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ABSCHLUSSBERICHT DER STRATEGIEKOMMISSION FÜR EINEN LEISTUNGSFÄHIGEN
ÖPNV/SPNV IN SACHSEN 15. Dezember 2017
Dieser Abschlussbericht stellt – neben den Thesenpapieren in der Anlage – das Ergebnis der ÖPNV-
Strategiekommission Sachsen dar. Vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und
Verkehr (SMWA) in Dresden wurde die Erstellung organisatorisch begleitet und die gutachterliche
Begleitung finanziert.
Die im Abschlussbericht getroffenen Aussagen müssen nicht mit den Meinungen und Positionen des
SMWA übereinstimmen.
Gutachterliche Begleitung durch Finanzierung durch
Projektleitung
Michael Holzhey und Hinrich Brümmer (ETC)
Projektmitarbeiter in den Arbeitsgruppen:
Ralf Jugelt, Torsten Perner, Thomas Petersen
(ETC), René Naumann, Marc-Oliver Wille,
Dr. Axel Stein und Ludger Sippel (KCW)
und weitere Projektmitarbeitende:
Katrin Glesel, Marie Godemann, Sarah Holt,
Niklas Rodenhausen, Rando Schade, Marian
Volmer und Dr. Fabian Walter (ETC), Lukas Fol-
janty (KCW)
Mitarbeiter der Geschäftsstelle
Mario Bause, Dr. Eric Nitzsche (Leitung),
Susann Albrecht (zeitweise), Susanne Illich-
mann, Jana Ottiger
Das Projekt wurde finanziert aus Steuermitteln auf der Grundlage des von den Abgeordneten des
Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.
Dieses Gutachten unterliegt den Bestimmungen des deutschen Urheberrechts. Soweit nicht anders
schriftlich vereinbart, ist eine Veröffentlichung oder Weitergabe, auch in Auszügen, nicht zulässig.
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Bericht auf die gleichzeitige Verwen-dung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Im Sinne der Gleichbehandlung gelten sämtliche Personenbezeichnungen gleichwohl für alle Geschlechter
Seite 4 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Grußwort
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
vor zweieinhalb Jahren haben wir die ÖPNV-
Strategiekommission ins Leben gerufen. Dem
Gremium gehören 27 Mitglieder an, die in sehr
unterschiedlichen Funktionen tätig sind. Neben
den wichtigsten Akteuren des sächsischen
ÖPNV waren Repräsentanten aller im Sächsi-
schen Landtag vertretenen Fraktionen, Vertre-
ter der kommunalen Ebene, der involvierten
Ministerien, der Fahrgastverbände, Gewerk-
schaften, Industrie- und Handelskammern, der
Menschen mit Behinderungen sowie zwei Pro-
fessoren aus der Wissenschaft zur Mitarbeit
eingeladen.
Mit dem vorliegenden Abschlussbericht wird
auch die zu Beginn der Kommissionsarbeit viel-
fach gestellte Frage, ob ein solch großes und
inhomogenes Gremium überhaupt erfolgreich
arbeiten kann, mit einem klaren „Ja“ beant-
wortet. Insbesondere im Rahmen der fachli-
chen Tätigkeit in den fünf Arbeitsgruppen ha-
ben die Mitglieder der ÖPNV-Strategiekom-
mission den sächsischen ÖPNV so gründlich
wie nie zuvor evaluiert. Sie haben sondiert,
diskutiert, abgewogen, bisweilen auch mitei-
nander gerungen und schließlich eine Vielzahl
konkreter Handlungsempfehlungen entwickelt.
Es ist mir ein Bedürfnis, allen Kommissionsmit-
gliedern für ihr Engagement, ihren fachlichen
Beitrag, ihre Kooperations- und Kompromiss-
fähigkeit zu danken.
Der Abschlussbericht fällt in eine Zeit, in der
große Fragen auf Antworten warten: Wie kann
es uns gelingen, die Erträge unserer gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung so zu verteilen,
dass sich nicht viele Menschen, ganze Gesell-
schaftsgruppen und Regionen abgehängt oder
an den Rand gedrängt fühlen? Wie nutzen wir
die Möglichkeiten der Digitalisierung zum
Wohle der Menschen? Wie können wir es
schaffen, unsere Städte noch lebenswerter zu
gestalten? Zu vielen dieser uns alle betreffen-
den und bewegenden Themen kann der Ab-
schlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission
fundierte Beiträge leisten.
Dank der Arbeit der Kommission kennen wir
die Stärken und Schwächen unseres ÖPNV-
Systems wesentlich besser. Es ist der große
Verdienst der Fachkommission, dass wir heute
aus einer Vielzahl durchdachter Lösungsansät-
ze auswählen können. Ein landesweites Bus-
netz mit Plus- und Taktbussen würde die Er-
reichbarkeiten und die Alltagsmobilität für
viele Menschen insbesondere im ländlichen
Raum deutlich verbessern. In den wachsenden
Städten kann das bereits sehr gute ÖPNV-
Angebot weiter ausgebaut werden, wenn wir
die Investitionstätigkeit in Infrastruktur und
Fahrzeuge gezielt erhöhen. Mit einem Sachsen-
Tarif können wir dem Wunsch vieler Fahrgäste
nach einfachen, einheitlichen und die Grenzen
der Verbünde überschreitenden Angeboten
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 5 von 178
gerecht werden. Ein spezielles „Bildungsticket“
soll den Schülern und Auszubildenden einen
kostengünstigen Zugang zum ÖPNV verschaf-
fen und die Elternbeiträge für die notwendige
Schülerbeförderung vereinheitlichen.
Nicht jedes Vorhaben können wir unverzüglich
in Angriff nehmen bzw. mit den zur Verfügung
stehenden Ressourcen in vollem Umfang reali-
sieren. Wir werden aber so schnell wie möglich
die vordringlichen Handlungsfelder und Projek-
te identifizieren um kraftvoll in die Umset-
zungsphase zu starten. Es liegt an uns - den
Verantwortlichen in der Landes- und Kommu-
nalpolitik sowie den Akteuren des ÖPNV - aus
den zahlreichen Handlungsempfehlungen kon-
krete Maßnahmen und Projekte zu wählen und
in die Praxis zu überführen. Damit werden wir
unseren ÖPNV noch kundenfreundlicher, inno-
vativer, wirtschaftlicher und umweltfreundli-
cher machen.
Schon heute erzielen unsere sächsischen Ver-
kehrsunternehmen und -verbünde bei reprä-
sentativen Umfragen regelmäßig Spitzenplätze.
Ich möchte es daher nicht versäumen, auch
den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der hiesigen ÖPNV-Branche recht herzlich für
die geleistete Arbeit zu danken.
Die Handlungsempfehlungen der ÖPNV-
Strategiekommission liegen auf dem Tisch.
Jetzt ist es Zeit für Taten.
Martin Dulig
Seite 6 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Das Wichtigste in Kürze
Dem Öffentlichen Personennahverkehr
(ÖPNV) im Freistaat Sachsen ist es in den letz-
ten 20 Jahren gelungen, wesentliche Heraus-
forderungen der Branche dank des verantwor-
tungsvollen Zusammenspiels der Akteure zu
meistern. Erfolgsbeispiele sind die Reduzie-
rung von einst 70 Tarifen auf nunmehr 5 Ver-
bundtarife, der bundesweite Spitzenplatz des
ÖPNV in Leipzig und Dresden sowohl bei den
Fahrgastzahlen als auch in Kundenbefragun-
gen oder die Einführung von Handyticketlö-
sungen in allen sächsischen Verbünden.
Auch der gutachterliche Vergleich mit struktu-
rell ähnlichen Ländern wie Thüringen, Nieder-
sachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz
zeigt, dass das Leistungsbild des sächsischen
ÖPNV und dessen Wirtschaftlichkeitskennzif-
fern positiv abschneiden.
Allerdings wäre es fahrlässig, sich auf dem
Erreichten auszuruhen. Mindestens am Hori-
zont, teilweise aber schon „vor der Haustür“
sind mehrere Entwicklungen erkennbar, die
den Entscheidungsträgern für den ÖPNV des
Freistaates Sachsen schon heute Weichenstel-
lungen und konkrete Reaktionen abverlangen:
Die Fahrgäste erwarten, dass Schwach-
stellen im Bestandssystem beseitigt wer-
den. Verbesserungsbedarfe werden viel-
fach in der aktiven Gestaltung landesbe-
deutsamer Aufgaben gesehen. Hierzu
zählen z.B. die Aufwertung des ÖPNV-
Angebotes in der Fläche jenseits des
Schülerverkehrs oder die Harmonisierung
von Tarif- und Beförderungsbestimmun-
gen. Derartige Produktverbesserungen
sind zugleich die Voraussetzung dafür,
weitere Nutzer(gruppen) für den ÖPNV zu
gewinnen. Auch die gesetzliche Vorgabe
zur Herstellung der Barrierefreiheit bringt
das Erfordernis zum Ausdruck, ein Defizit
zu beheben, um allen Nutzern die Teil-
nahme am ÖPNV zu ermöglichen.
Das Wachstum der Bevölkerung in den
Ballungszentren Leipzig, Dresden und
Chemnitz eröffnet die Chance, mit zu-
kunftsfähigen Mobilitätsstrategien neue
Fahrgastpotenziale zu erschließen. Vo-
raussetzung ist, dass zusätzliche Fahr-
zeugkapazitäten und leistungsfähige Inf-
rastrukturnetze bereitgestellt werden.
Neue Rahmenbedingungen wie die Alte-
rung der Gesellschaft oder Abwanderung
werfen die Frage auf, wie durch ÖPNV die
soziale Teilhabe im ländlichen Raum ge-
währleistet werden kann.
Der digitale Wandel wiederum bildet ei-
ne Querschnittsaufgabe ab, die dem
ÖPNV in den Städten wie in der Fläche
per Saldo neue Möglichkeiten bescheren.
Die über Sachsen hinausreichende Sys-
temfrage lautet, inwieweit die Trennlinie
zwischen öffentlichem und individuellem
Verkehr künftig durch Innovationen ver-
schoben oder durchlässig wird.
Bündelt man die Handlungsbedarfe für den
sächsischen ÖPNV aus politischer Sicht zu
plakativen Schwerpunkten, ergibt sich folgen-
des Aufgaben-Viereck:
Abb. 1: Schwerpunktaufgaben für den sächsischen ÖPNV
Über die Schwerpunkte auf der Leistungsseite
hinaus gibt es weitere Aufgaben, die ebenso
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 7 von 178
dringlich sind. Hierzu gehören z.B. alle Finan-
zierungsthemen.
Der wesentliche Teil der skizzierten Heraus-
forderungen findet sich im Einsetzungsbe-
schluss dieser ÖPNV-Strategiekommission
wieder, die Mitte 2015 ihre Arbeit aufnahm.
Nachdem zunächst die Grundlagen in Gestalt
eines Basisgutachtens erarbeitet wurden, lag
der Fokus der beiden letzten Jahre darauf, den
sächsischen ÖPNV der Zukunft zu konzipieren.
Hierzu wurden fünf Arbeitsgruppen (AG) ge-
bildet, die sich den Handlungsfeldern
Angebotsentwicklung,
Infrastruktur und Fahrzeuge,
Tarif und Vertrieb,
Finanzierung und
Organisation
widmeten. Als Strategiehorizont wurde der
Zeitraum 2025/2030 gewählt.
Der vorliegende Abschlussbericht fasst die
Ergebnisse der ÖPNV-Strategiekommission als
Handlungsempfehlungen zusammen.
Finanzierung des Bestandssystems ist nicht gesichert
Bevor der ÖPNV zu neuen Zielen aufbricht,
lautet der Prüfauftrag „vor der Klammer“, ob
das Bestandssystem auch künftig finanziert
werden kann.
Hierzu hat die AG Finanzierung die Ergiebig-
keit der heutigen Finanzierungsquellen („Mit-
telherkunft“) analysiert und die Summe der
voraussichtlich verfügbaren Mittel mit den
fortgeschriebenen Bestandsausgaben („Mit-
telverwendung“) gespiegelt.
Auf der Mittelherkunftsseite ist zu konstatie-
ren:
Die Kulisse der Regionalisierungsmittel ist
bis 2031 gesichert. Der Freistaat Sachsen
reicht den Großteil an die kommunalen
Zweckverbände im Rahmen der bis 2027
geltenden Verordnung des Sächsischen
Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit
und Verkehr zur Finanzierung des Öffent-
lichen Personennahverkehrs (ÖPNVFin-
VO) weiter – vorrangig zur Finanzierung
des SPNV. Von den verbleibenden Mit-
teln sollen Teile des Gesetzes zur Finan-
zierung des Ausbildungsverkehrs im Öf-
fentlichen Personennahverkehr (ÖPNVFi-
nAusG) und das ÖPNV-Landes-
investitionsprogramm (LIP) gespeist wer-
den. Zudem müssen in Summe 285 Mio.
EUR bis 2022 temporär zurückgelegt
werden, um die Ausgaben im Zeitraum
2023 bis 2031 zu decken.
Das Entflechtungsgesetz läuft Ende 2019
aus. Aus den Umsatzsteueranteilen, die
der Freistaat Sachsen ersatzweise vom
Bund erhält, ist das LIP künftig zweckge-
bunden angemessen zu dotieren.
Das dem Gemeindeverkehrsfinanzie-
rungsgesetz (GVFG) entstammende
GVFG-Bundesprogramm zur Finanzierung
großer Vorhaben ist im bundesweiten
Maßstab mehrfach überzeichnet. Das
jährliche Mittelvolumen (332,56 Mio.
EUR) wurde seit 20 Jahren nicht dynami-
siert. Als notwendig gilt eine Erhöhung
der Gesamtmittel auf 1 Milliarde EUR pro
Jahr.
Das EU-Programm des Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)
läuft 2020 aus. Sollte es nicht fortge-
schrieben werden, müsste der Mittelan-
teil für den ÖPNV ersetzt werden.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die Modellrech-
nung zur Finanzierung der Bestandsausgaben
bis 2031 nur dann haarscharf aufgeht („rote
Null“), wenn die Planungsprämissen des Best-
falles greifen. Diese sehen vor, dass die Höhe
der Investitionsfördermittel absolut konstant
bleibt. Um einer Entwertung dieses Mittelvo-
lumens zu entgehen, dürften die Planungs-
und Baukosten 13 Jahre lang nicht steigen.
Realistisch ist dieses Szenario nicht.
Fazit: Die Finanzierung der Bestandsausgaben
ist – trotz strikter Vorsorgepolitik – nicht ge-
sichert. Hiervon unbenommen bleibt die Fra-
ge, ob die Bestandsausgaben heute den Be-
standsbedarf abbilden (siehe M2 zu Ersatzin-
vestitionen).
Seite 8 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Strategie 2025/2030 – Maßnahmenkata-log
Um den ÖPNV im Freistaat Sachsen zu verbes-
sern und für die nächsten 10 bis 15 Jahre zu-
kunftsfest aufzustellen, haben die 5 Arbeits-
gruppen 13 Maßnahmen entwickelt.
Abb. 2 listet die Maßnahmen mit ihrer jeweils
zentralen positiven Wirkung auf. Im Weiteren
werden sie in Kurzform vorgestellt.
Das ÖPNV-Angebotskonzept setzt sich aus den
vier Modulen M1a bis M1d in Verbindung mit
der Maßnahme 4 „Invest Oberzentren“ zu-
sammen. Die Angebots- bzw. Netzelemente
stellen eine passgenaue Antwort auf die wich-
tigsten Handlungsziele in Abhängigkeit der
Raumstruktur und deren Verkehrspotenziale
dar. Die zentrale Verbesserung des heutigen
ÖPNV-Angebots liegt
in einer geplanten Ausweitung der Be-
dienungszeiten an Werktagen und am
Wochenende, auch in den Schulferien,
in der konsequenten Vertaktung und
Verzahnung der Angebote vom Fernver-
kehr bis zum Anrufbus (Sachsen-Takt)
sowie
in der landesweiten Etablierung von
PlusBus und TaktBus als zentrale Schar-
niere zwischen ländlichem und Ballungs-
raum und als Ergänzung des SPNV-
Netzes.
Der Mehrwert des landesweiten Angebots-
konzepts geht aus der Abb. 3 hervor.
Während heute 52% aller Sachsen an das
ÖPNV-Grundnetz angebunden sind, werden es
künftig 80% sein, die Anschluss an ein vertak-
tetes Angebot (mindestens Zweistundentakt)
haben. Eine Steigerung um 28 Prozentpunkte
bedeutet, dass gut 1 Mio. Einwohner erstmalig
von einem verlässlichen Angebot profitieren.
Abb. 2: Maßnahmenkatalog mit Nutzenwirkung
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 9 von 178
Dies gilt zum einen in vielen der 98 Städte und
Gemeinden, in denen 0,5 Mio. Sachsen zum
ersten Mal im Takt fahren. Aber auch dort, wo
bereits heute Stadtbusse oder Straßenbahnen
verkehren, wird das Angebot für weitere 0,7
Mio. Einwohner spürbar besser.
Durch die sachsenweite Einführung von Plus-
und TaktBussen werden gut 0,5 Mio. Sachsen
zusätzlich zu den heute 0,25 Mio. Einwohnern
innerhalb von etwa 5 min Fußweg eine Halte-
stelle des Regionalverkehrs erreichen und auf
diese Weise zügig in die nächsten Zentren
gelangen.
Jene Teile des Freistaates Sachsen, aus denen
das Grundnetz nicht innerhalb von 5 min er-
reichbar ist und in denen knapp 0,8 Mio. Men-
schen, d.h. 20% aller Sachsen leben (vormals
1,9 Mio. bzw. 48%), werden unverändert
durch LandBusse und vermehrt durch flexible
Angebote erschlossen. Die konkrete Ausge-
staltung dieser Angebote findet auf lokaler
Ebene statt – idealerweise im Zusammenhang
mit der Einführung von Plus/TaktBus-Linien.
Der Einsatz flexibler Bedienformen wird durch
eine Klärung der genehmigungsrechtlichen
und fördertechnischen Bedingungen auf Lan-
desebene unterstützt.
Haben langlebige Anlagegüter wie die Fahr-
zeuge oder die Infrastruktur das Ende ihrer
Lebensdauer erreicht, müssen sie ersetzt wer-
den. Damit dieser Fall nicht vorzeitig eintritt,
ist eine regelmäßige Instandhaltung entschei-
dend. Ohne ausreichende Ersatzinvestitionen
droht ein Fahren auf Verschleiß mit Substanz-
verzehr.
Berechnungen der AG Infrastruktur und Fahr-
zeuge kommen zu dem Ergebnis, dass der
jährliche Bedarf für Ersatzinvestitionen bei
225 Mio. EUR liegt. Unterstellt man aktuelle
Förderquoten und einen Anteil der kommuna-
len Ebene (Verkehrsunternehmen und Aufga-
benträger) in Höhe der historischen Eigenbei-
träge, müsste das ÖPNV-
Landesinvestitionsprogramm auf 141 Mio.
EUR allein für Ersatzinvestitionen aufgestockt
werden.
Empfohlen wird zudem, den Ersatz von ÖPNV-
Infrastruktur als weiteren Förderzweck im LIP
explizit zuzulassen, da anstehende Investitio-
nen künftig nicht mehr wie bisher in Ausbau-
programme integrierbar sein werden.
Der barrierefreie Zugang zum ÖPNV ist eine
zentrale Prämisse, damit auch für mobilitäts-
eingeschränkte Menschen eine selbstbe-
Abb. 3: Mehrwert des ÖPNV-Angebotskonzepts
Seite 10 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
stimmte und umfassende Teilhabe gewährleis-
tet ist. Das Personenbeförderungsgesetz
(PBefG) schreibt vor, die Barrierefreiheit bis
zum 1.1.2022 umzusetzen.
Realistisch ist die Umrüstung aller Haltestellen
im Freistaat Sachsen bis 2030 mit Ziel-Ausbau-
graden je nach Einrichtung zwischen 45% und
100%. Um die bestmögliche zeitnahe Wirkung
zu erzielen, ist über die Nahverkehrspläne
eine Priorisierung der Vorhaben nötig und
möglich. Der Mittelbedarf wird mit 29 Mio.
EUR pro Jahr beziffert.
Wie unter M1 erwähnt, stehen die Oberzen-
tren – vornehmlich die Ballungsräume – vor
der Aufgabe, das Fahrgastwachstum infolge
der Bevölkerungszunahme zu bewältigen und
neue Fahrgastpotenziale vor dem Hintergrund
der beginnenden Mobilitätswende zu er-
schließen. Der Investitionspfad ist davon ab-
hängig, welche verkehrlichen Ausbauziele
verfolgt werden:
Soll der heutige Modal Split gehalten werden
(Fortschreibungsszenario), sind von 2019 bis
2030 über den Substanzerhalt hinaus Investi-
tionen in Höhe von rund 40 Mio. EUR p.a.
erforderlich.
Im Falle einer offensiven ÖPNV-Politik, die auf
eine spürbare Steigerung des ÖPNV-
Marktanteils abzielt (Wachstumsszenario: Ziel
ist ein Modal-Split-Anteil des Umweltverbun-
des von 70%), ist mit zusätzlichen 65 Mio. EUR
pro Jahr ab 2024 zu rechnen.
Um Anwendungserfahrungen im Bereich
Elektromobilität zu sammeln und anwen-
dungsreife Lösungen zügig ausrollen zu kön-
nen, geht eine Modellrechnung der AG Infra-
struktur und Fahrzeuge allein für die sechs
sächsischen Oberzentren von ca. 19 Mio. EUR
zusätzlichem jährlichen Investitionsbedarf aus.
Hinzu kommen derzeit noch nicht bezifferbare
Mehrbedarfe für die flächendeckende Einfüh-
rung von digitalen Technologien im ÖPNV in
Mittelzentren und im ländlichen Raum.
Die Erprobung regionaler Betreibermodelle
zur effizienteren Bewirtschaftung der Schie-
neninfrastruktur ist eine qualitative Maßnah-
me, die zunächst kein Geld kostet und langfris-
tig eine bessere Infrastrukturbewirtschaftung
ermöglichen soll. Erforderlich ist allerdings die
Bereitschaft des Bundes, Teile der Ersatzinves-
titionsmittel auf die Länder zu übertragen.
Für die wachsende Anzahl überregionaler
Fahrten im Freistaat Sachsen wird ein eigen-
ständiger Sachsen-Tarif in Form eines Dachta-
rifes empfohlen. Dieser wird die Nutzung aller
öffentlichen Verkehrsmittel in einem Fahrpreis
zusammenfassen.
Um einen Landestarif zu entwerfen, sind die
Interessen vieler Akteure zu berücksichtigen.
Der Blick in andere Länder zeigt, dass eine
stufenweise Umsetzung realistisch ist. Die
Einrichtung einer Trägerorganisation setzt den
Grundstein, den Sachsen-Tarif zu entwickeln.
Um diese personell auszustatten, ist etwa 1
Mio. EUR p.a. nötig. Hinzu kommen Aus-
gleichszahlungen für Durchtarifierungsverluste
in der Anlaufphase in Höhe von jährlich 5 – 15
Mio. EUR.
Die ÖPNV-Branche ist gefordert, mit der digi-
talen Entwicklung Schritt zu halten. Die tech-
nischen Lösungen für mobile Endgeräte müs-
sen dahingehend weiterentwickelt werden,
dass verbundübergreifende Fahrkartenkäufe
und Reiseinformationen lückenlos möglich
werden.
Hierfür müssen die verschiedenen Hinter-
grundsysteme miteinander kommunizieren
können. Die sächsischen Verkehrsverbünde
arbeiten bereits mit den Nachbarregionen an
einer integrierten Umsetzung für das Medium
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 11 von 178
Smartphone. Die Mehraufwendungen werden
auf 2 Mio. EUR geschätzt.
Auf diesem Fundament können Systeme mit
einem weiteren Fahrgastnutzen aufbauen.
Beispielsweise kann dann der Zustieg eines
Fahrgastes automatisch erkannt und der Fahr-
preis nach der Inanspruchnahme je Fahrt ab-
gerechnet werden. Zudem könnten mittelfris-
tig die etablierten Smartcards der sächsischen
Verbünde und Unternehmen integriert wer-
den.
Ziel des Bildungstickets ist es, Schülern und
Auszubildenden einen kostengünstigen Zu-
gang zum ÖPNV zu verschaffen und die El-
ternbeiträge für die notwendige Schülerbe-
förderung zu vereinheitlichen.
Die Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb hat das
Konzept eines Bildungstickets konkretisiert
und die Schritte bis zur Einführung skizziert.
Dabei wurde klar, dass – ähnlich wie beim
Sachsen-Tarif – ein hinreichender zeitlicher
Vorlauf einzuplanen ist. Die resultierenden
Einnahmenausfälle der sächsischen Verbünde
und Unternehmen wurden in einer Modell-
rechnung auf mindestens 47 Mio. EUR pro
Jahr beziffert. Diese müssten zusätzlich zur
Aufstockung des ÖPNVFinAusG (M11) ausge-
glichen werden.
Die AG Organisation hat verschiedene Organi-
sationsmodelle entwickelt und bewertet. Auf
der Grundlage von empirischen und theoreti-
schen Überlegungen sowie eines „Stresstests“
kommt sie zu dem Ergebnis, dass die heutige,
kommunal verfasste Organisationsstruktur
geeignet ist, die künftigen Herausforderungen
zu bewältigen. Allerdings wird an einigen Stel-
len Entwicklungsbedarf gesehen. Daher
schlägt die Strategiekommission vor, eine
ergänzende Stelle zur Koordinierung von lan-
desbedeutsamen Aufgaben zu etablieren, um
den sächsischen ÖPNV weiterzuentwickeln
sowie Abstimmungs- und Planungsprozesse
effizienter zu organisieren. Die Strategiekom-
mission empfiehlt hierzu wenige Leitsätze:
Gegründet wird eine neutrale Koordinie-
rungsstelle als Multi-Themen-Center.
Die Koordinierungsstelle unterstützt, hat
aber keine Entscheidungsbefugnis.
Das Land soll sich an der Organisation
zum Zwecke der Selbstbindung beteili-
gen, aber:
Die Beteiligung des Landes beschränkt
sich auf eine qualifizierte Minderheit, um
der kommunalen Verfasstheit des ÖPNV
unverändert Rechnung zu tragen.
Für die Einrichtung einer Koordinierungsstelle
ist ein Zeitbedarf von rund neun bis zwölf Mo-
naten zu veranschlagen, da wesentliche orga-
nisatorische, rechtliche, personelle, Eigen-
tums- und finanzielle Fragen – insbesondere
auf und mit der kommunalen Ebene – geklärt
und verschiedene Gremien befasst werden
müssen. Ob, wann und in welcher Form das
Konstrukt zustande kommt, ist somit ein Er-
gebnis der Verhandlungen zwischen kommu-
naler Ebene und Land.
Das Land leistet einen Beitrag zur Finanzierung
des Ausbildungsverkehrs, indem es den kom-
munalen Aufgabenträgern über das ÖPNVFin-
AusG Mittel zur Verfügung stellt, mit denen
die Mindereinnahmen der Verkehrsunter-
nehmen aus rabattierten Zeitfahrausweisen
ausgeglichen werden.
Problematisch ist, dass die Gesamtkosten des
Systems seit geraumer Zeit überdurchschnitt-
lich steigen, ohne sie derzeit landesweit erfas-
sen zu können. Hierauf gründet z.B. die Forde-
rung, das ÖPNVFinAusG um bis zu 60 Mio. EUR
p.a. zu erhöhen und damit Kostensteigerun-
gen auffangen zu können.
Strategisch ergeben sich weitere Handlungs-
ansätze, z.B. die verpflichtende Analyse von
Mobilitätsfolgekosten bei kultus- und sozialpo-
litischen Entscheidungen.
Seite 12 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Die Nutzerfinanzierung ist insbesondere im
ÖSPV der Ballungszentren eine zentrale Finan-
zierungssäule. Verkehrsunternehmen und -
ver-bünde in Sachsen erreichen durch diffe-
renzierte und an regionale Märkte angepasste
Preispolitik einen im Vergleich sehr guten
Wert.
Aus dem Ländervergleich geht hervor, dass
auch die Zuschusswerte der sächsischen
Zweckverbände gut sind, aber die Fahrgast-
und Auslastungszahlen im SPNV unter dem
Bundesschnitt liegen. Zu prüfen ist, inwieweit
linienbezogene Entwicklungsziele wirksame
Anreize zur Verbesserung setzen könnten.
Die Nutznießerfinanzierung zielt auf Modelle
ab, neben den Nutzern auch die unmittelbar
durch den ÖPNV Begünstigten an der Finan-
zierung zu beteiligen. Damit die kommunale
Ebene dieses Instrument nutzen kann, sollte
der Freistaat Sachsen hierfür notwendige lan-
desgesetzliche Anpassungen prüfen.
Strategie 2025/2030 – zusätzlicher Finan-zierungsbedarf
Die 13 Maßnahmen verursachen im Zielzu-
stand – gemessen an der Jahresscheibe 2025 –
bei vollständiger Umsetzung in der Summe
einen fiskalischen Mehrbedarf von rund 500
Mio. EUR pro Jahr (siehe Abb. 4).
Dabei handelt es sich um den Gesamtbedarf,
den alle Akteure zusammen aufbieten müssen
(Freistaat Sachsen, kommunale Ebene und
Nutzer), da keine der beteiligten Gruppen eine
solche Größenordnung alleine schultern kann.
Hierfür sind Mischfinanzierungslösungen zu
entwickeln, die auf eine konzertierte Lasten-
verteilung unter Federführung des Freistaats
Sachsen abzielen.
Entscheidend wird dabei sein, den Gesamtbe-
trag von 500 Mio. EUR p.a. – der zunächst
hoch anmutet – im politischen Diskurs, d.h.
beim Einwerben von Mitteln in den richtigen
Bezug zu setzen.
Abb. 4: Finanzieller Mehrbedarf der Maßnahmen 2025
Relativ zum Marktvolumen des sächsischen
ÖPNV, das 2025 auf 1.500 Mio. EUR zu schät-
zen ist, beläuft sich die geplante Ausweitung
auf ein Drittel. Dieses Delta ist der Preis dafür,
den ÖPNV im Freistaat Sachsen auf eine neue
Entwicklungsstufe zu heben, die sich durch
einen Quantensprung an Verbesserungen im
Angebot auszeichnet. Es unterstellt einen
deutlich höheren gesellschaftlichen Stellen-
wert des ÖPNV und arbeitet zugleich auf die-
sen hin.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 13 von 178
Umsetzung 2019/2020
Auch wenn der Fokus der Konzeptionsarbeit –
wie bei Strategien üblich – auf der mittel- bis
langfristigen Zeitschiene liegt, enthalten die
Handlungsempfehlungen zahlreiche Maß-
nahmen, die deutlich schneller eingeführt
werden können. Ziel ist es, bereits 2018 die
ersten Umsetzungsschritte einzuleiten, um
2019/2020 konkrete Verbesserungen im
ÖPNV sichtbar werden zu lassen. Zu diesem
Zweck soll die Strategiekommission auch im
kommenden Jahr den Umsetzungsprozess
begleiten.
Die Empfehlungen der ÖPNV-Strategiekom-
mission sind als Angebot an die Politik zu ver-
stehen, aus einem Menü an Vorschlägen wäh-
len zu können. Dabei ist zu beachten, dass
nicht alle Maßnahmen gleichermaßen dispo-
nibel sind. Beispiele hierfür:
Ersatzinvestitionen können nicht dauer-
haft aufgeschoben werden, ohne Kollate-
ralschäden mit Spätfolgen zu erzeugen
(Substanzverzehr).
Die Umsetzung der Barrierefreiheit ist
gesetzlich vorgegeben.
Die Maßnahmen und Module des Ange-
botskonzeptes weisen eine Wechselwir-
kung untereinander auf.
Hiervon abgesehen bleibt die tatsächliche
Priorisierung der politischen Willensbildung
vorbehalten, die zwischen der Regierung, dem
Sächsischen Landtag und der kommunalen
Ebene stattfindet. Ein zentraler Meilenstein ist
die Aufstellung des Doppelhaushaltes
2019/2020 durch den Gesetzgeber.
Abb. 5 veranschaulicht die wesentlichen Etap-
pen des Zeitplans 2018.
Die von der ÖPNV-Strategiekommission ent-
wickelten Maßnahmen wurden anhand von
sechs Prüfkriterien geprüft:
Modularität
Beteiligte Akteure
Planerischer Vorlauf
Technisch-betriebliche Machbarkeit
Rechtlicher Vorbehalt/Prüfbedarf
Fördervoraussetzung
Ziel ist, für die politischen Entscheider eine
realistische Einschätzung der zeitlichen Um-
setzbarkeit zu ermöglichen.
Aus diesem Prozess ergeben sich folgende
Maßnahmen, die eine relativ schnelle Umset-
zungsmöglichkeit implizieren:
Einrichtung einer Koordinierungsstelle,
schrittweise Einführung des PlusBus- und
TaktBus-Netzes,
Entwurf einer Investitionsstrategie (inkl.
Schaffung von Planungskapazitäten) und
Abbildung von Wachstumsinvestitionen,
für die die Komplementärfinanzierung
vorliegt,
Gründung einer Trägerorganisation für
einen Sachsen-Tarif sowie Einführung
erster Tarifprodukte,
Umsetzung von landesweiten digitalen
Vertriebslösungen und
die Befassung mit dem Bildungsticket
und arrondierenden Fragen der Finanzie-
rung des Ausbildungsverkehrs.
Seite 14 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Abb. 5: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 15 von 178
INHALT
GRUßWORT ...................................................................................................................... 4
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE ............................................................................................... 6
EINLEITUNG .................................................................................................................... 16
PHASE 1: GRUNDLAGEN ........................................................................................... 21 A.
I. Erwartungsmanagement ............................................................................................ 21
II. Zielharmonien und Systemgrenzen ........................................................................... 24
III. Ziele für den sächsischen ÖPNV ................................................................................. 26
IV. Status quo im sächsischen ÖPNV ............................................................................... 27
PHASE 2: KONZEPTION DER STRATEGIE 2025/2030 ................................................... 43 B.
I. Angebotsentwicklung ................................................................................................. 43
II. Infrastruktur und Fahrzeuge ...................................................................................... 53
III. Tarif und Vertrieb ....................................................................................................... 58
IV. Organisation ............................................................................................................... 61
V. Digitalisierung............................................................................................................. 67
VI. Finanzierung ............................................................................................................... 72
PHASE 3: UMSETZUNG IN DIE PRAXIS ....................................................................... 81 C.
I. Politischer Zeitrahmen ............................................................................................... 82
II. Eignung der Maßnahmen für 2019/2020 .................................................................. 82
III. Ausblick 2019/2020 .................................................................................................... 86
ABBILDUNGSVERZEICHNIS .............................................................................................. 88
TABELLENVERZEICHNIS ................................................................................................... 90
ANLAGEN ........................................................................................................................ 91
I. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Angebotsentwicklung ........................................... 92
II. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb ............................................... 110
III. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Infrastruktur und Fahrzeuge ............................... 119
IV. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Organisation ....................................................... 135
V. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Finanzierung ....................................................... 147
VI. Glossar ...................................................................................................................... 164
VII. Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 175
Seite 16 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Einleitung
Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)
im Freistaat Sachsen ist ein wichtiger Baustein
der Daseinsvorsorge. Er ist ein Garant dafür,
dass die Bürger täglich sicher, umweltfreund-
lich und zuverlässig zur Arbeitsstelle, in die
Schule und zu Einkaufs- und Freizeitstätten
gelangen.
Der ÖPNV steht vor der Herausforderung, auf
große Trends in Wirtschaft und Gesellschaft
Antworten geben zu müssen, z.B. die Alterung
und Urbanisierung, den digitalen Wandel und
Änderungen der Bund-Länder-Finanzbezie-
hungen. Diese Umwälzungen muss der Markt
in seinem komplexen Geflecht aus Regelungen
und Zuständigkeiten vieler Akteure bewältigen.
Die Strahlkraft auf viele Gesellschaftsbereiche
legt den Schluss nahe, den Prozess breit anzu-
legen.
Die ideelle Geburtsstunde der ÖPNV-
Strategiekommission beruht auf dem Koaliti-
onsvertrag der CDU/SPD-Koalition des 6. Säch-
sischen Landtags, in dem es heißt:
„[…] angesichts der demografischen Heraus-
forderungen sowie der sich verändernden
Finanzierungsgrundlagen werden wir eine
Strategiekommission für den sächsischen
ÖPNV/SPNV ins Leben rufen, die eine Ge-
samtstrategie für einen weiterhin leistungs-
fähigen öffentlichen Verkehr im Freistaat
entwickeln soll.“
Auf diese Initiative hin beschloss der Sächsi-
sche Landtag in seiner 9. Sitzung am 11. März
2015 mit großer Mehrheit den Antrag 6/1067
zur Einsetzung einer Strategiekommission für
einen leistungsfähigen ÖPNV/SPNV in Sachsen
(ÖPNV-Strategiekommission). Darin wird die
Staatsregierung aufgefordert, der Kommission
mindestens folgende Aufgaben und Themen-
schwerpunkte vorzugeben:
„Erarbeitung von Lösungsansätzen zur Si-
cherstellung der ÖPNV/SPNV-Erreichbar-
keiten vor dem Hintergrund der demogra-
fischen Entwicklung,
Ermittlung des Finanzierungsbedarfs für
die Grundversorgung mit ÖPNV/SPNV-
Leistungen,
Ermittlung des korrespondierenden Inves-
titionsbedarfs unter Beachtung der sich
verändernden Finanzierungsgrundlagen,
Darstellung von Optimierungsmöglichkei-
ten der Organisations- und Ausschrei-
bungsstrukturen sowie der Tarif- und Be-
förderungsbedingungen im sächsischen
ÖPNV/SPNV,
Lösungsvorschläge zur Harmonisierung
der Tarif- und Beförderungsbedingungen
im Freistaat Sachsen,
Prüfung von Möglichkeiten zur Einführung
eines integralen Taktfahrplans.“
Die Strategiekommission wurde im Mai 2015
konstituiert. Um fachliche Kompetenzen und
gesellschaftliche Interessen gleichermaßen in
der ÖPNV-Strategiekommission vertreten zu
sehen, wurde der Kreis der Mitglieder weit
gefasst (siehe Abb. 6).
Den Vorsitz der ÖPNV-Strategiekommission
nimmt der Staatssekretär für Wirtschaft und
Verkehr Dr. Hartmut Mangold wahr; Jürgen
Petzold und Reiner Zieschank fungieren als
Stellvertreter. Sie sind auch Mitglieder des
internen Lenkungskreises, der eine koordinie-
rende Funktion ausübt.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 17 von 178
Abb. 6: Übersicht der ständigen Mitglieder der Kommission und der Arbeitsgruppen
Die ÖPNV-Strategiekommission wird durch
eine Geschäftsstelle im SMWA organisatorisch
unterstützt. Die fachliche Begleitung leistet ein
in einem europaweiten Vergabeverfahren aus-
gewähltes Gutachterkonsortium, bestehend
aus ETC Transport Consultants GmbH und KCW
GmbH. Daneben berät die vci GmbH die Kom-
missionsmitglieder in Tariffragen.
Die ÖPNV-Strategiekommission hat fünf Ar-
beitsgruppen gebildet:
Angebotsentwicklung (AngE)
Infrastruktur und Fahrzeuge (IuF)
Finanzierung (Fin)
Tarif und Vertrieb (TuV)
Organisation (Orga)
Diese konstituierten sich Ende Januar 2016 –
mit Ausnahme der AG Organisation, die ihre
Arbeit im August 2016 aufnahm. Die Arbeits-
gruppen tagten in vier- bis sechswöchigen Sit-
zungsabständen. Kommissionsmitglieder konn-
ten sich in einer oder mehreren Arbeitsgrup-
pen als regelmäßige Mitglieder engagieren.
Die Arbeit der ÖPNV-Strategiekommission lässt
sich über den Zeitraum ab der konstituieren-
den Sitzung am 27. Mai 2015 in drei Phasen
einteilen:
Grundlagen
Konzeption
Umsetzung
Seite 18 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
1. Grundlagenphase (Aug. 15 – Apr. 16)
Den Auftakt der Kommissionsarbeit bildete
eine Befragung aller 27 Mitglieder als Stake-
holder zu den Stärken und Schwächen des
ÖPNV in Sachsen, die gutachterlich ausgewer-
tet wurden.
Anschließend erstellten ETC/KCW ab Septem-
ber 2015 ein Basisgutachten, das den Kommis-
sionsmitgliedern im April 2016 vorgestellt und
in den Arbeitsgruppen diskutiert wurde.
Als zentrale Arbeitsgrundlage der ÖPNV-
Strategiekommission enthält das Basisgutach-
ten die Bestandsaufnahme des Status quo im
sächsischen ÖPNV. In ihm sind die zentralen
Informationen, Kennzahlen, Rahmenbedingun-
gen und Prognosen/Szenarien dokumentiert.
Zugleich setzt es damit Impulse, zu welchen
Herausforderungen in den Arbeitsgruppen
vorrangig Strategien und Lösungen in der
nächsten Phase zu entwickeln seien.
Zur Einarbeitung der Ergebnisse der 6. Regio-
nalisierten Bevölkerungsvorausberechnung
und der Leistungsdaten 2014 aus dem SPNV-
Erfolgsmonitor wurde das Basisgutachten im
Februar 2017 aktualisiert. Es wurde als Druck-
sache des Sächsischen Landtags unter der Nr.
6/5343 veröffentlicht und steht der Allgemein-
heit auf der Internetseite des SMWA zur Verfü-
gung.1
Die Ergebnisse der Grundlagenphase sind im
Kapitel A dargestellt.
2. Konzeptionsphase (Mai 16 – Dez. 17)
Die Konzeptionsphase umspannt den inhaltli-
chen Schwerpunkt der Kommissionsarbeit, die
im Wesentlichen in den fünf Arbeitsgruppen
geleistet worden ist.
In den ersten Sitzungen 2016 wurde zunächst
je Arbeitsgruppe ein Themenvorrat angelegt.
Im Anschluss daran wurden die Themen aufbe-
reitet und mit der gebotenen Ausführlichkeit
erörtert.
1 http://www.verkehr.sachsen.de/13273.html,
Abruf am 11.12.2017.
In dieser Phase wurden – über das Basisgutach-
ten hinaus – von vielen Seiten Fachbeiträge als
Input für die Arbeitsgruppen bereitgestellt, z.B.
durch
die Erstellung von Ausarbeitungen und
Dokumentationen durch Kommissions-
mitglieder, die Geschäftsstelle oder Gut-
achter,
Informationen über laufende Projekte,
Gesetzesvorhaben und politische Prozes-
se,
die Datenerfassung und Befragung von
kommunalen Institutionen und Verkehrs-
unternehmen sowie -verbünden,
Vorträge von Kommissionsmitgliedern
und von Externen,
Einzelaufträge (Gutachten, Berichte), die
von den Arbeitsgruppen initiiert wurden,
Gutachten, Veröffentlichungen und Be-
richte von Dritten.
Im Herbst 2016 reifte die Entscheidung heran,
den Abschluss der Konzeptionsphase auf De-
zember 2017 vorzuziehen, um einen ersten Teil
der empfohlenen Maßnahmen noch in der
laufenden 6. Legislaturperiode des Sächsischen
Landtags umsetzen zu können und die eingelei-
teten Schritte sichtbar werden zu lassen.
Mit Blick auf den ambitionierten Zeitplan ver-
ständigten sich die Kommissionsmitglieder auf
einen dreistufigen Trichterprozess, der im
Zentrum der Abb. 7 auf Seite 19 veranschau-
licht wird.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 19 von 178
Abb. 7: Phasen und Prozess der Kommissionsarbeit
Stufe 1: „Steckbriefe“
Es wurden 18 Themenschwerpunkte fest-
gelegt, für die die wesentlichen Informati-
onen, die Ergebnisse der Diskussion in den
Arbeitsgruppen und die Handlungsemp-
fehlungen in dem Format eines Steck-
briefs zusammengeführt wurden. Sie wur-
den im Zeitraum Mai bis Juli 2017 in den
Arbeitsgruppen ausführlich erörtert und
größtenteils verabschiedet. Aus den Steck-
briefen sind die in diesem Bericht vorge-
stellten Maßnahmenvorschläge der ÖPNV-
Strategiekommission entwachsen.
Stufe 2: „Thesenpapiere“
Um die finanziellen Mehrbedarfe der
Maßnahmen zu quantifizieren und ihre
Umsetzbarkeit auf der Zeitschiene einzu-
ordnen, lautete der Auftrag an die Ar-
beitsgruppen, ihre Steckbriefe im zweiten
Schritt zu einem Thesenpapier zu verdich-
ten. Vorangestellt sind kurze Thesen, die
im nachgeschalteten Begründungsapparat
erläutert werden.
Ein wesentlicher Zwischenschritt war die
monetäre Bewertung der Maßnahmen in
einer „Matrix“, mit der sich vornehmlich
im August 2017 intensiv befasst wurde.
Die Thesenpapiere wurden in der Arbeits-
sitzung der Strategiekommission am 8.
November 2017 beschlossen.
Stufe 3: „Abschlussbericht“
Im letzten Schritt wurden die zentralen
Aussagen der fünf Thesenpapiere konzep-
tionell zusammengebunden in den vorlie-
genden Abschlussbericht überführt. Die in
Stufe 2 erarbeiteten Thesenpapiere wer-
den im Anhang im originalen Wortlaut do-
kumentiert.
Seite 20 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Insgesamt haben die Arbeitsgruppen in der
Konzeptionsphase 81 Mal binnen 24 Monaten
getagt. Darüber hinaus trafen sich die Sprecher
der Arbeitsgruppen fünf Mal, um die Wechsel-
wirkungen einzelner Themen zu besprechen. In
11 Sitzungen der ÖPNV-Strategiekommission in
dem Zeitraum wurden die Arbeitsstände der
AGs in großer Runde debattiert.
Die in diesem Bericht in Kapitel B zusammenge-
fassten Arbeitsergebnisse der ÖPNV-Strategie-
kommission bündeln die strategischen Empfeh-
lungen an die politischen Entscheidungsträger
im Freistaat Sachsen zur Weiterentwicklung
des öffentlichen Nahverkehrs.
3. Umsetzungsphase (Jan. 18 – Aug. 19)
Der Anspruch dieser ÖPNV-Strategiekom-
mission ist es, neben Strategien auch konkrete
Maßnahmen zu entwickeln und deren Umset-
zung mit in die Wege zu leiten. Die über fast
drei Jahre eingeübte vertrauensvolle Zusam-
menarbeit soll dazu genutzt werden, die Vor-
schläge in die Praxis zu überführen.
Angestrebt wird, die ersten Verbesserungen im
sächsischen ÖPNV 2019/2020 zu erzielen bzw.
Maßnahmen mit längerem Vorlauf bis dahin
sichtbar werden zu lassen. Hierzu wird die
ÖPNV-Strategiekommission auch 2018 den
Umsetzungsprozess weiterhin begleiten.
Die wesentlichen Meilensteine der Umset-
zungsvorbereitung 2018 sind der Abb. 8 zu
entnehmen.
Im ersten Quartal steht die politische Willens-
bildung im Vordergrund, welche der Vorschlä-
ge in welcher Taktung tatsächlich umgesetzt
werden sollen. Hierbei wird auch den Verhand-
lungen des Freistaates mit der kommunalen
Ebene eine entscheidende Bedeutung zukom-
men, da der ÖPNV kommunal verfasst ist. Pa-
rallel müssen die benötigten Mittel in den
Doppelhaushalt 2019/2020 eingestellt werden.
Je schneller im politischen Raum manifest wird,
welche Vorschläge tatsächlich gewünscht sind,
desto eher kann mit der operativen Umsetzung
begonnen werden. Auch sie muss fachlich noch
vertiefend vorbereitet werden.
Ein Ausblick hierzu findet sich im Kapitel C.
Abb. 8: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 21 von 178
Phase 1: GrundlagenA.
Stellt man sich die Frage, warum der Öffentli-
che Personennahverkehr (ÖPNV) als „öffent-
lich“ bezeichnet wird, leistet das ÖPNVG fol-
gende amtliche Erklärungshilfe:
„Öffentlicher Personennahverkehr […] ist die
allgemein zugängliche Beförderung von
Personen mit Verkehrsmitteln im Linienver-
kehr, die überwiegend dazu bestimmt sind,
die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort-
oder Regionalverkehr zu befriedigen. Ein
solcher Verkehr liegt vor, wenn bei der
Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Ver-
kehrsmittels die Beförderungsstrecke 50 Ki-
lometer oder die Beförderungszeit eine
Stunde nicht übersteigt.“
Ungeachtet der in Gesetzestexten üblichen
Sperrigkeit der Formulierung ist klar herauszu-
lesen, dass der freie Zugang zum Verkehrsmit-
tel (Bus, Straßenbahn, Eisenbahn, Fähre, Taxi
o.ä.) das prägende Kriterium ist. Darüber hin-
aus bringt der Terminus „Linienverkehr“ den
Anspruch an eine Regelmäßigkeit bzw. Min-
destmenge des Fahrtenangebotes zum Aus-
druck.
Im gesellschaftlichen Diskurs manifestiert sich
der öffentliche Charakter häufig an zwei weite-
ren Eigenschaften:
Ein wesentlicher Nutzen des ÖPNV und
damit auch sein Stellenwert resultiert aus
der Beförderung großer Fahrgastmengen
– im Gegensatz zum motorisierten Indivi-
dualverkehr mit einem durchschnittlichen
Besetzungsgrad von < 1,5 Personen (da-
von < 1,2 Personen im Berufsverkehr). Aus
diesem Grund werden öffentliche Ver-
kehrsmittel in Metropolen auch als „Mas-
sen“transportmittel bezeichnet.
Die meisten Bürger sehen die öffentliche
Hand in der Verantwortung, den ÖPNV als
Teil der Daseinsvorsorge zu organisieren
und in dem Maße zu finanzieren, wie die
zumutbaren Beiträge der Nutzer zur Kos-
tendeckung nicht ausreichen.
Da grundsätzlich jede(r) den ÖPNV nutzen kann
und die Allgemeinheit in der Rolle des Steuer-
zahlers bei der Finanzierung eingebunden ist,
lässt sich ein Phänomen flächendeckend be-
obachten:
Nicht jeder nutzt den ÖPNV, aber jede(r) hat
eine Meinung zum ÖPNV!
Diese Breitenwirkung ist Chance und Last zu-
gleich: Auf der einen Seite lässt sich eine hohe
Aufmerksamkeit dazu nutzen, für die Vorteil-
haftigkeit des eigenen Produktes zu werben.
Dagegen stehen die Vielzahl und Vielschichtig-
keit von Erwartungen, die die Fahrgäste, po-
tenziellen Nutzer und der Steuerzahler an den
ÖPNV knüpfen und überzogen sein können.
I. Erwartungsmanagement
Wie umfassend der Kanon der an den ÖPNV
gerichteten Erwartungen ist, lässt sich instruk-
tiv anhand der erhofften Eigenschaften des
Produktes veranschaulichen, die Abb. 9 in Ad-
jektivform festhält.
Abb. 9: Erwartungen an den ÖPNV
Seite 22 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Zu den Eigenschaften im Einzelnen:
„erreichbar“: Die Erreichbarkeit eines
Ziels wird im Wesentlichen durch die
Fahrzeiten und die Bedienhäufigkeit (Fre-
quenz, Takt) von seiner Quelle bestimmt.2
Mindeststandards für Bedienungshäufig-
keiten finden sich in den regionalen Nah-
verkehrsplänen, ebenso die jeweilige Aus-
legung der Reisezeiten. Sachsenweit ein-
heitliche Mindeststandards für die jeweili-
gen Raumtypen und -strukturen sind da-
mit nicht definiert.
Erwartet wird vom ÖPNV in der Zukunft,
die Erreichbarkeit auch unter erschwerten
Bedingungen wie dem demografischen
Wandel im ländlichen Raum sicherzustel-
len oder zu verbessern. Die Sicherung der
Mobilität durch den ÖPNV ist Vorausset-
zung zur Teilhabe am öffentlichen Leben
für diejenigen, die auf keine Alternative
zurückgreifen können.
„gutes Fahrtenangebot“: Während die
unterste Schwelle der Erreichbarkeit auf
die Existenzsicherung der Mobilität ab-
hebt, deckt ein gutes Fahrtenangebot die
Ansprüche darüber ab. Hier geht es da-
rum, die Angebote an der Nachfrage aus-
zurichten, d.h. Kapazitäten für die Last-
spitzen vorzuhalten, stringente Taktsys-
teme anzubieten, die Linienführung an
den realen Bedarfen zu orientieren oder
auch nachts im städtischen Raum inklusi-
ve Einzugsbereich ein attraktives Angebot
zu gewährleisten.
„pünktlich“, „schnell“ und „zuverlässig“
(= leistungsfähig): Bei spurgeführten Sys-
temen wie der Eisen- oder Straßenbahn
setzt der Nutzer eine pünktliche und zu-
verlässige Leistung entlang seiner Reise-
2 In den übergeordneten bundes- und landesweiten
Planungsdokumenten wie den „Richtlinien für inte-grierte Netzgestaltung“ der FGSV (RIN 2008), dem Landesentwicklungsplan (LEP Sachsen 2013) und dem Landesverkehrsplan (LVP Sachsen 2025) wer-den in erster Linie anzustrebende Reisezeiten defi-niert.
kette voraus. Hierzu gehört auch, eine An-
schlusssicherheit zu gewährleisten.
Der ÖPNV sollte zeitlich konkurrenzfähig
zum Pkw sein, zumindest in Ballungsräu-
men und auf Hauptachsen. Um dies zu er-
reichen, sind aber zumeist keine massiven
Geschwindigkeitserhöhungen notwendig,
sondern zuvorderst ein störungsfreier Be-
trieb in den Ballungsräumen sowie Direkt-
verbindungen und gute Anschüsse im Re-
gionalverkehr.
Bei nicht vermeidbaren Abweichungen
vom Regelbetrieb erwarten die Fahrgäste,
dass Alternativen (Schienenersatz- und
Busnotverkehr) zeitnah bereitgestellt
werden und hierüber zuverlässig infor-
miert wird. Dies ist derzeit häufig noch
nicht der Fall.
„komfortabel“: In Abhängigkeit der Rei-
sedauer hat der Fahrgast unterschiedliche
Ansprüche an die Beförderungs- und Auf-
enthaltsqualität. Zentrale Schlagworte für
den Fahrzeugkomfort sind Beinfreiheit,
Arbeitsfähigkeit durch Steckdosen und
WLAN, gastronomische Versorgung oder
Mitnahme von Fahrrädern und Gepäck.
An den Zugangsstellen sind die Aufent-
haltsqualität bei Wartezeiten und die Si-
cherheit bedeutsam.
„barrierefrei“: Wie schon die Ausgangsde-
finition zeigte, ist der freie Zugang zu den
öffentlichen Verkehrsmitteln ein identi-
tätsstiftendes Urmerkmal. Dies gilt für alle
Nutzer, insbesondere auch für solche mit
körperlichen oder situativen Erschwernis-
sen (Alter, Kinderwagen, Gepäck).
Die Erwartung an die Barrierefreiheit un-
terfächert sich in den selbstbestimmten
technischen Zugang zu Fahrzeug (Nieder-
flur, Rampe, Lifter) und Bahnsteig/Halte-
stelle, aber auch in die Erleichterung des
Vor- und Nachlaufs, indem die Entfernung
zur Zugangsstelle so gering wie möglich
gehalten wird (Haltestellendichte). Auch
akustische und taktile Leitsysteme sowie
im Ausnahmefall das Bereithalten perso-
nengebundener Dienste sowie Hinweise
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 23 von 178
in „Leichter Sprache“ erleichtern die Nut-
zung für diesen Personenkreis.
„preislich attraktiv“: Die Attraktivität ei-
nes Preises hängt von der Zahlungsbereit-
schaft jedes einzelnen Nutzers ab, die
wiederum durch sein verfügbares Ein-
kommen und seine Präferenzen bestimmt
wird. Harter Benchmark sind die Nut-
zungskosten eines Pkw, die auf Grenzkos-
tenbasis kalkuliert werden, wenn ein Auto
vorhanden ist (Besitz). Hier spielen auch
die Kosten des Parkraums eine bedeuten-
de Rolle. Familien rechnen die Mobilitäts-
kosten aller Mitglieder auf.
Klar ist, dass nicht die absolute Preishöhe
auf das Nutzerverhalten einwirkt, sondern
vor allem bei einer Pkw-Verfügbarkeit das
Verhältnis von Preis (Kosten) und Leistung
(Nutzen). Letztere bemisst sich durch die
Faktoren Fahrtdauer, Komfort und Flexibi-
lität.
„erschwinglich“: Diese Eigenschaft er-
gänzt den vorigen Punkt um die sozialpoli-
tische Komponente der einkommensab-
hängigen Zahlungsfähigkeit.
„intuitiv/leicht verständlich“: Diese An-
forderung erstreckt sich auf verschiedene
Bereiche. So erwartet der Fahrgast, das
Fahrtenangebot auf einen Blick verstehen
zu können. Abschreckendes Gegenbeispiel
sind Aushänge im Schülerverkehr, in de-
nen der kleingedruckte Fußnotenapparat
zu Gültigkeit und Ausnahmen länger ist als
die Liste der Abfahrtszeiten.
Ebenfalls ein sensibles Dauerthema im
deutschen ÖPNV ist die Übersichtlichkeit
von Tarif, Beförderungsbestimmungen
und Vertrieb, teils als Folge einer Klein-
staaterei, wie die nachstehende Karikatur
in Abb. 10 überspitzt.
Perspektivisch werden die Möglichkeiten
der Digitalisierung hier allerdings Abhilfe
schaffen.
Abb. 10: Karikatur zu Tarifübersichtlichkeit
„sicher“: Die systemische Sicherheit der
Beförderung im ÖPNV in der Kombination
aus Infrastruktur und Fahrzeug ist für die
Öffentlichkeit kein Thema, da gesetzliche
Regelwerke diese sicherstellen und die
verschwindend geringen Unfallzahlen im
Verhältnis zum MIV empirisch belegt sind.
Kritischer wird hingegen in den letzten
Jahren die Sicherheit im öffentlichen
Raum gesehen. Hier erwarten die Fahr-
gäste angstfreie Räume an den Zugangs-
stellen und in den Fahrzeugen selbst. Die
Verkehrsunternehmen stehen vor der
Herausforderung, dies durch Technik
(Kameras, Licht) und/oder Personal zu
gewährleisten.
„wirtschaftlich“: Abstrakt wird jeder die
Forderung unterschreiben, dass eine öf-
fentliche Leistung wirtschaftlich erbracht
werden muss. Dies gilt insbesondere für
das kapitalintensive System Schiene. Denn
jede Ineffizienz bedeutet bei knappen
Mitteln, eine andere (zusätzliche) Leistung
nicht bereitstellen zu können. Welcher
Kostendeckungsgrad im konkreten An-
wendungsfall noch gerade akzeptiert wird
oder ab welcher Nutzerzahl sich ein Ange-
bot nicht mehr lohnt, ist politisch immer
umstritten.
„ökologisch“: Der umweltbezogene For-
derungskatalog umfasst mehrere Sub-
themen. So soll der ÖPNV möglichst emis-
sionsarm produziert werden, um seinen
Umweltvorteil und den erwarteten Bei-
trag zum Klimaschutz auszuspielen. Vo-
raussetzung hierfür ist eine adäquate Aus-
Seite 24 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
lastung. Elektromobil sind Züge und Stra-
ßenbahnen seit mehr als 100 Jahren un-
terwegs, sofern die Infrastruktur elektrifi-
ziert ist.
Die aktuelle Diskussion um Fahrverbote
zur Reduktion der Stickoxidbelastung und
die Endlichkeit von Verbrennungsmotoren
sollte dem ÖPNV perspektivisch in die
Hände spielen, muss im politischen Lob-
bying aber noch stärker herausgearbeitet
werden.
Ein bis dato wunderer Punkt rankt sich um
das Thema Lärm, bei dem zumindest die
„schwere Schiene“ Nachholbedarf hat, al-
lerdings primär im Güterverkehr. Stören-
de Geräusche des SPNV oder der leichten
Schiene resultieren zumeist aus einer
suboptimalen Wartung der Infrastruktur
oder Standphänomenen.
„nachhaltig“: Der Begriff des nachhaltigen
Wirtschaftens stammt ursprünglich aus
der sächsischen Forstwirtschaft des 18.
Jahrhunderts. In der aktuellen Diskussion
hat er eine umwelt-, sozialpolitische und
ökonomische Dimension. Wesentlicher
Anspruch der nachhaltigen Entwicklung ist
der Leitgedanke der Generationengerech-
tigkeit, indem die gegenwärtigen Nut-
zungsansprüche nicht jene der künftigen
Generationen einschränken. Der ÖPNV
leistet einen elementaren Beitrag zur
nachhaltigen Mobilität.
„zukunftsfähig“: Schließlich wird erwar-
tet, dass der ÖPNV mit der Zeit geht und
auf Trends und technologische Neuerun-
gen reagiert oder diese antizipiert. Die be-
sondere Herausforderung liegt für ihn da-
rin, den lohnenswerten Zeitpunkt eines
Systemübergangs zu erkennen.
II. Zielharmonien und Systemgren-zen
Die Vielzahl unterschiedlicher Erwartungen ist
so lange unproblematisch, wie sie maßvoll
bleiben und in die gleiche Richtung wirken.
Eine solche Zielharmonie ist bei vielen Eigen-
schaften – zumindest eine gewisse Wegstrecke
lang – der Fall. So führen alle positiven Merk-
male, die die Attraktivität des ÖPNV steigern,
zu erhöhten Fahrgastzahlen, die die Wirtschaft-
lichkeit und Energieeffizienz verbessern.
Aber: Angesichts der Fülle der gestellten An-
forderungen ist es unvermeidlich, nicht alle
Individualwünsche jedes Einzelnen erfüllen zu
können. Während der Käufer eines Autos oder
Fahrrades sein Beförderungsmittel nach sei-
nem Geschmack aussuchen kann (Funktionali-
tät, Design usw.), erzwingt die gemeinsame
Nutzung eines Verkehrsmittels stets einen
Kompromiss zur Lösung eines Zielkonfliktes.
Diese Zwangskomponente lässt sich im Idealfall
reduzieren, aber auch dann nicht in Gänze
beseitigen, wenn die Möglichkeiten der Digita-
lisierung den ÖV in Teilen individualisieren, sei
es durch On-Demand-Verkehre (Abkehr vom
starren Fahrplan) oder kleinere und dichter
getaktete Gefäßgrößen (Senkung der Mitnut-
zerzahl).
Der zu zahlende „Preis“ des Einzelnen wird
durch den Bündelungsvorteil aufgewogen, der
sich je Nutzer in einer höheren Wirtschaftlich-
keit und geringerem Energieverbrauch nieder-
schlägt.
Das komplexe System stößt jedoch dann an
Systemgrenzen, sobald objektive Zielkonflikte
entstehen. Ausgewählte Beispiele:
Die Forderung nach wenigen Tarifen
oder gar einer einzigen Flatrate in einem
Verbundraum ist aus Übersichtsgründen
verständlich. Dagegen stehen reduzierte
Möglichkeiten der Auslastungssteuerung,
Gerechtigkeitsprobleme (Abkehr vom
Verursacherprinzip oder keine Möglichkeit
zur sozialen Differenzierung) und der Ver-
zicht auf unternehmerische Anreize zur
Preisdifferenzierung, auch zur Erarbeitung
von Wettbewerbsvorteilen.
In Ballungsräumen mit starken Pendlerbe-
ziehungen wollen die im Umland Woh-
nenden so schnell wie möglich in die und
aus der City fahren. Dies spricht für direk-
te Expressverbindungen mit wenigen Hal-
ten. Jeder ausgelassene Halt bedeutet
aber für andere Nutzer, Umsteigebezie-
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 25 von 178
hungen oder längere Reisezeiten in Kauf
nehmen zu müssen.
Anschlusssicherung bedeutet betrieblich,
auf den verspäteten Zubringer zu warten.
Der Preis dafür ist, dass viele Nutzer auf
wenige Umsteiger warten und nun ihre
Reisekette gefährdet sehen.
Die Forderung nach einem sicheren Sitz-
platz für jeden Fahrgast zwänge die Ver-
kehrsunternehmen, die Dimensionierung
der besonders kostspieligen Fahrzeugka-
pazitäten an der Morgenspitze der Haupt-
verkehrszeit auszurichten. In allen ande-
ren Zeiten werden dadurch teilweise un-
terausgelastete Kapazitäten durch die Ge-
gend gefahren. Insofern ist der „zumutba-
re Stehplatzanteil“ bei der Kapazitätspla-
nung immer ein Kompromiss.
Die Mitnahme von Fahrrädern in Zügen In
der Hauptverkehrszeit unterstützt die Rei-
sekette „Rad – Zug“ und damit den Um-
weltverbund. Zugleich wird der Fahrgast-
raum verknappt und der Fahrgastwechsel
häufig erschwert. Aus diesem Grund ist
auch eine vollständige Harmonisierung
von Tarifbestimmungen schwierig, da die
Anforderungen in Ballungsräumen und
außerhalb unterschiedlich sind.
Eine Deckelung der Beiträge aus der Nut-
zerfinanzierung hat automatisch zur Folge,
den Steuerzahler stärker zu belasten.
Übersteigt der Fahrgasterfolg die beste-
henden Kapazitäten, entstehen sprungfixe
Kosten einer Angebotsausweitung, die die
Wirtschaftlichkeit zunächst verschlech-
tern.
Wird ein zur Verfügung stehender knap-
per Euro ausschließlich nachfrageorien-
tiert eingesetzt, ist der wachsende Bal-
lungsraum immer im Vorteil. Im ländli-
chen Raum womöglich durch ÖPNV-
Angebote die Einwohner zu halten ist eine
andere Nutzendimension, die objektiv
nicht gegeneinander gewichtet werden
kann.
Die Liste ließe sich nahtlos fortsetzen. Sie zeigt,
dass die Vielzahl der Erwartungen an den
ÖPNV – auf politischer Ebene gekleidet in zahl-
reiche verkehrs-, umwelt- und sozialpolitische
(Teil-)Ziele – in keine durchgängig wider-
spruchsfreie Rangfolge gebracht werden kann.
Erschwerend kommt hinzu, dass verkehrspoli-
tische Ziele in Deutschland – wie auch in ande-
ren Politikfeldern – selten operationalisiert,
also quantifiziert und zeitlich spezifiziert wer-
den (Ausnahmen allenfalls im Ordnungsrecht).
Ohne harte Messbarkeit ist jedoch keine wirk-
same Erfolgskontrolle von Maßnahmen mög-
lich.´
Fazit: Es ist wie bei allen Dienstleistungen aus
der Sicht des Fahrgastes, aber auch der Politik
und des Steuerzahlers richtig und verständlich,
die Messlatte für die Leistungsfähigkeit des
ÖPNV hoch zu hängen. Nur so kann das Pro-
dukt stetig besser werden.
Zugleich ist es jedoch wichtig, die Systemgren-
zen – insbesondere das Spannungsfeld zur
Wirtschaftlichkeit – im Blick zu haben. Die Digi-
talisierung berechtigt zur Hoffnung, diese
Grenzen zu verschieben und z.B. neue Potenzi-
ale der Bedienung im ländlichen Raum zu er-
schließen. Ob und wie schnell das gelingt, ist
jedoch heute noch nicht seriös absehbar.
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III. Ziele für den sächsischen ÖPNV
Für die Zielbildung zur künftigen Entwicklung
im sächsischen ÖPNV sollten folgende Leitsät-
ze gelten:
Der Hauptkonkurrent unter den Verkehrs-
trägern bleibt noch auf lange Zeit der mo-
torisierte Individualverkehr (MIV). Die
verkehrs-, aber auch klimapolitisch moti-
vierte Ambition für den ÖPNV muss es
daher sein, den eigenen Modal-Split-
Anteil zu Lasten des MIV zu steigern. Ein
sachsenweiter Zielwert hat aufgrund der
Mixtur von Agglomerationsräumen und
ländlichem Raum keine echte Aussage-
kraft. In den Oberzentren liegen zum Teil
spezifische Ziele als planerische Orientie-
rungshilfe bereits vor. Hierüber muss aber
letztlich die kommunale Ebene entschei-
den.
Im ländlichen Raum muss das (Mindest-)
Ziel lauten, die Teilhabe am öffentlichen
Leben durch ein angemessenes Angebot
zu sichern, und zwar auch im Falle er-
schwerter Bedingungen. Dabei sind die
Wechselwirkungen von Pendlerverflech-
tungen zwischen Region und Wirtschafts-
raum zu beachten.
Neben der Sicherung eines angemessenen
Grundangebots sollte in der ÖPNV-
Planung das Prinzip der Nachfrageorien-
tierung berücksichtigt werden.
Der ÖPNV sollte zum Ziel haben, das Be-
dürfnis der Mobilität verkehrsmittelneut-
ral abzudecken. Dies bedeutet in der Pla-
nung, nicht zuerst den Verkehrsträger
(SPNV, ÖSPV) als Mittel zur Leistungser-
bringung zu setzen, sondern die Reiseket-
te im Blick zu haben.
Wie für alle Verkehrsträger und Subsys-
teme gilt für den ÖPNV im Besonderen,
dass der Konkurrent im Hauptlauf der
Partner im Vor- und Nachlauf ist. Insofern
müssen die Vernetzung und Einfachheit
des Übergangs optimiert werden.
Wie weit man dem ÖPNV auf der Instru-
mentenebene Vorrang einräumt, z.B. in-
dem man Busspuren einrichtet, Leitsys-
teme auf ihn ausrichtet, oder umgekehrt
den motorisierten Individualverkehr ein-
schränkt (z.B. Parkraumbewirtschaftung),
ist eine Frage der subjektiven Bewertung.
Tatsache ist allerdings, dass a) eine ernste
Umsetzung der Klimaziele aus heutiger
Sicht nur vorstellbar ist, wenn der ÖPNV
in Agglomerationen gepusht wird. Zudem
lässt sich b) zeigen, dass eine Pro-ÖPNV-
Politik die Lebensqualität in den Städten
einschließlich der Attraktivität der Innen-
städte deutlich erhöhen kann.
