen zwei Atomen mit gefüllten Orbitalenkann damit geschrieben werden als

U(R) = 4e⇣s

R

⌘12�

⇣sR

⌘6�.

-1

0

1

R/�

U

�⇣ �

R

⌘6

⇣ �

R

⌘12

1,21,0 1,4 1,6 1,8

Abbildung 9.48: Abstandsabhängigkeit der Energi-en im Lennard-Jones Potenzial.

Dieses Potenzial ist als Lennard-Jones Potenzial be-kannt. Die genaue Form sollte nicht als Naturgesetz

377

Page 23: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

betrachtet werden. Sie bildet jedoch die folgendenwichtigen Punkte ab:

• Bei großen Abständen ist die Energie propor-tional to R�6.

• Bei kurzen Distanzen ist das Potenzial stark ab-stoßend.

• Der Parameter s bestimmt die Distanz, bei derdas Potenzial zwischen anziehend und absto-ßend wechselt, während e die Stärke der Wech-selwirkung skaliert. Beide Parameter können inder Gasphase gemessen werden.

Dieses Potenzial beschreibt qualitativ korrekt dieWechselwirkung zwischen Edelgas-Atomen undapolaren Molekülen. Typische Bindungsenergienliegen im Bereich 0,01 .. 0.1 eV und typische Gleich-gewichtsabstände bei ~4 Å. Damit sind sie deutlichschwächer als z.B. die kovalente Bindung. Die vander Waals Wechselwirkung spielt jedoch eine wich-tige Rolle bei der Kondensation von Molekülen zuFlüssigkeiten oder Festkörpern, oder auch als anzie-hende Wechselwirkung zwischen biologischen Mo-lekülen.

9.4.12 Metallische und ionische Bindung

Van der Waals Ionisch

Metallisch Kovalent

18+ 18+ 18+ 18+18- 18- 18- 18-

18+ 18+ 18+ 18+18- 18- 18- 18-

17+ 19+ 17+ 19+18- 18- 18- 18-

19+ 17+ 19+ 17+18- 18- 18- 18-

19+ 19+ 19+ 19+18- 18- 18- 18-

19+ 19+ 19+ 19+18- 18- 18- 18-

6+ 6+ 6+ 6+

6+ 6+ 6+ 6+

Abbildung 9.49: Schematische Darstellung vonAtomrümpfen und Valenzelektro-nen für unterschiedliche Bindungs-typen. Die Zahlen beziehen sichauf Ar, KCl, K und Diamant.

In Metallen sind die Valenzelektronen weitgehenddelokalisiert und können sich frei durch den gesam-

ten Kristall bewegen. Typische Metalle zeigen des-halb eine hohe elektrische Leitfähigkeit. Die Bin-dung kann im Wesentlichen so verstanden werden,dass die Delokalisierung der Elektronen ihre kineti-sche Energie erniedrigt. Die Bindung ist, im Gegen-satz zur kovalenten Bindung, nicht gerichtet, so dassdie Metalle häufig in dichtester Kugelpackung kri-stallisieren.

Die metallische Bindung ist schwächer als die ko-valente oder ionische Bindung. Alkalimetalle habendeshalb einen relativ niedrigen Schmelz- und Siede-punkt, da hier lediglich die metallische Bindung eineRolle spielt. Bei den Übergangsmetallen hingegentragen auch die nur teilweise gefüllten d-Orbitale zurBindung bei. Deren Beitrag ist eher kovalenter Naturund ergibt deshalb eine sehr viel stärkere Bindungund dementsprechend höhere Schmelzpunkte.

Die hier diskutierte Klassifizierung von Bindungsty-pen ist hilfreich. Wirkliche Materialien lassen sichaber selten exakt einer dieser Kategorien zuordnen.Stattdessen tragen im allgemeinen unterschiedlicheBindungsarten bei, wie das Beispiel der Übergangs-metalle zeigt: hier spielen kovalente wie auch metal-lische Bindung eine Rolle.

Δ (Elektronegativität)

% io

nisc

her C

hara

kter

IBrHBr HCl

HFLiI

LBr

KIKBr

NaCl

KCl

CsCl

LiFKF

CsF

0

25

50

75

100

Abbildung 9.50: Elektronegativität und ionischerCharakter.

Auch zwischen kovalenter und ionischer Bindungfindet man alle Übergangsformen. So kann man beibinären Verbindungen einen kontinuierlichen Über-gang von kovalenter zu ionischer Bindung beobach-ten (siehe Abb. 9.50). Der relevante Parameter ist dieDifferenz der Elektronegativitäten der beiden Part-

378

Page 24: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

ner. Elemente wie z.B. Si, Ge sind naturgemäß nichtionisch gebunden, aber Alkalihalogenide sind prak-tisch ideale ionische Verbindungen. Als Beispiel istRbF 96% ionisch.

9.4.13 Wasserstoffbrücken

Wasserstoffatome gehen in bestimmten Verbindun-gen eine besondere Art von Bindungen ein. Mit sei-nem einzelnen Elektron kann es nicht nur mit einemPartner eine kovalente Bindung eingehen. Statt des-sen geht es eine sehr stark polare Bindung ein, beider das Elektron größtenteils an den stärker elek-tronegativen Partner (F, O oder N) abgegeben wird,während das verbleibende Proton sich gleichzeitigan ein weiteres Atom bindet, welches ein freies Elek-tronenpaar aufweist.

OrtPotenzial

Abbildung 9.51: Typische Form des Potenzials fürein Wasserstoffatom in einer Was-serstoffbrücke.

Diese Art der Bindung wird als Wasserstoffbrückebezeichnet. Wasserstoffkerne (=Protonen) könnensolche Bindungen leichter eingehen als andere Ker-ne, da ihr geringes Gewicht sie beweglicher machtund da sie keine Rumpfelektronen besitzen. Wie inAbb. 9.51 gezeigt, existieren häufig zwei Potenzial-minima für den Wasserstoffkern.

kovalent

H-Brücken

Abbildung 9.52: Wasserstoffbrücken in Eis.

H-Brücken sind sehr wichtig für die besondere

Struktur von Eis oder die hohe Verdampfungswär-me von Wasser. Die Wasserstoffbrücken führen da-zu, dass ein Sauerstoff tetraedrisch von vier Was-serstoffatomen umgeben ist, wobei zwei der Bin-dungen lang sind (=H-Brücken), zwei kurz (=kova-lent). Die Wasserstoffatome befinden sich in einem(meist asymmetrischen) Doppelminimumpotenzialund können leicht von einem zum anderen Sau-erstoff wechseln. Wasserstoffbrücken werden danngebildet, wenn der Wasserstoff an einen Sauerstoffoder einen Stickstoff gebunden ist und sich ein wei-teres Sauerstoff oder Stickstoffatom mit einem freienElektronenpaar in der Nähe befindet.

9.4.14 Bedeutung von H-Brücken

Die Wasserstoffbrücken sind für die hohen Schmelz-und Siedepunkte von Wasser verantwortlich: Bei ei-nem Molekulargewicht von 18 siedet Wasser bei+100�C. Als Vergleich kann man Neon betrachten,welches ein Atomgewicht von 20 aufweist und bei�246�C verdampft.

Wasserstoffbrücken spielen auch in der Biologie ei-ne große Rolle. So werden z.B. die beiden Strän-ge des DNS-Moleküls durch Wasserstoffbrücken zu-sammengehalten. Wie in Abb. 9.53 gezeigt, kann dasBasenpaar Guanin/Cytosin 3 Wasserstoffbrückenbilden, das Basenpaar Adenin/Thymin nur zwei.Dies ist ein wesentlicher Grund für die Ausbildungder Paare. Auch bei der Proteinfaltung spielen Was-serstoffbrücken eine wichtige Rolle.

Wasserstoffbrücken sind stark orientiert: die Bin-dungsenergie ist maximal wenn die drei beteilig-ten Atome (z.B. N-H-O) auf einer Linie sind, d.h.wenn der Bindungswinkel beim Wasserstoff ⇡ 180�

beträgt. Dies ist wichtig für die Wechselwirkungvon Molekülen, z.B. zwischen Substrat und Enzymoder zwischen Antigen und Antikörper, welche nachden “Schlüssel-Schloss” Prinzip funktioniert, wie inAbb. 9.54 gezeigt.

379

Page 25: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Thymin Adenin

Cytosin Guanin

Abbildung 9.53: Wasserstoffbrücken in DNA Mole-külen.

9.5 Kristalline Festkörper

9.5.1 Symmetrie

In kristallinen Festkörpern werden Atome nicht nurdurch kovalente Wechselwirkungen zusammenge-halten, sondern auch durch ionische oder metalle-ne Bindungen. Der wichtigste Unterschied zu Mo-lekülen liegt jedoch darin, dass die Struktur einesKristalls nicht nur durch die Paar-Wechselwirkungbestimmt wird, sondern durch die Minimierung derGesamtenergie des Systems. Wir müssen deshalbnicht nur einzelne Paare betrachten, sondern auchdas Gesamtsystem. Zum Glück findet man, dasssich die Eigenschaften des Gitters in vielen Fällenauf die Paarwechselwirkungen zurückführen lassen.Dies gilt insbesondere bei der van der Waals und beider ionischen Bindung, nicht jedoch bei der metalli-schen Bindung.

Seitenketten

Seitenketten

Substrat

H-BrückenEnzym

Abbildung 9.54: Gerichtete H-Brücken in der mole-kularen Erkennung.

GaGa bevorzugt tetraedrische Umgebung aus As

As bevorzugt tetraedrische Umgebung aus Ga

Abbildung 9.55: Translationssymmetrie als Folgevon lokalen Wechselwirkungen.

Viele Festkörper besitzen im Zustand niedrigsterEnergie eine Translationssymmetrie: verschiebt manalle Bestandteile um bestimmte Vektoren (die so-genannten Gittervektoren), so wird jedes Atom aufein identisches Atom abgebildet. Wie in Abb. 9.55gezeigt, kann man dies als Konsequenz der lokalenWechselwirkungen jedes Atoms betrachten. Aus derTranslationssymmetrie ergeben sich wichtige Eigen-schaften und ihre Berücksichtigung erleichtert dietheoretische Behandlung sehr stark.

Bei Metallen kann man die Gitterenergie nicht inPaarwechselwirkungen zerlegen. Sie werden des-halb hier nicht diskutiert. Ebenfalls nicht diskutiertwerden hier kovalent gebundene Kristalle. DerenGitterenergie ist vom Betrag her vergleichbar mitderjenigen von ionischen Kristallen. Während die io-nischen Kristalle möglichst dicht gepackt sind, fin-det man bei kovalenten Kristallen offenere Struk-turen, damit die ausgeprägte Richtungsabhängigkeitder kovalenten Bindung befriedigt werden kann.

380

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

9.5.2 Van der Waals

Für Festkörper, bei denen die Van der Waals Wech-selwirkung dominiert, erhält man die Gitterenergie,indem man über alle Paarwechselwirkungen sum-miert. Die Stärke der Wechselwirkung

Ui j(R) = 4e⇣s

R

⌘12�

⇣sR

⌘6�

fällt mit der sechsten, respektive zwölften Potenz desAbstandes ab, sodass hauptsächlich die Wechselwir-kung zwischen nächsten Nachbarn eine Rolle spielt.

a

Abbildung 9.56: Nächste Nachbarn im fcc Gitter.

