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47. Jg. 2016 Heft 4 36 FRANZÖSISCH heute Plaisir de lire A la découverte de la vie qui écrit des histoires – Begegnung mit den Texten von David Foenkinos Sonja Di Luca 1974 in Paris geboren, studiert Foenkinos an der Sorbonne Literatur und Jazzgitarre, arbeitet zeitweise als Gitarrenlehrer und bei Verlagen, bevor er sich als Schriftsteller und Drehbuchautor etabliert. Seine bisher 13 Romane sind bereits in über 40 Spra- chen übersetzt, zwei seiner Romane wur- den verfilmt (La délicatesse und Les sou- venirs). Sein bekanntestes Buch La délicatesse (2009, deutsch: Nathalie küsst) erzählt die Geschichte von der hübschen Nathalie, die ihren Mann nach kurzer Ehe durch einen Unfall verliert. Den Verlust ihres geliebten Partners kann die zarte junge Frau nicht wirklich verarbeiten. Monatelang schwebt sie in einem Zustand zwischen Apathie, Depression und halbherzigen Versuchen, ins Leben zurückzufinden. Erst die Begeg- nung mit Markus, einem unscheinbaren Kollegen, erweckt sie langsam zu neuem Leben. Eine zarte aber auch erfrischende Liebesgeschichte, die nie ins Kitschige oder Vorhersehbare abrutscht, 2011 verfilmt von Keine atemberaubenden Geschichten, son- dern Erzählungen, wie sie das ganz nor- male Leben schreibt, so präsentieren sich die meisten Romane von David Foenkinos, auch im Still: Dank einer nüchternen, treffsicheren und nuancenreichen Spra- che sowie einer oftmals ganz einfachen Syntax, findet der Leser von der ersten Seite an Zugang zu seinen Protagonisten. Humorvolle Episoden wechseln sich mit melancholisch anmutenden Passagen und psychologischem Tiefgang ab. Typische Stilelemente sind außerdem die gelegent- lichen Fußnoten, augenzwinkernde per- sönliche Bemerkungen des Autors, sowie kurze eingeschobene Kapitel, eine Art li- terarische, musikalische oder historische Querverweise, die nicht wirklich zum Vo- rangehen der Geschichte beitragen, aber beim Lesen zum genussvollen Verweilen einladen. Foenkinos-Liebhaber entdecken außerdem häufig wiederkehrende Ele- mente in seinen Romanen, so die beson- dere Beziehung des Autors zu Deutschland oder Verweise auf eigene Romane. Foenkinos selbst zusammen mit seinem Bruder, mit Audrey Tautou und François Damiens in den Hauptrollen. Foenkinos‘ Empathie mit den Gefühlen und der Welt der jungen Protagonistin ist so überzeu- gend, dass er des öfteren gefragt wird, wie er es als Mann schaffe, die Figur einer Frau derart weich und feminin nachzuzeichnen. Seine verschmitzte Antwort, in einem sei- ner früheren Leben sei er eine Frau gewe- sen, ist typisch für ihn. Foenkinos ist ein sehr zugänglicher Autor, im Text wie im Leben, offen und sympathisch, feinfühlig und witzig. Die Atmosphäre des 2011 erschienenen Roman Les souvenirs wiegt doch deutlich schwerer und wird nur zeitweise von der sonst in seinen Romanen anklingenden Leichtigkeit des Seins durchbrochen. Foen- kinos schneidet mit diesem Roman auch wehmütige Themen an und begibt sich in die Tiefen der Alltagspsychologie von jun- gen Menschen, die zum ersten Mal mit den Themen Tod, Liebe und Trennung konfron- David Foenkinos im Deutsch-Französischen Kulturzentrum in Essen (November 2015) Fotos: Ulrike C. Lange

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47. Jg. 2016Heft 436

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Plaisir de lire

A la découverte de la vie qui écrit des histoires – Begegnung mit den Texten von David Foenkinos

Sonja Di Luca

1974 in Paris geboren, studiert Foenkinos an der Sorbonne Literatur und Jazzgitarre, arbeitet zeitweise als Gitarrenlehrer und bei Verlagen, bevor er sich als Schriftsteller und Drehbuchautor etabliert. Seine bisher 13 Romane sind bereits in über 40 Spra-chen übersetzt, zwei seiner Romane wur-den verfilmt (La délicatesse und Les sou-venirs).