Der ÖPNV sollte Innovationen aufge-
schlossen sein, z.T. auch als Vorreiter
agieren. Den richtigen Absprungzeitpunkt
in Richtung einer neuen Plattformtechno-
logie zu finden ist schwierig und bedarf –
wie in anderen Märkten auch – häufig ei-
ner Anschubfinanzierung, um die ökono-
mischen Risiken in der Startphase abzufe-
dern.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 27 von 178
IV. Status quo im sächsischen ÖPNV
Das aktuelle Leistungsbild des sächsischen
ÖPNV ist in der Gesamtschau positiv. Dies zei-
gen mehrere Indikatoren, die in der AG Finan-
zierung mit Hilfe eines Vergleichs Sachsens mit
den Ländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt,
Thüringen und Rheinland-Pfalz herausgearbei-
tet wurden. Ebenso hat die umfassende Be-
standsaufnahme im Basisgutachten auf ver-
schiedene Stärken des Status quo hingewiesen.
Dessen ungeachtet beruht die Einberufung
einer Strategiekommission erkennbar auf der
Einschätzung, dass in der nächsten Dekade ein
Handlungsbedarf in hohem Maße wahrschein-
lich ist. Die Gründe sind:
Konkrete Schwächen im heutigen System
sind identifiziert und öffentlich adressiert,
z.B. die Frage des Substanzerhaltes von
Infrastruktur und Fahrzeugflotten.
Neue Herausforderungen wie das Bevöl-
kerungs- und das Fahrgastwachstum in
den Ballungsräumen erfordern konkrete
Antworten.
Verbesserungspotenziale sind in komple-
xen Systemen nie ausgeschöpft.
Randbedingungen wie die Digitalisierung
wandeln sich so deutlich, dass ein Weiter
so (auch bei aktueller Zufriedenheit) kei-
nen Erfolg für die Zukunft verspricht.
Zielgerichtetes Handeln erfordert in dieser
Ausgangssituation folgenden analytischen
Dreiklang:
Wo steht der ÖPNV in Sachsen heute?
Wohin würde sich der ÖPNV entwickeln,
wenn man nichts Neues unternähme?
Wohin soll sich der ÖPNV der Zukunft be-
wegen (siehe Fazit im vorhergehenden
Abschnitt)?
Welche Schritte vom Ist zum Soll sind in
welchem Zeitrahmen anzustreben (Um-
setzung)?
Im Weiteren werden die wichtigsten Treiber
und der Stand des ÖPNV auf den essentiellen
Handlungsfeldern in Kurzform umrissen. Am
Ende jedes Abschnitts werden die ableitbaren
Herausforderungen in Frageform notiert. Diese
bildeten eine Art „Pflichtenheft“ für die Diskus-
sion in den Arbeitsgruppen.
Demografischer Wandel
Der in der 6. Regionalisierten Bevölkerungsvo-
rausberechnung für den Freistaat Sachsen vor-
genommene Rück- und Ausblick auf die Folgen
des demografischen Wandels sehen für den
Freistaat Sachsen signifikante Änderungen auf
der Landesebene:
Seit der Wiedervereinigung ging die Ein-
wohnerzahl um 15% auf heute rund 4
Mio. zurück.
Im Zeitraum bis 2030 wird mit einer wei-
teren Bevölkerungsabnahme auf bis zu
3,85 Mio. Einwohnern gerechnet. Aller-
dings fällt dieser Rückgang deutlich gerin-
ger aus als in der vorangegangenen Prog-
nose.
Bis 2030 ist mit einer Alterung der Gesell-
schaft zu rechnen. So nimmt der Anteil
der über 65-Jährigen um 17% zu, während
er für die 20- bis 65-Jährigen um 13%
schrumpft.
Die Zahl der schwerbehinderten Men-
schen in Sachsen ist seit 2007 um ca.
100.000 auf nunmehr fast 400.000 gestie-
gen. Dies ist eine Steigerung um ein Drit-
tel. Rund zwei Drittel der schwerbehinder-
ten Menschen sind älter als 60.
Innerhalb des Landes kommt es zu einer dia-
metralen Scherenbewegung:
In den Agglomerationen schreitet die Ur-
banisierung voran. So wird die Bevölke-
rung in und um die beiden größten Ober-
zentren Dresden und Leipzig weiter um 10
bis 15% zunehmen.
In der Gegenrichtung sinkt die Einwohner-
zahl außerhalb der Ballungsräume, in pe-
ripheren Gebieten teilweise um mehr als
15%. Dennoch werden auch 2030 rund 0,8
Mio. Menschen in nichtzentralen Orten
leben, weitere rund 0,6 Mio. Personen in
Grundzentren.
Seite 28 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Herausforderungen
Wie kann das Bevölkerungswachstum in
den Ballungsräumen als Chance für eine
nachhaltige Verkehrswende genutzt
werden?
Wie können öffentliche Mobilitätsange-
bote in allen Landesteilen, also auch in
schrumpfenden Regionen gewährleistet
werden?
Wie können Zugangs- und Nutzungsbar-
rieren zum ÖPNV gesenkt werden, bei-
spielsweise für Menschen mit Behinde-
rungen und für Senioren?
Öffentliches Verkehrsangebot und Er-reichbarkeit
In den drei Ballungszentren Dresden, Leipzig
und Chemnitz steht rund um die Uhr ein um-
fangreiches und attraktives Verkehrsangebot
von Straßenbahn und Bus zur Verfügung. Die
Linien verkehren tagsüber überwiegend im 10-
Minuten-Takt.
Ergänzt wird das Angebot durch Sharing-
Angebote und Taxen, die im Vertrieb oftmals
mit dem ÖPNV verknüpft sind (z.B. „Leipzig
mobil“).
In den drei Oberzentren Plauen, Zwickau und
Görlitz besteht zwar ebenfalls ein stadtweites
Angebot an Straßenbahn- und Busverkehr,
allerdings mit deutlich längeren Taktzeiten und
Betriebspausen.
Das Leistungsvolumen ist in den letzten Jahren
insgesamt stabil geblieben. Kleineren Ange-
botsausweitungen in Dresden und Leipzig ste-
hen gleichbleibende (Chemnitz) oder leicht
rückläufige Verkehrsleistungen (Zwickau, Gör-
litz, Plauen) gegenüber.
In den Landkreisen konzentriert sich das
ÖPNV-Angebot auf den Schülerverkehr, dessen
Anteil an der Gesamtnachfrage mehr als 70%
ausmacht, wohingegen Schüler weniger als
15% der Gesamtbevölkerung darstellen. Dage-
gen mangelt es oft an einem verlässlichen An-
gebot im Jedermannverkehr für Arbeitnehmer,
Besorgungen und den Freizeitverkehr. An Wo-
chenenden und in den Schulferien fährt in vie-
len Regionen kein Bus bzw. nur vereinzelt. Im
Ergebnis wird der ÖPNV hier seiner Funktion
der Daseinsvorsorge nicht immer gerecht, be-
sonders in Regionen ohne SPNV-Anschluss.
Dies gilt sowohl für innerörtliche Nah- als auch
regionale Mobilitätsbedürfnisse.
In den Regionen, in denen SPNV angeboten
wird, ist die Erreichbarkeit durch das ganztägi-
ge, vertaktete Angebot besser und gliedert sich
in drei Kategorien:
Tab. 1: Produktkategorien und Angebotsmerkmale im SPNV
Trotz des ganztägig vertakteten SPNV-
Angebotes entspricht das überregionale Eisen-
bahnangebot nur teilweise dem eigentlichen
Bedarf nach schnellen Verbindungen zwischen
den sächsischen Regionen und der überregio-
nalen Anbindung Sachsens. Hier macht sich
insbesondere die erhebliche Ausdünnung des
Fernverkehrsangebots in den vergangenen 15
Jahren bemerkbar, die zusätzliche SPNV-
Angebote nur teilweise kompensieren konn-
ten. Auch mit der Inbetriebnahme der VDE 8
(Nürnberg – Erfurt – Leipzig/Halle – Berlin) liegt
Sachsen weiterhin ein wenig im Windschatten
der Hauptverkehrsströme. Ein wesentlicher
Grund hierfür ist die bisher unzureichende
Verzahnung des Fern- und Regionalverkehrs
nach dem Prinzip des Integralen Taktfahrplans.
Das gegenwärtige Angebot im ländlichen Raum
weist teilweise erhebliche strukturelle Defizite
auf. So sind die Reisezeiten auf den regionalen
Achsen in vielen Fällen nur sehr eingeschränkt
konkurrenzfähig zum MIV. Dies betrifft insbe-
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 29 von 178
sondere Relationen ohne SPNV-Angebot oder
mit erforderlichem Umsteigen, indem die Um-
steigezeiten oftmals zu lang sind – sowohl in-
nerhalb der Teilsysteme SPNV und ÖSPV als
auch zwischen beiden Verkehrsträgern.
Nicht ausreichende Fahrplanabstimmungen
und Anschlusssicherungen resultieren z.T. in
unnötig lange Reise- und Umsteigezeiten. Dies
betrifft insbesondere das Erzgebirge – hier
oftmals auch durch ungünstige Haltestellenla-
gen – sowie Regionen in Nordsachsen (Torgau)
und Nordostsachsen (Hoyerswerda, Weißwas-
ser). Alternative schnelle Busverbindungen
fehlen.
Herausforderungen:
Wie muss das Verkehrsangebot in den
Ballungsräumen angesichts des prognos-
tizierten Einwohnerzuwachses und einer
beginnenden Mobilitätswende weiter-
entwickelt werden?
Wie können die Potenziale der innerört-
lichen Nahmobilität in kleineren Städten
gehoben werden?
Wie lassen sich regionale Erreichbar-
keitsdefizite in ländlichen Regionen ohne
SPNV verringern?
Wie lassen sich verlässliche (und wirt-
schaftlich vertretbare) Verkehrsangebo-
te im ländlichen Raum auch außerhalb
des Schülerverkehrs schaffen?
Wie lässt sich die intra- und intermodale
Verknüpfung der Teilsysteme – vom
Fernverkehr zum Anruftaxi – weiter ver-
bessern (Abstimmung Fahrplanangebo-
te, Anschlusssicherung)?
Verkehrsnachfrage
Die Verkehrsnachfrage im sächsischen SPNV
stieg bei summarisch nahezu unverändertem
Verkehrsangebot von 2006 bis 2015 um 27%
von 1,26 Mrd. auf 1,61 Mrd. Pkm. Allerdings
fallen die Nachfrage und deren Entwicklung
regional sehr unterschiedlich aus; zugewonnen
haben vor allem die S-Bahnen und RE-
Verkehre. RB-Verkehre stagnierten hingegen
oftmals oder haben sogar Fahrgäste verloren,
insbesondere in peripheren Räumen.
Die positive Entwicklung der Gesamtnachfrage
der letzten Jahre ist insbesondere auf die Inbe-
triebnahme des Leipziger City-Tunnels zurück-
zuführen. Dies betrifft vor allem die Nachfrage
im Leipziger Umland. Als Indikator dafür sei an
dieser Stelle der Anstieg der Verkehrsleistung
im ZVNL-Gebiet um 34% in den Jahren 2013 bis
2015 angeführt.
Die höchste Verkehrsnachfrage besteht auf
den Hauptstrecken des sog. sächsischen Drei-
ecks (Dresden – Chemnitz – Leipzig – Zwickau)
(ca. 3.000 bis 5.000 Reisende pro Werktag)
sowie auf den im S-Bahn-Verkehr bedienten
Achsen (bis zu 20.000 Reisende pro Werktag) in
den Ballungsräumen um Dresden und Leipzig.
Dieselbetriebene Nebenbahnen weisen zum
Teil eine Belegung von unter 1.000 Reisenden
pro Werktag auf.
Die regional stark ausdifferenzierte Verkehrs-
nachfrage kann den Abb. 11 und 12 aus der
ÖPNVFinVO-Erfolgskontrolle für das Jahr 2015
(Datenstand 16.11.2017) entnommen werden.
Seite 30 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Abb. 11: Streckenspezifische Veränderung der Verkehrsnachfrage im SPNV 2010-2015
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 31 von 178
Abb. 12: Linienscharfe Auslastung Pkm/Zkm 2015
Seite 32 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Im ÖSPV liegt die Verkehrsleistung bei rund 2,7
Mrd. Pkm (2014), davon fallen ca. 40% im Stra-
ßenbahnverkehr an. Dies stellt einen Zuwachs
der Beförderungsleistung um über 10% seit
2005 dar – trotz insgesamt rückläufiger Ein-
wohnerzahlen. Treiber dieser Entwicklung ist
die wachsende Nachfrage in den Ballungszen-
tren. So steht Dresden mit jährlich 288 Fahrten
pro Jahr und Einwohner an der Spitze ver-
gleichbarer deutscher Städte mit rund 0,5 Mio.
Einwohnern. In anderen europäischen Ländern
erreicht der ÖPNV in vergleichbar großen Städ-
ten allerdings teilweise eine noch deutlich hö-
here Nachfrage, insbesondere in der Schweiz
(z.B. Bern, Zürich).
In den Landkreisen legen die Bewohner dage-
gen im Durchschnitt nur 21 – 50 Fahrten im
Jahr zurück.
Herausforderungen:
Wie kann der unterschiedlichen Nach-
frageentwicklung im Freistaat Sachsen
begegnet werden?
Wie können die wachsenden Nachfra-
gepotenziale in und um die Ballungs-
räume gehoben werden? Strahlt dieser
Zuwachs auch auf andere Regionen aus?
Wie kann die Auslastung auf Strecken
mit geringer Nachfrage verbessert wer-
den?
Welche Zielwerte werden für die Ver-
kehrsnachfrage in den unterschiedlichen
Teilräumen angestrebt?
Umwelt und Klimawandel
Die Zielsetzung der Verringerung von Treib-
hausgas-Emissionen, Lärm und Luftschadstof-
fen ist allgegenwärtig. Stellvertretend steht
hierfür die von der Bundesregierung verkünde-
te Energiewende mit dem Ziel einer 40%igen
Treibhausgasreduzierung bis 2020 gegenüber
1990. Hierin spielt der Verkehr jedoch nur eine
untergeordnete Rolle, obwohl er für etwa 20%
aller Treibhausgasemissionen in Deutschland
verantwortlich zeichnet.
Der Verkehr ist dabei der einzige Sektor, der
keine nennenswerten Treibhausgasreduzierun-
gen vorzuweisen hat. Zwar sank der spezifische
Treibhausgasausstoß (z.B. durch effizientere
Antriebstechnik), aber die allgemeine Zunahme
von Verkehr überlagerte diese Erfolge.
Gingen die Treibhausgasemissionen in
Deutschland bis 2015 über alle Emittenten –
dank überdurchschnittlicher Beiträge der neu-
en Länder – um 27% zurück, kann der Ver-
kehrssektor nur auf einen Rückgang der Emis-
sionen um 2,2% verweisen und nimmt damit
den mit Abstand letzten Platz ein (vgl. Abb. 14;
Quelle: UBA (2017) Nationaler Inventarbe-
richt).
Neben dem Flugzeug ist das Auto mit Verbren-
nungsmotor ein entscheidender Emittent, der
das Klima belastet. Hier hat die seit der Wie-
dervereinigung eingetretene Massenmotorisie-
rung in den neuen Ländern in besonderem
Maße als Bremse für die Erreichung der Klima-
schutzziele im deutschen Verkehrssektor ge-
wirkt. Allerdings ist der sächsische Motorisie-
rungsgrad heute im Vergleich mit anderen
Flächenländern vergleichsweise gering.
Abb. 13: Motorisierung im Ländervergleich
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 33 von 178
Der ÖPNV verfügt dagegen über eine sehr gute
Umweltbilanz. Eine Senkung der Emissionen im
Verkehrssektor wird sich aber nur durch einen
Ausbau des Umweltverbundes und die Redu-
zierung des Pkw-Verkehrs erreichen lassen.
Die Überlegenheit des Schienen- gegenüber
dem Straßenverkehr lässt sich in Klimafragen
an dem deutlich geringeren Energieverbrauch
der Schiene feststellen. Die Datenbank Umwelt
und Verkehr weist im Vergleich zur Straße ca.
50% im Personen- und 27% im Güterverkehr
aus.
Auch eine stärkere Nutzung öffentlicher Ver-
kehrsmittel im Personenverkehr, die sich in der
Auslastung widerspiegelt, würde diese Bilanz
verbessern.
Entscheidend sind daher Verkehrsverlagerun-
gen in urbanen Räumen, insbesondere den
Ballungszentren, aber auch bei der Nahmobili-
tät in den Mittelzentren sowie auf Hauptver-
bindungsachsen in den Landkreisen, um die
Klimabilanz zu verbessern. Im deutschen SPNV
hat sich zwischen 2002 und 2014 die Verkehrs-
leistung in Pkm um 40% erhöht. Ursächlich ist
hierfür bundesweit die Steigerung der Auslas-
tung der Züge. Hier stehen dem Freistaat noch
Aufholmöglichkeiten offen, wie der Vergleich
mit Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-
Anhalt und Thüringen zeigt.
Abb. 15: Auslastung Pkm/Zkm im Ländervergleich
In besonderem Maße in den Verdichtungsräu-
men hat sich auf Bundesebene die Feinstaub-
belastung zu einem verkehrs- und umweltpoli-
tischen Thema entwickelt. Unabhängig von
Pkw-seitigen Anpassungsstrategien sieht die
Politik im Stadtverkehr den ÖPNV als „saubere
Alternative“, um lokalen Belastungen z.B.
durch Feinstaub oder gesundheitsschädliche
Stickoxide zu begegnen.
Abb. 14: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland seit 1990 nach Sektoren.
Seite 34 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Verstärkt sind Bemühungen auf verschiedenen
Ebenen zu beobachten, die in Richtung einer
Einschränkung des Autoverkehrs in den Bal-
lungsräumen abzielen:
Die Feinstaubbelastung durch Pkw hat in
mehreren deutschen Städten dazu ge-
führt, dass Grenzwerte dauerhaft über-
schritten werden. Die Ergebnisse des ei-
gens dafür abgehaltenen „Dieselgipfels“
im September 2017 zeigen aber auch eine
Ambivalenz. Zwar sind die im „Luftreinhal-
tefond“ bereitgestellten Fördermittel
i.H.v. 1.000 Mio. EUR explizit auch für Ver-
besserungen des ÖPNV in betroffenen
Städten einsetzbar. Gleichzeitig zeigt aber
die Zielsetzung der Gespräche, dass damit
vorrangig Pkw-Fahrverbote abgewendet
werden sollen. Insoweit bleibt abzuwar-
ten, wie die Bilanz der aus dieser Initiative
erwachsenden Maßnahmen eines Tages
ausfällt.
Einige Städte begegnen der Feinstaub-
problematik in den Städten vornehmlich
durch die Einführung von Umweltzonen.
Die 56 Umweltzonen in Deutschland dür-
fen nur von Fahrzeugen mit entsprechen-
den Abgaswerten befahren werden. Die
Umweltzonen haben neben der lokalen
Luftreinhaltung implizit auch die Erneue-
rung der Pkw-Bestände zum Ziel. Im Frei-
staat ist bislang nur in Leipzig eine solche
Umweltzone eingeführt.
Die Diskussionen über die Einführung ei-
ner City-Maut werden vor diesem Hinter-
grund vereinzelt geführt (z.B. Köln, Stutt-
gart). Diese haben v.a. zum Ziel, den Ver-
kehr über Zahlungsbereitschaften zu
steuern. International feiern diese Instru-
mente z.T. sehr zufriedenstellende Ergeb-
nisse (Stockholm, London), in Deutschland
wartet man jedoch noch auf eine erfolg-
reiche Umsetzung.
In Deutschland wesentlich weiter verbrei-
tet ist die Parkraumbewirtschaftung (z.B.
Berlin, München). Diese reguliert in den
Parkzonen die Parkraumnutzung. Kritiker
werfen diesem Konzept vor, bei den Auto-
fahrern „abzukassieren“, verkennen dabei
aber den Wert des öffentlichen Raumes,
den sie bis dahin kostenlos in Anspruch
nahmen.
Zum Gesamtbild der Auswirkungen der Ver-
kehrsträger auf die individuelle Gesundheit
gehört aber auch, dass der ökologische Vorteil
nur dann ausgespielt werden kann, wenn eine
hinreichende Auslastung der Angebote er-
reicht wird.
Herausforderungen:
Mit welchen Maßnahmen kann der
sächsische ÖPNV attraktiver gemacht
werden, um Verkehr auf den Umwelt-
verbund zu verlagern?
Wie können die Umweltvorteile des
ÖPNV – insbesondere in Ballungszen-
tren – stärker in den Vordergrund ge-
stellt werden?
Inwiefern ist Sachsen bereit, neben dem
Ausbau des Umweltverbundes auch Pri-
vilegien für den Autoverkehr in Bal-
lungszentren zurückzunehmen, um ei-
nen spürbaren Beitrag des Verkehrs
zum Klimaschutz zu leisten? Können
sektorale Ziele für Treibhausgasemissio-
nen hierbei helfen?
Wie kann die Auslastung des ÖPNV –
insbesondere im ländlichen Raum - ver-
bessert werden?
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 35 von 178
Infrastruktur und Fahrzeuge
Die Infrastruktur zur überregionalen Eisen-
bahnanbindung Sachsens ist überwiegend gut
ausgebaut und erfährt durch die Inbetrieb-
nahme der VDE 8 Nürnberg – Erfurt –
Leipzig/Halle – Berlin am 10.12.2017 und die
vier bis 16minütige Fahrzeitverkürzung zwi-
schen Berlin und Dresden (je nach Richtung)
eine spürbare Verbesserung. Ausbaubedarf
wird v.a. noch bei der Elektrifizierung gesehen
(Leipzig – Chemnitz, Dresden – Görlitz).
Das SPNV-Netz ist in den Ballungszentren und
auf den Hauptachsen gezielt modernisiert
worden. Die S-Bahn-Infrastruktur in Dresden
und Leipzig bietet Möglichkeiten für Angebots-
ausweitungen und zur Siedlungskonzentration
entlang der Achsen. Punktueller Handlungsbe-
darf erwächst aus der Abstimmung mit dem
überregionalen Verkehr (Deutschland-Takt).
Eine Systemfrage ist die möglichst fahrgast-
freundliche Umsetzung von Baumaßnahmen.
Im straßengebundenen ÖPNV sind die Stra-
ßenbahnsysteme in Dresden, Leipzig und
Chemnitz teilweise modernisiert und ausge-
baut worden. Der Bevölkerungs- und vor allem
Fahrgastzuwachs machen allerdings perspekti-
visch weitere Ausbaumaßnahmen notwendig.
Mit Abstrichen gilt dies auch für die kleineren
Straßenbahnstädte Görlitz, Plauen und Zwick-
au, die stabile Einwohnerzahlen erwarten.
Im ländlichen Raum wurde der ÖPNV beim
Infrastrukturausbau nur am Rande betrachtet,
da der Straßenausbau für den MIV im Vorder-
grund stand. Dabei hat sich die Konkurrenzfä-
higkeit des ÖPNV insgesamt verschlechtert.
Punktuell haben sich die Fahrzeiten im Busver-
kehr auch verlängert, weil neue Umgehungs-
straßen den Bus zu Umwegen zwingen, wenn
die alte Strecke durch den Ort gesperrt wird.
Auch die Lage der Haltepunkte hat sich zuwei-
len verschlechtert.
Die Fahrzeugflotte des sächsischen ÖPNV weist
einen hohen Modernitätsgrad auf. Dies steigert
Fahrgastnutzen und unterstützt eine effiziente
Betriebsführung. Künftig liegen fahrzeugseitige
Schwerpunkte des ÖSPV v.a. in der Kapazitäts-
ausweitung in den Ballungsräumen und dem
rollierenden Ersatz.
Eine weitere Herausforderung stellt die barrie-
refreie Ertüchtigung der Fahrzeuge dar, bei-
spielsweise durch die Ausrüstung von SPNV-
Fahrzeugen mit Schiebetritten und der Ertüch-
tigung der Busflotte im ländlichen Raum. Die
Herstellung der Barrierefreiheit bei Haltestel-
len ist landesweit ebenfalls weiter voranzu-
bringen. Der jüngste Vorschlag der DB AG, die
Bahnsteige bundesweit auf 76cm auszubauen,
würde jahrelange Bemühungen im sächsischen
SPNV jedenfalls konterkarieren, da hier in den
vergangenen Jahren Infrastruktur und Fahr-
zeuge auf eine Bahnsteighöhe von 55cm ausge-
legt wurden.
Im SPNV legen die Zweckverbände in den Ver-
kehrsvergaben autonom die Anforderungen an
die Fahrzeuge fest. Im Hinblick auf eine abge-
stimmte Investitionsstrategie zur Herstellung
eines Sachsen-Taktes ist ein landesweites Kon-
zept für Infrastruktur- und Fahrzeug-
konzeptionen sinnvoll. Wie wichtig eine inte-
grierte Infrastruktur- und Fahrzeugstrategie ist,
zeigt sich im Kleinen beim Thema Neigetech-
nik. Hier wurde Infrastruktur umfassen ausge-
baut (z.B. Sachsen-Franken-Magistrale), kann
aber nicht wie ursprünglich geplant genutzt
werden, da aus verschiedenen Gründen keine
Neigetechnikfahrzeuge mehr eingesetzt wer-
den.
Parallel dazu ist die weitere Entwicklung im
Bereich Infrastruktur und Fahrzeuge wesentlich
davon abhängig, wie weit und wie schnell eine
Marktdurchdringung mit alternativen Antriebs-
systemen stattfinden wird.
Bedingt durch den hohen Kapitaleinsatz bei der
Fahrzeugbeschaffung wurden im sächsischen
SPNV innovative Finanzierungslösungen umge-
setzt. Mit der Etablierung des Fahrzeugpools
für das Elektronetz Mittelsachsen ist hier ein
erfolgreicher Einstieg gelungen. Diese Modelle
können auch vor dem Hintergrund der Innova-
tionsschübe im Bereich Antriebstechnologie
weiter interessant sein.
Seite 36 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Herausforderungen
Welcher Ausbaubedarf der Stadtver-
kehrssysteme in den Ballungszentren ist
nötig?
Wie kann ein realistischer Umsetzungs-
pfad für die Barrierefreiheit im sächsi-
schen ÖPNV aussehen? Wie lässt sich der
Prozess mit den sowieso vorzunehmen-
den Ersatzinvestitionen intelligent ver-
zahnen?
Welche Gestaltungsmöglichkeiten bieten
sich Freistaat und Zweckverbänden bei
der Entwicklung der bundeseigenen Ei-
senbahninfrastruktur?
Wie kann ein integriertes Entwicklungs-
konzept für Infrastruktur und Fahrzeuge
im SPNV umgesetzt werden?
Wie können die Entwicklungssprünge bei
den alternativen Antriebstechnologien für
den Nahverkehr mobilisiert werden?
Wie können für den Freistaat wichtige
Infrastrukturmaßnahmen unterstützt
werden?
Tarif und Vertrieb
Der sächsische ÖPNV wird in erheblichem Ma-
ße durch die Nutzer finanziert: im Jahr 2014
trugen die Fahrgäste mit insgesamt rund 365
Mio. EUR zu einem Drittel des Mittelvolumens
im sächsischen ÖPNV bei. Neben der Fahr-
gastmenge sind für die Summe der Fahrgelder-
löse die zugrundeliegenden Tarife und die Ef-
fektivität der Vertriebswege maßgeblich. Hier
liegt eine zentrale Verantwortung und Gestal-
tungsaufgabe der Verkehrsunternehmen.
In der Gesamtheit lässt sich auch der öffentli-
che Personennahverkehr im Freistaat Sachsen
nicht alleine mit der Nutzerfinanzierung finan-
zieren. Besonders daseinsvorsorgenahe Ver-
kehre, wie z.B. der Ausbildungsverkehr, sind
zusätzlich dauerhaft auf öffentliche Zuwen-
dungen angewiesen. Stagniert die öffentliche
Finanzierung, können Angebote nicht mehr
finanziert werden – oder die Nutzerfinanzie-
rung ist durch Tarifanpassung entsprechend zu
erhöhen, et vice versa. Schon die laufenden
Kostensteigerungen im ÖPNV wurden in der
jüngeren Vergangenheit v.a. durch die Auswei-
tung der Nutzerfinanzierung aufgefangen. Da-
her haben sich die ÖPNV-Tarife bundesweit
seit der Jahrtausendwende weit oberhalb der
Preise der Pkw-Nutzung und der allgemeinen
Inflationsrate entwickelt, was die intermodale
Attraktivität des ÖPNV vermindert hat.
Der Freistaat Sachsen verfügt flächendeckend
über eine Verbundstruktur. Die fünf sächsi-
schen Verkehrsverbünde (MDV, VMS, VON,
VVO und VVV) mit ihren jeweils zahlreichen
Verkehrsunternehmen sind für die Entwicklung
und Einnahmeaufteilung der Verbundtarife
zuständig. Die erlösverantwortlichen Verkehrs-
unternehmen gestalten in den Verbünden die
Tarife und Beförderungsbestimmungen. Ver-
trieb und Kundenservice liegen ebenfalls re-
gelmäßig in der Verantwortung der Unterneh-
men. Die kommunalen Zweckverbände als
sächsische SPNV-Aufgabenträger legen für
Aufträge im Regionalverkehr in Abstimmung
mit den Verbünden Vorgaben im Bereich Tarif
und Vertrieb fest. Eine Besonderheit ist dabei
der in die Nachbarländer Sachsen-Anhalt und
Thüringen übergreifende Mitteldeutsche Ver-
kehrsverbund (MDV), dessen Zweckver-
bandspendant, der ZVNL, territorial auf die
Landkreise Leipzig und Nordsachsen sowie die
Stadt Leipzig beschränkt ist.
Verkehrsunternehmen und -verbünde haben
über die Jahre Tarifbestimmungen entwickelt,
die für ihre Regionen und Märkte die verschie-
denen Erwartungen der Fahrgäste in den Ver-
bundräumen reflektieren. So existieren in drei
Verbünden Zonentarife (MDV, VMS sowie
VVO) und in zwei Verbünden Zonen-Relations-
Tarife (VVV und ZVON). Weil ein Großteil der
ÖPNV-Fahrten innerhalb der Verkehrsverbün-
de stattfindet, werden die Tarife vor allem
diesen Angeboten gerecht. Daher sind die Ta-
rifbestimmungen und Beförderungsbedingun-
gen durch die Verkehrsverbünde regional un-
terschiedlich entwickelt worden.
Für Fahrten über Verbundgrenzen hinweg
wandelt sich das Bild: Dann können mehrere
Fahrscheine nötig sein, Tarife sind oft überpro-
portional teuer. Darüber hinaus erschweren
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 37 von 178
unterschiedliche Bestimmungen, z.B. bei der
Fahrradmitnahme, die Tarifauswahl. „Nach
außen“, bei Fahrten über Verbundgrenzen
hinweg, kann sich der „innere“ Vorteil der Ver-
bundintegration also als Nachteil darstellen.
Dabei ist das Potenzial dieser Fahrten steigend:
Alleine im SPNV queren täglich ca. 20.000
Pendler die Verbundgrenzen. Besonders auf-
kommensstark sind diese z.B. auf den Achsen
im Dreieck Dresden – Leipzig – Chemnitz, aber
auch entlang Bautzen – Görlitz – Dresden oder
Leipzig/Dresden – Berlin.
Der Fahrscheinverkauf in den Verbünden wird
über mehrere Vertriebswege der Unterneh-
men abgewickelt. Der Vertrieb schließt dabei
die Beratung mit der Tarif- und Fahrplanaus-
kunft ein. Der Fahrgast kann – regional unter-
schiedlich – Fahrkarten
beim Fahrer,
an Automaten,
in Kunden- und Servicecentern und
in Fahrkartenagenturen
erhalten. Darüber hinaus können Verbundfahr-
karten bequem über das Smartphone erstan-
den werden, bisher aber nicht bei Fahrten dar-
über hinaus.
Bereitstellungsentscheidungen in Tarif und
Vertrieb nehmen damit insgesamt wichtige, in
der Gesamtschau aber dennoch nur unterstüt-
zende Funktionen wahr. Erst auf Basis einer
überzeugenden Qualität und Quantität des
ÖPNV-Angebots können Tarif- und Vertriebs-
strategien als Parameter für eine Verbesserung
dienen.
Herausforderungen
Wie weit hat es Sinn, die Tarif- und Be-
förderungsbedingungen der Verkehrs-
verbünde zu harmonisieren?
Wie können (gefühlte) tarifäre und ver-
triebliche Zugangsbarrieren für die Fahr-
gäste gesenkt werden?
Welche Rahmenbedingungen und Vo-
raussetzungen sind für einen landesweit
gültigen Sachsen-Tarif nötig?
Wie können die Möglichkeiten der Digi-
talisierung in einen für Fahrgäste besse-
ren ÖPNV-Vertrieb umgesetzt werden?
Unter welchen Rahmenbedingungen
kann das in der Koalitionsvereinbarung
enthaltene Bildungsticket ausgestaltet
werden?
Seite 38 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Organisation
Die Arbeitsteilung zwischen Leistungsbestel-
lung und Leistungserstellung ist in Sachsen so
konfiguriert wie in allen Bundesländern. Wäh-
rend die öffentliche Hand als Aufgabenträger
die Verkehrsleistungen im Linienverkehr „ver-
antwortet“, d.h. plant, bestellt und finanziert,
sind die Verkehrsunternehmen für alle operati-
ven Aufgaben zuständig. Hierzu zählen z.B.
Tarif und Vertrieb, die betriebliche und wirt-
schaftliche Erbringung des Fahrtenangebotes
oder auch die Planung und Durchführung von
Investitionen.
Eine Besonderheit des Freistaates ist die kon-
sequente Verortung der Aufgabenträgerschaft
auf der kommunalen Ebene (vgl. Abb. 16):
Die fünf kommunalen Zweckverbände
verantworten die Verkehrsleistungen im
Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Bei
verbundübergreifenden Leistungen wird
mit den zuständigen anderen Aufgaben-
trägern (ggf. außerhalb Sachsens) koope-
riert. Federführer ist in der Regel der Be-
steller mit der größten Leistungsmenge.
Im straßengebundenen Nahverkehr
(ÖSPV, d.h. Bus und Straßenbahn) sind die
drei Kreisfreien Städte und die zehn Land-
kreise Träger für den Linienverkehr sowie
die Schülerbeförderung. Im Vogtlandkreis
ist die Aufgabe an den Zweckverband
ÖPNV Vogtland übertragen. Die kommu-
nalen Verkehrsunternehmen übernehmen
auf der operativen Ebene vielfach auch lo-
kale Aufgabenträgerfunktionen.
Die Kreiseigenen Oberzentren mit Straßen-
bahnsystemen (Görlitz, Plauen, Zwickau) sind
freiwillige Aufgabenträger für den Stadtver-
kehr. Plauen hat die Aufgabe auf den ZVV
übertragen.
Über die hoheitliche Rolle der Aufgabenträger-
schaft hinaus erbringen die kommunalen
Zweckverbände und die jeweiligen Verkehrs-
verbünde diverse Managementleistungen wie
Erstellung der Nahverkehrspläne,
Koordination verkehrsträgerübergreifen-
der Fahrpläne,
Gestaltung der Verbundtarife und Ein-
Abb. 16: Akteure der kommunalen Ebene im sächsischen ÖPNV
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 39 von 178
nahmenaufteilung,
Koordination von Marketing und Vertrieb
in Abstimmung mit den Verkehrsunter-
nehmen,
Begleitung des Infrastrukturausbaus, ins-
besondere Schnittstellen inklusive der Be-
antragung von Fördermitteln.
Die kommunalen Zweckverbände und Ver-
kehrsverbünde stimmen geografisch und orga-
nisatorisch überein – außer im länderübergrei-
fenden Ballungsraum Leipzig/Halle. Hier ist der
ZVNL als SPNV-Aufgabenträger nur für den
sächsischen Teilraum zuständig, während der
MDV als Mischverbund den Ballungsraum über
drei Bundesländer abdeckt.
Das Land bekleidet bisher keine herausgeho-
bene Koordinierungsrolle, sondern steuert – in
beschränktem Maße – als Mittelgeber mit Hilfe
seiner Finanzierungsinstrumente und Förder-
programme.
Insgesamt sind im sächsischen ÖPNV rund
20.000 Menschen in vielfältigen Funktionen
beschäftigt. Sie bilden das Rückgrat, damit das
System täglich seine wertvollen Dienste er-
bringt.
Mögliche Verbesserungspotenziale auf der
organisatorischen Ebene sind Gegenstand des
Abschnitts IV im Kapitel B.
Finanzierung
Die Finanzierung des ÖPNV in Sachsen weist
jene finanzarchitektonische Mixtur aus zahlrei-
chen Quellen auf der Mittelherkunftsebene
und verschiedenen Verwendungszwecken auf,
wie sie in allen Bundesländern typisch ist. Für
das Gebilde hat sich das Sprachbild der „Spa-
ghetti-Finanzierung“ etabliert, das die histo-
risch gewachsene Komplexität einer Mischfi-
nanzierung über drei Gebietskörperschafts-
ebenen (Bund, Länder, Kommunen) und dem
Nutzer zum Ausdruck bringt.
Die Finanzierungsbilanz 2014 aus Mittelher-
kunft und Mittelverwendung sieht wie folgt
aus:
Ein zentraler Mehrwert des Basisgutachtens,
war es, für das Jahr 2014 – mit Abstrichen auch
für 2010 und 2012 – zum ersten Mal ein weit-
gehend vollständiges Bild über die Finanzie-
rungsstrukturen im sächsischen ÖPNV zu
zeichnen. Zu verdanken ist dies auch der Mit-
arbeit der kommunalen Aufgabenträger, die
sich an einer gesonderten Erhebung der kom-
munalen Verkehrs- und Finanzdaten für den
gesamten Zeitraum 2010 – 2014 beteiligten.
Wesentliche Aussagen sind:
Das Marktvolumen des ÖPNV in Sachsen
betrug 2014 knapp 1,2 Mrd. EUR (vgl.
Tab. 2). Unter Einrechnung der gestiege-
nen Fahrgastzahlen sowie der Teuerung
dürfte es inzwischen bei rund 1,3 Mrd.
EUR liegen.
Knapp 31% aller Mittel steuerten die Nut-
zer über den Fahrkartenerwerb sowie die
Elternbeiträge im Ausbildungsverkehr bei.
Umgekehrt trug die öffentliche Hand
knapp 70%.
Herausforderungen
Ist die heutige Organisationsstruktur
geeignet, landesbedeutsame Aufgaben
zu bewältigen – insbesondere wenn die
Verkehrsverflechtungen zunehmen wer-
den? Wenn nein: welche dann?
Wie lässt sich die Abstimmung zwischen
den Aufgabenträgern und dem Freistaat
Sachsen verbessern?
Welche verkehrspolitische Rolle soll das
Land künftig einnehmen?
Seite 40 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Differenziert nach Verkehrsträgern brach-
ten die Fahrgäste im SPNV gut 26% der
Mittel auf, während die analoge Quote im
ÖSPV bei knapp 43% lag, wie überall stark
streuend zwischen den nachfragestarken
Ballungsräumen und der Fläche.
Von der Summe aller Finanzmittel (Zu-
schüsse plus Nutzererlöse) wurden 86%
konsumtiv, d.h. für Verkehrsleistungen,
den Ausbildungsverkehr und Tarifausglei-
che eingesetzt. 12,6% der gesamten Mit-
tel wurden investiv aus öffentlichen För-
dermitteln gespeist. 1,4% sind den Regie-
kosten im weiteren Sinne zuzurechnen.
Die Abb. 17 zeigt die unterschiedlichen Ent-
wicklungstendenzen zwischen ländlichem
Raum und den großen Städten.
Abb. 17: Entwicklung kommunaler Gesamtaufwand im ÖSPV im Verhältnis zur Verkehrsleistung (in EUR/Pkm)
Tab. 2: ÖPNV-Finanzierung Sachsen 2014 in Mio. EUR
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 41 von 178
In den Städten ist der haushaltswirksame Auf-
wand für den ÖSPV relativ zu der Verkehrsleis-
tung in den letzten Jahren aufgrund der Nach-
frageentwicklung leicht rückläufig.
Dagegen verzeichnen die Landkreise deutliche
Mehraufwendungen (auch durch die Schüler-
beförderung) bei stagnierender Verkehrsleis-
tung. Die Versorgung mit Nahverkehrsleistun-
gen wird hier deshalb immer mehr zum finan-
ziellen Kraftakt.
Auf der Ebene des Freistaats betrachtet hat
sich die bestehende Finanzarchitektur des
sächsischen ÖPNV bewährt (vgl. Abb. 18). Der
Freistaat führt die Finanzmittel mit den drei
Säulen ÖPNVFinVO, Landesinvestitionspro-
gramm (LIP) und ÖPNVFinAusG ihrer Verwen-
dung zu.
Die ÖPNVFinVO leistet die Feinverteilung
der Regionalisierungsmittel. Das Gros er-
halten die kommunalen Zweckverbände,
vorwiegend für die Bestellung von SPNV-
Verkehren. Die restlichen RegG-Mittel
werden in das ÖPNVFinAusG, das LIP und
künftig auch in die RegG-Rücklage gelenkt.
Im ÖPNV-Landesinvestitionsprogramm
werden unterschiedliche Quellen gebün-
delt und projektbezogen z.B. an Unter-
nehmen oder kommunale Aufgabenträger
ausgereicht. Die Förderung des Freistaats
muss jeweils durch Eigenmittel der Pro-
jektträger komplementiert werden.
Abb. 18: ÖPNV-Finanzarchitektur auf der Landesebene im Freistaat Sachsen
Seite 42 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Über das ÖPNVFinAusG wird den kommu-
nalen Aufgabenträgern schließlich ein
Ausgleich für Mindereinnahmen gewährt,
die bei der Beförderung von Personen mit
ermäßigten Zeitfahrausweisen des Ausbil-
dungsverkehrs entstehen. Hierfür werden
sowohl Regionalisierungs- als auch Lan-
desmittel verwendet.
Die Finanzierung des Ausbildungsverkehrs
nimmt vor allem in den sächsischen Landkrei-
sen eine immer prägnantere Rolle ein. Dies
zeigt die Entwicklung der kommunalen Auf-
wendungen in diesem Bereich (vgl. Abb. 19)
Abb. 19: Kommunaler Aufwand der Schülerbeförderung im freigestellten- und Linienverkehr
Die Zuständigkeit und Finanzierung der kom-
munalen Pflichtaufgabe der notwendigen Schü-
lerbeförderung sind dabei wie folgt zu charak-
terisieren:
Im Linienverkehr: in diesem Fall werden
die Schüler auf einer prinzipiell für alle
Fahrgäste zugänglichen Linie befördert.
Die Beförderung übernimmt das für die
entsprechende Linie beauftragte Ver-
kehrsunternehmen. Die Kostentragung
des (rabattierten) Fahrausweises durch
die Nutzer wird durch kommunale Schü-
lerbeförderungssatzungen geregelt, die
Schülerbeförderungsträger tragen den
restlichen Preis des Fahrausweises.
Im freigestellten Verkehr: in diesem Fall
werden die Schüler individuell (z.B. Taxi-
unternehmen) befördert – der freigestell-
te Verkehr wird deshalb nicht dem ÖPNV
i.e.S. zugeordnet. Dies kann z.B. aufgrund
einer Mobilitätseinschränkung des Schü-
lers nötig sein oder eines im Linienverkehr
nicht zumutbaren Schulwegs. Die Schüler-
beförderungsträger erstatten in diesem
Fall die Kosten der Beförderung.
Darüber hinaus müssen Schüler, die nicht an-
spruchsberechtigt sind, die Kosten für den
Fahrausweis zur Schule aus eigener Tasche
tragen.
Herausforderungen
Welche fiskalische Vorsorgepolitik ist
vonnöten, um die nach dem „Kieler
Schlüssel“ vorgesehene zeitweilige ab-
solute Abnahme der Regionalisierungs-
mittel abzufedern und damit das Be-
standssystem – vor allem auch investiv
(Substanzerhalt) – zu sichern?
Wie lässt sich die Finanzierungskulisse
für den ÖPNV künftig vor dem Hinter-
grund sichern, dass das Entflechtungs-
gesetz 2019 ausläuft und die Fortschrei-
bung der EFRE-Mittel nicht gesichert
ist?
Wie ist der zusätzliche Mittelbedarf für
die von der Strategiekommission vorge-
schlagenen Maßnahmen aufzubringen?
Ist die sächsische Finanzarchitektur zu-
kunftsfest, oder lassen sich Elemente
anderer Bundesländer einbauen?
Wie lassen sich wirksame Effizienzanrei-
ze im System der „Spaghetti-Finanz-
ierung“ verankern?
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 43 von 178
Phase 2: Konzeption der Strategie 2025/2030B.
Im Ergebnis der Bestandsaufnahme wurden
fünf große Themenblöcke zur handhabbaren
Zerlegung der Strategieentwicklung identifi-
ziert, die zur Gründung der gleichnamigen Ar-
beitsgruppen führte. Diese entwickelten zielge-
richtete Konzepte und Maßnahmen für den
zukunftsfähigen ÖPNV im Freistaat Sachsen.
Die Darstellung in diesem Kapitel beginnt mit
der Angebotsentwicklung, die den Kern aller
Angebotsverbesserungen (Abschnitt I) dar-
stellt. Anschließend werden die hierfür erfor-
derlichen Investitionen in Infrastruktur und
Fahrzeuge (Abschnitt II) aufgezeigt. Dem
schließt sich das die Angebotsentwicklung un-
terstreichende Tarif- und Vertriebssysteme
(Abschnitt III) an, sowie die für das Gesamt-
konzept erforderliche Organisation (Abschnitt
IV). Daneben wurde das Querschnittsthema
der Digitalisierung gutachterlich gesondert
untersucht (Abschnitt V). Die Phase 2 schließt
mit der Übersicht der für die Umsetzung des
Gesamtkonzepts erforderlichen Finanzkulisse
und entsprechender Finanzierungsinstrumente
(Abschnitt VI).
Die Arbeitsgruppen haben insgesamt 13 Maß-
nahmen (M1 – M13) entwickelt, die in den
nachfolgenden Abschnitten jeweils besonders
hervorgehoben sind.
I. Angebotsentwicklung
Ausgangslage und Planungsansatz
Die ÖPNV-Angebotsplanung der sächsischen
Aufgabenträger ist auf die Verkehrsbedürfnisse
in ihrem jeweiligen Gebiet ausgerichtet. Dem-
entsprechend wurden die Verkehrsangebote
entwickelt und fortgeschrieben. Die bestehen-
de Finanzierungskulisse verlangte dabei zu-
meist, die Angebotsentwicklung auf eine An-
passung des Status quo zu fokussieren.
Der ÖPNV-Strategiekommission kommt die
Aufgabe zu, konzeptionell und territorial weiter
zu denken. Daher hat die AG Angebotsentwick-
lung in Zusammenarbeit mit den sächsischen
SPNV-Aufgabenträgern und Verkehrsverbün-
den versucht, sich von regionalen und finanzi-
ellen Einschränkungen zu lösen. Dies stellt ei-
nen notwendigen Ansatz für einen zukunftsfes-
ten ÖPNV in Sachsen dar.
Im Ergebnis wurde eine ÖPNV-Angebots-
konzeption für den gesamten Freistaat Sachsen
und seine Teilräume entworfen, die folgende
Kriterien erfüllt:
landesweite Geltung, also über Aufgaben-
trägergrenzen hinausgehend,
sachsenweit einheitlicher Bedienungs-
standard für bestimmte Raumtypen und
Raumstrukturen,
zeitliche Abdeckung von morgens bis in
die Abendstunden sowie an Wochenen-
den und in Schulferien in einer Taktfre-
quenz, die sich deutlich stärker an der Le-
benswirklichkeit der Menschen orientiert
(Pilotprojekt „Muldental in Fahrt“ als Re-
ferenz),
Erweiterung der Erschließungswirkung des
SPNV-Netzes durch ein vertaktetes Plus-
und TaktBus-Netz auf Regionen ohne
Bahnanschluss,
Angebotsorientierung, d.h. von der heuti-
gen Nachfrage in gewisser Weise abstra-
hierend und mit dem Ziel, vorhandene
Nachfragepotenziale zu heben.
Maßgabe hierfür war, das ÖPNV-Angebot an-
gesichts der verkehrs- und umweltpolitischen
Zielstellungen zu einer konkurrenzfähigen Al-
ternative zum Autoverkehr zu entwickeln. Hier-
für sind unterschiedliche Konzepte für die
strukturellen und demografischen Bedingun-
gen der Teilräume Sachsens nötig:
Seite 44 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
der Ausbau zum vorrangigen Verkehrsmit-
tel in den Ballungsräumen und
die Schaffung einer umfassenden und ver-
lässlichen Erschließungsfunktion im ländli-
chen Raum.
Charakteristisch für das entwickelte Angebots-
konzept sind daher die zentralen Eigenschaften
eines aufeinander abgestimmten, fahr-
gastfreundlichen und durchgängigen Takt-
systems (Sachsen-Takt),
einer Ausweitung der Bedienzeiten und
der Haltestellendichte sowie
eines einheitlichen, verständlichen Ange-
botssystems für alle Landesteile im Frei-
staat mit hohem Wiedererkennungswert
für die Fahrgäste.
Neujustierung der vorhandenen Buslinien
bzw. Aufnahme neuer Linien zu den wich-
tigen Quellen und Zielen.
Daraus ergeben sich die in Tab. 3 dargestellten
Netzelemente, die auf die jeweiligen Raum-
strukturen und Verkehrspotenziale zugeschnit-
ten sind.
Die Netzelemente umfassen neben den vier
angebotsbezogenen Teilelementen (sortiert
nach Angebotsdichte)
M1a: StadtBus,
M1b: SPNV-Wachstum,
M1c: PlusBus/TaktBus, und
M1d: LandBus/FlexBus
auch die Ausbaumaßnahmen, die in den Ober-
zentren eine perspektivische Angebotsauswei-
tung erst möglich machen (M4). Aufgrund des
stark investiven Charakters sind die Maßnah-
men in den Oberzentren konzeptionell in Ab-
schnitt II beschrieben.
Zentrale Angebotsprodukte erfüllen vom An-
rufbus bis hin zur S-Bahn jeweils bestimmte
Verkehrsfunktionen, die sich v.a. in der Nach-
frageintensität unterscheiden. Um für die
Fahrgäste und deren Reiseketten wertvoll zu
sein, müssen die Produkte aneinandergereiht
Tab. 3: Netzelemente des Angebotskonzepts
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 45 von 178
und mit möglichst geringen Umsteigezeiten in
Anspruch genommen werden können. Kern der
Zielkonzeption ist daher, den Nachfrageströ-
men im Freistaat die notwendigen Produkte
zuzuordnen und mit Hilfe einer durchgehenden
Vertaktung die Angebote deutlich besser als
bisher zu verzahnen.
Hierzu wurden für die verschiedenen Teilräu-
me die oben dargestellten Netzelemente ent-
wickelt. Diese bedienen mit ihren auf die jewei-
lige Raumstruktur zugeschnittenen Angeboten
die Verkehrspotenziale in diesen Teilräumen.
Damit verbessern sie bereits als isolierte Maß-
nahmen die Leistungsfähigkeit und Attraktivität
des ÖPNV. Die Maßnahmen sind so aufeinan-
der abgestimmt, dass sie eine noch größere
Wirkung erzielen können, wenn sie gesamthaft
realisiert werden. Als Bestandteil eines Sach-
sen-Takts bedienen sie alle Teilräume Sachsens
und ermöglichen eine durchgehende und logi-
sche Angebotskette.
Die Produkte, ihre Angebotsparameter und
Verkehrsfunktionen sind in der Tab. 4 aufge-
führt.
Die zentrale Verbesserung des heutigen ÖPNV-
Angebots liegt
in einer geplanten Ausweitung der Bedie-
nungszeiten an Werktagen und (z.T. ein-
geschränkt) auch am Wochenende, auch
in den Schulferien,
in der konsequenten Vertaktung und Ver-
zahnung der Angebote und
in der landesweiten Etablierung von Plus-
Bus und TaktBus als zentrale Scharniere
zwischen ländlichem und Ballungsraum
und als Ergänzung des SPNV-Netzes.
ÖSPV: Oberzentren
Für die drei Ballungszentren Dresden, Leipzig
und Chemnitz steht die Weiterentwicklung des
ÖPNV zum Vorrangsystem vor dem Autover-
kehr im Mittelpunkt. Ziel ist ein Modal-Split-
Anteil des Umweltverbunds (ÖV + nichtmotori-
sierter Verkehr) von über 70%, wie er derzeit
schon in der Spitzengruppe europäischer Städ-
te3 erreicht wird.
Hierfür ist eine deutliche Angebotsausweitung
sowohl auf bestehenden Relationen wie auch
die verbesserte Erschließung verdichteter oder
neuer Siedlungs- und Gewerbegebiete und
öffentlicher Einrichtungen notwendig. Die de-
taillierte Ausweitung wird durch
Fuhrparkerweiterungen inkl. der Anpas-
sung von Abstell- und Werkstattkapazitä-
ten und
3 Städte zwischen 200.000 und 500.000 Einwohnern
in der Schweiz oder Dänemark, aber auch Freiburg in Deutschland.
Tab. 4: Produkte, Angebotsparameter und Verkehrsfunktion
Seite 46 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
den sukzessiven Ausbau der Straßen-
bahnnetze auf hochbelasteten Strecken
(z.B. Schaffung von Tangentialen)
erreicht.
In den weiteren drei Oberzentren mit Stra-
ßenbahnangebot (Plauen, Zwickau und Gör-
litz) besteht das vorrangige Ziel darin, das be-
stehende Angebot auf dem heutigen Niveau
fortschreiben und bedarfsgerecht ausbauen zu
können. Insofern liegt der Handlungsschwer-
punkt auf einer betrieblichen und verkehrli-
chen Optimierung des Angebotes, insbesonde-
re der Modernisierung der Straßenbahnsyste-
me. Die Planungen der Stadtverwaltungen und
Verkehrsunternehmen sehen lokal unter-
schiedliche Maßnahmen vor, z.B. die Ersatzin-
vestitionen in Fahrzeuge oder rechnergestützte
Betriebsleitsysteme oder die Sanierung von
einzelnen Streckenabschnitten.
Für eine deutliche Erhöhung des Modal-Split-
Anteils des Umweltverbundes sind zusätzlich
verkehrsträgerübergreifende Bausteine wich-
tig, wie
die Stärkung des nichtmotorisierten Indi-
vidualverkehrs (z.B. Ausbau Radwege-
netz),
intermodale Zugangs- und Schnittstellen
(z.B. Mobilitätsstationen), bis hin zu
eine auf den Umweltverbund ausgerichte-
te Siedlungsentwicklung entlang der
ÖPNV-Achsen.
ÖSPV: Landkreise
Die Landkreise außerhalb der Oberzentren
haben sehr unterschiedliche Raum- und Sied-
lungsstrukturen. Für sie werden spezifische
Angebotskonzepte vorgeschlagen:
In kompakten Siedlungsgebieten ab ca.
10.000 Einwohnern sind attraktive Stadt-
verkehrsangebote (StadtBus) zu sichern,
zu verbessern bzw. erstmalig zu etablie-
ren.
Sachsenweit ist die Wirksamkeit des SPNV
durch direkt geführte und regelmäßig ver-
kehrende landesweite Buslinien (PlusBus
bzw. TaktBus) zu verstärken. Diese dienen
über den SPNV hinaus der Verknüpfung
der verschiedenen ÖPNV-Systeme bzw.
der verschiedenen Verkehrsrelationen
und Verbindungen in den einzelnen Lan-
desteilen. Damit werden auch die Zentra-
le-Orte- und Achsen-Konzepte der Landes-
und Regionalplanung sowie die Struktur
der Metropolregion Mitteldeutschland
unterstützt. Die Taktung des PlusBus (1h-
Takt) bzw. TaktBus (2h-Takt) soll sich in
seinen Angebots- und Qualitätsstandards
am SPNV orientieren.
In peripheren Gebieten ergänzen lokal
angepasste Angebote (Land- bzw. Flex-
Bus) das Grundnetz aus SPNV und Plus-
und TaktBus. Idealerweise werden diese
Angebote im Zuge der Etablierung der
Plus/TaktBus-Linien in einem Verkehrsge-
biet grundlegend überplant bzw. neu ein-
gerichtet. Inwiefern und in welcher Form
dabei klassische Buslinien oder flexible
Bedienformen angeboten werden sollen,
ist durch die kommunalen Aufgabenträger
und Verkehrsunternehmen vor Ort zu ent-
scheiden.
Das durch die AG Angebotsentwicklung auf
dieser Basis entwickelte Grundnetz ist in Abb.
20 dargestellt.
Schließlich schlägt die AG Angebotsentwicklung
einheitliche Qualitätsmerkmale und Bedie-
nungsstandards vor, um die Wahrnehmung
und Wiedererkennung des ÖPNV als zusam-
menhängendes ganzheitliches System zu un-
terstützen (vgl. Tab. 5).
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 47 von 178
Abb. 20: Vorschlag AG Angebotsentwicklung für ein landesweites ÖPNV-Zielkonzept
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ÖSPV-Produkt Qualitätsmerkmale
StadtBus Verknüpfung mit SPNV und sonstigen PlusBus-, StadtBus- und TaktBus-Linien an geeigneten Stationen, Übergangszeit 10min
Rendezvoushaltestellen in zentraler Lage
hohe Haltestellendichte; Barrierefreiheit an Knotenpunkten und weite-ren ausgewählten Haltestellen möglich
Mini-/Midibusse mit Niederflurtechnik
Bedienung aller wichtigen Aufkommensschwerpunkte
PlusBus und TaktBus
Verknüpfung mit SPNV und sonstigen PlusBus-, StadtBus- und TaktBus-Linien an geeigneten Stationen, Übergangszeit 10min
hohe Reisegeschwindigkeit und Pünktlichkeit (Sicherstellung ggf. durch Busspuren und Bevorrechtigungen an Lichtsignalanlagen)
Lage und Anzahl der Haltestellen sind unter Abwägung der einander wi-dersprechenden Ziele „Verbesserung der Erschließung“ und „Erhöhung der Reisegeschwindigkeit“ zu prüfen
Fahrradmitnahme
Sitzplätze als Standard (Anschnallmöglichkeit)
WLAN im Fahrzeug, Toiletten an wichtigen Knotenpunkten
Fahrgastinformation und Anschlusssicherung, Info zu PlusBus auch im SPNV
sachsenweite Erkennbarkeit (z.B. Logo, Farbgestaltung bei Neufahrzeu-gen)
LandBus Angebot mit regional angepasstem Takt für den ländlichen Raum unter-halb der Grundzentren mit bis zu 500 Einwohnern
Knoten mit SPNV und regionalen Buslinien (so vorhanden)
Anschlusssicherung an wichtigen Taktknoten zu SPNV, Plus- und TaktBus
hierzu zählen auch Schülerverkehre, die nicht in das Grundnetzintegriert werden können
FlexBus FlexBus als bedarfsabhängige Alternative zum LandBus, bei Bedarf auch im Flächenbetrieb
Bürgerbus und ande-re Mitfahrgelegen-heiten
Ergänzung durch Bürgerbusse und Mitfahrangebote bei vorhandenem lokalem Engagement
Tab. 5: Vorschlag der AG Angebotsentwicklung für Qualitätsmerkmale der ÖSPV-Produkte
Schienenpersonennahverkehr (SPNV)
Der SPNV ist das Rückgrat des sächsischen
ÖPNV. Ihm kommt die Aufgabe zu, die Landes-
teile zügig und in attraktiver Frequenz zu ver-
binden. An ihn knüpfen die regionalen und
lokalen Angebote des ÖSPV an. Aus verkehrli-
cher und wirtschaftlicher Sicht sind aufgrund
der hohen Fixkosten im Schienenverkehr be-
stehende und künftige Angebote vor allem an
der Nachfrageerwartung zu spiegeln. Die Aus-
führungen zur Nutzerfinanzierung (vgl. Ab-
schnitt VI) zeigen, dass sich landesweit die
Nachfrage im SPNV verbessern kann bzw. soll-
te.
Hier zeigen sich gegenläufige Entwicklungsper-
spektiven im Freistaat: Auf bestimmten Relati-
onen sind gemäß der SPNV-Erfolgskontrolle
Fahrgastzuwächse zu erwarten, die eine Aus-
weitung der Angebote rechtfertigen bzw. nötig
machen. Für andere Strecken sind die Erwar-
tungen aus vielfältigen Gründen geringer. Für
diese hat die AG Angebotsentwicklung einen
Instrumentenkasten mit Gegenmaßnahmen
erarbeitet.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 49 von 178
Die Entwicklung des SPNV-Angebots auf nach-
fragestarken Relationen ist durch die Zweck-
verbände bereits in wichtigen Verkehrsverträ-
gen angelegt, wie z.B. Angebotsoptionen in
den Verkehrsverträgen für die S-Bahnen in
Leipzig und Dresden und des Chemnitzer Mo-
dells. Darüber hinaus wurden in der AG Ange-
botsentwicklung weitere Kriterien diskutiert,
die eine Ausweitung rechtfertigen. Dies sind
die konsequente Ausstattung/Ergänzung
der überregionalen Achsen mit Regional-
expressangeboten,
insbesondere die Stärkung der Verkehre
zwischen den drei Ballungsräumen Dres-
den, Leipzig und Chemnitz,
die Rücknahme von ehemals aus finanziel-
len Gründen vorgenommenen Angebots-
kürzungen und
der Ersatz von ehemaligen Fernverkehrs-
angeboten der DB AG.
Daraus erwächst die Empfehlung, in Abhängig-
keit von laufenden Verkehrsverträgen und
erforderlichem Fahrzeugmehrbedarf für nach-
fragestarke Strecken die in Tab. 6 dargestellten
Zusatzleistungen zu bestellen.
Für den Umgang mit nachfrageschwachen
Linien im SPNV sind Anpassungsperspektiven
zu definieren. Als nachfrageschwache Strecken
werden SPNV-Relationen verstanden, auf de-
nen abschnittsweise unter 200.000 Fahrgäste
(Pkm/km) im Jahr verkehren. Diese lassen sich
in vier Typen hinsichtlich der Verkehrsnachfra-
ge und Lage im Verkehrsnetz einteilen:
Abb. 21: Typen nachfrageschwacher SPNV-Linien4
Zum Verständnis bzw. zur Einordnung ist zu
beachten:
Trotz der geringen Nachfrage können die-
se Linien als Grundgerüst der regionalen
Erschließung in ihrem jeweiligen Raum
dienen, auf dem das geplante weiterfüh-
rende Plus-/TaktBus-Netz aufbaut.
Auch aus diesem Grund ist eine Einzelfall-
betrachtung dieser Strecken notwendig.
Der Nachfragerückgang betrifft häufig nur
4 In Rot sind jeweils die nachfrageschwachen Ab-
schnitte dargestellt.
Tab. 6: Empfehlung Zusatzleistung
Seite 50 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
die Streckenenden oder mittlere Stre-
ckenabschnitte zwischen zwei Zentren.
Unabhängig davon ist eine Abbestellung
während eines gültigen Verkehrsvertrages
häufig wirtschaftlich unvorteilhaft. Anpas-
sungen sind zumeist bei der Neuvergabe
von Verträgen sinnvoll.
Für die langfristige Entwicklung von nach-
fragearmen Strecken fehlt oft ein verläss-
licher Ausblick, ob der SPNV weiterbetrie-
ben oder eingestellt werden soll. Bisher
wurden Abbestellungen (in Sachsen etwa
25% des historischen Liniennetzes von
1990) zumeist kurzfristig wegen fehlender
Finanzmittel vorgenommen.
Verantwortlich für die Angebotsentscheidung
sind die zuständigen Zweckverbände. Die AG
Angebotsentwicklung empfiehlt, im Einzelfall
eine sorgsame Ursachenforschung vorzuneh-
men, denkbare Lösungsansätze auf ihre Um-
setzung und Wirkungen zu prüfen und darauf
aufbauend ein Maßnahmenpaket zu erarbei-
ten, das z.B. aus einer Anpassung von Reisezei-
ten und Fahrplangestaltung oder Tarif- bzw.
Marketingmaßnahmen besteht. Flankiert von
der Erhebung der Nachfrageentwicklung der
SPNV-Erfolgskontrolle können diese Maßnah-
men bewertet und als Grundlage für eine Ent-
scheidung vor der Neuvergabe der Leistungen
auf der Ebene der Zweckverbände herangezo-
gen werden.
Verzahnung (Sachsen-Takt)
Kern des Angebotskonzepts muss eine intelli-
gente Verknüpfung der unterschiedlichen
ÖPNV-Angebote sein. Dies ist in besonderem
Maße eine Frage geschickter Vertaktung, um
Umstiege zu erleichtern und so eine gute
Netzwirkung zu erzielen und durch ein attrakti-
ves Angebot möglichst viele Fahrgäste zu ge-
winnen.
Der sog. „Integrale Taktfahrplan“ (ITF) ist ein
übergreifendes Planungsprinzip, das in der
Schweiz und seit der Bahnreform auch in ein-
zelnen Bundesländern (z.B. Rheinland-Pfalz
und Bayern) etabliert ist: Züge und Busse fah-
ren in einem festen Takt, und bestimmte Um-
steigehaltestellen werden als Taktknoten aus-
gebaut, so dass dort im Idealfall Umstiege zwi-
schen allen Linien gewährleistet sind (Rundum-
Anschluss). Umgekehrt richtet sich der ITF ei-
nes Landes idealerweise an den Taktfahrplänen
des Fernverkehrs bzw. angrenzender Regionen
aus.
Der in Sachsen nur teilweise bestehende ITF
soll dahingehend ausgeweitet werden, dass er
systematisch kurze Anschlüsse in allen
Knotenbahnhöfen ermöglicht und
alle Verkehrsmittel umfasst (Fernverkehr,
SPNV und Bus).
Üblicherweise wird ein ITF aus dem Fernver-
kehrsangebot abgeleitet. Gerade vor dem Hin-
tergrund der gegenwärtigen Aktivitäten des
BMVI zur Einführung eines Deutschland-Taktes
besteht deshalb aus sächsischer Perspektive
Handlungsbedarf.
Deutschland-Takt
Das BMVI entwickelt derzeit gemeinsam mit
der Deutschen Bahn AG und den SPNV-
Aufgabenträgern den sog. Deutschland-Takt
als Grundlage für den kommenden Infra-
strukturausbau. Damit soll erstmals das Pla-
nungsprinzip des ITF „erst Fahrplan, dann
Infrastrukturausbau“ im bundesweiten
Schienennetz angewandt werden. Hierfür
wird ein deutschlandweiter Zielfahrplan
2030+ entwickelt. Darauf aufbauend wer-
den die zusätzlich erforderlichen Infrastruk-
tur-Ausbaumaßnahmen für den Deutsch-
land-Takt definiert.
Das Systemangebot aus eigenwirtschaftlichem
Fernverkehr (SPFV) und gemeinwirtschaftli-
chem SPNV bedarf einer stabilen langfristigen
Abstimmung, einer geeigneten Infrastruktur
und abgestimmter Taktmuster sowie einer
nachhaltigen Sicherheit der SPFV-
Durchführung. Aus den regionalen Taktknoten
des SPNV ergeben sich wiederum Übergangs-
punkte zum regionalen Busverkehr, insbeson-
dere dem Plus- und TaktBus-Netz.
Für die Konzeption eines Sachsen-Takts ist mit
Blick auf die Zukunft nötig,
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 51 von 178
grundsätzlich das Konzept des Taktver-
kehrs als Systemangebot für alle Ver-
kehrsmittel des ÖV zu fördern,
den Ausbau der Infrastruktur an einem
Zielfahrplan auszurichten und
den Sachsen-Takt als Marke zu platzieren.
Die AG Angebotsentwicklung schlägt daraus
abgeleitet vor,
eine gezielte und kontinuierliche Abstim-
mung mit dem BMVI zur Anbindung Sach-
sens an den geplanten Deutschland-Takt
zu etablieren. Hierzu ist seitens des Frei-
staats Sachsen ein zentraler Ansprech-
partner zu installieren, der die Interessen
und Planungen innerhalb Sachsens bün-
delt, koordiniert und entsprechend vor
dem Bund, anderen Bundesländern und
der DB AG vertritt. Diese Aufgabe kann
durch eine Koordinierungsstelle vorge-
nommen werden, wie es sie in ähnlicher
Weise auch schon in anderen Ländern
gibt.
Die Angebots- und Infrastrukturplanung
mit dem Sachsen-Takt eng zu verzahnen.
Hierzu ist ein Zielzustand zu formulieren,
an dem die laufenden Vorhaben ausge-
richtet werden können.
Das RE-Netz in einem weiteren Schritt
landesweit auf den Knoten Leipzig auszu-
richten.
In Abb. 22 sind die derzeitigen Ist-Fahrzeiten
(rot) den grün markierten Fahrzeiten des je-
weils schnellsten Produktes im ITF-tauglichen
Zielzustand gegenübergestellt.
Zu erkennen ist, dass auf den meisten Relati-
onen lediglich Fahrzeitgewinne im Minuten-
bereich erforderlich sind, um die Taktsystema-
tik herzustellen. Selbst optisch große Sprünge
wie 21 min Reduzierung auf der Strecke Dres-
den – Görlitz relativieren sich, wenn man in
Rechnung stellt, dass 2010 dort bereits 10 min
schneller gefahren wurde und eine Elektrifi-
zierung eine zusätzliche Beschleunigung er-
möglichen würde. Gleichwohl sind in Einzelfäl-
len umfangreichere Infrastrukturmaßnahmen
notwendig.
Abb. 22: Aktuelle und für den Sachsen-Takt nötige Kantenzeiten zwischen den wichtigsten Knoten
Seite 52 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Wirkung der Zielkonzeption
Die Angebotskonzeption stiftet dem Fahrgast
einen landesweiten Nutzen, der in Abb. 23
deutlich wird:
In den Ballungszentren Dresden, Leipzig
und Chemnitz profitieren rund 1,4 Mio.