Abbildung 9.56 zeigt als Beispiel eine sogenann-te kubisch flächenzentrierte (fcc)Struktur. Hier bil-den die Atome ein kubisches Gitter, wobei sich zu-sätzlich im Zentrum jeder Würfelfläche ein wei-teres Atom befindet. Damit besitzt jedes Atom12 nächste Nachbarn im Abstand a/

p2 (4 in

jeder der drei rot markierten Ebenen von Abb.9.56). Von der Stelle (0,0,0) aus sind diesdie Positionen (±1/2,±1/2,0), (±1/2,0,±1/2),(0,±1/2,±1/2). In der zweiten Schale mit Ab-stand a befinden sich 6 Nachbarn an den Positionen(±100) , (0,±1,0), (0,0,±1).

Für die Berechnung der Gitterenergie schreiben wirfür Ri j = pi ja, so dass pi j den Abstand in Einheitendes Abstandes R zwischen nächsten Nachbarn dar-stellt. Für die nächsten Nachbarn ist damit die anzie-hende Wechselwirkungsenergie µ 12/R6 und für diezweitnächsten Nachbarn µ 6/(

p2R)6 = 6/(8R)6.

Eine Summierung über alle Paarwechselwirkungen

ergibt für diese Struktur

Âj

1R6

i j=

1R6 Â

j

1p6

i j

=1

R6

12+

68

+2427

+1216

+8

216

+48

343+

6512

+ . . .

=1

R6 14,45.

Analog erhält man

Âj

1R12

i j=

1R12 12,13.

Bei der abstoßenden Wechselwirkung spielen so-mit praktisch nur die nächsten Nachbarn eine Rol-le, während bei der anziehenden Wechselwirkungauch etwas entferntere Schalen eine Rolle spielen.Die Gesamtenergie wird damit

U(R) =12 Â

i jUi j(Ri j)

= 2Ne

12,13⇣s

R

⌘12�14,45

⇣sR

⌘6�,

wobei N die Anzahl der Gitteratome darstellt.

9.5.3 Gleichgewichtsabstand

1,0 1,5 2,0 2,5R/�

6

4

2

0

-2

-4

Gitt

eren

ergi

e / 2

N�

Abbildung 9.57: Gitterenergie als Funktion des Ab-standes.

Die Gitterenergie verhält sich als Funktion des Ab-standes zwischen nächsten Nachbarn qualitativ iden-tisch zur Paar-Wechselwirkung. Allerdings sind die

381

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Achsen durch die Gittersumme umskaliert und dasMinimum leicht verschoben worden.

Den Gleichgewichtsabstand R0 erhält man aus derMinimierung der Gitterenergie bezüglich des Ab-standes:

dUdR

����R0

= 0

= �2Ne

12 ·12,13s12

R13 �6 ·14,45s6

R7

�.

Somit muss der Ausdruck in eckigen Klammern ver-schwinden:

145,56s6 = 86,7R60.

Dies entspricht einem Gleichgewichtsabstand R0 =1,09s . Da sich der Parameter s aus Messungen inder Gasphase bestimmen lässt, kann diese Vorhersa-ge experimentell überprüft werden. Tatsächlich lie-gen die Gitterkonstanten für alle Edelgase im Be-reich zwischen 1.09 s und 1.14 s .

Indem man diesen Gleichgewichtsabstand in das Po-tenzial einsetzt, erhält man die Bindungsenergie U =�8,6Ne . Die Energieskala e kann man wiederumaus Messdaten der Gasphase entnehmen, aber auchaus Messungen am Festkörper, z.B. über die Kom-pressibilität

k = � 1V

∂V∂ p

.

Dabei ändert sich die Energie bei einer Volumenän-derung um

dU = �pdV.

Daraus folgt

∂ p∂V

= �∂ 2U∂V 2

und

1k

= V∂ 2U∂V 2 .

Bei dieser Rechnung ist die Nullpunktenergie derBewegung der Atome noch nicht berücksichtigt,welche insbesondere bei den leichten Atomen einesignifikante Reduktion der Bindungsenergie von biszu 28% ergeben.

9.5.4 Ionische Bindung

Im Falle der ionischen Bindung gehen wir aus vonder Paarwechselwirkung

Ui j = le�pi jR/r +1

4pe0

qiq j

pi jR.

Der erste Term ist positiv und wirkt somit absto-ßend, während der zweite Term je nach Vorzeichender Ladungen positive und negative Beiträge enthält.Da der Abstoßungsterm exponentiell mit der Di-stanz abfällt, kann er für alle Paare außer den näch-sten Nachbarn vernachlässigt werden. Dieser Teilder Gittersumme wird damit für das i-te Ion

Ui = zle�R/r ,

wobei z die Zahl der nächsten Nachbarn beschreibt.

Beim Coulomb Term schreiben wir die Summe als

UC = � 14pe0

ae2

R,

wobei die Madelung-Konstante6

a = �Âj

qiq j

pi j

eine Summe über alle Atome des Gitters darstellt.qi, j sind jetzt die Ladungen in Einheiten der Ele-mentarladung. Die Summe hängt nur von den rela-tiven Koordinaten pi j ab und kann deshalb für einenbestimmten Gittertyp berechnet werden, unabhängigdavon, durch welche Atome dieses Gitter gebildetwird. Unterschiedliche Substanzen, welche im glei-chen Gittertyp kristallisieren, besitzen somit die glei-che Madelung-Konstante. Die Unterschiede in derGitterenergie sind (in dieser Näherung) lediglich aufdie unterschiedlichen Abstände R zurückzuführen.

Die Gitterkonstante a, resp. der Abstand R wird be-stimmt durch die Minimierung der Energie bezüg-lich R. Der Gleichgewichtsabstand R0 ist bestimmtdurch

∂U∂R

����R0

= 0 = �zl e�R0/r

r+a 1

4pe0

e2

R20

6Nach Erwin Madelung (1881 - 1972).

382

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

oder

zl4pe0R20e�R0/r = rae2.

Diese Gleichung kann man nach dem Gleichge-wichtsabstand R0 auflösen. Wir können daraus auchden exponentiellen Term aus der Abstoßungsenergieausrechnen:

zle�R0/r =rae2

zl4pe0R20

= �UCrR0

.

Damit erhalten wir auch die Gesamtenergie:

Utot = � Nae2

4pe0R0(1� r

R0).

Die Energie ist somit proportional zur Madelung-Konstante, und diese muss positiv sein, damit dasGitter stabil ist.

9.5.5 Berechnung derMadelung-Konstanten

+ - + - + -

a=R

Abbildung 9.58: Berechnung der Madelung-Kon-stanten für einen eindimensionalenKristall.

Im eindimensionalen Fall kann die Madelung-Konstante relativ einfach berechnet werden. Wirsummieren über eine alternierende Kette mit kon-stantem Abstand und erhalten

a = 2(1� 12

+13

� 14

. . .).

Für die Berechnung der Summe kann man die Rei-henentwicklung

ln(1+ x) = x� x2

2+

x3

3� x4

4+ . . .

verwenden und erhält

a = 2 ln2

Abbildung 9.59: Struktur von Kochsalz.

In drei Dimensionen ist die analytische Berechnungder Summe im Allgemeinen sehr schwierig.

Wir betrachten als Beispiel zunächst das Natrium-chlorid (Kochsalz), dessen Struktur in Abb. 9.59 dar-gestellt ist. Wir können entweder ein Na+ oder einCl�-Ion als Referenz benutzen und wählen Na+. Je-des Na+ Ion ist von 6 Cl� Ionen in oktaedrischerAnordnung umgeben, wobei der Abstand die Hälfteder Gitterkonstante beträgt.

Schale ±pij # Nachbarn Yi1pij

1 +1 6 62 - 2 12 -2.493 + 3 8 2.134 -2 6 -0.875 + 5 24 9.876 - 6 24 0.077 - 8 12 -4.178 +3 30 5.83

Abbildung 9.60: Beiträge der Schalen zur Made-lung-Konstanten.

Die erste Schale steuert somit einen Beitrag 6 zurMadelung-Konstante bei. Die zweitnächsten Nach-barn sind wieder Na+ Ionen: 12 sitzen im

p2-fachen

Abstand. Bis zu dieser Koordinationshülle gerech-net ist die Madelung-Konstante deshalb 6-12/

p2 ⇡

�2,49. Die nächsten beiden Hüllen bestehen aus 8Cl� Ionen im Abstand

p3 und 6 Na Ionen im Ab-

stand 2. Die Konvergenz ist offenbar sehr langsam.

Eine etwas bessere Konvergenz erhält man durchAufsummieren über die Beiträge von entgegenge-setzten Ionenpaaren. Auch hier muss man jedoch

383

Page 29: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

1.8

1.75

1.7

1.65

1.6

1.7476

# Ionenpaare10000 20000

Abbildung 9.61: Konvergenz bei der Berechnungder Madelung-Konstanten.

über viele Tausend Ionenpaare summieren, bis dieSchwankungen gering werden. Generell sind die Ab-weichungen bei der Berechnung von Energien endli-cher Kristalle physikalisch leicht interpretierbar: sieentsprechen der Energie von Oberflächenladungen.

Diese Technik kann man verfeinern und anstelle vonIonenpaaren andere neutrale Einheiten aufsummie-ren, welche die Oberflächenladungen verkleinern.Der Vorteil bei der Verwendung von neutralen Ein-heiten liegt darin, dass deren Potenzial eine kürze-re Reichweite hat, so dass die Konvergenz schnellerist. Eine weitere Methode ist diejenige von Ewald,bei der man kurzreichweitige Beiträge im direk-ten Raum aufsummiert, langreichweitige im rezipro-ken Raum. Dort erscheinen langreichweitige, d.h.langsam variierende Beiträge, in der Nähe des Ur-sprungs, so dass die Integrationsgrenzen eng gesetztwerden können.

Für unterschiedliche Gittertypen erhält man die Wer-te

Kristall NaCl ZnS CsCl CaF2

a 1,7476 1,6381 1,7627 5,0388.

9.6 Elektronen im Festkörper

Metalle zeichnen sich dadurch aus, dass Elektro-nen in diesen Materialien eine sehr hohe Beweg-lichkeit besitzen. Sie sind somit nicht an einzelneAtomrümpfe gebunden. Dies kann man mit Hilfe derQuantenmechanik verstehen. Ein erstes Modell istjedoch etwas älter als die Quantenmechanik.

9.6.1 Das klassische Drude-Modell

Die klassische Theorie entstand drei Jahre nachder Entdeckung des Elektrons durch J.J. Thomson(1897). Im 19. Jh. hatte die kinetische Gastheorieeine befriedigende Erklärung für viele bekannte Ef-fekte im Bereich der Thermodynamik geliefert. Diesmag ein Motiv gewesen sein dafür, dass Drude 7

die Elektronen in einem Metall als Gas modellierte[4, 5]. Seine Annahme war, dass die äußersten Elek-tronen jedes Atoms sich im Metall praktisch frei be-wegen können. Zu diesen Leitungselektronen tragendie Atome, welche das Gitter bilden normalerweiseein oder zwei Elektronen bei. Diese Elektronen sindim gesamten Kristall frei beweglich, wobei die posi-tiv geladenen Atomrümpfe ein Potenzial bilden.