Sein bekanntestes Buch La délicatesse (2009, deutsch: Nathalie küsst) erzählt die Geschichte von der hübschen Nathalie, die ihren Mann nach kurzer Ehe durch einen Unfall verliert. Den Verlust ihres geliebten Partners kann die zarte junge Frau nicht wirklich verarbeiten. Monatelang schwebt sie in einem Zustand zwischen Apathie, Depression und halbherzigen Versuchen, ins Leben zurückzufinden. Erst die Begeg-nung mit Markus, einem unscheinbaren Kollegen, erweckt sie langsam zu neuem Leben. Eine zarte aber auch erfrischende Liebesgeschichte, die nie ins Kitschige oder Vorhersehbare abrutscht, 2011 verfilmt von

Keine atemberaubenden Geschichten, son-dern Erzählungen, wie sie das ganz nor-male Leben schreibt, so präsentieren sich die meisten Romane von David Foenkinos, auch im Still: Dank einer nüchternen, treffsicheren und nuancenreichen Spra-che sowie einer oftmals ganz einfachen Syntax, findet der Leser von der ersten Seite an Zugang zu seinen Protagonisten. Humorvolle Episoden wechseln sich mit melancholisch anmutenden Passagen und psychologischem Tiefgang ab. Typische Stilelemente sind außerdem die gelegent-lichen Fußnoten, augenzwinkernde per-sönliche Bemerkungen des Autors, sowie kurze eingeschobene Kapitel, eine Art li-terarische, musikalische oder historische Querverweise, die nicht wirklich zum Vo-rangehen der Geschichte beitragen, aber beim Lesen zum genussvollen Verweilen einladen. Foenkinos-Liebhaber entdecken außerdem häufig wiederkehrende Ele-mente in seinen Romanen, so die beson-dere Beziehung des Autors zu Deutschland oder Verweise auf eigene Romane.

Foenkinos selbst zusammen mit seinem Bruder, mit Audrey Tautou und François Damiens in den Hauptrollen. Foenkinos‘ Empathie mit den Gefühlen und der Welt der jungen Protagonistin ist so überzeu-gend, dass er des öfteren gefragt wird, wie er es als Mann schaffe, die Figur einer Frau derart weich und feminin nachzuzeichnen. Seine verschmitzte Antwort, in einem sei-ner früheren Leben sei er eine Frau gewe-sen, ist typisch für ihn. Foenkinos ist ein sehr zugänglicher Autor, im Text wie im Leben, offen und sympathisch, feinfühlig und witzig.

Die Atmosphäre des 2011 erschienenen Roman Les souvenirs wiegt doch deutlich schwerer und wird nur zeitweise von der sonst in seinen Romanen anklingenden Leichtigkeit des Seins durchbrochen. Foen-kinos schneidet mit diesem Roman auch wehmütige Themen an und begibt sich in die Tiefen der Alltagspsychologie von jun-gen Menschen, die zum ersten Mal mit den Themen Tod, Liebe und Trennung konfron-

David Foenkinos im Deutsch-Französischen Kulturzentrum in Essen (November 2015) Fotos: Ulrike C. Lange

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tiert werden. Der Protagonist verliert sei-nen Großvater, begleitet nach dessen Tod monatelange seine alternde Großmutter durchs Altersheim und begibt sich auf eine letzte Reise in die Vergangenheit mit ihr. In dieser eher traurigen Geschichte halten sich Humor und Sarkasmus dennoch im-mer wieder die Waage. Eine willkommene Abwechslung bieten die biographisch-his-to rischen Exkurse zu mehr oder weniger berühmten Persönlichkeiten, in denen das Thema der Erinnerung immer wieder im Vordergrund steht. 2015 kommt der Roman in der Verfilmung von Jean-Paul Rouve ins Kino.