Einwohner vom Ausbau der Stadtver-
kehrssysteme (33% aller Sachsen).
Weitere 98 Städte und Gemeinden wer-
den ebenfalls über ein Stadtverkehrsan-
gebot verfügen. In vielen von ihnen wird
es damit erstmalig ein qualitativ hochwer-
tiges ÖPNV-Angebot geben. Und auch
dort, wo bereits heute Stadtbusse oder
Straßenbahnen verkehren, wird das An-
gebot spürbar besser. Es profitieren insge-
samt gut 1,2 Mio. Menschen, d.h. 29% al-
ler Sachsen von der Verbesserung; über
0,5 Mio. Einwohner haben erstmals ein
Stadtverkehrsangebot.
Eine signifikante Verbesserung findet im
Regionalverkehr durch die sachsenweite
Einführung von Plus- und TaktBussen
statt. 0,7 Mio. Menschen, d.h. 18% aller
Sachsen werden innerhalb von etwa 5min
Fußweg eine Haltestelle des Regionalver-
kehrs erreichen und auf diese Weise zügig
in die nächsten Zentren gelangen. Derzeit
haben nur rund 0,25 Mio. Einwohner (6%
aller Sachsen) im ländlichen Raum ein
vergleichbares Angebot.
Von diesem Plus- und TaktBus-Angebot
profitieren außerdem die bereits erwähn-
ten rund 2,6 Mio. Menschen, die in den
Städten leben, da es Fahrten in verschie-
dene Himmelsrichtungen vereinfacht.
Jene Teile des Freistaates Sachsen, aus
denen das Grundnetz nicht innerhalb von
5min erreichbar ist und in denen knapp
0,8 Mio. Menschen, d.h. 20% aller Sach-
sen leben (vormals 1,9 Mio. bzw. 48%),
werden unverändert durch LandBusse und
vermehrt durch flexible Angebote er-
schlossen. Die konkrete Ausgestaltung
dieser Angebote findet auf lokaler Ebene
statt – idealerweise im Zusammenhang
mit der Einführung von Plus/TaktBus-
Linien. Der Einsatz flexibler Bedienformen
wird durch eine Klärung der genehmi-
gungsrechtlichen und fördertechnischen
Bedingungen auf Landesebene unter-
stützt.
Mit diesem Grundnetz aus großstädtischem
Angebot in Dresden, Leipzig und Chemnitz,
StadtBussen in über 90 kleineren Städten und
Gemeinden, SPNV, Plus- und TaktBussen im
Regionalverkehr werden 80% der sächsischen
Bevölkerung erschlossen. Legt man die heuti-
gen Fahrpläne zugrunde, finden nur etwa 52%
ein vergleichbares Angebot vor.
Die genannten Maßnahmen werden zu einer
spürbaren Erhöhung des Modal-Split-Anteils
des ÖPNV führen. Damit leistet Sachsen einen
wichtigen Beitrag für die Erreichung von Klima-
und Umweltschutzzielen.
Abb. 23: Erschließungswirkung der Angebotskonzeption im Status quo versus 2025
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 53 von 178
II. Infrastruktur und Fahrzeuge
Ausgangslage
Seit der Wiedervereinigung, spätestens der
Regionalisierung, sind in allen Landesteilen
Anlagegüter des ÖPNV neu geschaffen bzw.
ersetzt worden. Sichtbar ist dies an den mo-
dernisierten Straßenbahnsystemen in den
Städten genauso wie an den neuen Zugangs-
stellen im ländlichen Raum und an den vieler-
orts eingesetzten modernen Schienenfahrzeu-
gen und Omnibussen.
Die Bereitstellung langfristigen Anlagevermö-
gens muss an einer ebenso langfristigen Stra-
tegie ausgerichtet sein. Die Kapitalintensität
der Anlagegüter und die erforderlichen Pla-
nungsvorlaufzeiten lassen eine kurzfristig wirk-
same Anpassung i.d.R. nicht zu.
Kursänderungen in der Investitionsstrategie
sind daher gut zu begründen. Anschaulich ist
eine Anpassung dort zu empfehlen, wo
eine mehrjährige Über- oder Untersteue-
rung von Investitionen festgestellt werden
kann oder
veränderte Rahmenbedingungen es not-
wendig machen, die Investitionsstrategie
anzupassen oder zu erweitern.
Die Arbeitsgruppe Infrastruktur und Fahrzeuge
hat vier Schwerpunktthemen identifiziert und
mit Maßnahmen hinterlegt, für die in dieser
Hinsicht ein Gegensteuern geboten ist:
Steuerung und Auskömmlichkeit der Er-
satzinvestitionen,
Investitionsstrategien für die wachsenden
Ballungsräume,
Maßnahmen zur Herstellung der gesetz-
lich verankerten Barrierefreiheit sowie
Ausweitung des Einsatzes marktreifer in-
novativer Lösungen im Regelbetrieb (Digi-
talisierung, Elektromobilität).
Darüber hinaus wurden strategische Hand-
lungsempfehlungen zu regionalisierter Eisen-
bahninfrastruktur in Sachsen entwickelt.
Langlebige Anlagegüter wie Fahrzeuge oder
bauliche Anlagen bedürfen der wiederkehren-
den Wartung und Reparatur. Andererseits lau-
fen sie Gefahr, an Leistungsfähigkeit einzubü-
ßen. Diese Erkenntnis weicht vielerorts aus
dem Bewusstsein, wenn es sich um öffentlich
bereitgestellte Anlagegüter handelt. Auch die-
se erfordern eine regelmäßige Instandhaltung,
ehe sie am Ende ihrer technischen Lebensdau-
er zu ersetzen sind.
Werden Anlagegüter und deren Komponenten
nicht rechtzeitig erneuert, fährt das System auf
Verschleiß. Man spricht dann von Substanzver-
zehr. Kritisch daran ist, dass die schrittweise
Verschlechterung der Leistungsfähigkeit infolge
ausbleibender Erneuerung desto weniger auf-
fällt, je länger die Nutzungsdauer des Anlage-
gutes reicht. Sichtbar werden die Folgen des
Investitionsrückstaus zumeist erst dann, wenn
gravierende Leistungseinschränkungen eintre-
ten oder gar die Stilllegung des Anlagegutes
droht.
Für die sächsische Verkehrspolitik bedeutet
dies, dass der am offensiven Ausbau der grund-
legenden Modernisierung des Systems orien-
tierte investive Ausgabenschwerpunkt der Ver-
gangenheit in eine stabile Ersatzinvestitionspo-
litik für die Zukunft zu überführen ist. Dies ist
Voraussetzung, um die in diesem Bereich er-
reichte Qualität im sächsischen ÖPNV halten zu
können.
Im ÖSPV fördert der Freistaat über das LIP die
Ersatzbeschaffung von Omnibussen und Stra-
ßenbahnen, die Erneuerung von Straßen-
bahninfrastruktur sowie Haltestellen und Be-
triebshöfen mit Fördersätzen, deren Höhe nach
Anlagenart differenziert. Im SPNV werden För-
derungen über das Landesinvestitionspro-
gramm des Freistaates nur noch punktuell ge-
währt.
In den Jahren 2012 – 2016 hat der Freistaat
Ersatzinvestitionen im Bereich von ca. 43 bis 89
Mio. EUR jährlich im LIP gefördert, davon etwa
47% für Fahrzeuganschaffungen. Hinzu kamen
und kommen die Mitfinanzierungsanteile der
Verkehrsunternehmen bzw. kommunalen Auf-
Seite 54 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
gabenträger, so dass von aktuell mehr als
ca. 115 Mio. EUR an jährlichen Ersatzinvestitio-
nen ausgegangen werden kann.
Der konkrete Förderbedarf ist das Ergebnis der
kurz- bis mittelfristigen Planungen der Unter-
nehmen und Gebietskörperschaften. Den tat-
sächlichen Bedarf an Ersatzinvestitionen zu
ermitteln, ist methodisch schwierig, da viele
verschiedene Parameter in Betracht zu ziehen
sind. Unter vereinfachten Annahmen kann von
einem Durchschnittsbedarf für den ÖSPV
(Fahrzeuge, Infrastruktur, Vertriebstechnik,
Betriebsleitsysteme) in Höhe von jährlich ca.
225 Mio. EUR ausgegangen werden.
Dieser Wert übertrifft offensichtlich die bishe-
rige Finanzierungskulisse. Übertragen auf his-
torische Förderanteile des Freistaates würde
dies künftig eine notwendige Aufstockung des
LIP alleine für Ersatzinvestitionen auf ca. 141
Mio. EUR pro Jahr bedeuten. Entsprechend
müssten auch Verkehrsunternehmen und
Kommunen ihre Eigenanteile steigern.
Daher ist eine Empfehlung der Kommission, auf
allen Ebenen die fiskalischen Grundlagen zu
legen, diesen Umfang zumindest perspektivisch
erreichen zu können.
Mit dem reinen Vorhalten der notwendigen
Finanzmittel für den Ersatzinvestitionsbedarf
ist es aber ebenfalls nicht getan. Regelmäßige
Wartung und Pflege durch die Unternehmen
sind notwendige Voraussetzung für eine wirt-
schaftliche Nutzung. Fehlanreize zur Kompen-
sation eingesparter Ausgaben der laufenden
Instandhaltung durch eine geförderte Ersatzin-
vestition sind dabei zu vermeiden.
Vor dem Hintergrund des erreichten Aus-
baustandes wird empfohlen, den Ersatz von
ÖPNV-Infrastruktur als weiteren Förderzweck
im LIP explizit zuzulassen, da anstehende Inves-
titionen künftig nicht mehr im bisherigen Um-
fang in Ausbauprogramme integrierbar sein
werden. Bislang hat die rechtliche Lage eine
Verwendung von Entflechtungsmitteln für Er-
satzinvestitionen verhindert. Jedoch sollte im
Zuge einer Nachfolgeregelung hiervon abgewi-
chen werden.
Spätestens mit der Novelle des Personenbe-
förderungsgesetzes (PBefG) ist das Thema Bar-
rierefreiheit als ein prioritäres Ziel in die Agen-
da der Branche aufgerückt.
Öffentlicher Verkehr hat den Anspruch, für alle
Bürger Mobilität anzubieten. Dies schließt auch
Bevölkerungsgruppen mit ein, die im weiteren
Sinne als mobilitätseingeschränkt bezeichnet
werden. Mit der zunehmenden Alterung der
Gesellschaft wird die Bedeutung dieser Perso-
nenkreise auch als Fahrgäste weiter zunehmen,
wie der Blick auf die Attribute verrät, unter
denen eine Mobilitätseinschränkung verstan-
den wird:
Menschen mit körperlichen Behinderun-
gen,
Menschen mit Sinnesbehinderungen und
kognitive Einschränkungen,
Menschen mit situativen Einschränkun-
gen, z.B. durch Gepäck oder Kinderwagen
und
Senioren.
Auch wenn der Gesetzgeber seine Vorgaben
dahingehend geöffnet hat, dass auch abwei-
chende Umsetzungsfahrpläne zugelassen wer-
den, ist die Herstellung der Barrierefreiheit
zum 1.1.2022 im ÖSPV fixiert.
Dies hat im Freistaat Sachsen bereits insoweit
Berücksichtigung gefunden, als die Förderung
von Investitionsmaßnahmen über das LIP mit
an die barrierefreie Ausgestaltung geknüpft ist.
Damit wird im rollierenden Ersatz bereits ein
Gutteil der nötigen Maßnahmen „mit erledigt“.
Für ein bedarfsgerechtes Angebot an barriere-
freien Taxen wird ein Förderbaustein empfoh-
len.
Darüber hinaus sind durch die Aufgaben- und
Baulastträger aber noch weit mehr Umset-
zungsschritte zu gehen.
Im Dialog mit Interessenvertretungen und mit
Blick auf die finanzielle Machbarkeit haben sich
die Partner in einer Arbeitsgruppe der Aufgabe
verschrieben, dieses ambitionierte Ziel
schnellstmöglich zu erreichen. Dies wurde
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 55 von 178
durch die von der ÖPNV-Strategiekommission
angestoßene Diskussion noch intensiviert.
Im Ergebnis ist ein strategischer Ansatz mit
folgenden Eckpunkten entwickelt worden:
Das Erreichen des Ziels der umfassenden
Barrierefreiheit bis 1.1.2022 ist wün-
schens- und erstrebenswert, aber nicht
realistisch. In Anbetracht der planerischen
und baulichen Vorlaufzeiten erscheint für
den Freistaat das Jahr 2030 als Zielpunkt
geeigneter.
Dazu erscheint es notwendig und ange-
messen, das Umrüstziel abzuschichten.
Die Umrüstung aller Haltestellen im Frei-
staat ist weder umsetzbar, noch ent-
spricht sie in dieser Absolutheit der Forde-
rung der Betroffenen. Entscheidend ist ein
realistischer Ausbaugrad, der dennoch ei-
ne möglichst flächendeckende barriere-
freie Erreichbarkeit sichert. Die gemein-
sam mit dem Beauftragten der Sächsi-
schen Staatsregierung für die Belange von
Menschen mit Behinderungen erarbeite-
ten Ausbauziele sind der Tab. 7 zu ent-
nehmen.
Tab. 7: Barrierefreiheit Ausbaugrad, Status quo und Zielzustand 2030
Um eine möglichst zeitnahe Wirkung zu erzie-
len, wird eine Priorisierung vorgeschlagen. Die
Ertüchtigung der ÖPNV-Infrastruktur ist v.a. an
zentralen Umsteigeknoten und wichtigen
Fahrtzielen (Wohngebiete, Ärztehäuser, Ein-
kaufsmöglichkeiten) vorzunehmen.
Eine überschlägige Abschätzung des zusätzli-
chen Mittelbedarfs kommt zu dem Ergebnis,
dass jährlich 29 Mio. EUR notwendig sind, um
die empfohlenen Umrüstziele an ÖSPV-
Haltestellen bis 2030 zu erreichen. Bei den
Fahrzeugen werden die barrierefreien Merk-
male durch deren fortlaufende Erneuerung der
Fahrzeuge umgesetzt.
Den jeweils zuständigen Akteuren wird ergän-
zend empfohlen, in den Bereichen Information
und Kommunikation die spezifischen Belange
der Menschen mit Behinderungen zu berück-
sichtigen und diese bei allen Fragen, die deren
Interessen berühren, zu beteiligen.
Bis zur Erreichung einer vollständigen Barriere-
freiheit sind ggf. noch erforderliche Anmelde-
fristen zügig spürbar zu verringern.
In den Ballungs- und Oberzentren hat die Be-
völkerungszunahme samt einhergehender Ver-
dichtung im Raum zur Folge, dass zusätzliche
Angebote im ÖPNV erforderlich werden. Dies
gilt sowohl für die Zahl der Fahrten (Betriebs-
leistung) als auch für die Kapazitäten. Dieser
Mehrbedarf mündet ab einem gewissen Punkt
in zusätzlichen Investitionsbedarf in die Infra-
struktur samt Zugangsstellen sowie in Fahrzeu-
ge.
Der von den Städten einzuschlagende Investiti-
onspfad ist davon abhängig, welche verkehrli-
chen Ausbauziele verfolgt werden. Die ÖPNV-
Strategiekommission hat die Entwicklung in
zwei unterschiedlichen Szenarien modelliert:
Im Fortschreibungsszenario wird im We-
sentlichen das Angebotsniveau im Status
quo fortgeführt. Investive Maßnahmen
fokussieren auf eine Erhaltung des ge-
genwärtigen Modal Split, was demogra-
fiebedingt Nachfragesteigerungen in den
Ballungszentren mit sich bringt. Investiv
sind Fahrzeugbeschaffungen, die Schaf-
fung der dafür notwendigen infrastruktu-
rellen Voraussetzungen sowie die bereits
beschlossenen Neu- und Ausbaumaß-
nahmen im Infrastrukturbereich notwen-
dig.
Im Vergleich dazu nimmt das Wachs-
tumsszenario eine Erhöhung des ÖV-
Anteils an der Gesamtmobilität ins Visier.
Seite 56 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Dies setzt z.T. umfangreiche Netzerweite-
rungen sowie weitere Fahrzeugbeschaf-
fungen voraus, um die hierfür notwendige
Beförderungskapazität verkehrlich bereit-
stellen zu können.
Aus den Szenarien lassen sich für die Ballungs-
zentren (Dresden, Leipzig, Chemnitz) und
Oberzentren (Görlitz, Plauen, Zwickau) konkre-
te Investitionsbedarfe aus den Planungen der
Verkehrsunternehmen ableiten. Hierbei sind in
Abgrenzung zu den Ersatzinvestitionen echte
Neu- und Ausbauvorhaben bzw. Fahrzeugneu-
anschaffungen gemeint.
In Summe resultieren bei einer vollständigen
Umsetzung der Planungen die folgenden finan-
ziellen Bedarfe:
Im Fortschreibungsszenario beträgt der
Investitionsbedarf in den sächsischen Bal-
lungsräumen und Oberzentren im Zeit-
raum 2019 – 2030 ca. 474 Mio. EUR (zu
heutigen Preisen). Umgerechnet auf Jah-
reswerte sind ca. 40 Mio. EUR veran-
schlagt.
Im Wachstumsszenario sind den Werten
des Fortschreibungsszenarios weitere Fi-
nanzbedarfe hinzuzufügen. Nach den
Schätzungen der Verkehrsunternehmen
fallen für die Investitionen in den Bal-
lungszentren zusätzlich ca. 484 Mio. EUR
an. Diese verteilen sich auf jährliche Be-
darfe von ca. 65 Mio. EUR im Zeitraum
2024 – 2030 sowie die Kosten der Vorlauf-
finanzierung bis 2024, im Wesentlichen
für die Planungen.
Die Entwicklungsperspektiven der Digitalisie-
rung im ÖPNV sind aus heutiger Sicht vielfältig
und in ihrer Gesamtheit noch nicht einheitlich
(vgl. Abschnitt V).
Gleiches gilt für innovative Antriebstechnolo-
gien, deren technische Ausgereiftheit zum heu-
tigen Zeitpunkt oft noch „im Fluss“ ist. Abseh-
bar wird der ÖPNV aber – dort wo er noch
nicht elektromobil unterwegs ist – Alternativen
zum Dieselmotor suchen und finden müssen.
Dies wird in der Übergangsphase nach derzeiti-
gem Kenntnisstand Mehrkosten bei Fahrzeug-
beschaffung und -betrieb, aber auch bei der
erforderlichen Ladeinfrastruktur nach sich zie-
hen.
Die Marktdurchdringung von Technologien wie
beispielsweise der Elektromobilität als An-
triebseinheit ist noch nicht abgeschlossen. Dies
führt dazu, dass – zumindest übergangsweise –
die Fahrzeugbeschaffung Preise jenseits des
Marktwerts von fossil betriebenen Einheiten
verursacht. Hinzu können in diesem konkreten
Beispiel Zusatzaufwendungen für ortsfeste
Anlagen zur Aufladung oder Speicherung von
Energie kommen. Aus rein unternehmerischer
Entscheidungsperspektive müsste der ÖPNV-
Markt somit bis auf weiteres auf solche innova-
tiven Technologien verzichten.
Absehbar ist aber, dass der ÖPNV z.B. die Ent-
wicklung alternativer Antriebstechnologien mit
zum Gegenstand seiner Angebote machen
muss. Ohne eine sukzessive Loslösung vom
Dieselmotor als vorherrschende Antriebsform
im Busverkehr würde er seinen Status als um-
weltfreundlichstes Verkehrsmittel langfristig
gefährden. Sachsen bietet gute Voraussetzun-
gen für den notwendigen Innovationsschub, da
die Automobilindustrie stark im Land vertreten
ist und die großen Verkehrsunternehmen wie
DVB und LVB bereits in der Testphase sind
(Hybridfahrzeuge, vollelektrische Buslinien).
Ebenso zeichnen sich diverse Einsatzgebiete
digitaler Technologien in Betrieb und Instand-
haltung der Verkehrssysteme ab, die einen
wichtigen Innovationssprung darstellen wür-
den (zu den Potenzialen des digitalen Wandels
vgl. auch M8 in Abschnitt III).
Es sind Mittel und Wege zu finden, wie innova-
tive Lösungen in den Förderrahmen des sächsi-
schen ÖPNV eingebunden werden können.
Auf der budgetären Ebene sind zusätzliche
Mittel bereitzustellen. Um Anwendungserfah-
rungen im Bereich Elektromobilität zu sam-
meln und anwendungsreife Lösungen zügig
ausrollen zu können, geht eine Modellrech-
nung der AG Infrastruktur und Fahrzeuge allein
für die sechs sächsischen Oberzentren von ca.
19 Mio. EUR zusätzlichem jährlichen Investiti-
onsbedarf aus. Hinzu kommen derzeit noch
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 57 von 178
nicht bezifferbare Mehrbedarfe für die flä-
chendeckende Einführung von digitalen Tech-
nologien im ÖPNV in Mittelzentren und im
ländlichen Raum.
Ökonomische Effizienzgewinne lassen sich der-
zeit seriös nicht abschätzen, gleichwohl sind
betriebliche und vertriebliche Optimierungspo-
tenziale sichtbar und bereits in Anwendung
(z.B. IT-gestütztes Instandhaltungsmanage-
ment oder e-Ticketing).
Auf der Ebene der Förderstruktur wird ange-
regt, die Förderkriterien allgemein auf die An-
forderungen der digitalen Veränderungen aus-
zurichten. Damit einher geht v.a. die Empfeh-
lung, eine Flexibilisierung des Förderrahmens
anzugehen, der sich von tradierten Einteilun-
gen löst).
Die Nutzungspreise der bundeseigenen Eisen-
bahninfrastruktur (Trassen und Stationen) stei-
gen stetig und überproportional zur allgemei-
nen Kostenentwicklung an. Die SPNV-Besteller
müssen deshalb jährliche Mehraufwendungen
tragen, denen nicht immer ein Äquivalent auf
der Leistungsseite entgegensteht. Praxisbei-
spiele im Bereich der NE-Bahnen zeigen, dass
durch eine regionale Verantwortung Entwick-
lungspotenziale und auch Kostensenkungen
besonders bei Nebennetzen erreichbar sind.
Daher sollte durch den Freistaat gemeinsam
mit anderen Ländern beim Bund weiter dafür
geworben werden, handhabbare Rahmenbe-
dingungen für die Umsetzung regionaler Be-
treibermodelle zu schaffen. Dies schließt ein,
auch die Voraussetzungen für eine anteilige
Finanzierung der Ersatzinvestitionen für regio-
nale Eisenbahnstrecken durch den Bund zu
schaffen. Hierzu müsste die Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung des Bundes mit der
DB AG und deren EIU so modifiziert werden,
dass eine anteilige Übertragung auf die Länder
möglich ist.
Seite 58 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
III. Tarif und Vertrieb
Ausgangslage
Die Verantwortlichkeiten im Themenfeld Tarif
und Vertrieb werden im Freistaat Sachsen
durch die fünf Verkehrsverbünde und die Ver-
kehrsunternehmen wahrgenommen. In Bezug
auf Tarif und Vertrieb ist die im Freistaat flä-
chendeckende Organisation in Tarif- bzw. Ver-
kehrsverbünden für Fahrgäste ein hohes Gut.
Es ermöglicht im Verbund die Nutzung des
ÖPNV über mehrere Verkehrsunternehmen
hinweg mit einem Fahrschein. Durch die Ver-
ankerung vor Ort sind differenzierte Tarifange-
bote und Preisentwicklungen möglich, die sich
etwa an lokalen Verkehrsbedürfnissen oder
wirtschaftlichen Entwicklungen anpassen.
Verkehrsunternehmen und -verbünde steuern
ihre Einnahmen durch die Tarifpolitik. Fahr-
geldeinnahmen alleine aber können die Kos-
tenentwicklung eines leistungsfähigen öffentli-
chen Verkehrs nicht tragen, weshalb auch Frei-
staat und kommunale Aufgabenträger den
ÖPNV mit finanzieren müssen. Damit Ver-
kehrsunternehmen und -verbünde die Entwick-
lung ihrer Tarife gleichermaßen markt- wie
daseinsvorsorgegerecht entwickeln können,
wurden unterstützende Maßnahmen unter der
Überschrift Nutzerfinanzierung diskutiert.
Wiederkehrend werden Forderungen laut, eine
Harmonisierung (Angleichung) der Verbundta-
rife umzusetzen, so zum Beispiel im Einset-
zungsbeschluss des Sächsischen Landtages (vgl.
Einleitung). Die damit verbundene Hoffnung
ist, dass die Nutzung des öffentlichen Verkehrs
bei tarifgrenzenüberschreitenden Verbindun-
gen einfacher wird. Mit der, während der
ÖPNV-Strategiekommission auf den Weg ge-
brachten, sachsenweiten Vereinheitlichung der
Beförderungsbedingungen haben die Verbünde
hier einen wichtigen Harmonisierungsschritt
erreicht. Allerdings würde eine darüber hinaus
gehende Harmonisierung der Tarife die Stärke
der regionalen Differenzierung ein Stück weit
aufheben.
Eine ideale Strategie bringt das Ziel der berech-
tigten Vereinfachung mit dem Weiterbestehen
der regionalen Verantwortung für die Tarife in
Einklang. In diesem Sinne hat die ÖPNV-
Strategiekommission Konzepte entwickelt um,
einen landesweit gültigen Sachsen-Tarif
für verbundgrenzenüberschreitende Fahr-
ten auf den Weg zu bringen und
gleichzeitig digitale Vertriebslösungen für
den schnellen und bequemen Kauf von
verbund- und landesgrenzenüberschrei-
tende Fahrkarten z.B. mit dem Smartpho-
ne zu entwickeln.
Auch beim Bildungsticket geht die Zielsetzung
in Richtung Harmonisierung – in diesem Fall
von Rahmenbedingungen und Eigenanteilen im
Ausbildungsverkehr. Die Kommission hat sich
intensiv mit dieser konkreten Maßnahme be-
schäftigt.
Die ÖPNV-Strategiekommission erkennt die
Notwendigkeit eines verbundübergreifenden
Tarifs im sächsischen ÖPNV. Unabhängig der
vom Sächsischen Landtag postulierten Forde-
rung sind steigende Nutzerzahlen und ein
wachsendes Nachfragepotenzial bei Fahrten
über sächsische Verbundgrenzen hinaus fest-
zustellen. Diese Entwicklungen rechtfertigen
die Einführung eines eigenständigen Tarifs.
Gleichzeitig bleiben die regionalen Verbundta-
rife für Fahrten innerhalb der Verbundgrenzen
erhalten – und damit auch die Vorteile einer
regionalen Tarifdifferenzierung.
Einhellig wird von der AG Tarif und Vertrieb das
Modell eines Dachtarifs präferiert, der eine
Ablösung der Unternehmenstarife im sächsi-
schen SPNV notwendig macht. Die detaillierte
Konzeption des Sachsen-Tarifs muss durch eine
Trägerorganisation vorgenommen werden. Sie
hat die Aufgabe, aus den beteiligten Akteuren
das Gremium zu bilden, das über Tarifsorti-
mente, Preisbildungsmechanismen oder die
Einnahmeaufteilung entscheidet.
Der Sachsen-Tarif wird zu Mehraufwendungen
führen, da sowohl die Einführung als auch lau-
fende Begleitung und Pflege von Tarifen Res-
sourcen verzehrt. Für die personelle Ausstat-
tung einer Trägerorganisation sind laufende
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 59 von 178
Aufwendungen i.H.v. ca. 1 Mio. EUR p.a. zu
erwarten. Um den Tarif attraktiv zu machen,
kann es darüber hinaus notwendig sein, min-
destens übergangsweise Einnahmeausfälle der
Verbünde auszugleichen (Durchtarifierungsver-
luste), die ohne das Detailkonzept des Tarifs
noch nicht valide beziffert werden können. Es
ist aber davon auszugehen, dass die prognosti-
zierten Fahrgastzuwächse durch den Sachsen-
Tarif diese Lücken mittelfristig schließen.
Die Zielsetzung künftiger Vertriebslösungen
muss sein, dass Fahrgäste den ÖPNV möglichst
einfach und überall nutzen können – und dabei
nur ein Minimum an Aufmerksamkeit dem
Fahrkartenkauf widmen müssen. Das setzt
voraus, dass Preis- und Reiseauskünfte in Echt-
zeit bei der Buchung zur Verfügung stehen und
Tickets auch verbundübergreifend von der
Start- zur Zielhaltstelle gebucht werden kön-
nen. Strategisch sind die Systeme auch für die
Integration von Mobilitätsangeboten Dritter,
z.B. Sharing- oder Mietwagenanbietern nutz-
bar.
Ausgehend von ersten Erfolgen wie der sach-
senweiten Verfügbarkeit von Handytickets sind
weitere Entwicklungsschritte zu gehen. Es wer-
den sogenannte account-basierte Systeme
bevorzugt. Fahrgäste identifizieren sich nur
noch mit ihrem Kundenkonto (account), das
auf verschiedenen Nutzermedien (z.B. Smart-
card, Smartphone, Kreditkarte) die Fahrkarte
speichern kann. Vorteil hiervon ist, dass die
Rechenleistung in leistungsstarke Hintergrund-
systeme verlagert wird. Diese sind die techni-
sche Voraussetzung für die Einführung von
nutzungsabhängigen Tarifen (e-Tarife), die eine
Fahrpreisberechnung erst nach der Fahrt vor-
nehmen.
Zur Implementierung dieser Technologien wird
eine gestaffelte Strategie für die Nutzermedien
Smartphone und Smartcard vorgeschlagen:
Der Entwicklungspfad im Bereich Smart-
phone ist bereits abgesteckt. Hier arbei-
ten die sächsischen Verbünde an den
technischen Anpassungen, z.B. einem
zentralen Tarifserver und der Ertüchtigung
der Verbund-Applikationen. Wenn auch
die vertraglichen Grundlagen für die ge-
genseitige Freigabe und Anerkennung der
Tarife rechtzeitig gelegt sind, ist die Ein-
führung einer landesweiten Vertriebslö-
sung in Sachsen und Mitteldeutschland
noch in 2019 zu Mehraufwendungen von
ca. 2 Mio. EUR realistisch.
In einem zweiten, nachgelagerten Schritt
ist eine sachsenweite Vertriebslösung im
Bereich der Smartcards anzugehen. Wei-
tere technische Anpassungen sind in den
Hintergrundsystemen notwendig, damit
ein Fahrgast in mehreren Verbünden mit
derselben Smartcard den ÖPNV benutzen
kann. Auch sind Fahrzeuge und Haltestel-
len mit der nötigen Infrastruktur (z.B.
Terminals, Validatoren, …) auszustatten.
Hierfür werden ca. 28 Mio. EUR an zusätz-
lichem Finanzbedarf bis 2025 geschätzt.
Darüber hinaus wird empfohlen, landes-
weite Vertriebslösungen durch eine un-
terstützende organisatorische Einbettung
zu fördern. Hierfür bietet sich aufgrund
der thematischen Nähe an, die Trägeror-
ganisation für den Sachsen-Tarif mit die-
sen Aufgaben zu betrauen.
Die Digitalisierung des ÖPNV-Vertriebs birgt
damit große Chancen. Der Zugang der Fahrgäs-
te zum ÖPNV wird sich entscheidend wandeln.
Ist heute noch der Fahrscheinkauf integraler
Bestandteil einer Fahrt, reicht es, künftig nur
noch die Beförderungsleistung in Anspruch zu
nehmen.
Um die Akzeptanz bei den Fahrgästen zu si-
chern, ist die Einführung digitaler Vertriebslö-
sungen vorerst nur komplementär zu den be-
stehenden Vertriebskanälen auszugestalten.
Alle bisherigen Vertriebskanäle sollten mindes-
tens mittelfristig den Fahrgästen weiter zur
Verfügung stehen.
Seite 60 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Die im Koalitionsvertrag ausgesprochene Ziel-
setzung eines Bildungstickets ist durch die
ÖPNV-Strategiekommission aufgenommen
worden. So wie der Ausbildungsverkehr neben
der Verkehrspolitik weitere Politikbereiche
berührt, können mit dem Bildungsticket u.a.
starke sozial- und bildungspolitische Motive in
Zusammenhang gebracht werden.
Es soll die Schülerbeförderung zu sachsenweit
tariflich einheitlichen Rahmenbedingungen
sicherstellen, wie z.B. der Angleichung der Ei-
genanteile der Schülerbeförderung. In der Fol-
ge wird das Bildungsticket die Mobilitätschan-
cen aller Schüler und somit auch den Zugang zu
Bildung und sozialer Teilhabe erhöhen. Die
stärkere Bindung junger Menschen an den
ÖPNV wird die Fahrgastnachfrage dauerhaft
verstetigen. Hierfür ist aber Voraussetzung,
dass lokal entsprechende Verkehre angeboten
werden.
Die ÖPNV-Strategiekommission hat den Begriff
des Bildungstickets aus dem Koalitionsvertrag
konkretisiert:
Als Angebot an alle sächsischen Schüler
und Auszubildenden soll das Bildungsti-
cket diese in die Lage versetzen, rund um
die Uhr den ÖPNV im jeweiligen Ver-
kehrsverbund nutzen zu können.
Der Beförderungsanspruch der notwendi-
gen Beförderung gemäß § 23 Abs. 3
SchulG bleibt aber weiter z.B. auf das Vor-
liegen von Mindestentfernungen be-
schränkt.
Das Bildungsticket ersetzt damit die bishe-
rigen Zeitfahrausweise (soweit möglich)
und wird zu sachsenweit einheitlichen Be-
dingungen und Preisen ausgegeben. Vo-
raussetzung für das Bildungsticket ist da-
mit eine, die verschiedenen aktuellen Re-
gelungen in den Kreisen und Kreisfreien
Städten beachtende, Vereinheitlichung
der Schülerbeförderungssatzungen im
Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzun-
gen.
Bei Verkehrsverbünden und -unternehmen
führt ein Bildungsticket jedoch zu erheblichen
Einnahmeausfällen, weshalb ein finanzieller
Ausgleich durch den Freistaat notwendig wäre.
Eine Modellrechnung der AG Tarif und Vertrieb
beziffert die hierbei auszugleichenden Minder-
einnahmen auf mindestens ca. 47 Mio. EUR
jährlich.
Die Diskussion hat gezeigt, dass das Bildungsti-
cket wegen der vielfältigen Zielstellungen eine
hohe Komplexität aufweist. Diese drückt sich
durch auftretende Zielkonflikte innerhalb der
Konzeption aus:
Zwar wird heute oft bemängelt, dass die
Eigenanteile der Schülerbeförderung dif-
ferieren. Aber auch ein sachsenweit ein-
heitlicher Preis kann bei den heute unter-
schiedlichen Angeboten der kommunalen
Aufgabenträger (z.B. Ballungsraum vs. Flä-
che) von den Nutzern als ungerecht erach-
tet werden.
Ein einheitlicher Preis für ein Bildungsti-
cket für alle Schüler und Auszubildende ist
eine nachvollziehbare Forderung. Jedoch
ist die Gruppe der Schüler und Auszubil-
denden im Binnenverhältnis sehr hetero-
gen was z.B. unterschiedliche altersbe-
dingte Nutzungshäufigkeiten oder die Ein-
kommenssituationen angeht.
Abschließend ist zu betonen, dass das Bil-
dungsticket als Tarifprodukt betrachtet wurde.
Es ist nicht mit einer Ausweitung des Verkehrs-
angebotes gleichzusetzen. Vielmehr könnte
eine durch das Bildungsticket induzierte Mehr-
nachfrage im Schülerverkehr zu der Notwen-
digkeit punktueller Angebotserhöhungen und
damit zusätzlichen sprungfixen Kosten bei den
Verkehrsunternehmen führen.
Die Einführung des Bildungstickets bedarf da-
her verschiedener vorbereitender Prozesse in
Politik und Verwaltung, insbesondere der Eini-
gung aller beteiligten Akteure.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 61 von 178
IV. Organisation
Dem sächsischen ÖPNV ist es in den letzten 20
Jahren in der Gesamtschau gelungen, die we-
sentlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Erfolgsindikatoren sind z.B. die im bundeswei-
ten Vergleich niedrigen Bestellerentgelte im
SPNV sowie die Reduzierung der einst 70 Tarife
auf nunmehr fünf Verbundtarife. Insofern hat
sich die sächsische Organisationsstruktur aus
der Vogelperspektive bewährt.
Ungeachtet des insgesamt positiven Zwischen-
zeugnisses erscheint es dennoch sinnvoll, in
größeren Zeitabständen das System ÖPNV
einer Revision zu unterziehen. Anlass hierfür
können festgestellte Schwachstellen sein oder
der Erfahrungsgrundsatz, dass die dynamische
Wandlung der Rahmenbedingungen – z.B. der
Megatrend Digitalisierung – neue Antworten
erfordert: entweder (graduell) im System oder
als Veränderung des Systems selbst.
Vor diesem Hintergrund lautet einer der sechs
Themenschwerpunkte im Einsetzungsbeschluss
der ÖPNV-Strategiekommission:
„Darstellung von Optimierungsmöglichkei-
ten der Organisations- und Ausschreibungs-
strukturen […] im sächsischen ÖPNV/SPNV“
Die Abarbeitung des Auftrags wird nachste-
hend in vier Prüfschritte zerlegt, die primär in
der Arbeitsgruppe Organisation vollzogen wur-
den.
Prüfschritt 1: Best practice
Im separaten Basisgutachten zur Organisation
wurde herausgearbeitet, dass sich empirisch
kein eindeutig überlegenes Erfolgsmodell in
Deutschland oder im europäischen Ausland
aufdrängt. Ausdruck dessen auf der Bundes-
ebene ist
die subsidiär geprägte große Spannweite
in den 16 Bundesländern zwischen zentra-
ler Steuerung durch eine Landesgesell-
schaft (zumindest für den Verkehrsträger
SPNV) auf der einen Seite sowie dem ent-
gegengesetzten Modell dezentraler kom-
munaler Verantwortung, das in Sachsen
bundesweit am konsequentesten umge-
setzt ist,
die regional inhomogene Aufteilung der
Zuständigkeiten innerhalb einzelner Län-
der wie z.B. in Niedersachsen oder auch
Baden-Württemberg und Hessen, ohne
dass dort grundlegende Änderungen er-
wogen bzw. durchgesetzt wurden und
der Verzicht auf größere Organisationsre-
formen seit der Regionalisierung 1996. Ei-
ne Ausnahme bildet die Reduzierung von
9 auf 3 Zweckverbänden sowie die Einfüh-
rung von sechs Kompetenzcentern in
NRW. Allerdings wird beim Blick unter die
Oberfläche deutlich, dass ein wesentlicher
Teil der alten Strukturen fortexistiert.
Ursächlich für die hohe Bestandskraft der vor
20 Jahren gewählten Modelle in den Ländern
dürften zwei Faktoren sein:
Zum einen stehen die Anforderungen der
Verkehrsträger ÖSPV und SPNV an ihre
Organisation in einem objektiven, nicht
auflösbaren Widerstreit (jenseits der Fra-
ge, wie lange diese tradierte Ausrichtung
an Produktionsformen statt Reiseketten
noch sinnig ist): Bus- und Straßenbahn-
verkehre erfüllen tendenziell kleinräumi-
gere Erschließungs- und Mobilitätsbedürf-
nisse als langlaufende Eisenbahnverkehre.
An diesen gegensätzlichen Eignungsprofi-
len wird sich wahrscheinlich in Zukunft
wenig ändern, auch wenn der Anspruch
an die Schnittstellenbewältigung/Vernet-
zung steigen, die Grenzen zwischen Indi-
vidual- und öffentlichem Verkehr ver-
schwimmen oder sich die Arbeitsteilung
der Verkehrsmodi verschieben dürften.
Der ÖPNV ist ein historisch gewachsenes,
überaus komplexes System. Sinnbild hier-
für ist das stark verästelte Geflecht der
Mischfinanzierung über drei Gebietskör-
perschaftsebenen (Bund, Länder, Kom-
munen), das als „Spaghetti-Finanzierung“
bezeichnet wird.
Grundlegende organisatorische Änderun-
gen wirken mit hoher Wahrscheinlichkeit
auf die Leistungsfähigkeit und Finanzbe-
Seite 62 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
ziehungen der Beteiligten zurück. In der
Abwägung von Chancen und Risiken einer
Organisationsreform werden die Risiken
in der Regel als zeitnäher und gewichtiger
empfunden als die möglichen Vorteile.
Dies gilt insbesondere im Abgleich mit der
politischen Option, durch organische Ver-
änderungen auf der Maßnahmenebene –
aber im bestehenden System – konkrete
Verbesserungen für den Endkunden oder
auch den Steuerzahler zu erwirken.
Zwischenfazit: Die Wahl des Organisationsmo-
dells nötigt auf der Landesebene unweigerlich
einen Kompromiss ab. Mögliche Vorteile einer
zentralen Steuerung (z.B. geringerer Abstim-
mungsaufwand) gehen mit dem Nachteil ein-
her, auf die positiven Wirkungen dezentralen
Handelns (Einbindung lokaler Kenntnisse und
Motivation) zu verzichten – und umgekehrt.
Auch die Befragung der Kommissionsmitglieder
im Herbst 2015 sowie die vertiefende Diskussi-
on unter den Mitgliedern der AG Organisation
förderte diese Ambivalenz an mehreren Bei-
spielen zutage. Was einerseits als Stärke her-
vorgehoben wurde, mutete zugleich als Schwä-
che an, wenn der Blickwinkel verändert wurde.
In der Folge ist es unvermeidlich, dass jede
Entscheidung zugunsten einer Grundvariante
Kritik bzw. die Sehnsucht nach dem Gegenent-
wurf hervorruft. So wird in (Flächen-)Ländern
mit starken SPNV-Landesgesellschaften regel-
mäßig beklagt, dass die Belange der Ballungs-
räume dominierten, die Nahverkehrsplanung
eisenbahnlastig sei und die Schnittstellen zwi-
schen SPNV und ÖSPV suboptimal funktionier-
ten. Umgekehrt werden in Sachsen mit kom-
munaler Aufgabenträgerschaft bei fünf Zweck-
verbänden und Verkehrsverbünden andere
Defizite moniert, z.B. bei der Abstimmung zwi-
schen den Beteiligten oder der Uneinheitlich-
keit von Beförderungsbestimmungen.
Das bundesweit in fast allen Flächenländern
aufkeimende Thema der landesbedeutsamen
Buslinien zeigt, dass sich beide Grundmodelle
schwertun, um verkehrliche Bedarfe „in der
Mitte“ zu besetzen.
Am Ende ist zu entscheiden, welche System-
bausteine das Fundament der Organisation
bilden, auf dem weitere Aufgaben angesiedelt
werden. Sachsen hat sich seinerzeit für das
Modell „kommunal und dezentral“ entschie-
den. Gemessen an den Eigenschaften der
Dienstleistung ÖPNV und den künftigen Anfor-
derungen wie der Handlungsgeschwindigkeit
spricht weiterhin einiges für diesen Weg.
Im Übrigen gibt es viele Anzeichen dafür, dass
der Einfluss des Organisationsmodells auf das
Leistungsvermögen des ÖPNV überschätzt
wird. Die personelle Besetzung der Entschei-
dungsträger und das handwerkliche Können in
den Institutionen sind mindestens so gewichti-
ge Determinanten.
Prüfschritt 2: Stresstest Status-quo-Modell
Auch wenn empirisch kein Anhaltspunkt sicht-
bar würde, die Organisationsstruktur im ÖPNV
Sachsens grundlegend zu reformieren, ist der
Einwand plausibel, dass vergangenheitsbezo-
gene Analysen nur bedingt etwas über die Eig-
nung in der Zukunft aussagen.
Aus diesem Grund verständigte sich die AG
Organisation darauf, die Status-quo-Orga-
nisation einem Stresstest zu unterziehen. Hier-
zu wurden folgende sieben Zukunftsthemen-
felder identifiziert:
Nr. Themenfeld
A Differenzierte Erfordernisse bei Angebotsgestaltung
B Digitalisierung und Datennutzung
C Neue Mobilitätsformen
D Sachsen-Tarif
E Harmonisierte Produktangebote und Qualitätsanforderungen
F Hebung Effizienzpotenziale im SPNV
G Bessere Fahrzeugverfügbarkeit im SPNV
Tab. 8: Themenfelder Stresstest
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 63 von 178
Vergabeoptimierung im SPNV
Die AG Organisation hat mögliche Optimie-
rungspotenziale bei der Vergabe von SPNV-
Verkehrsleistungen eingehender untersucht.
Als instrumentelle Ansatzpunkte wurden
gewählt:
Größe und Zuschnitt der Wettbewerbs-
netze
Vereinheitlichung und Standardisierung
der Vergabeunterlagen/-bedingungen
Gestaltung der Wertschöpfungstiefe
(z.B. separater Vertrieb)
Wahl der Vertragsart (brutto, netto,
Mix)
Marktpflege/Bieterkommunikation
Setzen von Anreizen zur Wettbewerbs-
teilnahme
Unterstützung bei der Fahrzeugfinanzie-
rung
Im Ergebnis der Analyse zeigt sich, dass in
vielen Handlungsfeldern der „beste“ Weg
fachlich umstritten ist und stattdessen Philo-
sophien und Überzeugungen dominieren. So
hängt z.B. die Bewertung des Einsatzes von
Unterstützungsinstrumenten der Fahrzeugfi-
nanzierung davon ab, wie hoch die Eigen-
tums- und Insolvenzrisiken für die öffentliche
Hand bewertet werden. Hinsichtlich der
Größe der Vergabenetze waren kleinere
Netzvolumina in der Finanzmarktkrise wich-
tig, um den Wettbewerb zu stützen; größere
Netze versprechen aber gewisse Synergien
bei der Fahrzeugbeschaffung.
Von der Empfehlung abgesehen, bei AT-
übergreifenden Vergaben eine einheitliche
Vertragsart zu wählen, hängt die Optimie-
rung von den Randbedingungen des Einzel-
falls ab. Insofern kam die AG Organisation
überein, keine großen Optimierungspoten-
ziale zu identifizieren, insbesondere nicht in
Abhängigkeit vom Organisationsmodell.
Leitfrage war, inwieweit die heutige Aufstel-
lung des ÖPNV geeignet erscheint, die abseh-
baren Anforderungen und Entwicklungen in
den 7 Themenfeldern zu meistern, insbesonde-
re im Hinblick auf landesbedeutsame Aufga-
ben.
Ergebnis der Prüfung ist:
Hervorstechendes Merkmal der gegen-
wärtigen Organisation ist die besonders
gute Eignung für Themenfeld A. Hier
kommt die lokale Nähe am besten zum
Tragen.
Auch die Themenfelder B bis E lassen sich
mit der dezentralen Aufstellung wie in
Sachsen künftig voraussichtlich gut bewäl-
tigen. Allerdings wird an einigen Stellen
gezielter Entwicklungsbedarf gesehen –
insbesondere eine koordinierende und
fördernde Rolle des Landes bei der Ent-
wicklung von Standards und Produkten,
sofern sie landesbedeutsame Themen be-
rühren.
Gerade innovative Zukunftsfelder (Digita-
lisierung) mit noch unsicheren Entwick-
lungspfaden lassen eine landesweite Stra-
tegie und Notwendigkeit der Abstimmung
sinnhaft erscheinen.
Die Themen F und G werden als organisa-
tionsunabhängig erachtet (siehe auch Kas-
ten „Vergabeoptimierung“).
Prüfschritt 3: Modellvarianten mit erstem Filter
Abgerundet wurde die Prüfung damit, die im
Stresstest festgestellten Entwicklungspotenzia-
le mit der vollen Bandbreite an Modellvarian-
ten zu spiegeln. Den Aufsetzpunkt markiert das
nachstehende Vier-Quadranten-Schema aus
dem ergänzenden Basisgutachten zur Organi-
sation.
Variante A
Fortführung Status quo
Variante B
Optimierung von Schnitt-stellen und Prozessen im
Status quo
Variante C
Zusammenlegung von Strukturen
Variante D
Sachsenweite, modal übergreifende ÖPNV-
Organisation
Tab. 9: Varianten Organisationsmodelle
Seite 64 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Zu erkennen sind vier Grundvarianten, die vom
Status quo (A) mit steigendem Änderungsum-
fang zum gegenüberliegenden Pol (D) reichen,
der in einer Landesgesellschaft die Vergabe
von SPNV- und ÖSPV-Leistungen bündelt (wird
bisher in keinem Land praktiziert). Dazwischen
liegen die Fortschreibung des Status quo (B)
sowie Variante C mit gesellschaftsrechtlichen
Änderungen von Strukturen.
Um der Vielfalt der Zusammenlegungsoptionen
gerecht zu werden, wurden im Feld C drei Un-
tervarianten (nach weiteren Aussonderungs-
schritten) entwickelt (vgl. Tab. 10), so dass am
Ende sechs Modellalternativen bewertet wur-
den.
Variante C
Zusammenlegung von Strukturen
Variante C1
Bündelung bei Zweckverbänden als SPNV-Aufgabenträger
Variante C2
Landesweite Organisation im SPNV als Gesell-schaft der kommunalen Aufgabenträger mit Minderheitsbeteiligung des Landes
Variante C3
Landesweite Organisation im SPNV als Landesge-sellschaft (zunächst allgemein mit dezentraler Struktur wie bisher auf Verbundebene)
Tab. 10: Modellvariante C mit Untervarianten
Im Wege des ersten großen Filterungsschritts
schieden vier der sechs Optionen aus, und zwar
A, D, C3 und C2. Die Gründe in Kurzform:
A: Ein „Weiter so“ ohne jede Änderung
erschien nicht geeignet, die identifizierten
Verbesserungsbedarfe bei den landesbe-
deutsamen Themen zu erschließen. Auch
die Signalwirkung wurde für nachteilig er-
achtet.
D: Diese Variante wäre der vollständige
Gegenentwurf zum heutigen Modell und
würde die Kommunalisierung des ÖPNV
zu einem Gutteil aufheben. Dies wurde
weder für sinnvoll angesehen noch für po-
litisch vermittelbar.
C3: Dem Modell einer SPNV-Landes-
gesellschaft, das in Ländern wie Schles-
wig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern
oder Bayern praktiziert wurden Vorteile
bescheinigt, z.B. ein verringerter Abstim-
mungsaufwand auf der Bestellerseite, ei-
ne stärkere Verhandlungsmacht gegen-
über den Eisenbahnverkehrsunternehmen
(EVU) oder ein womöglich „effektiverer
Durchgriff“ des Landes. Per Saldo wurden
die Nachteile jedoch höher gewichtet,
insbesondere der Verlust an lokaler Pla-
nungs- und Entscheidungsnähe sowie das
aufwendigere Management der Schnitt-
stellen zwischen SPNV und ÖSPV.
C2: Die Vor- und Nachteile dieses Modells
einer Landesgesellschaft „light“ ähnelten
der Argumentation zu C3. Ausschlagge-
bend für die Ablehnung waren die Kom-
plexität der Gesellschaftsstruktur, die
mutmaßlich schwierige Entscheidungsfin-
dung in der Gesellschaft sowie der erheb-
liche Aufwand der Umorganisation.
Prüfschritt 4: Variante B versus C1
Gemeinsames Merkmal der Varianten B und C1
ist die Einrichtung einer Koordinierungsstelle.
Der Unterschied liegt darin, dass sie bei B unter
Beibehaltung der 5 Zweckverbände das alleini-
ge und somit zentrale Wesensmerkmal zur
Optimierung des Status quo ausmacht. Dage-
gen richtet sich bei C1 das Hauptaugenmerk
auf die Zusammenlegung von Zweckverbänden
(z.B. von 5 auf 3), die durch die Koordinie-
rungsstelle als „Beiwerk“ noch ergänzt wird.
Der Vorschlag einer Koordinierungsstelle grün-
det auf der Überlegung, ein organisatorisch
schlankes Bindeglied zwischen den kommunal
verfassten Aufgabenträgern und dem Land zu
etablieren. Unter Beibehaltung der heutigen
Kompetenzen und Arbeitsteilungen soll das
Scharnier die vorhandenen Akteure bei der
Umsetzung landesbedeutsamer Themen unter-
stützen. Der Mehrwert ist darin zu sehen, den
Austausch von Informationen und Positionen
zwischen kommunaler Ebene und Land zu in-
stitutionalisieren und zu verstetigen. Wie
wertvoll vor allem der Hebel der Kommunikati-
on ist, zeigen die Erfahrungen aus der inzwi-
schen 2,5jährigen Arbeit der Strategiekommis-
sion.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 65 von 178
Aus den Arbeitsgruppen heraus wurden fol-
gende Aufgaben genannt, die aufgrund ihrer
Landesbedeutsamkeit einer Koordinierung
bedürfen oder diese zumindest nahelegen:
Einführung und Begleitung eines landes-
weiten Tarifs,
Umsetzung landesbedeutsames Buskon-
zept, ggf. landesweite Bedienungsstan-
dards,
Umsetzung Sachsen-Takt (SPNV + ÖSPV),
Unterstützung der Vertretung beim Bund
zum Deutschland-Takt,
landesweite Harmonisierung des digita-
len, modernen Vertriebs,
Koordination der Digitalisierung/Daten-
nutzung im ÖV,
Erarbeitung Investitionsstrategie für das
Land (z.B. 10- oder 15-Jahres-Horizont),
Begleitung der Einführung neuer Mobili-
tätsformen,
Begleitung von landeseinheitlichen Tarif-
maßnahmen im Ausbildungsverkehr,
Vergabeoptimierung im SPNV (Einzelmaß-
nahmen),
Datencenter ÖPNV,
Erstellung von Mobilitätsfolgenkostenana-
lysen.
Zu beachten ist, dass der Aufgabenkanon dy-
namisch ist. Das Aufgabenspektrum kann je-
derzeit verkleinert oder erweitert werden.
Die Variante C1 – Zusammenlegung von
Zweckverbänden – ist ebenfalls eine vorstell-
bare Option, die bundesweit in einem Fall
(Nordrhein-Westfalen) praktiziert wurde. Als
mögliche Vorteile werden vereinfachte Ab-
stimmungsprozesse durch eine Reduzierung
der Beteiligtenzahl genannt, die im Idealfall in
eine höhere „Durchgriffsfähigkeit“ des Landes
münde (v.a. Durchsetzungsgeschwindigkeit von
Maßnahmen).
Während im Meinungsbild der AG Organisation
anfänglich beide Varianten in der Bewertung
nahe beieinander lagen, hat die intensive Be-
fassung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen
die Kräfte etwas verschoben.
Regiekosten
Für die Reduzierung der Zahl der Zweckver-
bände wird zuweilen mit dem Argument ge-
worben, die Regiekosten signifikant zu sen-
ken. Dabei stützt sich die Begründung auf
einen Vergleich der Werte für die Position
„Managementaufwand“, die die Länder ge-
mäß der Berichtspflicht des RegG in ihren
Transparenznachweisen ausweisen. Hiernach
liegt Sachsen z.B. in den Jahren 2013/2014 im
oberen Drittel.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich das Prob-
lem von „Äpfel-Birnen-Vergleichen“. Allein die
unterschiedliche Buchungspraxis der Länder
hat zur Folge, dass die Absolutwerte und An-
teile stark abweichen. Darüber hinaus diver-
giert die Leistungstiefe der Organisationen
erheblich. Während kommunale Zweckver-
bände wie in NRW, Hessen und Sachsen stets
verschiedene Funktionen für den ÖSPV mit
ausüben, konzentrieren sich einige Landesge-
sellschaften weit überwiegend auf den SPNV.
Entscheidend ist in der Gesamtschau, dass die
Hebelwirkung dieser Maßnahme stark über-
schätzt wird. Selbst im Land mit dem höchs-
ten Kostenanteil machen die Regiekosten
lediglich ca. 5% aus.
Fazit: Die Regiekosten sind für die Wahl der
Organisationsform zweitrangig. Inwieweit
eine Fusion der Zweckverbände Vorteile auf
der Leistungsseite oder in der häufiger be-
schworenen „Durchgriffsfähigkeit“ des Landes
brächte, wäre separat zu bewerten.
Seite 66 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Ausschlaggebend war die Überlegung, dass
Fusionsvorhaben aufgrund ihres erheblichen
zeitlichen Vorlaufs die Gefahr bergen, die Um-
setzung der für dringlicher erachteten sachori-
entierten Maßnahmen zu erschweren oder
auszubremsen. Zudem gilt die eingangs er-
wähnte Erkenntnis, dass die Wirkungen auf der
Kosten- und Leistungsseite kaum merklich und
kausal schwer messbar sein werden und –
wenn existent – in der ferneren Zukunft liegen.
Für den Fahrgast ist die Organisation zweitran-
gig, ihn interessiert die zeitnahe Beseitigung
von Schwachstellen im bestehenden System.
Auf der Basis der Empfehlungen der AG Orga-
nisation schlägt die Strategiekommission vor,
eine ergänzende Stelle zur Koordinierung von
landesbedeutsamen Aufgaben zu etablieren,
um den sächsischen ÖPNV weiterzuentwickeln
sowie Abstimmungs- und Planungsprozesse
effizienter zu organisieren.
Für die Einrichtung einer Koordinierungsstelle
ist ein Zeitbedarf von rund neun bis zwölf Mo-
naten zu veranschlagen, da wesentliche orga-
nisatorische, rechtliche, personelle, Eigentums-
und finanzielle Fragen – insbesondere auf und
mit der kommunalen Ebene – geklärt und ver-
schiedene Gremien befasst werden müssen.
Ob, wann und in welcher Form das Konstrukt
zustande kommt, ist somit ein Ergebnis der
Verhandlungen zwischen kommunaler Ebene
und Land.
Die Strategiekommission empfiehlt hierzu we-
nige Leitsätze:
Gegründet wird eine neutrale Koordinie-
rungsstelle als Multi-Themen-Center.
Die Koordinierungsstelle unterstützt, hat
aber keine Entscheidungsbefugnis.
Das Land soll sich an der Organisation zum
Zwecke der Selbstbindung beteiligen,
aber:
Die Beteiligung des Landes beschränkt
sich auf eine qualifizierte Minderheit, um
der kommunalen Verfasstheit des ÖPNV
unverändert Rechnung zu tragen.
Die Einrichtung der Koordinierungsstelle
schließt ausdrücklich nicht aus, bei einzelnen
Themen wie z.B. der Einführung eines Landes-
tarifs ergänzende Lösungen zu wählen. In je-
dem Fall muss die künftige Organisation ge-
währleisten, dass die Verkehrsunternehmen
bei Themen, die wie bei Tarif und Vertrieb ihre
unternehmerischen Belange unmittelbar be-
rühren, entsprechend ihren Verantwortlichkei-
ten einbezogen werden.
Die Kosten einer Koordinierungsstelle lassen
sich erst beziffern, wenn Aufgabenumfang und
gewünschte Leistungstiefe feststehen. Die AG
Tarif und Vertrieb schätzt den Management-
aufwand der Einführung und dauerhaften Be-
gleitung des Sachsen-Tarifs auf rund eine Mio.
EUR p.a.
Damit die Umsetzung der Maßnahmen 1 bis 13
ohne Zeitverlust vorangetrieben werden kann,
empfiehlt die Strategiekommission, ihre derzeit
vorhandenen Strukturen (z.B. die Geschäfts-
stelle) hierfür interimsweise zu nutzen und
weiterzuentwickeln.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 67 von 178
V. Digitalisierung
Digitalisierung als Innovationsprozess macht
auch nicht vor der ÖPNV-Branche halt. Mit
ihrem Potenzial zur (Teil-)Automatisierung und
Verknüpfung von Prozessen birgt sie große
Chancen für alle Ebenen des öffentlichen Ver-
kehrs (Verkehrsunternehmen und -verbünde,
Fahrzeughersteller, Kunden). So könnten bei-
spielsweise durch ausgeklügelte Algorithmen
On-Demand-Verkehre mit Kleinbussen die
Kundenbedürfnisse abbilden und theoretisch
schwach ausgelastete Linienverkehre ersetzen.
Oder es können durch präventive Wartungsin-
tervalle dank eingebauter Sensorik kombiniert
mit der Verfügbarkeit von 3-D-Druckern Werk-
stattabläufe optimiert werden.
Die Anzahl der vielen hochkarätig besetzten
Veranstaltungen zu Themen wie Digitalisie-
rung, Smart Data und ÖV ist ein klares Indiz
dafür, dass die Debatte längst zwischen Betei-
ligten aus Forschung, Wissenschaft, Politik und
Betrieb entfacht ist. Technisch ist theoretisch
bereits vieles möglich und einiges bereits auch
praktisch umgesetzt oder wird in Piloten er-
probt.
Die Studie für die ÖPNV-Strategiekommission
zur Digitalisierung zielt darauf ab,
die Aktivitäten (inklusive Treiber und
Hemmnisse) deutschlandweit und mit ei-
nem Fokus auf Sachsen und insbesondere
auch auf den ländlichen Raum aufzuneh-
men,
die Wirkung einzelner Digitalisierungs-
maßnahmen zu analysieren und
Trends in vertiefenden Experteninter-
views zu ergründen um Entwicklungsten-
denzen und spezifische Handlungsemp-
fehlungen abzuleiten.
Digitalisierungsthesen
Bereits heute existieren viele überzeugende
Einzelmaßnahmen auf allen Ebenen (u.a. un-
ternehmensintern, fahrzeugseitig, infrastruk-
turtechnisch, in der Kundenkommunikation).
Ein wahrlicher Gewinn (betriebliche Effizienz-
steigerung, internes Analysepotenzial, Entste-
hung neuer Geschäftsmodelle, erhöhte Kun-
denakzeptanz) kann erzielt werden, wenn digi-
tale Ideen/Systeme/Innovationen miteinander
verknüpft werden.
Viele Entwicklungen laufen zeitlich parallel,
bauen aber auch aufeinander auf und lassen
sich teilweise miteinander verknüpfen und
bergen in der Summe große Entwicklungschan-
cen. Ein fundamentaler Systemwandel ist zu
erwarten – der Zeitpunkt und Tiefe der Umwäl-
zung bleiben jedoch unklar. Die Entwicklung
innerhalb bestehender Systeme und Verknüp-
fungen zwischen den Systemen besteht fort.
Abb. 24: Digitalisierung und Innovationsgrade
Seite 68 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Schlaglichter aus den Ergebnissen
Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der Studie,
dass:
Digitalisierung unternehmensintern ein
kontinuierlich fortschreitender Prozess ist,
der bereits zu Effizienzverbesserungen
und Kostenreduzierungen geführt hat (be-
triebliche Optimierungen, Qualitätskon-
trolle, Berichtswesen, Vertrieb).
eine hohe Praxisreife und Anwendungstie-
fe für die digitale Vernetzung von Ver-
kehrsangeboten und deren Begleitinfor-
mationen bei Aufgabenträgern bereits
vorhanden ist.
Forschungs- und Entwicklung zu Antriebs-
technologien, Sensorik, LST und autono-
men Fahren auf intensiv hohem Niveau
bleiben (hier ist Sachsen Vorreiter) und
maßgeblich die Vernetzung der Berei-
che/Systeme Kunde, Fahrzeug und Infra-
struktur unterstützen.
eine systemsprengende Wirkung (be-
darfsgerechter, umweltschonender, kos-
tengünstiger ÖPNV unabhängig von Zeit
und Nachfragestärke) theoretisch möglich
erscheint, jedoch praktisch noch nicht
darstellbar ist.
Rahmendokumente wie der Koalitionsvertrag,
der LVP und die NVPs machen deutlich, dass
Sachsen aktuell
Kundenkommunikation sowie Verkehrs-
leit- und Abfertigungstechnik explizit mit
13,6 Mio. EUR fördert, die tatsächliche
Gesamtfördersumme für Digitalisierungs-
vorhaben, die dem ÖPNV dienen, jedoch
wahrscheinlich höher liegt (da Digitalisie-
rung ein Querschnittthema ist),
die Planung und Umsetzung von flexiblen,
haltestellenlosen Bedienangeboten vor-
sieht, und
digitale Produkte wie WLAN im Bus, Social
Media Präsenz, Mitfahr-Apps unterstützt.
Die extensive Online-Recherche von rund 170
Einzelbeispielen zu Digitalisierung im ÖPNV je
Bundesland fördert zutage, dass Sachsen im
Vergleich
überdurchschnittlich viele Pilotprojekte,
Konzepte und Ideen vorzuweisen hat,
den Fokus mehrheitlich auf innovative
straßengebundene Fahrzeugkonzepte
legt,
mit „Leipzig mobil“ eine deutschlandweit
führende digitale multimodale Mobilitäts-
plattform existiert,
verstärkt Testfahrten mit autonomen
Kleinbussen durchgeführt hat (z.B. DVB-
Gelände),
mit dem SaxMobility-Projekt aktiver noch
auf vernetzte e-Mobilität setzt,
mit Plänen für autonomes Fahren der
Dresdner Cargo-Tram sich potenziell als
Vorreiter für schienengebundenes auto-
nomes Fahren im offenen System positio-
niert.
Im Hinblick auf das Digitalisierungspotenzial
und dessen Bedeutung für innovative ÖPNV-
Konzepte im ländlichen Raum – wie autonome
Kleinbusse für Bedarfsverkehre, Anwohner als
Mobilitätsdienstleister für Personenfahrten
und Paketdienste sowie haltestellenlose On-
Demand-Verkehre innerorts und als Anbindung
an Mittelzentren – zeigen die Aussagen der
Stakeholder/Experten, dass diese durchaus
positiv bewertet werden. Experteneinschät-
zungen belegen jedoch, dass zu deren Umset-
zung (a) politisches Bekenntnis zum Vorhaben
und (b) eine initiale Ausklammerung der Wirt-
schaftlichkeit notwendig sind.
Dabei sind auch Regelungen im geltenden
Rechtsrahmen kritisch zu hinterfragen und
durch den Gesetzgeber anzupassen. Beispiel-
haft zu nennen ist:
(Haltestellenlose) On-Demand-Verkehre
lassen sich mit dem geltenden PBefG zum
Teil nur schlecht oder gar nicht vereinba-
ren. Die im PBefG gemachten Ausnahmen
stehen jeweils unter dem Vorbehalt, dass
öffentliche Verkehrsinteressen nicht ver-
letzt werden (z.B. Bestandsverkehre, aber
auch Taxengewerbe).
Schwierigkeiten entstehen auch in den
Fällen, in denen keine Genehmigung als
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 69 von 178
Linienverkehr (§ 42 PBefG) oder linienver-
kehrsähnlich (§ 2 Abs. 6 i.V.m. § 42 PBefG)
möglich ist, öffentliche Förderungen aber
einen solchen voraussetzen.
Die vertiefende und detaillierte Wirkungsana-
lyse innerhalb und zwischen den ÖPNV-
Bereichen Betrieb, Fahrzeug, Infrastruktur und
Kunde greift alle in der Recherche identifizier-
ten Maßnahmen auf und stellt sie gegenüber.
Basierend auf der These, dass die Kombination
von Digitalisierungsaspekten das größte Poten-
zial für ÖPNV-Unternehmen und -Orga-
nisationen birgt, haben folgende Trends weg-
weisenden Charakter (vgl. Tab. 11).
Auch Äußerungen der Stakeholder/Experten zu
Potenzialabschätzungen von Digitalisierungs-
aspekten nähren die Thesen, dass u.a.
eine hohe Wirkungsfähigkeit bei der sen-
sorischen Erfassung und Analyse zu erwar-
ten ist, um Personal- und Fahrzeugeinsatz
sowie Werkstattbelegung zu optimieren
und Echtzeitmonitoring der Infrastruktur-
und Fahrzeugzustände zu ermöglichen,
Fahrzeug Betrieb Infrastruktur Kunde
Fahrzeug einheitliche Standards (gerade bei autono-men Fzg) zukünftig noch wichtiger
schnelllebige Kompo-nenten erfordern schnellen Tausch
WLAN-Ausweitung in Fahrzeugen
Dynamic Pricing: Be-rücksichtigung von Auslastungsdaten mit-tels AFZS durchaus denkbar
Verknüpfung LST, DFI + (teil-) autonome Fzg
Schnittstellen, Stan-dards herstellerüber-greifend, (teil-) auto-nome Fzg (C2I & C2C Kommunikation)
Optimierung Rad-Schiene-System (Ver-schleiß, Geräusche)
On Board WLAN/ Infotainment
Verknüpfung On De-mand und autonomer Bus (IVS notwendig für Einbindung Infrastruk-turdaten in Echtzeit + Verkehrsdaten)
Betrieb intelligente Messver-
fahren (Sensorik) wer-den bedeutender
On-Demand-Verkehre und agile Personalein-satzplanung als neues Geschäftsmodell
differenzierte Inter-vallberechnung der Wartung für effiziente Werkstattnutzung
erweiterte Daten-grundlage (Open Data) durch Entwickler-Community
Kunde als Qualitätssi-cherer: Smartphone als Datengenerator (Datenschutz beach-ten)
Personalisierung Fahr-gastinfos bei Abwei-chungen zunehmend wichtig
Infra-
struktur
Wartungsspezifische Arbeitszeiterfassung mit größter überge-ordneter Wirkung da diese signifikanten be-trieblichen Einfluss auf Infrastrukturauslas-tung z.B. Werkstatt-nutzung hat
unterstützt Tür-zu-Tür-Planung durch inf-rastrukturelle Open-Source-Daten wie Bar-rierefreiheit-Infos
Smartphone als Da-tengenerator, Einbin-dung in LST denkbar
Kunde zunehmende Indivi-
dualisierung von An-gebot u. Information
erhöhte Transparenz für Tarifinformatio-nen, Bewertungen mit großer Auswirkung
Tab. 11: Digitalisierungsaspekte und Potenzial für ÖPNV-Unternehmen
Seite 70 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
die Auswertung von Kundendaten zu Mo-
bilitätsverhalten noch viele Einsichten
birgt, und
Open Source Data in seinem potenziellen
Beitrag zu Digitalisierungsaspekten durch-
aus gemischt bewertet wird.
Handlungsempfehlungen
Abgeleitet aus den vertieften Erkenntnissen
hat die Studie drei Kategorien von Handlungs-
empfehlungen identifiziert und mit konkreten
Unterpunkten versehen.