+ + + + +

+ + + + +

+ + + + +

Atomrümpfe:- klein- statisch-

--

-

Valenzelektronen:- ballistische Bewegung- kurze Stöße

Abbildung 9.62: Das Drude-Modell des freien Elek-tronengases.

Nach Drude verhalten sich diese Elektronen ähnlichwie ungeladene Teilchen in einem klassischen Gas:

• Die Atomrümpfe sind klein und statisch.

• Die Elektronen sollen eine freie Weglänge zwi-schen Stößen haben, welche vielen Gitterkon-stanten entspricht.

7Paul Karl Ludwig Drude (1863 – 1906)

384

Page 30: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

• Zwischen den Stößen ist die Bewegung frei,d.h. unabhängig von den anderen Elektronen(unabhängige Elektronen) und von den Atom-rümpfen (freie Elektronen). Sind äußere Feldervorhanden, so beeinflussen diese die Bewegungwie in der Mechanik diskutiert.

• Stöße finden im Drude-Modell vor allem mitden Ionenrümpfen statt; Stöße zwischen Elek-tronen sind sehr selten. Die Stöße werden alskurz angenommen und die Geschwindigkeit derElektronen nach dem Stoß ist unabhängig vonder Geschwindigkeit vor dem Stoß, sondernwird durch die Temperatur des Kristalls be-stimmt.

Mit Hilfe dieses einfachen klassischen Modells kön-nen unterschiedliche Aspekte der Phänomenolo-gie von Metallen erklärt werden. Beispiele dafürsind die Herleitung der qualitativen Aspekte desOhm’schen Gesetzes, oder die Beziehung zwischenelektrischer und thermischer Leitfähigkeit. Wir dis-kutieren diese Resultate jedoch nicht im Rahmen desklassischen Modells, sondern erst nach der Einfüh-rung des quantenmechanischen Modells.

Element Z n (1022/cm3) r (Å)Li (78 K) 1 4.70 1.72Na (5K) 1 2.65 2.08K (5K) 1 1.40 2.57Be 2 24.7 0.99Mg 2 8.61 1.41Al 3 18.1 1.1Ga 3 15.4 1.16

Abbildung 9.63: Dichte ndes Elektronengases fürverschiedene Elemente.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Elek-tronengas eines Metalls und einem echten Gas istdie Dichte: Im Vergleich zu einem echten Gas istdie Dichte des Elektronengases um rund einen Fak-tor 1000 größer: Pro Leitungselektron steht lediglichein Volumen zur Verfügung das etwa einem Atom-volumen entspricht. Für ein Atom mit Radius 2 Åerhält man ein Volumen von ca. 3 ·10�29m3, entspre-chend einer Teilchendichte von 3 ·1028m�3. Dies isteine typische Größenordnung (ca. 1�20 ·1028m�3).

Die positiv geladenen Atomrümpfe sind relativ kleinund füllen lediglich einen kleinen Teil des Raumes.

Bei Natrium umfasst das Volumen der Atomrümp-fe rund 15 % des gesamten Festkörpervolumens; beiEdelmetallen wie Ag, Au steigt der Anteil. Sie sindaber sehr viel schwerer als die Elektronen und blei-ben unbeweglich auf ihren Plätzen.

Behandelt man das Elektronengas rein klassisch, ge-langt man aber an Grenzen, ab denen ein wirklichesVerständnis nur mit Hilfe der Quantenmechanik er-reicht werden kann. Zu den qualitativen Unterschie-den zwischen den Voraussagen der klassischen undder quantenmechanischen Theorie gehört die Be-rechnung der Stöße, die ein Elektron bei der Durch-querung des Kristalls erleidet. Im klassischen Bildwürde man eine große Anzahl Stöße mit den Gittera-tomen erwarten. Experimentell findet man, dass dieDistanz, über die sich die Elektronen frei bewegenkönnen, von der Qualität des Kristalls abhängt, so-wie von der Temperatur. Während in gewöhnlichenMetallen bei Raumtemperatur (z.B. Kupferdrähte)die Elektronen nach wenigen Gitterperioden gestreutwerden und sich deshalb insgesamt diffusionsartigbewegen, kann bei tiefen Temperaturen und gutenKristallen die mittlere freie Weglänge größer als dieKristalldimension werden. Aus experimentellen Da-ten ist bekannt, dass die freie Weglänge bis zu ei-nem Zentimeter betragen kann. In diesem Fall be-wegt sich somit das Elektron ohne Streuung durchrund 108 atomare Lagen; offenbar breiten sie sichdann ballistisch aus, also ohne Streuung im Kristall.

Weitere experimentelle Befunde, die mit demDrude-Modell nicht erklärt werden konnten, wa-ren die Temperaturabhängigkeit der elektrischenund thermischen Leitfähigkeit. Außerdem sollten ineinem idealen Gas die Elektronen einen Beitrag3/2RT zur spezifischen Wärme liefern; der experi-mentell beobachtete Beitrag ist um rund 2 Größen-ordnungen kleiner.

Ein besonders wichtiger Punkt ist eine Aussagedarüber, welche Festkörper metallischen Charakterhaben (hohe elektrische Leitfähigkeit) und welcheHalbleiter oder Isolatoren sind. Ein klassisches Mo-dell, welches (teilweise) erklären kann, welche Ele-mente metallischen Charakter haben, wurde 1927durch Herzfeld vorgeschlagen8. Ein wirkliches Ver-

8Phys. Rev. 29, 701-705

385

Page 31: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

ständnis ist jedoch nur im Rahmen einer quantenme-chanischen Behandlung möglich.

9.6.2 Das Sommerfeld-Modell

Die wichtigsten Beschränkungen des Drude Modellskönnen dadurch überwunden werden, dass man dieElektronen als quantenmechanische Teilchen, d.h.als Teilchen mit Wellencharakter behandelt. Ein ent-sprechendes Modell wurde 1928 von Sommerfeldvorgeschlagen, kurz nach der Entdeckung des Pauli-Prinzips. Damit gelang es, die wichtigsten Inkonsi-stenzen des Drude-Modells aufzulösen.

Ein Festkörper umfasst rund 1020 miteinander wech-selwirkende Teilchen. Natürlich ist die exakte Be-handlung eines solchen Systems nicht möglich. Wirmüssen deshalb zunächst einige drastische Vereinfa-chungen durchführen: wir lassen Wechselwirkungenzwischen den Elektronen wie auch von Kernen zuElektronen vorläufig vollständig weg und betrach-ten zunächst nur freie und unabhängige Elektronen.Ihre Zustände sind somit auch nur Einelektronen-Zustände, die wir auch als Orbitale bezeichnen.

Ort x

Ener

gie

E Metall

VakuumVakuum

Abbildung 9.64: Potenzial für Elektronen imSommerfeld-Modell.

Damit brauchen wir lediglich freie Elektronen in ei-nem (unendlich ausgedehnten) Kristall zu betrach-ten. Die Ränder des Kristalls sind Potenzialwände.Als Eigenzustände solcher freier Elektronen kannman bekanntlich ebene Wellen verwenden; diesesind allerdings im gesamten Raum nicht normier-bar. Man kann zu normierbaren Funktionen gelan-gen, indem man periodische Randbedingungen ein-führt. Die entsprechende Periode, welche groß ge-gen die Gitterkonstante sein sollte, kann anschlie-ßend gegen Unendlich geführt werden.

Die Atomrümpfe bilden ein Hintergrundpotenzial.Sie bestehen aus den Kernen plus den stark gebun-denen Elektronen in den gefüllten Schalten. Je nachMetall sind diese Rümpfe relativ klein und weit von-einander entfernt, oder sie berühren sich und bildenteilweise kovalente Bindungen.

Das Sommerfeld’sche Modell der freien Elektronenpasst am besten auf die Alkalimetalle. Hier entspre-chen die Atomrümpfe den abgeschlossenen Schalenmit Edelgaskonfiguration, das eine Valenzelektronim s-Orbital ist das freie Elektron, welches ein Lei-tungsband mit s-Charakter bildet.

Abbildung 9.65: Aufbau des Planeten Jupiter.

Wasserstoff, das leichteste und häufigste Elementdes Universums, gehört zur gleichen Gruppe des Pe-riodensystems wie die Alkaliatome. Gemäß theo-retischen Vorhersagen sollte es bei hohen Drückenmetallisch werden. Versuche, im Labor Wasserstoffin die metallische Form zu bringen, haben jedochbisher keine eindeutigen Resultate geliefert. Theo-retische Vorhersagen gehen davon aus, dass dafürDrücke im Bereich von 500 GPa (5 · 106 atm) not-wendig sind. Solche Drücke im Labor zu erzeu-gen ist schwierig. Es gibt jedoch Hinweise, dassauf dem Jupiter, welcher zu einem wesentlichen Teilaus Wasserstoff besteht, der Druck auf Grund derSchwerkraft hoch genug ist, um metallischen Was-serstoff zu erzeugen.

386

Page 32: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

9.6.3 Das Teilchen im Potenzialtopf

Um die quantenmechanischen Zustandsfunktionender Elektronen im Kristall zu bestimmen, rekapi-tulieren wir zunächst das Problem eines Teilchensin einem eindimensionalen Potenzialtopf. Man führtzunächst Randbedingungen ein, welche in erster Li-nie dazu dienen, die Zustände zu normieren und dieZustandsdichte zu berechnen.

x

V

0 L1

4

9

h=2L

h=L

h=2L/3

Abbildung 9.66: Eindimensionaler Potentialtopf.

Das Potenzial verschwindet auf der Strecke [0,L]und ist unendlich hoch außerhalb. Der Hamiltonope-rator dieses Systems beinhaltet im Bereich [0,L] le-diglich die kinetische Energie

H =p2

2m= � h2

2md2

dx2 .

Die Eigenfunktionen dieses Operators sind die ebe-nen Wellen

Yk = eikx

oder

Yk = a sinkx+b coskx

und die Eigenwerte sind

Ek =h2k2

2m=

p2

2m.

Der Hamiltonoperator ist nur gültig für 0 < x < L.

Wir berücksichtigen das Potenzial über die Randbe-dingung und verlangen, dass Y(0) = Y(L) = 0. Da-mit erhalten wir als Lösungen

Yn = A sin⇣

np xL

und

En =h2

2m

⇣npL

⌘2.

Wenn sich mehrere Elektronen in diesem Potenzialbefinden und wir deren elektrostatische Wechselwir-kung zunächst vernachlässigen, so kann gemäß demAusschließungsprinzip von Pauli jeder dieser Zu-stände mit zwei Elektronen mit entgegen gesetztemSpin besetzt werden. Das Gesamtsystem ist demnachim Grundzustand wenn die niedrigsten N/2 Zustän-de mit jeweils 2 Elektronen besetzt sind.

9.6.4 Drei Raumdimensionen

In Kristallen entspricht der Potenzialtopf der Rand-bedingung, dass die Elektronen sich innerhalb desKristalls befinden müssen. Wir berücksichtigen dieswiederum über periodische Randbedingungen

Y(x,y,z) = Y(x+L,y,z) = Y(x,y+L,z)= Y(x,y,z+L),

wobei L groß gegenüber einer Einheitszelle sein soll.

Im dreidimensionalen Raum lautet der Hamilton-operator für ein freies Elektron

H = � h2

2m

✓d2

dx2 +d2

dy2 +d2

dz2

◆.