Der Roman Charlotte (2014) ist die mit fik-tiven Momenten gespickte Biographie der Malerin Charlotte Salomon, der mit dem Prix Renaudot und dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet wird und dem Au-tor selbst sehr am Herzen liegt, wie er bei einer Lesung berichtet. Charlotte Salomon wächst während des Zweiten Weltkrieges in Berlin auf. Hineingeboren in das depres-sive Ambiente einer deutsch-jüdischen Familie, erlebt Charlotte nach dem Selbst-mord ihrer Mutter dennoch eine Zeit der familiären Geborgenheit, in der sie ihre künstlerische Natur entfalten kann: Sie darf als Frau und eine der wenigen Juden das Konservatorium besuchen, flieht aber im letzten Moment vor den Nazis nach Südfrankreich, wo sie ein paar schwierige, aber auch fruchtbare Jahre verbringt. Aber

sie wird schließlich doch verraten, fest-genommen und 26-jähirg in Ausschwitz vergast. Das Außergewöhnliche an diesem Roman ist die Intensität der Erzählweise. Foenkinos erklärt seinen Schreibstil im Ro-man selbst: Jeder Satz beginnt mit einer neuen Zeile. Die Sätze sind kurz, stellen-weise elliptisch. Seine Unsicherheit beim Gestalten der Geschichte (sollte es ein Roman, eine Biographie, ein Theaterstück werden? Darf der Autor selbst zum Schau-spieler in ihrer Geschichte werden?) lässt ihn permanent ins Stocken geraten. Der Stil wirkt so auf den ersten Blick hart und abgehackt, der Leserhythmus der Erzäh-lung gewinnt aber genau dadurch an Tie-fe. Gefühle und Erlebnisse erscheinen klar, nüchtern und wirken gleichzeitig inten-siv und beeindruckend auf den Leser. Ein Buch, das man, auch wenn man sein Ende kennt, bis zur letzten Zeile gebannt liest.

Foenkinos‘ Theaterkomödie Le plus beau jour, die 2016 erscheint und bereits im gleichen Jahr in Paris uraufgeführt wird, erzählt eine Geschichte über ‚moderne‘ Beziehungen, in der sich zwei Paare nach der Geburt eines Sohnes neu erfinden. Der Besuch Michels, des besten Freundes von Nathalies Ehemann, wird der Anlass, Bezie-hungen neu zu definieren. Das kurzweilige, sprachlich einfache und für gewiefte Leser etwas vorhersehbare Leseerlebnis erstreckt sich über 200 großzügig bedruckte Seiten und erinnert an Yasmina Rezas provokant-

sarkastischen Stil, wie in den Stücken Le Dieu du carnage (2007) oder Trois versi-ons de la vie (2000): Das Gleichgewicht einer nach außen gut funktionierenden bürgerlichen Familie gerät durch banale Gespräche zwischen Freunden, die sich in Aggressivität und Intimität steigern, gänz-lich aus den Fugen.

Sein zuletzt erschienener Krimi Le mystère Henri Pick (2016) ist eine Hommage an die Welt der Literatur. In ihm spiegelt sich Foenkinos‘ Erfahrung mit der Welt der Verlage, zurückgewiesener Manuskripte, aber auch seine Liebe zu den Büchern wi-der. Immer auf der Suche nach dem nächs-ten Bestseller, entdeckt eine junge Verle-gerin in der Bibliothek der „verweigerten Bücher“ (d. h. Bücher, die keinen Verleger gefunden haben), einen Roman, der durch seine parallele Geschichte besticht: Erzählt wird darin das Ende einer großen Liebe und gleichzeitig die Agonie des russischen Schriftstellers Puschkin. Ein Rätsel gibt der verstorbene Autor dieses Buches auf: Er ist ein Pizzabäcker, der nie auch nur selbst ein Buch in die Hand genommen hat und au-ßer Einkauflisten keine schriftstellerische Kreativität bewiesen hat – Wie kann das möglich sein? Neben seinem üblichen Stil der Fußnoten und Verweise spickt Foenki-nos diesen Krimi mit Begebenheiten aus seiner eigenen Karriere. Er paart Humor mit Spannung und präsentiert eine „au-tobiographische Literaturkrimikomödie“. Stets vereint Foenkinos Leichtigkeit im Stil mit Intensität in der Erzählung: Ein mo-derner Genuss!

Bibliographie

Foenkinos, David (2009): La délicatesse. Paris: Gallimard.

Foenkinos, David (2011): Les Souvenirs. Paris: Gallimard.

Foenkinos, David (2014): Charlotte. Paris: Gal-limard.

Foenkinos, David (2016): Le plus beau jour. Pa-ris: Flammarion.

Foenkinos, David (2016): Le mystère Henri Pick. Paris: Gallimard.

Reza, Yasmina (2000): Trois versions de la vie. Paris: Albin Michel.

Reza, Yasmina (2007): Le dieu du carnage. Paris: Albin Michel.