Zusammengefasst empfiehlt es sich, folgende
Vorschläge aufzugreifen und diese in einem
ersten Schritt einer Prüfung auf Dringlichkeits-
bedarf und Umsetzungsfähigkeit zu unterzie-
hen:
Grundlagen (wissenschaftlich, technisch,
rechtlich, organisatorisch) erarbeiten, die digi-
tale Innovationen im ÖPNV begünstigen
Differenzierte Nachfrageprognosen für
das autonome Fahren veranlassen im Sin-
ne systemischer Wirtschaftlichkeitsbe-
trachtung. Die Wirtschaftlichkeit des Fahr-
zeugeinsatzes (Auslastung!) für konkrete
Praxisanwendungen ist zu hinterfragen.
Anpassungen der rechtlichen und finanzi-
ellen Rahmenbedingungen definieren und
anstoßen, z.B. die Genehmigung von in
den ÖPNV integrierten Ridesharing-
Angebote sicher zu ermöglichen oder zu
vereinfachen. Diskussion um Genehmi-
gungsrecht für flexible Bedienformen an-
stoßen (in den ÖPNV eingebundene fle-
xible Bedienformen könnten per gesetzli-
cher Fiktion – ähnlich den Sonderlinien-
verkehren in § 43 PBefG – dem Linienver-
kehr gleichgestellt werden).
Zudem sollte die Erprobung von On-
Demand-Verkehren außerhalb des ÖPNV
über eine Anpassung der Erprobungsklau-
sel (§ 2 Abs. 7 PBefG) praxistauglicher
ausgestaltet werden.
Über neuartige Verkehrsverträge (Inhalte
und Laufzeiten) diskutieren, um immer
kürzere Innovationszyklen bei digitalen
Komponenten zu berücksichtigen sowie
auch Sharing-Konzepte aufgreifen; u.a.
Kosten für geplante/geforderte digitale
Maßnahmen je NWkm errechnen und zu
Transparenzzwecken kommunizieren.
Förderung und Ausarbeitung konkreter Pilot-
projekte zum autonomen Fahren mit Klein-
bussen, aber auch anderer vielversprechender
Ansätze sowie Unterstützung bestehender
unternehmensinterner Digitalisierungsbemü-
hungen
Innovative Digitalisierungsvorhaben für
ÖPNV im LVP verankern/umreißen; u.a.
Leitlinien für (ländlich) relevante Maß-
nahmen ausbauen (inkl. Informationen zu
durchgängigen Reiseketten, Alternativen
bei unzulänglicher Anschlusssicherung); in
NVPs gezielte Digitalisierungsprojekte be-
nennen und auch digital gesteuer-
te/gestützte flexible Bedienformen aus-
drücklich erwähnen, um (trotz Einzelfall-
prüfung) die Genehmigungsfähigkeit zu
erhöhen
Grundlage für verkehrsträgerübergreifen-
de Informations-, Buchungs- und Abrech-
nungsprozesse auf mobilen Endgeräten si-
chern, um Vernetzung der Verkehrsträger
auszubauen und zu verstetigen; u.a. stabi-
le betriebliche und strategische Prozesse
garantieren bzw. bestehen behalten und
überregionale Organisation anstreben, um
Schnittstellen, gerade beim Übergang zwi-
schen Verkehrsverbünden, zu gewährleis-
ten.
Open-Data- bzw. ÖPNV-Mobilitätsdaten-
marktplatz-Strategie ausarbeiten; Ver-
pflichtung auf Länderebene einfordern,
übergreifenden Datenaustausch ermögli-
chen (Plattform).
Unternehmen als Treiber verstehen: for-
malisierte Einführungsunterstützung kon-
zipieren, um Neues neben dem laufenden
Betrieb und auch unter Kostendruck aus-
probieren zu können.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 71 von 178
Stärkung/Bewusstseinsbildung von ÖPNV als
Markt, Branche und Treiber und entsprechen-
de Förderung von Forschung und Organisation
Aktive Innovatoren-Rolle der Verkehrsun-
ternehmen ermutigen und stärken, damit
sich der ÖPNV als Gestalter versteht und
den Markt auch weiterhin für sich in An-
spruch nehmen kann. Eine strategische
Positionierung hierzu ist unabdingbar, u.a.
aktiv Zukunftsszenarien zum autonomen
Fahren zu entwickeln oder Experimentier-
klauseln in langfristigen Vereinbarungen
(Verkehrsverträge) umzusetzen, um digi-
talen Innovationen im ÖPNV-Betrieb den
Weg zu bereiten.
Forschung gezielt ausbauen und teilweise
auch (wieder) auf Bundesebene ansie-
deln: Länder verstärkter vernetzen (Know-
ledge Sharing = vielleicht braucht nicht je-
des ein eigenes digitales Testfeld); über
ein neues Bundesprogramm zur Nahver-
kehrsforschung nachdenken; Aus- und
Aufbau von Zukunftslabors und Entwick-
lungszentren vorantreiben, ÖPNV-Digitali-
sierungsstatus explizit in Indices/Studien
hervorheben.
Zur Wahrheit der Digitalisierung im ÖPNV, be-
sonders mit Fokus auf neue Angebotsmodelle,
gehört auch, dass eine Kultur des Scheiterns in
gewissem Umfang Bestandteil werden muss.
Gerade bei noch unsicheren Prozessen lassen
sich nicht alle Eventualitäten im Vorfeld be-
rücksichtigen. Daher sind vereinfachte Prozess-
regeln, zugleich aber auch Folgenbewertung
und Konsequenzen aus dieser unabdingbar.
Hierbei kann ein harmonisiertes Vorgehen im
Freistaat sinnvoll sein, um Doppelstrukturen zu
vermeiden und Erfahrungen zwischen den Akt-
euren im Freistaat auszutauschen.
Seite 72 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
VI. Finanzierung
„Geld ist notorisch knapp und hat man nie ge-
nug“ – Dieser Erfahrungssatz überlagert in der
Regel alle Strategiefragen zur Finanzierung.
Dies zeigte sich auch zu Beginn der Kommissi-
onsarbeit, als die Mittelherkunftsseite beson-
ders im Fokus stand, weil die künftige Entwick-
lung der Regionalisierungsmittel – der mit Ab-
stand wichtigsten Quelle für den ÖPNV – in der
Schwebe hing.
Nach der Einigung zwischen Bund und Ländern
im Sommer 2016 rückten die tatsächlichen
Strategiefragen in den Mittelpunkt. In der AG
Finanzierung wurden folgende Themen-
schwerpunkte gesetzt:
Wie ordnet sich das ÖPNV-Finanz-
ierungssystem in Sachsen im Vergleich zu
anderen Ländern ein? Welche Erfolgsbau-
steine lassen sich übernehmen? Gibt es
Änderungsbedarf an der Finanzarchitektur
im sächsischen ÖPNV?
Ist die Finanzierung des bestehenden Sys-
tems (Verkehrsleistungen plus Investitio-
nen) gesichert?
Wie lassen sich die Mittelbedarfe der vor-
geschlagenen Maßnahmen decken?
Welche Reformansätze gibt es, um die
Determinanten des Ausbildungsverkehrs
anzugehen?
Welche Effizienzpotenziale lassen sich
durch geeignete Finanzierungsinstrumen-
te heben?
Welche zusätzlichen Mittel sind jenseits
der öffentlichen Hand zu erschließen?
Im Weiteren werden die wesentlichen Ergeb-
nisse zusammengefasst.
Ländervergleich ÖPNV-Finanzierung
Der gutachterliche Abgleich der ÖPNV-
Finanzierung in Sachsen (Stand 2014) mit den
vier strukturell vergleichbaren Ländern Nieder-
sachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und
Thüringen hat ergeben, dass Sachsen die Ge-
genüberstellung in puncto Leistungsfähigkeit
und Wirtschaftlichkeit nicht zu scheuen
braucht.
Zu erwähnen sind:
Der durchschnittliche Zuschuss im SPNV
Sachsens beträgt 9,32 EUR pro Zugkilome-
ter (2014) und ist im Quervergleich sehr
gut vorzeigbar. Eine Aufwertung erfährt
der Wert noch dadurch, dass die Beiträge
der Nutzer in Form von Fahrgelderlösen
unter dem Durchschnitt liegen. Im Um-
kehrschluss haben die Besteller ihr Ange-
bot kostenbewusst geplant und die Leis-
tungen erfolgreich vergeben. Allerdings
liegt der Kostendeckungsgrad beim SPNV
im unteren Bereich der verglichenen Län-
der (vgl. auch M12).
Im Gegensatz zum SPNV fällt die Nutzerfi-
nanzierungsquote im ÖSPV hoch aus. Dies
ist vor allem eine Folge der Fahrgasterfol-
ge in den Ballungszentren und führt in
Kombination mit einer hohen Produktivi-
tät zu einem bundesweit niedrigen spezi-
fischen Zuschussbedarf.
In allen Ländern liegt der Anteil „originä-
rer Landesmittel“ am Gesamtumsatz des
ÖPNV unter 5%. Sachsens Anteil beträgt
2,7%, was im Vergleich der fünf Länder
Platz 2 bedeutet.
Sachsen investiert mit 12,6% im Vergleich
weit überdurchschnittlich (2. Platz nach
Niedersachsen, dort aber inklusive Fahr-
zeugpool). Darüber hinaus finden sich
teilweise auch in konsumtiven Positionen
Investitionsbestandteile (z.B. Busse im
ÖSPV oder anteilige Eigeninvestitionen in
Trassen- und Stationsentgelten für den
SPNV), die sich allerdings nicht immer
trennscharf abgrenzen lassen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 73 von 178
Gleichwohl zeigt der Vergleich auch kritische
Erkenntnisse auf bzw. gibt Anregungen auf der
Instrumentenebene. Neben dem Verbesse-
rungspotenzial bei der Nutzerfinanzierung im
SPNV ist z.B. zu konstatieren, dass Sachsen –
stärker als viele andere Länder – zwischen
2010 und 2014 bei der Finanzierung des Aus-
bildungsverkehrs Landes- durch RegG-Mittel
ersetzt hat. Interessante Impulse setzen Sach-
sen-Anhalt und Brandenburg mit der Anwen-
dung „dynamischer Schlüssel“ bei der Ausrei-
chung von ÖPNV-Mitteln.
Ein klares Erfolgsmodell oder gar eine Blaupau-
se für Sachsen lässt sich aus dem Vergleich
nicht ablesen. Aufgrund der inneren Logik je-
der „Spaghetti-Finanzierung“ eines Landes
einschließlich unterschiedlicher vertikaler Fi-
nanzausgleichssysteme wäre eine Eins-zu-eins-
Übertragung ohnehin weder möglich noch
ratsam.
In der Gesamtschau wirkt das Finanzierungs-
system des ÖPNV im Freistaat – bisher und im
Ländervergleich – solide aufgestellt.
Künftige Finanzierung des Bestandssys-tems
Im Hinblick auf die kommenden Aufgaben bis
2025/2030 steht die Finanzierung des ÖPNV im
Freistaat Sachsen auf der Landeshaushaltsebe-
ne vor erheblichen Herausforderungen. Zu den
beiden großen Aufgabenblöcken zählen (1) die
Aufrechterhaltung des Bestandssystems sowie
(2) die Beschaffung zusätzlicher Mittel für neue
Erfordernisse (siehe nächsten Abschnitt).
Die Analyse der Zukunftsfestigkeit der etablier-
ten Finanzierungsquellen zeigt, dass bereits die
Finanzierung des Status quo im ÖPNV kein
Selbstläufer sein wird.
Überwiegend positiv zu werten ist das Ergebnis
der Revision des Regionalisierungsgesetzes,
indem erheblicher Schaden abgewendet und
eine zufriedenstellende Mittelausstattung er-
reicht werden konnte. Für den Freistaat Sach-
sen bedeutet dies
einerseits eine Planungssicherheit durch
eine gesetzliche Festschreibung der Zu-
weisungsbeträge bis 2031. Diese reicht
der Freistaat bis 2027 über die ÖPNVFin-
VO zu einem sukzessive wachsenden An-
teil an die Zweckverbände weiter (ca. 90%
2027), die damit überwiegend SPNV-
Leistungen bestellen. Der Rest fließt ins
ÖPNVFinAusG, das LIP und in die nachste-
hend begründete Rücklage.
Grenzen der Landes-Finanzarchitektur
Nach dem Verursacher- oder Äquivalenz-
prinzip lautet die Erfolgsformel effizienten
Handelns, die Ausgaben-, Aufgaben- und
Einnahmenverantwortung möglichst in eine
Hand zu legen. Die „Spaghetti-Finanz-
ierung“ im ÖPNV – also die Mischfinanzie-
rung fast jeder Aktivität – verstößt syste-
matisch gegen diese Regel, so dass der
Befund einer soliden Finanzierung auf den
ersten Blick irritieren mag.
Abgesehen davon dass dieses Geflecht in
allen Ländern existiert, ist zu beachten,
dass eine echte Finanzierungsreform nur
von der Bundesebene bzw. im Rahmen
einer Föderalismuskommission III angesto-
ßen werden kann. Solange der milliarden-
schwere künstliche Finanzierungskreislauf
fortlebt, wonach der Bund den Ländern
Regionalisierungsmittel zuweist, die wiede-
rum zu mehr als 50% über die Trassen- und
Stationsentgelte an die Eisenbahninfra-
strukturunternehmen des Bundes zurück-
fließen, sind die Stellschrauben auf der
Landesebene begrenzt.
Dieses Korsett der Mischfinanzierung engte
letztlich auch die Diskussion über visionäre
Finanzierungsmodelle- und -instrumente
ein, z.B. zu Mehrjährigkeitsprinzipien, bes-
seren Mittelübertragbarkeit, Flexibilisie-
rungsoptionen, Finanzierungsfonds, Lan-
des- oder regionalen Verkehrsfinanzie-
rungsgesellschaften. Die Arbeitsgruppe
verständigte sich schon früh auf eine prag-
matische, eher bestandsorientierte Strate-
gieentwicklung, auch um schwer kalkulier-
bare Risiken und hohe Transaktionsverluste
zu vermeiden.
Seite 74 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
andererseits eine Herausforderung, den
nicht-linearen Verlauf der Zuweisungen
im Revisionszeitraum zu bewirtschaften.
Gemäß Kieler Schlüssel sinkt der Zuwei-
sungsbetrag bis 2021 nach der Sockeler-
höhung 2016 absolut ab, um dann wieder
moderat zu steigen. Relativ zur fiktiven
Planungslinie gemäß altem RegG stellt
sich Sachsen ab 2021 schlechter mit zu-
nehmend auseinanderklaffender Schere
(siehe Abb. 25). Eine Verstetigung der
Mittel setzt voraus, aus dem temporären
Mittelüberschuss eine erhebliche finanzi-
elle Reserve anzulegen, um in den Jahren
bis 2031 die Lücken schließen zu können.
Die für 2020 geplante Revision der ÖPNVFinVO
bietet grundsätzlich die Chance, auf veränderte
Rahmenbedingungen und gesammelte Erfah-
rungen zu reagieren, muss jedoch die Auswir-
kungen von Änderungen auf die langfristigen
Planungen (Verkehrsverträge, Investitionen)
antizipieren.
Als problematisch erweisen sich die Planungs-
unsicherheiten bei den weiteren Finanztöpfen
im sächsischen ÖPNV:
Das GVFG-Bundesprogramm ist bundes-
weit seit Jahren mehrfach überzeichnet.
Mit Blick auf die künftigen Aufgaben ist
neben der überfälligen Einführung einer
jährlichen Dynamisierung eine deutliche
Erhöhung – etwa auf 1.000 Mio. EUR p.a.
– anzustreben.
Das Entflechtungsgesetz läuft Ende 2019
aus. Zu fordern ist, dass sie ab 2020 min-
destens auf dem heutigen Niveau (jährlich
rund 15 Mio. EUR allein für den ÖPNV) mit
Hilfe der künftig höheren Umsatzsteuer-
anteile des Freistaates verstetigt werden
und dem ÖPNV in der Praxis zweckgebun-
den zur Verfügung stehen.
Die dem ÖPNV zugutekommenden EFRE-
Mittel sind durch Landesmittel zu erset-
zen, falls das Programm nicht fortge-
schrieben wird.
Der Anspannungsgrad der Finanzierung wird
deutlich, wenn man die mutmaßlich vorhande-
ne Mittelkulisse den fortgeschriebenen proji-
zierbaren Bestandsausgaben mit Hilfe der Mo-
dellrechnung in der Tab. 12 gegenüberstellt
Abb. 25: Entwicklung ReG-Mittel Sachsen nach neuer und hypothetisch alter Gesetzeslage
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 75 von 178
Tab. 12: Modellrechnung zur ÖPNV-Finanzierung Sachsen
Seite 76 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Zu erkennen ist, dass die Rechnung so gerade
zur schwarzen Null aufgeht, wenn der Freistaat
bis 2022 eine RegG-Reserve in Höhe von fast
285 Mio. EUR anspart, die anschließend bis
2031 vollständig abgeschmolzen wird.
Zu beachten sind jedoch die zentralen Prämis-
sen dieser Modellrechnung:
Die Reichweite der Ansparreserve aus den
RegG-Mitteln und damit der Abbaurate im
Zeitraum 2023 bis 2031 ist darauf ausge-
richtet, a) die überwiegend konsumtiven,
mit 1,8% p.a. fortgeschriebenen Zuschüs-
se an die ÖPNV-Zweckverbände, b) rund
zwei Drittel der ab 2021 mit 1,8% p.a. dy-
namisierten ÖPNVFinAusG-Mittel sowie c)
einen jährlichen Festbetrag für Investitio-
nen in Höhe von 40,7 Mio. EUR zu decken.
Alle weiteren Einnahmen- und Bestands-
ausgabenwerte für Investitionen aus dem
LIP bleiben nominal unverändert. Dies
hätte zur Folge, dass bei zu erwartenden
Kostensteigerungen die Kaufkraft je EUR
Investitionszuschuss (weiterhin) abnähme
und real weniger investiert werden könn-
te, wodurch ein Substanzverzehr in Kauf
zu nehmen wäre.
Die unterstellte Dynamisierung der Be-
triebsbeihilfen für die Schmalspurbahnen
(1,0% p.a.) und des Landesanteils am
ÖPNVFinAusG (1,8% p.a. ab 2021) führt
automatisch zu einem Aufwuchs der Mit-
tel aus dem Landeshaushalt.
Fazit: Im Ergebnis ist festzustellen, dass schon
das Niveau der heutigen Bestandsausgaben
trotz geplanter strikter Vorsorgepolitik nicht
vollständig ausfinanziert ist, da das Einfrieren
der nominellen Investitionsmittel empirisch
nicht mit der natürlichen Teuerung in Einklang
zu bringen ist. Ob der unterstellte Planungsho-
rizont der RegG-Umverteilung über 15 Jahre
politisch praktikabel und durchhaltbar ist,
bleibt zudem abzuwarten.
Finanzierung von Mehrbedarfen
Steht bereits die langfristige Sicherung der
Bestandsausgaben vor erheblichen Herausfor-
derungen, wurden durch die ÖPNV-Strategie-
kommission Handlungsschwerpunkte identifi-
ziert, die zusätzliche Finanzmittel erfordern
(vgl. Tab. 13).
Tab. 13: Finanzieller Mehrbedarfe im Zielhorizont 2025
Erarbeitet wurde ein Bündel an Maßnahmen,
das die weitere Leistungsfähigkeit des sächsi-
schen Nahverkehrs sicherstellen soll. Die Maß-
nahmen verursachen im Zielzustand 2025/
2030 bei vollständiger Umsetzung in der Sum-
me einen fiskalischen Mehrbedarf von rund
500 Mio. EUR pro Jahr über alle Akteure (Frei-
staat, Kommunen und Verkehrsunternehmen,
ggf. Nutzer). Saldiert werden dabei die heute
durchschnittlich im System befindlichen Mittel
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 77 von 178
(Fördermittel des Landes, Beiträge der kom-
munalen VU bzw. Nutzer), die fortgeschrieben
und also „sowieso vorhanden“ unterstellt wer-
den.
Schätzt man das Marktvolumen 2025 auf 1.500
Mio. EUR, bedeutet dies ein Wachstum um
etwa ein Drittel. Die Dimension relativiert sich,
wenn man den Mehraufwand ins Verhältnis zu
den damit erzielbaren quantitativen und quali-
tativen Verbesserungen im ÖPNV setzt.
Folgende künftige Ausgabenschwerpunkte ver-
dienen eine gesonderte Erwähnung:
1) Investitionen
Der Nukleus jeder Investitionspolitik ist es,
ausreichend Mittel für die Ersatzinvestiti-
onen in das vorhandene System bereitzu-
stellen, um mittelfristig nicht in die Falle
des Substanzverzehrs im ÖPNV-System zu
laufen (vgl. M2 in Abschnitt II).
Neue Aufgaben sind:
- Um die aus dem Bevölkerungswachs-
tum resultierende Nachfragesteige-
rung in den Ballungsräumen Dresden,
Leipzig und Chemnitz abzufangen
(Fortschreibungsszenario), sind zu-
sätzliche jährliche Investitionen in
Höhe von 48 Mio. EUR im Jahr 2025
erforderlich. Für eine offensive
ÖPNV-Politik mit dem Ausbau des
Nahverkehrs zum Vorrangsystem sind
weitere 43 Mio. EUR im Jahr 2025
aufzubringen (Wachstumsszenario).
Hinzu kommen 7 Mio. EUR für den
Ausbau in den Oberzentren Görlitz,
Plauen und Zwickau mit Straßenbah-
nen.
- Im ländlichen Raum ist die Situation
eine andere: Dort muss ein angemes-
senes Maß an öffentlicher Mobilität
durch Erprobung und Einführung mo-
derner, digital gestützter Mobilitäts-
konzepte gewährleistet werden. Auch
dies erfordert Investitionen, die der-
zeit nicht bezifferbar sind, weil die
Umwälzungen und Entwicklungs-
schritte infolge der Digitalisierung al-
lenfalls grob umrissen werden kön-
nen.
- Hinzu kommt die Umsetzung der
bundesgesetzlich vorgeschriebenen
Barrierefreiheit mit einem ambitio-
nierten, aber machbaren Umrüstziel
2030, das Investitionen von 29 Mio.
EUR pro Jahr verursacht. Dieses Ziel
zum 1.1.2022 ist nicht neu, hat aber
durch die PBefG-Novellierung 2013
verbindlichen Charakter erhalten.
2) Landesweites Buskonzept (vgl. M1 in Ab-
schnitt I). Neben der Sicherstellung des not-
wendigen Finanzbedarfs steht die Einbindung
der Finanzierung in die bestehende Finanzie-
rungsstruktur als Herausforderung an. Die AG
Finanzierung hält am ehesten die ÖPNVFinVO
für politisch-instrumentell geeignet, hierüber
einen vom Freistaat Sachsen beigestellten Fi-
nanzierungsbetrag einzusteuern.
3) Digitaler Wandel (vgl. Abschnitt V): Die Digi-
talisierung hat den ÖPNV voll erfasst und wird
diesen Markt in den kommenden 20 Jahren
erheblich verändern. Die Herausforderung
besteht einerseits darin, dass die Innovations-
zyklen absehbar erhöhte Aufwendungen z.B.
bei elektrisch betriebenen Fahrzeugen erwar-
ten lassen. Daneben müssen die Fördersyste-
me so flexibilisiert werden, dass neue Formen
der Mobilität getestet werden können. Hierfür
sollten zusätzliche Mittel von anderen Ressorts
aktiv eingeworben werden.
Fazit: Absehbar ist, dass keine der sächsischen
ÖPNV-Akteursgruppen den identifizierten
Mehrbedarf von insgesamt 500 Mio. EUR pro
Jahr im Zielzustand alleine wird schultern kön-
nen (und wollen). Stattdessen sind Mischfinan-
zierungslösungen zu entwickeln, die einer
konzertierten Lastenverteilung unter Federfüh-
rung des Freistaats bedürfen. Voraussetzung
für das erfolgreiche Einwerben von Mitteln im
politischen Diskurs ist, den öffentlichen Stel-
lenwert des ÖPNV signifikant zu erhöhen.
Die Finanzierung des Ausbildungsverkehrs
weist mehrere Besonderheiten auf. So ist die-
Seite 78 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
ser in Teilen kein ÖPNV im engeren Sinne; zu-
gleich ist die notwendige Schülerbeförderung
anders als der „klassische“ ÖPNV eine Pflicht-
aufgabe der kommunalen Aufgabenträger.
Die Kosten für das System Ausbildungsverkehr
nehmen gerade in den Kreisen und Kreisfreien
Städten seit geraumer Zeit beständig zu, ohne
dass bisher Umfang und Treiber regelmäßig
und valide erhoben werden. Die Ursachen der
Kostenentwicklung sind komplex. Neben den
laufenden Kostensteigerungen z.B. bei Perso-
nal und Energie, können auch vereinzelt spezi-
fische Faktoren dieser Verkehrsart („histori-
sche“ Umlaufplanung) genannt werden.
Das ÖPNVFinAusG regelt den Ausgleich von
Mindereinnahmen der Verkehrsunternehmen
aus ermäßigten Zeitfahrausweisen, indem der
Gesamtumfang der Ausgleichsmittel und deren
Verteilung zur Unterstützung der Aufgabenträ-
ger festgelegt werden. Diese legen gemäß § 1
Abs. 2 „in eigener Zuständigkeit die Vorausset-
zungen für die Auszahlung der Mittel an die
Verkehrsunternehmen nach Maßgabe der
Zweckbindung nach Abs. 1“ fest. Hierdurch
kann es zu abweichenden Mittelverteilungsver-
fahren kommen, die sich in unterschiedlicher
Form an den bisherigen Vorgaben zum Aus-
gleichsverfahren nach §45a PBefG orientieren.
Aus der Sicht des ÖPNV ist problematisch, dass
eine Vielzahl ÖPNV-ferner Entscheidungsebe-
nen die Produktionskosten der Verkehrsunter-
nehmen beeinflussen, ohne hierfür ein Preis-
schild gezeigt zu bekommen. Hierzu zählen
bildungspolitische Parameter (z.B. Schulnetz-
planung, freie Schulwahl) oder sozialpolitische
Aspekte (z.B. Ganztagsbetreuung, Inklusion).
Anforderungen wie die Umlaufplanung in
räumlicher und zeitlicher Hinsicht an die Erfor-
dernisse des Ausbildungsverkehrs anzupassen,
können unmittelbar zu zusätzlichen Aufwen-
dungen bei den Schülerbeförderungsträgern
führen.
Verschärfend wirken die Konsequenzen aus
solchen Entscheidungen auf die Beförderungs-
kosten, wenn die gesamte Beförderungsleis-
tung im individuellen (freigestellten) Verkehr
steigt. Obwohl diese Art der Verkehre an sich
nicht mehr dem ÖPNV zuzurechnen sind, be-
lasten die ökonomischen Folgen die den ÖPNV
tragenden Akteure unmittelbar.
Zur Verbesserung dieser Situation wird folgen-
des strategisches Vorgehen vorgeschlagen:
Kurzfristige Entlastung der kommunalen
Aufgabenträger und Verkehrsunterneh-
men: Die vom Freistaat Sachsen über das
ÖPNVFinAusG gewährten Ausgleichsmittel
für den Ausbildungsverkehr bilden die tat-
sächliche Kostenentwicklung nicht ab. .Ein
Gutachten nennt eine Unterdeckung von
jährlich 60 Mio. EUR. Daher kann eine hö-
here Dotierung helfen, um auf der Seite
der kommunalen Verkehrsunternehmen
Gestaltungsräume zu schaffen, beispiels-
weise zur Finanzierung moderner Fahr-
zeuge.
Aufbau einer laufenden Evaluation der
Kostenentwicklung im Ausbildungsver-
kehr: Um eine gemeinsame und ausrei-
chende Informationsbasis zu schaffen, ist
die Aufwandsentwicklung im Ausbil-
dungsverkehr dauerhaft und transparent
nachzuweisen.
Zugleich wird empfohlen, die Erhebung
von Mobilitätsfolgekosten im Vorfeld poli-
tischer Entscheidungen verpflichtend vor-
zuschreiben.
Langfristig ist zu prüfen, ob Politikbereich-
übergreifende Konzepte entwickelt wer-
den können. Darunter sind Maßnahmen
zu verstehen, die z.B. gleichermaßen bil-
dungs-, sozial und verkehrspolitisch ähnli-
che Zielsetzungen zum Gegenstand haben
(z.B. kulturelle Nachmittagsangebote im
Schulraum).
Weitere Potenziale der ÖPNV-Finanzierung
Neben den vorangestellten sind weitere The-
menfelder in der AG Finanzierung diskutiert
worden, die sich mit der Erschließung zusätzli-
cher Finanzierungsquellen und dem Heben von
Effizienzreserven befassen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 79 von 178
Bundesweit hat der Anteil der Nutzerfinanzie-
rung (Fahrgeldeinnahmen) in den letzten 10
Jahren deutlich zugenommen (vgl. Ländergut-
achten zur Revision der Regionalisierungsmit-
tel). Dies gilt auch für Sachsen. Zentral hierfür
sind auf die jeweiligen Marktbedingungen aus-
gerichtete und regional differenzierte Preise.
Insbesondere im ÖSPV gelingt Unternehmen
und Verbünden damit ein wichtiger Beitrag zur
Finanzierung des Gesamtsystems. Allerdings
zeigt der Ländervergleich, dass der Anteil der
Nutzerfinanzierung im SPNV im Gegensatz zu
den städtisch geprägten ÖSPV-Werten unter-
durchschnittlich ausfällt (vgl. Abb. 26). Ursäch-
lich ist nicht die Tarifhöhe, sondern die Nach-
fragemenge (Fahrgastzahlen).
Ziel muss es somit sein, diese auf allen Stre-
ckenkategorien zu steigern und hierfür Ent-
wicklungsziele zu definieren. Dies gilt sowohl
für nachfrageschwache Strecken (vgl. Ab-
schnitt I) als auch die zentralen SPNV-Achsen,
für die der in der AG Tarif und Vertrieb ange-
regte Sachsen-Tarif (vgl. M7 in Abschnitt III)
positive Nachfrageeffekte auslösen soll. Als
Entscheidungsgrundlage wird empfohlen, sach-
senweit die Auslastung im SPNV zu evaluieren
und künftig Entwicklungsziele für die Fahrgast-
nachfrage von Linien, z.B. in Verkehrsanteilen
(Modal Split), zu formulieren.
Um dem ÖPNV zusätzliche Mittel zuzuführen,
sind ergänzende Finanzierungsinstrumente
ergebnisoffen zu prüfen, insbesondere um dem
hohen Anspannungsgrad von öffentlicher und
Nutzer-Finanzierung zu begegnen. Eine Mög-
lichkeit kann die Einbindung von Akteuren sein,
die (noch) keine direkten Nutzer des ÖPNV
sind, aber durch die Anbindung an ein gutes
ÖPNV-Angebot hinreichend belegbar profitie-
ren.
Weil diese ergänzenden Finanzierungsinstru-
mente ausnahmslos auf der kommunalen Ebe-
ne verortet und zudem politisch sensibel sind,
ist dort zu entscheiden, ob und in welcher
Form sie zum Einsatz gelangen sollen.
Die Unterstützung des Landes muss sich darauf
konzentrieren, die rechtlichen Grundlagen zu
deren Einführung schaffen.
Bisher sind – mit Ausnahme der ÖPNV-Taxe –
im Kommunalen Abgabengesetz (KAG) die ge-
setzlichen Möglichkeiten für Beitragsmodelle
im ÖPNV noch nicht vorhanden. Der Freistaat
sollte dies anpassen und so Spielraum bei der
Instrumentenauswahl schaffen. Die Entschei-
dung über die Einführung entsprechender In-
strumente und deren Ausgestaltung ist von
den kommunalen Akteuren zu treffen. Diese
sollten hierfür in den offenen Dialog mit den
Bürgern treten und Für und Wider der Instru-
Abb. 26: Nutzerfinanzierungsanteile SPNV und ÖSPV 2014
Seite 80 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
mente abwägen. Dabei kann die Diskussion
über Ziele und Umfang des ÖPNV-Angebotes
mit der Beitragsdiskussion in einen fühlbaren
Zusammenhang gebracht werden. Zugleich
sind die Anforderungen des Abgabenrechts
erheblich, so dass im Vorfeld einer Einführung
in Hinblick auf Beitragserhebung, Satzung usw.
umfassende Vorüberlegungen zu treffen sind.
Die Einführung einer Nutznießerfinanzierung
sollte in keinem Fall die bestehende öffentliche
Finanzierung hinsichtlich ihrer Quellen und des
Mittelniveaus ersetzen, sondern sie auf eine
breitere Basis stellen, z.B. für Angebotsverbes-
serungen.
Effizienzreserven
Neben der Sicherung der Budgets müssen die
Entscheidungsträger im ÖPNV weiterhin konti-
nuierlich daran arbeiten, im Tagesgeschäft
nach Effizienzreserven Ausschau zu halten.
Punktuelle Anpassungen der Finanzarchitektur
könnten z.B. sein
Anreizsetzungen im Hinblick auf die Ent-
wicklungsziele für SPNV-Strecken und für
die Förderung des neuen Buskonzepts,
die Einführung einer Bagatellgrenze im LIP
(Verschiebung der Mittel und Investitions-
verantwortung für kleinere Projekte in
Richtung der Zweckverbände),
eine stärkere Erfolgskontrolle der Förder-
programme (z.B. Nutzung etablierter Mo-
nitoringberichte, Prüfung Passfähigkeit
und Optimierung der Instrumente),
Pauschalierungen von Mitteln.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 81 von 178
Phase 3: Umsetzung in die PraxisC.
In der Beschreibung der Bestandsaufnahme
des sächsischen ÖPNV wurden unterschiedli-
che Handlungsbedarfe aufgeworfen (vgl. Ab-
schnitt IV im Kapitel A). Die ÖPNV-Strategie-
kommission hat sich in ihrer Arbeit diesen Fra-
gen gestellt und Lösungswege konzipiert, die in
einem Bündel an Maßnahmenvorschlägen zu-
sammengefasst sind (vgl. Abb. 27).
Die Maßnahmenübersicht zeigt, dass die ent-
wickelten Handlungsempfehlungen einen ho-
hen Nutzen für die umweltfreundliche Mobili-
tät der sächsischen Bürger darstellen. Was
fehlt ist – nicht mehr und nicht weniger – die
Initiierung der Umsetzung dieser Maßnahmen
durch die politischen Entscheider im Sächsi-
schen Landtag und auf der kommunalen Ebe-
ne.
Da Strategien mittel- bis langfristig angelegt
sind, hat die Strategiekommission als Zielhori-
zont für ihre Vision des zukünftigen ÖPNV in
Sachsen den Zeitraum 2025/2030 gewählt.
Eine Vorausschau von rund 10 Jahren ist inso-
fern geboten, als Investitionsstrategien – z.B. in
Ausrichtung auf das Wachstum der Ballungs-
räume – aufgrund der planerischen und bauli-
chen Vorläufe früher nicht greifen können.
Zudem spricht aus heutiger Sicht viel dafür,
dass die Umwälzungen infolge der Digitalisie-
rung dann einigermaßen berechenbar werden.
Hiervon unbenommen enthalten die Hand-
lungsempfehlungen zahlreiche Maßnahmen,
die deutlich schneller umgesetzt werden kön-
nen. Ziel ist es, bereits 2018 die ersten Umset-
zungsschritte einzuleiten, um 2019/2020 kon-
krete Verbesserungen im ÖPNV sichtbar wer-
den zu lassen. Zu diesem Zweck soll die Strate-
giekommission auch im kommenden Jahr den
Umsetzungsprozess begleiten.
Abb. 27: Maßnahmenkatalog und Nutzenwirkung
Seite 82 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
I. Politischer Zeitrahmen
Die Empfehlungen der ÖPNV-Strategie-
kommission sind als Angebot an die Politik zu
verstehen, aus einem Menü an Vorschlägen
wählen zu können. Die tatsächliche Priorisie-
rung bleibt der politischen Willensbildung vor-
behalten, die zwischen der Regierung, dem
Sächsischen Landtag und der kommunalen
Ebene stattfindet.
Ein zentraler Meilenstein ist die Aufstellung des
Doppelhaushaltes 2019/2020 durch den Ge-
setzgeber. Dort müssen die Mittel für diejeni-
gen Maßnahmen eingestellt werden, die in
dem Zeitraum angegangen werden sollen. Abb.
28 veranschaulicht die wesentlichen Etappen
des Zeitplans 2018.
Die geplanten Verfahrensschritte sind:
Im ersten Quartal 2018 wird die Staatsre-
gierung über das Verfahren zur weiteren
Arbeit informiert.
Dazu müssen im ersten Quartal 2018
mehrere Prozesse parallel angestoßen
werden:
- In der Staatsregierung wird die Wil-
lensbildung vorangetrieben, welche
der Maßnahmen aus Sicht der Exekuti-
ve Vorrang genießen und in der Sum-
me finanzierbar erscheinen.
- Der Sächsische Landtag hat die Mög-
lichkeit, die Vorschläge zu debattieren
und seine Prioritäten kundzutun.
- Das SMWA sondiert im engen Aus-
tausch mit den kommunalen Aufgaben-
trägern, welche Maßnahmen konsens-
fähig sind und wie die erforderlichen
Mittel aufgebracht werden können.
Die Strategiekommission soll weiterhin
eingebunden bleiben.
Die Geschäftsstelle begleitet den weiteren
Prozess bis Ende 2019.
II. Eignung der Maßnahmen für 2019/2020
Die von der ÖPNV-Strategiekommission entwi-
ckelten Maßnahmen sind ein Baukasten, der
seine Wirkung bei vollständiger Anwendung im
Zielzeitraum 2025/2030 entfacht.
Für jede Maßnahme – soweit sie dies der Art
nach zulässt – ist eine „Hochlaufkurve“ hinter-
legt worden,
in welchem Umfang bzw. in welcher Teil-
menge,
zu welchem Jahr und
unter welchen Voraussetzungen
die Implementierung grundsätzlich möglich
erscheint. Damit die Politik einzelne Elemente
auswählen und die Zeitschiene der Umsetzung
samt der Prämissen realistisch einschätzen
kann, ist es hilfreich, die Maßnahmen an ver-
schiedenen Prüfkriterien zu spiegeln und das
Ergebnis transparent zu machen. Dieser Ab-
Abb. 28: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 83 von 178
gleich bedarf aber im ersten Quartal 2018 einer
Feinjustierung, um die ersten Schritte operativ
planbar eintakten zu können.
Die zugrunde gelegten sechs Prüfkriterien sind:
1. Modularität
Zentrales Kriterium ist die Modularität,
auch Teil- oder Skalierbarkeit einer Maß-
nahme. Hierunter wird die Eigenschaft ver-
standen, in welchem Maße eine Maßnah-
me parzelliert werden kann. Das Spektrum
reicht von „uneingeschränkt teilbar“ bis
„nur in Gänze umsetzbar“.
Ein Beispiel für die Teilbarkeit bis auf die
kleinste Ebene ist die Einführung des lan-
desweiten Buskonzeptes, indem jede ein-
zelne Fahrt zusätzlich eingeführt werden
kann. Auch die Aufnahme eines neuen Hal-
tes oder einer Linie räumt hohe Freiheits-
grade ein. Allerdings kann ein Korrektiv aus
anderen Gründen für erforderlich erachtet
werden, z.B. das Schnüren einer bestimm-
ten Paketgröße, damit die Verbesserungen
überhaupt wahrnehmbar sind.
Für die Kategorie „ganz oder gar nicht“
steht exemplarisch die Implementierung
des Landestarifs, der diese Bezeichnung
nur verdient, wenn er tatsächlich landes-
weit für alle Nutzergruppen, Fahrscheinty-
pen und Vertriebskanäle gilt.
2. Beteiligte Akteure
Die Zahl der beteiligten Akteure sowie de-
ren unterschiedlichen Interessen sind ein
Indikator für die Höhe der Transaktionskos-
ten. Je mehr Personen/Organisationen ein-
zubinden und je heterogener die unter ei-
nen Hut zu bringenden Interessen sind,
desto größer ist erfahrungsgemäß der Ab-
stimmungsaufwand, der die Zeitschiene
belastet.
3. Planerischer Vorlauf
Die Maßnahmen unterscheiden sich nach
dem Ausmaß des planerischen Vorlaufs.
Damit können verschiedene konzeptionel-
le Tätigkeiten gemeint sein: Beispielsweise
die Herstellung (verkehrs-)planerischer
Grundlagen, fachliche Abstimmungen un-
ter Aufgabenträgern oder der Aufbau or-
ganisatorischer Strukturen.
4. Technisch-betriebliche Machbarkeit
Ein Teil der Maßnahmen erfordert techni-
sche oder betriebliche Vorleistungen. Wäh-
rend das dritte Kriterium eine Einigkeit in
der Idee voraussetzt, geht es hier um die
operative Umsetzung, d.h. der Verknüp-
fung von Sach- und Personalressourcen
inkl. der Beschaffung oder Eigenkonstruk-
tion. Das Ergebnis ist z.B. die Rüstzeit der
Verkehrsunternehmen.
Ob Standardlösungen umgesetzt werden
oder aber neue Wege noch zu entwickeln
sind, bleibt an dieser Stelle offen. Bei der
Maßnahme „Investition in Digitalisierung
oder Elektromobilität“ ist die Marktent-
wicklung selbst noch in der Schwebe, so
dass die Machbarkeit letztlich der Markt-
prognose ähnelt.
5. Rechtlicher Vorbehalt/Prüfbedarf
Für alle Maßnahmen kann die Prüfung von
besonderen rechtlichen Sachverhalten
notwendig sein. Zu differenzieren ist zwi-
schen der vermuteten Intensität des Prüf-
bedarfs und den betroffenen Rechtsgebie-
ten. Üblich berührte Rechtsbereiche wie
z.B. im Zusammenhang mit einer Tarifge-
nehmigung oder einem Vergabeverfahren
sind hier nicht aufgeführt.
6. Fördervoraussetzung
Der Großteil der Maßnahmen zieht finanzi-
elle Mehraufwendungen nach sich. Ein
weiteres Prüfkriterium liegt deshalb in der
Bewertung, wie gut die Vorschläge in die
bestehende Finanzarchitektur eingebettet
werden können. Lassen sich z.B. ein bereits
etabliertes Förderprogramm oder eine der
vorhandenen Finanzierungssäulen nutzen,
oder muss etwas neu geschaffen werden?
Seite 84 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Maßnah-me
Modula-rität
Beteiligte Planerischer
Vorlauf
Techn.-betriebl.
Machbar-keit
Rechtlicher Prüfbedarf
Vorausset-zung Fi-
nanzarchi-tektur
ÖPNV-Koordinie-rungsstelle
0/1-Entschei-dung
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Zweckverbände, Verkehrsverbün-de, Verkehrsun-ternehmen
3 – 6 Monate für die konzept. Entscheidungen, 9 – 12 Monate bis zu Gremien-beschlüssen
–
Gründung und gesellschafts-rechtliches Design der Koordinie-rungsstelle
keine beson-dere Voraus-setzung
SPNV-Wachstum/
Sachsen-Takt
einge-schränkt skalierbar (Stufen-modell denkbar)
Freistaat, Zweck-verbände, BMVI, DB Netz, DB Fernverkehr
Abstimmungen mit bzw. zw. mehreren Insti-tutionen, Pla-nungsvorläufe für Einzelmaß-nahmen
ITF-Konzepte, Machbar-keitsstudien
ggf. Prüfung von eisen-bahnrechtli-chen Normen
keine beson-dere Voraus-setzung
Plus-Bus/TaktBus
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Zweckverbände, Verkehrsverbün-de, Verkehrsun-ternehmen
Linienkonzeptio-nen (Fahr- und Einsatzplanung), ggf. Fahrzeugbe-schaffung und Vergabeverfah-ren, ca. 1 bis 2 Jahre
punktuelle Maßnahmen, z.B. Verknüp-fungsstellen oder Vor-rangmaß-nahmen
Aufgabenträ-gerschaft, ggf. Förderstruktur (z.B. innerhalb ÖPNVFinVO), ggf. Prüfung Beihilferecht
Vorausset-zung der Förderung durch Frei-staat klären
StadtBus uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Gemeinden, Zweckverbände, Verkehrsverbün-de, Verkehrsun-ternehmen
Linienkonzeptio-nen (Fahr- und Einsatzplanung), ggf. Fahrzeugbe-schaffung und Vergabeverfah-ren, ca. 1 bis 3 Jahre
punktuelle Maßnahmen, z.B. Verknüp-fungsstellen oder Vor-rangmaß-nahmen
Aufgabenträ-gerschaft, ggf. Förderstruktur (z.B. innerhalb ÖPNVFinVO), ggf. Prüfung Beihilferecht
Vorausset-zung der Förderung durch Frei-staat klären
Land-Bus/FlexBus
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Gemeinden, Zweckverbände, Verkehrsverbün-de, Verkehrsun-ternehmen
Linienkonzeptio-nen (Fahr- und Einsatzplanung), ggf. Fahrzeugbe-schaffung und Vergabeverfah-ren, ca. 1 bis 2 Jahre
Optimierung der Bestell-systeme
Auslegung PBefG für fle-xible Systeme und Bürger-busse
Vorausset-zung der Förderung durch Frei-staat klären
Ersatzinves-titionen
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, komm. Straßen-baulastträger, Verkehrsverbün-de, Verkehrsun-ternehmen
Ermittlung Be-darfe, ggf. Pla-nungsvorläufe
–
Anpassung Förderrichtli-nie, ggf. Prü-fung Beihilfe-recht
keine beson-dere Voraus-setzung
Barrierefrei-heit
0/1-Entschei-dung; konzepti-onelle Freiheits-grade
Freistaat, komm. Aufgabenträger, komm. Baulast-träger, Verkehrs-verbünde, Ver-kehrsunterneh-men, Behinder-tenverbände
Ermittlung Be-darfe, Planungs-vorläufe, ggf. Fortschreibung der NVP
im Einzelfall Bündelung von Maß-nahmen z.B. im Haltestel-lenumfeld
Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß Anforderung PBefG; Ggf. Anpassung ÖPNVG
keine be-sondere Vo-raussetzung
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 85 von 178
Maßnah-me
Modula-rität
Beteiligte Planerischer
Vorlauf
Techn.-betriebl.
Machbar-keit
Rechtlicher Prüfbedarf
Vorausset-zung Fi-
nanzarchi-tektur
Investitio-nen Bal-lungsräume und Ober-zentren
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, komm. Baulast-träger, Verkehrs-unternehmen
Planungsvorläufe für Einzelmaß-nahmen
von Einzel-maßnahmen abhängig
ggf. Prüfung Beihilferecht
keine be-sondere Vo-raussetzung
Investitio-nen Digitali-sierung und E-Mobilität
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Verkehrsverbün-de und Verkehrs-unternehmen
Übliche Pla-nungs- / Be-schaffungsvor-laufzeiten in Abhängigkeit des Maßnahmenum-fangs, ggf. zu-sätzliche kon-zept. Vorarbei-ten nötig
von Einzel-maßnahmen abhängig
unklar, ggf. Anpassung Förderrichtli-nien und wei-tere Regelwer-ke/ Gesetze, ggf. Prüfung Beihilferecht
Anforderun-gen ggf. durch Ein-bindung In-novations-förderung aus anderen Ressorts und Quellen
Sachsen-Tarif
0/1-Entschei-dung; konzept. Freiheits-grade
Freistaat, Ver-kehrsverbünde und Verkehrsun-ternehmen, EVU mit SPNV-Haustarifen und Freistaat
Gründung Trä-gerorganisation als 1. Schritt zum Sachsen-Tarif, Entw. Tarif und EAV, Ablösung EVU-Haustarife
techn. Um-setzung durch Indust-rie
Gründung Trä-gerorganisa-tion
keine be-sondere Vo-raussetzung
Digitaler Vertrieb
0/1-Entschei-dung; konzept. Freiheits-grade
Freistaat, Ver-kehrsverbünde und Verkehrsun-ternehmen (auch außerhalb Sach-sens)
Smartphone: i.W. abhängig von techn. Um-setzung und Verträgen, Smartcard: De-signentschei-dung
techn. Um-setzung durch Indust-rie, Smart-card: Be-schaf-fung Terminalinf-rastruktur
Vereinbarun-gen zwischen Verbünden, ggf. Daten-schutzbe-stimmungen
keine be-sondere Vo-raussetzung
Bildungs-ticket
0/1-Entschei-dung; konzept. Freiheits-grade
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Schülerbeförde-rungsträger, Ver-kehrsverbünde, Verkehrsunter-nehmen, Bil-dungspolitik
Designentschei-dung, Satzungs-änderungen, vertriebliche Umsetzung
ggf. Anforde-rungen aus Designent-scheidung
komplex; je nach Detailde-sign mind. Anpassung komm. Satzun-gen, ggf. auch SchulG
absehbar hohe Anfor-derungen
Ausbil-dungs-verkehr
0/1-Entschei-dung; konzept. Freiheits-grade
Freistaat, komm. Aufgabenträger, Verkehrsverbün-de
Methodik Evalu-ation
– – –
Erhöhung
ÖPNVFin-AusG
uneinge-schränkt skalierbar
Freistaat, komm. Aufgabenträger
Normales Ge-setzgebungs-verfahren
– – keine be-sondere Vo-raussetzung
Mobilitäts-folgekos-tenanalyse
0/1-Entscheid.
Freistaat, komm. Aufgabenträger
Methodik – – –
Tab. 14: Prüfkriterien und Umsetzbarkeit
Seite 86 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
III. Ausblick 2019/2020
Die Bewertung der Maßnahmen anhand der
sechs Prüfkriterien (vgl. Tab. 14) gibt einen
Überblick, welche Maßnahmen bis 2019/2020
umgesetzt werden können und welche Voraus-
setzungen hierfür 2018 zu schaffen sind.
Die wesentlichen Aussagen zu den Maßnah-
men mit relativ schneller Umsetzungsmöglich-
keit sind:
Koordinierungsstelle
Die Umsetzung des Projektes „Einrichtung der
Koordinierungsstelle“ sollte höchste Priorität
genießen und Anfang 2018 in die Wege geleitet
werden, da sie ein Scharnier für die erfolgrei-
che Einführung anderer Maßnahmen bildet
(insbesondere die Einführung des Sachsen-
Tarifs). Zentral sind die Verhandlungen des
Freistaates mit der kommunalen Ebene, um
sich auf ein konkretes Aufgabenspektrum, ein
Organisationsmodell und die Finanzierung zu
verständigen. Im Hinblick auf die politische
Überzeugungsarbeit, Prüfungen durch die
Rechtsaufsichtsbehörden und die erforderli-
chen Gremienbeschlüsse ist hierfür ist ein
Mindestzeitbedarf von rund 9 bis 12 Monaten
anzusetzen.
Damit der operative Umsetzungsprozess bei
den anderen Maßnahmen bis dahin nicht
stockt, soll die Geschäftsstelle interimsweise
im Sinne eines Vorlaufbetriebs fungieren und
z.B. organisatorisch unterstützen.
PlusBus/TaktBus
Aufgrund der hohen Teilbarkeit eignet sich das
landesweite Buskonzept mit dem Modul Plus-
Bus/TaktBus besonders gut zur beschleunigten
Implementierung. Die Angebotsplanungen
hierzu wurden bereits in der Arbeitsgruppe mit
den Zweckverbänden linienscharf abgestimmt.
Weitere Voraussetzungen sind:
Etablierung einer Dachmarke als landes-
weiter Standard zur werbewirksamen
Umsetzung des Konzeptes, inkl. farblicher
Gestaltung der Linienbusse und Kenn-
zeichnung der Haltestellen in einheitli-
chem Corporate Design.
Einbettung in die Finanzarchitektur: Hier
wird vorgeschlagen, die ÖPNVFinVO als
normativen Rahmen zu wählen und keine
Busförderungen auszureichen, sondern
den Werteverzehr der Busse im Rahmen
der Bestellerentgelte abzugelten. Den-
noch sind zahlreiche Detailfragen zu klä-
ren, z.B. Art der Zweckbindung, Pauscha-
lierung, Erfolgskontrolle, Verhinderung
von Mitnahmeeffekten, u.ä.
Positive Verhandlungen zur Aufteilung der
Finanzierung auf Freistaat und kommuna-
le Ebene.
Investitionsstrategie 2030
Soll der ÖPNV im Bestand erhalten und auf den
digitalen und barrierefreien Prozesslevel 2030
gehoben werden, muss eine konsistente Inves-
titionsstrategie entwickelt werden. Ziel ist es,
die Bedarfe für den Substanzerhalt, die Aus-
richtung auf die Urbanisierung und die Investi-
tionen in die digitale Welt (v.a. auch im ländli-
chen Raum) sowie zur Herstellung der Barriere-
freiheit materiell zu verzahnen.
Die Investitionen selbst entfalten ihre Wirkun-
gen immer erst mittel- bis langfristig. Die Stra-
tegie 2030 muss aber in den kommenden zwei
Jahren projektscharf angelegt werden. Ein Vor-
schlag lautet, hierzu einen „One-Stop-Shop“
(z.B. bei der Koordinierungsstelle) anzusiedeln,
der den Stellenwert der Aufgabe signalisiert
und die fachliche Abstimmung zwischen den
vielen Beteiligten verantwortet. Hierzu gehört
auch die Analyse der notwendigen Ressourcen
– z.B. bei den Genehmigungsbehörden – mit
anschließender Maßnahmenkonzeption zur
Engpassbeseitigung.
Sachsen-Tarif
Aufgrund der notwendigen Vorleistungen
(Gründung einer koordinierenden verbund-
übergreifenden Trägerorganisation, Wahl der
Tarifstruktur- und -höhe, Abschaffung der
Haustarife im SPNV, Berechnung der Durchtari-
fierungsverluste, Änderung aller Verkehrsver-
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 87 von 178
träge, Einigung auf ein Einnahmeaufteilungs-
verfahren, Anpassungen im Vertrieb u.ä.) ist
mit einer Vorbereitungszeit von 3 bis 5 Jahren
zu rechnen.
Vorstufen wie die Etablierung einer verbund-
raumübergreifenden Tageskarte für ganz Sach-
sen als zusätzliches Tarifangebot sind schneller
umsetzbar, aber nur ein Schritt hin zum voll-
wertigen Landestarif. In jedem Fall ist es mög-
lich, bis Mitte 2019 eine anfassbare Vorstellung
des künftigen Tarifproduktes zu entwickeln,
das in der Öffentlichkeit als Mehrwert vorzeig-
bar ist.
Moderner digitaler Vertrieb
Sowohl Smartphone- als auch Smartcard-
basierte Lösungen sind in den sächsischen Ver-
bünden bereits im Einsatz. Was fehlt, ist die
Herstellung eines landesweiten Vertriebsstan-
dards, der die klassischen Vertriebskanäle er-
gänzt.
Bis 2019 kann erwartet werden, dass die Ver-
bünde für das Smartphone die notwendigen
technischen und vertraglichen Grundlagen
gelegt haben, um einen mit Fahrplaninformati-
onen hinterlegten Kauf von Tickets für Fahrten
im Freistaat in einer Anwendung an den Fahr-
gast zu bringen. Diese wird in der Zukunft auch
durch die künftig einzubindenden Tarifproduk-
te (z.B. Sachsen-Tarif) wachsen.
Von der Fahrgastakzeptanz wird abhängen, ob
auch das Nutzermedium Smartcard weiter
entwickelt wird. Umsetzungsgeschwindigkeit
und Funktionalität (z.B. Reiseinformationen)
sprechen mittelfristig für das Vertriebsmedium
Smartphone.
Bildungsticket
Um die Einführung eines eigenständigen Tarif-
angebotes für Schüler und Auszubildende wie
das „Bildungsticket“ bis Ende 2019 zu ermögli-
chen, bedarf es der intensiven Abstimmung
zwischen allen beteiligten Akteuren. Ähnlich
wie beim landesweit geltenden Sachsen-Tarif
sind die inhaltliche Ausgestaltung (zeitliche und
räumliche Gültigkeit der Fahrausweise) und die
Kostentragung zu klären. Wichtige Rahmenbe-
dingungen sind die Höhe und Entwicklung der
Elternbeiträge sowie die Weiterentwicklung
des Verkehrsangebotes, vor allem im ländli-
chen Raum (siehe landesweites Buskonzept).
Ausbildungsverkehr
Zudem ist auf der übergeordneten Ebene des
Ausbildungsverkehrs zu prüfen, wie dessen
Finanzierung angesichts seit Jahren überdurch-
schnittlich steigender Kosten insgesamt sicher-
gestellt werden kann. Derzeit steuert das Land
jährlich reichlich 60 Mio. EUR Ausgleichszah-
lungen über das ÖPNVFinAusG bei, während
die kommunale Ebene die erhebliche Differenz
zu den tatsächlichen Kosten trägt. Wie hoch
die Kosten des Ausbildungsverkehrs landesweit
sind, ist derzeit nicht verlässlich bekannt. Da-
her erscheint es erforderlich, künftig die Kos-
ten des Gesamtsystems und deren Entwicklung
zu erfassen, z.B. im Wege eines landesweiten
Monitoring. Dies sollte auch die Mobilitätsfol-
gekosten von kultus- und sozialpolitischen
Maßnahmen für den ÖPNV mit einschließen.
Weitere Maßnahmen
Die Umsetzung aller weiteren Maßnahmen
wird als zeitaufwendiger eingeschätzt. Dies
bedeutet nicht per se, dass sie minder prioritär
seien. Vielmehr dient der Befund der realisti-
schen Einordnung der Erwartungen, was bis
2019 leistbar ist.
Seite 88 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schwerpunktaufgaben für den sächsischen ÖPNV ..................................................................... 6
Abb. 2: Maßnahmenkatalog mit Nutzenwirkung .................................................................................... 8
Abb. 3: Mehrwert des ÖPNV-Angebotskonzepts .................................................................................... 9
Abb. 4: Finanzieller Mehrbedarf der Maßnahmen 2025 ...................................................................... 12
Abb. 5: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen ....................................................................................... 14
Abb. 6: Übersicht der ständigen Mitglieder der Kommission und der Arbeitsgruppen ....................... 17
Abb. 7: Phasen und Prozess der Kommissionsarbeit ............................................................................ 19
Abb. 8: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen ....................................................................................... 20
Abb. 9: Erwartungen an den ÖPNV ....................................................................................................... 21
Abb. 10: Karikatur zu Tarifübersichtlichkeit .......................................................................................... 23
Abb. 11: Streckenspezifische Veränderung der Verkehrsnachfrage im SPNV 2010-2015 .................... 30
Abb. 12: Linienscharfe Auslastung Pkm/Zkm 2015 ............................................................................... 31
Abb. 13: Motorisierung im Ländervergleich .......................................................................................... 32
Abb. 14: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland seit 1990 nach Sektoren. ............ 33
Abb. 15: Auslastung Pkm/Zkm im Ländervergleich ............................................................................... 33
Abb. 16: Akteure der kommunalen Ebene im sächsischen ÖPNV ........................................................ 38
Abb. 17: Entwicklung kommunaler Gesamtaufwand im ÖSPV im Verhältnis zur Verkehrsleistung .... 40
Abb. 18: ÖPNV-Finanzarchitektur auf der Landesebene im Freistaat Sachsen .................................... 41
Abb. 19: Kommunaler Aufwand der Schülerbeförderung im freigestellten- und Linienverkehr .......... 42
Abb. 20: Vorschlag AG Angebotsentwicklung für ein landesweites ÖPNV-Zielkonzept ....................... 47
Abb. 21: Typen nachfrageschwacher SPNV-Linien ................................................................................ 49
Abb. 22: Aktuelle und für den Sachsen-Takt nötige Kantenzeiten zwischen den wichtigsten Knoten . 51
Abb. 23: Erschließungswirkung der Angebotskonzeption im Status quo versus 2025 ......................... 52
Abb. 24: Digitalisierung und Innovationsgrade ..................................................................................... 67
Abb. 25: Entwicklung ReG-Mittel Sachsen nach neuer und hypothetisch alter Gesetzeslage ............. 74
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen Seite 89 von 178
Abb. 26: Nutzerfinanzierungsanteile SPNV und ÖSPV 2014 ................................................................. 79
Abb. 27: Maßnahmenkatalog und Nutzenwirkung ............................................................................... 81
Abb. 28: Zeitplan 2018 – wesentliche Etappen ..................................................................................... 82
Seite 90 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Produktkategorien und Angebotsmerkmale im SPNV .............................................................. 28
Tab. 2: ÖPNV-Finanzierung Sachsen 2014 in Mio. EUR ......................................................................... 40
Tab. 3: Netzelemente des Angebotskonzepts ....................................................................................... 44
Tab. 4: Produkte, Angebotsparameter und Verkehrsfunktion ............................................................. 45
Tab. 5: Vorschlag der AG Angebotsentwicklung für Qualitätsmerkmale der ÖSPV-Produkte .............. 48
Tab. 6: Empfehlung Zusatzleistung ....................................................................................................... 49
Tab. 7: Barrierefreiheit Ausbaugrad, Status quo ................................................................................... 55
Tab. 8: Themenfelder Stresstest ........................................................................................................... 62
Tab. 9: Varianten Organisationsmodelle ............................................................................................... 63
Tab. 10: Modellvariante C mit Untervarianten ..................................................................................... 64
Tab. 11: Digitalisierungsaspekte und Potenzial für ÖPNV-Unternehmen ............................................. 69
Tab. 12: Modellrechnung zur ÖPNV-Finanzierung Sachsen .................................................................. 75
Tab. 13: Finanzieller Mehrbedarfe im Zielhorizont 2025 ...................................................................... 76
Tab. 14: Prüfkriterien und Umsetzbarkeit ............................................................................................. 85
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 91 von 178
Abschlussbericht
Anlagen
Seite 92 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
I. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Angebotsentwicklung
ANSATZ
1. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)1 leistet für die Lebensqualität im Freistaat Sach-
sen, für die Sicherung der Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung, der Leistungsfähigkeit der
Wirtschaft sowie für das Erreichen der nationalen bzw. freistaatlichen Ziele und Verpflich-
tungen im Umwelt- und Klimaschutz einen wesentlichen, unverzichtbaren Beitrag.
2. Der ÖPNV ist deshalb in seiner Wettbewerbsposition zu stärken, indem er
in den Ballungsräumen Vorrang gegenüber dem Autoverkehr erhält (vgl. ÖPNV-Gesetz
Sachsen sowie Stand der Planungstechnik) und
in den anderen Landesteilen zu einer attraktiven Alternative zum Auto weiterentwickelt
bzw. zur Mobilitätssicherung (Daseinsvorsorge) angeboten wird.
3. Hierzu ist die räumliche und zeitliche Bedienung im ÖPNV sachsenweit deutlich zu verbes-
sern durch
ein aufeinander abgestimmtes und durchgängiges Verkehrsangebot und
eine verbesserte zeitliche Abdeckung von morgens bis abends sowie an Wochenenden
und in den Schulferien.
4. Das künftige ÖPNV-Angebot hat die spezifischen Bedingungen in den verschiedenen Teil-
räumen Sachsens struktur- und sachgerecht einzubeziehen. Das betrifft
eine deutliche Stärkung der Angebote in den wachsenden Ballungsräumen,
ein landesweites Grundnetz von Bahn und Bus auf den Verbindungs- und Entwicklungs-
achsen,
die Sicherung der örtlichen Mobilität in Mittel- und Grundzentren sowie
die Gewährleistung einer Grundbedienung in den peripheren und dünn besiedelten
Räumen.
5. Der integrale Taktfahrplan ist die grundlegende Planungsprämisse für alle ÖV-Angebote.
Der Sachsen-Takt ist in den künftigen Deutschland-Takt einzubinden, wozu es einer klaren
und deutlichen Positionierung Sachsens bei Bund1 und Deutscher Bahn AG (DB AG)2 bedarf.
AUSGESTALTUNG
6. Das künftige ÖPNV-Netz ist zur Erhöhung seines Modal-Split-Anteils in den kommenden
zehn Jahren funktional nach den verschiedenen Teilräumen und Verbindungsfunktionen zu
gliedern und mit folgenden Netzelementen zu gestalten:
a) Weiterentwicklung des ÖPNV zum Vorrangsystem in den wachsenden Ballungszentren
(Dresden, Leipzig, Chemnitz);
b) Modernisierung der Straßenbahnsysteme in den Oberzentren (Görlitz3, Zwickau, Plauen);
c) Ausbau der 52 StadtBus-Systeme und Einführung von 40 neuen StadtBus-Systemen in Or-
ten ab ca. 10.000 Einwohnern (in der Regel Halbstundentakt);
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d) Ausweitung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) auf nachfragestarken Strecken
(insbesondere Regional-Express [RE] und S-Bahn); gleichzeitig Prüfung, wie nachfrageschwa-
che Strecken gestärkt werden können oder bei ausbleibendem Erfolg ggf. auf Busverkehr um-
zustellen sind;
e) Ausbau der SPNV-Wirksamkeit und Erweiterung des ÖPNV-Netzes durch ein landesweites
Plus-/TaktBus-Netz im Stunden- bzw. Zwei-Stundentakt (170 Linien mit rund 4.400 km);
f) Bereitstellung eines Land-/FlexBus-Grundangebotes in peripheren Räumen, wobei flexible
Angebote verstärkt eingesetzt werden sollen.
7. Diese sechs Netzelemente und die Angebots- und Qualitätsstandards sind Grundlage für die
künftige ÖPNV-Planung im Freistaat Sachsen.
8. Der Freistaat Sachsen unterstützt und koordiniert die Aufgabenträger bei der Entwicklung
und Finanzierung von Plus-/TaktBus- und StadtBus-Konzepten, insbesondere bei verbund-
und landkreisübergreifenden Verbindungslinien zentraler Orte.
9. Es wird eine sachsenweit agierende Koordinierungsstelle mit folgenden Aufgaben eingerich-
tet:
Mitwirkung bei der Umsetzung eines vertakteten Grundnetzes aus SPNV und Plus-/ Takt-
Bussen einschließlich Einbindung in den Deutschland-Takt,
Unterstützung flexibler und alternativer Angebote sowie
Erfolgskontrolle zur Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen.
10. Land, Verbünde und Kommunen verständigen sich über eine einheitliche Auslegung des Per-
sonenbeförderungsgesetzes (PBefG) in Bezug auf die Konzeption und Genehmigung flexib-
ler ÖPNV-Angebote mit dem Ziel, flexible Angebote einfacher realisieren zu können.
11. Zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und zur weiteren bürgernahen Erschlie-
ßung in peripheren und dünn besiedelten Räumen sind die Rahmenbedingungen für Bürger-
busse zu verbessern, insbesondere durch ein geeignetes Förderinstrumentarium.
AUSFÜHRUNG / UMSETZUNG
12. Der Ausbau des ÖPNV zum Vorrangsystem in den Ballungsräumen ist unabdingbar, um auch
künftig die Leistungsfähigkeit dieser Wachstumskerne und die dortige Lebensqualität zu ge-
währleisten. Hier sind die erforderlichen Finanzmittel für Ersatz- und Ausbau-Investitionen
bereitzustellen, um eine kontinuierliche Realisierung sicherzustellen.
13. Im ländlichen Raum hat der Aufbau eines landesweiten Grundnetzes aus SPNV und Plus-
/TaktBus hohe Priorität. Von dem aufgezeigten Grundnetz werden künftig 80% der sächsi-
schen Bevölkerung (3,3 von 4,1 Mio. Einwohnern4) unmittelbar profitieren, da sie in fußläufi-
ger Entfernung zu einer Haltestelle leben. Je nach bisherigem ÖPNV-Angebot kommt es zu
einer Verbesserung in der Fahrtenhäufigkeit, dem Bedienungszeitraum, der Linienvielfalt, der
Umsteigequalität oder mehrerem hiervon. Für die weiteren 800.000 Einwohner ist dieses
Grundnetz über Land- und FlexBusse erreichbar. Erste Umsetzungsschritte wurden in 2017
gestartet und weitere können in Abhängigkeit von der Finanzierung zeitnah folgen.
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14. Mit der Einführung des Grundnetzes wären die ÖPNV-Angebote in den Regionen grundle-
gend zu überplanen und entsprechende Synergien zu nutzen. Abseits des Grundnetzes er-
folgt die Erschließung durch LandBusse. In peripheren und dünn besiedelten Räumen werden
dabei flexible Angebote (FlexBusse) eine stärkere Rolle spielen.
15. Insbesondere der Aufbau der zusätzlichen StadtBus-Systeme in Mittel- und Grundzentren
wird einen größeren zeitlichen Vorlauf erfordern. Die stufenweise Realisierung ab 2018 wird
in starkem Maße von der Initiative der jeweiligen Gemeinden und ihren finanziellen Mitteln
abhängen. Die Gemeinden sind durch den Freistaat, die Zweckverbände und Landkreise ent-
sprechend zu unterstützen.
16. Die Umsetzung der vorgenannten Konzepte bedarf zusätzlicher Mittel für Investitionen und
Leistungserstellung. Dabei ist die Bereitstellung oder ein Ersatz der bisherigen Entflech-
tungsmittel auf Landesebene mit Vorrang ÖPNV als ein Baustein erforderlich.
1. Ziele der Angebotsentwicklung
Ziele der Angebotsentwicklung im Freistaat
Sachsen sind:
eine Verbesserung der räumlichen und
zeitlichen Bedienung mit öffentlichen
Verkehrsleistungen durch
- ein aufeinander abgestimmtes, fahr-
gastfreundliches und durchgängiges
Taktsystem von der regionalen bis zur
örtlichen Bedienung, das in die Takte
des Fernverkehrs eingebunden ist,
- eine Verbesserung der zeitlichen Ab-
deckung von morgens bis in die
Abendstunden sowie an Wochenen-
den in einer Taktfrequenz, die sich an
der Lebenswirklichkeit der Menschen
in Sachsen orientiert,
- ein Angebotssystem, das auf die struk-
turellen, demografischen und wirt-
schaftlichen Bedingungen der Teilräu-
me Sachsens abgestimmt ist;
Entwicklung eines verständlichen Ange-
botssystems, durchgängig für alle Lan-
desteile, für Ballungszentren sowie länd-
liche Gemeinden gleichermaßen, und mit
hohem Wiedererkennungswert;
eine sach- und strukturgerechte Aufga-
benteilung zwischen den Aufgabenträ-
gern.