Elektronen in einem Potenzialtopf mit KantenlängeL haben dann die Zustände

Yn = Asin✓

2pL

nxx◆

sin✓

2pL

nyy◆

sin✓

2pL

nzz◆

und Energien

En =h2k2

2m=

h2

2m�k2

x + k2y + k2

z�

=h2

2m

✓2pL

◆2 �n2

x +n2y +n2

z�. (9.6)

Der Impuls der Elektronen ist somit

~p =1

Lh

0

@nxnynz

1

A . (9.7)

387

Page 33: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Da wir uns hier in einem endlichen Bereich (mit Vo-lumen L3) befinden, sind diese Zustände normierbarund die möglichen Werte des Impulses diskret. DieEnergie steigt proportional zum Quadrat des Impul-ses.

9.6.5 Fermi-Energie

Wir untersuchen nun die Frage, welche dieser Zu-stände besetzt sind.

2ʌ/L

k

E

EFZustände leer

N Zustände besetzt

Fermi Energie

Abbildung 9.67: Links: Zustände im k-Raum;rechts: Besetzung der Zustände beiT = 0.

Da wir periodische Randbedingungen angenommenhaben, ist der Impulsraum diskret, mit Einheitszel-len der Seitenlänge 2p/L. Das Volumen pro Zustandbeträgt somit im k-Raum (2p/L)3.

Am absoluten Nullpunkt besetzen N Elektronen dieN/2 energetisch niedrigsten Zustände. Da die Ener-gie (im Rahmen dieses Modells) nur vom Betragdes Impulses abhängt, bilden diese Zustände im Im-pulsraum eine Kugel mit Radius kF und Volumenk3

F4p/3. Die Anzahl der Zustände in dieser Kugel,d.h. die Zahl der besetzten Zustände, muss der Zahlder Elektronen entsprechen. Da Elektronen einenSpin ½ besitzen, unterliegen sie der Fermi-Dirac Sta-tistik und jeder räumliche Zustand kann maximalvon 2 Elektronen mit entgegengesetztem Spin be-setzt sein. Die Zahl der Zustände innerhalb der Fer-mikugel erhält man, indem ihr Volumen durch dasVolumen pro Zustand dividiert. Die Zahl N der Elek-tronen ist dann das doppelte:

N = 24p3 k3

F� 2pL

�3 =V k3

F3p2 . (9.8)

Bei N Elektronen muss damit der Radius der Kugel

kF =3

r3p2N

V

sein. Die entsprechende Energie beträgt

EF =h2

2m

✓3p2N

V

◆ 23

(9.9)

und wird als Fermi-Energie bezeichnet. Die Fermi-Energie ist somit die Energie der Elektronen imhöchsten besetzten Einelektronenzustand. In derFermi Energie tritt die Anzahl Elektronen und dasVolumen nicht mehr unabhängig auf, sondern siehängt lediglich von der Dichte N/V der Elektronenab. Damit muss die Fermienergie mit der Dichte derElektronen zunehmen.

Abbildung 9.68: Beispiele von Fermi-Energien.

Abb. 9.68 zeigt, dass die experimentellen Werte diesbestätigen. Typische Größenordnungen für die Elek-tronenzahldichte liegen bei 1029 m�3, für die Fermi-energie bei 10 eV.

Häufig parametrisiert man die Fermi-Energie auchüber die Temperatur:

kBTF = EF .

Typische Werte für die Fermi-Temperatur liegen bei105 K, also bei Temperaturen weit oberhalb desSchmelzpunktes. Somit ist T ⌧ TF immer eine sehrgute Näherung.

Wenn wir den Impuls der Elektronen in eineGeschwindigkeit umrechnen, erhalten wir für dieGeschwindigkeit der Elektronen an der Fermi-Oberfläche

vF =hkF

m=

hm

3

r3p2N

V.

Typische Werte liegen im Bereich von 106 m/s, alsobei 0.003 c. Allerdings sollte man dies nicht mit ei-nem entsprechend schnellen Massentransport asso-ziieren.

388

Page 34: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Insgesamt ist die kinetische Energie der Leitungs-elektronen deutlich niedriger, als die entsprechendekinetische Energie in einem isolierten Atom. DieseAbsenkung der kinetischen Energie ist im Wesentli-chen für die metallische Bindung verantwortlich.

9.6.6 Die Fermi-Dirac Verteilung

Die Fermi-Energie bezeichnet die höchste Energieeines besetzten Zustandes im Grundzustand des Sy-stems, also bei der Temperatur T = 0 K. Bei end-licher Temperatur ändert sich die Besetzungswahr-scheinlichkeit. Sie ist gegeben durch die Fermi-Dirac Statistik, welche für Fermionen gilt, also fürTeilchen, welche dem Pauli-Prinzip unterliegen. Siekann geschrieben werden als

f Ni =

1e(ei�µ)/kBT +1

.

Hier ist ei die Energie des Zustandes und

µ =∂U∂N

das chemische Potenzial, also die Energieänderung,welche durch Hinzufügen eines Elektrons zustan-de kommt. Der Term +1 im Nenner stellt sicher,dass die Funktion nicht größer als 1 wird, dass alsokein Zustand mehr als einmal besetzt werden kann.Die Bose-Einstein Statistik, welche die Besetzungs-wahrscheinlichkeit für Bosonen beschreibt, unter-scheidet sich durch ein Minus an dieser Stelle. Indiesem Fall kann die Besetzungswahrscheinlichkeitsehr groß werden. Bei tiefen Temperaturen konden-sieren Bosonen deshalb alle in den Grundzustand.Solche Phänomene sind für kollektive Quantenphä-nomene verantwortlich, wie z.B. Supraleitung, Su-prafluidität oder Bose-Einstein Kondensation.

Da die Fermi-Temperatur sehr viel höher ist als dieRaumtemperatur und für niedrige Temperaturen µ ⇡kBTF , gilt meistens T ⌧ µkB. Wir betrachten die fol-genden Grenzfälle:

a) ei ! 0 : Die Exponentialfunktion geht gegen nullund f N

i ! 1.

b) ei � µ: Die Exponentialfunktion wird groß ge-gen 1 und f N

i ! e�(ei�µ)/kBT . In diesem Bereich nä-hert sich die Fermi-Dirac Verteilung der Boltzmann-Verteilung an und fällt exponentiell gegen Null ab.

kBT = µ

kBT = µ/10

�i/µEnergie

f iBe

setzun

gswah

rsch

einlichk

eit

0,0 0,5 1,00,0

0,5

1,0fN

i =1

e(�i�µ)/kBT + 1kBT =

µ

100

Abbildung 9.69: Fermi-Dirac Besetzungswahr-scheinlichkeit bei verschiedenenTemperaturen.

Bei der Temperatur 0 K beschreibt sie einen abrup-ten Übergang von der 1 nach 0 an der Fermikante.Bei höheren Temperaturen wird Population aus derNähe der Fermikante in energetisch höhere Zuständeverschoben, wie in Abb. 9.69 gezeigt. Die Breite die-ses Übergangsbereiches ist von der GrößenordnungkBT . Das Zentrum des Übergang wird durch das che-mische Potenzial µ bestimmt, welches am absolutenNullpunkt der Fermienergie entspricht.

9.6.7 Leitfähigkeit

Die Fähigkeit, elektrischen Strom zu leiten, gehörtzu den charakteristischen Eigenschaften der Metal-le. Sowohl die klassische Drude-Theorie wie auchdie quantenmechanische Theorie bieten einen An-satz für die Erklärung dieses Phänomens. Wir disku-tieren hier einen halbklassische Beschreibung, d.h.wir verwenden klassische Bewegungsgleichungen,berücksichtigen aber die Fermi-Dirac Verteilung.

Elektrischer Strom wird durch die freien Elektronengetragen. Deren Reaktion auf das angelegte elek-trische Feld bestimmt deshalb die Beziehung zwi-schen Strom und Spannung, welche im Rahmen die-ser Theorie mit dem Ohm’schen Gesetz überein-stimmt. Die meisten freien Elektronen bewegen sichmit einer relativ hohen Geschwindigkeit; die Fer-migeschwindigkeit liegt bei rund 106 m/s. Da dieVerteilung der Geschwindigkeiten ohne ein äußeres

389

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Feld isotrop ist, findet jedoch netto kein Ladungs-transport statt.

Perfekte Metalle können prinzipiell Strom leitenauch wenn kein elektrisches Feld anliegt. Reale Me-talle weisen jedoch immer einen endlichen Wider-stand auf – mit Ausnahme der Supraleiter, welchenicht als normale Metalle beschrieben werden kön-nen und in einem späteren Kapitel noch behandeltwerden.

Werden äußere Felder an ein Metall angelegt, sobewirken diese auf die Elektronen eine zusätzlicheKraft

~F = md~vdt

= hd~kdt

= �e~E. (9.10)

Das Resultat ist somit eine lineare Zunahme des Im-pulses:

~k(t)�~k(0) = �e~Et/h.

Diese Beschleunigung hält an bis die Elektroneneinen Stoß ausführen. Bei einem Stoß wird kineti-sche Energie vom Elektron auf das Gitter übertragen.Im Rahmen dieses Modells wird dabei angenom-men, dass die Geschwindigkeit des Elektrons ther-malisiert wird, d.h. sie kehrt zur Fermi-Dirac Ver-teilung zurück. Wenn die Thermalisierung im Mitteleine Zeit t beansprucht, erreichen die Elektronen imMittel einen Impuls, der sich um

d~k = �e~Eth

vom thermischen Gleichgewicht unterscheidet. DieFermikugel im k-Raum wird somit um diesen Betraggegenüber dem Ursprung verschoben.

Da die Geschwindigkeit der Elektronen direkt pro-portional zum k-Vektor ist,

~v =h~km

= �e~Etm

,

können wir daraus die Stromdichte berechnen:

~j = n(�e)~v = ne2t~E/m.

Hier stellt n die Anzahl Leitungselektronen pro Vo-lumeneinheit dar. Der Strom ist somit proportional

E

Fermikugel bei E=0

kF

Fermikugel bei E>0

kx

ky

Abbildung 9.70: Verschobene Fermikugel im elek-trischen Feld.

zur Feldstärke, wie im Ohm’schen Gesetz. Die Pro-portionalitätskonstante ist die spezifische elektrischeLeitfähigkeit

s = ne2 tm

; [s ] =1

Wm. (9.11)

390

Page 36: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Metalle

Halbmetalle1022

1020

1018

1016

1014

Ladungsträgerdichtecm

3

Ge (rein)

BiGraphit

SbAs

K, NaCu

Halbleiter

Abbildung 9.71: Größenordnung der Ladungsträger-dichten.