2. Analyse des Status quo
Im Freistaat Sachsen entwickeln sich die Teil-
räume sehr unterschiedlich. Besonders augen-
fällig wird dies am Beispiel der Bevölkerungs-
entwicklung. In und um die drei größten Städ-
te nimmt die Bevölkerung zu, was im Falle
Leipzigs und Dresdens in hohem Maße zutrifft
und sich im Falle von Chemnitz andeutet. In
diesen drei Oberzentren und den benachbar-
ten wachsenden Gemeinden leben 43% der
sächsischen Bevölkerung.5 Diese Räume müs-
sen ein Verkehrswachstum bewältigen und
benötigen Investitionen in die Verkehrsinfra-
struktur zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit
(besonders dort, wo die Kapazitäts- und ver-
kehrsbedingte Immissionsgrenzen erreicht
wurden oder zeitnah erreicht werden) und um
ihren Beitrags zum Umwelt- und Klimaschutz
zu leisten. Eine besondere Rolle spielen au-
ßerdem die absehbar zunehmenden Stadt-
Umland-Verflechtungen und die Herstellung
der gesetzlich geforderten Barrierefreiheit.
Für den überwiegenden Teil der sächsischen
Gemeinden wird jedoch eine z. T. erhebliche
Bevölkerungsabnahme prognostiziert, die sich
u.a. in einem Fachkräftemangel und zurück-
gehenden Schülerzahlen niederschlägt. Ver-
einfachend können diese Gemeinden als po-
tenzielle ÖPNV-Problemräume mit Erreichbar-
keits- und damit Teilhabedefiziten bezeichnet
werden. Im Zuge der überdurchschnittlichen
Alterung spielt auch in diesen Teilen Sachsens
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Seniorenmobilität und mit ihr das Thema
„Barrierefreiheit“ eine große Rolle. Außerdem
bedarf es angemessener Mobilitätsangebote
für Familien. Diese Gemeinden liegen über-
wiegend im ländlichen Raum, auch in dessen
verdichteten Bereichen, sowie im Verdich-
tungsraum um Chemnitz und Zwickau. Unter-
schiede bestehen zwischen ihnen hinsichtlich
der konkreten planerischen Herausforderun-
gen:
In den Ober- und Mittelzentren außer-
halb der demografisch wachsenden
Räume leben derzeit 24% der sächsi-
schen Bevölkerung.6 Diese Zentren wer-
den zwar in geringerem Maße schrump-
fen als die sie umgebenden Gemeinden,
allerdings bedarf es wegen der rückläufi-
gen Bevölkerung besonderer Anstren-
gungen, sie als regionale „Anker“ zu sta-
bilisieren und zu entwickeln. Über sie
findet die Verknüpfung abgelegener länd-
licher Räume mit den Wachstumsräumen
statt, außerdem bieten sie Potenzial für
attraktive Stadt- und Ortsbuslösungen im
Binnenverkehr.
Der Anteil der Bevölkerung, der in
schrumpfenden Grundzentren oder
nichtzentralen Gemeinden lebt, ist mit
derzeit 33%7 beträchtlich. Trotz des de-
mografischen Wandels wird er in den
kommenden Jahren nicht wesentlich sin-
ken. Diese Städte und Gemeinden, die
wegen ihrer Zentren- und Achsenferne
über eine geringe Lagegunst verfügen,
bedürfen einer auf ihre räumlichen Be-
dingungen zugeschnittenen Strategie.
Derzeit sind die in den Regional- und
Nahverkehrsplänen für diese Räume ge-
troffenen planerischen Aussagen unein-
heitlich und kaum konkret.
Eine besondere Bedeutung für die Siche-
rung der Erreichbarkeit außerhalb der
Oberzentren kommt deshalb dem leis-
tungsfähigen ÖPNV entlang der Achsen
zu. Sie verbinden die sächsischen Zentren
untereinander und mittelbar auch die
kleineren Flächengemeinden mit den
Großstädten. In vielen Achsen über-
nimmt der SPNV diese Aufgabe – aller-
dings verbunden mit der Einschränkung,
dass eine einzelne Bahnstation in Flä-
chengemeinden nicht die Erschließung
sämtlicher Einwohner dieser Gemeinde
sicherstellen kann. Abseits vom SPNV er-
schlossener Räume übernehmen bereits
vereinzelt ÖSPV-Angebote die überregio-
nale Erschließung. Diese ÖSPV-Angebote
müssen systematisch weiter ausgebaut
werden und mit einem attraktiven Takt
und nachfrageadäquaten Bedienzeiten
ergänzt werden. Außerdem ist auf eini-
gen SPNV-Nebenstrecken die Nachfrage
derzeit so gering, dass eine grundhafte
Strategie für die zukunftsfähige Anbin-
dung der betroffenen Räume zu entwi-
ckeln ist.
3. Handlungsempfehlungen
Um den räumlichen Herausforderungen ge-
recht werden zu können, ist es erforderlich,
für folgende Handlungsfelder Strategien zu
entwickeln:
Ausbau und Weiterentwicklung des
ÖPNV in Oberzentren mit Straßenbahn-
angebot (vgl. Ziffer 3.1),
angebotsorientierte ÖSPV-Konzepte in
den Landkreisen (PlusBus, TaktBus,
StadtBus, LandBus, FlexBus) (vgl. Ziffer
3.2).
Weiterentwicklung von nachfragestarken
SPNV-Strecken als Rückgrat des sächsi-
schen ÖPNV (vgl. Ziffer 3.3),
Perspektiven zur Weiterentwicklung
nachfrageschwacher SPNV-Strecken (vgl.
Ziffer 3.4),
konsequente Verknüpfung aller ÖPNV-
Angebote zur Stützung des SPNV als alle
Landesteile verbindendes Rückgrat des
ÖPNV (vgl. Ziffer 3.5),
Die Wirkung dieser Empfehlungen auf die
Erschließung Sachsens ist unter Ziffer 3.6 zu-
sammengefasst.
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3.1 Ausbau und Weiterentwicklung des ÖPNV in Oberzentren mit Straßenbahn-angebot
Der ÖPNV bildet in den sächsischen Oberzen-
tren mit Straßenbahnangebot (Chemnitz,
Dresden, Leipzig, Plauen, Zwickau, Görlitz die
wesentliche Säule des ÖV und ist elementar
für die Funktionsfähigkeit dieser Städte. Gera-
de vor dem Hintergrund der – bereits einge-
tretenen und weiter prognostizierten – Bevöl-
kerungszunahme stellt der Anspruch der Wei-
terentwicklung des ÖPNV deshalb eine beson-
dere Herausforderung dar. Die Konsequenzen
fallen für die sechs Straßenbahnstädte inso-
fern unterschiedlich aus, als die Dynamik in
der Bevölkerungsentwicklung insbesondere
für Leipzig und Dresden, mit Abstrichen auch
Chemnitz, anders ausfällt als in Plauen, Zwick-
au und Görlitz. Insofern sind auch Ziele und
Maßnahmen für die Angebotsentwicklung zu
unterscheiden.
3.1.1 Entwicklung des ÖPNV zum Vor-rangsystem in Leipzig, Dresden und Chemnitz durch Angebotsausweitung
Die Weiterentwicklung des ÖPNV zum Vor-
rangsystem gegenüber dem Autoverkehr kann
in Leipzig, Dresden und Chemnitz nur bei einer
deutlichen Angebotsausweitung gelingen.
Neben der deutlichen Verdichtung des Ange-
botes auf bestehenden Strecken gehört dazu
auch die Ausweitung des Angebotes zur Ver-
besserung der Erschließung verdichteter oder
neuer Siedlungs- und Gewerbegebiete und
öffentlicher Einrichtungen sowie flankierende
Maßnahmen wie Mobilitätsmanagement,
Parkraumbewirtschaftung etc. (s.u.).
Mit den bestehenden Fahrzeug- und Infra-
strukturkapazitäten kann dieser Leistungsauf-
wuchs wegen der in den Spitzenstunden heu-
te bereits gegebenen Nachfrage nur in Teilen
bewerkstelligt werden. Besonders problema-
tisch wird der zu erwartende Anstieg der Ver-
kehrsnachfrage im Schüler- und Berufsverkehr
ausfallen. Dies hat auch Einfluss auf die At-
traktivität des ÖPNV, da überfüllte Fahrzeuge
i.d.R. die Zufriedenheit der Fahrgäste min-
dern.
Die hierzu bereits erarbeiteten strategischen
Szenarien der Verkehrsunternehmen sehen in
einem ersten Anpassungsschritt Fuhrparker-
weiterungen vor. Notwendig werden dabei
entsprechende Abstell- und Werkstattkapazi-
täten. Bei weiter steigender Nachfrage wird
dann sequentiell die Umstellung von stark
nachgefragten Busverkehren auf leistungsfä-
higere Straßenbahnneubaustrecken erfolgen
müssen. In Innenstadtbereichen werden Stra-
ßenbahnneubaustrecken zur Entlastung der
aufgrund der Neuverkehre nicht mehr leis-
tungsfähigen Bestandsstrecken erforderlich.
Die zeitliche Einordnung dieser Maßnahmen
lässt sich an der nachfolgenden, von den
Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) für das
Beispiel Leipzig erarbeiteten Darstellung (Ab-
bildung 1) skizzieren: Der auf Grundlage des
zu erwartenden Bevölkerungswachstums und
der verkehrspolitischen Ziele der Stadt prog-
nostizierte Fahrgastzuwachs ist mit dem roten
Pfeil dargestellt. In den ersten Jahren kann die
für diesen Zuwachs nötige Fahrzeugkapazität
durch Optimierung und Ergänzung der Fahr-
zeugflotte, aber auch der Betriebshöfe (z.B.
Abstellanlagen) noch kurz- bis mittelfristig
bereitgestellt werden. Ab etwa 2025 werden
diese Maßnahmen jedoch nicht mehr ausrei-
chen und die Weiterentwicklung des Schie-
nennetzes wird essentiell. Aufgrund der für
den Streckenausbau erforderlichen Planungs-
vorläufe ist eine Beschäftigung mit diesem
Ausbau bereits in wenigen Jahren unumgäng-
lich.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 97 von 178
3.1.2 Entwicklung des ÖPNV in Plauen, Zwickau und Görlitz insbesondere durch Modernisierung der Straßenbahnsysteme
In Plauen, Zwickau und Görlitz besteht – vor
dem Hintergrund der relativ konstanten Be-
völkerungsentwicklung und des deutlich nied-
rigeren ÖPNV-Anteils am Modal Split (um
etwa 10%9) – das vorrangige Ziel darin, das
bestehende Angebot auf dem heutigen Niveau
fortschreiben und geringfügig ausbauen zu
können. Der Handlungsschwerpunkt liegt des-
halb derzeit auf einer betrieblichen und ver-
kehrlichen Optimierung des Angebotes, insbe-
sondere der Modernisierung der Straßen-
bahnsysteme. Die hierzu bereits erarbeiteten
konkreten Planungen der Stadtverwaltungen
und Verkehrsunternehmen sehen – z.B. durch
Ersatzinvestitionen in Fahrzeuge oder rech-
nergestützte Betriebsleitsysteme oder durch
Sanierung von einzelnen Streckenabschnitten
– für die nahe Zukunft Maßnahmen zur Siche-
rung von Attraktivität, Effizienz und Funktions-
fähigkeit der vorhandenen Netze sowie zur
Herstellung der Barrierefreiheit vor.
Das darüberhinausgehende Ziel einer spürba-
ren Erhöhung des ÖPNV-Anteils am Modal
Split erfordert zusätzliche, insbesondere in-
vestive Maßnahmen. Dazu gehören gezielte
Erweiterungen des Straßenbahnnetzes, die
Anschaffung von Straßenbahnfahrzeugen zur
Taktverdichtung, die barrierefreie Modernisie-
rung von Trassen in Bundesstraßen oder die
Umstellung auf Elektroantrieb im Busverkehr.
Aufgrund der geringeren Verkehrsnachfrage
ist aber davon auszugehen, dass Netzergän-
zungen überwiegend mit Linienbussen erfol-
gen.
3.1.3 Verkehrsträgerübergreifende und dabei stärker am Umweltverbund ausge-richtete Verkehrsplanung in allen sechs Oberzentren
In allen sechs Oberzentren zeichnet sich ab,
dass die verfolgten Ziele nicht allein durch
investive und betriebliche Maßnahmen er-
reicht werden können. Zusätzlich sind folgen-
de organisatorische, verkehrsträgerübergrei-
fende und dabei stärker am Umweltverbund
ausgerichtete Bausteine für die Verkehrspla-
nung wichtig:
Einrichtungen für den nichtmotorisierten
Verkehr, insbesondere der Fahrradinfra-
struktur zur Schaffung eines lückenlosen
Netzes mit Hochleistungs- und Erschlie-
ßungstrassen sowie ausreichenden Ab-
stellkapazitäten,
intermodale Zugangs- und Schnittstellen
(z.B. Mobilitätsstationen),
intelligentes Verkehrsmanagement, z.B.
zur Reduktion von Umsteigezeiten, An-
schlusssicherung oder Optimierung von
Umläufen; aber auch zur Stauvermeidung
im Autoverkehr,
Abb. 1: Maßnahmen zur Bewältigung des Fahrgastzuwachses in einem Ballungszentrum8
Seite 98 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
mobilitätsbeeinflussende Maßnahmen
(z.B. Tarifierung, betriebliches Mobili-
tätsmanagement, durch Konzepte für
Gewerbegebiete oder Großveranstaltun-
gen, Sharing-Angebote),
auf den Umweltverbund ausgerichtete
Siedlungsentwicklung entlang der ÖPNV-
Achsen,
Flächenaufteilung zugunsten des Um-
weltverbundes und Bewirtschaftung des
knappen Parkraumes.
3.2 Angebotsorientierte ÖSPV-Konzepte in den Landkreisen (PlusBus, TaktBus, StadtBus, LandBus, FlexBus)
Für die Umsetzung der oben benannten Ziele
bestehen in den einzelnen Teilräumen Sach-
sens unterschiedliche Herausforderungen.
Deshalb werden zwischen Raum- und Sied-
lungstyp differenzierende Maßnahmen abge-
leitet:
Sachsenweit ist das SPNV-Netz durch di-
rekt geführte und regelmäßig verkehren-
de Buslinien zu ergänzen, um die Auslas-
tung des SPNV zu erhöhen, den Aus-
tausch zwischen den verschiedenen Lan-
desteilen zu ermöglichen und die im Fol-
genden erläuterten verschiedenen Stadt-
verkehrssysteme miteinander zu ver-
knüpfen. Damit werden auch die Zentra-
le-Orte- und Achsen-Konzepte der Lan-
des- und Regionalplanung sowie die
Struktur der Metropolregion Mittel-
deutschland unterstützt. Dieses Busan-
gebot soll sich in seinen Angebots- und
Qualitätsstandards am SPNV orientieren.
Das Angebot, das den in Tabelle 1 und
Tabelle 2 aufgelisteten Qualitätsmerkma-
len entspricht, ist als Plus- bzw. TaktBus
zu vermarkten.
In kompakten Siedlungsgebieten sind zur
Sicherung der Mobilität attraktive Stadt-
verkehrsangebote zu sichern, zu verbes-
sern oder erstmalig einzurichten. Das An-
gebot, das den in Tabelle 1 und Tabelle 2
aufgelisteten Qualitätsmerkmalen ent-
spricht, ist als StadtBus zu vermarkten.
Weniger kompakte Siedlungen – darun-
ter auch die Außenbereiche der Städte
und Gemeinden mit Stadtverkehrsange-
bot – werden, sofern sie im Einzugsbe-
reich des Bus-Grundnetzes (Plus- bzw.
TaktBus) liegen, durch dieses erschlos-
sen.
Gemeinden und Siedlungen, die für
Stadtverkehrskonzepte nicht die erfor-
derliche Kompaktheit und Struktur mit-
bringen und die nicht über das Grundnetz
erschlossen werden können, bedürfen
angepasster Konzepte zur Sicherung der
Daseinsvorsorge. Da die ÖPNV-Nachfrage
in diesen Gebieten erfahrungsgemäß ge-
ring ausfällt, sind entsprechend kleinteili-
ge und ortsangepasste Lösungen, ein-
schließlich flexibler Bedienformen und
Bürgerbusse, zu finden. Das Angebot, das
den in Tabelle 1 und Tabelle 2 aufgeliste-
ten Qualitätsmerkmalen entspricht, ist
als Land- bzw. FlexBus zu vermarkten.
Ein Vorschlag für das Grundnetz aus SPNV,
Plus- und TaktBussen sowie den Stadtverkeh-
ren ist in der folgenden Abbildung dargestellt.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 99 von 178
Abb. 2: Vorschlag eines sachsenweiten ÖPNV-Grundnetzes aus SPNV, Plus- und TaktBussen sowie StadtBussen10
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Der Verkehrsplanung des Freistaates Sachsen
wird empfohlen, die benannten Netzelemente
als Grundlage für die künftige ÖPNV-Planung
zu nutzen. Hierfür werden im Folgenden die
für das Systemverständnis und den Systembe-
trieb notwendigen Standards – Produktkate-
gorien mit den zugehörigen Angebotsparame-
tern vorgeschlagen:
Raumtyp Systemange-bot
Ver-kehrs-mittel
Bedienzeit-raum Mo-Fr
Fahrtenpaa-re
Mo-Fr
Fahrtenpaa-re Sa
Fahrtenpaa-re So
Stadtverkehr
Stadtbusstädte (Mit-tel- und Grundzentren sowie weitere kom-pakte Gemeinden ab ca. 10.000 Einwohner)
z. T. neu einge-führte Stadtver-kehrs-systeme
StadtBus 5:00 –
23:00
32 (30min-Takt)
28 (30min-Takt)
24 (30min-Takt)
Regionalverkehr
(über-) regionale Achsen und weitere wichtige Verbindun-gen
Grundnetz des ÖSPV
PlusBus
TaktBus
5:00 –
23:00
18 (1h-Takt)
1211
(2h-Takt)
12 8
ländlicher Raum in den Achsenzwischen-räumen
Ergänzungsnetz des ÖSPV
Land- / FlexBus
lokal verschieden
1 bis 6 0 bis 6 0 bis 6
Tab. 1: Angebotsparameter für StadtBusse, Plus- und TaktBusse sowie Land- und FlexBusse12
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 101 von 178
Zu den einzelnen ÖSPV-Produkten werden
folgende Qualitätsmerkmale vorgeschlagen:
ÖSPV-Produkt Qualitätsmerkmal
StadtBus Verknüpfung mit SPNV und sonstigen PlusBus-, StadtBus- und TaktBus-Linien an ge-eigneten Stationen, Übergangszeit 10min
Rendezvoushaltestellen in zentraler Lage
hohe Haltestellendichte; Barrierefreiheit an Knotenpunkten und weiteren ausgewähl-ten Haltestellen möglich
Mini-/Midibusse mit Niederflurtechnik
Bedienung aller wichtigen Aufkommensschwerpunkte
PlusBus und TaktBus
Verknüpfung mit SPNV und sonstigen PlusBus-, StadtBus- und TaktBus-Linien an ge-eigneten Stationen, Übergangszeit 10min
hohe Reisegeschwindigkeit und Pünktlichkeit (Sicherstellung ggf. durch Busspuren und Bevorrechtigungen an Lichtsignalanlagen)
Lage und Anzahl der Haltestellen sind unter Abwägung der einander widersprechen-den Ziele „Verbesserung der Erschließung“ und „Erhöhung der Reisegeschwindigkeit“ zu prüfen
Fahrradmitnahme
Sitzplätze als Standard (Anschnallmöglichkeit)
WLAN im Fahrzeug/Toiletten an wichtigen Knotenpunkten
Fahrgastinformation und Anschlusssicherung/Info zu PlusBus auch im SPNV
sachsenweite Erkennbarkeit (z.B. Logo, Farbgestaltung bei Neufahrzeugen)
LandBus Angebot mit regional angepasstem Takt für den ländlichen Raum unterhalb der Grundzentren mit bis zu 500 Einwohnern
Knoten mit SPNV und regionalen Buslinien (so vorhanden)
Anschlusssicherung an wichtigen Taktknoten zu SPNV, Plus- und TaktBus
hierzu zählen auch Schülerverkehre, die nicht in das Grundnetz integriert werden kön-nen
FlexBus FlexBus als bedarfsabhängige Alternative zum LandBus, bei Bedarf auch im Flächenbe-trieb
Bürgerbus und andere Mitfahrgelegenheiten
Ergänzung durch Bürgerbusse und Mitfahrangebote bei vorhandenem lokalem Enga-gement
Tab. 2: Vorschlag für Qualitätsmerkmale der ÖSPV-Produkte13
3.3 Weiterentwicklung von nachfrage-starken SPNV-Strecken als Rückgrat des sächsischen ÖPNV
Der SPNV hat die Aufgabe, alle Landesteile
zügig und in attraktiver Frequenz zu verbin-
den. Im Einzelnen lässt sich das Angebot funk-
tional nach drei grundlegenden, sich teilweise
auf Abschnitten des Schienennetzes ergän-
zenden Kategorien14 unterteilen:
S-Bahnen und S-Bahn-ähnliche Verkehre
in den Ballungsräumen Leipzig, Dresden
und Chemnitz zur Abwicklung nachfrage-
starken Ballungsraumverkehrs,
RE-Linien zur schnellen Verbindung der
Zentralen Orte und weiterer Aufkom-
mensschwerpunkte,
RB-Linien zur Flächenerschließung so-
wohl im Stadt-Umland-Verkehr als auch
im ländlichen Raum.
Für die Erreichung der unter Ziffer 0 genann-
ten Ziele ist die Bereitstellung eines durchge-
hend hochwertigen Angebotes im SPNV erfor-
derlich. Hierzu gehören grundsätzlich folgende
Maßnahmen:
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die Differenzierung von langsamen und
schnellen Angeboten auf den Hauptach-
sen,
die Schaffung überregionaler, d.h. über
Sachsen hinausgehender Verbindungen,
der weitere, zumeist schon vertraglich
vereinbarte Ausbau der S-Bahn-
Angebote,
ein möglichst durchgängiger Stundentakt
und
die punktuelle Schließung von Lücken im
SPNV-Angebot.
Auf dieser Grundlage sind in Abhängigkeit von
laufenden Verkehrsverträgen und erforderli-
chem Fahrzeugmehrbedarf Zusatzleistungen
in folgenden Schritten15 vorgesehen:
ab 2019: 1,1 Mio. Zkm (davon 0,02 Zkm
RE): Wiederbestellung kürzlich abbestell-
ter Leistungen und die Nutzung fester
Optionen, sofern kein Fahrzeugmehrbe-
darf entsteht,
ab 2020: 0,6 Mio. Zkm: RE-Stundentakt
Dresden – Görlitz,
ab 2022: 0,4 Mio. Zkm: RE Dresden – Ustí
nad Labem (CZ) und Erfurt – Chemnitz,
ab 2024: 2,0 Mio. Zkm (davon 1,8 Zkm
RE): Halbstundentakt Dresden – Leipzig
und Chemnitz – Leipzig, Taktverdichtung
Leipzig – Zeitz,
ab 2025: 0,2 Mio. Zkm: Halbstundentakt
Dresden – Ottendorf-Okrilla,
ab 2026: 0,3 Mio. Zkm: RE/S5X Leipzig –
Plauen – Hof,
ab 2028: 0,2 Mio. Zkm: RE Zwickau – Kar-
lovy Vary (CZ),
ab 2030/31: 0,1 Mio. Zkm: Taktverdich-
tung Leipzig – Erfurt/Jena.
Damit wird das Konzept eines Sachsentaktes
(vgl. Ziffer 3.5) um fehlende Angebotskompo-
nenten erweitert. Nicht zuletzt wird dadurch
auch der Nutzen der ohnehin vorgehaltenen
teuren Ressourcen (Infrastruktur, partiell auch
Fahrzeuge) für den SPNV maximiert.
3.4 Perspektiven zur Weiterentwicklung nachfrageschwacher SPNV-Strecken
Auf einer Reihe von SPNV-Strecken werden
abschnittsweise unter 200.000 Pkm/km ab-
gewickelt. Sie können als „nachfrageschwach“
bezeichnet werden. Trotz der geringeren
Nachfrage stellen diese Linien jedoch das ele-
mentare Grundgerüst der regionalen Erschlie-
ßung in ihrem jeweiligen Raum dar, auf dem
das geplante weiterführende Plus-/TaktBus-
Netz (vgl. Ziffer 3.2) aufbaut. Gäbe es diese
Linien nicht, würden größere Lücken hinsicht-
lich der regionalen Erschließung auftreten. Die
betrachteten Strecken lassen sich in vier Kate-
gorien hinsichtlich Verkehrsnachfrage und
Lage im Verkehrsnetz einteilen:
Abb. 3: Kategorien und Beispiele nachfrageschwacher Strecken
16
A) gesamte Strecke mit geringer Auslastung,
B) mittlerer Streckenabschnitt mit geringer
Auslastung, an den Streckenenden im Zu-
lauf auf größere Zentren nimmt die Nach-
frage spürbar zu,
C) Ende einer Strecke mit geringer Auslas-
tung,
D) Ende einer Strecke mit geringer Auslas-
tung, diese ist aber am Endpunkt mit an-
deren Strecken verknüpft und stellt dort
einen wichtigen Anschluss her.
Darüber hinaus haben die Strecken oftmals
eine hohe Bedeutung für die Erschließung
touristisch bedeutender Regionen und werden
teilweise auch im Güterverkehr genutzt.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 103 von 178
Für die langfristige Entwicklung dieser Stre-
cken fehlt bislang eine verlässliche Perspekti-
ve, ob der SPNV weiterbetrieben oder einge-
stellt werden soll. Die zahlreichen Abbestel-
lungen der vergangenen Jahre – über 800 km
Schienenstrecke, d.h. etwa 25% des Gesamt-
netzes seit 1990 – mussten zumeist kurzfristig
wegen verringerter Finanzmittel erfolgen,
ohne dass eine ausreichende Betrachtung der
Ursachen und möglichen Maßnahmen zur
Nachfragesteigerung möglich war. Diese Ent-
wicklung war und ist für den ÖPNV auch des-
halb problematisch, da zeitgleich das Straßen-
netz erheblich erweitert wurde und sich die
Wettbewerbsposition des ÖPNV entsprechend
verschlechterte:
Abb. 4: Entwicklung des Schienen- und Straßennetzes im Freistaat Sachsen zwischen 1990 und 2015
17
Insofern ist für die Diskussion der Zukunft von
weiterhin in Betrieb befindlichen nachfrage-
schwachen Strecken wichtig, die wesentlichen
Gründe für die geringe Nachfrage zu ermitteln
und denkbare Lösungsansätze auf ihre Umset-
zung und Wirkungen zu prüfen:
Reisezeiten und Fahrplangestaltung (z.B.
aufgrund einer ungünstigen Lage der Hal-
testellen, von Langsamfahrstellen, von
sehr langen Umsteigezeiten zum sonsti-
gen SPNV oder Busnetz),
Tarif und Marketing (z.B. aufgrund un-
verhältnismäßig teurer und komplizierter
Tarife, ausbaufähiger Vermarktung),
Infrastrukturgestaltung und -kosten (z.B.
aufgrund noch unbefriedigender bauli-
cher Gestaltung intermodaler Verknüp-
fungspunkte, deutschlandweit gültiger
Richtlinien, die nicht immer zu regional
günstigen und fahrgastfreundlichen bau-
lichen Lösungen führen, hoher Trassen-
und Stationsgebühren oder ungenügend
aufeinander abgestimmter Flächennut-
zung und Verkehrsplanung),
Verlässlichkeit des Angebots (z.B. durch
regelmäßige Fahrplaneinschränkungen
und -änderungen infolge langwieriger
Baumaßnahmen).
hohe Motorisierung aus spezifischen re-
gionalen Gründen (z.B. Automobilindust-
rie)
Die betroffenen Zweckverbände und weitere
beteiligte Akteure (Landkreise etc.) sollten für
die jeweilige Strecke und die lokalen Bedin-
gungen hierauf aufbauend zeitnah ein indivi-
duell zugeschnittenes Maßnahmenpaket zur
Nachfragesteigerung herausarbeiten. Dies
sollte die notwendigen Maßnahmen, unter-
setzt mit den erforderlichen Finanzbedarfen
sowie der zu erwartenden Fahrgaststeigerung,
beinhalten.
Auf dieser Grundlage wäre dann in einer wei-
teren Phase – in erster Linie mit den jeweili-
gen Zweckverbänden – eine Diskussion dar-
über zu führen, ob die Initiative zur Umset-
zung der jeweiligen Maßnahmen zielführend
erscheint (Kosten, Aufwand und Erfolgschan-
cen) oder eine alternative Erschließung/Be-
dienung als insgesamt zielführender angese-
hen wird. Dabei ist auch zu beachten, welche
Fahrzeiten mit alternativen Buskonzepten und
welche Wirkung auf die Erreichbarkeitsver-
hältnisse sich dann ergeben.
Außerdem ist für die nachfrageschwachen
Strecken die Nachfrageentwicklung kontinu-
ierlich von den Zweckverbänden im Rahmen
der SPNV-Erfolgskontrolle zu evaluieren. Die
Erfolgskontrolle sollte daher um eine geson-
derte Betrachtung der nachfrageschwachen
Strecken – einschließlich der Erfassung zeitlich
begrenzter, die Nachfrage limitierender Fakto-
ren – erweitert werden.
3100 km 2300 km
7000 km
-800 km
7000 km
+700 km
0
1000
2000
3000
4000
5000
6000
7000
8000
1990 2015 1990 2015
SPNV Straßen
Seite 104 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Spätestens vor der Neuvergabe ist dann von
den Zweckverbänden zu entscheiden, ob der
SPNV-Betrieb langfristig aufrechterhalten,
aufgewertet und verbessert oder eingestellt
werden soll.
3.5 Konsequente Verknüpfung aller ÖPNV-Angebote zur Stützung des SPNV als alle Landesteile verbindendes Rück-grat des ÖPNV
Eine Verknüpfung aller ÖPNV-Angebote ist in
besonderem Maße eine Frage geschickter
Vertaktung, um Umstiege zu erleichtern und
so eine gute Netzwirkung zu erzielen. Der sog.
„integrierte Taktfahrplan“ (ITF) ist ein über-
greifendes Planungsprinzip, welches in der
Schweiz und seit der Bahnreform auch in ein-
zelnen Bundesländern (z.B. Rheinland-Pfalz
und Bayern) etabliert ist: Züge und Busse fah-
ren in einem festen Takt und bestimmte Um-
steigehaltestellen werden als Taktknoten aus-
gebaut, sodass dort im Idealfall Umstiege zwi-
schen allen Linien gewährleistet sind (Rund-
umanschluss).
Der Ansatz des ITF beschränkt sich nicht auf
den SPNV, sondern ist vielmehr ein übergrei-
fendes Konzept, in dem alle öffentlichen Ver-
kehrsmittel vom Schienenpersonenfernver-
kehr (SPFV, z.B. ICE) bis zum Regionalbus mit-
einander verknüpft werden. Üblicherweise
wird ein ITF top down aus dem SPFV abgelei-
tet, auf den dann der SPNV und anschließend
der Regionalbus abgestimmt werden. Gerade
vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Akti-
vitäten des Bundesverkehrsministeriums zur
Einführung eines Deutschland-Taktes besteht
deshalb aus sächsischer Perspektive Hand-
lungsbedarf sowohl für den SPFV als auch den
SPNV: Das Systemangebot aus eigenwirt-
schaftlichem SPFV und gemeinwirtschaftli-
chem SPNV bedarf einer stabilen langfristigen
Abstimmung, einer geeigneten Infrastruktur
und abgestimmter Taktmuster sowie einer
nachhaltigen Sicherheit der SPFV-Durch-
führung. Aus den regionalen Taktknoten des
SPNV ergeben sich wiederum Übergangspunk-
te zum regionalen Busverkehr, insbesondere
dem Plus-/TaktBus-Netz (vgl. Ziffer 3.2). Der
abzuleitende Sachsen-Takt erfordert die Ein-
haltung folgender drei Prinzipien:
Taktverkehr als Systemangebot für alle
Verkehrsmittel des ÖV,
Ausbau der Infrastruktur nach einem Ziel-
fahrplan und
Sachsen-Takt als Marke für die nachhalti-
ge Stärkung des ÖV.
Hierfür sind folgende Maßnahmen erforder-
lich:
1. Vernetzung und Abstimmung mit dem
Deutschland-Takt des Bundesverkehrsmi-
nisterium
Zur schrittweisen Realisierung eines Sachsen-
Taktes bedarf es einer entsprechenden politi-
schen Strategie, ihrer organisatorischen Um-
setzung und der erforderlichen technischen
Planungen. Hierzu benötigt Sachsen einen
zentralen Ansprechpartner mit entsprechen-
den Kompetenzen, Kontakten und kommuni-
kativen Fähigkeiten, der die Interessen und
Planungen innerhalb Sachsens bündelt, koor-
diniert und entsprechend gegenüber dem
Bund, anderen Bundesländern und der DB AG
vertritt. Dies könnte eine Koordinierungsstelle
„Sachsen-Takt“ leisten, wie es sie in ähnlicher
Weise auch schon in anderen Bundesländern
gibt. Diese haben dort in den vergangenen
Jahren die Landesinteressen gegenüber dem
Bund und der DB AG deutlich stärker vertre-
ten, als dies für Sachsen der Fall war.
2. Infrastrukturplanung sowie Angebotspla-
nung für ITF-kompatible Kantenzeiten
Die weitere Infrastrukturplanung in Sachsen
muss fahrplanbasiert erfolgen. Die folgende
Grafik zeigt einen Vergleich der aktuellen und
zukünftig nötigen Kantenzeiten zwischen den
wichtigsten sächsischen Knoten. Als „nötige“
Kantenzeiten gelten jene Fahrzeiten, mit de-
nen optimale ITF-Angebote eingerichtet wer-
den können. Zum Verständnis der Grafik ist
wichtig festzuhalten, dass die Einrichtung op-
timaler ITF-Knoten davon abhängt, dass die
Fahrzeiten zwischen den Knoten jeweils kürzer
als ein Vielfaches der halben Taktzeit sind. Für
einen Stundentakt bedeutet dies, dass die
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 105 von 178
Fahrzeiten jeweils kleiner als 30, 60, 90 Minu-
ten usw. sein müssen.
Bei einem Halbstundentakt sind es entspre-
chend 15, 30, 45 Minuten usw. Ist dies – wie
derzeit häufig der Fall – nicht gegeben, sind
die ÖV-Fahrzeiten zu jenen des Autoverkehrs
nicht konkurrenzfähig. Die wesentlichen Fahr-
zeitnachteile entstehen dabei durch lange
Umsteigezeiten in den Knoten.
Die Grafik stellt einen idealen Zielzustand dar,
und es sind noch nicht für jeden Streckenab-
schnitt Maßnahmen auf Zielerreichung und
Kosten hin überprüft worden. Der Weg zu
diesem Zielzustand kann auf den jeweiligen
Kanten ganz unterschiedlich ausfallen, etwa
durch lokal begrenzte Baumaßnahmen, durch
neue spurtstarke oder mit Neigetechnik aus-
gestattete Fahrzeuge – für die laufende Ver-
kehrsverträge zu beachten sind –, durch Ände-
rungen im Haltestellenkonzept oder durch
größere Investitionen in die Strecke zu ihrer
Beschleunigung.
3. Einflussnahme auf sowie kurz- und mittel-
fristige Abstimmung mit dem SPFV (Fahr-
plan 2019 ff. und Fernverkehrsoffensive
der DB AG).
Derzeit wird im Rahmen der vom Bundesver-
kehrsministerium beauftragten Erarbeitung
eines Deutschland-Taktes ein deutschlandwei-
ter Zielfahrplan 2030+ entwickelt. Er bedarf
der abgestimmten Zuarbeit der regionalen
SPNV-Angebote, u.a. jener aus Sachsen. Da
schon zuvor Teile der Fernverkehrsoffensive
der DB AG greifen, ist der sächsische Ziel-ITF
nicht nur mit dem langfristigen Konzept des
Bundesverkehrsministeriums abzustimmen,
sondern auch mit dem mittelfristigen der DB
AG.
Dabei muss es erstens um eine kritische Wür-
digung der vorgeschlagenen zusätzlichen
Fernverkehrslinien in Sachsen gehen, die we-
gen ihres überwiegenden Zweistundentaktes
Rückwirkungen auf das landesweite SPNV-
Netz haben werden. Zweitens sind Vorschläge
zu entwickeln, wie die weiterhin bestehenden
Lücken im Fernverkehr geschlossen werden
können. Es handelt sich um die Relationen:
Abb. 5: Aktuelle und für den Sachsen-Takt nötige Kantenzeiten im Bahnnetz18
Seite 106 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Abb. 6: Erschließungswirkung des ÖPNV-Grundnetzes19
Leipzig – Chemnitz,
(Erfurt –) Gera – Chemnitz,
Dresden – Görlitz – Breslau (– Krakau),
(Berlin –) Cottbus – Görlitz / Berlin –
Cottbus (– Hoyerswerda) – Breslau (–
Krakau).
Drittens sind mit dem Bund, der DB AG und
den anderen Bundesländern Möglichkeiten
auszuloten, inwieweit die Ausgestaltung des
Knotens Erfurt zur Minute 30 als Grundlage
für den Deutschland-Takt angepasst werden
kann, denn in den bisherigen Planungen wird
Leipzig zum Nachteil des sächsischen SPNV
nicht als Vollknoten im Fernverkehr ausge-
prägt sein, d.h. die Züge der beiden Fernver-
kehrslinien begegnen sich hier nicht zeitgleich.
Schließlich ist das RE-Netz in einem weiteren
Schritt landesweit auf den Knoten Leipzig aus-
zurichten. Wie in der Abbildung 5 der Ziel-
Kantenzeiten dargestellt, sind die potenziellen
Fahrzeiten innerhalb Sachsens durchaus ITF-
kompatibel. Es ist dabei zu prüfen, ob mit den
Zielfahrzeiten ausreichende Übergangszeiten
für Umsteiger in Leipzig realisiert werden
können. Grundsätzlich sollten alle RE-Linien
stündlich und ganztägig (analog zum PlusBus
von 5 bis 23 Uhr) verkehren.
3.6 Maßnahmenwirkung
Von den in der ÖPNV-Strategiekommission
entwickelten Maßnahmen profitiert die Be-
völkerung sachsenweit:
In den drei großen Oberzentren Dresden,
Leipzig und Chemnitz wird der ÖPNV leis-
tungsfähiger, die Kapazität in den Fahr-
zeugen erhöht sich. Auf mittlere Sicht
kommt es zu einer Ausweitung des Net-
zes, z.B. durch zusätzliche Straßenbahnli-
nien im Stadtzentrum. Entsprechend pro-
fitieren rund 1,4 Mio. Menschen, d.h.
33% aller Sachsen von der Verbesse-
rung.20
In vielen der weiteren Städte und Ge-
meinden mit Stadtverkehrsangebot
kommt es erstmalig zu einem qualitativ
hochwertigen ÖPNV-Angebot, das die
Nahraumerreichbarkeit und die Erreich-
barkeit der zentralen Bahn- und Bushal-
testellen für den Regionalverkehr erheb-
lich verbessern wird. Und auch in den –
abgesehen von Leipzig, Dresden und
Chemnitz – 58 Städten und Gemeinden,
die bereits heute über ein Stadtbus- oder
Straßenbahnangebot verfügen, wird
durch Angebotsverdichtung, Erhöhung
der Fahrtenanzahl und Ausdehnung des
Betriebszeitraums insbesondere in den
Abendstunden und am Wochenende das
Angebot spürbar besser. Es profitieren
gut 1,2 Mio. Menschen, d.h. 29% aller
Sachsen von der Verbesserung.
Eine weitere Verbesserung des ÖPNV-
Angebotes findet im Regionalverkehr
statt: Rund 700.000 Menschen, d.h. 18%
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 107 von 178
aller Sachsen werden – obwohl sie au-
ßerhalb des Einzugsbereiches von Stadt-
verkehrsangeboten leben – innerhalb
von 300 m Fußweg eine Haltestelle des
im Ein- oder Zweistundentakt betriebe-
nen Regionalverkehrs (Plus- und TaktBus)
erreichen und auf diese Weise zügig in
die nächsten Zentren oder an die nächs-
ten Bahnhaltestellen gelangen. Von dem
Plus- und TaktBus-Angebot profitieren
außerdem die bereits erwähnten, etwa
2,6 Mio. in den Städten lebenden Men-
schen, da es Fahrten in verschiedene
Himmelsrichtungen vereinfacht – und so
die Optionsvielfalt gegenüber Verbin-
dungen, die nur ins nächste Mittel- oder
Oberzentrum führen, spürbar erhöht.
In anderen Worten: Mit diesem Grund-
netz aus großstädtischem Angebot in
Dresden, Leipzig und Chemnitz, Stadt-
Bussen in über 90 kleineren Städten und
Gemeinden, SPNV, Plus- und TaktBussen
werden rund 80% der sächsischen Bevöl-
kerung erschlossen. Sie haben eine er-
heblich höhere Vielfalt an Zielen, die sie
erreichen können, das Angebot ist fuß-
läufig erreichbar und mindestens zwei-
stündlich – überwiegend sogar stündlich
– an allen Tagen in der Woche verfügbar.
Jene Teile des Freistaates Sachsen, aus
denen das Grundnetz nicht innerhalb von
300 m erreichbar ist und in denen knapp
800.000 Menschen, d.h. rund 20% aller
Sachsen leben, werden unverändert
durch LandBusse und vermehrt durch
flexible Angebote erschlossen, sodass
auch die dort entstehende Nachfrage
nach ÖPNV-Dienstleistungen adäquat
bedient und der Anschluss an das Grund-
netz gewährleistet wird.
Die genannten Maßnahmen werden zu einer
spürbaren Erhöhung des Modal-Split-Anteils
des ÖPNV führen. Damit tragen sie zur Einhal-
tung der Verpflichtungen, die die Bundesre-
publik zur Einhaltung von Klima- und Umwelt-
schutzzielen eingegangen ist, bei.
4. Umsetzung
4.1 Planung und Zeitschiene
Im Folgenden werden die Auswirkungen der
fünf oben behandelten Handlungsfelder für
die Zeitschiene zusammengefasst:
1. Beim Ausbau des ÖPNV in den Oberzen-
tren mit Straßenbahnangebot sind zunächst
die erforderlichen Ersatzinvestitionen sicher-
zustellen. Im nächsten Schritt sind Kapazitäts-
erweiterungen durch größere Fahrzeuge und
einzelne Taktverdichtungen anzugehen. Erst
anschließend sind Infrastrukturmaßnahmen zu
realisieren, die aber wiederum mit einem ent-
sprechenden Planungsvorlauf angeschoben
werden müssen.
2. Im Bereich des landesweiten ÖPNV-
Grundnetzes wurden im Rahmen der Arbeit
der ÖPNV-Strategiekommission in einer Ar-
beitsgruppe gemeinsam mit den Zweckver-
bänden linienscharf umfangreiche Planungen
abgestimmt, die bei einer entsprechenden
Mittelbereitstellung ab 2018 sukzessive umge-
setzt werden können. Die Einführung ist je-
weils nach den Sommerferien der Jahre 2018
– 2023 vorgesehen:
2018: 29% der Mehrleistungen (3,5 Mio.
EUR p.a. inkl. Marketing),
2019: weitere 27% Mehrleistungen (insg.
12,0 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing),
2020: weitere 18% der Mehrleistungen
(insg. 19,0 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing),
2021: weitere 16% der Mehrleistungen
(insg. 25,4 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing),
2022: weitere 6% der Mehrleistungen
(insg. 29,6 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing),
2023: weitere 5% der Mehrleistungen
(insg.31,5 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing).
Mit der Umsetzung des Plus-/TaktBus-
Konzeptes ist in den jeweiligen Regionen das
ÖPNV-Angebot grundlegend zu überplanen.
Dabei ergeben sich auch Synergieeffekte im
sonstigen Bus-netz, da einige dieser Angebote
künftig von Plus-/TaktBussen bedient werden.
Sachsenweit werden Einsparungsmöglichkei-
Seite 108 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Tab. 3: Finanzbedarf für konsumtive Maßnahmen im ÖSPV-Netz22
ten von rund 6,7 Mio. EUR p.a. im Zielzustand
ab 09/2023 als realistisch erachtet. Flankiert
werden diese Maßnahmen durch eine Unter-
stützung ergänzender Land- und FlexBus-
Konzepte, für die vorab u.a. eine Klärung der
genehmigungsrechtlichen (flexible Bedien-
formen betreffend) und fördertechnischen
(Bürgerbusse betreffend) Bedingungen auf
Landesebene erforderlich ist.
Die Umsetzung von Mehrleistungen in den
StadtBus-Angeboten in einer Größenordnung
von 27,7 Mio. Fahrplan-Kilometern wird mit
Rücksicht auf die Abstimmung mit den betref-
fenden Kommunen in den nächsten Jahren
weniger intensiv erfolgen. Sie ist in folgenden
Jahresscheiben vorgesehen:
2018: 10% der Mehrleistungen (2 Mio.
EUR p.a. inkl. Marketing),
2019 - 2023: Jeweils weitere 20% der
Mehrleistungen (9 – 41 Mio. EUR p.a.
inkl. Marketing),
2024: Weitere 10% der Mehrleistungen
(51 Mio. EUR p.a. inkl. Marketing).
3. Auf den nachfragestarken Relationen im
SPNV sind Angebotsausweitungen vorgese-
hen, die innerhalb laufender Verkehrsverträge
ohne erhebliche Sprungkosten nur dann mög-
lich sind, wenn keine zusätzlichen Fahrzeuge
für die Angebotsausweitungen erforderlich
sind.
4. Für die langfristige
Entwicklung nachfrage-
schwacher Strecken ist
ein mehrstufiges Verfah-
ren vorgesehen, in dem
die wesentlichen Gründe
für die geringe Nachfrage
ermittelt, passende Lö-
sungsansätze auf ihre
Umsetzung und Wirkun-
gen geprüft, individuell
zugeschnittene Maß-
nahmenpakete zur Nach-
fragesteigerung entwi-
ckelt und diese letztlich
in erster Linie mit den
jeweiligen Zweckverbän-
den abgestimmt werden.
Das Ziel besteht darin, rechtzeitig vor der
nächsten Vergabeentscheidung eine fundierte
Einschätzung für die längerfristige Perspektive
jeder einzelnen dieser Strecken abgeben zu
können.
5. Zur Verwirklichung eines Sachsen-Taktes
ist die Sicherstellung einer koordinierten säch-
sischen Position im Austausch mit der Bun-
desebene und der DB AG vordringlich. Auf
dieser Grundlage wird es möglich, das zu
Grunde liegende Planungsprinzip sukzessive
für Entscheidungen bei der Bestimmung von
Umsteigeknoten im SPFV, SPNV und weiterem
ÖPNV sowie bei der Planung von Neu- und
Ausbaumaßnahmen im SPNV heranzuziehen.
4.2 Finanzbedarf
Der Finanzmittelbedarf für die unter Ziffer 4.1
beschriebenen Maßnahmen zur Angebots-
entwicklung kann nach investiven, betriebli-
chen (konsumtiven) und im weitesten Sinne
organisatorischen Maßnahmen unterschieden
werden. Der investive Finanzmittelbedarf für
die Oberzentren ergibt sich aus dem Thesen-
papier Infrastruktur und Fahrzeuge. Der be-
reits unter Ziffer 4.1 näher beschriebene be-
triebliche Finanzbedarf21 kann wie folgt zu-
sammengefasst werden:
Weitere Maßnahmen, die in konzeptionellen
Weichenstellungen und fachlichen Klärungen
bestehen und daher vergleichsweise geringe
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 109 von 178
Kosten induzieren, sind folgende:
Koordinierung der sächsischen Position
zum Deutschland- und Sachsen-Takt,
verkehrsträgerübergreifende und dabei
stärker am Umweltverbund ausgerichte-
te Verkehrsplanung in allen sechs Ober-
zentren,
Verständigung über eine einheitliche
Auslegung des Personenbeförderungsge-
setzes in Bezug auf die Konzeption und
Genehmigung flexibler ÖPNV-Angebote,
mit dem Ziel flexible Angebote einfacher
realisieren zu können,
Verbesserung der Rahmenbedingungen
für Bürgerbusse zur Stärkung des bürger-
schaftlichen Engagements und zur weite-
ren bürgernahen Erschließung in peri-
pheren und dünn besiedelten Räumen
(insbesondere durch ein geeignetes För-
derinstrumentarium).
1 d.h. dem für Verkehr zuständigen Bundes-
ministerium
2 DB Netz und DB Fernverkehr
3 Görlitz als Bestandteil des Oberzentralen
Städteverbundes Bautzen-Görlitz-
Hoyerswerda
4 Stand 31.12.2014, Quelle: 6. Regionalisierte
Bevölkerungsvorausberechnung (RBV) für
den Freistaat Sachsen
5 Quelle: 6. RBV. Ihr zufolge werden sämtliche
Städte und Gemeinden in den Verdichtungs-
räumen um Leipzig und Dresden sowie ein-
zelne weitere Städte und Gemeinden im Um-
land dieser beiden Oberzentren bis 2030
wachsen. Rund um Chemnitz ist laut 6. RBV
nicht mit einem Wachstum von Städten oder
Gemeinden zu rechnen.
6 Quelle: 6. RBV, ohne Chemnitz, aber mit
Freiberg: Tatsächlich wird für Freiberg eine
positive Bevölkerungsentwicklung prognosti-
ziert und andere Städte dieser Kategorie, z.B.
Görlitz, verzeichnen derzeit einen leichten
Bevölkerungsanstieg.
7 Quelle: 6. RBV
8 Quelle: LVB
9 Quelle: Städtische Verkehrskonzepte
10 12 13 19 22 Quelle: Ergebnis der Arbeitsgruppe
Angebotsentwicklung in der ÖPNV-
Strategiekommission.
11 Ein durchgängiger 2h-Takt kann auch mit
neun bis zehn Fahrtenpaaren gewährleistet
werden. Hier wird davon ausgegangen, dass
zu Spitzenzeiten Verstärkerfahrten notwen-
dig sein werden.
14 Eine Sonderform des SPNV-Angebotes in
Sachsen sind die dampfbetriebenen Schmal-
spurbahnen, die aber weniger als 1% des
Verkehrsangebotes ausmachen und in erster
Linie von touristischer Bedeutung sind.
15 Zusätzliches Angebot in Zugkilometern,
Umsetzung jeweils zum Fahrplanwechsel im
Dezember des Vorjahres.
16 Nachfrageschwache Abschnitte sind in rot
dargestellt. Quelle: Ergebnis der Arbeitsgrup-
pe Angebotsentwicklung in der ÖPNV-
Strategiekommission
17 Quelle: LVP 2025 und SPNV-Monitor; SPNV
einschließlich 90 km Schmalspurbahnen.
18 Quelle: eigene Darstellung
20 Hier und im Folgenden beziehen sich die
Angaben zur betroffenen Bevölkerung auf die
Einwohnerzahl der Gemeinden mit Stand
vom 31. Dezember 2014. Aufgrund beste-
hender Nahverkehrspläne und weiterer Stu-
dien wurde abgeschätzt, welcher Teil der
Bevölkerung in den Gemeinden im Einzugs-
bereich der ÖPNV-Angebote lebt.
21 Aufwendungen für zusätzliche Fahrzeuge
(Busse) wurden auf die zusätzlichen kon-
sumtiven Mittel umgelegt.
Seite 110 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
II. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb
1. Das Bildungsticket ist erklärtes Ziel der regierenden CDU/SPD-Koalition im Sächsischen Land-
tag. Es soll die Schülerbeförderung zu sachsenweit tariflich einheitlichen Rahmenbedingun-
gen sicherstellen. In der Folge wird es die Mobilitätschancen aller Schüler – ein entsprechen-
des Verkehrsangebot vorausgesetzt – und somit auch den Zugang zu Bildung und sozialer
Teilhabe erhöhen. Die damit einhergehende Bindung junger Menschen an den ÖPNV wird die
Fahrgastnachfrage dauerhaft verbessern. Bei Verkehrsverbünden und -unternehmen führt
das Bildungsticket jedoch zu erheblichen Einnahmeausfällen. Ein finanzieller Ausgleich durch
den Freistaat ist daher notwendig. Eine Modellrechnung der Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb
beziffert die hierbei auszugleichenden Mindereinnahmen auf mindestens ca. 47 Mio. EUR
jährlich. Eine Einführung des Bildungstickets zum Schuljahresbeginn 2019/2020 ist möglich,
wenn die grundsätzliche Entscheidung bis zum Ende des ersten Quartals 2018 getroffen wird.
2. In Anbetracht der steigenden Nutzerzahlen und des großen Potenzials an Fahrgästen im ver-
bundgrenzenüberschreitenden öffentlichen Verkehr sowie dem politischen- und Fahrgast-
wunsch nach einer Harmonisierung der Tarifbestimmungen ist die Einführung eines verbund-
übergreifenden Sachsen-Tarifs in Form eines Dachtarifs zu empfehlen. Der Sachsen-Tarif
muss von einer Trägerorganisation entwickelt werden, deren Einsetzung den ersten Meilen-
stein zu einem Sachsen-Tarif darstellt. Für laufende Aufwendungen der Trägerorganisation
sind ca. 1 Mio. EUR p.a. zu erwarten. Der Sachsen-Tarif soll einerseits ein attraktives Angebot
an die Fahrgäste sein, andererseits aber auch die Einnahmen der Verkehrsunternehmen si-
chern. In Abhängigkeit von der Tarifausgestaltung können deshalb zusätzlich noch auszuglei-
chende Einnahmenausfälle (Durchtarifierungsverluste) entstehen.
3. Die Digitalisierung bietet dem künftigen ÖPNV-Vertrieb in Sachsen große Chancen. Mit inno-
vativen und digitalen landesweiten Vertriebslösungen wird der Fahrkartenkauf radikal ver-
einfacht. Die Verbünde arbeiten bereits daran, dass Smartphones ertüchtigt werden für Echt-
zeitauskünfte und den Fahrkartenerwerb über mehrere Verbünde und Verkehrsmittel hin-
weg. Zentrale Voraussetzungen für digitale landesweite Vertriebslösungen in Smartphones
werden in Eigenleistung durch Verkehrsverbünde und -unternehmen erbracht. Für erweiterte
verbundübergreifende Smartcard-Lösungen ist von zusätzlichen Aufwendungen von insge-
samt 28,3 Mio. EUR bis zum Zieljahr 2025 auszugehen.
4. Der öffentliche Personennahverkehr lässt sich im Freistaat Sachsen nicht alleine aus der Nut-
zerfinanzierung finanzieren. Besonders daseinsvorsorgenahe Verkehre sind dauerhaft auf öf-
fentliche Zuwendungen angewiesen. Zukünftig kommt gegebenenfalls auch eine Nutznießer-
finanzierung in Betracht (siehe Thesenpapier der Arbeitsgruppe Finanzierung). Der Hand-
lungsspielraum von Verkehrsverbünden und -unternehmen darf in Bezug auf ihre unter-
schiedlichen Tarifstrategien und -ergiebigkeiten nicht künstlich eingeengt werden. Nötig ist
daher eine zukunftsfeste öffentliche Finanzierungskulisse, die es Unternehmen und Verbün-
den ermöglicht, zugleich marktgerechte wie am Daseinsvorsorgeauftrag ausgerichtete Tarife
zu erheben. Die vom Freistaat Sachsen über das ÖPNVFinAusG gewährten Ausgleichsmittel
fallen ca. 60 Mio. EUR p.a. hinter der Preis- und Kostenentwicklung im Ausbildungsverkehr
zurück. Daher wird eine höhere Dotierung der Ausgleichsmittel und laufende Evaluation die-
ser Aufwendungen empfohlen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 111 von 178
1. Bildungsticket
1.1 Ausgangslage und Auftrag
Die Schülerbeförderung liegt im Freistaat
Sachsen in der Zuständigkeit der Landkreise
und Kreisfreien Städte. Aus der kommunalen
Verantwortung erwuchsen unterschiedliche
Ausprägungen, die den spezifischen Anforde-
rungen vor Ort entsprechen und in die jeweili-
gen Schülerbeförderungssatzungen eingeflos-
sen sind. Dazu sind u.a. die Mindestentfer-
nungen und die Eigenanteile für die notwen-
dige Beförderung zu zählen. Landesweit gese-
hen führen die unterschiedlichen Regelungen
dazu, dass keine einheitlichen Bedingungen
für die Schülerbeförderung im Freistaat herr-
schen.
CDU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag
die Zielsetzung der Einführung eines einheitli-
chen, sachsenweit gültigen und kostengünsti-
gen Bildungstickets formuliert. Dieses soll
Schülerinnen, Schülern und Auszubildenden
über den Schulweg hinaus die Nutzung des
ÖPNV über das gesamte Jahr ermöglichen.1
Die inhaltliche Konkretisierung und monetäre
Bewertung des Vorschlags für das Bildungsti-
cket wurden auf die ÖPNV-Strategiekom-
mission übertragen.
1.2 Ansatz
Auf der Grundlage der Zielsetzung des Koaliti-
onsvertrages hat die Arbeitsgruppe Tarif und
Vertrieb die Eckpunkte eines Bildungstickets
konkretisiert:
Das Bildungsticket ist ein Angebot an alle
sächsischen Schüler und Auszubildenden,
um den ÖPNV (inkl. SPNV) im jeweiligen
Verkehrsverbund neben dem Schulweg
auch in der Freizeit ganzjährig nutzen zu
können.
Es ersetzt die bisherigen Zeitfahrauswei-
se soweit möglich und wird zu sachsen-
weit einheitlichen Bedingungen und Prei-
sen ausgegeben.
Voraussetzung für das Bildungsticket ist
eine Vereinheitlichung der Schülerbeför-
derungssatzungen im Hinblick auf die An-
spruchsvoraussetzungen. Dabei werden
Satzungsbesonderheiten einzelner Auf-
gabenträger (z.B. Stadt Leipzig, Verzicht
auf Mindestentfernungen) angemessen
berücksichtigt. Der Beförderungsan-
spruch („notwendige Beförderung“ gem.
§ 23 Abs. 3 SchulG) bleibt aber weiter z.B.
auf das Vorliegen von Mindestentfernun-
gen beschränkt.
Im Rahmen der Befassung hat die Arbeits-
gruppe Tarif und Vertrieb eine hohe Komplexi-
tät des Bildungstickets festgestellt. Kursorisch
können hierfür z.B. folgende Argumente ange-
führt werden:
Das Bildungsticket als Tarifprodukt ist
nicht mit einer Ausweitung des Verkehrs-
angebotes gleichzusetzen. Umgekehrt
kann aber eine durch das Bildungsticket
induzierte Mehrnachfrage im Schülerver-
kehr zu der Notwendigkeit punktueller
Angebotserhöhungen und damit zusätzli-
chen sprungfixen Kosten bei den Ver-
kehrsunternehmen führen.
Ein sachsenweit einheitlicher Preis kann
bei den heterogenen Angebotsniveaus
der kommunalen Aufgabenträger auf Sei-
ten der Fahrgäste als ungerecht erachtet
werden.
Eine einheitliche Preisfestsetzung für ein
Bildungsticket für alle Schüler ab der 1.
Klasse und Auszubildende würde bewusst
unterschiedliche Einkommenssituationen
bei den Nutzern (Schüler vs. Auszubil-
dende) und Benutzungshäufigkeiten (z.B.
häufigere Nutzung durch ältere Schüler in
der Freizeit) bei der Preisfindung in die-
sen heterogenen Gruppen ausblenden.
Seite 112 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
1.3 Nutzen und Kosten
Mit dem Bildungsticket würde ein ÖPNV-
Tarifangebot umgesetzt, dessen Einführung
Gegenstand der Koalitionsvereinbarung ist. In
der Folge wären die Modalitäten der Schüler-
beförderung im Freistaat Sachsen in allen
Landkreisen und Kreisfreien Städten einheit-
lich geregelt. Für den ÖPNV sind durch die
angestrebte Verstärkung der frühen Bindung
junger Menschen an öffentliche Verkehrsmit-
tel dauerhafte Fahrgastzuwächse zu erhoffen.
Das Bildungsticket wird jedoch zu Einnahme-
ausfällen bei den Verkehrsverbünden und
Verkehrsunternehmen führen, u.a. weil Fahr-
gelderlöse der heutigen Nutzer entfallen und
die Nutzungsmöglichkeiten des ÖPNV mit
Einführung des Bildungstickets zeitlich und
räumlich ausgeweitet werden. Die Höhe des
Ausgleichsbedarfs verändert sich v.a. durch
die Anzahl der das Bildungsticket nachfragen-
den Schüler und die allgemeine Tarifentwick-
lung, weshalb mit der Zeit von steigenden
jährlichen Ausgleichsbedarfen ausgegangen
wird (Dynamisierung).
Die Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb hat in
Zusammenarbeit mit den Verkehrsverbünden
in einer Modellrechnung die Einnahmeausfälle
eines solchen Angebots abgeschätzt. Hierbei
sind ein monatlicher Eigenanteil der Nutzer
von 10 EUR und stark ansteigende Nutzerzah-
len unter Schülern und Auszubildenden unter-
stellt. Im Ergebnis sind Einnahmeverluste in
einer Höhe von jährlich ca. 47 Mio. EUR ermit-
telt worden, die durch den Freistaat Sachsen
ausgeglichen werden müssen. Dieser Betrag
bildet aber noch nicht die vollständigen finan-
ziellen Effekte eines Bildungstickets ab. Nicht
in der Berechnung mit enthalten sind…
mögliche zusätzliche Ausgleichsansprü-
che gemäß ÖPNVFinAusG,
mögliche zusätzliche kommunale Auf-
wendungen im freigestellten Schülerver-
kehr,
Mehraufwendungen für Vertrieb, Fahr-
ausweisprüfung, technische Umsetzung,
Einnahmeaufteilung, Verwaltung etc.,
Aufwendungen für eine Einführungskam-
pagne und Kommunikationsarbeit,
ggf. auftretende Aufwendungen für zu-
sätzlich erforderliche Angebote und
Fahrzeugkapazitäten.
1.4 Umsetzung
Die Einführung des Bildungstickets bedarf
verschiedener vorbereitender Prozesse in
Politik und Verwaltung; mindestens sind die
folgenden zu nennen:
1. Politischer Grundsatzbeschluss zwischen
Staatsregierung und kommunalen Spit-
zenverbänden über die Einführung des
Bildungstickets und dessen detaillierte
Konzeption.
2. Befassung, Beschluss und Umsetzung von
landesrechtlichen Voraussetzungen im
Sächsischen Landtag (z.B. Haushalts- und
Schulgesetz) und kommunalrechtlichen
Regelungsfragen in den kommunalen
Vertretungen sowie Verbands- und Ge-
sellschafterversammlungen.
3. Anzeige und Veröffentlichung der Ände-
rungen der Schülerbeförderungssatzun-
gen; Tarifgenehmigung.
4. Diverse operative Prozessschritte vor der
Einführung, z.B. Umstellungen in den An-
tragsverfahren und im Vertrieb der Bil-
dungstickets sowie Schaffung der techni-
schen und abrechnungsseitigen Voraus-
setzungen für die Einführung. Der Ver-
waltungsaufwand sollte sich dabei ge-
genüber heute nicht erhöhen.
Eine Umsetzung des Bildungstickets zum
Schuljahresbeginn 2019/2020 macht es not-
wendig, spätestens bis zum Ende des ersten
Quartals 2018 diese Prozesskette zu initialisie-
ren und den Grundsatzbeschluss zu fassen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 113 von 178
2. Sachsen-Tarif
2.1 Ausgangslage und Auftrag
Im Freistaat Sachsen sind die fünf Verkehrs-
verbünde mit ihren jeweils zahlreichen Ver-
kehrsunternehmen für die Entwicklung ihrer
Verbundtarife zuständig. Fahrten innerhalb
der Verbundgrenzen sind in einer Reisekette
über mehrere Verkehrsunternehmen mit ei-
nem Fahrschein und zu einem Fahrpreis gang
und gäbe. Für bestimmte Relationen zwischen
zwei Verbünden können in Sachsen Über-
gangstarife genutzt werden.
Dazu bietet die DB AG mit dem Länderticket
ein länder- und verbundübergreifendes Tarif-
angebot für den SPNV und ÖSPV an. Dieses
preislich attraktive Länderticket Sachsen bie-
tet heute schon die Möglichkeit, alle öffentli-
chen Nahverkehrsmittel in Sachsen, Sachsen-
Anhalt und Thüringen zu nutzen. Der Erwerb
ist sehr einfach und stellt für den Freizeit- und
Einkaufsverkehr ein attraktives Angebot dar.
Unter dem Schlagwort Sachsen-Tarif sind ne-
ben dem vielfachen Wunsch von Fahrgästen
für eine vereinfachte Ticketbuchung bei ver-
bundübergreifenden Fahrten auch politische
Initiativen gebündelt, die eine Angleichung
(Harmonisierung) der Verbundtarife fordern.
Auch im Koalitionsvertrag von CDU/SPD im
Sächsischen Landtag stehen die Zielsetzungen
einer stärkeren Harmonisierung der Tarifrege-
lungen und eines landesweit gültigen Sachsen-
Tarifs nebeneinander.2
Dies hat besonderen Widerhall in dem Antrag
gefunden, mit dem der Sächsische Landtag in
seiner 9. Sitzung die Einsetzung der ÖPNV-
Strategiekommission beschlossen hat. Dort
sind mit…
der Darstellung von Optimierungsmög-
lichkeiten […] der Tarif- und Beförde-
rungsbestimmungen im sächsischen
ÖPNV/SPNV
und der Ermittlung von Lösungsvorschlä-
gen zur Harmonisierung der Tarif- und
Beförderungsbestimmungen im Freistaat
Sachsen
konkrete Aufforderungen an die Strategie-
kommission zu dieser Thematik formuliert.3
2.2 Ansatz
Der Wunsch vieler Fahrgäste liegt in der An-
gleichung (Harmonisierung) der Verbundtari-
fe, um die Nutzung des öffentlichen Verkehrs
bei tarifgrenzenüberschreitenden Fahrten zu
vereinfachen. Die Arbeitsgruppe teilt diese
Zielsetzung. Mit der sachsenweiten Verein-
heitlichung der Beförderungsbedingungen
haben die Verbünde einen wichtigen Harmo-
nisierungsschritt erreicht. Die lokale/regionale
Verantwortung für Tarife und Vertriebsstrate-
gien auf Ebene der Verkehrsunternehmen und
Verkehrsverbünde ist aber zweifellos als Er-
folgsfaktor für den sächsischen ÖPNV anzuse-
hen. Daher ist aus Sicht der Arbeitsgruppe
keine vollständige Harmonisierung der Ta-
rifregelungen anzustreben. Ohnehin werden
digitale Vertriebslösungen in naher Zukunft
den Kauf von Fahrkarten über Verbundgren-
zen hinweg ermöglichen.
Davon unbenommen hat die Arbeitsgruppe
die Notwendigkeit eines verbundübergreifen-
den Tarifs im sächsischen ÖPNV festgestellt.
Sie hat das grundlegende Design eines solchen
Sachsen-Tarifs anhand der Integrationsstufen
von anderen Landestarifen diskutiert (Ber-
lin/Brandenburg, Niedersachsen, NRW,
Schleswig-Holstein). Einhellig wird das Modell
eines Dachtarifs nach dem Vorbild in Nord-
rhein-Westfalen präferiert, was jedoch eine
Ablösung der Unternehmenstarife im sächsi-
schen SPNV notwendig macht.
Der Sachsen-Tarif als Dachtarif ist damit ein
eigenständiger Tarif für Verbundgrenzen
überschreitende Fahrten in allen öffentlichen
Verkehrsmitteln in Sachsen. Erhalten bleiben
die Verbundtarife für Fahrten innerhalb der
Verbundgrenzen – und damit auch die Vortei-
le einer regionalen Differenzierung.
Zentrale Voraussetzung für einen Sachsen-
Tarif ist die Schaffung einer Trägerorganisati-
on. Diese hat die Aufgabe, die beteiligten Ak-
teure zu integrieren und zu koordinieren so-
wie weitere Festlegungen und Entwicklungen
am Sachsen-Tarif vorzunehmen, z.B.:
Seite 114 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Konzeption und (Weiter-) Entwicklung
des Tarifs.
Wahl des Fahrausweissortiments und des
Preisbildungsmechanismus.
Umsetzung der gestaffelten Integration
in die ÖPNV-Vertriebskanäle (zunächst
v.a. digitaler Vertrieb) und Entwicklung/
Abstimmung der Vertriebsaktivitäten der
Verbünde.
Aufteilung der Einnahmen.
Die Arbeitsgruppe schlägt vor, die Trägerorga-
nisation, ähnlich wie in NRW, in einem der
sächsischen Verkehrsverbünde einzubetten.
Damit können Synergien realisiert werden,
z.B. durch die gemeinsame Nutzung von Res-
sourcen.
2.3 Nutzen und Kosten
Mit dem Sachsen-Tarif wird eine kunden-
freundliche Lösung für die wachsende Zahl
von tarifgrenzen- und verkehrsmittelüber-
schreitenden Fahrten in Sachsen geschaffen.
Nicht nur für touristische Nutzer wird er ein
attraktives Angebot darstellen, weil über den
Sachsen-Tarif ein erweitertes Sortiment ange-
boten werden soll. Zudem wird damit Einfluss
auf die Gestaltung des Eisenbahntarifs im
Freistaat Sachsen genommen. Die Trägeror-
ganisation stellt sicher, dass das Tarifangebot
und die Tarifentwicklung von den Verbünden
und Unternehmen gestaltet werden.
Für die Ausstattung der Trägerorganisation
v.a. mit Personal und Sachressourcen schätzt
die Arbeitsgruppe einen Aufwand von ca. 1
Mio. EUR pro Jahr.