9.7 Bänder

9.7.1 Probleme des Modells freierElektronen

Im Modell der freien Elektronen werden Wechsel-wirkungen zwischen Valenzelektronen und Atom-rümpfen vollständig vernachlässigt. Dies ist auch inden meisten Fällen eine gute Näherung. Sie hat al-lerdings auch ihre Grenzen. Die wichtigsten Diskre-panzen zwischen der Näherung der freien Elektro-nen und der experimentellen Wirklichkeit sind:

• Elektrische Leitfähigkeit. Experimentell beob-achtet man vor allem drei Klassen von Materialien,die sich qualitativ unterscheiden: Metalle, Halblei-ter, und Isolatoren. Bei Isolatoren ist die elektrischeLeitfähigkeit sehr klein, der spezifische Widerstandbeträgt typischerweise mehr als 1012 Wm. Die unter-schiedliche Leitfähigkeit verschiedener Materialienkann direkt auf die Ladungsträgerdichte zurückge-führt werden. Diese variiert zwischen Isolatoren undMetallen um mehr als 10 Größenordnungen. DasModell der freien Elektronen sagt voraus, dass dieZustandsdichte mit der Wurzel aus der Energie zu-nimmt,

dN(E )

dE=

p2V m3/2

p2h3

pE .

Dies gibt keinen Hinweis darauf, dass die Zahl frei-er Elektronen in einem Material 10 Größenordnun-

gen höher liegt, als in einem anderen oder darüber,weshalb ein Teil der Elektronen frei ist, andere abergebunden.

Metalle

Temperatur

log(Leitfäh

igkeit)

Halbleiter

Abbildung 9.72: Temperaturabhängigkeit der Leit-fähigkeit von Metallen und Halb-leitern.

Halbleiter verhalten sich am absoluten Nullpunktwie Isolatoren, doch ihre Leitfähigkeit nimmt mitsteigender Temperatur zu. Bei Metallen ist die Leit-fähigkeit bei allen Temperaturen hoch, nimmt abermit steigender Temperatur ab. Offenbar ist die Som-merfeld’sche Theorie nur auf Metalle anwendbar.

Hal

l-Wid

erst

and

log (Magnetfeld)

Abbildung 9.73: Magnetfeldabhängigkeit des Hall-Widerstandes in Aluminium.

• Hall-Widerstand: Gemäß dem Modell der freienElektronen sollte der Hall-Koeffizient RH = �1/nesein, unabhängig von Temperatur, Magnetfeld etc.In vielen Metallen findet man jedoch Abweichun-gen, welche von Temperatur und Magnetfeldstärkeabhängen. Teilweise unterscheiden sich berechneteund experimentelle Werte um Faktoren im Bereich1-10.

• Anisotropie: Die elektrische Leitfähigkeit ist in ei-nigen Metallen von der Richtung abhängig. Dies istim Rahmen des Modell freier Elektronen nicht er-

391

Page 37: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

klärbar, da dort keine bevorzugten Richtungen exi-stieren: Die Fermikugel ist isotrop.

9.7.2 Das periodische Potenzial

Alle diese Unterschiede können letztlich auf dieWechselwirkung der Elektronen mit dem periodi-schen Potenzial U(~r) erklärt werden, welches dieAtomrümpfe (Kerne plus stark gebundene Elektro-nen) erzeugen. Diese bricht die vollständige Trans-lationssymmetrie, so dass der Impuls der Elektronenkeine Erhaltungsgröße mehr ist.

Wie üblich beschränken wir uns auf ideale Kristalle.Hier ist das effektive Potenzial periodisch,

U(~r +~T ) = U(~r),

wenn ~T ein Vektor des Gitters ist.

Wir diskutieren den Effekt dieses Potenzials in stö-rungstheoretischer Näherung und machen die übli-chen idealisierenden Annahmen (keine Kristallfeh-ler, Fremdatome etc.). Wir verwenden weiterhin dieNäherung, dass die Elektronen unabhängig vonein-ander betrachtet werden können, d.h. wir berechnennur Zustandsfunktionen und Energien für einzelneElektronen. Die Wechselwirkung mit den übrigenElektronen erfolgt nur über ein effektives Potenzial.

lokalisierteElektronen

eikx

freie Elektronen

H = p2

2m

kinetische Energie dominiert

potenzielle Energie dominiert

quasi-freie Elektronen

Abbildung 9.74: Freie, gestörte und lokalisierteElektronen.

Die Berücksichtigung des periodischen Potenzialsstellt eine Interpolation zwischen zwei Grenzfällendar: Das eine Extrem ist das System freier Elektro-nen. Hier ist der Hamiltonoperator eine Funktion desImpulsoperators und die Eigenfunktionen des Ha-miltonoperators dementsprechend die Eigenfunktio-nen des Impulsoperators. Das andere Extrem ist das-

jenige isolierter Atome. Hier dominiert die potenzi-elle Energie über die kinetische und die Eigenfunk-tionen des Hamiltonoperators sind deshalb lokali-siert. Ein wirklicher Kristall befindet sich zwischendiesen beiden Extremen: Die kinetische Energie för-dert die Delokalisierung, die potenzielle Energie derAtomrümpfe eine Lokalisierung. Da die beiden Ope-ratoren für Potenzial (d.h. der Ortsoperator) und ki-netische Energie (d.h. Impulsoperator) nicht mitein-ander vertauschen, [Hkin,V ] 6= 0, sind die Eigen-funktionen weder durch diejenigen des freien Elek-trons, noch durch diejenigen der vollständig gebun-denen Elektronen gegeben.

Die wirkliche Situation liegt also zwischen diesenbeiden Extremen. Man nähert sich dieser Situationentweder vom Modell der freien Elektronen, was indiesem Kapitel geschehen soll, oder von der Seiteder lokalisierten Elektronen, was z.B. bei der “star-ken Lokalisierung” gemacht wird, also bei Systemenmit relativ stark gebundenen Elektronen. Geht manvon dieser Seite aus, so kann man die Zustände desBandes durch Linearkombination aus Atomorbita-len erzeugen (LCAO-Methode), ähnlich wie in Kap.9.4.5 für Molekülorbitale diskutiert.

9.7.3 Eigenfunktionen im periodischenPotenzial

Unter Berücksichtigung des periodischen Potenzialssind die Eigenfunktionen nicht mehr die harmoni-schen ebenen Wellen. Die allgemeine Form, welchediese besitzen, wird durch ein Theorem von FelixBloch bestimmt: Die Zustandsfunktion Y~k(~r) kannals Produkt

Y~k(~r) = u~k(~r)ei~k·~r

geschrieben werden, wobei u~k(~r) die gleiche Peri-odizität hat wie das Potenzial,

u~k(~r +~T ) = u~k(~r),

und ~T einen Gittervektor darstellt. Diese wird miteiner ebenen Welle ei~k·~r multipliziert.

Abb. 9.75 zeigt ein Beispiel einer Blochfunktion:oben die ebene Welle, in der Mitte die periodischeFunktion, und unten das Produkt.

392

Page 38: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

a

��k(~r) = u�k(~r)ei�k·�r

Abbildung 9.75: Blochfunktion und ihre Bestandtei-le. Die blauen Kugeln sind Atom-rümpfe.

Die Funktion u~k(~r), welche die ebene Welle modu-liert, stellt die Korrektur gegenüber den freien Elek-tronen dar, wo diese Funktion als konstant angenom-men wurde. Sie stellt die Lösung einer Schrödinger-gleichung für eine primitive Einheitszelle dar. Wiebei Atomen existiert eine unendliche Reihe solcherLösungen, welche mit einem Index bezeichnet wer-den kann, der in der Folge ein elektronisches Bandkennzeichnen wird. Der Wellenvektor~k kann immerso gewählt werden, dass die Wellenlänge l größerist als zwei Gitterkonstanten, l > 2a. Eine äquiva-lente Formulierung des Bloch’schen Theorems ist

Y~k(~r +~T ) = ei~k·~T Y~k(~r),

d.h. bei einer Translation um einen Gittervektor än-dert sich der Zustand nur um einen Faktor mit Betrageins.

9.7.4 Zonenrand

Eine Näherungslösung für den Fall eines endlichenPotenzials lässt sich finden, wenn das Potenzial Uklein ist im Vergleich zur kinetischen Energie desElektrons an der Zonengrenze, d.h. bei ~k = ~G/2.Hier ist ~G ein Vektor des reziproken Gitters. EinWellenvektor~k = ~G/2 entspricht einer Wellenlänge,die doppelt so groß ist wie die entsprechende Gitter-periode.

Die Energie eines freien Elektrons ist

lk =h2k2

2m.

Dann lautet die Bedingung für die Gültigkeit der fol-genden Rechnung U ⌧ lk. In dieser Näherung kannman zeigen, dass das periodische Potenzial nur Zu-stände aneinander koppelt, deren Wellenvektor sichum einen Vektor des reziproken Gitters unterschei-den und die gleiche Energie haben. Dies ist z.B. derFall für Zustände mit den Wellenvektoren~k = ±~G/2an der Zonengrenze. Die folgende Rechnung beziehtsich deshalb auf diese beiden Zustände.

Für diese beiden Zustände kann man eine Eigenwert-Gleichungen aufstellen:

(lk �E )C(~G/2)+U C(�~G/2) = 0(lk�G �E )C(�~G/2)+U C(~G/2) = 0.

Hier stellen C die Koeffizienten für die entsprechen-den Basisfunktionen dar, E die Energie und U dieAmplitude des Potenzials. Für eine Lösung mussdie Determinante verschwinden. An der Zonengren-ze gilt lk = lk�G = l und

(l �E )2 = U2

oder

E = l ±U =h2k2

2m±U.

Die Energien sind also um 2U aufgespalten.

Wenn wir nicht nur die Zustände direkt an der Zo-nengrenze betrachten, sondern in der Nähe, erhaltenwir aus der Eigenwertgleichung

(lk �E )C(~k)+U C(~k � ~G) = 0(lk�G �E )C(~k � ~G)+U C(~k) = 0.

Die Säkulargleichung wird dann

0 = (lk �E )(lk�G �E )�U2

= E 2 �E (lk�G +lk)+lklk�G �U2.

Diese Gleichung hat die beiden Lösungen

E =lk�G +lk

2± 1

2

q(lk�G �lk)2 +4U2.

393

Page 39: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Lücke= 2U

k

E

freie Elektro

nen

π/a

λzweites Band

erstes Band

Abbildung 9.76: Bandaufspaltung an der Zonen-grenze.

An der Zonengrenze, wo lk�G = lk, wird die Ener-gie der Eigenzustände um den Betrag U der potenzi-ellen Energie nach unten, respektive nach oben ver-schoben - die Aufspaltung beträgt somit 2U . Weitervon der Zonengrenze entfernt nähern sich die Ener-gien quadratisch mit dem Abstand den ungestörtenZuständen an. In der Nähe der Zonengrenze kannman die Näherung

E (±) = E1(±)+h2 (dk)2

2m

✓1± 2l

U

benutzen, mit

dk = k � 12

G

für die Differenz zwischen dem Wellenvektor undder Zonengrenze. E1 stellt die Energie an der Zo-nengrenze dar. Bei ~k = ±~G/2 erreicht die Energieein Maximum (respektive Minimum). Somit ist dieGruppengeschwindigkeit vg = dw/dk = 0: die Elek-tronen werden am periodischen Gitter reflektiert undbilden stehende Wellen.

9.7.5 Bandstruktur

Im Modell freier Elektronen hatten wir gesehen, dassdie Zustandsdichte mit der Wurzel aus der Energiezunimmt. Dies ist im periodischen Potenzial offen-bar nicht mehr der Fall.

An der Zonengrenze werden die beiden Bänder auf-gespalten, es entsteht ein Bereich der Energieachse,

0 k

E

0 D(E)

E

Abbildung 9.77: Dispersion und Zustandsdichte fürfreie Elektronen.

0 D(E)

E

Bandlücke

0 k

E

Abbildung 9.78: Dispersion und Zustandsdichte fürElektronen in Bändern.

welcher keine Zustände enthält. Man spricht von ei-ner Energielücke oder Bandlücke (engl. band gap).Im einfachsten Fall enthält jedes der beiden Bän-der 2N Zustände, wobei N die Anzahl Einheitszel-len darstellt und der Faktor 2 von der Spin-Entartungherrührt.

0 k

E

π/a

n=1 2N Zustände

n=2

Abbildung 9.79: In einem Band finden maximal 2NElektronen Platz.

Falls pro Einheitszelle ein Atom jeweils ein Elektronin dieses Band abgibt, so ist es genau halb gefüllt(n = 1 in Abb. 9.79). In diesem Bereich ist die Nä-

394

Page 40: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

herung freier Elektronen recht gut, weil die Fermi-Oberfläche relativ weit vom Zonenrand entfernt ist.

Umfasst die Einheitszelle ein zweiwertiges oderzwei einwertige Atome, d.h. stehen pro Einheitszel-le 2 freieElektronen zur Verfügung, so ist das ersteBand genau gefüllt. Die Fermi-Energie fällt dann ge-rade in eine Energielücke. In einem solchen Fall giltdie Theorie der Leitfähigkeit, welche für die freienElektronen diskutiert wurde, nicht mehr. Dort hattenwir gesehen, dass das externe Feld zu einer Ände-rung des Elektronenimpulses führt. Dies ist aber nurmöglich wenn entsprechende unbesetzte Impulszu-stände zur Verfügung stehen. In der Energielücke istdies nicht möglich. Ein vollständig besetztes Bandliefert deshalb keinen Beitrag zur Leitfähigkeit - we-der zur elektrischen noch zur thermischen.

Halbmetall0

E

Metall

EF

Isolator Halbleiter

Abbildung 9.80: Bandlücke und Besetzung für Me-tall, Isolator, Halbleiter und Halb-metall.

Daraus folgt die qualitative Unterscheidung der Ma-terialien in Metalle und Isolatoren: Bei Metallen istdie Fermioberfläche etwa in der Mitte des Bandes.Die Elektronen in der Nähe der Fermioberfläche sindin diesem Fall weit von der Zonengrenzen entferntund spüren deshalb den Einfluss des periodischenPotenzials kaum. Ein elektrisches Feld kann damitrelativ ungestört die Fermikugel verschieben und esfließt ein Strom.

Anders die Situation bei einem Isolator: Hier ist dieFermioberfläche zwischen zwei Bändern. Die Elek-tronen spüren deshalb das periodische Potenzial ma-ximal, sie werden aufgrund der Bragg Bedingungdaran reflektiert. Das Modell freier Elektronen isthier deshalb nicht anwendbar. Dies kann man auchso verstehen, dass in der Nähe der Fermioberflächekeine Impulszustände verfügbar sind, so dass äuße-re Felder den Impuls der Elektronen nicht verändern

können und somit kein Strom fließen kann.

395

Page 41: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Leitungsband

Valenzband

ThermischeAnregung

E

Eg

Abbildung 9.82: Thermische Anregung über dieBandlücke.

9.8 Halbleiter

9.8.1 Grundlagen

Bei Halbleitern und Isolatoren befindet sich die Fer-mienergie in der Mitte zwischen zwei Bändern.Halbleiter unterscheiden sich von Isolatoren da-durch, dass der Abstand zwischen den Bändern re-lativ klein ist, so dass freie Ladungsträger einerseitsdurch thermische Anregung, andererseits durch Ver-unreinigungen in der Nähe der Bandkante erzeugtwerden können. Daraus folgt, dass ein Isolator oderein Halbleiter, also Materialien bei denen die Fermi-energie in eine Bandlücke fällt, immer eine geradeAnzahl Elektronen in der primitiven Elementarzellehaben muss. Dies ist aber keine hinreichende Bedin-gung, da unterschiedliche Bänder nicht immer durcheine Energielücke voneinander getrennt sind.

Energie / eV0 1 2 3 4 5 6

Zust

ands

dich

te D

(E)

s-Band

d-Band

D(EF)

EF

Abbildung 9.81: Überlappende Bänder.

Überlappen mehrere Bänder, so können sie teilwei-se gefüllt sein und das Material kann elektrischen

Strom leiten.

Halbleiter sind Kristalle mit einer Bandlücke, d.h.ein Band ist vollständig gefüllt und das nächsthö-here ist leer. Das untere Band wird als Valenzbandbezeichnet, das obere als Leitungsband. Am absolu-ten Nullpunkt sind Halbleiter deshalb Isolatoren, d.h.sie leiten keinen Strom. Wir beschreiben die Halb-leiter im Folgenden mit Hilfe des Modells quasi-freier Elektronen, also Einelektronenzuständen, wel-che in unterschiedliche Bänder aufgespalten sind.Diese sind durch Bandlücken getrennt.

Abbildung 9.83: Struktur von GaAs.

Wie bereits diskutiert, müssen Halbleiter (wie Iso-latoren) immer eine gerade Anzahl Elektronen proElementarzelle besitzen. Diese Bedingung ist z.B.bei den Elementen der vierten Gruppe (C, Si, Ge,...) erfüllt. Diese sind typische Beispiele für elemen-tare Halbleiter. Ebenso ist die Bedingung erfüllt fürVerbindungen der Gruppen III und V des Perioden-systems wie GaAs, AlAs, GaN, oder InP, Verbindun-gen der Gruppen II und VI wie ZnS, CdTe. Die Bin-dung in diesen Materialien hat einen stark kovalen-ten Charakter.

Tetrazen

Abbildung 9.84: Tetrazen als organischer Halbleiter.

Auch organische Materialien können Halbleiterei-genschaften aufweisen. Abb. 9.84 zeigt als ein Bei-spiel Tetrazen. Diese Materialien werden erst seit

396

Page 42: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

wenigen Jahren untersucht, haben aber schon eineerhebliche Bedeutung, z.B. in der Form von orga-nischen Leuchtdioden (OLEDs), welche für Bild-schirme oder Beleuchtungen verwendet werden. Ge-genüber den klassischen Flüssigkristallbildschirmenbieten sie höheren Kontrast und geringeren Strom-verbrauch.

9.8.2 Ladungsträger-Statistik

Halbleiter haben die gleiche Bandstruktur wie Iso-latoren. Da die Bandlücke aber nur eine endlicheBreite hat, können bei endlichen Temperaturen ein-zelne Elektronen aus dem Valenzband ins Leitungs-band angeregt werden. Dabei entstehen beweglicheLadungsträger, und zwar sowohl im Leitungsband,wo die Elektronen sich bewegen können, wie auchim Valenzband, wo Zustände frei werden, so dass be-nachbarte Elektronen unter dem Einfluss eines elek-trischen Feldes ihren Impuls ändern können.

Die Anzahl der Elektronen, welche durch thermischeAnregung ins Leitungsband gelangen, ist gegebendurch die Zustandsdichte D(e) und die Besetzungs-wahrscheinlichkeit f (e):

Nc =Z •

0de D(e) f (e)

=Z •

0de D(e)

1e(e�µ)/kBT +1

.

Ist die thermische Energie klein im Vergleich mitder Bandlücke, kBT ⌧ e � µ , sind praktisch nur Zu-stände im Bereich des Leitungsband-Minimums be-setzt und die Gesamtzahl der Ladungsträger wirdproportional zum Boltzmannfaktor e�Eg/2kBT , wobeiEg die Bandlücke darstellt und wir angenommen ha-ben, dass das Ferminiveau in der Mitte der Band-lücke liegt. Eine etwas genauere Rechnung ergibteinen zusätzlichen Faktor T 3/2,

Nc µ T 3/2e�Eg/2kBT .

Die Dichte der Ladungsträger nimmt deshalb mit zu-nehmender Temperatur exponentiell zu. Je kleinerdie Bandlücke, desto rascher die Zunahme. Bei Ger-manium ist die Bandlücke kleiner als bei Silizium,

Ele

ktro

nenk

onze

ntra

tion

/ cm

-3

Ele

ktro

nenk

onze

ntra

tion

/ cm

-3

Temperatur / K Temperatur / K

Eg = 0.67 eV Eg = 1.14 eV

Ge Si

Abbildung 9.85: Temperaturabhängige Ladungsträ-gerdichte für Si und Ge.

deshalb ist die Zunahme rascher und die Leitfähig-keit bei Raumtemperatur um rund drei Größenord-nungen höher als bei Silizium. Beträgt die Band-lücke z.B. 4 eV so ist die Anregungswahrscheinlich-keit 10�35, d.h. praktisch null. Für eine Bandlückevon 0.25 eV hingegen beträgt der Boltzmannfaktorbei Raumtemperatur rund 1%, so dass die Ladungs-trägerdichte schon fast den Wert eines Metalls errei-chen kann.

Abbildung 9.86: Bandlücken der wichtigsten Halb-leitermaterialien.

Wie in Abb. 9.86 gezeigt, liegen die Bandlücken derwichtigsten Halbleitermaterialien im Bereich vonrund einem eV. Diamant hat eine wesentlich größereLücke und man findet deshalb erst bei Temperatu-ren von mehreren hundert Grad eine wesentliche Ei-genleitfähigkeit. Die Bandlücke hängt auch von derTemperatur ab, sie nimmt bei zunehmender Tempe-ratur ab. Dies ist u.a. eine Folge der Ausdehnung des

397

Page 43: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Kristalls und der dadurch abnehmenden Bindungs-stärke zwischen den Atomen.

9.8.3 Dotierung

Während bei Metallen die Leitfähigkeit abnimmtwenn das Material verunreinigt wird, ist bei Halblei-tern das Gegenteil der Fall. Auch kleine Verunreini-gungen können die Leitfähigkeit dramatisch verän-dern. Dabei werden Fremdatome eingebracht, wel-che mehr oder weniger Elektronen enthalten als dasWirtsmaterial. Die zusätzlichen, respektive fehlen-den Elektronen sind relativ gut beweglich und ste-hen als freie Ladungsträger im Leitungs- respektiveim Valenzband zur Verfügung.

Bei Silizium oder Germanium kann man z.B. Stick-stoff oder Phosphor (5 Elektronen in der äußerenSchalte) verwenden, um zusätzliche Elektronen ein-zubringen. Man spricht dann von n-Dotierung. Ver-wendet man Bor (3 Elektronen), so fehlt ein Elek-tron. Dies entspricht einem freien Platz im Valenz-band. Dieses verhält sich wie ein Ladungsträgermit positiver Ladung. Man spricht deshalb von p-Dotierung.

HALL COEFFICIENT OF ANTIMONY-DOPED GERMANIUM 73

I/Absolute Temperature ( FICJ. 1. Hall coefficient of antimony-doped germanium

(n-type) as a function of l/T.

slope of the corresponding resistivity curve. Some of the resistivity curves of this concentration range have an intermediate slope which decreases rapidly with increasing impurity concentration.

(iii) High concentration range

Only a few samples could be obtained with

FIG. 2. Resistivity of antimony-doped germanium (n-type) as a function of l/T.