Erfolgsvoraussetzung für den Sachsen-Tarif
wird auch sein, preislich zu überzeugen. Aus
diesem Grund springt eine reine Addition von
unterschiedlichen Tarifen zu kurz. Da gleich-
zeitig auch das Ziel der Einnahmensicherung
verfolgt wird, können, zumindest übergangs-
weise, Durchtarifierungsverluste entstehen,
die den Verkehrsunternehmen auszugleichen
sind. Der Umfang dieser Ausgleiche verlangt
detaillierte Berechnungsschritte und kann
daher in diesem Planungsstand noch nicht
valide geschätzt werden. Mit Blick auf die
Erfahrungen aus anderen Ländern kann über-
schlägig ein jährlicher Aufwand zwischen 5
und 15 Mio. EUR p.a. veranschlagt werden.
2.4 Umsetzung
Voranzustellen ist die Gründung einer Träger-
organisation. Dies stellt den Startpunkt für
den Sachsen-Tarif dar. Die Trägerorganisation
kann voraussichtlich noch im Jahr 2018 ge-
gründet werden.
Die Trägerorganisation ist im Weiteren zu-
ständig für…
die Erstellung der planerischen Grundla-
gen,
die Entwicklung und Abstimmung des
Tarifmodells und des Einnahmenauftei-
lungsverfahrens mit den beteiligten Akt-
euren,
die Tarifgenehmigung,
die vertriebliche Umsetzung und
die laufende Begleitung/Entwicklung.
Die Arbeitsgruppe schlägt vor, die Umsetzung
der Einführung des Sachsen-Tarifs stufenweise
vorzunehmen:
1. Zeitnahe Einführung einer Tageskarte
Sachsen als Pauschalpreisticket (frühes-
tens 12 Monate nach Einrichtung der Trä-
gerorganisation).
2. Mittelfristige Einführung des Vollsorti-
ments (frühestens 2-3 Jahre nach politi-
schem Beschluss) und Umsetzung des lan-
desweiten Vertriebs des Sachsen-Tarifs
über Smartphone-Lösung.
3. Langfristige Einbindung in alle Vertriebs-
kanäle.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 115 von 178
3. Digitaler Vertrieb
3.1 Ausgangslage und Auftrag
Die Digitalisierung eröffnet auch Verkehrs-
bünden und Verkehrsunternehmen große
Chancen. Digitale Angebote existieren bislang
innerhalb der bestehenden Tariflandschaft,
national und bei Verbünden. Beispielsweise
sind Handytickets für Fahrten innerhalb jedes
Verkehrsverbunds in Sachsen erhältlich, je-
doch nicht für Relationen über die Verbund-
grenzen hinweg. Der digitale Vertrieb bietet
die Möglichkeit, diese Tarifgrenzen kunden-
freundlich zu überwinden.
Die allgegenwärtigen technischen Entwicklun-
gen in der Informationstechnologie macht
diese Situation für Branchenfremde schwer
verständlich. Regionale und überregionale
Tarifangebote sollten verfügbar, Angebote
anderer Anbieter in die Plattformen der Ver-
bünde integrierbar sein. Voraussetzung hier-
für ist eine enge digitale Vernetzung der Ak-
teure. Was einfach klingt ist in der Umsetzung
aufwändig, da im ÖPNV zahlreiche eigenstän-
dige Systeme mit unterschiedlichen techni-
schen Schnittstellen zu vernetzen sind. Sächsi-
sche Kompetenz hat einen nationalen Stan-
dard für die Vernetzung von unterschiedlichen
Tarifen geschaffen und soll weiter genutzt
werden.
Der Wunsch nach leistungsstarken Ticketing-
systemen im ÖPNV ist auch in Sachsen groß.
Dies spiegelt sich im CDU/SPD-
Koalitionsvertrag wider, der als ein Ziel be-
nennt, im Rahmen der Digitalen Offensive
Sachen mobile Zahlungslösungen für Fahr-
scheine im ÖPNV auf den Weg zu bringen.4
3.2 Ansatz
„Einfach fahren, egal wo.“ Zielsetzung künfti-
ger Vertriebslösungen muss sein, dass Fahr-
gäste den ÖPNV möglichst einfach und überall
nutzen können – und dabei nur ein Minimum
an Aufmerksamkeit dem Fahrkartenkauf wid-
men müssen. Dies setzt voraus, dass Preis-
und Reiseauskünfte in Echtzeit bei der Bu-
chung zur Verfügung stehen und Tickets auch
verbundübergreifend von der Start- zur Ziel-
haltstelle gebucht werden können – idealer-
weise auch unter Einschluss von Dritten, z.B.
von Sharing- oder Mietwagenanbietern.
Im Ergebnis wird sich die Sicht von Fahrgästen
auf den ÖPNV wandeln und ihn attraktiver
machen. Während heute noch der Fahr-
scheinkauf (mindestens die Vergewisserung,
dass man seinen Fahrschein dabei hat) integ-
ral mit einer Fahrt verwoben ist, werden
schon bald die Voraussetzungen geschaffen,
dass künftig nur noch die Beförderungsleis-
tung in Anspruch genommen werden kann.
Die Arbeitsgruppe hat die Vor- und Nachteile
von unterschiedlichen Vertriebslösungen dis-
kutiert. Im Ergebnis sieht sie vor allem soge-
nannte account-basierte Systeme als erstre-
benswert an. Fahrgäste müssen dabei die
Fahrtberechtigung nicht selber mitführen,
sondern identifizieren sich nur noch mit ihrem
Kundenkonto (account), das auf verschiede-
nen Nutzermedien (z.B. Smartcard, Smart-
phone, Kreditkarte, …) gespeichert sein kann.
Auch die Abrechnung wird im Hintergrundsys-
tem vorgenommen. Dies hat zur Folge, dass
die Buchung und Abrechnung aufwändiger
Reiseketten nicht im Nutzermedium selber
sondern auf leistungsstarken Servern durchge-
führt wird – dadurch steigt die Rechenge-
schwindigkeit und sinkt die Schnittstellenan-
forderung an die Nutzermedien immens. Da-
mit sind auch die Voraussetzungen für die
Einführung von nutzungsabhängigen Tarifen
(„e-Tarife“) gegeben, die eine Fahrpreisbe-
rechnung erst nach der Fahrt vornehmen.
Die Arbeitsgruppe hat sich auf die Skizzierung
von Strategien für Smartphone und Smartcard
konzentriert. Hierfür können für beide Nut-
zermedien bereits bestehende Vertriebslö-
sungen weiterentwickelt werden, wie z.B. die
in Sachsen vorhandenen Handyticket-
Applikationen.
Für die Smartphones werden die techni-
schen Anpassungen bereits durch die
Verbünde und Unternehmen vorgenom-
men. Vorrangig ist hier die Einrichtung
und Pflege eines zentralen Tarifservers
notwendig, der die verschiedenen Tarif-
module beinhaltet und über einen offe-
Seite 116 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
nen, standardisierten Zugang verfügt.
Diese ist die Schnittstelle für die Ver-
kaufssysteme z.B. der Verkehrsunter-
nehmen mit den Kundenkontos ihrer
Fahrgäste und rechnet die anfallenden
Tarife in einer Reisekette unter den be-
teiligten Verbünden ab. Darüber hinaus
sind auch die Handyticketapplikationen
der Verbünde (HTD, easy.go) an diesen
Standard anzupassen und die vertragli-
chen Grundlagen für die gegenseitige
Freigabe/Anerkennung der Tarife zu
entwickeln, um darüber eine verbund-
übergreifende Reisekette buchen zu kön-
nen.
Zentrale Voraussetzung für eine sach-
senweite Vertriebslösung im Bereich der
Smartcards ist eine gemeinsame Aktion
zur Ertüchtigung und laufenden Pflege
der Hintergrundsysteme der Verbünde.
Dies ist Voraussetzung dafür, dass ein
Fahrgast in mehreren Verbünden mit
derselben Smartcard den ÖPNV benutzen
kann. Darüber hinaus ist für die Verwen-
dung der Smartcards in den Fahrzeugen –
die je nach Systemlogik (CiCo, CiBo, …)
notwendige – Infrastruktur (z.B. Termi-
nals, Validatoren, …) zu beschaffen und
einzubauen.
Um die Akzeptanz zu sichern sieht die Arbeits-
gruppe die Notwendigkeit, trotz der kommen-
den Verbesserung der Vertriebssysteme im
digitalen Bereich auch alle bisherigen Ver-
triebskanäle mindestens mittelfristig weiter zu
pflegen.
Landesweite Vertriebslösungen können dar-
über hinaus durch eine unterstützende orga-
nisatorische Einbettung gefördert werden, z.B.
durch ein Andocken an einer Trägerorganisa-
tion für den Sachsen-Tarif. Diese könnte die
Verbünde dabei unterstützen, ihre Vertriebs-
aktivitäten (ggf. auch über die Ländergrenzen
hinaus) untereinander zu harmonisieren, z.B.
bei der Evaluation der Vertriebsportfolios, der
Entwicklung von Vertriebskonzepten, der Un-
terstützung von Beschaffungsvorgängen der
Vertriebstechnik (Standardisierung, Bünde-
lung), oder der Begleitung laufender For-
schungs- und Entwicklungsaktivitäten.
3.3 Nutzen und Kosten
Innovative und digitale landesweite Vertriebs-
lösungen werden den Zugang zu öffentlichen
Verkehrsmitteln vereinfachen. In Zukunft
können Fahrgäste beispielsweise eine ver-
bundübergreifende Reisekette auf ihrem
Smartphone anzeigen, auswählen und bu-
chen. Die bisher notwendige Tarifkenntnis
entfällt.
Die Arbeitsgruppe schlägt die modulare Ein-
führung von digitalen Vertriebslösungen für
Smartphone und Smartcard vor. Das Nutzer-
medium Smartphone wird wegen der rasche-
ren und günstigeren Umsetzbarkeit priorisiert:
Die Maßnahmenumsetzung für moderne
digitale Vertriebslösungen mit dem Nut-
zermedium Smartphone wird bereits
durch die sächsischen Verkehrsverbünde
durchgeführt. Bei den hierfür notwendi-
gen Mittel kann von insgesamt ca. 2 Mio.
EUR ausgegangen werden. Die Verbünde
beabsichtigen, diese Aufwendungen sel-
ber zu tragen. Insoweit entstehen also
keine zusätzlichen Aufwendungen.
Im Fall einer Umsetzung der Smartcard-
Funktionalitäten wird ein Investitionsbe-
darf für die Entwicklung und Inbetrieb-
nahme von Schnittstellenprodukten so-
wie die Ausstattung der Fahrzeuge mit
Vertriebsinfrastruktur von sachsenweit
insgesamt ca. 18,5 Mio. EUR veran-
schlagt. Hinzu kommen zusätzliche lau-
fende Aufwendungen für die dauerhafte
Pflege und Fortentwicklung der Hinter-
grundsysteme und die Administration der
Vertriebsinfrastruktur von ca. 0,6 Mio.
EUR p.a. Mit weiteren Einmalaufwänden
z.B. für die Planung und Vergabe von
Leistungen summieren sich konsumtiver
und investiver Mehraufwand im Bereich
Smartcards auf insgesamt ca. 28 Mio.
EUR bis zum Jahr 2025.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 117 von 178
3.4 Umsetzung
Im Jahr 2019 kann mit der Einführung von
einer landesweiten Vertriebslösung für das
Smartphone in Sachsen und Mitteldeutsch-
land gerechnet werden. Diese sieht eine für
die Reisekette durchgehende Preis- und Rei-
seauskunft ebenso vor wie den Kauf eines
Fahrscheins „auf Knopfdruck“. Die hierfür
(branchenintern) nötigen Schritte sind:
Kooperationsvereinbarung und Einrich-
tung einer Projektgruppe zwischen den
beteiligten Verbünden und Unterneh-
men.
Kooperationsvereinbarung für die Ein-
richtung einer sachsenweiten bzw. mit-
teldeutschen Preis- und Fahrplanaus-
kunft.
Abbilden aller beteiligten Tarife als Ta-
rifmodul nach PKM und Betreiben eines
gemeinsamen Tarifservers.
Anpassung der Endanwendungen (z.B.
VVO mobil, HTD, easy.go etc.) mit dem
Tarifserver.
Abschluss von Vereinbarungen zur ge-
genseitigen Anerkennung der Tarife in
Mitteldeutsch-land sowie weitere Ver-
einbarungen (z.B. zur gegenseitigen Ab-
rechnung von Verkaufsvor-gängen).
Darauf aufsetzend sind zur Implementierung
von digitalen landesweiten Vertriebslösungen
für eine Smartcard-basierte Vertriebslösung
weitere Maßnahmenschritte nötig. Die An-
schaffung und Implementation von Schnitt-
stellenprodukten als wichtiger Schritt der Ver-
netzung der Hintergrundsysteme der Verbün-
de kann frühestens ab 2019 vorgenommen
werden. Eine Ausrüstung der Fahrzeuge und
ggf. Haltestellen ist ab 2020 möglich.
4. Nutzerfinanzierung
4.1 Ausgangslage und Auftrag
Fahrgelderlöse besitzen in der ÖPNV-
Finanzierung eine hohe Relevanz. Verkehrsun-
ternehmen und Verkehrsverbünde bestimmen
auf lokaler/regionaler Ebene die Tarife. Diese
werden an Gegebenheiten wie den Umfang
und die Qualität des Verkehrsangebots genau-
so angepasst wie an Verkehrsbedürfnisse und
lokale Preissensitivitäten.
Die Bewertung der Nutzerfinanzierung kann
nicht unabhängig von den verfügbaren öffent-
lichen Zuwendungen für den ÖPNV vorge-
nommen werden. Gerade daseinsvorsorgena-
he Verkehre sind nicht alleine aus Fahrgeld-
einnahmen finanzierbar und dauerhaft auf
verlässliche Finanzmittel vom Freistaat und
von den kommunalen Aufgabenträgern ange-
wiesen. Ist die Mittelverfügbarkeit von Aufga-
benträgern erschöpft, steht streng genommen
nur eine stärkere Nutzerfinanzierung oder die
substanzielle Einführung einer Nutznießerfi-
nanzierung als Alternative bereit.
4.2 Ansatz
Das Marktsegment des Ausbildungsverkehrs
ist in besonderem Maße daseinsvorsorgenah.
Dies manifestiert sich in den ermäßigten
Fahrpreisen, für die Schüler und Auszubilden-
de den ÖPNV in Anspruch nehmen können.
Verkehrsunternehmen sind diese Minderein-
nahmen durch den Freistaat auszugleichen.
Dies wird in Sachsen im ÖPNVFinAusG vorge-
nommen, über das den kommunalen Aufga-
benträgern aktuell (2017) 60,1 Mio. EUR. zu-
gewiesen werden.
Damit sind jedoch nur anteilig die Kosten ab-
gegolten, die im Ausbildungsverkehr, insbe-
sondere durch die Beförderungspflicht im
Schülerverkehr, den Verkehrsunternehmen
entstehen. Verschiedene politische Entschei-
dungen (z.B. freie Schulwahl, Schließung von
Schulstandorten) haben in den vergangenen
Jahren zu wachsenden Aufwendungen ge-
führt, ohne dass die Ausgleichsleistungen sub-
stanziell angepasst worden wären. Ein Gut-
achten beziffert die Höhe der strukturellen
Unterfinanzierung anhand der Berechnungs-
methodik des § 45a PBefG auf 60 Mio. EUR.
Die künftige Dynamisierung der Mittel des
ÖPNVFinAusG von 1,8 % p.a. wird helfen, die
laufenden Kostensteigerungen abzufangen,
z.B. der Personal- und Treibstoffkosten. Sie
Seite 118 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
wird jedoch nicht die Unterfinanzierung auf-
fangen können.
Langfristig kann eine solche Deckungslücke
nicht fortbestehen. Um z.B. eine Erhöhung der
Fahrpreise zu verhindern empfiehlt die Ar-
beitsgruppe, dass
1. die öffentliche Finanzierungskulisse im
Hinblick auf die Sicherung und Weitergabe
der Instrumente des Bundes (RegG, Ent-
flechtungsmittel) an die kommunale Ebe-
ne allgemein auszubauen und zu versteti-
gen ist,
2. der geplante Sachsen-Tarif die Tarifergie-
bigkeit der Verbünde nicht untergräbt,
3. der Umfang der Aufwendungen im Ausbil-
dungsverkehr (inkl. freigestelltem Ver-
kehr) laufend zu evaluieren und transpa-
rent darzustellen sind,
4. die festgestellte Unterfinanzierung durch
eine entsprechende Erhöhung der Zuwen-
dungen des Freistaats im ÖPNVFinAusG
auszugleichen sind. Diese Mittel finanzie-
ren die Nutzung des ÖPNV durch Schüle-
rinnen und Schüler zu ermäßigten Fahr-
preisen. Eine entsprechende Erhöhung
würde die kommunalen Schülerbeförde-
rungsträger und Fahrgäste entlasten.
4.3 Nutzen und Kosten
Jede Erhöhung der Ausgleichszahlungen für
den Ausbildungsverkehr durch den Freistaat
Sachsen entlastet die kommunalen Aufgaben-
träger und Fahrgäste in gleicher Höhe.
Verkehrsunternehmen würden damit in die
Lage versetzt, Kostensteigerungen zu kom-
pensieren, die nicht durch den Produktivitäts-
zuwachs ausgeglichen werden können. Damit
könnte auch Spielraum geschaffen werden für
anteilige Eigenmittel für Investitionen und
Innovationen.
4.4 Umsetzung
Eine Erhöhung der Ausgleichszahlungen im
ÖPNVFinAusG bedarf einer Gesetzesänderung
sowie der entsprechenden Deckung im Haus-
halt.
1 d.h. dem für Verkehr zuständigen Bundes-
ministerium.
2 „Sachsens Zukunft gestalten – Koalitions-
vertrag 2014 bis 2019“, S. 47.
3 SLT-Drs. 6/1067
4 „Sachsens Zukunft gestalten – Koalitions-
vertrag 2014 bis 2019“, S. 29.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 119 von 178
III. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Infrastruktur und Fahrzeuge
Zielstellung
1. Eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur und der Einsatz komfortabler und umwelt-
freundlicher Fahrzeuge mit ausreichender Platzkapazität sind wesentliche Grundvorausset-
zungen für einen attraktiven und für alle Bürger uneingeschränkt nutzbaren ÖPNV (öffentli-
cher Personennahverkehr) im Freistaat Sachsen.
2. Planung, Bau, Beschaffung und Vorhaltung von Infrastruktur und Fahrzeugen sind sehr kapi-
talintensiv und langfristig angelegt. Die zugehörigen Angebots- und Infrastrukturplanungen
müssen mittel- bzw. langfristig Bestand haben und absehbare künftige Bedarfsänderungen
bereits möglichst frühzeitig berücksichtigen.
3. Bei der Festlegung von Förderkriterien und Fördermitteln ist vor diesem Hintergrund eine
langfristige Finanzierungssicherheit zu gewährleisten.
Ersatzinvestitionen ÖSPV
4. Die bisher erreichte Qualität im ÖPNV kann nur gesichert werden, wenn die Verkehrs- und
Infrastrukturbetreiber anstehende Ersatzinvestitionen zum wirtschaftlich optimalen Zeit-
punkt realisieren können.
5. Es werden Mittel von in Summe 225 Mio. EUR pro Jahr benötigt, um den Status quo im ÖSPV
(öffentlicher Straßenpersonennahverkehr) durch regelmäßige Ersatzinvestitionen (Fahrzeuge
und Infrastruktur) zu erhalten. Für die Finanzierung dieser Ersatzinvestitionen sollten För-
dermittel in Höhe von mindestens 141 Mio. EUR pro Jahr im Landesinvestitionsprogramm
(LIP) bereitgestellt werden. Die Kommunen und Verkehrsunternehmen sollten ihrerseits ei-
nen erforderlichen Eigenanteil zur Erhaltung der Bestandsinfrastruktur und -fahrzeuge er-
bringen.
Barrierefreiheit
6. Die Herstellung der Barrierefreiheit soll dem Mobilitätsbedürfnis möglichst vieler Bürger
Rechnung tragen. Zur Umsetzung der gesetzlich fixierten Zielstellung einer vollständigen Bar-
rierefreiheit im ÖPNV ist eine Intensivierung der Anstrengungen aller relevanten Akteure er-
forderlich. Zur Herstellung der Barrierefreiheit der ÖSPV-Haltestellen sind durch den Freistaat
Sachsen und die Kommunen bis 2030 Mittel in Höhe von ca. 377 Mio. EUR insgesamt bzw. ca.
29 Mio. EUR jährlich erforderlich. Damit könnte bis 2030 ein angemessener Ausbaugrad reali-
siert werden. Die Fördermittelvergabe ist durch den Freistaat Sachsen mit Anreizen zu verse-
hen, die eine Intensivierung der Herstellung der Barrierefreiheit befördern.
7. Dazu nehmen die Aufgabenträger, Kommunen und Verkehrsunternehmen möglichst gemein-
sam auf der Grundlage einer belastbaren Bestandsaufnahme eine sinnvolle Priorisierung für
die Umrüstung der ÖSPV-Haltestellen vor.
Seite 120 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
8. Bis zur Erreichung der Barrierefreiheit im ÖPNV sind in den Nahverkehrsplänen geeignete
technische und organisatorische Maßnahmen zu verankern, um die Anmeldefristen für die
Nutzung des ÖPNV-Angebotes durch Fahrgäste mit Behinderungen zügig spürbar zu verrin-
gern.
Investitionen für Angebots- und Kapazitätserweiterungen in den Oberzentren (Dres-den, Leipzig, Chemnitz, Görlitz1, Plauen, Zwickau)
9. Um die hohe Attraktivität und Leistungsfähigkeit des ÖPNV bei den prognostizierten Nachfra-
gesteigerungen in den Ballungszentren (Dresden, Leipzig, Chemnitz) beizubehalten, sind ka-
pazitätssteigernde Investitionen für Fahrzeuge und Infrastruktur erforderlich. Dies betrifft
insbesondere die Städte Dresden und Leipzig.
10. Der zusätzliche Investitionsbedarf zur Bewältigung der prognostizierten Nachfragesteigerun-
gen in den Ballungszentren und zur Attraktivitätssicherung des ÖPNV in den Oberzentren
liegt im Zeitraum 2019 – 2030 bei mindestens 474 Mio. EUR insgesamt bzw. bei ca. 40 Mio.
EUR jährlich (Fortschreibungsszenario). Dies erfordert eine angemessene Förderung durch
den Freistaat Sachsen.
11. Die verkehrs- und umweltpolitischen Zielstellungen der Bundesregierung (Klimaschutzpro-
gramm 2050, Bestrebungen zur weiteren Begrenzung verkehrsbedingter Immissionen) und
der Ballungszentren zielen auf eine signifikante Erhöhung des ÖPNV-Anteils am Modal Split
ab. Für die hierfür erforderlichen Kapazitäts- und Netzerweiterungen sind im Zeitraum 2019 –
2030 zusätzliche Investitionsbedarfe von ca. 484 Mio. EUR erforderlich (Wachstumsszenario).
Im Einklang mit der verkehrlichen Entwicklung und unter Berücksichtigung des erforderlichen
zeitlichen Vorlaufes würde der Investitionsschwerpunkt in den Jahren 2024 – 2030 liegen. In
diesem Zeitraum müssten dafür ca. 65 Mio. EUR pro Jahr bereitgestellt werden.
12. Bisher decken die Förderprogramme des Freistaates Sachsen die genannten Mehrbedarfe
nicht ab. Dieses strukturelle Defizit an Fördermitteln für den aufwachsenden ÖPNV in den
Ballungszentren ist zu schließen.
Digitalisierung und Elektromobilität
13. Zur Sicherung der Attraktivität und Zukunftsfähigkeit des ÖPNV sollten der Freistaat Sachsen,
Aufgabenträger und Unternehmen den Einsatz innovativer Fahrzeuge und digitaler Technolo-
gien im ÖPNV weiter vorantreiben bzw. fördern.
14. Die Verkehrsunternehmen sollten in die Lage versetzt werden, weitere Anwendungserfah-
rungen zu sammeln und anwendungsreife Lösungen zügig auszurollen. Hierfür sind für den
ÖSPV in den Oberzentren im Zeitraum 2019 – 2030 zusätzliche Investitionen in Höhe von ca.
227 Mio. EUR, d.h. bis zu ca. 19 Mio. EUR jährlich erforderlich (Digitalisierung, erste Anwen-
dungen Elektrobus). Hinzu kommen derzeit noch nicht bezifferbare Mehrbedarfe für die flä-
chendeckende Einführung digitaler Technologien im ÖPNV in Mittelzentren und im ländlichen
Raum.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 121 von 178
Regionale Eisenbahninfrastruktur
15. Der Freistaat Sachsen soll gemeinsam mit dem Bund verstärkt auf eine Regionalisierung der
Eisenbahninfrastruktur hinwirken, um das vorhandene Effizienzpotenzial beim Betrieb der
regionalen Eisenbahninfrastruktur zu heben.
16. Voraussetzung für die Regionalisierung ist die gesicherte Bereitstellung von Finanzmitteln für
den Bestandserhalt der regionalen Eisenbahninfrastruktur durch den Bund an den Freistaat
Sachsen oder die regionalen Infrastrukturbetreiber.
Umsetzungsstrategie / Handlungsempfehlungen
17. Zur Abdeckung der anstehenden Investitionsbedarfe sind der Freistaat Sachsen, Kommunen
und Verkehrsunternehmen aufgerufen, eine gemeinsame Finanzierungsstrategie zu entwi-
ckeln und regelmäßig fortzuschreiben. Die Maßnahmen sind dabei so zu bündeln, dass der
Anteil der Bundes- und EU-Förderung maximiert werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass der bisherige Finanzrahmen der Investitionsförderung im Freistaat Sachsen bereits mit
den anstehenden Investitionen zur Sicherung des Bestandsangebotes im ÖSPV überschritten
wird.
18. Bei der Maßnahmenplanung und Fördermittelvergabe sind folgende Prioritäten zu berück-
sichtigen:
1. Als Grundvoraussetzung für die Erhaltung eines angemessenen Niveaus im sächsischen
ÖSPV sind anstehende Ersatzinvestitionen in jedem Falle abzusichern.
2. Die Mittel zur Herstellung der Barrierefreiheit bis 2030 sind zeitgerecht bereitzustellen
(Schwerpunkt ÖSPV-Haltestellen).
3. Der Ausbau des ÖPNV zum Vorrangsystem in den Ballungsräumen ist im Einklang mit den
Rahmenplanungen der Kommunen zügig voranzutreiben. Hierbei sind zunächst die bereits
geplanten Maßnahmen und die durch das Bevölkerungswachstum erforderlichen Kapazitäts-
erweiterungen abzusichern. Nachfolgend ist der weitere Ausbau der ÖPNV-Bedienung zur Er-
reichung der angestrebten Modal-Split-Ziele systematisch voranzutreiben.
4. Die Förderrichtlinien sind so weiterzuentwickeln, dass verkehrlich sinnvolle Angebotsaus-
weitungen und innovative Bedienkonzepte im ländlichen Raum insbesondere durch eine an-
gemessene Fahrzeugförderung unterstützt werden können.
5. Die Verkehrsunternehmen sind darüber hinaus durch Anschubfinanzierungen in die Lage
zu versetzen, Linienbusse mit elektrischem Antrieb auf ausgewählten Linien zu etablieren
sowie weitere Digitalisierungsvorhaben schnell umzusetzen.
Seite 122 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
1. Investitionsbedarf
1.1 Ersatzinvestitionen
Das ÖPNV-System im Freistaat Sachsen wurde
in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten grund-
legend modernisiert. Hierzu gehörten neben
der Modernisierung der Straßenbahninfra-
strukturen auch Bushaltestellen und War-
tungseinrichtungen sowie die kontinuierliche
Erneuerung der Fuhrparks (Straßenbahnen
und Omnibusse). Somit wird im bundesweiten
Vergleich ein hoher Standard bzgl. des Zu-
standes von Infrastruktur und Fahrzeugen
erreicht. Ergebnis ist eine hohe Nutzerakzep-
tanz, die sich vor allem auf nachfragestarken
Relationen in steigenden Nutzerzahlen mani-
festiert.
Zur Sicherung der Attraktivität des Verkehrs-
angebotes im öffentlichen straßengebunde-
nen Personennahverkehr müssen Kommunen
und Verkehrsunternehmen in die Lage ver-
setzt werden, die Leistungsfähigkeit und Ver-
fügbarkeit der vorhandenen Infrastrukturen
und Fahrzeugflotten im Rahmen von Ersatzin-
vestitionen dauerhaft zu gewährleisten. Ne-
ben einer angemessenen Wartung und In-
standhaltung durch die Unternehmen beinhal-
tet dies Investitionen in den Ersatz von Infra-
strukturkomponenten und Fahrzeugen nach
dem Ende ihrer optimalen Nutzungsdauer.
Werden diese Ersatzinvestitionen nicht zeitge-
recht getätigt, führt dies zu höheren Kosten
für die Instandhaltung, einer abnehmenden
Verfügbarkeit von Fahrzeugen und Anlagen
sowie langfristig zu Substanzverzehr und einer
spürbaren Minderung der Attraktivität des
ÖPNV. Nur durch zeitgerechte Ersatzinvestiti-
onen kann die laufende Modernisierung des
Systems gewährleistet werden, da üblicher-
weise in Fahrzeuge und Anlagen nach dem
jeweils aktuellen Branchenstandard investiert
wird.
Der Freistaat Sachsen leistet mit dem Landes-
investitionsprogramm (LIP) einen wesentli-
chen Beitrag zur Sicherung der Finanzierung
von Infrastruktur und Fahrzeugen, insbeson-
dere im ÖSPV. Zur Finanzierung des Pro-
gramms werden neben Bundes- und EU-
Mitteln auch Landesmittel verwendet. Die
bisherige Investitionsförderung ist vorder-
gründig auf Neu- und Ausbaumaßnahmen und
weniger auf den Ersatz bestehender Anlagen
und Fahrzeuge ausgerichtet. Ein wesentlicher
Anteil wurde auch für die Kofinanzierung von
Großvorhaben im Schienenpersonennahver-
kehr (SPNV) verwendet (Citytunnel Leipzig,
Chemnitzer Modell, S-Bahn Dresden). Ange-
sichts der hohen Leistungsfähigkeit der Be-
standsinfrastruktur und der kommenden Ent-
wicklungen ist der Erhalt des Bestandes zu-
künftig stärker zu priorisieren.
Der konkrete Reinvestitionsbedarf im ÖSPV ist
von vielen Faktoren abhängig und wird im
Rahmen der laufenden Investitionsplanung
durch die Verkehrsunternehmen ermittelt und
fortgeschrieben. Einen hinreichend genauen
Anhaltspunkt zum jährlichen Investitionsbe-
darf für Ersatzinvestitionen gibt die im Auftrag
des Verbandes Deutscher Verkehrsunterneh-
men (VDV) durchgeführte ETC-Studie2. Basie-
rend auf einer Erhebung des Anlagenbestan-
des durch die Verkehrsunternehmen wurde
ein jährlicher Mittelbedarf für Ersatzinvestiti-
onen im ÖSPV von ca. 225 Mio. EUR (Stand
2013) ermittelt. Dieser verteilt sich wie nach-
folgend dargestellt auf die Gebietskörper-
schaften und Sachanlagen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 123 von 178
Durchschnittlicher Bedarf Ersatzinvestitionen im ÖSPV
Investitionsgegenstand Gebietskörperschaften Investitionsbedarf
[Mio. EUR pro Jahr]
Fördermittelbedarf3
[Mio. EUR pro Jahr]
Infrastruktur (Straßenbahn-
netz, Betriebshöfe, Haltestel-
len, RBL, Vertrieb)
Ballungszentren 82,5 61,9
Sonstige Oberzentren
(Görlitz, Plauen, Zwickau)
12,0 9,0
Landkreise 20,3 15,2
Fahrzeuge (Bus) Ballungszentren 10,2 5,1
Sonstige Oberzentren
(Görlitz, Plauen, Zwickau)
1,0 0,5
Landkreise 44,8 22,4
Fahrzeuge (Straßenbahn) Ballungszentren 45,8 22,9
Sonstige Oberzentren
(Görlitz, Plauen, Zwickau)
8,0 4,0
Landkreise 0,4 0,2
Gesamtsumme 225,0 141,2
Tab. 1: Bedarf Ersatzinvestitionen ÖSPV
Unterstellt man in Anlehnung an die bisherige
Förderpraxis die Anwendung der aktuellen
Regelförderhöchstsätze4 (Infrastruktur: 75%,
Fahrzeuge: 50%) ergibt sich daraus ein not-
wendiger Fördermittelbedarf von ca. 141 Mio.
EUR jährlich.
Ergänzend zur Nutzerfinanzierung werden
hierfür auch künftig in nahezu allen Bereichen
Fördermittel eine wesentliche Finanzierungs-
säule sein müssen. Die vorhandene Investiti-
onsförderung im Freistaat Sachsen ist daher
so weiterzuentwickeln, dass die Finanzierung
von Ersatzinvestitionen im ÖSPV auch zukünf-
tig sichergestellt werden kann. Dies gilt für die
Erhaltung des heutigen Bestandes aber auch
für absehbare Erweiterungen von Anlagen und
Fuhrparks.
Die Entwicklung und Finanzierung der Infra-
struktur im SPNV ist Aufgabe des Bundes. Die
Kosten für den Fahrzeugeinsatz und die Infra-
strukturnutzung im SPNV werden im Wesent-
lichen über Bestellerentgelte der Zweckver-
bände aus Regionalisierungsmitteln des Bun-
des getragen.
1.2 Barrierefreiheit
Der ÖPNV soll im gesamten Freistaat Sachsen
zur Verfügung stehen. Ein wichtiges Element
zu dessen Erfüllung ist die Teilhabe mobili-
tätseingeschränkter Personen am ÖPNV durch
eine barrierefreie Ausrüstung von Haltestellen
und Fahrzeugen. Schätzungsweise 20% der
Bevölkerung sind dauerhaft oder zeitweise auf
unterschiedliche Weise mobilitätseinge-
schränkt. Barrierefreiheit bezieht sich neben
den Belangen körperbehinderter Menschen
auch auf die Belange sinnesbehinderter Men-
schen und auf die von Menschen mit kogniti-
ven Einschränkungen. Hinzu kommen Perso-
nen, die aus unterschiedlichen Gründen eben-
falls auf einen barrierefreien ÖPNV angewie-
sen sind (z.B. Personen mit Gepäck oder Kin-
derwagen). Barrierefreiheit ist nicht nur eine
gesetzliche Auflage, sie liegt auch im Eigenin-
teresse der Verkehrsunternehmen und Aufga-
benträger. Ihnen ist es ein Anliegen, möglichst
allen Bürgern eine durchgängige, selbständige
Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen.
Mit der Neufassung des Personenbeförde-
rungsgesetzes (PBefG) wurde eine Frist für die
Herstellung von Barrierefreiheit für den ÖSPV
verankert. Diese ist mit dem 1. Januar 2022
sehr eng gefasst. Allerdings erkennt der Bun-
desgesetzgeber, dass eine vollständige Um-
setzung bis zu diesem Zeitraum unwahrschein-
lich ist und definiert zwei wesentliche Aus-
nahmen: In den Nahverkehrsplänen oder
durch die Länder selbst können abweichende
Zeitpläne fixiert werden. Ebenso können die
Seite 124 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Länder Ausnahmen von der Barrierefreiheit
bestimmen, wenn aus bestimmten Gründen
(z.B. baulich) eine Umrüstung nicht durch-
führbar ist. Hervorzuheben ist in diesem Zu-
sammenhang das Regel-Ausnahme-Prinzip,
d.h. Barrierefreiheit ist die Regel, Ausnahmen
hiervon sind konkret zu benennen und zu be-
gründen.
In Sachsen hat sich in den letzten Jahren be-
reits eine kontinuierliche und konstruktive
Dialogkultur zwischen allen Beteiligten (Auf-
gabenträger, Baulastträger, Interessenvertre-
tungen) entwickelt. Darauf aufbauend hat
auch die Arbeitsgruppe Infrastruktur und
Fahrzeuge den Austausch mit den Verbänden
gesucht. Dies betraf insbesondere die Ausei-
nandersetzung mit Ausnahmetatbeständen,
Maßnahmenpriorisierung und Definition des
Zielzustandes. Hervorzuheben sind in diesem
Zusammenhang die Ergebnisse des Projektes
„ÖPNV/SPNV für alle“. Die in diesem Projekt
erarbeiteten technischen und betrieblichen
Anforderungen bilden aus Sicht der Arbeits-
gruppe eine gute Grundlage für die Bestim-
mung des Zielzustandes und die Entwicklung
konkreter Umsetzungsmaßnahmen. Die
schnellstmögliche Herstellung vollständiger
Barrierefreiheit ist das gemeinsame Ziel aller.
Angesichts des engen Zeit- und Finanzrah-
mens sowie aus sachlichen Erwägungen wird
jedoch in Abstimmung mit den Interessenver-
tretern der Behindertenverbände folgende
Strategie empfohlen:
Zeitrahmen: Grundsätzlich gilt es, das Ziel
einer umfassenden Barrierefreiheit bis
2022 anzustreben. Dies ist allerdings aus
planerischer, baulicher und finanzieller
Perspektive nicht darstellbar. Die Ar-
beitsgruppe interpretiert das PBefG je-
doch dahingehend, dass eine Umrüstung
auch bis zum Jahr 2030 im Einklang mit
dessen Vorgaben wäre. Angesichts plane-
rischer und baulicher Aspekte ist diese
Erweiterung des Zeitplans sinnvoll. Hier-
für sind die Umrüstschritte durch die Ak-
teure vorab zu kommunizieren und ihre
Umsetzung dann auch einzuhalten.
Umrüstziel: Eine vollständige Umrüstung
aller Haltestellen im Freistaat Sachsen ist
sowohl aus finanziellen als auch aus
technischen Erwägungen kaum zu leisten
und entspricht in der Absolutheit auch
nicht der Forderung der Betroffenen.
Entscheidend ist ein Ausbaugrad, der ei-
ne möglichst flächendeckend barriere-
freie Erreichbarkeit sichert. Nach Ein-
schätzung der Betroffenen ist dies gege-
ben, wenn die in Tabelle 2 dargestellten
Ausbaugrade erreicht werden. Die darge-
stellten Ausbauziele werden auch vom
Beauftragten der Sächsischen Staatsre-
gierung für die Belange von Menschen
mit Behinderungen mitgetragen.
Kategorie Status quo Zielzu-
stand
ÖSPV-Haltestellen
Städte
Ländlicher Raum
30 – 40%
5%
60 -70%
>50%
Straßenbahn-fahrzeuge
>80%
100% Linienbusse
Stadtverkehr
Regionalverkehr
90%
60%
SPNV-Zugangsstellen 25% 45%
SPNV-Fahrzeuge 50% 80%
Tab. 2: Barrierefreiheit - Ausbaugrad Status quo und
Zielzustand 20305
Zu priorisieren ist dabei zunächst die ÖPNV-
Infrastruktur an zentralen Umsteigeknoten
und wichtigen Fahrtzielen (z.B. Wohngebiete,
Ärztehäuser, Einkaufsmöglichkeiten). Daher
wurde eine differenzierte Umrüststrategie
vorgeschlagen, in Abhängigkeit von der Größe
der jeweiligen Kommune. Ausgehend von der
differenzierten Umrüstung und dem erarbei-
teten Zeitplan (vollständige Erreichung Zielzu-
stand bis 2030) wurde unter Bezug des derzei-
tigen Umrüststandes in der Arbeitsgruppe
eine überschlägige Abschätzung des Mittelbe-
darfs vorgenommen. Ausgehend von der Tat-
sache, dass bereits heute nur noch in barriere-
freie Anlagen und Fahrzeuge investiert wird,
wurde dieser zusätzlich erforderliche Investi-
tionsbedarf um die im Zeitraum ohnehin an-
fallenden Ersatzinvestitionen vermindert.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 125 von 178
In Summe wurde auf Grundlage einer Ab-
schätzung ein Gesamtfinanzierungsbedarf von
jährlich 29 Mio. EUR (davon Landesförde-
rungsbedarf von 22 Mio. EUR pro Jahr) ermit-
telt, um die von der Arbeitsgruppe Infrastruk-
tur und Fahrzeuge empfohlenen Umrüstziele
bis 2030 zu erreichen. Dies umfasst ca. 90
Straßenbahnhaltestellen (inkl. erforderliche
Straßenbahnmaßnahmen) sowie 13.500 Bus-
haltestellen. Hinzu kommen noch im Regelfall
notwendige Mehraufwendungen für ergän-
zende Maßnahmen der Straßenbaulastträger
im Haltestellenumfeld, deren Abschätzung
erst nach Vorliegen konkreter Planungen mög-
lich ist. Eine Abschätzung des Investitionsbe-
darfes für Fahrzeuge wurde nicht vorgenom-
men, da diese im Rahmen der typischen Nut-
zungsdauer (z.B. Linienbusse ca. 8 - 10 Jahre)
in wenigen Jahren vollständig barrierefrei sein
dürften. Voraussetzung ist auch in diesem
Sinne eine stabile Finanzierungssituation, die
zeitgerechte Ersatzinvestitionen durch die
Verkehrsunternehmen ermöglicht.
Eine Besonderheit stellt der Eisenbahnverkehr
dar: Die Schiene ist nicht vom Regelwerk des
PBefG betroffen. Allerdings macht das Eisen-
bahnrecht den Eisenbahnen (Infrastrukturbe-
treiber und Verkehrsunternehmen) Vorgaben
zur Barrierefreiheit. Verantwortlich für die
Umrüstung von Stationen sind demnach
grundsätzlich die Unternehmen. Im Freistaat
Sachsen sind die Stationen der NE-Bahnen
(Nichtbundeseigene Eisenbahnen) alle stufen-
frei erreichbar, bei den Stationen der DB AG
sind dies schätzungsweise 75% (Stand 2015).
Zum stufenfreien Ein- und Ausstieg werden
zusätzliche Schiebetritte zur Spaltüberbrü-
ckung zwischen Bahnsteigkante und Fahr-
zeugboden benötigt. Für Neufahrzeuge wird
diese Technik i.d.R. durch die Aufgabenträger
vorgegeben. Für Altfahrzeuge wäre eine kos-
tenintensive Nachrüstung erforderlich.
Der Freistaat Sachsen und die SPNV-
Aufgabenträger unterstützen den Ausbau von
Verkehrsstationen punktuell mit Mitteln aus
dem LIP sowie dem Regionalisierungsgesetz.
Abschließend gibt die Arbeitsgruppe Infra-
struktur und Fahrzeuge folgende Empfehlun-
gen:
Zur Umsetzung der gesetzlich fixierten
Zielstellung einer vollständigen Barriere-
freiheit im ÖPNV innerhalb des oben ge-
nannten Zeitrahmens ist eine Intensivie-
rung der Anstrengungen aller relevanten
Akteure erforderlich. Dies betrifft insbe-
sondere die Herstellung der Barrierefrei-
heit der ÖSPV-Haltestellen. Ausgehend
von einem zusätzlichen Investitionsbe-
darf von 377 Mio. EUR insgesamt bzw.
29 Mio. EUR jährlich im Zeitraum 2018 –
2030 sind hierfür bis 2030 zusätzliche
Fördermittel in Höhe von ca. 22 Mio. EUR
jährlich bereit zu stellen. Unverzichtbar
ist, im SPNV am sächsischen Bahnsteig-
höhenkonzept festzuhalten. Alle Fahr-
zeugbeschaffungen (aktueller Bestand
und geplante Beschaffungen) sind eben-
falls auf dieses Bahnsteighöhenkonzept
(Bahnsteighöhe 55 cm) ausgerichtet.
Von den Zweckverbänden, Kommunen
und Verkehrsunternehmen ist für den
ÖSPV eine Umrüststrategie bis zum Ziel-
zustand im Jahr 2030 zu entwickeln. Da-
bei ist der konstruktive Dialog mit den
Verbänden fortzusetzen. Gemeinsam ist
eine sinnvolle Priorisierung zur Umset-
zung dieses Schwerpunktes vorzuneh-
men, um sicherzustellen, dass möglichst
kurzfristig viele Nutzer von den umge-
setzten Ausbaumaßnahmen profitieren.
Bei der Vergabe von Fördermitteln soll
die fehlende Barrierefreiheit von Förder-
vorhaben grundsätzlich ein Ausschlusskri-
terium darstellen. Die Fördermittel-
vergabe soll darüber hinaus mit der
Schaffung von zusätzlichen Anreizen ver-
bunden werden, welche die beteiligten
Akteure motivieren ihre Anstrengungen
zur Herstellung der Barrierefreiheit zu in-
tensivieren (z.B. Übernahme von Pla-
nungskosten).
Für ein bedarfsgerechtes Angebot an bar-
rierefreien Taxen im Freistaat Sachsen
wird zudem ein Förderbaustein für die
erforderlichen Mehrkosten der Fahr-
zeugausrüstung empfohlen.
Seite 126 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Ist die Barrierefreiheit noch nicht voll-
ständig gegeben, besteht an vielen Stel-
len die Möglichkeit, nach Voranmeldung
eine personenunterstützte Einstiegshilfe
oder Taxi-Ersatzbeförderung zu nutzen
oder den Einsatz eines barrierefreien
Fahrzeuges anzufordern. Bis zur Errei-
chung der vollständigen Barrierefreiheit
im ÖPNV sind in den Nahverkehrsplänen
geeignete technische und organisatori-
sche Maßnahmen zu verankern, um die
damit verbundenen Anmeldefristen zügig
spürbar zu verringern.
Den jeweils zuständigen Akteuren (Verkehrs-
unternehmen, Aufgabenträgern) wird ergän-
zend empfohlen:
Ein sachsenweit abgestimmtes einheitli-
ches Blindeninformationssystem einzu-
setzen
Zur Erleichterung der Nutzung des ÖPNV
durch Menschen mit kognitiven Ein-
schränkungen Tarifinformationen, Fahr-
planaushänge, Netzpläne und diverse
Hinweise in Fahrzeugen und im Bereich
der Zugangsstellen in „Leichter Sprache“
zu gestalten
Das Fahr- und Servicepersonal für die be-
sonderen Belange von Menschen mit Be-
hinderungen zu sensibilisieren und den
Umgang mit diesen zu schulen
Weiterhin eng mit den etablierten Ar-
beitsgruppen im Rahmen der Projekte
„ÖPNV/SPNV für alle“ sowie den Behin-
dertenbeauftragten und -beiräten zu-
sammenzuarbeiten.
1.3 Angebots- und Kapazitätserweiterun-gen in den Oberzentren
Sicherung der Attraktivität des ÖPNV bei
wachsender Bevölkerung (Fortschreibungs-
szenario)
Bei Fortsetzung des derzeitigen Bevölke-
rungswachstums ist mit einem Anstieg der
Verkehrsnachfrage in den Ballungszentren um
ca. 14% bis 2030 zu rechnen. Dies betrifft ins-
besondere die Städte Dresden und Leipzig.
Damit werden die Leistungsgrenzen des be-
stehenden ÖPNV-Systems in den Ballungszen-
tren bis 2030 erreicht und punktuell über-
schritten. Um der Gefahr einer sinkenden
Attraktivität des ÖPNV-Angebotes infolge
Kapazitätseinschränkung entgegen zu wirken,
sind zusätzliche Investitionen in Infrastruktur
und Fahrzeuge erforderlich. Diese umfassen in
erster Linie die Beschaffung längerer und brei-
tere Fahrzeuge mit höherer Platzkapazität,
inkl. der dazu notwendigen Infrastrukturan-
passungen (Betriebshöfe, Haltestellen, schritt-
weise Ertüchtigung von Bestandsstrecken für
Straßenbahnen mit größerer Wagenkasten-
breite in Dresden und Leipzig). Das Erfordernis
zur Weiterführung dieser langfristig angeleg-
ten Strategie resultiert auch aus den aktuellen
Bedürfnissen der ÖPNV-Kunden, die einen
steigenden Raumbedarf in den Fahrzeugen zur
Folge haben (z.B. Stellflächen zur Gewährleis-
tung der Barrierefreiheit, möglichst hoher
Sitzplatzanteil, nicht zu eng wirkende Durch-
gangsbereiche).
Darüber hinaus sind die bereits beschlossenen
Netzerweiterungen zügig umzusetzen. Dies
betrifft insbesondere das Stadtbahnprogramm
2020 in der Landeshauptstadt Dresden sowie
die weitere Umsetzung der Maßnahmen des
Chemnitzer Modells.
Der aus den genannten Maßnahmen resultie-
rende Finanzierungs- und Fördermittelbedarf
ist in Tabelle 3 beispielhaft für das Jahr 20256
dargestellt. Zusätzlich wird der summarische
Gesamtmittelbedarf bis 2030 ausgewiesen.
Dabei wird unterstellt, dass alle Maßnahmen
mit den derzeit geltenden Regelförder-
höchstsätzen des LIP durch den Freistaat
Sachsen gefördert werden und die kommuna-
le Ebene einen Kofinanzierungsanteil erbrin-
gen kann. Die Angaben für die Ballungszen-
tren basieren auf einer Abschätzung der Ver-
kehrsunternehmen anhand der aktuellen Pla-
nungsstände. Zusätzlich wird ein Pauschalwert
für die Oberzentren Görlitz, Plauen, Zwickau
ausgewiesen, der analog zu den Ballungszen-
tren punktuelle Maßnahmen zur Attraktivi-
tätssteigerung des ÖSPV ermöglicht.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 127 von 178
Investitionsbedarf Fortschreibungsszenario (Beispieljahr 2025)
Gebietskörperschaften Investitionsgegenstand Investitionsbedarf
[Mio. EUR 2025]
Anteil
Freistaat7
[Mio. EUR 2025]
Anteil
Kommunen, VU
[Mio. EUR, 2025]
Ballungszentren
(Chemnitz, Dresden,
Leipzig)
Infrastrukturerweiterungen 27,0 20,3 6,8
Fuhrparkerweiterungen 21,4 10,7 10,7
Sonstige Oberzentren
(Görlitz, Plauen, Zwickau)
Infrastruktur- und
Fuhrparkerweiterungen
2,0 1,2 0,8
Summe Beispieljahr 2025 50,4 32,2 18,3
Gesamtbedarf 2019-2030 474,0 308,3 165,7
Tab. 3: Zusatzbedarf in Oberzentren zum Erhalt der Attraktivität des ÖPNV im Status quo
Erhöhung des Modal Splits in den Ballungszen-
tren (Wachstumsszenario)
Die Verkehrsentwicklungsplanungen der drei
Großstädte streben darüber hinaus eine deut-
liche Reduzierung des MIV-Anteils an der städ-
tischen Gesamtverkehrsleistung an. Hierzu soll
der Anteil des Umweltverbundes8 auf bis zu
70% gesteigert werden9. Damit würde ein
wesentlicher Beitrag zur Verwirklichung der
umwelt- und klimapolitischen Zielstellungen
auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene
geleistet. Der Anteil des ÖPNV an der städti-
schen Gesamtverkehrsleistung müsste zur
Erreichung dieser ambitionierten Ziele auf
25% – 30% gesteigert werden. Dies entspricht
einem Anstieg der Verkehrsleistung im ÖSPV
um bis zu 66% (vgl. Abbildung 1).
Im Freistaat Sachsen ist eine verstärkte Hin-
wendung der Stadtbevölkerung zu umwelt-
freundlichen Mobilitätsangeboten erkennbar.
Durch den Ausbau des ÖPNV zum Vorrangsys-
tem in den Ballungszentren Dresden, Leipzig
und Chemnitz können diese Potenziale ausge-
schöpft und der Straßenverkehr in den Städ-
ten trotz steigender Einwohnerzahlen redu-
ziert bzw. begrenzt werden.
Eine Stärkung des Umweltverbundes führt zu
verschiedenen positiven Effekten, die insge-
samt zu einer Verbesserung der Lebensquali-
tät in den Städten und Verdichtungsräumen
beitragen:
Reduzierung des Flächenbedarfs für den
MIV in den wachsenden Städten (insb.
weniger Parkplätze in Wohn- und Ge-
werbegebieten)
Vermeidung von Staus in Verkehrsspitzen
Reduzierung verkehrsbedingter lokaler
Emissionen sowie Verringerung des CO2-
Ausstoßes durch Begrenzung bzw. Rück-
gang der Pkw-Fahrleistung.
Verringerung des Erhaltungs- und Aus-
bauinvestitionsbedarfes für Straßeninfra-
struktur durch Begrenzung bzw. Rück-
gang der Pkw-Fahrleistung
Die dafür erforderliche grundlegende Auswei-
tung des ÖSPV-Angebotes umfasst weitere
Taktverdichtungen auf bestehenden Achsen
sowie zusätzliche Erweiterungen des Linien-
netzes zur Verbesserung der Erreichbarkeit
von Wohnquartieren und Gewerbestandor-
ten.
Dazu sind weitere Investitionen in Infrastruk-
turen und Fahrzeuge erforderlich. Dies be-
trifft:
Investitionen in zusätzliche Fahrzeuge für
Angebotsverdichtung und Ausweitung
der räumlichen Erschließung.
Seite 128 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Abb. 1: Entwicklung der ÖSPV-Verkehrsleistung in den Ballungszentren bis 203010
; Prozentantangaben Änderungen ge-
genüber Status quo (2014)
Die Einrichtung zusätzlicher Haltestellen
(z.B. verbesserte Quartierserschließung).
Die Erweiterung der Straßenbahnnetze
(Aufwertung aufkommensstarker
Busachsen, zusätzliche Neubaustrecken
zur Entlastung hochbelasteter Innen-
stadtabschnitte und Verkehrsknoten, z.B.
in Leipzig).
Nach erster Einschätzung der Verkehrsunter-
nehmen sind hierfür im Zeitraum 2019 – 2030
ca. 484 Mio. EUR insgesamt bzw. ca. 48 Mio.
EUR jährlich zusätzlich zu den Maßnahmen
des Fortschreibungsszenarios zu investieren,
wovon in Anlehnung an die bisherige Förder-
praxis und -quoten etwa 347 Mio. EUR insge-
samt bzw. ca. 35 Mio. EUR jährlich aus Landes-
und Bundesmitteln aufzubringen wären (vgl.
Tabelle 4). Mit Rücksichtnahme auf den erfor-
derlichen Planungsvorlauf ist davon auszuge-
hen, dass der Investitionsschwerpunkt etwa in
den Jahren 2024-30 liegen wird. In diesem
Zeitraum wären im Schnitt ca. 65 Mio. Euro
jährlich zu investieren. Hierfür wären ca. 47
Mio. Euro Fördermittel pro Jahr bereitzustel-
len. Hinzu kommen noch ca. 26 Mio. Euro für
erste Vorlaufmaßnahmen (ab 2020). Zu be-
achten ist, dass bei dieser Modellrechnung
ausreichend verfügbare Mittel unterstellt
werden.
Ein großer Anteil der erforderlichen Mittel
wird für den Ausbau des Straßenbahnnetzes
benötigt. Der Investitionsschwerpunkt liegt
dabei in den Jahren nach 2024 bis 2030. Auf-
grund langfristiger Planungshorizonte müssen
auch diese Maßnahmen zeitnah angegangen
werden. Die geplanten Maßnahmen beider
Szenarien bauen daher aufeinander auf.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 129 von 178
Investitionsbedarf Wachstumsszenario (Beispieljahr 2025)
Gebietskörperschaften Investitionsgegenstand
Investitions-
bedarf
[Mio. EUR,
2025]
Anteil
Freistaat11
[Mio. EUR,
2025]
Komm. An-
teil, VU
[Mio. EUR,
2025]
Ballungszentren
(Chemnitz, Dresden,
Leipzig)
Infrastrukturerweiterungen 42,7 32,0 10,7
Fuhrparkerweiterungen 0,012
0,0 0,0
Summe Beispieljahr 2025 42,7 32,0 10,7
Gesamtbedarf 2019-2030 484,0 347,0 137,0
Tab. 4: Zusatzbedarf Oberzentren zur Erhöhung des ÖV-Anteils am Modal Split (Wachstumsszenario)
1.4 Digitalisierung und Elektromobilität
Im Hinblick auf die langfristige Sicherung der
Zukunftsfähigkeit des ÖPNV-Systems sind die
Bestrebungen der Verkehrsunternehmen zum
Einsatz alternativer Antriebskonzepte und zur
weiteren Digitalisierung von Betrieb und In-
standhaltung zu unterstützen. Im Mittelpunkt
stehen dabei die Ablösung des klassischen
Dieselantriebes und die verstärkte Hinwen-
dung zur Elektromobilität ohne flächende-
ckende Fahrleitungsinfrastruktur.
Durch die Umrüstung erster Linien bzw. Teil-
netze auf innovative Fahrzeuge können die
Verkehrsunternehmen wertvolle Erfahrungen
sammeln. Gleichzeitig wird die Kundenwahr-
nehmung des ÖPNV als umweltfreundliche
Alternative und innovatives System gefördert.
Darüber hinaus wird das Engagement der
Hersteller motiviert, schnellstmöglich wirt-
schaftlich tragfähigere Lösungen anzubieten.
Aufgrund der derzeitig noch höheren Beschaf-
fungspreise und zumindest in der Anfangspha-
se höherer Lebenszykluskosten für Fahrzeuge
mit innovativen Antrieben ist eine Kompensa-
tion der Mehraufwendungen der Verkehrsun-
ternehmen durch eine geeignete Investitions-
förderung für Fahrzeuge und zugehörige Infra-
struktur (z.B. Ladeinfrastruktur) zunächst noch
elementare Voraussetzung für eine zügige
Umsetzung innovativer Antriebskonzepte.
Daher ist ein geeigneter Rahmen zur Förde-
rung erster Anwendungen im Regelbetrieb
anzustreben. Entscheidend für den ökonomi-
schen Erfolg solcher Antriebskonzepte wird
die Frage sein, ob sich ausreichend Stückzah-
len erzielen lassen, um die Marktpreise zu
mindern. Einkaufsgemeinschaften der Ver-
kehrsunternehmen im ÖSPV sowie größere
Lose im SPNV können hierbei unterstützend
wirken.
Nach Einschätzung der Verkehrsunternehmen
werden für erste Schritte zur Einführung von
Elektrobussen im Regelbetrieb in den Bal-
lungszentren im Zeitraum 2019 bis 2030 ca.
108 Mio. EUR insgesamt bzw. ca. 9 Mio. EUR
jährlich benötigt (Bereitstellung Ladeinfra-
struktur/Energieversorgung, Kompensation
Fahrzeugmehrkosten).
Darüber hinaus ist die Erschließung der
Potenziale der Digitalisierung durch die
Verkehrsunternehmen und Infrastruk-
turbetreiber unterstützenswert. Neben
dem elektronischen Vertrieb gibt es eine
Reihe weiterer Anwendungsfelder, die
zum Abbau von Zugangshemmnissen und
zur Effizienzsteigerung bei Planung, Con-
trolling und Betrieb beitragen können.
Hierzu zählen beispielsweise:
Verbesserung der Voraussetzungen für
Multi- und Intermodalität
verkehrsfluss- und pünktlichkeitsabhän-
gige ÖPNV-Beschleunigung
Bereitstellung digitaler Unterstützung für
Personen mit Mobilitätseinschränkungen
Seite 130 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
(Mobilgeräte, Assistenz im Fahrzeug und
auf dem Bahnsteig usw.)
Unterstützung der Umsetzung flexibler
Bedienformen im ländlichen Raum und
zur Quartiererschließung durch intelli-
gente Planungs-, Dispositions- und Bu-
chungssysteme
weitere Modernisierung der vorhande-
nen Betriebsleitsysteme für den klassi-
schen ÖPNV (flächendeckende intermo-
dale Anschlusssicherung, Echtzeit-
Auskunftsfähigkeit, intelligentes Stör-
fallmanagement, verkehrs- und betriebs-
lageabhängige ÖPNV-Bevorrechtigung an
Knotenpunkten)
Verbesserung von Sicherheit, Betriebs-
qualität und Energieeffizienz im straßen-
und schienengebundenen Verkehr durch
Fahrerassistenzsysteme
intelligente Fahrzeuginstandhaltung (Zu-
standsüberwachung, Sammlung von Be-
triebsdaten, Werkstattmanagementsys-
teme, digitalisierte Ersatzteilfertigung).
Nach Einschätzung der Verkehrsunternehmen
wären für Digitalisierungsvorhaben bis 2030
ca. 96 Mio. EUR bzw. 8 Mio. EUR jährlich für
die drei Ballungszentren Leipzig, Dresden und
Chemnitz erforderlich (u.a. für Automatisie-
rungsprozesse bei Betriebshofmanagement
und Lagerlogistik, Weiterentwicklung Kunden-
servicefunktionen, wie z.B. Implementierung
verkehrsträgerspezifischer und verkehrsträ-
gerübergreifender digitaler Assistenzfunktio-
nen in den Auskunfts- und Fahrgastinformati-
onssystemen). Hinzu kommen derzeit noch
nicht bezifferbare Aufwendungen zur Herstel-
lung adäquater Verhältnisse in den Landkrei-
sen. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist dabei
die Verbesserung der Vernetzung von Ver-
triebs- und Informationsinfrastruktur.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Kos-
tendrucks und der Notwendigkeit der Kon-
zentration auf das Tagesgeschäft können die
Verkehrsunternehmen erforderliche personel-
le und materielle Ressourcen für die Überfüh-
rung von Innovationen in den Regelbetrieb
nur eingeschränkt aus Eigenmitteln bereitstel-
len. Erstrebenswert sind daher Gemein-
schaftsvorhaben mehrerer Unternehmen so-
wie ggf. eine temporäre Unterstützung bei
Vorbereitung und Begleitung von Innovations-
vorhaben.
2. Regionalisierung Eisenbahninfrastruk-tur
Eine leistungsfähige Schieneninfrastruktur
bildet die Grundlage des Eisenbahnverkehrs.
Das sächsische Eisenbahnnetz hat eine Ge-
samtlänge von 2.416 km, wovon ca. 10% in
Verantwortung von NE-Bahnen liegt. Der
überwiegende Teil des sächsischen Eisen-
bahnnetzes wird von der DB Netz AG betrie-
ben.
Zum Betrieb der Eisenbahninfrastruktur gehö-
ren insbesondere alle Maßnahmen zum Bau
und zum Unterhalt des Gleisnetzes sowie der
Sicherungs- und Leittechnik. Die Finanzierung
unterscheidet sich nach Eigentümerschaft. Für
alle Netze gilt, dass die laufenden Einnahmen
der Infrastrukturbetreiber von den Ländern im
Rahmen der SPNV-Bestellungen getragen
werden. Gerade bei der DB Netz AG hatten
sich diese Kosten in der Vergangenheit von
der Entwicklung der Regionalisierungsmittel
entkoppelt. In der Vergangenheit konnte die
Entwicklung durch (erstmalige) Ausschreibung
von Bestellleistungen teilweise aufgefangen
werden. Mit der Preisbremse des am 2.9.2016
in Kraft getretenen Eisenbahnregulierungsge-
setzes (ERegG) wird es zukünftig zwar eine
gleichlaufende Dynamisierung von Infrastruk-
turentgelten und Regionalisierungsmitteln
geben. Allerdings blieb die Ausgangsbasis auf
dem hohen Preisniveau der Vorjahre.
Dabei hat es auch bei der DB Netz AG Bestre-
bungen gegeben, die Organisation und Durch-
führung des Betriebes effizienter zu gestalten.
Strecken, die überwiegend regionalen Ver-
kehrsbedürfnissen dienen wurden in soge-
nannten Regionalnetzen zusammengefasst. In
Sachsen ist dies bei den von der Erzgebirgs-
bahn betriebenen Strecken der Fall. Allerdings
bestehen kaum Anreize, die Kosten für den
Betrieb regionaler Eisenbahninfrastruktur zu
senken und diese Vorteile an die Nutzer wei-
terzugeben. Die Regionalisierung unter dem
Dach der DB Netz AG ist daher zumindest in
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 131 von 178
Sachsen mit Blick auf die Infrastrukturkosten
gescheitert.
Dabei zeigt die Beobachtung des Marktes in
den vergangenen Jahren, dass günstigere
Trassenpreise bei regionaler Infrastruktur
möglich sind. Bundesweit finden sich hierfür
Beispiele von NE-Bahnen. Deren Kostenvortei-
le sind u.a. darauf zurückzuführen, dass ver-
mehrt schlanke Lösungen zum Einsatz kom-
men, die auf die spezifische Situation vor Ort
zugeschnitten sind und Aufwendungen wie
Konzernumlagen oder hohe Kapitalverzinsun-
gen entfallen. Die operative Umsetzung lässt
sich über unterschiedliche Modelle erreichen
(z.B. Pacht von DB-Infrastruktur). Dabei ist
darauf zu achten, dass die DB Netz AG über
den Abgabepreis (Pacht oder Verkaufspreis)
nicht erhebliche Teile der Kostenersparnis
absorbiert. Auch ist im Zuge der Regionalisie-
rung von DB-Infrastruktur darauf hinzuwirken,
dass Bundesmittel für diese Infrastruktur an
die neuen Betreiber ausgereicht werden.
Die regionale bzw. kommunale Verankerung
der Eisenbahninfrastruktur im Freistaat Sach-
sen böte die Chance, die Entwicklung der Ei-
senbahninfrastruktur vor Ort aktiver steuern
zu können. In Frage kommen im sächsischen
Nebennetz der DB Netz AG jene Strecken, die
vorrangig oder allein vom SPNV befahren
werden und keine überregionale Bedeutung
haben. Gemessen am derzeitigen Angebots-
umfang ergibt sich somit ein grob geschätztes
Potenzial von ca. 8,5 Mio. EUR jährlich, die
durch eine Regionalisierung der Infrastruktur
erzielt werden könnten. Diese Mittel könnten
dann für Angebotsverbesserungen oder inves-
tive Maßnahmen (z.B. Modernisierung Fahr-
zeugflotte, Stationsausbau) genutzt werden.
Die Arbeitsgruppe Infrastruktur und Fahrzeu-
ge spricht sich daher dafür aus, die Vorausset-
zungen für alternative Betreibermodelle im
Regionalnetz zu schaffen. Gegenüber Bund
und DB AG ist durch den Freistaat Sachsen
dazu auf die erforderlichen Änderungen der
rechtlichen Rahmenbedingungen und die Um-
setzung hinzuwirken. Zugleich müssen inte-
ressierte Infrastrukturbetreiber (NE-Bahnen)
und Kommunen diesen Umwandlungsprozess
vorantreiben. Eine Sicherstellung der erforder-
lichen Finanzmittel ist zu gewährleisten, z.B.
Investitionszuschüsse sowie langfristige Be-
stellgarantien für den SPNV.
3 Umsetzungsstrategie und Handlungs-empfehlungen
3.1 Bereitstellung der Investitionsmittel für den ÖSPV
Hauptfinanzierungsquelle für Infrastrukturin-
vestitionen ist neben den Eigenmitteln der
Verkehrsunternehmen und Kommunen das
ÖPNV-Landesinvestitionsprogramm (LIP).
Stellt man die anfallenden Infrastrukturinves-
titionen den bei Fortschreibung der aktuellen
Planung verfügbaren Mitteln gegenüber,
ergibt sich anhand der Vorschauwerte für das
repräsentative Beispieljahr 2025 eine Unter-
deckung von ca. 136 Mio. EUR pro Jahr (siehe
Tabelle 5). Dabei wird bereits unterstellt, dass
die Finanzierungsquellen des LIP weiter in der
derzeitigen Höhe, inkl. GVFG-Bundespro-
gramm, EU-Mittel und RegG-Mittel zur Verfü-
gung stehen. Dies stellt aus Sicht der Arbeits-
gruppe Infrastruktur und Fahrzeuge die Un-
tergrenze für die Investitionsförderung dar.
Mehr noch: Dieses strukturelle Defizit ist mit
dem Ziel zu schließen, eine Umsetzung der
erforderlichen Investitionsmaßnahmen im
Rahmen einer konsistenten Investitionspla-
nung zu ermöglichen. Dazu sind folgende
Schritte erforderlich:
1. Die Entwicklungsziele und die zugehöri-
gen Investitionsmaßnahmen und Investi-
tionsvolumina sind in enger Abstimmung
zwischen Kommunen und Verkehrsun-
ternehmen zu konkretisieren und auf der
Zeitschiene einzuordnen. Dies sollte u.a.
im Rahmen der Fortschreibung der
kommunalen Verkehrsentwicklungspläne
bzw. der Nahverkehrspläne erfolgen, die
um zweckentsprechende Ausführungen
zur Investitionsplanung ergänzt werden
sollten.
2. Darauf aufbauend sind die Mittel bereit-
zustellen, um das aufgezeigte strukturelle
Defizit an Fördermitteln (Landesinvestiti-
onsprogramm) von ca. 136 Mio. EUR pro
Seite 132 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Jahr (siehe Tabelle 5) zu schließen. Dazu
gehören eine entsprechende Ausgestal-
tung des Landesinvestitionsprogramms
durch den Freistaat Sachsen, aber auch
die Aufbringung der Eigenmittel auf
kommunaler und unternehmerischer
Ebene.
3. Die Anstrengungen zum Erhalt bestehen-
der Fördermittel und zur Akquise neuer
Fördermittel für den ÖPNV sind seitens
des Freistaates Sachsen zu intensivieren,
um die gesteckten Ziele zu erreichen und
eine möglichst langfristige Planungssi-
cherheit zu schaffen. Für bestehende
Förderquellen ist eine möglichst langfris-
tige Zweckbindung anzustreben. Hierbei
ist auch eine mindestens gleichwertige
Ersatzlösung zur Sicherung der bisher
nach dem EntflechtG für den ÖPNV ver-
fügbaren Bundesfinanzierung zu finden.13
4. Maßnahmen sollten nach Möglichkeit
über Gebietskörperschaftsgrenzen hin-
weg so gebündelt werden, dass der An-
teil an Bundes- und EU-Förderung maxi-
miert werden kann. Dies betrifft in erster
Linie die Inanspruchnahme von Mitteln
des GVFG-Bundesprogramms sowie von
Mitteln für den Einsatz innovativer Lö-
sungen.
Der Mittelbedarf für eine abgestimmte Ver-
kehrs- und Förderplanung ist in Tabelle 5 zu-
sammengefasst und für das repräsentative
Beispieljahr 2025 exemplarisch modelliert,
wobei eine ausreichende Mittelverfügbarkeit
unterstellt wird. Dabei ist sicherzustellen,
dass…
1. anstehende Ersatzinvestitionen in je-
dem Falle abgesichert werden können.
Dies ist Grundvoraussetzung für die Er-
haltung eines angemessenen Niveaus
im sächsischen ÖPNV.
2. die Mittel zur Herstellung der Barriere-
freiheit bis 2030 bereitgestellt werden
können. Dies betrifft insbesondere die
Ertüchtigung der ÖSPV-Haltestellen.
3. der Ausbau des ÖPNV zum Vorrangsys-
tem in den Ballungsräumen im Ein-
klang mit den Rahmenplanungen der
Kommunen zügig vorangetrieben wer-
den kann. Hierbei sind die bereits ge-
planten Infrastrukturmaßnahmen und
Fahrzeugbeschaffungsvorhaben abzu-
sichern. Darüber hinaus ist der weitere
Ausbau der ÖPNV-Bedienung schritt-
weise voranzutreiben.
4. die Verkehrsunternehmen darüber
durch Anschubfinanzierungen in die
Lage versetzt werden, Linienbusse mit
elektrischem Antrieb schrittweise auf
ausgewählten Linien zu etablieren so-
wie weitere Digitalisierungsvorhaben
zur Steigerung von Attraktivität und
Wirtschaftlichkeit im ÖPNV zügig um-
zusetzen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 133 von 178
Investitionsgegenstand
Bedarf Beispieljahr 202514
[Mio. EUR]
Gesamtbedarf 2018–2030
[Mio. EUR]
Anteil
Freistaat
Komm. An-
teil, VU
Gesamt Anteil
Freistaat
Komm.
Anteil, VU
Gesamt
Ersatzinvestitionen ÖSPV 141 84 225 1.835 1.090 2.925
Barrierefreiheit 22 7 29 283 94 377
Angebots- und Kapazitätserweiterungen Oberzentren (Fortschreibungsszenario)
32 18 50 308 166 474
Angebots- und Kapazitätser-weiterungen Ballungszentren (Wachstumsszenario)
32 11 43 347 138 484
Digitalisierung / Beginn Einführung Elektromobilität
13 9 22 136 91 227
Investitionsbedarf Gesamt 240 129 369 2.909 1.579 4.488
Fortschreibung
Landesinvestitionsprogramm13
104 1.352
Unterdeckung 136 1.557
Tab. 5: Gegenüberstellung Gesamtinvestitionsbedarf ÖSPV und Fortschreibung LIP
3.2 Flankierende Maßnahmen SPNV
Darüber hinaus sollte sich der Freistaat Sach-
sen dafür einsetzen, dass eine ausreichende
Finanzierung für Bestandserhalt und Moderni-
sierung der SPNV-Infrastruktur durch den
Bund sichergestellt wird. Dies betrifft auch:
Ausbau im Rahmen des zu entwickelnden
SPNV-Zielkonzeptes für den Deutschland-
bzw. Sachsentakt, inkl. Elektrifizierung
der landesbedeutsamen Hauptachsen
Chemnitz - Leipzig und Görlitz – Dresden.
Weitere Verbesserung der Verkehrsstati-
onen auf Basis des bestehenden Bahn-
steighöhenkonzepts (55 cm), u.a. zügige
Herstellung der barrierefreien Zugäng-
lichkeit und Nutzbarkeit.
Entwicklung und Umsetzung von Maß-
nahmen zur Kostensenkung auf den Re-
gionalstrecken bis hin zur Schaffung ge-
eigneter Rahmenbedingungen für eine
Regionalisierung der Eisenbahninfra-
struktur.
1 Görlitz als Bestandteil des oberzentra-
len Städteverbundes Bautzen – Görlitz –
Hoyerswerda
2 Studie: „Ermittlung des Investitionsbe-
darfs für Fahrzeuge und Anlagen des
straßengebundenen ÖPNV im Freistaat
Sachsen“, 2013
3 Finanzierung aus Mitteln des Bundes,
des Freistaates Sachsen oder der EU er-
forderlich
4 Regelförderhöchstsätze gemäß RL-
ÖPNV (Fassung gültig ab 01.03.2012)
5 Datengrundlage: Einschätzung Status
quo/Forderung als Ergebnis des Projektes
Seite 134 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
„ÖPNV/SPNV für alle“
6 Die Werte für das Jahr 2025 stellen ei-
nen repräsentativen Querschnitt dar,
welcher den mittleren jährlichen Investi-
tionsbedarf widerspiegelt. Die konkreten
jährlichen Investitionsbedarfe können in
Abhängigkeit der zu realisierenden Maß-
nahmen vom Mittelwert abweichen, dies
ist im Rahmen der laufenden Budgetpla-
nung auszugleichen.
7 Finanzierung aus Mitteln des Bundes,
des Freistaates Sachsen oder der EU er-
forderlich
8 Umweltverbund = Fußgängerverkehr +
Radverkehr + ÖPNV
9 Beispiel: Stadtentwicklungsplan Verkehr
und öffentlicher Raum der Stadt Leipzig,
Stand 29.05.2015: 70% ÖPNV , Rad-,
Fußgängerverkehr, 30% motorisierter
Individualverkehr bis 2025
10 Nachfrageabschätzung ETC – Annahme
Modal Split ÖSPV 2030: Dresden 30%,
Leipzig 25%, Chemnitz: 20%
11 Finanzierung aus Mitteln des Bundes,
des Freistaates Sachsen oder der EU er-
forderlich
12 Für das Jahr 2025 sind derzeit keine
Investitionen in Fuhrparkerweiterungen
vorgesehen.
13 Wegfall der Bundesfinanzierung nach
EntflechtG zum 31.12.2019 für den
kommunalen Straßenbau und den ÖPNV
in Höhe von 87 Mio. EUR pro Jahr, wovon
derzeit ca. 15 Mio. EUR im Rahmen des
LIP für ÖPNV-Investitionen bereitgestellt
werden. Eine Kompensation durch höhe-
re Umsatzsteuerbeteiligungen der Länder
ohne Zweckbindung ist vorgesehen. Da-
mit ist die Mittelverfügbarkeit für den
ÖPNV nicht gesichert.
14 Summe der Gesamtmittel aus allen
derzeitigen Finanzierungsquellen, inklusi-
ve Fortschreibung GFVG- und EFRE-
Anteile
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 135 von 178
IV. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Organisation
1. Die kommunal verfasste Organisationsstruktur des ÖPNV in Sachsen hat sich bewährt und
bildet im Ergebnis des Stresstests eine gute Basis, auch die Herausforderungen der Zukunft zu
meistern. Das Leistungsbild des ÖPNV ist in der Gesamtschau und im nationalen Vergleich
positiv.
2. Hiervon unbenommen sind einige Verbesserungspotenziale erkennbar, die durch eine orga-
nische Weiterentwicklung des heutigen Systems ausgeschöpft werden können. Ein Großteil
der in der öffentlichen Diskussion genannten Kritikpunkte ist nicht primär von der Organisati-
on abhängig.
3. Die bundesweite Analyse der Regiekosten (Managementaufwand) und der Leistungsfähigkeit
zeigt, dass der Einfluss der Organisationsform (z.B. Anzahl der Organisationseinheiten) über-
schätzt wird. Viel wichtiger sind funktionierende Prozesse, die handelnden Personen, die
handwerklichen Fertigkeiten und eine geeignete Kommunikation zwischen den verantwortli-
chen Einheiten, insbesondere zwischen den Zweckverbänden/Verkehrsverbünden sowie zwi-
schen diesen und dem Land.
4. Die Arbeitsgruppe Organisation schlägt vor, eine sachsenweite Koordinierungsstelle (KS) als
ergänzenden Baustein einzurichten, um den sächsischen ÖPNV weiterzuentwickeln. Die KS
soll die Zukunftsthemen vorantreiben und die Abstimmung und Koordination zwischen den
Einheiten zukunftsfest ausgestalten.
5. Auch eine darüber hinausgehende Reduzierung der Zahl der Zweckverbände auf drei Einhei-
ten ist grundsätzlich vorstellbar. Allerdings gibt die Arbeitsgruppe Organisation zu Bedenken,
dass dieser Schritt einen erheblichen zeitlichen Vorlauf bedingt und die Umsetzung der
sachorientierten Maßnahmen zu erschweren droht. Zudem gilt die vorangestellte Erkenntnis
aus 2. und 3., dass die Wirkungen auf der Kosten- und Leistungsseite kaum merklich sein
werden bzw. die Schwachstellen im heutigen System anderweitig abgestellt werden können.
6. Für die Einrichtung einer Koordinierungsstelle ist ein Zeitbedarf von rund neun bis zwölf Mo-
naten zu veranschlagen, da wesentliche organisatorische, rechtliche, Eigentums- und finanzi-
elle Fragen – insbesondere auf und mit der kommunalen Ebene – geklärt werden müssen.
Damit in der Zwischenzeit bei der Umsetzung der Maßnahmen auf der Sachebene keine Zeit
verloren geht, wird empfohlen, die vorhandenen Strukturen der Strategiekommission hierfür
interimsweise zu nutzen und weiterzuentwickeln.
1. Politische Bedeutung des Themenfel-des
Die Bedeutung des Themas Organisation für
die Kommissionsarbeit ist bereits in dem Ein-
setzungsbeschluss der Strategiekommission
verankert (SLT-Drs. 6/1067), in dem analog zur
Koalitionsvereinbarung der in Sachsen regie-
renden Großen Koalition die „Darstellung von
Optimierungsmöglichkeiten der Organisati-
ons- [und Ausschreibungs]strukturen“ einge-
fordert wird. Konkret lautete der Auftrag an
die Arbeitsgruppe Organisation, alternative
Modelle/Lösungen zu entwickeln, deren Vor-
und Nachteile zu bewerten und notwendige
Schritte zur Umsetzung darzustellen. Dabei
sollte der Zielfunktion gefolgt werden, eine
kundenorientierte, einfache und kostenorien-
tierte Lösung der Organisation zu entwickeln.
Grundsätzlich dürfte eine aus der Kommission
angestoßene Organisationsänderung den
ÖPNV im Freistaat langfristig prägen. Dabei
muss – als Oberziel – eine vorgeschlagene
Lösung zu den Rahmenbedingungen in Sach-
sen passen. Eine Eins-zu-eins-Übertragung von
Seite 136 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Organisationsmodellen anderer Bundesländer
ist aufgrund der unterschiedlichen Ausprä-
gungen und Ausgestaltungen weder im beste-
henden Rechtsrahmen möglich noch unmit-
telbar sinnvoll, zumal es empirisch kein ein-
deutig überlegenes Erfolgsmodell in Deutsch-
land gibt.
Eine Leitidee für die Untersuchung von Orga-
nisationsvarianten bildete das Subsidiaritäts-
prinzip: Danach soll die Verantwortung der
„staatlichen“ Aufgaben im ÖPNV – weiterhin –
weitgehend auf die untersten Ebenen vor Ort,
also den lokalen Aufgabenträgern, übertragen
werden. Sind die Aufgaben zu komplex oder
umfänglich oder haben sie aus sich heraus
einen überregionalen Charakter, ist die Über-
tragung auf eine höhere Ebene vorgesehen.
Die höchste Ebene ist das Land, d.h. die Lan-
desregierung oder eine vom Land getragene
Organisationseinheit. Dabei wird es im ÖPNV
immer Aufgaben geben, die vor Ort zu erledi-
gen sind (z.B. Bestellung von Nahverkehrsleis-
tungen im lokalen Zuständigkeitsbereich) oder
zentral von einer Landesstelle (z.B. Verteilung
der dem Freistaat gewährten Regionalisie-
rungsmittel). Aufgrund der Komplexität des
ÖPNV gibt es eine große Spannbreite von Auf-
gaben „in der Mitte“, die zum Nutzen der
Fahrgäste in vielen verschiedenen Organisati-
onsformen ausgeübt werden können, wie die
Beispiele anderer Bundesländer zeigen. Dem-
gemäß wurde geprüft, ob eine andere Organi-
sationsstruktur in Sachsen eine nachhaltige
Mobilität zum Wohle der Bürger besser stär-
ken kann als die gegenwärtige.
2. Analyse des Status quo
Zum Verständnis der Analyseergebnisse und
der später vorgeschlagenen Organisationsmo-
delle soll die ÖPNV-Organisation in Sachsen im
Status quo komprimiert beschrieben werden.
Aufbauorganisation:
Lokale Aufgabenträger für den ÖSPV sind –
gesetzlich bestimmt – 16 Landkreise und Städ-
te. Im SPNV ist die Aufgabenträgerschaft über-
tragen an fünf regional agierende kommunale
Zweckverbände. Der Freistaat selbst ist nicht
Aufgabenträger.
Auf der Regieebene übernehmen fünf Ver-
kehrsverbünde Koordinierungsaufgaben im
ÖSPV und SPNV und gestalten die Schnittstelle
zwischen ÖSPV und SPNV in ihrem Gebiet.
Vier von ihnen sind von den zugehörigen
Zweckverbänden als einzigem Gesellschafter
getragen (Aufgabenträger-Verbund), über-
nehmen gleichzeitig und in sich effizient eine
Art Geschäftsstellenfunktion für den Verband.
Der MDV erstreckt sich als länderübergreifen-
der Sonderfall über Sachsen, Sachsen-Anhalt
und Thüringen im Großraum Leipzig/Halle und
ist als Mischverbund (Aufgabenträger und
Verkehrsunternehmen als Gesellschafter) zu
klassifizieren. Der ZVNL deckt demgegenüber
als zuständiger Aufgabenträger für den Raum
Westsachsen die Belange der sächsischen
Mitglieder des MDV im SPNV voll umfänglich
ab.
Prozessorganisation:
Auf der Prozessebene kann herausgestellt
werden, dass sich Zweckverbände bzw. Ver-
kehrsverbünde regelmäßig treffen, um über-
greifende Themen abzustimmen (Beispiel:
gemeinsames Vorgehen bei Ausschreibungen
im SPNV, Umgang mit Anschlusstarifen im
ÖPNV). Ein regelmäßiger institutionalisierter
Austausch zwischen den Zweckverbän-
den/Verkehrsverbünden mit dem Freistaat
findet nicht statt. Übergreifende ÖSPV-
Themen, an denen mehrere Aufgabenträger
beteiligt sind (etwa Planung einer Kreisgren-
zen überschreitenden Linie oder Aufstellung
eines Nahverkehrsplans), werden in der Regel
im jeweiligen Verkehrsverbund behandelt. Der
Freistaat übernimmt keine herausgehobene
Koordinierungsfunktion, er greift vergleichs-
weise selten ein und steuert den ÖPNV im
Wesentlichen über die Finanzierungsverord-
nung und Förderprogramme. Die Zweckver-
bände/Verkehrsverbünde sind in diesem
Rahmen relativ frei in ihren Entscheidungen.
Bewertung
Die derzeitige Organisationsstruktur mit der
Bildung der fünf Zweckverbände und Ver-
kehrsverbünde hat sich als geeignet erwiesen,
um zahlreiche Aufgaben- und Problemfelder
lösungsorientiert zu bearbeiten und Fort-
schritte im und für den sächsischen ÖV zu
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 137 von 178
erzielen. Der Erfolg lässt sich z.B. an günstigen
Bestellerentgelten im SPNV ablesen, die sich
im bundesweiten Vergleich gut sehen lassen
können. Auch die Reduzierung von ehemals
70 auf nun fünf (Verbund-)Tarife war eine
positive Entwicklung. Die Verantwortlichen
des sächsischen ÖPNV haben in der Vergan-
genheit wiederholt bewiesen, ihre Aufgaben-
wahrnehmung auf sich verändernde politi-
sche, gesetzliche und gesellschaftliche Rah-
menbedingungen anpassen zu können. Im
Übrigen liegen die Regiekosten der Zweckver-
bände und Verkehrsverbünde im nationalen
Vergleich insgesamt im oberen Drittel, ohne
aber unverhältnismäßig oder entscheidend zu
sein.
Mit Blick auf vermutete wie absehbare zu-
künftige Anforderungen und Entwicklungen in
der ÖPNV-Landschaft („Zukunftsthemen“)
wurde erörtert, ob die heutige Aufstellung
hierfür weiterhin geeignet ist und mit ihr ab-
sehbare Aufgaben erfüllt werden können.
Beispielsweise wurde hinterfragt, ob/wie sich
die Wahrnehmung verbundübergreifender
bzw. landesweiter Aufgaben entwickeln wird.
Dafür wurden folgende Zukunftsthemen be-
nannt und analysiert:
Für Zukunftsthema A „Differenzierte Erfor-
dernisse bei Angebotsgestaltung“ (z.B. Stadt
vs. ländlicher Raum) wurde die heutige Orga-
nisation im Ergebnis als uneingeschränkt ge-
eignet identifiziert.
Bei den Zukunftsthemen B „Digitalisierung
und Datennutzung“ sowie C „Neue Mobili-
tätsformen“ wurde herausgearbeitet, dass die
Fahrgäste künftig unter Nutzung neuer Tech-
nologien stärker in Wege-/Reiseketten denken
werden und dies von den Zuständigen inso-
weit bedacht werden muss, als die Fahrgäste
Verbundgrenzen als solche gar nicht wahr-
nehmen sollten. Eine übergeordnete Struktur
zur Steuerung und Überwachung von Auswir-
kungen in diesen neuen Themen mit einem
noch unüberschaubaren Entwicklungspfad
erscheint sinnvoll. Eine koordinierende,
grundsätzliche Standards setzende und (finan-
ziell) fördernde Rolle des Freistaates Sachsen
wird für die Umsetzung als notwendig erach-
tet.
Im Zukunftsthema D „Sachsen-Tarif“ nimmt
die Arbeitsgruppe Organisation die Ergebnisse
der Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb auf. Mit
einem landesweiten Sachsen-Tarif sollen Defi-
zite an den Tarif-/Verbundgrenzen behoben
werden. Vorgeschlagen wird, als Trägerorga-
nisation des Sachsen-Tarifs eine Koordinie-
rungsstelle zu gründen. Vorbild kann das
Kompetenzcenter Marketing NRW sein, das
den NRW-Tarif umgesetzt hat. Solch eine Ein-
heit übt zentrale Aufgaben der Tarifentwick-
lung und -gestaltung aus und koordiniert lan-
desweit die Aktivitäten (siehe dazu weiter
hinten).
Bei Zukunftsthema E „Harmonisierte Pro-
duktangebote & Qualitätsanforderungen“
wurden in Teilen eine kundenunfreundliche
Ausgestaltung in den Bedienoberflächen, un-
einheitliche Produkte, Vertriebsformen und
Komfortkriterien festgestellt. Sachsenweite
Angebotsmerkmale und -standards sind aus
Sicht des Fahrgastes grundsätzlich sinnvoll,
um die Wiedererkennbarkeit des Produktes
ÖPNV zu erhöhen; Ausgestaltung und Ma-
nagement im Detail sollten aber vor Ort wahr-
genommen werden (z.B. lokale Telefonnum-
mer für Rufbusse). Diskutiert wurde, dass eine
Vision, eine Vorgabe oder ein Anreiz vom Land
kommen sollten, wie landesweite Standards
aussehen. Eine bessere Abstimmung von Lan-
deszielen und lokalen Anforderungen sei von-
nöten.
Zu den Zukunftsthemen F („Hebung Effizienz-
potenziale im SPNV“) und G („bessere Fahr-
zeugverfügbarkeit im SPNV“) wurde festge-
stellt, dass diese weitgehend organisationsun-
abhängig sind.
Insgesamt wurden die Themenfelder B bis E
dergestalt bewertet, dass die Organisation des
ÖPNV im Freistaat Sachsen hierfür zwar
grundsätzlich geeignet erscheint, aber doch
gewisser Entwicklungsbedarf besteht. Der
Bewertung zugrunde lagen die Prinzipien,
einerseits vom Kunden aus zu denken, ande-
rerseits aus der Sicht des Landes einen best-
möglichen ÖPNV zu gewährleisten. Schwierig-
keiten ergaben sich in der Bewertung der
Themenfelder daraus, dass – je nach Blickwin-
Seite 138 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
kel – öfter verschiedene Interpretationen des
gleichen Sachverhalts möglich waren.1
Die Eignung der bestehenden Organisations-
strukturen, die künftigen Aufgaben zu erfül-
len, bezieht sich vor allem auf den jeweiligen
Zuständigkeitsbereich. Bei gemeinsamen und
übergreifenden Vorgehensweisen stoßen die-
se dezentralen Einzellösungen zum Teil an ihre
Grenzen. Die konsequente Kommunalisierung
des ÖPNV in Sachsen ist per Saldo positiv, die
bei landesbedeutsamen Themen einer punk-
tuellen Ergänzung bedarf.
Aus der Analyse folgt die Notwendigkeit einer
stärkeren Koordination unter den Zweckver-
bänden/Verkehrsverbünden bzw. zwischen
den dezentralen Zweckverbänden/Verkehrs-
verbünden und dem Land, vor allem bei Auf-
gabenträger-übergreifenden Fragestellungen.
Denn die Zweckverbände werden nicht aus
sich heraus allein eine abgestimmte Lan-
desstrategie entwickeln können. Sind einer-
seits Ziele und Vorgaben vom Land nötig, die
dann auch in Controlling-Routinen ihre Wider-
spiegelung finden müssen, ist andererseits zu
überlegen, wie ein „Gegenstromprinzip“ zwi-
schen Zweckverbänden/Verkehrsverbünden
und dem Land aussehen kann, damit die Ver-
bände/Verbünde ihr Know-how an das Land
transportieren können. Operativ sind Prozesse
und Instrumente zu gestalten wie z.B. Förder-
programme mit Zielvorgaben, Budgetierungen
o.ä. Ggf. könnten Zielvereinbarungen zwi-
schen dem Land und den Verkehrsverbünden
helfen.
Handlungsbedarf
Aus den Bewertungen ergeben sich folgende
Handlungsfelder:
Verbesserung der Abstimmung zwischen
Landes- und kommunaler Ebene (bzw.
zwischen Land und Zweckverbän-
den/Verkehrsverbünden)
Dabei frühzeitigere Einbeziehung der po-
litischen Ebenen
Institutionalisierung der Kommunikation
und Abstimmung unter den Zweckver-
bänden/Verkehrsverbünden
Kein Handlungsbedarf ergibt sich hingegen
aus Sicht der Arbeitsgruppe Organisation hin-
sichtlich der Aufgabenträgerschaft, die für den
kommunalen ÖSPV in Sachsen bei den bishe-
rigen 16 lokalen Aufgabenträgern verortet
bleiben soll. In der Analyse wurde die ÖSPV-
Aufgabenträgerschaft als nicht zu kleinteilig,
sondern als insgesamt geeignet und zukunfts-
fähig bewertet. Es herrschte Grundkonsens,
dass auch bei Themen mit landesweiter Rele-
vanz oder „neuen“ innovativen Themen in der
Regel eine Umsetzung vor Ort lokal geschehen
soll. Somit wird die künftige Ausgestaltung des
ÖPNV weiter anhand der Interessen der Bür-
ger vor Ort gesichert.
3. Handlungsempfehlungen zur Organisa-tion
3.1 Vorgehen
Auf Basis des entwickelten Handlungsbedarfs
und mit vergleichendem Blick auf die Organi-
sationsformen in anderen Bundesländern
entwickelte die Arbeitsgruppe Organisation
eine Vielzahl an theoretisch denkbaren Orga-
nisationsmodellen für Sachsen. In einem ers-
ten Schritt wurden die Varianten auf sechs
verdichtet: Modelle, die nicht zur Ausgangsla-
ge in Sachsen passen oder eine totale Abkehr
von der kommunalen Verfasstheit bedeutet
hätten, wurden ebenso ausgesondert wie
Modelle, die sich nur in Nuancen von den
sechs gewählten Modellen unterschieden und
bei der späteren Bewertung allenfalls in De-
tails zu anderen Einschätzungen geführt hät-
ten.
Da die lokalen Aufgabenträger für den ÖSPV
nach der Analyse „gesetzt“ sind und sich an-
dererseits das Prinzip der Verkehrsverbünde
in Deutschland und auch in Sachsen für über-
greifende Planungen und Koordinierungen
grundsätzlich bewährt hat, empfiehlt die Ar-
beitsgruppe Organisation, diese Elemente in
Zukunft beizubehalten. Dies bedeutet nicht,
dass die Anzahl der Verkehrsverbünde künftig
weiterhin fünf betragen muss. Eine weiterge-
hende Zersplitterung in mehr als fünf Verbün-
de – bei 16 lokalen Aufgabenträgern – wird als
unrealistisch gesehen.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 139 von 178
Die Diskussion von Modellvarianten kon-
zentrierte sich damit auf die Einrichtung einer
landesweiten Institution für die Verbesserung
der Abstimmung und Kommunikation sowie
auf die Ausgestaltung bis hin zur Zusammen-
legung der SPNV-Aufgabenträgerschaft unter
Berücksichtigung der Einflussmöglichkeiten
des Landes. Das Zusammenspiel Land – SPNV-
Zweckverbände – Verkehrsverbünde sollte die
Frage nach dem „optimalen“ Maß an Zentrali-
tät oder Dezentralität beantworten. Da in der
Tendenz Zweckverbände eher für großräumi-
ge Verkehre (SPNV) zuständig sind und Ver-
kehrsverbünde auch die lokalen Themen des
ÖSPV vor Ort im Blick haben, wurden Varian-
ten, die weniger Verkehrsverbünde als Zweck-
verbände aufweisen, als ungeeignet verwor-
fen.
Die sechs in sich deutlich unterschiedlichen
Modellvarianten (siehe 3.2) wurden in einem
zweiten Schritt jeweils mit Vor- und Nachtei-
len bewertet. Im Ergebnis verblieben zwei
Modelle (siehe 3.3), die sich als grundsätzlich
geeignet herauskristallisierten. Auf die vier
ausgeschiedenen Modelle wird nur kurz ein-
gegangen (3.4).
3.2 Varianten für Organisationsmodell
Ausgehend von den vier Grundvarianten A bis
D aus dem separaten Basisgutachten von
ETC/KCW zur Organisation (Stand Juni 2016)
definierte die Arbeitsgruppe in ihrer Voraus-
wahl die folgenden sechs Modelle für die wei-
tere Bewertung. Für die Grundvariante C „Zu-
sammenlegung“ wurden dabei drei unter-
schiedliche Varianten herausgearbeitet.
Die Modelle B und C1 werden als zielführend
eingeschätzt und sollen weiter verfolgt wer-
den. Die anderen vier Modellvarianten A, C2,
C3 und D wurden begründet ausgeschieden.
Grund-variante
Unter-variante
Bezeichnung
A - Fortführung Status quo
B - Optimierung Status quo (Schnittstellen und Prozesse
zwischen bestehenden Organi-sationen)
C - Zusammenlegen von Strukturen
C1 Bündelung bei Zweckverbänden als SPNV-Aufgabenträger
C2 Landesweite Organisation im SPNV als Gesellschaft der kom-munalen Aufgabenträger mit Minderheitsbeteiligung des
Landes
C3 Landesweite Organisation im SPNV als Landesgesellschaft
(zunächst allgemein mit dezent-raler Struktur wie bisher auf
Verbundebene)
D - Schaffung einer sachsenweiten, modalübergreifenden ÖPNV-
Organisation
Tab. 1: Varianten für Organisationsmodell
3.3 Favorisierte Modellvarianten
Grundvariante B: Optimierung Status quo
In Modell B wurde zunächst definiert, worin
die Optimierung gegenüber dem Status quo
besteht. Überlegt wurde, zur Behebung des
Handlungsbedarfs auf der Prozessebene einen
neuen Steuerungskreis (Arbeitstitel „strategi-
sches Abstimmungsgremium“) zur regelmäßi-
gen Abstimmung zwischen den dezentralen
Zweckverbänden/Verkehrsverbünden und
dem Land zu etablieren und/oder eine oder
mehrere landesweit agierende Koordinie-
rungsstellen für Fachthemen einzurichten.
Aus der Arbeitsgruppe Tarif und Vertrieb kam
der Vorschlag, ein Kompetenzcenter (KC) zur
Organisation des neuen Sachsen-Tarifs zu
gründen. Die Arbeitsgruppe Angebotsentwick-
lung regte die Einrichtung einer sachsenweit
aktiven Kompetenzstelle zur Entwicklung ei-
nes Grundnetzes aus SPNV und landesbedeut-
samen Buslinien (einschließlich der Verwirkli-
chung eines Sachsentaktes) einerseits sowie
zur Förderung flexibler und alternativer Ange-
bote andererseits an.
Seite 140 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Die Arbeitsgruppe Organisation vertiefte die
Überlegungen zu der Koordinierungsstelle
(KS). Eine KS stellt allgemein eine Form der
organisatorischen Bündelung von Fachwissen,
Verantwortlichkeit, Zuständigkeit und Befug-
nissen in inhaltlicher Form dar. Es besteht aus
einer Expertengruppe, die in einem bestimm-
ten Aufgabenbereich bzw. an spezifischen
Themen gemeinsam arbeitet, Wissen entwi-
ckelt und anwendet bzw. weiterliefert.2 In
diesem Kontext soll eine KS in Sachsen für
landesweit bedeutsame Themen eingesetzt
werden und landesweite Lösungen anbieten.
Dies kann entweder aus einer informierenden,
beratenden Service-Funktion erwachsen, etwa
bei der Erarbeitung von Rahmenplänen oder
Leitfäden (bspw. für den Einsatz von Bürger-
bussen), oder mit konkreten, dauerhaft zu
erfüllenden Aufgaben hinterlegt sein (bspw.
bei der laufenden Betreuung eines Sachsen-
Tarifs).
Eine KS liegt aus organisatorischer Sicht quer
zum Drei-Ebenen-Modell und den heutigen
Organisationsstrukturen und stellt damit ein
vernetzendes Bindeglied dar. Sie soll einer-
seits landesweit agieren, unabhängig von
Kreis- und Verbundgrenzen, andererseits die
Regie-/Verbundebene mit den Aufgabenträ-
gern und dem Freistaat auf der politischen
Ebene verknüpfen. Relevant sind letztlich die
Besetzung und organisatorische Aufhängung
der KS einschließlich der Eigentümerschaft
sowie die Finanzierung. Grundsätzlich kann
eine KS an einen Verkehrsverbund „ange-
dockt“ werden (mit Leihe von Ressourcen)
oder eigenständig neu eingerichtet werden.
Die Arbeitsgruppe sprach sich für
eine eigenständige Koordinierungsstelle
aus, die
als Multi-Themen-Center an zentraler
Stelle angelegt wird.
Einerseits liegt der Vorteil darin, dass der Auf-
gabenumfang nach Bedarf dynamisch gestal-
tet werden kann, also Themen leicht dazu-
kommen, entfallen oder mit anderer Intensi-
tät behandelt werden können. Andererseits ist
eine zentrale KS schlagkräftiger, kann eher für
den moderierenden Ausgleich zwischen ver-
schiedenen Interessen sorgen und die teilwei-
se fehlende Kommunikation und Koordination
zwischen den Zweckverbänden/Verkehrs-
verbünden und dem Land nachhaltiger be-
werkstelligen. Das Land soll an der KS zum
Zwecke der Selbstbindung beteiligt sein. Flan-
kierend wird die Installation eines Beirats un-
ter Beteiligung z.B. der verkehrspolitischen
Sprecher angeregt, um die teilweise ge-
wünschte frühzeitigere Einbeziehung der poli-
tischen Ebenen zu gewährleisten. Zudem sind
bei Themen, die unternehmerische Belange
unmittelbar berühren, zum Beispiel Tarif und
Vertrieb, die Verkehrsunternehmen entspre-
chend ihrer Verantwortlichkeiten einzubezie-
hen.
Eine wesentliche Funktion der KS besteht da-
rin, eine Info- und Austauschplattform zu allen
ÖV-relevanten Themen zu etablieren. Als wei-
tere Aufgaben einer KS bieten sich an (nicht
abschließend, grundsätzlich dynamisch zu
handhaben):
Einführung und Begleitung landesweiter
Tarif (Tariffestlegung, Einnahmenauftei-
lung usw.)
Umsetzung landesbedeutsames Buskon-
zept, ggf. landesweite Angebotsstandards
Umsetzung Sachsen-Takt (SPNV + ÖSPV),
Vertretung beim Bund zum Deutschland-
Takt
Landesweite Harmonisierung des (digita-
len, modernen) Vertriebs
Koordination der Digitalisierung/Daten-
nutzung im ÖV
Erarbeitung Investitionsstrategie für das
Land (z.B. 10-Jahres-Horizont)
Begleitung der Einführung neuer Mobili-
tätsformen
Ggf. Begleitung von landeseinheitlichen
Tarifmaßnahmen im Ausbildungsverkehr
Vergabeoptimierung im SPNV
Mobilitätsfolgenkostenanalyse
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 141 von 178
Mit einer solchen KS sollen einige der in der
vorhergehenden Analyse festgestellten
Schwächen behoben und der festgestellte
Weiterentwicklungsbedarf umgesetzt werden.
Sie soll landesweit bedeutsame Themen be-
handeln und koordinieren, etwa landesweite
Standards setzen oder Lösungen entwickeln,
die in der kommunal orientierten Organisation
mit mehreren Zweckverbänden und Verkehrs-
verbünden (allein) nicht optimal erreichbar
sind. Die KS kann als eine Art „Katalysator“
dienen, um Inhalte von den Verbänden zum
Land und umgekehrt auf direktem Wege zu
transportieren und gemeinsame Positionen zu
erlangen. Bei Bedarf soll das Land in Fragen
des SPNV auch eine Moderatoren-Rolle ein-
nehmen, wenn keine einvernehmliche Ent-
scheidung unter den Zweckverbänden in einer
Sache erzielbar sein sollte.
In der Modellvariante B bildet die KS – neben
einer nicht darstellbaren Optimierung von
Prozessen der Abstimmung und Information –
die wesentliche organisatorische Änderung
zum Status quo.3
Für das Modell B spricht:
Erhalt der kommunalen Zuständigkeit:
Ausrichtung des Leistungsangebotes an
Interessen der lokalen Fahrgäste so am
besten möglich
Durch direkte Kontakte in die und aus der
Region hin zu den Entscheidern Sichern
von effizienten, zeitnahen und sachge-
rechten Entscheidungen
(Begrenzter) Mehraufwand für die KS ge-
rechtfertigt, da Hauptkritikpunkte aus
der Analyse nachhaltig behoben werden,
das Land eingebunden wird und so der
ÖPNV mit einem optimierten Angebot
mehr Nachfrage und Erlöse erzielen kann
Vergleichsweise geringer Umstellungs-
aufwand zur Einführung der neuen Orga-
nisationsstruktur: zeitnah zu bewerkstel-
ligen.
Abb. 1: Organisationsstruktur im ÖPNV in Sachsen Variante B
Seite 142 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Variante C1: Bündelung bei Zweckverbänden
als SPNV-Aufgabenträger
Die Änderung gegenüber dem Status quo be-
steht bei der Variante C1 zunächst in der Zu-
sammenführung von fünf zu drei Zweckver-
bänden und einer Straffung der Aufgabenträ-
gerschaft im SPNV. Dies folgt den großräumi-
gen verkehrlichen Verflechtungen in Sachsen,
die im Grunde auf die drei Ballungsräume
ausgerichtet sind (Chemnitz/Zwickau, Dres-
den, Leipzig). Das Modell kann hinsichtlich der
Verbundebene ggf. als Startmodell angesehen
werden: Denkbar ist, in einem späteren Schritt
die Bündelung zu drei Einheiten auch bei den
Verkehrsverbund-GmbHs auf der Regieebene
nachzuziehen (Untervariante).
Grundidee dieser Variante war, unter Beibe-
haltung der kommunalen Verfasstheit, durch
die Bündelung von Organisationseinheiten die
Abstimmungs- und Koordinationsprozesse zu
straffen und zu vereinfachen. Das Land hätte
bei landesweiten Themen nur noch drei statt
fünf Ansprechpartner. Der Eingriff in die Or-
ganisationsstrukturen wäre im Gegensatz zu
den weiteren Modellvarianten (C2, C3) ver-
gleichsweise gering. Allerdings wuchs die
Überzeugung, dass allein durch diese Maß-
nahme die identifizierten Handlungsbedarfe
nicht gelöst werden können.
Dementsprechend ist die zusätzliche Aufnah-
me einer KS wie im Modell B insbesondere zur
geeigneten Umsetzung der sachsenweiten
Themen erforderlich. Durch die zentrale Rolle
der KS ähnelt die Variante C1 letztlich dem
Modell B. Sie könnte ggf. als mögliche Weiter-
entwicklung verstanden werden, wenn in ei-
ner ersten Phase Modell B zur Umsetzung
kommen sollte.
Für das Modell C1 können folgende Vorteile
benannt werden:
Kommunale Aufgabenträger weiterhin
mit direktem Einfluss auf Entscheidungen
im SPNV, Ausrichtung an Interessen der
(lokalen) Fahrgäste noch gut möglich
Durch weniger und größere Einheiten auf
Aufgabenträger-Seite im SPNV Optimie-
rungen bei Prozessen/Schnittstellen mög-
lich, Verständigung unter Zweckverbän-
den schneller/standardisierter zu realisie-
ren, einfachere Abstimmung der Ziele
des Freistaates mit geringerer Anzahl von
SPNV-Aufgabenträgern
Hebung Potenziale im SPNV landesweit
zu erwarten (Vergabeoptimierung)
Insgesamt geringerer Aufwand zur Pla-
nung und Systemsteuerung durch Zu-
sammenlegung auf Aufgabenträger-Seite
und an den Schnittstellen zu Drit-
ten/Verkehrsunternehmen
Organisationsstruktur im ÖPNV in Sachsen – Variante C1: Bündelung von SPNV-Aufgabenträgern
Aufgabenträger SPNV (ZV = Zweckverband)
Land
Aufgaben-träger
Freistaat Sachsen
ZV „Südwestsachsen“ ZV „Ostsachsen“
VVO* VON*VVV*MDV VMS*
Regie
ZVNL
* Gesellschafter der Verkehrsverbund-GmbHs zu überdenken (abhängig von Anzahl der Verbund-GmbHs)
Landesweite Koordinierungsstelle
Abb. 2 Organisationsstruktur im ÖPNV in Sachsen Variante C1
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 143 von 178
Dem vergleichsweise geringen Änderungsbe-
darf bei der Umorganisation steht als potenzi-
eller Nachteil des Modells C1 die Unsicherheit
gegenüber, ob die kommunale Ebene zu die-
sem Schritt bereit ist, da größere Einheiten
gefühlt weniger Einfluss bedeuten können.
Darüber hinaus bedingt dieser Schritt einen
erheblichen zeitlichen Vorlauf und droht die
Umsetzung der sachorientierten Maßnahmen
zu erschweren. Zudem dürften die Wirkungen
auf der Kosten- und Leistungsseite kaum
merklich sein bzw. könnten die Schwachstel-
len im heutigen System anderweitig abgestellt
werden.
3.4 Verworfene Modellvarianten
Die folgenden vier Varianten hat die Arbeits-
gruppe mit Vor- und Nachteilen bewertet, im
Ergebnis als nicht geeignet eingeschätzt und
für die weitere Betrachtung verworfen.
Grundvariante A: Fortführung Status quo
Dieses Modell entspricht dem Ist-Zustand
unter Beibehaltung der Zweckverbands- und
Verbundstruktur, ohne die ergänzende Ein-
richtung einer KS.
Ein Teil der Vor- und Nachteile liegen in Mo-
dell A identisch wie im Modell B „Optimierung
Status quo“, das auch alle bestehenden Orga-
nisationseinheiten beibehält. Da das Modell B
darüber hinausgehende Optimierungsansätze
anbietet und die Einführung einer KS nachhal-
tige Verbesserungen erwarten lässt, ist es im
direkten Vergleich dem Modell A vorzuziehen.
Ein erhöhter Transaktionsaufwand zum Ein-
richten des Modells B ist vergleichsweise ge-
ring und in Anbetracht der positiven Aussich-
ten zu vernachlässigen. Grundvariante A wird
nicht empfohlen.
Variante C2: Landesweite Organisation im
SPNV als Gesellschaft der kommunalen Aufga-
benträger mit Minderheitsbeteiligung des
Landes
Die Modellvariante C2 führt den Gedanken
der Bündelung auf Seiten der SPNV-
Aufgabenträger fort: In dieser Variante wird
der SPNV aus einer Hand durch eine Gesell-
schaft der kommunalen Aufgabenträger orga-
nisiert (ähnlich einem „großen Zweckver-
band“). Der Freistaat Sachsen ist mit einem
Minderheitsanteil an dieser Gesellschaft be-
teiligt (z.B. 25,1%). Grundidee ist, dass das
Vorgehen bei der Bestellung von SPNV-
Verkehren verschlankt wird und in der ge-
meinsamen neuen Organisation ein besserer
Abgleich zwischen kommunalen SPNV- und
Landesinteressen geschehen kann. Es kann
offen bleiben, ob eine KS für Fachthemen in
dieser Konstellation nötig ist oder die für die
KS vorgesehenen Themen in der neuen Einheit
mit behandelt werden können.
Abb. 3: Organisationsstruktur im ÖPNV in Sachsen Variante C2
Seite 144 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Als Vorteile dieser Organisationsvariante wur-
den u.a. benannt:
Bündelung Ressourcen und Kompetenzen
mit direkter Beteiligung aller Akteure;
Umsetzung landesweite ÖPNV-Strategie
eher möglich, da Landesziele und lokale
Interessen zusammen gedacht werden
können
Einfluss der kommunalen Aufgabenträger
auf SPNV weiter gegeben, dadurch gute
Chancen auf gemeinsames Verständnis
von Land und Kommunen im SPNV, ver-
bunden mit der Hoffnung, dass der ÖSPV
besser in den SPNV eingebunden wird
Erwartung, dass Steuerungsaufwand ins-
gesamt mittelfristig sinkt
Als Voraussetzung in diesem Modell wird ge-
sehen, dass die Verbünde eine starke Rolle
und Ausstattung an Ressourcen erhalten, um
die Vernetzung der Verkehrsträger und über-
greifende Themen (Tarif, Vertrieb, Kundenan-
sprache, Systemzugang) gut organisieren zu
können. Weiterhin werden diese Nachteile
gesehen:
Innerhalb der Aufgabenträger-Seite bei
großer Zahl der Partner hoher Abstim-
mungs- und Steuerungsbedarf, da Inte-
ressen Einzelner weit auseinander liegen
und Einvernehmen kaum herstellbar ist,
verbunden mit der Gefahr, dass Prozesse
verzögert oder gar blockiert werden
Durch strikte Trennung von SPNV-
Aufgabenträgerschaft und Verkehrsver-
bund und damit „asymmetrische“ Struk-
turform Verlorengehen von (personellen)
Synergien im Gesamtsystem
Sehr hoher Aufwand für Umorganisation,
u.a. Änderung ÖPNV-Gesetz, Klärung der
Finanzierungsströme für Verbünde erfor-
derlich, alle kommunalen Aufgabenträger
müssten neue Organisation und ihre Be-
teiligung daran in ihren Entscheidungs-
gremien beschließen
Vor- und Nachteile dieser Modellvariante
wurden kontrovers diskutiert. Während die
eine Seite meint, dass sie zu stark einer „Lan-
desgesellschaft light“ ähnelt, im Handling
komplex und politisch sensibel ist, wird auf
der anderen Seite das Potenzial gesehen, da-
mit einen guten Interessensausgleich zwi-
schen Land und Kommunen sicherzustellen.
Hierfür wäre es erforderlich, mit „Diplomatie
und Sensibilität“ den Umstellungsprozess zu
organisieren und für eine klare Abgrenzung
der Rollen und Aufgaben zwischen SPNV-
Aufgabenträgern und Verbünden zu sorgen.
Der Erfolg des Modells ist aus Sicht der Ar-
beitsgruppe insgesamt schwer einschätzbar,
zu erwarten ist auch ein „Leerlauf“ durch das
Aufgeben vorhandener Strukturen und ein
längerer Findungsprozess. Auf Grund der Un-
sicherheiten wird diese Variante nicht für die
weitere Umsetzung empfohlen.
Variante C3: Landesweite Organisation im
SPNV als Gesellschaft des Landes
Das Organisationsmodell C3 überführt die
SPNV-Aufgabenträgerschaft in eine neue Ge-
sellschaft, die direkt und ausschließlich vom
Land getragen wird (analog z.B. der Bayeri-
schen Eisenbahngesellschaft BEG). Hierüber
würde der gesamte SPNV in Sachsen gema-
nagt werden. Da in diesem Modell keine
Zweckverbände mehr vorhanden sind, benöti-
gen die beizubehaltenden Verkehrsverbund-
einheiten „neue“ Gesellschafter, die jeweili-
gen 16 kommunalen Aufgabenträger. Die Ko-
ordination zwischen SPNV und ÖSPV müsste
dann zwischen den Verbünden bzw. den loka-
len Aufgabenträgern und der Landesgesell-
schaft stattfinden. Offen kann zunächst blei-
ben, ob eine KS für Fachthemen auf der Ebene
der Verbünde eingerichtet werden sollte oder
dies quasi in die Landesgesellschaft über-
nommen wird.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 145 von 178
Das Modell C3 würde zu einem Systembruch
führen und die kommunale Ausrichtung im
SPNV beenden. Zwar wurden einige Vorteile
identifiziert, z.B. die Aufgaben- und Budget-
verantwortung im SPNV „in einer Hand“, die
eine Hebung von Potenzialen im SPNV und
eine einheitliche zentrale Steuerung der Ei-
senbahnverkehrsunternehmen landesweit
erwarten lässt. Dem gegenüber stehen aber
u.a. folgende Nachteile:
Steuerung des SPNV sehr mit dem Fokus
des Landes, dadurch Ausrichtung SPNV
an Bedürfnissen und Interessen der Fahr-
gäste vor Ort relativ schwer
Erhebliches Konfliktpotenzial in der Ver-
ständigung zwischen Land und Kommu-
nen, v.a. an der Schnittstelle SPNV–ÖSPV,
so dass mit hohem Abstimmungsbedarf,
großen Reibungsverlusten und langsa-
men Entscheidungsprozessen zu rechnen
ist
Durch strikte Trennung von Aufgabenträ-
ger SPNV (Zweckverband) und Verkehrs-
verbund Verlust von (auch personellen)
Synergien im Gesamtsystem
Sehr hoher Aufwand für Umorganisation;
großer Widerstand gegen Modell auf
kommunaler Ebene zu erwarten
Da in der Abwägung aus Sicht der Arbeits-
gruppe die Nachteile deutlich die Vorteile
überwiegen und unsicher ist, ob die Harmoni-
sierungen im gesamten ÖPNV durch eine
SPNV-Landesgesellschaft effektiv vorangetrie-
ben werden können, wird diese Modellvarian-
te abgelehnt.
Variante D: Schaffung einer sachsenweiten,
modalübergreifenden ÖPNV-Organisation
Grundvariante D überträgt den Zentralisie-
rungsgedanken von Modell C3 auch auf die
Ebene der Verkehrsverbundorganisationen.
Sämtliche Funktionen der Verbundeinheiten
würden zusätzlich in die Landesgesellschaft
integriert, die dann nicht nur für SPNV, son-
dern auch für landesweite Themen des ÖPNV
insgesamt und für die Schnittstelle zwischen
SPNV und ÖSPV zuständig wäre. Landesweite
KS wären nicht nötig, weil die entsprechenden
Aufgaben gleich in der Landesgesellschaft mit
erledigt würden. Neben der „großen“, ent-
sprechend auszustattenden Landesgesell-
schaft würden einzig noch die 16 lokalen Auf-
gabenträger als Organisationseinheit sichtbar
werden, die sich dann an der Schnittstelle
ÖSPV/SPNV direkt mit der Landesgesellschaft
abstimmen müssten.
Da schon die Organisationsvariante C3 u.a.
wegen der mangelnden Einbeziehung der
lokalen Ebene begründet ausgeschlossen
wurde und weil dies eine vollständige Abkehr
vom bisher kommunal getragenen Modell im
ÖPNV wäre, wird die Variante D aus gleichen
Gründen verworfen.
Abb. 4: Organisationsstruktur im ÖPNV in Sachsen Variante C3
Seite 146 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
4. Umsetzungsplanung
Da in den beiden Modellen B und C1 die Ein-
richtung einer landesweit agierenden Koordi-
nierungsstelle vorgesehen ist, beschränken
sich die Aussagen zur Umsetzungsplanung auf
deren Etablierung.
Voraussetzung ist, dass sich die kommunale
Ebene und das Land auf ein konkretes Modell
verständigen, bei dem die zahlreichen Detail-
fragen zur Verfasstheit der KS, ihrem Aufga-
benspektrum und der Finanzierung einver-
nehmlich geklärt werden. Mit Blick auf die
politische Überzeugungsarbeit bis hin zum
Erwirken der Gremienbeschlüsse sowie der
Rekrutierung von Personal erscheint ein Zeit-
bedarf von rund neun bis zwölf Monaten nach
der Beschlussfassung der Strategiekommission
realistisch.
Ab dem 1. Quartal 2018 wird dazu eine paral-
lele „Interimsphase“ vorgeschlagen, in der die
KS bereits „virtuell“ im Sinne eines Vorlaufbe-
triebs – zur Fortsetzung der erfolgreichen
Kommissionsarbeit operiert. Denn besonders
positiv wurde in der Arbeitsgruppe Organisa-
tion der enge und regelmäßige Austausch der
Mitglieder zu strategischen Themen bewertet,
der aufrechterhalten werden soll. Die Ge-
schäftsstelle der Kommission sollte dabei die
Keimzelle für die KS bilden, insbesondere zur
Einführung von Maßnahmen wie den Sachsen-
Tarif, die einer dauerhaften Koordinierung
und Kompetenzbündelung unstrittig bedürfen.
1 Beispiel: Zwischen dem ZVON und VVO gibt
es (sogar auf der gleichen Linie) abweichende
Regelungen zum Fahrkartenkauf im SPNV-
Fahrzeug; im ZVON können Fahrgäste Fahr-
karten vom Zugbegleiter erwerben, im VVO
müssen sie vorab gelöst werden. Negativ
kann diesem Status entgegengehalten wer-
den, dass unterschiedliche Standards dem
Kunden die Nutzung des ÖPNV erschweren.
Positiv kann herausgestellt werden, dass in
den jeweiligen Verbünden individuell auf die
Kundenwünsche und Nachfrage eingegangen
wird: Während im ZVON bei vergleichsweise
wenig Zusteigern der Service des Im-Zug-
Verkaufs mit Beratung im Vordergrund steht,
müssen im VVO mit dem Zulauf auf die Groß-
stadt Dresden deutlich größere Fahrgast-
mengen abgewickelt werden, die gerade
diesen Service nicht zulassen. Ähnliches
ergibt sich bei zum Teil abweichenden Tarif-
und Beförderungsbestimmungen (z.B. Fahr-
radmitnahme), wo auch auf die jeweilige
Verbundstruktur Rücksicht genommen wird.
Welche Regelung per Saldo die bessere ist,
lässt sich nicht objektivieren.
2 Zu den etablierten Kompetenz-Centern in
NRW führt das dortige Verkehrsministerium
aus: „Für die zukunftsorientierte Weiterent-
wicklung des ÖPNV in NRW bietet der ge-
wählte Ansatz folgende Vorteile: kompetente
Bearbeitung von Themenfeldern, wie sie ein
regionaler Raum allein nicht bewerkstelligen
könnte; Kosteneffizienz durch Vermeidung
unproduktiver Parallelarbeiten am gleichen
Thema; Weiterentwicklung des ÖPNV nach
landesweit vereinbarten Maßstäben; Förde-
rung des Austauschs der Nahverkehrsbranche
durch landesweite Zusammenarbeit in Einzel-
fragen („Lernen von den Besten“).“
3 Die Modell-Grafiken zeigen nur die wesent-
lichen Änderungen zum Status quo und ver-
zichten z.B. auf die Darstellung der beizube-
haltenden lokalen Aufgabenträger.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 147 von 178
V. Thesenpapier der Arbeitsgruppe Finanzierung
1. Der kommunal verfasste sächsische ÖPNV ist bislang in der Gesamtschau leistungsfähig und
wird zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten erbracht. Dies zeigt der ausführliche Abgleich mit
den strukturell ähnlichen Bundesländern Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sach-
sen-Anhalt. Grundlage hierfür sind ein solides Finanzierungssystem sowie ein produktives Zu-
sammenspiel verantwortungsvoll agierender Akteure
2. Die Finanzierung des ÖPNV steht vor erheblichen Herausforderungen im kommenden Jahr-
zehnt. Zu den beiden großen Aufgabenblöcken zählen (1) die Aufrechterhaltung des Bestands-
systems sowie (2) die Beschaffung zusätzlicher Mittel für neue Erfordernisse.
Die Analyse der Zukunftsfestigkeit der etablierten Finanzierungsquellen zeigt, dass bereits die
Finanzierung des Status quo im ÖPNV kein Selbstläufer sein wird:
Überwiegend positiv zu werten ist das mühevoll erkämpfte Ergebnis der Revision des Regiona-
lisierungsgesetzes, das
- den Ländern bis 2031 Planungssicherheit bei der wichtigsten Finanzierungsquelle des SPNV
verschafft. Diese reicht der Freistaat über die ÖPNVFinVO bis 2027 weiter.
- Gleichwohl zieht der „Kieler Schlüssel“ für Sachsen eine deutliche Absenkung der Mittel im
Vergleich zur alten Planungslinie nach sich, deren Folgen noch beherrschbar erscheinen.
Diese Rechnung geht jedoch nur auf, wenn aus dem temporären Mittelüberschuss bis 2022
eine erhebliche finanzielle Reserve angelegt wird, um die Lücken in den Jahren 2023 bis
2031 zu schließen.
Die für 2020 geplante Revision der ÖPNVFinVO bietet grundsätzlich die Chance, auf veränder-
te Rahmenbedingungen und gesammelte Erfahrungen zu reagieren. Allerdings muss sicherge-
stellt werden, dass jede erwogene Änderung unter den strikten Prüfvorbehalt langfristiger
Bindungen (z.B. bei Verkehrsverträgen und Investitionen) gestellt wird. Andernfalls würden Ri-
siken in den ÖPNV-Markt getragen, die lähmend wirken können.
Kritisch ist aus heutiger Sicht die Verfügbarkeit der ergänzenden Finanztöpfe einzuschätzen,
insbesondere der Entflechtungsmittel sowie der EFRE-Mittel, während die Zukunft des GVFG-
Bundesprogramms zumindest dem Grunde nach politisch gesichert erscheint. Die Arbeits-
gruppe Finanzierung sieht die Notwendigkeit, dass
- die Mittel des GVFG-Bundesprogramms vor dem Hintergrund ihrer bundesweit mehrfachen
Überzeichnung, der seit 1996 unveränderten Höhe, der wachsenden Bedeutung des Klima-
schutzes sowie der Reduzierung der Feinstaubbelastung („Dieselgipfel“) von bislang 332,5
Mio. EUR auf 1.000 Mio. EUR erhöht und künftig mit 1,5% p.a. dynamisiert werden,
- die Entflechtungsmittel ab 2020 mindestens auf dem heutigen Niveau (rund 15 Mio. EUR)
mit Hilfe der künftig höheren Umsatzsteueranteile des Freistaates verstetigt werden und
dem ÖPNV in der Praxis zweckgebunden zur Verfügung stehen,
die dem ÖPNV zugutekommenden EFRE-Mittel durch Landesmittel ersetzt werden, falls das
Programm nicht fortgeschrieben wird.
Stellt man die angenommene vorhandene Mittelkulisse den fortgeschriebenen Bestandsaus-
gaben gegenüber, kristallisiert sich bereits ein hoher Anspannungsgrad heraus:
So sind Höhe und Abbaurate der Ansparreserve ab 2023 daran ausgerichtet, die überwiegend
konsumtiv für den SPNV eingesetzten Zuschüsse an die ÖPNV-Zweckverbände, rund zwei Drit-
tel der ab 2021 mit 1,8% p.a. dynamisierten ÖPNVFinAusG-Mittel sowie einen jährlichen Fest-
Seite 148 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
betrag für Investitionen in Höhe von 40,7 Mio. EUR zu decken.
Alle weiteren Einnahmen- und Bestandsausgabenwerte für Investitionen aus dem LIP bleiben
ebenfalls undynamisiert. Dies hätte zur Folge, dass bei zu erwartenden Kostensteigerungen die
Kaufkraft je EUR Investitionszuschuss (weiterhin) abnähme und real weniger investiert werden
könnte bzw. ein Substanzverzehr entstünde.
Die unterstellte Dynamisierung der Betriebsbeihilfen für die Schmalspurbahnen (1,0% p.a.)
und des Landesanteils am ÖPNVFinAusG (1,8% p.a. ab 2021) führt demnach automatisch zu
einem Aufwuchs der Mittel aus dem Landeshaushalt.
Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die heutigen Bestandsausgaben in der Summe trotz ge-
planter strikter Vorsorgepolitik nicht vollständig ausfinanziert sind, weil auch im Investitions-
bereich mit einer natürlichen Inflation zu rechnen ist.
3. Auf der Landesebene hat sich die bestehende Finanzarchitektur des sächsischen ÖPNV mit den
drei Säulen ÖPNVFinVO, Landesinvestitionsprogramm (LIP) und ÖPNVFinAusG im Grundsatz
bewährt und sollte beibehalten werden. Hiervon unbenommen sind sinnvolle Arrondierungen,
z.B. die Verschiebung von Mitteln und Ausgabezwecken zwischen den „Töpfen“ (bei sich än-
dernden Prioritäten) und das Setzen von Effizienzanreizen in den Subsystemen (siehe These 6).
4. Vor dem Hintergrund künftiger Anforderungen und Erwartungen an den ÖPNV identifizieren
die Arbeitsgruppen der Strategiekommission ein Set an Maßnahmen, das im Zielzustand
2025/2030 bei vollständiger Umsetzung in der Summe einen fiskalischen Mehrbedarf von rund
500 Mio. EUR pro Jahr über alle Akteure (Freistaat, Kommunen und Verkehrsunternehmen,
ggf. Nutzer) verursacht. Zur Einordnung: Gemessen am zu erwartenden Marktvolumen im
ÖPNV Sachsens in Höhe von etwa 1.500 Mio. EUR pro Jahr wäre dies eine Steigerung um rund
ein Drittel – die ins Verhältnis zum Gegenwert einer erheblichen Angebotsausweitung sowie
deutlichen Qualitätsverbesserungen im ÖPNV zu setzen ist.
Allerdings ist evident, dass keine der heutigen Akteursgruppen (Bund, Land, Kommunen, Nut-
zer) einen solchen Finanzierungsmehrbedarf allein schultern kann (und möchte), sondern es
einer konzertierten Lastenverteilung unter Federführung des Landes bedarf. Das erfolgreiche
Einwerben solcher Mittelvolumina im „politischen Nahkampf“ setzt voraus, den politischen
und gesellschaftlichen Stellenwert des ÖPNV sukzessive deutlich zu erhöhen.
5. Neben heute bereits ungedeckten Bedarfen sind für die Zukunft aus der Finanzierungsper-
spektive vier große Herausforderungen mit absehbarem Handlungsdruck erkennbar:
Steigender Investitionsbedarf: Über das künftig zunehmende Mittelvolumen für Ersatzin-
vestitionen zur Aufrechterhaltung der Bestandssysteme hinaus muss der sächsische ÖPNV
drei neue Aufgaben schultern:
- In den Ballungsräumen Dresden, Leipzig und Chemnitz soll er mindestens die zusätzli-
che Nachfrage erschließen, die mit dem prognostizierten Bevölkerungswachstum ein-
hergeht. Verhaltensänderungen junger Erwachsener sowie vor allem potenzielle Pkw-
Fahrverbote in den Städten können einen zusätzlichen Nachfrageschub erzeugen. Im
Falle einer offensiven ÖPNV-Wachstumspolitik, auch zur Vorbeugung von gerichtlich
angeordneten Fahrverboten für den MIV, die auf eine Zunahme des Modal Split zielt,
wären die Anforderungen noch höher.
- Im ländlichen Raum sollen moderne Mobilitätskonzepte erprobt und im Erfolgsfall ein-
geführt werden, die auch bei demographisch angespannter Entwicklung ein angemes-
senes Maß an öffentlicher Mobilität gewährleisten.
- Im Personenbeförderungsgesetz ist das Ziel verankert, die vollständige Barrierefreiheit
bis zum 1. Januar 2022 umzusetzen. Auch wenn dies planerisch und finanziell nicht
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 149 von 178
punktgenau möglich sein wird, bleiben die Aufgabenträger verpflichtet, den Sollzustand
so schnell wie möglich herzustellen.
In den Ballungsräumen ist ein hoher Investitionsbedarf sicher, in der Fläche sind Investiti-
onen in neue Konzepte und Technologien zumindest temporär wahrscheinlich. Hierauf
muss das Landesinvestitionsprogramm neu ausgerichtet werden. Ohne zusätzliche Mittel
aus dem Landeshaushalt wird es künftig nicht mehr möglich sein, alle förderfähigen Anträ-
ge zu bewilligen. Vielmehr ist es zwingend, eine konsistente Investitionsstrategie 2030 in
Abstimmung mit der kommunalen Ebene zu entwickeln und die Fördersysteme anzupas-
sen.
Landesweites Buskonzept: Die Finanzierung eines landesweit standardisierten und modu-
lar hierarchisierten Buskonzeptes stellt die gegenwärtige Finanzarchitektur insofern auf
die Probe, als es an keine der bisherigen drei Säulen im Landeshaushalt ideal andockt. Die
Arbeitsgruppe Finanzierung hält am ehesten die ÖPNVFinVO für politisch-instrumentell
geeignet, hierüber einen vom Freistaat Sachsen beigestellten Finanzierungsbetrag auszu-
reichen und ihn mit einer Kofinanzierung der kommunalen Ebene – in noch zu bestim-
mender Anteilshöhe – zu kombinieren.
Einige Fragen können erst in der Umsetzungsphase geklärt werden. Hierzu zählen z.B. der
Modus der Mittelvergabe (z.B. Zuweisung von kriterienbasierten Pauschalbudgets an die
fünf Zweckverbände [„Budgetmodell“] oder die maßnahmenbezogene Schlüsselung über
verkehrliche Parameter wie Fahrplankilometer [„Zuschussmodell“]), der Einbau von An-
reizelementen sowie die Zuordnung der Aufgabenträgerschaft.
Ausbildungsverkehr: Das gegenwärtige Konstrukt des ÖPNVFinAusG zum Ausgleich von
Mindereinnahmen der Verkehrsunternehmen aus ermäßigten Zeitfahrausweisen hat drei
positive Eigenschaften: Der vormalige Sollkosten-basierte Einzelfallansatz, der lange Fahr-
ten belohnte, wurde in ein Pauschalierungsmodell umgewandelt. Die Schlüsselung der
Mittel in Abhängigkeit von den Schülerzahlen und der Fläche ist darauf angelegt, die hori-
zontale Verteilung dynamisch zu halten. Und die vorgesehene Dynamisierung der Ge-
samtmittel um derzeit 1,8% p.a. trägt isoliert besehen der erwartbaren Teuerung Rech-
nung.
Eine Schwachstelle im heutigen Finanzierungsregime ist jedoch darin zu sehen, dass es
keine systematische Prüfung gibt, wie sich die Gesamtkosten des Systems Ausbildungsver-
kehr in Sachsen entwickeln und inwieweit diese für die kommunale Ebene unter erschwer-
ten Randbedingungen noch finanzierbar sind (Schülerzahl, freie Schulwahl, Inklusion, stei-
gende Reiseweite u. ä.). Die Arbeitsgruppe Finanzierung empfiehlt, hier nachzubessern
und
- im ersten Schritt einen regelmäßigen Prüfmechanismus zur Bewertung der Finanzlage
im System Ausbildungsverkehr einzuführen.
In einem zweiten Schritt sollte – insbesondere bei Erkennen einer dauerhaften Kosten-
unterdeckung – darüber nachgedacht werden, wie der Ausbildungsverkehr als Gesamt-
system künftig zukunftssicher finanziert werden kann. Dies bedeutet auch, neue Finan-
zierungswege jenseits der heutigen Instrumente und ihrer Mechanik in Erwägung zu
ziehen. Dies sollte mit dem Anreiz verknüpft werden, den Schülerverkehr so weit wie
möglich in den Jedermannverkehr (Linienverkehr) zu integrieren.
Digitaler Wandel: Die Digitalisierung hat den ÖPNV wie nahezu alle Gesellschaftsbereiche
voll erfasst und wird diesen Markt in den kommenden 20 Jahren erheblich verändern.
Welche neuen Geschäftsmodelle sich wann und wo in welcher Geschwindigkeit durchset-
zen („öffentliche Mobilität wird individualisiert“ – „individuelle Mobilität wird öffentlich“),
Seite 150 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
ist anno 2017 kaum beurteilbar. Aus der Sicht der öffentlichen Hand liegt die Herausforde-
rung darin, die Fördersysteme so zu flexibilisieren, dass auch neue Formen der Mobilität
getestet werden können. Hierfür sollten auch Mittel aus anderen Ressorts zusätzlich aktiv
eingeworben werden.
6. Jenseits der etablierten Finanzierungssäulen erachtet es die Arbeitsgruppe Finanzierung für
notwendig, auch im Tagesgeschäft nach Effizienzreserven Ausschau zu halten und diese durch
sinnvolle finanzarchitektonische Weichenstellungen auszuschöpfen. Spielräume könnten sich
z.B. eröffnen durch Anreizsetzungen im Hinblick auf die Entwicklungsziele für SPNV-Strecken
und für das neue Buskonzept, durch die Einführung einer Bagatellgrenze im LIP (Verschiebung
der Mittel und Investitionsverantwortung für kleinere Projekte in Richtung der Zweckverbän-
de), die stärkere Erfolgskontrolle der Förderprogramme oder durch Pauschalierungen von Mit-
teln.
7. Bundesweit hat der Anteil der Nutzerfinanzierung (Fahrgeldeinnahmen) in den letzten 10 Jah-
ren deutlich zugenommen. Dies gilt auch für Sachsen. Allerdings zeigt der Ländervergleich,
dass der Anteil der Nutzerfinanzierung im SPNV im Gegensatz zu den städtisch geprägten
ÖSPV-Werten unterdurchschnittlich ausfällt. Ursächlich ist nicht die Tarifhöhe, sondern die
Nachfragemenge. Ziel muss es sein, diese auf allen Streckenkategorien zu steigern und hierfür
Entwicklungsziele zu definieren.
8. Das Instrument der Nutznießerfinanzierung bietet einen Ansatz, zusätzliche Mittel für den
ÖPNV von solchen Akteuren zu erschließen, die von dem Optionsnutzen des ÖPNV(-
Angebotes) in hohem Maße fühlbar profitieren. Weil die Stellhebel wie ein ÖPNV-Beitrag aus-
nahmslos auf der kommunalen Ebene verortet und zudem politisch sensibel sind, ist dort zu
entscheiden, ob und in welcher Form sie zum Einsatz gelangen sollen. Die Unterstützung des
Landes konzentriert sich darauf, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen.
9. Die Analyse der Kostensteigerungen im Ausbildungsverkehr zeigt auf, dass viele Akteure in
dem komplexen Gebilde auf unterschiedlichen (Politik-)Ebenen Entscheidungen treffen, ohne
die ökonomischen Folgen („Preisschilder“) für die Leistungserbringer im ÖPNV – den Ver-
kehrsunternehmen – am Ende der Handlungskette zu kennen, geschweige denn zu verantwor-
ten. Beispielhaft zu nennen sind die freie Schulwahl, die Festlegung von Schulstandorten, die
Wahl der Schulanfangszeiten oder die erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen als Folge der
Inklusion.
Bisher unberücksichtigt und damit unklar ist auch der weitere Umgang mit den künftig voraus-
sichtlich stark steigenden Kosten des Sonderverkehrs zur Beförderung der Schüler und Auszu-
bildenden, die aus geistigen und körperlichen Gründen den angebotenen
ÖPNV/Schülerverkehr nicht nutzen können (Inklusion). Künftige Betrachtungen des Ausbil-
dungsverkehrs und seiner Finanzierung müssen diesem Umstand stärker Rechnung tragen und
möglichst in ein konsistentes Gesamtfinanzierungssystem münden.
Die Lösung der Gesamtproblematik ist komplex und bedarf eines sehr langen Atems. Als einen
ersten Reformansatz schlägt die Arbeitsgruppe Finanzierung vor, die „Mobilitätsfolgekosten“
von Maßnahmen wie der Schulzeitenfestlegung oder Schulneubauten verbindlich einschätzen
zu müssen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit ein ganzheitliches Bildungs- und
sozialpolitisches Konzept „Moderne Familie“ durch Anreize des Freistaats gefördert werden
könnte, z.B. indem kostenminimierende Mobilitätskonzepte der Schulen mit zusätzlichen Mit-
teln für die Ausstattung z.B. der Hortgestaltung, Freizeitmöglichkeiten in den Schulen u. ä. ver-
knüpft werden.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 151 von 178
Zur Begründung der Thesen
These 1: Sachsens ÖPNV besteht im Län-dervergleich
Der ÖPNV in Sachsen wurde seit den 1990er
Jahren konsequent kommunalisiert. Während
für den ÖSPV die kommunalen Aufgabenträ-
ger unmittelbar die Verantwortung tragen,
fungieren im SPNV die kommunalen Zweck-
verbände als Aufgabenträger.
Mit Blick auf die Angebots-, Nachfrage- und
Finanzdaten in beiden Teilsystemen des ÖPNV
ist zu konstatieren, dass Sachsen die Gegen-
überstellung mit anderen, strukturell ähnli-
chen Bundesländern in puncto Leistungsfähig-
keit und Wirtschaftlichkeit nicht zu scheuen
braucht. Dies geht aus einem von der Arbeits-
gruppe Finanzierung initiierten Länderver-
gleich Sachsens mit Niedersachsen, Rheinland-
Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen hervor.
Im Einzelnen sind Unterschiede erkennbar, die
sich im Wesentlichen über die Schwerpunkt-
setzung in den Ländern erklären, nicht jedoch
als Ergebnis der Finanzarchitektur.