No > 1017/cm3. Up to lOl*jcm5 bothp-type and n- type samples show a small Hall maximum and a rise of the resistivity near SOoK, but otherwise the samples show temperature-independent values of R and p down to 1~3°K.

No change of sign of the Hall coeflicient has ever been observed at the onset or in the tempera- ture range of impurity conduction. There is no reason to believe that such a sign change should occur for a random distribution of impurities.(rs) It should be pointed out, however, that the sudden drop of the Hall curves of the samples -7 to -15 at temperature below the Hall maximum can be ascribed to the conduction band carriers alone.(5) They carry a smaller and smaller fraction of the total current as the temperature is lowered. The Hall coefficient of impurity conduction must be

Spez

. Wid

erst

and

/ Ωcm

100/T [1/K]0 0.2 0.4 0.6 0.8

10-3

100

103

106

109

intrinsisch 1

25781012151718202122232425262729

0,530,931,62,33,05,28,51324354555547484120130270950

Konz.[1015cm-3]Pr

obe

Abbildung 9.87: Einfluss von Dotierung und Tem-peratur auf den spezifischen Wider-stand.

Abb. 9.87 zeigt die Ladungsträgerdichte von Ger-manium, das mit Antimon dotiert wurde9. Je höher

9H. Fritzsche, J. Phys. Chem. Solids, 6, 69 (1958).

die Konzentration der Verunreinigungen, desto hö-her die Ladungsträgerdichte. Bei einer Variation derDichte der Verunreinigungen um 3 Größenordnun-gen variiert der Widerstand um mehr als 10 Größen-ordnungen. Diese großen Unterschiede findet manallerdings nur bei niedrigen Temperaturen. Für höhe-re Temperaturen steigt die Leitfähigkeit in allen Fäl-len auf den gleichen Grenzwert an - man nennt die-sen den “intrinsischen” Wert, also die Leitfähigkeit,die das Material ohne Verunreinigungen aufweist.

9.8.4 Absorption von Licht

Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Leit-fähigkeit durch einfallendes Licht wesentlich ge-steigert werden kann. Diesen Effekt, den man alsPhoto-Leitfähigkeit bezeichnet, deutet darauf hin,dass Ladungsträger nicht nur thermisch erzeugt wer-den, sondern auch durch Energiezufuhr über die Ab-sorption von Photonen. Diese müssen eine Energieaufweisen, die mindestens so groß ist wie die Band-lücke. Für die Bandlücken der Halbleiter benötigtman deshalb Photonen mit einer Wellenlänge imSichtbaren oder nahen Infraroten, also ca. 500 nmbis 2 µm. Bei Silizium z.B. muss die Wellenlänge desLichtes kleiner als 1.1 µm sein. Diese Eigenschaften,die Photovoltaik und die Photoleitfähigkeit, habenheute eine große technische Bedeutung, indem Halb-leiter als Solarzellen und Detektoren für Licht zumEinsatz kommen, z.B. als Photodioden und CCD’s inKameras. Umgekehrt können Halbleiter auch Lichterzeugen; dies wird in LED’s und Laserdioden be-nutzt.

direkte Halbleiter indirekte HalbleiterE

k

E

Eg

Leitungsband

Valenzband

0k

E

Eg

0

Abbildung 9.88: Lichtabsorption bei direkten undindirekten Halbleitern.

398

Page 44: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Bei der Anregung vom Valenzband ins Leitungs-band muss der Impuls des Systems erhalten bleiben.Die Wellenlänge von optischem Licht ist sehr vielgrößer als eine typische Gitterkonstante; der Impulspn = hk = h/l eines optischen Photons ist deshalbklein im Vergleich zu einem typischen Impuls einesElektrons pe = h/a. Die Absorption eines Photonsändert deshalb den Impuls des Elektrons kaum, erbleibt praktisch konstant. Das Elektron wechselt des-halb bei der Absorption auf einen Zustand gleicherWellenzahl; man nennt dies einen vertikalen Über-gang.

Bei Energien am Rande der Bandlücke ist dies abernicht immer möglich. So ist es möglich, dass dasMinimum des Leitungsbandes bei einem Wert k 6= 0auftritt, wie in Abb. 9.88 in der rechten Hälfte darge-stellt. Photonen mit dieser Energie können somit nurdann absorbiert werden, wenn die Impulsänderungdes Elektrons durch das System kompensiert wer-den kann. Dies geschieht normalerweise durch dieErzeugung eines Phonons, d.h. einer quantisiertenAnregung einer Gitterschwingung. Gemäß der Be-ziehung von de Broglie besitzen auch diese Welleneine Energie hw und einen Impuls hk. Somit kanndie Impulserhaltung erfüllt werden durch die Erzeu-gung eines Phonons mit dem richtigen Impuls, re-spektive durch die Vernichtung eines Phonons mitentgegengesetztem Impuls, falls entsprechende Pho-nonen auf Grund thermischer Anregung vorhandensind. Da die Energie der Phononen sehr viel kleinerist als die Photonenenergie, braucht sie bei der Ener-gieerhaltung nicht berücksichtigt werden.

indirekter HLdirekter HL

Eghi > Eg hi > Eg

Abbildung 9.89: Lichtabsorption und Relaxation beidirekten und indirekten Halblei-tern.

Absorptionsprozesse können nicht nur an derBandkante stattfinden, sondern auch bei höherenPhotonen-Energien. Dabei wird ein Loch im In-

nern des Valenzbandes erzeugt, zusammen mit ei-nem Elektron im Innern des Leitungsbandes. Dieauf diese Weise erzeugten Ladungsträger relaxierenüber Stöße rasch zum Energieminimum ihrer Bänder(Abb. 9.89).

direkter HL indirekter HL

Energie ℏω des Photons

Abs

orpt

ion

��g

trans

pare

nt

Energie ℏω des Photons

Abs

orpt

ion

indirekter Übergang

direkter Übergang

Abbildung 9.90: Absorptionswahrscheinlichkeit beidirekten und indirekten Halblei-tern.

Aus der Wahrscheinlichkeit für solche Absorptions-prozesse erhält man ein Absorptionsspektrum. Wiein Abb. 9.90 gezeigt, ist die Absorptionskante bei ei-nem direkten Halbleiter schärfer als bei einem indi-rekten.

9.8.5 Lichtemission

Der Umkehrprozess der Absorption ist die Emissi-on von Licht. Dabei geht ein Elektron aus dem Lei-tungsband ins Valenzband über und strahlt die Ener-giedifferenz in der Form eines Photons ab. Auchhier muss die Erhaltung von Energie und Impuls ge-währleistet sein. Bei einem Übergang von Bandkan-te zu Bandkante wird somit ein Photon mit Energiehw = Eg frei. Bei der Emission ist diese Bedingungjedoch schwieriger zu erfüllen als bei der Absorp-tion: Ein Elektron aus dem Leitungsband muss miteinem Loch im Valenzband rekombinieren, welchesden gleichen Impuls besitzen. Dies ist bei direktenHalbleitern unproblematisch, bei indirekten Halblei-tern jedoch nicht, da dort die freien Zustände (= be-setzten Lochzustände) nicht bei der gleichen Wel-lenzahl auftreten. Der Unterschied zwischen direk-ten und indirekten Halbleitern spielt deshalb für dieoptischen Eigenschaften eine zentrale Rolle.

Silizium, z.B. ist ein indirekter Halbleiter, wie inAbb. 9.91 gezeigt. Das entartete Valenzband hat sein

399

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Si

indirekter HLdirekter HL

GaAsEn

ergi

e in

eV

[111] [000] [100]

Ener

gie

(eV)

Abbildung 9.91: Bandstruktur von Si und GaAs.

Maximum im Zentrum der Brillouin-Zone, währenddas Leitungsband-Minimum relativ weit vom Zen-trum entfernt ist, nämlich ca. 80 % der Brillouin-Zone in Richtung 100. Aus Symmetriegründen exi-stieren 6 äquivalente Richtungen entlang der 6 Koor-dinatenachsen. Unter typischen Bedingungen ist dieDichte von Elektronen im Leitungsband in der Näherdes Leitungsband-Minimums am größten. Bei einemsenkrechten Übergang ins Valenzband würden die-se Elektronen aber nur besetzte Zustände antreffen.Dadurch ist in Si die Emission von Licht stark er-schwert. Si wird deshalb z.B. nicht für den Bau vonLeuchtdioden oder Halbleiterlasern verwendet. Eintypischer direkter Halbleiter, welcher hauptsächlichfür optoelektronische Komponenten wie z.B. Halb-leiterlaser verwendet wird, ist GaAs.

Erst seit kurzem kann man auch eine Modifikati-on von Si herstellen, welche leuchtet. Während mansich über den Mechanismus noch nicht ganz einigist, scheint es dafür nötig zu sein, dass das Materialauf so kleinen Skalen strukturiert ist, dass die übli-che Beschreibung des Materials als unendlich ausge-dehnter Kristall, die wir hier verwenden, nicht mehrgültig sind.

9.9 Supraleitung

9.9.1 Entdeckung

In normalen Metallen findet man, dass der elektri-sche Widerstand bei tiefen Temperaturen abnimmt,bis er einen Grenzwert erreicht, der durch Kristall-fehler bestimmt ist. Diesen experimentellen Befundkann man durch die Theorie der Leitfähigkeit gutverstehen und auf Stöße zwischen Elektronen undGitterfehlern oder Gitterschwingungen zurückfüh-ren. Wie jedes Modell hat jedoch auch dieses sei-ne Grenzen. Experimentelle Tests dieser Aussage ineinem Bereich nahe des absoluten Nullpunkts wa-ren erstmals ab 1908 möglich, als es KamerlinghOnnes10 in Leiden gelang, ein Kühlmittel zu erzeu-gen, welches sehr tiefe Temperaturen erlaubt, näm-lich flüssiges Helium, das bei Normaldruck einenSiedepunkt von 4 K besitzt. Er benutzte dieses Käl-temittel bald um die elektrische Leitfähigkeit bei tie-fen Temperaturen zu messen. Im Jahre 1911 fand erein merkwürdiges Verhalten, das sich von der obengenannten Erwartung qualitativ unterscheidet.

Temperatur T (K)

Wid

erst

and

Abbildung 9.92: Spezifischer Widerstand vonQuecksilber als Funktion derTemperatur.

Wie in Abbildung 9.92 gezeigt, nahm der elektri-sche Widerstand von Quecksilber zunächst linearmit der Temperatur ab, bis er bei 4.2 K plötzlich10Heike Kamerlingh Onnes (1853 – 1926)

400

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

auf einen sehr kleinen Wert sprang. Genauere Mes-sungen zeigten, dass dieser Wert innerhalb der expe-rimentellen Fehlergrenzen mit Null übereinstimmt.Das heißt, dass es z.B. möglich ist, in einer geschlos-senen Leiterspule einen Strom fließen zu lassen oh-ne, dass dieser abklingt.

Ein vergleichbares Phänomen findet man auch beiden Fließeigenschaften von flüssigem Helium 4: Un-terhalb einer Temperatur von 2,17 K verschwindetdie Viskosität. Man nennt diesen Zustand Supraflui-dität.

9.9.2 Leitfähigkeit

Abbildung 9.93: Anwendungen: supraleitender Ma-gnet für die Kernresonanz (links)und Hochgeschwindigkeitszug(rechts).

Die Supraleitung benutzt man z.B. für die Erzeu-gung starker Magnetfelder: Man wickelt einen Drahtzu einer Spule und regt darin einen Strom an. Da-durch können permanente Magnetfelder von mehre-ren Tesla erzeugt werden, wie man sie z.B. in derKernspinresonanz oder in der Kernspintomographiebenötigt. Supraleitende Magneten werden auch ineinem japanischen Hochgeschwindigkeitszug einge-setzt.

Während der Widerstand eines supraleitenden Ma-terials nicht direkt messbar ist, kann man ihn in ei-nem Magneten indirekt messen: das Magnetfeld ist

0

0.5

Freq

uenz

/ H

z

0 5 10

Zeit / Stunden

Drift: -1,68 Hz / Tag

Abbildung 9.94: Abschwächung des Magnetfeldeseines supraleitenden Magneten alsFunktion der Zeit.

nicht exakt konstant, sondern es schwächt sich lang-sam ab. Abb. 9.94 zeigt eine typische Messung überKernspinresonanz: Die Resonanzfrequenz der Kern-spins sinkt um etwa 1,68 Hz/Tag. Bei einer absolutenFrequenz von 360 MHz sinkt das Magnetfeld alsomit einer Rate

1B

dBdt

=1,68

3,6 ·1081

Tag=

4,67 ·10�9

Tag=

1,7 ·10�7

Jahr,

d.h. die Zerfallszeit beträgt etwa 17 Millionen Jahre.

9.9.3 Diamagnetismus

Diese Klasse von Materialien wird als Supraleiterund der Zustand als Supraleitung bezeichnet. Da-mit charakterisiert man zunächst die elektrischenEigenschaften dieser Materialien. Sie besitzen aberauch sehr charakteristische magnetische Eigenschaf-ten. Der wichtigste ist, dass sie sich wie perfekteDiamagneten verhalten, d.h., dass das Magnetfeld inihrem Inneren verschwindet.

H

MHc

Abbildung 9.95: Magnetisierung als Funktion desäußeren Feldes.

Dies ist bekannt als Meißner-Ochsenfeld Effekt11.11entdeckt 1933 durch Walther Meißner (1882 - 1974) und Ro-

bert Ochsenfeld (1901 - 1993)

401

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9 Atome, Moleküle und Festkörper

Die Magnetisierung M des Materials beträgt dann

M = �H ! c = �1.

Der Diamagnetismus eines Supraleiters ist damit umetwa 5 Größenordnungen stärker als der eines nor-malen diamagnetischen Materials (z.B. Wasser: c =�7 ·10�6).

Magnetfeld wird ausgestoßen

Abbildung 9.96: Meissner-Effekt: Ein Supraleiter istein perfekter Diamagnet.

Ein perfekter Diamagnet erzeugt eine Magnetisie-rung, die das externe Feld innerhalb des Magnetenvollständig kompensiert. Die Magnetfeldlinien wer-den deshalb aus dem Material ausgestoßen. Dies ge-schieht, indem am Rand des supraleitenden Bereichsein Strom fließt, dessen Magnetfeld gerade das äuße-re Magnetfeld kompensiert.

Magnet schwebt über Supraleiter normal leitend

supraleitend

Abbildung 9.97: Der Meissner-Effekt lässt denMagneten über dem Supraleiterschweben.

Oberhalb der kritischen Temperatur ist das Mate-rial normalleitend und praktisch nichtmagnetisch.

Das Feld eines externen Magneten durchdringt des-halb das Material. Kühlt man das Material unter dieSprungtemperatur, so wird es zu einem perfektenDiamagneten. Man kann dies z.B. dadurch sichtbarmachen, dass ein kleiner Permanentmagnet über ei-nem Stück Supraleiter schwebt, welcher mit flüssi-gem Stickstoff gekühlt wird.

Im Raum zwischen dem Magneten und dem su-praleitenden Material werden sie deshalb konzen-triert und das System kann seine Energie ernied-rigen, indem der Supraleiter über dem Magnetenschwebt. Dies ist nicht einfach eine Folge der ver-lustlosen Leitung von elektrischem Strom. Ein per-fekter Leiter würde zwar durch Eddy-Ströme einerÄnderung des Magnetfeldes in seinem Innern wider-stehen. Dies bedeutet, dass das Magnetfeld in seinemInnern zeitlich unveränderlich sein muss, d~B/dt =0. Damit müsste aber das vorher vorhandene Felderhalten bleiben, während es beim Meißner-Effektausgestoßen wird, so dass ~B = 0.

9.9.4 Kritische Temperatur und kritischesFeld

Dies funktioniert allerdings nur bei Magnetfeldernunterhalb einer gewissen Stärke. Überschreitet dieStärke des äußeren Feldes das kritische Feld Hc, sobricht der perfekte Diamagnetismus wie auch die Su-praleitung zusammen. Supraleitung tritt somit nurbei genügend tiefen Temperaturen und genügendschwachem Magnetfeld auf.

Zwischen der normal leitenden Phase und der supra-leitenden Phase liegt ein Phasenübergang, der vomMagnetfeld und der Temperatur (und, in Abb. 9.98nicht eingezeichnet, der Stromdichte) abhängt. Ei-ne etwas genauere Betrachtung zeigt, dass der Über-gang vom supraleitenden in den normalleitenden Zu-stand auch von der Form des Körpers abhängt. Soist bei der in Abb. 9.96 gezeigten Kugel die Feld-stärke an der Kugeloberfläche teilweise höher alsim ungestörten Feld. Das Feld beginnt deshalb anden entsprechenden Stellen schon unterhalb der kri-tischen Feldstärke einzudringen. Dies ist nicht derFall, wenn die Probe eine dünne Schicht ist, die par-allel zu den Feldlinien angeordnet ist. Die kritische

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Page 48: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Stoff TC/K

Al 1.19Be 0.026Hg 4.15Zn 0.9Wo 0.012Pb 7.2V3Si 17.1Nb3Sn 18.0Nb3Al8Ge0.2 20.7YBa2Cu3O6+x 90HgBa2CuO4+b 133CsRb2C60 31

kritische Temperaturen

TemperaturTc

Hc

Mag

netfe

ld

normalleitend

supralleitend

Abbildung 9.98: Zustandsdiagramm und kritischeTemperatur einiger Supraleiter.

Temperatur, unterhalb der ein Material supraleitendwird, kann von mK bis zu 133 K variieren. Abb. 9.98listet sie für einige Materialien.

Temperatur / K

kriti

sche

s Fel

d H

c(T) /

G

Abbildung 9.99: Temperaturabhängigkeit des kriti-schen Feldes bei Typ I Supraleiter.

Der Betrag des kritischen Feldes hängt ebenfallsvom Material ab, variiert aber auch mit der Tem-peratur. Beim Überschreiten des kritischen Feldesbricht auch der Meißner-Effekt zusammen. Beimkritischen Feld sinkt die Magnetisierung abrupt aufNull, d.h. das Feld dringt in das Material ein.

Diese Verhalten kann erklärt werden, wenn man an-nimmt, dass sich die Elektronen paarweise zu ei-ner neuen Form von Teilchen zusammenfinden. Die-se Elektronenpaare werden als “Cooper-Paare” be-zeichnet. Sie besitzen die Ladung �2e, einen ver-schwindenden Impuls und einen verschwindendenSpin. Damit sind sie Bosonen und können alle

den gleichen Quantenzustand einnehmen. Dieser ge-meinsame Zustand ist der Grundzustand des Supra-leiters.

9.9.5 Typ II Supraleiter

äußeres Magnetfeld / Gauß

A: BleiB: Blei + 2.8%InC: Blei + 8.3%InD: Blei + 20.4%In

-µ0M

/ G

auß

Abbildung 9.100: Magnetisierung als Funktion derTemperatur für Blei mit unter-schiedlicher Dotierung.

Das bisher diskutierte Verhalten bezieht sich auf so-genannte Typ I Supraleiter oder Supraleiter der er-sten Art der Fall. Dementsprechend existieren Su-praleiter der zweiten Art. Diese Materialien verhal-ten sich unterhalb des kritischen Feldes Hc1 wie dieSupraleiter der 1. Art. Beim kritischen Feld dringendie Feldlinien ebenfalls in das Material ein, aber dieMagnetisierung sinkt nicht auf Null.

Temperatur

Mag

netfe

ld

Meissner-Zustandρ = 0, B = 0

Tc

gemischter Zustandρ = 0, B ≠ 0HC1(T)

HC2(T)

Abbildung 9.101: Unterschiedliche Phasen bei ei-nem Typ II Supraleiter.

Diese teilweise supraleitende Eigenschaft bleibt biszu einem zweiten kritischen Feld Hc2 erhalten. DasMaterial bleibt auch bis zu diesem kritischen Feldsupraleitend. Dieses zweite kritische Feld kann ummehrere Größenordnungen oberhalb des ersten kriti-schen Feldes liegen. Dieses kritische Feld ist deshalbdasjenige, das für technische Anwendungen wichtigist.

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Page 49: 9 Atome, Moleküle und Festkörper · 9 Atome, Moleküle und Festkörper Abbildung 9.8: Atomare Struktur und indizierte Emissionsmaxima. nisierung des Heliums davon abhängt, dass

9 Atome, Moleküle und Festkörper

Temperatur / K

Kriti

sche

s Fel

d H

C2 /

T

PbMo5.1S6

Nb3(Al0.7Ge0.3)

Nb3GeNb3SnNbTi

Abbildung 9.102: Temperaturabhängigkeit des obe-ren kritischen Feldes bei Typ IISupraleiter.

Für Typ 2 Supraleiter liegt das obere kritische Feldim Bereich von bis zu 50 Tesla. Im Bereich zwischenden beiden kritischen Feldern findet ein teilweisesEindringen des Magnetfeldes in den Supraleiter statt.

Abbildung 9.103: Hexagonales Gitter aus Flus-squanten.

Diese teilweise Durchdringung erfolgt durch einzel-ne Flussquanten. Wie in Abb. 9.103 gezeigt, ord-nen sich diese in der Form eines Gitters an, welchesdurch kleine ferromagnetische Teilchen sichtbar ge-macht werden kann. Heute kann man sie auch durchRaster-Kraftmikroskopie sichtbar machen.

Typ II Supraleiter sind größtenteils Legierungen,während Typ I Supraleiter eher Elemente sind. Esist möglich, Typ I Supraleiter durch die Zugabe ge-ringer Anteile an legierenden Elementen zu Typ IISupraleitern zu machen.

Die meisten Supraleiter sind Metalle, aber seit eini-gen Jahren gibt es auch organische Supraleiter, al-so Polymere, die unterhalb einer bestimmten Tem-peratur supraleitend werden. Die wichtigste Ausnah-me aber sind die 1986 entdeckten Hochtemperatur-Supraleiter12: Hier handelt es sich um keramischeMaterialien, die oberhalb der kritischen TemperaturIsolatoren sind.

Einheitszelle von YBa2Cu3O7

Abbildung 9.104: Typische Struktur eines Hoch-temperatur-Supraleiters.

Diese Klasse von Materialien hat eine ziemlich ein-heitliche Struktur: es handelt sich um schichtförmigeMaterialien, bei denen Ebenen von CuO Schichtensich mit anderen Schichten abwechseln.

12Karl Alexander Müller und Johannes Georg Bednorz, Nobel-preis 1987

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