Die relativ niedrigen SPNV-Bestellerentgelte
der sächsischen Zweckverbände (durch-
schnittlicher Zuschuss 2014: 9,32 EUR pro
Zugkilometer) liegen im bundesweiten Maß-
stab im oberen Drittel, obwohl die tendenziell
unterdurchschnittlichen Fahrgastzahlen noch
Steigerungspotenziale zur Verbesserung der
Finanzierungsanteils durch Fahrgeldeinnah-
men aufweisen, vgl. auch These 7). Im Um-
kehrschluss lässt sich ableiten, dass die Bestel-
ler ihre Angebotsplanung mit Augenmaß vor-
nehmen und sich ihre frühzeitig etablierte
Wettbewerbsstrategie bewährt hat. Im ÖSPV
führen die hohe Nachfrage, insbesondere in
den Ballungszentren, und vergleichsweise
günstige Produktionsstrukturen zu einem
bundesweit niedrigen spezifischen Zuschuss-
bedarf.
Angesichts dieses positiven Befundes lässt sich
folgern, dass das Finanzierungssystem des
sächsischen ÖPNV solide aufgestellt ist und
das Zusammenspiel der Akteure zwischen den
Gebietskörperschaften, aber auch horizontal
auf der Zweckverbandsebene sowie den Ver-
kehrsunternehmen bis dato alles in allem pro-
duktiv funktioniert hat – wie auch das The-
senpapier der Arbeitsgruppe Organisation
einleitend herausstreicht. Dessen ungeachtet
sind Verbesserungen möglich und Anpassun-
gen aufgrund sich ändernder Rahmenbedin-
gungen erforderlich.
Thesen 2 und 3: Finanzierung des Be-standssystems bei bewährter Finanzar-chitektur
Aus dem nachstehenden Finanztableau für
2014 geht hervor, wie sich das damalige
Marktvolumen des sächsischen ÖPNV von
rund 1,2 Mrd. EUR auf der Mittelherkunfts-
sowie auf der -verwendungsebene zusam-
mensetzt. Gut 30% der Mittel steuert der Nut-
zer bei, während knapp 70% aus öffentlichen
Haushalten stammen.
Das Land steht bei der Finanzierung des ÖPNV
vor erheblichen Herausforderungen im kom-
menden Jahrzehnt. Zu den beiden großen
Tab. 1: Finanzierungsquellen und Ausgabenzwecke im sächsischen ÖPNV 2014
Seite 152 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Aufgabenblöcken zählen (1) die Aufrechterhal-
tung des Bestandssystems sowie (2) die Be-
schaffung zusätzlicher Mittel für neue Erfor-
dernisse.
Die Analyse der Zukunftsfestigkeit der etab-
lierten Finanzierungsquellen auf der Mittel-
herkunftsebene zeigt, dass bereits die Finan-
zierung des Status quo im ÖPNV kein Selbst-
läufer sein wird, auch wenn sich die Finanzie-
rungsarchitektur des Landeshaushaltes mit
den drei Regelmechanismen ÖPNVFinVO,
ÖPNVFinAusG und LIP im Grundsatz bewährt
hat (s. Abbildung 1).
Überwiegend positiv zu werten ist das
mühevoll erkämpfte Ergebnis der Revisi-
on des Regionalisierungsgesetzes, das
den Ländern bis 2031 Planungssicherheit
bei der wichtigsten Finanzierungsquelle
verschafft. Diese reicht der Freistaat
über die ÖPNVFinVO bis 2027 weiter. Die
für 2020 geplante Revision der ÖPNVFin-
VO bietet grundsätzlich die Chance, auf
veränderte Rahmenbedingungen und ge-
sammelte Erfahrungen zu reagieren. Al-
lerdings muss sichergestellt werden, dass
jede erwogene Änderung unter den strik-
ten Prüfvorbehalt langfristiger Bindungen
(z.B. bei Verkehrsverträgen und Investiti-
onen) gestellt wird. Andernfalls würden
Risiken in den ÖPNV-Markt getragen, die
lähmend wirken können.
Kritisch ist aus heutiger Sicht die Verfüg-
barkeit der ergänzenden Töpfe einzu-
schätzen, insbesondere der Entflech-
tungsmittel sowie der EFRE-Mittel, wäh-
rend die Zukunft des GVFG-
Bundesprogramms zumindest dem
Grunde nach politisch gesichert er-
scheint. Die Arbeitsgruppe Finanzierung
sieht die Notwendigkeit, dass
die Mittel des GVFG-Bundesprogramms
vor dem Hintergrund ihrer bundesweit
mehrfachen Überzeichnung, der seit
1996 unveränderten Höhe, der wachsen-
den Bedeutung des Klimaschutzes sowie
der Reduzierung der Feinstaubbelastung
Abb. 1: Finanzierungssäulen des Freistaats Sachsen im ÖPNV
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 153 von 178
(„Dieselgipfel“) von bislang 332,56 Mio.
EUR auf 1.000 Mio. EUR erhöht und künf-
tig mit 1,5% p.a. dynamisiert werden,
- die Entflechtungsmittel ab 2020 min-
destens auf dem heutigen Niveau mit
Hilfe der künftig höheren Umsatzsteu-
eranteile des Freistaates verstetigt
werden und somit dem ÖPNV die rund
14 Mio. EUR auch nach der Aufhebung
der investiven Zweckbindung exklusiv
zur Verfügung stehen,
- die dem ÖPNV zugutekommenden EF-
RE-Mittel durch Landesmittel ersetzt
werden, falls das Programm nach 2020
nicht fortgeschrieben wird. Die Förde-
rung zielt v.a. auf strukturschwache
Regionen und setzt verschiedene För-
derziele, z.B. die CO2-Reduktion des
ÖPNV. Eine Prognose über die Verfüg-
barkeit von Mitteln für den Freistaat
Sachsen aus diesem Fonds ist aus vie-
len Gründen schwierig, z.B. aufgrund
des 2019 anstehenden „Brexit“ oder
aufgrund des Verlustes der Förderfä-
higkeit.
Eine besondere fiskalische Herausforderung
im ÖPNV erwächst für alle Ostländer aus dem
Ergebnis der Revision der Regionalisierungs-
mittel 2015. So hat der sog. „Kieler Schlüssel“
zur Folge, dass die Sachsen zugewiesenen
RegG-Mittel 2016 um 75 Mio. EUR sprunghaft
zunahmen, anschließend aber bis 2021 abso-
lut so abgeschmolzen werden, dass der Frei-
staat 2030 den nahezu identischen nominellen
Betrag wie 2016 erhält. Den Kaufkraftentwer-
tungseffekt aus 14 Jahren Inflation müsste er
damit über Effizienzgewinne wettmachen
oder aber zusätzliche Finanzierungsquellen
erschließen.
Die vorstehende Modellrechnung zeigt tabel-
larisch auf, wie sich der Saldo aus den prog-
nostizierten verfügbaren Mitteln und den
fortgeschriebenen Bestandsausgaben für die
gegenwärtigen Verwendungszwecke unter
bestimmten Annahmen entwickelt. Zu erken-
nen ist:
Bis zum Jahr 2022 plant der Freistaat in
seiner Mittelfristplanung eine RegG-
Reserve in Höhe von 285 Mio. EUR anzu-
sparen, um konsequent Vorsorge für die
Folgejahre bis 2031 zu treffen, in denen
die Bestandsausgaben die Einnahmen
übersteigen (s. Abbildung 2). Am Ende
des Zeitraums wird die aufgebaute Re-
serve vollständig abgeschmolzen sein. Ob
ein solcher Planungshorizont über 15
Jahre politisch praktikabel und durch-
haltbar ist, wird sich zeigen.
Tab. 2: Modellrechnung zur Finanzierung der Bestandsausgaben bis 2031
Seite 154 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Zu beachten sind die Prämissen der Mo-
dellrechnung:
- Die Reichweite der Ansparreserve aus
den RegG-Mitteln und damit der Ab-
baurate im Zeitraum 2023 bis 2031 ist
daran ausgerichtet, a) die überwie-
gend konsumtiven, mit 1,8% p.a. fort-
geschriebenen Zuschüsse an die
ÖPNV-Zweckverbände, b) rund zwei
Drittel der ab 2021 mit 1,8% p.a. dy-
namisierten ÖPNVFinAusG-Mittel so-
wie c) einen jährlichen Festbetrag für
Investitionen in Höhe von 40,7 Mio.
EUR zu decken.
- Alle weiteren Einnahmen- und Be-
standsausgabenwerte für Investitionen
aus dem LIP bleiben ebenfalls undy-
namisiert. Dies hätte zur Folge, dass
bei zu erwartenden Kostensteigerun-
gen die Kaufkraft je EUR Investitions-
zuschuss (weiterhin) abnähme und re-
al weniger investiert werden könnte
bzw. ein Substanzverzehr entstünde.
- Die unterstellte Dynamisierung der Be-
triebsbeihilfen für die Schmalspurbah-
nen (1,0% p.a.) und des Landesanteils
am ÖPNVFinAusG (1,8% p.a. ab 2021)
führt demnach automatisch zu einem
Aufwuchs der Mittel aus dem Landes-
haushalt.
Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die heu-
tigen Bestandsausgaben in der Summe trotz
geplanter strikter Vorsorgepolitik nicht voll-
ständig ausfinanziert sind, weil auch im Inves-
titionsbereich mit einer natürlichen Inflation
zu rechnen ist.
Thesen 4: Künftige Mehrbedarfe
Vor dem Hintergrund künftiger Anforderun-
gen und Erwartungen an den ÖPNV identifizie-
ren die Arbeitsgruppen der Strategiekommis-
sion ein Set an landesbedeutsamen Maßnah-
men, das im Zielzustand 2025/2030 bei voll-
ständiger Umsetzung in der Summe einen
fiskalischen Mehrbedarf von rund 500 Mio.
EUR verursacht, wie die folgende Tabelle vor
Augen führt:
Abb. 2: Aufbau- und Abbauraten der Finanzierungsreserve RegG
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 155 von 178
Tab. 3: Finanzierungsbedarf landesbedeutsamer Maß-nahmen im ÖPNV
Zur Einordnung: Das heutige Marktvolumen
im ÖPNV Sachsens beträgt rund 1.300 Mio.
EUR pro Jahr, das sich bis 2025 unter Berück-
sichtigung differenzierter Dynamisierungsra-
ten für die Bestandsausgaben und die Fahr-
gelderlöse sowie der unterstellten Fahrgast-
zuwächse auf etwa 1.500 Mio. EUR erhöhen
dürfte. Hieran gemessen beträgt der o. g. Zu-
satzbedarf etwa ein Drittel – was ins Verhält-
nis zum Gegenwert einer erheblichen Ange-
botsausweitung sowie deutlichen Qualitäts-
verbesserungen im ÖPNV zu setzen ist.
Angesichts des in These 3 aufgezeigten Kraft-
aktes zur Finanzierung der Bestandsausgaben
unter vollständigem Verbrauch der Ansparre-
serve ist evident, dass der Mehrbedarf für die
neuen, teilweise kostenintensiven Vorhaben
aus den bisherigen Einnahmen nicht zu stem-
men ist, sondern zusätzliche Mittel erfordert.
Keine der heutigen Akteursgruppen „Bund,
Land, Kommunen, Nutzer“ kann (und möchte)
einen solchen Mehrbedarf allein schultern,
sondern es bedarf für landesweit bedeutsame
Aufgaben einer konzertierten Lastenverteilung
unter Federführung des Landes. Das erfolgrei-
che Einwerben solcher Mittelvolumina im
„politischen Nahkampf“ setzt voraus, den
politischen und gesellschaftlichen Stellenwert
des ÖPNV sukzessive deutlich zu erhöhen.
These 5a: Investitionen
Die Robustheit des Finanzierungssystems
ÖPNV bemisst sich maßgeblich an der Fähig-
keit, zukünftige Bedarfe absichern zu können.
Die Kombination aus Daueraufgaben im Be-
stand (auskömmliche Refinanzierung der Er-
satzinvestitionen) und neuen Akzentsetzun-
gen hat zur Folge, dass die Investitionspolitik
des Landes im ÖPNV drei zusätzliche Heraus-
forderungen bis 2025/2030 zu bewältigen hat:
Reaktion auf wachsende Nachfrage: In
den Ballungszentren Dresden, Leipzig
und Chemnitz geht die prognostizierte
Bevölkerungsentwicklung mit einer be-
reits heute erkennbaren Nachfragestei-
gerung einher, die für das Jahr 2025 ne-
ben dem Ersatzinvest zusätzliche Investi-
tionsbedarfe von ca. 48 Mio. EUR nach
sich zieht. Erforderlich sind neue und zu-
sätzliche Fahrzeuge, um Taktverdichtun-
gen und Kapazitätserhöhungen umsetzen
zu können. Auch einzelne Infrastruk-
turanpassungen sind notwendig.
Werden ambitioniertere Konzepte ver-
folgt, die den Marktanteil des ÖPNV sig-
nifikant auszuweiten suchen („Wachs-
tumsszenario“), werden weitere ca. 43
Mio. EUR benötigt. Ohne Streckenaus-
bauten und Flottenerweiterungen im
größeren Umfang, die in etwa ab 2025
Seite 156 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
greifen müssen, lassen sich derartige Zie-
le nicht erreichen. Andernfalls würde der
ÖPNV die Chance verspielen, in Spitzen-
zeiten oder bestimmten Aufkommens-
schwerpunkten zusätzliche Fahrgäste zu
gewinnen. Für größere Projekte sind wei-
terhin die Möglichkeiten des GVFG-
Bundesprogramms zu nutzen. Dadurch
lassen sich (geplante) Landesmittel sub-
stituieren oder der Investitionstopf in
Summe anheben.
In etwas abgeschwächter Form stehen
auch in den anderen Oberzentren des
Freistaates (speziell den Straßenbahn-
städten Görlitz, Plauen und Zwickau) Er-
weiterungsinvestitionen an, um den zu-
künftigen ÖPNV zu gestalten (ca. 7 Mio.
in 2025). Vor dem Hintergrund aktueller
Diskussionen um mögliche Fahrverbote
für Pkw (zur Verbesserung der Luftquali-
tät) in den Städten ist ein leistungsfähiger
ÖPNV Grundvoraussetzung, um den Um-
stieg zu fördern.
Im ländlichen Raum ist die Aufgabenstel-
lung eine andere: Dort muss keine ver-
lässlich zunehmende Nachfrage „ledig-
lich“ abgeholt werden, sondern hier bie-
tet eine dosierte angebotsorientierte Po-
litik möglicherweise die Chance, den Fol-
gen der demographischen Entwicklung
entgegenzuwirken bzw. neue Nut-
zer(gruppen) zu erschließen. Soll der
ÖPNV auch im ländlichen Raum zukünftig
eine Nutzungsoption anstelle des MIV für
die Bürger sein, muss das Angebot (z.B.
„On-Demand“-Verkehre) sehr wahr-
scheinlich anders als derzeit organisiert,
ggf. auch flexibilisiert werden. Hier lässt
der Treiber „Digitalisierung“ hoffen, dass
im Vertrieb, bei der Angebotsplanung
und der (betrieblichen) Arbeitsteilung
zwischen ÖPNV und MIV Spielräume ent-
stehen, um Verkehre effizienter zu pro-
duzieren und für die (aus demographi-
schen Gründen ggf. abnehmende Zahl
der) Nutzer einfacher zugänglich zu ma-
chen. Dies setzt voraus, in Modell- und
Pilotvorhaben mit einer Anschubförde-
rung zu investieren, da sie für die Ver-
kehrsunternehmen zumindest zu Beginn
nicht (eigen)wirtschaftlich fahrbar sein
werden.
Mit der Vorgabe des bundesdeutschen
Gesetzgebers im PBefG, die vollständige
Barrierefreiheit im ÖPNV bis zum 1. Ja-
nuar 2022 umzusetzen, ist Ländern,
Kommunen und Verkehrsunternehmen
eine weitere investive Mammutaufgabe
auferlegt worden. Abgesehen von den
gesetzlichen Restriktionen ist ein barrie-
refreier ÖPNV essentiell für einen attrak-
tiven ÖPNV, weil schätzungsweise 20%
der Bevölkerung dauerhaft oder zeitwei-
se mobilitätseingeschränkt sind. Sollen
diese Nutzer nicht ausgeschlossen wer-
den, muss ihnen einen einfacher Zugang
und eine sichere Nutzung des Nahver-
kehrs ermöglicht werden. Auf der Basis
der gesetzlich zulässigen Ausnahmetat-
bestände und unter Berücksichtigung
pragmatischer Anforderungen der Be-
troffenenverbände sowie der Vorlaufzei-
ten bei Planung und Bau hat die Arbeits-
gruppe Infrastruktur und Fahrzeuge ei-
nen Umrüstgrad der Haltestellen bis
2030 definiert und mit Kosten hinterlegt.
Diese beläuft sich auf rund 29 Mio. EUR
p.a., ohne Umrüstungen im Rahmen des
laufenden Re-Invests von Haltestellen
und Fahrzeugen.
Aus der Vielzahl der Bedarfsanmeldungen und
der Größenordnung der resultierenden Mit-
telhöhe leitet sich das Erfordernis für den
Freistaat ab, eine abgestimmte Investitions-
strategie bis 2030 zu entwickeln. Die in der
Vergangenheit gelebte Praxis, im Zweifel je-
den förderfähigen Antrag dank einer guten
Ausstattung des Landesinvestitionsprogramms
bewilligen zu können, wird in der Zukunft mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr tragfähig
sein. Stattdessen sind materielle wie zeitliche
Priorisierungen unausweichlich, auch wenn
die Ausweitung des Etats das vorgeschaltete
Ziel sein muss.
Innerhalb des LIP ist künftig der Spagat zu
leisten, einerseits für wichtige Themenblöcke
wie Ersatzinvest, Wachstumsinvestitionen
oder den ländlichen Raum eine hinreichende
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 157 von 178
Planungssicherheit über mindestens eine De-
kade zu schaffen, ohne aber sich flexible
Handlungsoptionen in Gänze zu verschließen.
So ist derzeit nicht abschätzbar, welche Ent-
wicklungen in den Bereichen innovative Bus-
antriebe (mit/ohne spezielle Ladeinfrastruk-
tur) oder autonomes Fahren auf der Straße in
den nächsten 10 bis 15 Jahren zusätzliche
öffentliche Investitionen erfordern.
Instrumentell ist im kommenden Jahr – auf-
setzend auf den Vorarbeiten der Arbeitsgrup-
pe Finanzierung – zu prüfen, ob die Fördersys-
teme zu den künftigen Anforderungen noch
passfähig sind bzw. wie sie modifiziert werden
können. Auch organisatorisch können Anpas-
sungen sinnvoll sein, z.B. bei der Arbeitstei-
lung der Mittelbewilligung und -kontrolle zwi-
schen Land (LASuV) und den Zweckverbänden
in Abhängigkeit von der Investitionshöhe und
der Art des Vorhabens.
These 5b: Landesweites Buskonzept
Die Arbeitsgruppe Angebotsentwicklung hat
ein landesweites ÖPNV-Grundnetz erarbeitet,
das die Erreichbarkeit eines erheblichen Teils
der sächsischen Bevölkerung deutlich verbes-
sern soll. Zentraler Stellhebel ist die Schaffung
einer Dachmarke für landesbedeutsame Bus-
verkehre. Im Ergebnis resultiert allein für das
PlusBus-Netz eine Angebotsausweitung im
ÖSPV bis 2025 in Höhe von 17,27 Mio. zusätz-
lichen Fahrplan-km, die einen konsumtiven
Mehrbedarf von 30,2 Mio. EUR verursacht
(Bestellerentgelt inkl. konsumtiv umgerechne-
ter Investitionen).
Für eine mögliche Umsetzung des landeswei-
ten Bus-Konzeptes, das aus mehreren Bau-
steinen besteht, stellt sich v.a. die Frage, wo
die Verantwortlichkeiten (Aufgabenträger-
schaft) verortet werden und wie die Finanzie-
rung instrumentell gestrickt wird. Dabei soll
die (operative) Aufgabenverantwortung auf
der kommunalen Ebene bleiben, die zu ent-
scheiden hat, ob sie von den Gebietskörper-
schaften selbst oder aber ihren Zweckverbän-
den wahrgenommen werden soll.
Bei der Ausgestaltung der Finanzierung des
PlusBus-Konzeptes – das aufgrund seiner Lan-
desbedeutsamkeit im Vordergrund steht –
wird von einer Mischfinanzierung ausgegan-
gen. Ein solches Konstrukt trägt der Tatsache
Rechnung, dass der Nutzen für die Fahrgäste
und die Nutznießer zu einem bestimmten Teil
auf der kommunalen Ebene anfällt, das Land
aber ein gesteigertes Interesse daran hat,
einen einheitlichen Standard zu etablieren
und eine landesweite Verbesserung der Er-
reichbarkeit herzustellen. Die genaue Vertei-
lung der Finanzierungsanteile muss zwischen
den Beteiligten verhandelt werden.
Da keine der bisherigen drei Säulen des Lan-
des zur Finanzierung des ÖPNV ideal zur Fi-
nanzierung des (Plus)Bus-Konzeptes passt, ist
aus finanzarchitektonischer Sicht entweder
ein Kompromiss einzugehen oder aber eine
weitere, vierte Säule zu gründen. Die Arbeits-
gruppe Finanzierung tendiert zu der Auffas-
sung, dass sich die ÖPNVFinVO am ehesten als
Regelungsinstrument eignet. Zwar ist diese
überwiegend konsumtiv zugunsten des SPNV
angelegt, sieht als Adressaten die Zweckver-
bände vor und ist – zumindest bisher – als
Budgetmodell konzipiert. Diese Eigenschaften
sind aber kein K.O.-Kriterium, weil der SPNV
im RegG nur „insbesondere“ als Verwen-
dungszweck genannt wird, die operative wie
finanzielle Einschaltung der Zweckverbände
ohnehin naheliegend ist und ein Teil der Mit-
tel auch nach anderen Kriterien ausgereicht
werden könnte. Der große Vorteil der
ÖPNVFinVO ist in ihrer (relativen) Langfristig-
keit zu sehen, dessen Planungssicherheit auf
alle Beteiligten der Mischfinanzierung abfärbt.
Sofern die Landkreise Aufgabenträger für die
PlusBus-Verkehre sind bzw. bleiben, muss die
Weiterreichung anteiliger Mittel von den
Zweckverbänden geregelt werden. Dies wird
der nachfolgenden Finanzierungsausgestal-
tung unterstellt.
Hinsichtlich der instrumentellen Feinkonzepti-
on sind zwei Modelle mit unterschiedlichen
Varianten der Anreizsetzung möglich:
„Zuschussmodell“: Der Freistaat fördert
anteilig die (zusätzlichen) Aufwendungen,
die im Zusammenhang mit der Etablie-
rung des landesweiten PlusBus-Netzes
entstehen. Der Zuschuss an den zustän-
Seite 158 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
digen kommunalen Aufgabenträger kann
entweder ein Festbetrag oder eine pro-
zentuale Beteiligung an den Betriebs-
mehrkosten sein. Im Folgenden gehen
wir von der erstgenannten Variante aus,
da diese gerade in der Phase des Aufbaus
eine anreizkonformer Lösung darstellt
und einen geringeren bürokratischen
Mehraufwand erzeugt. Ausgehend von
einem vorab definierten Zuschuss des
Freistaats je Fahrplan-km trägt die Kom-
mune den entstehenden Saldo aus Ge-
samtkosten abzüglich Zuschuss und Fahr-
gelderlösen.
Auf dem Zuschussmodell aufbauend
können Anreize, Prämissen bzw. die Ver-
teilung von Zuwendungen gestaltet wer-
den. Hierbei sind verschiedene Unterva-
rianten denkbar:
- Abgrenzung Bestandsverkehre: Für
Sachsen ist zu empfehlen, dass das
PlusBus-Zielnetz sowie das Delta zu
den Bestandsverkehren vorab klar de-
finiert werden. Somit wird verhindert,
dass kommunale Eigenmittel substitu-
iert werden. Um das Abgrenzungs-
problem zwischen Bestandsverkehren
in finanzieller Verantwortung der
Kommunen und Neuverkehren unter
finanzieller Beteiligung des Freistaats
zu umgehen, scheint es ratsam, grund-
sätzlich mit Durchschnittskosten zu ar-
beiten, unabhängig davon ob z.B. ein
zusätzlicher Bus einkalkuliert werden
muss oder nicht. Details sind in einer
Förderrichtlinie festzulegen.
- Sprinterprämie: Denkbar ist zudem,
dass eine schnelle/spürbare Angebots-
verbesserung in Richtung des PlusBus-
Zielnetzes eine politische Zielsetzung
ist. In diesem Fall könnten den kom-
munalen Aufgabenträgern im Zu-
schussmodell Anreize gesetzt werden,
rasch die Umsetzung voranzutreiben
(etwa über zeitlich gestaffelte Förders-
ätze).
„Budgetmodell“: Alternativ können Bud-
gets pauschal den PlusBus-
Aufgabenträgern zugewiesen werden. Al-
lerdings wäre aus Landessicht sicherzu-
stellen, dass die Mittel zweckgebunden
zur Einführung von neuen PlusBus-Linien
eingesetzt werden und die Kofinanzie-
rung durch die Kommunen ergänzend ge-
leistet wird. Um Anreize zu setzen, wäre
die Einführung eines geschlossenen (ho-
rizontalen) Schlüssels oder einer ander-
weitigen Erfolgskontrolle zu erwägen.
Diese hat allerdings nur Sinn, wenn eine
mehrjährige Anlaufphase vorgeschaltet
wird. Das Budget ließe sich als Aufsto-
ckung der ÖPNVFinVO vergleichsweise
einfach an die Zweckverbände ausrei-
chen. Der zweckgebundene Mitteleinsatz
könnte über standardisierte Verfahren
(analog Berichtspflichten nach VO 1370)
nachgewiesen werden.
Da beide Modelle Vor- und Nachteile haben
und ihre Merkmale zudem kombiniert werden
können, sieht die Arbeitsgruppe Finanzierung
weiteren Prüfbedarf, auch im Hinblick auf die
möglichst schnelle Umsetzbarkeit auf der Zeit-
schiene. Für die Einschwungphase verspricht
das Zuschussmodell auf Festbetragsbasis –
ggf. mit einer Sprinterprämie – die höchste
Wirksamkeit, weil der administrative Vorlauf
am geringsten auszufallen scheint. Allerdings
ist hierbei entscheidend, den Festbetrag des
Landes so zu bemessen, dass er den Anwen-
dungsfall im Durchschnitt repräsentativ abbil-
det und für die kommunale Ebene hinreichend
attraktiv ist. Der Vorteil der Belohnung jeder
Maßnahme geht möglicherweise mit dem
Nachteil einher, die ersten Schritte der Einfüh-
rung ungleich über das Land verteilt zu sehen
(was allerdings bei grundsätzlich unterschied-
licher Bereitschaft der Akteure sich auch im
Budgetmodell so entwickeln könnte)
Nach einer Testphase und bei höherem Um-
setzungsgrad des Zielnetzes könnte man wo-
möglich zu einem Budgetmodell mit Anreiz-
elementen umschwenken.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 159 von 178
These 5c: Finanzierung des Ausbildungs-verkehrs
Seit 1977 regelt § 45a Personenbeförderungs-
gesetz (PBefG) den Ausgleich an Unternehmen
für Mindereinnahmen aus der Beförderung
von Personen mit Zeitfahrausweisen des Aus-
bildungsverkehrs. Dieser Ausgleich wird im
Allgemeinen als Preis-Kosten-Ausgleich ver-
standen und ist in der Fachwelt umstritten,
weil nach pauschaliertem Verfahren zu be-
stimmende (Soll-)Kosten zugrunde gelegt
werden und eventuelle Effizienzgewinne bei
der Organisation der Schülerverkehre unbe-
rücksichtigt bleiben. Daher hat Sachsen wie
andere Bundesländer von der Möglichkeit des
§64a PBefG Gebrauch gemacht, eine abwei-
chende landesgesetzliche Regelung zu treffen.
Im ÖPNVFinAusG regelt der Landesgesetzge-
ber nunmehr insbesondere den Gesamtum-
fang der Ausgleichsmittel und deren Vertei-
lung zur Unterstützung der Aufgabenträger.
Diese legen gemäß § 1 Abs. 2 „in eigener Zu-
ständigkeit die Voraussetzungen für die Aus-
zahlung der Mittel an die Verkehrsunterneh-
men nach Maßgabe der Zweckbindung nach
Abs. 1“ fest. Hierdurch kann es zu abweichen-
den Mittelverteilungsverfahren kommen, die
sich in unterschiedlicher Form an den bisheri-
gen Vorgaben zum Ausgleichsverfahren nach
§45a PBefG orientieren.
Seit der Novellierung des ÖPNVFinAusG 2012
werden die Mittel an die Landkreise, Kreis-
freien Städte und Großen Kreisstädte als Auf-
gabenträger (entsprechend § 2 Abs. 5
ÖPNVFinAusG i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 3 ÖPNVG)
in zwei Töpfe aufgeteilt, deren Volumen in
etwa gleich groß ist:
Grundbetrag (Topf 1): Fixierte Anteile
zwischen Kreisen und Kreisfreien Städten
als Aufgabenträger; historischer Zuwei-
sungsschlüssel
Weitere Mittel (Topf 2):
- Stufe 1: Dynamischer Verteilungs-
schlüssel für Landkreise und Kreisfreie
Städte entsprechend „Anteil Fläche“
(Gewichtung: 30%) und „Anteil Schü-
ler“ (70%).
- Stufe 2: Verteilung der in Stufe 1 für
die Landkreise ermittelten Summen
entsprechend „Anteil an Schülern“
(Gewichtung: 50%) und „Abweichung
Fläche/Schüler“ (50%).
Die Mittel an die Großen Kreisstädte werden
entsprechend § 2 Abs. 5 ÖPNVFinAusG i. V. m.
§ 3 Abs. 1 S. 3 ÖPNVG nach prozentualen Be-
trägen verteilt. Das Gesamtvolumen für 2017
und 2018 wird im Vergleich zum Vorjahr je-
weils um 1,8% angehoben. Anpassungen ab
2019 sind gesetzlich noch nicht verankert,
werden aber in der mittelfristigen Finanzpla-
nung des Landes zur Absicherung der Dynami-
sierung ebenfalls mit 1,8% p.a. unterstellt.
Die Ablösung des Sollkosten-Ansatzes, der
Einbau eines dynamischen Schlüssels sowie
die Absicht einer regelmäßigen Dynamisierung
der Mittel sind positiv zu werten. Allerdings
wirft der Schlüssel methodisch die Frage auf,
ob er hinreichend ausgereift ist. So sind weder
die Fläche noch die Anzahl der Schüler (und
Hochschüler) für die ÖPNV-relevanten Verwal-
tungseinheiten der Kreise/Städte beeinfluss-
bar. Dies gilt in beide Richtungen, da ein Ein-
frieren eines Schlüssels bei erheblichen Ände-
rungen der Schülerzahlen und Reiseweiten
sowohl bei Weg- als auch starkem Zuzug kri-
tisch werden kann. Die Verteilung in Schritt 1
begünstigt die Städte mit vielen (Hoch-, Be-
triebs- und allgemeinbildenden) Schülern. Im
Zuge der zunehmenden Bevölkerungswande-
rung in die Ballungsräume sind vor allem die
Zuweisungen an die Landkreise tendenziell
rückläufig, so dass der Anteil der an die Land-
kreise ausgekehrten Grundbeträge zukünftig
sinken wird – bei tendenziell steigenden Kos-
ten.
Noch schwerer wiegt allerdings das Grund-
problem, bisher kein (geeignetes) Messverfah-
ren vorzuhalten, das die Systemkosten des
Ausbildungsverkehrs landesweit erfasst und
zu bestimmen sucht. Es ist umstritten, ob das
derzeitige Mittelniveau zum Ausgleich für
vergünstigte Schülerverkehrstarife ausrei-
chend ist. Unbestritten ist hingegen die stetige
Kostensteigerung im Schülerverkehr, insbe-
sondere bei heterogener Entwicklung in den
Ballungsräumen und in der Fläche, die letztlich
Seite 160 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
auch auf die Differenz zwischen Regel- und
Ermäßigungstarif durchschlägt.
Die Arbeitsgruppe Finanzierung empfiehlt,
hier nachzubessern und im ersten Schritt ei-
nen regelmäßigen Prüfmechanismus (Revisi-
on) zur Bewertung der Finanzlage im System
Ausbildungsverkehr einzuführen. In einem
zweiten Schritt sollte – insbesondere bei Er-
kennen einer dauerhaften Kostenunterde-
ckung – darüber nachgedacht werden, wie der
Ausbildungsverkehr als Gesamtsystem künftig
zukunftssicher finanziert werden kann. Dies
bedeutet auch, neue Finanzierungswege jen-
seits der heutigen Instrumente und ihrer Me-
chanik in Erwägung zu ziehen. Neuregelungen
sollten mit dem Anreiz verknüpft werden, den
Schülerverkehr so weit wie möglich in den
Jedermannverkehr (Linienverkehr) zu integrie-
ren.
These 5d: Digitaler Wandel
Die Digitalisierung hat den ÖPNV wie nahezu
alle Gesellschaftsbereiche voll erfasst und
wird diesen Markt in den kommenden 20 Jah-
ren weiter erheblich verändern. Welche neu-
en Geschäftsmodelle sich wann und wo in
welcher Geschwindigkeit durchsetzen („öf-
fentliche Mobilität wird individualisiert“ –
„individuelle Mobilität wird öffentlich“), ist
anno 2017 kaum beurteilbar.
Aus diesem Grund wurde in der Strategie-
kommission entschieden, die Auswirkungen
und Entwicklungstendenzen der Digitalisie-
rung in einer separaten Studie ausführlich
untersuchen zu lassen. Die Wirkungsanalyse
nimmt die Handlungsfelder Betrieb, Infra-
struktur, Fahrzeug und Kunde und deren
Wechselwirkungen unter die Lupe. Unter den
Entwicklungstendenzen wird ein Ausblick ge-
wagt, welcher Trend eher einer Mode ent-
springt und welche anderen Neuerungen Be-
stand zu haben scheinen. Zudem wird geprüft,
worauf sich die wichtigsten Marktteilnehmer
einstellen sollten.
Aus der Sicht der öffentlichen Hand liegt die
fiskalische Herausforderung darin, die Förder-
systeme so zu flexibilisieren, dass auch neue
Formen der Mobilität erprobt werden können,
die quer zu den bisherigen Zuständigkeiten
und Denkmustern liegen. Hierfür sollten auch
Mittel aus anderen Ressorts und Programmen
zusätzlich aktiv eingeworben werden. Zudem
muss entschieden werden, wann der richtige
Zeitpunkt des Umsteuerns in der Förderpolitik
gekommen sein könnte und wie eine Mindest-
flexibilität trotz langfristiger Bindungen ge-
wahrt wird.
These 6: Hebung von Effizienzreserven
Effizientes Handeln wird in der Regel mit dem
Gedanken verknüpft, gemäß dem Verursa-
cher- und Äquivalenzprinzip die Ausgaben-,
Aufgaben- und Einnahmenverantwortung
möglichst deckungsgleich auf der gleichen
Akteursebene zu bündeln. Dies sollte subsidiär
dort geschehen, wo die beste Quersumme aus
Kompetenz und Motivation zu vermuten ist.
Im ÖPNV wird diese Erfolgsformel systema-
tisch verletzt, indem viele Beteiligte am Be-
und Erstellungsprozess mitwirken und die
Finanzierung auf viele Schultern verteilt ist
(„Spaghetti-Finanzierung“). Aufgrund dieser
historisch gewachsenen Verästelungen sind
grundlegende Verbesserungen nur möglich,
wenn die Bund-Länder-Finanzbeziehungen im
ÖPNV systematisch neu geordnet werden.
Darunter sind auf Landesebene nur graduelle
Fortschritte zu erzielen.
Hiervon unbenommen sieht die Arbeitsgruppe
Finanzierung es als Daueraufgabe an, im Ta-
gesgeschäft nach Effizienzreserven im Kleinen
Ausschau zu halten und diese durch sinnvolle
finanzarchitektonische Weichenstellungen
auszuschöpfen. Spielräume könnten sich z.B.
eröffnen durch
Anreizsetzungen im Hinblick auf die Ent-
wicklungsziele für SPNV-Strecken und für
das neue Buskonzept,
die Einführung einer Bagatellgrenze im
LIP (Verschiebung der Mittel und Investi-
tionsverantwortung für kleinere Projekte
in Richtung der Zweckverbände),
die stärkere Erfolgskontrolle der Förder-
programme,
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 161 von 178
Pauschalierungen der Finanzierungs-
ströme, um den Adressaten größere
Spielräume zu eröffnen
These 7: Nutzerfinanzierung
Die Fahrgelderlöse sind eine zentrale Säule
der ÖPNV-Finanzierung. Sie ergeben sich aus
dem Produkt der nachgefragten Menge an
Fahrten bzw. Personenkilometern mit den
hierfür entrichteten Tarifen.
Abb. 3: Anteil der Nutzerfinanzierung 2014 im Länder-vergleich
Wie der Ländervergleich zeigt, liegt in Sachsen
der durch die Fahrgäste getragene Anteil an
den Gesamtkosten des ÖPNV bei 30,9% (gel-
ber Balken). Den Rest steuern Finanzmittel aus
öffentlichen Haushalten bei. Im Vergleich mit
den vier Referenzländern liegt dieser Wert im
Mittelfeld.
Der Nutzerfinanzierungsanteil differiert im
Freistaat Sachsen jedoch zwischen den Ver-
kehrssegmenten. Während der ÖSPV dank der
Ballungsräume im Vergleich einen hohen An-
teil ausweist (43,3%, hellgrüne Markierung),
liegt der von den Fahrgästen getragene Kos-
tenanteil im SPNV mit 26,4% (dunkelgrüne
Markierung) deutlich unter den meisten Ver-
gleichsländern und dem bundesweiten Durch-
schnitt von gut 40%.
Abb. 4: Auslastung im SPNV 2014 im Ländervergleich
Die wesentliche Ursache hierfür liegt in der
unterdurchschnittlichen Auslastung der Züge –
nicht in der Höhe der Ticketpreise. Sachsen
fällt mit durchschnittlich 41,6 Fahrgästen in
dieser Kategorie hinter den Vergleichsländern
zurück. Dabei weisen nicht nur die Strecken in
Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte
eine zu geringe Nachfrage auf; auch Regional-
expressangebote zwischen den drei Ballungs-
räumen offenbaren noch Entwicklungspoten-
zial.
Zielsetzung muss daher sein, die Auslastung
auf allen SPNV-Strecken zu erhöhen. Hierfür
können verschiedene Maßnahmen ergriffen
werden, wie die Konzepte der Arbeitsgruppen
Angebotsentwicklung bzw. Tarif und Vertrieb
zeigen. Als Entscheidungsgrundlage wird emp-
fohlen, sachsenweit die Auslastung im SPNV
zu evaluieren und künftig Entwicklungsziele
für die Fahrgastnachfrage von Linien, z.B. in
Verkehrsanteilen (Modal Split), zu formulie-
ren.
These 8: Nutznießerfinanzierung
Vor dem Hintergrund des in These 4 festge-
stellten Bedarfs an zusätzlichen Mitteln bei
hohem Anspannungsgrad der konventionellen
Finanzierungsquellen erscheint es sinnvoll,
ergebnisoffen zu prüfen, inwieweit ergänzen-
de Finanzierungsinstrumente etabliert werden
können. Eine Möglichkeit kann die Einbindung
von Akteuren sein, die (noch) keine direkten
Nutzer des ÖPNV sind, von seinem Options-
nutzen wie z.B. der Erschließungswirkung aber
hinreichend belegbar profitieren. Dies kann
zum Beispiel für nah am ÖPNV lebende Ein-
wohner oder Grundstückseigentümer gelten.
Seite 162 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Ebenso können Unternehmen oder Touristen
Nutznießer eines ÖPNV-Angebotes sein.
Im Regelfall impliziert diese Form der Mittel-
aufbringung beitragsgestützte Finanzierungen.
Das Beitragsrecht stellt bestimmte Anforde-
rungen an die Erhebung von Beiträgen. Hierzu
gehören die genaue Definition der Beitrags-
zahler, die Bestimmung eines Sondervorteils
für die Beitragsleistung sowie der Kostenbe-
zug der Beitragskalkulation. Beiträge dürfen
nicht zur allgemeinen Finanzierung des ÖPNV
herangezogen werden, sondern müssen im-
mer auf einer Gegenleistung für den Beitrags-
zahler beruhen.
Bisher sind – mit Ausnahme der ÖPNV-Taxe –
im Kommunalen Abgabengesetz (KAG) die
gesetzlichen Möglichkeiten für Beitragsmodel-
le im ÖPNV noch nicht vorhanden. Der Frei-
staat sollte dies anpassen und grundsätzlich
einen Spielraum bei der Instrumentenauswahl
schaffen. Die Entscheidung über die Einfüh-
rung entsprechender Instrumente und deren
Ausgestaltung ist von den kommunalen Akt-
euren zu treffen. Diese sollten hierfür in den
offenen Dialog mit den Bürgern treten und Für
und Wider der Instrumente abwägen. Dabei
kann die Diskussion über Ziele und Umfang
des ÖPNV-Angebotes mit der Beitragsdiskus-
sion in einen fühlbaren Zusammenhang ge-
bracht werden. Gelingt es den Kommunen, die
Vorteile des ÖPNV-Systems unter Einbezie-
hung einer Nutznießerfinanzierung herauszu-
stellen, lässt sich ein Mindestmaß an Akzep-
tanz erzielen.
Die Einführung einer Nutznießerfinanzierung
sollte in keinem Fall die bestehende öffentli-
che Finanzierung hinsichtlich ihrer Quellen
und des Mittelniveaus ersetzen, sondern sie
auf eine breitere Basis stellen, z.B. für Ange-
botsverbesserungen.
These 9: Reformansätze im Ausbildungs-verkehr
In These 5c wurde darauf hingewiesen, dass
die Kosten für das System Ausbildungsverkehr
seit geraumer Zeit beständig zunehmen, ohne
dass sie derzeit regelmäßig und valide einge-
schätzt werden können. Die Ursachen dieser
Entwicklung sind komplex. Systemimmanente
Kostensteigerungen ergeben sich aus der re-
gulären Entwicklung der Produktionskosten im
ÖPNV, z.B. beim Energiebezug oder den Per-
sonalkosten. Wird aber bei der Umlaufpla-
nung nicht optimiert, fällt die Ursachenfor-
schung innerhalb des ÖV-System schon deut-
lich schwerer. Theoretisch liegt die effiziente
Leistungserstellung zwar im Eigeninteresse
der beteiligten Akteure, doch finden sich im-
mer wieder Gegenbeispiele (z.B. „historische“
Umlaufplanung).
Überlagert werden diese Faktoren durch eine
Vielzahl ÖPNV-ferner Entscheidungsebenen,
die bildungspolitische Aufgaben (z.B. Schul-
netzplanung, freie Schulwahl) oder sozialpoli-
tische Aspekte (Ganztagsbetreuung) in den
Mittelpunkt stellen. Jede dieser Entscheidun-
gen hinterlässt Anforderungen an den ÖPNV,
insbesondere die Umlaufplanung in räumli-
cher und zeitlicher Hinsicht (z.B. entfallene
Bündelungswirkung oder ineffizienter Fahr-
zeugeinsatz durch unabgestimmte Schulan-
fangszeiten).
Verschärfend wirken die Konsequenzen aus
der bildungspolitischen Entscheidung zur In-
klusion auf die Beförderungskosten. Nunmehr
müssen Schüler, die aus unterschiedlichen
Gründen nicht im regulären Schülerverkehr
oder ÖPNV befördert werden können, zu-
nehmend individuell befördert werden. Da die
Inklusion jedoch eine freiwillige Entscheidung
der Eltern bleibt, werden die zusätzlichen
Beförderungen zu den Standorten der regulä-
ren Schulen nicht durch eine proportionale
Abnahme von Schülerverkehren zu Förder-
schulen kompensiert. Die ökonomischen Fol-
gen dieser Entscheidungen belasten allein den
ÖPNV und die ihn tragenden Akteure.
Eine besondere Komplexität ergibt sich
dadurch, dass die verschiedenen Politikziele
für eine dauerhafte Lösung gleichgewichtig
betrachtet werden müssen. Dies verkompli-
ziert die Entscheidungsfindung. Nicht förder-
lich ist dabei, dass mit der Novellierung des
Schulgesetzes eine langjährige politische De-
batte erst kürzlich im Sächsischen Landtag zu
Ende gebracht wurde und eine ggf. notwendi-
ge Revision des Gesetzes nun frühestens mit-
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 163 von 178
telfristig realistisch erscheint. Allerdings muss
eine Strategiekommission den Anspruch ha-
ben, auch „dickere Bretter zu bohren“.
Daher wird nur eine Verbesserung in Schritten
möglich sein mit dem Ziel, einerseits langfris-
tig Sensibilitäten für die Auswirkungen auf den
ÖPNV zu entwickeln, andererseits Anreize zur
Optimierung der notwendigen Verkehre zu
setzen:
Notwendige Voraussetzung für Reformen
ist die Verfügbarkeit ausreichender In-
formationen. Dies bedeutet vor allem,
die Kostenentwicklung im Ausbildungs-
verkehr dauerhaft und transparent nach-
zuweisen. Aber auch andere Kennzahlen
sollten erfasst werden, wie die Überle-
gungen zum Bildungsticket gezeigt ha-
ben. Es ist essentiell, das Bewusstsein zu
schärfen, über welche Umwege die Ent-
scheidungen der Bildungspolitik Einfluss
auf die Kostenfunktion im ÖPNV haben.
Denkbar wäre es, den Aufbau der Daten-
kompetenz der in der Diskussion befind-
lichen Koordinierungsstelle zu übertra-
gen.
Zugleich wird empfohlen, die Erhebung
von Mobilitätsfolgekosten im Vorfeld po-
litischer Entscheidungen verpflichtend
vorzuschreiben. Ähnlich wie andere Prüf-
schritte sollten diese für Gesetzesvorha-
ben und Verwaltungsentscheidungen
verbindlich eingeführt werden. Dies wür-
de die Sensibilität in Entscheidungsgre-
mien für dieses Thema deutlich schärfen
und den „ökonomischen Fußabdruck“
von Entscheidungen (Preisschild) auch
außerhalb des ÖPNV sichtbar machen.
Die verkehrlichen Auswirkungen der Öff-
nung der Schulen im Rahmen der Inklusi-
on dürfen nicht den kommunalen Aufga-
benträgern überlassen bleiben. Hierzu
sind Lösungswege aufzuzeigen, wie die
Aufwendungen dieser bildungspolitisch
induzierten Zusatzverkehre verteilt wer-
den. Zugleich ist zu prüfen, ob der An-
spruch auf individuelle Beförderung re-
formiert werden sollte.
Darüber hinaus sollten Instrumente von
Politikbereiche übergreifenden Konzep-
ten geprüft werden. Darunter sind Maß-
nahmen zu verstehen, die übergreifende,
z.B. gleichermaßen bildungs- und ver-
kehrspolitische Zielsetzungen zum Ge-
genstand haben. Beispielsweise könnte
evaluiert werden, ob ein ganzheitliches
Bildungs- und sozialpolitisches Konzept
„Moderne Familie“ durch die Verqui-
ckung von Fördermitteln für die Ganzta-
gesbetreuung oder Sport- und Freizeit-
möglichkeiten in den Schulen mit den An-
forderungen an kostenminimierende
Mobilitätskonzepte möglich ist.
Die bereits in These 5c skizzierten Anrei-
ze zur effizienten Leistungserbringung
bleiben von den vorgeschlagenen Maß-
nahmen unberührt und müssen ungeach-
tet externer Lösungsansätze angegangen
werden.
Seite 164 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
VI. Glossar
Begriff Definition
§ 45a-Mittel § 45a PBefG räumt den Verkehrsunternehmen, die im Linienverkehr Personen mit Zeitfahr-ausweisen des Ausbildungsverkehrs befördern, einen Rechtsanspruch auf einen Teilausgleich ein. Die „45a-Mittel“ stellen seit jeher eine wichtige Finanzierungssäule des ÖPNV dar.
Seit 2007 ermöglicht eine Öffnungsklausel (§ 64a PBefG, Ersetzung bundesrechtlicher Vor-schriften durch Landesrecht) den Ländern, die bundesgesetzliche Regelung durch eine eigene Länderregelung zu ersetzen. Im Freistaat Sachsen wurde mit dem ÖPNVFinAusG eine solche landesrechtliche Regelung eingeführt.
Achsen (Ent-wicklungs-, Haupt-)
Instrumente der Raumordnung, die durch eine Bündelung von Verkehrs- und Versorgungs-strängen (Bandinfrastruktur) und durch eine unterschiedlich dichte Folge von Siedlungskon-zentrationen gekennzeichnet sind.
Je nach Aufgabe und Ausprägung werden Verbindungsachsen und Entwicklungsachsen unter-schieden.
Überregional bedeutsame Verbindungs- und Entwicklungsachsen sind landesweit bedeuten-de Achsen, die die räumlichen Verflechtungen der sächsischen Verdichtungsräume und Ober-zentren mit den Oberzentren und Verdichtungsräumen benachbarter Länder und Staaten sowie die Einbindung in europäische Netze wiedergeben. Das Netz der überregionalen Ver-bindungs- und Entwicklungsachsen wird durch ein Netz regionaler Verbindungs- oder Ent-wicklungsachsen ergänzt.
Alternative Betreibermo-delle
Bezeichnung für eine von der Deutschen Bahn unabhängigen Bereitstellung von Eisen-bahninfrastruktur, z.B. durch landeseigene oder kommunale Träger.
Aufgaben-träger
Behörde zur rechtlichen Erfüllung der Aufgabenträgerschaft, d.h. Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV (verantwortliche Behörde für die Gewährleistung einer ausreichen-den Verkehrsbedienung).
In Sachsen ist der ÖSPV freiwillige Aufgabe der Landkreise und Kreisfreien Städte und der Gemeinden, denen gemäß §3 Abs. 1 Satz 1 ÖPNVG-Sachsen die Aufgabe übertragen wurde. Die Aufgabenträgerschaft für den SPNV ist Juni 2002 den Zweckverbänden übertragen wor-den. Nach dem ÖPNVG-Sachsen besteht ein Kooperationsgebot für die Aufgabenträger des ÖPNV.
Die grundsätzliche Aufgabenträgerschaft im ÖPNV regelt das Regionalisierungsgesetz, weite-re Regelungen trifft das ÖPNVG-Sachsen. Danach ist "der Aufgabenträger oder das SMWA die zuständige Behörde für die Vereinbarung und Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehrs-leistungen im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69.“
Ausgleichs-mittel, -zahlungen
Leistungen aus öffentlichen Mitteln, die für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflich-tungen (auf Grundlage eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags oder im Zusammenhang mit einer allgemeinen Vorschrift)auf vertraglicher Grundlage von zuständigen Behörden (Aufga-benträger, Bundesland) an Verkehrsunternehmen gezahlt werden, z.B. Ausgleichsleistungen in Form von Verkehrsverträgen oder für die ermäßigte bzw. kostenlose Schüler- und Schwer-behindertenbeförderung.
Ballungsraum, -zentren
Der Begriff Ballungsraum oder auch Ballungszentrum kennzeichnet eine aus mehreren, wech-selseitig verflochtenen Gemeinden bestehende Konzentration von Siedlungen, die durch eine hohe Siedlungsdichte und einen hohen Siedlungsflächenanteil gekennzeichnet ist.
In Sachsen wird der Begriff für die Ballungsräume Oberes Elbtal, den Großraum Chemnitz-Zwickau und die Region Leipzig/Halle verwendet und im Landesentwicklungsplan 2013 als Verdichtungsraum bezeichnet.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 165 von 178
Begriff Definition
Barrierefrei-heit
Uneingeschränkte Benutzbarkeit von Anlagen, Einrichtungen und Verkehrssystemen für Men-schen mit körperlichen Einschränkungen.
Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz, BGG) definiert in § 4 Barrierefreiheit wie folgt: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anla-gen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbei-tung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein übli-chen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ Spezifische Regelungen des PBefG, der BOStrab und des AEG konkretisieren Vorgaben des BGG zur Barrierefreiheit.
Seit der Novellierung des PBefG zum 1.1.2013 sollen die Aufgabenträger in ihren Nahver-kehrs- bzw. Infrastrukturplanungen das Ziel berücksichtigen, bis zum 1.1.2022 eine vollstän-dige Barrierefreiheit im ÖPNV zu erreichen (§ 8 Abs. 3 PBefG).
Bedienfor-men, alterna-tiv, flexibel
Öffentliche Beförderungsangebote in Ergänzung oder zur Substitution klassischer ÖPNV-Linienverkehre. Unterschieden werden u.a.
- Flexible Bedienformen (On-Demand-Verkehre) z.T. ohne feststehende Linienführung, Fahrplan oder Haltestellen z.B. als Anrufbus, Anrufsammeltaxi etc. mit vorheriger An-meldung des Fahrtenwunsches
- Multifunktionale Systeme, z.B. gemeinsamer Güter- und Personenlinienverkehr, Mehr-fachnutzung von Personal, Fahrzeugen und Einrichtungen
- Private Mitnahme als organisatorisch und rechtlich abgesichertes Element des ÖPNV oder als kooperierende Ergänzung (z.B. Bürgerbus, System Uber, Clever-Shuttle Berlin)
- Bürgerbusse (ehrenamtliche Beförderung)
- Subjektfinanzierung (u.a. Taxigutscheine, Kfz-Verfügbarkeit)
Beihilfe EU-rechtlicher Begriff, der alle durch die öffentliche Hand ohne marktmäßige Gegenleistung gewährten Vorteile an Unternehmen oder Wirtschaftszweige umfasst.
Besteller Zuständige Behörden (in Deutschland meist der Aufgabenträger), die durch den Abschluss von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen an Ver-kehrsunternehmen vergeben.
Besteller-entgelte
Laufende Ausgleichszahlungen von Aufgabenträgern an Verkehrsunternehmen zum Ausgleich von Kosten oder einer Kostenunterdeckung in gemeinwirtschaftlichen Verkehrsverträgen oder Betrauungen.
Betriebsleit-system
System bzw. Einrichtung zur Sammlung und Aufbereitung von Verkehrs- und Betriebsdaten zur Steuerung des ÖPNV, zur Fahrgastinformation und zum Qualitätsmanagement.
Dachtarif Bei einem Dachtarif handelt es sich um einen von mehreren Verkehrsunternehmen oder Verkehrsverbünden gemeinsam angebotenen Zusatztarif. Mit dem Dachtarif ist es dem Fahr-gast möglich, Fahrten über die Einzel-Tarifgebiete hinaus im gesamten Geltungsbereich des Dachtarifs mit nur einem Ticket durchzuführen. Die bestehenden Tarife der beteiligten Un-ternehmen und Verbünde bleiben vom Dachtarif unberührt, das heißt für Fahrten innerhalb des jeweiligen Verbundes kann vom Fahrgast ebenso der jeweilige Haustarif genutzt werden.
Seite 166 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Begriff Definition
Daseinsvor-sorge
Verwaltungsrechtlicher Begriff, der die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Leistungen umfasst. Für die Ver-kehrs(-infrastruktur-)planung ergibt sich daraus abgeleitet die Aufgabe, die flächenhafte Ver-sorgung mit lebensnotwendig eingestuften Gütern und Dienstleistungen zu sozial tragbaren Preisen und die Teilhabe der Menschen am Leben in einer Gesellschaft zu verträglichen Er-reichbarkeitsbedingungen zu gewährleisten.
Die Daseinsvorsorge ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und im gesellschaftlichen Wandel stetigen Veränderungen unterworfen. Art und Umfang der Daseinsvorsorge bedarf der politi-schen Interpretation. Für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge steht der Staat bei zahlrei-chen Grundaufgaben in der Pflicht, ohne allerdings selbst Träger dieser Leistungen sein zu müssen. Für die öffentliche Hand kommt es lediglich darauf an, dass die betreffenden Leis-tungen auch tatsächlich erbracht werden.
Im Regionalisierungsgesetz wurde der ÖPNV als Aufgabe der Daseinsvorsorge gesetzlich ver-ankert. Das Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Freistaat Sachsen (ÖPNVG) geht auf den Begriff in § 2 Abs. 1 ein.
Deutschland-Takt
Initiative zur Einführung eines integralen Taktfahrplanes für den Schienenpersonenfern- und Nahverkehr in Deutschland.
Durchtarifie-rungsverlust
Im Verkehrsverbund kann ein Fahrgast für die Strecke von Start zum Ziel eine Fahrkarte kau-fen und dabei alle Verkehrsmittel innerhalb des Verkehrsverbundes in Anspruch nehmen. Ohne den Verbund müsste für jedes Verkehrsmittel ein eigenes Ticket erworben werden. Im Verbund ist es i.d.R. jedoch so, dass die Preise pro Kilometer für kurze Strecken wesentlich höher sind als für lange Strecken. Diese degressive Tarifgestaltung führt dazu, dass durch die Durchtarifierung über alle Verkehrsmittel hinweg, ein Verlust relativ zur steigenden Strecken-länge auftritt.
Eigenwirt-schaftliche Verkehrs-leistungen
Für den ÖSPV ist eigenwirtschaftlicher Verkehr öffentlicher Verkehr, welcher sich aus den Beförderungserlösen, Ausgleichsleistungen auf der Grundlage allgemeiner Vorschriften und sonstigen Unternehmenserträgen finanziert, die keine Ausgleichsleistungen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen sind.
Entflech-tungsgesetz, -mittel
Im Zuge der Föderalismusreform wurden die Regelungen des GVFG hinsichtlich der Länder-programme bis zum 31.12.2006 befristet und ab dem 1.1.2007 im Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz, kurz EntflechtG) in ver-änderter Weise weitergeführt. Die Höhe der jährlichen Förderung (1,335 Mrd. EUR) für Inves-titionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse entspricht dabei den weggefallenen GVFG-Mitteln der Länderprogramme.
Nach dem Entflechtungsgesetz bekommen die Länder jährlich feste Beträge aus dem Bun-deshaushalt. Der sächsische Anteil beträgt ca. 87,7 Mio. EUR.
Bis 2013 sah das Entflechtungsgesetz eine Zweckbindung der Mittel für die ehemaligen Ge-meinschaftsaufgaben und Finanzhilfen vor, seitdem sind die Entflechtungsmittel für investive Ausgaben zu verwenden.
Mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wird das Entflechtungsgesetz im Jahr 2019 auslaufen. Die Länder erhalten u.a. hierfür einen höheren Anteil an den Umsatz-steuern.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 167 von 178
Begriff Definition
Erreichbarkeit Lagegunst und Ausstattung einer Raumeinheit, d.h. Anzahl von Gelegenheiten für „Aktivitä-ten“ (Daseinsgrundfunktionen wie Arbeiten, Einkaufen etc.), die von der Raumeinheit als Quelle mit Verkehrsmitteln zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV und MIV innerhalb bestimmter Vorgaben (Reisezeit, Fahrtenhäufigkeit, Kosten ...) erreicht werden. Lagegunst und Erreichbarkeit wer-den damit nicht nur durch die Verkehrsverbindungen, sondern auch durch die Ausdünnung bzw. Erhöhung von Gelegenheiten in den Einzugsbereichen der Verkehrsmittel (im Rahmen der Nahmobilität in ihrer ökologischen Rangfolge) verändert.
Überwiegend ausgedrückt wird die Erreichbarkeit eines Zieles als Maß für dessen Lagegunst, definiert als Leichtigkeit, ein Ziel zu erreichen.
Ersatzinvesti-tionen
Bauliche oder technische Maßnahmen zur Sicherung der Leistungsfähigkeit eines Gegen-stands des Anlagevermögens durch Austausch von Komponenten oder des kompletten Ge-genstands.
Erschließung Gesamtheit der im öffentlichen und privaten Bereich zu treffenden Maßnahmen, die es er-möglichen, dass Grundstücke bestimmungsgemäß genutzt und an das öffentliche Verkehrs-, Ver- und Entsorgungsnetz angeschlossen werden können. Die gesicherte Erschließung ist die Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung. Das Erschließungsrecht, speziell das Baugesetzbuch (BauGB), fasst alle Rechtsvorschriften zusammengefasst, die sich mit der Erschließung von Grundstücken befassen. Zur Erschließung gehören danach im Wesentlichen die Anschlüsse an die Versorgungsleitungen und Abwasser, sowie der Zugang zur öffentlichen Straße (und noch nicht der ÖPNV).
Fahrerassis-tenzsysteme
Fahrerassistenzsysteme unterstützen den Fahrzeugführer bei den zum Führen des Fahrzeuges erforderlichen Tätigkeiten bis hin zur Übernahme dieser Tätigkeiten. Hauptziele des Einsatzes von FAS sind Erhöhung der Fahrsicherheit, Steigerung des Fahrkomforts und Verbesserung der Energieeffizienz.
Fahrzeit Zeitbedarf für die Durchführung einer Fahrt (< Reisezeit mit Vor- und Nachlauf). Die Fahrtzeit umfasst im öffentlichen Personenverkehr auch die Haltezeiten des Fahrzeuges an Zwischen-haltestellen. Sie ist durch den Fahrplan vorgegeben.
FlexBus Produkt des ÖSPV, vgl Tab. 5.
Seite 168 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Begriff Definition
Fördermittel im ÖPNV
Die ÖPNV-Investitionsförderung in Sachsen wird mit Hilfe von Förderrichtlinien geregelt. In den Förderrichtlinien sind der Förderzweck, die förderfähigen Investitionsprojekte, der Kreis der Förderberechtigten sowie weitere Bestimmungen und Voraussetzungen definiert. Die ÖPNV-Investitionsförderung speist sich aus Regionalisierungsmitteln und Entflechtungsmit-teln des Bundes, EFRE-Mitteln der EU sowie Eigenmitteln des Freistaates Sachsen. Teilweise müssen ggf. bereits veraltete Vorgaben der Mittelgeber Bund und EU in die sächsischen För-derrichtlinien übernommen werden.
Die Entwicklung des Investitionsprojekts liegt in der Verantwortung der Förderberechtigten. Sie können einen Antrag auf Fördermittelbewilligung bei den zuständigen Bewilligungsbehör-den – dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) bzw. der Sächsischen Aufbaubank (SAB) – einreichen. Die zuständigen Stellen prüfen die Konformität des Förderprojekts mit den Förderrichtlinien und entscheiden über die Förderbewilligung. Die Förderberechtigten müssen anteilig Eigenmittel investieren. Nach Durchführung des Förderprojekts wird der Verwendungsnachweis geprüft, um die formal korrekte Mittelverwendung festzustellen.
Die Fördermittel werden im Wesentlichen auf der Grundlage von drei Förderrichtlinien aus-gereicht:
1. Richtlinie des SMWA über die Gewährung von Fördermitteln im öffentlichen Personen-nahverkehr (RL-ÖPNV)
2. Richtlinie des SMWA zur Förderung der Verkehrsinfrastruktur aus Mitteln des Europäi-schen Fonds für regionale Entwicklung (RL Verkehrsinfrastruktur)
3. VwV Investkraft, Budget Sachsen „Brücken in die Zukunft“
Ein Sonderfall ist die Richtlinie des SMWA über die Gewährung von Fördermitteln für Schmal-spurbahnen (RL-SSB).
Fortschrei-bungsszenario
Szenario zur Entwicklung des sächsischen ÖPNV, bei dem das bestehende Verkehrsangebot, abgesehen von der Umsetzung bereits fest eingeplanter Maßnahmen, weitgehend unverän-dert beibehalten wird.
freigestellter Verkehr, frei-gestellter Schülerver-kehr
Individuelle Beförderung eines Schülers (z.B. durch Taxiunternehmen) im Rahmen der not-wendigen Schülerbeförderung. Die individuelle Beförderung kann z.B. aufgrund einer Mobili-tätseinschränkung des Schülers oder eines im Linienverkehr nicht zumutbaren Schulwegs nötig sein.
Der freigestellte Verkehr wird nicht dem ÖPNV i.e.S. zugerechnet.
Gemeinwirt-schaftliche Verkehrsleis-tungen
Gemeinwirtschaftlich ist ein Angebot von Beförderungsleistungen, das für eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung im ÖPNV erforderlich ist und das nicht eigenwirtschaftlich er-bracht werden kann. Die Unternehmen sind also bei der Erbringung der Leistungen auf öf-fentliche Zuwendungen angewiesen. In der Regel lassen öffentliche Interessen (Sozialtarife, Taktverkehr, Erfordernis bestimmter Qualitätsstandards etc.) oder eine zu geringe Auslastung Verkehre zuschussbedürftig werden.
Grund-zentrum
Vgl. „Zentrale-Orte-System“
Haltestellen, -einzugs-bereich
Gemeindeklasse Bus/Straßenbahn SPNV
Oberzentrum 300 – 500 400 – 800
Mittelzentrum 300 – 500 400 – 800
Unterzentrum 400 – 600 600 – 1.000
Grundzentrum 500 – 700 800 – 1.200
Individual-verkehr (z.B. MIV)
Personenverkehr mit nicht allgemein zugänglichen Verkehrsmitteln (incl. zu Fuß gehen). Im Individualverkehr können Uhrzeit und Strecke vom Reisenden selbst gestaltet werden. Darun-ter fallen Fuß-, Fahrrad- und der motorisierte Individualverkehr (MIV) mit Pkw und Motorrad.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 169 von 178
Begriff Definition
Infrastruktur Infrastrukturen sind materielle Einrichtungen, Institutionen und personelle Ressourcen in einer Region, die die Grundlage für die Ausübung der menschlichen Grunddaseinsfunktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholung, Verkehr, Kommunizieren usw.) bilden. Sie ermöglichen die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des betreffenden Raumes. Konkret handelt es sich z.B. um Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Einrich-tungen des Gesundheits- und Bildungswesens usw. Es sind im Wesentlichen Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Inklusion Gesellschaftlicher Prozess zur Befähigung der selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderungen in allen Lebensbereichen.
Integraler Taktfahrplan (ITF)
Fahrplanmodell, in dem Taktfahrpläne unterschiedlicher Bahn- und Buslinien integriert be-trachtet und so aufeinander abgestimmt werden, dass an Umsteigepunkten für die Mehrzahl der Fahrgäste möglichst kurze Übergangszeiten entstehen.
Intermodal Benutzung verschiedener Verkehrsmodi für die Etappen eines Weges bzw. einer Reise, z.B. öffentlicher Verkehr verbunden mit Fahrrad, Auto oder Taxi von der Quelle bis zum Ziel.
Kanten Wegstrecke zwischen zwei Knoten eines Verkehrsnetzes (z.B. Eisenbahnstrecke, Straßenab-schnitt).
Kieler Schlüssel
Umgangssprachlicher Begriff des Verteilungsschlüssels der Regionalisierungsmittel gemäß Beschluss der Verkehrsministerkonferenz vom 1./2. Oktober 2014 in Kiel.
Prämissen des Kieler Schlüssels waren a) eine bundesweite Gesamtmittelausstattung von 8,5 Mrd. EUR, b) eine jährliche Dynamisierung der Mittel um 2%, c) der Ausgleich der Kostenent-wicklung der Trassen- und Stationspreise durch den Bund und d) die jährliche Mindeststeige-rung der zum damaligen Zeitpunkt den Ländern zur Verfügung stehenden Mittel um 1,25%.
Der Großteil der Regionalisierungsmittel (8,0 von 8,2 Mrd. EUR in 2016) wird heute nach dem Kieler Schlüssel an die Länder verteilt.
Klimaschutz Klimaschutz ist der Sammelbegriff für Maßnahmen, die einer durch den Menschen verursach-ten globalen Erwärmung entgegenwirken und mögliche Folgen der globalen Erwärmung ab-mildern (Mitigation) oder sogar verhindern sollen.
Der Klimaschutz als Querschnittsaufgabe auf allen Planungsebenen bezieht sich auf zahlrei-che Handlungsfelder, z.B. die Förderung des ÖPNV, und ist auf das Zusammenwirken ver-schiedener Akteure mit unterschiedlichen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten angewiesen.
Unbestritten ist, dass in Agglomerationen aufgrund der räumlichen Konzentration, der kom-plexen Strukturen und der hohen Nutzungsdichte ein Großteil klimarelevanter Emissionen von Treibhausgasen erzeugt wird. Im Unterschied zum ländlichen Raum bestehen dort die größten Einspar- und Effizienzpotenziale, pro Kopf sind die Werte in der Fläche allerdings deutlich ungünstiger.
Mit dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung und kommunalen Energie- und Klima-schutzkonzepten wird aufgezeigt, wo diese Potenziale liegen und welche Maßnahmen not-wendig sind, um sie umwelt- und sozialverträglich zu erschließen. Klimaschutzkonzepte ha-ben eine große Affinität zur Förderung des ÖPNV. Sie versuchen Ortsveränderungen zu ver-meiden bzw. MIV-Wege auf ÖPNV, Gehen und Radfahren zu verlagern.
LandBus Produkt des ÖSPV, vgl. Tab. 5
Seite 170 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Begriff Definition
Länderticket Mit Ausnahme der Bundesländer Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schles-wig-Holstein handelt es sich beim Länderticket um ein Tarifangebot der Deutschen Bahn (DB), mit dem eine verbundübergreifende Nutzung im ÖPNV innerhalb eines oder mehrerer Länder möglich ist. In Hessen ist es ein gemeinsames Angebot der drei hessischen Verkehrsverbünde, in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Teil des Landestarifs. Die Ländertickets sind länderuneinheitlich ausgestaltet und befähigen i.d.R. zur vergünstigten Mitnahme von weiteren Personen.
Landes-gesellschaft
Vom Verkehrsministerium eines Landes ausgegliederte oder gesellschaftsrechtlich beherrsch-te Organisationsform, die Aufgabenträgerfunktionen des Landes und/oder administrative bzw. koordinierende Aufgaben im ÖPNV wahrnehmen.
In Deutschland sind heute als Landesgesellschaft im weiteren Sinne zu verstehen:
- BEG Bayern
- NVBW Baden-Württemberg
- VBB Brandenburg
- VMV Mecklenburg-Vorpommern
- LNVG Niedersachsen
- NASA Sachsen-Anhalt
- NAH.SH Schleswig-Holstein
- NVS Thüringen
Landes-verkehrsplan
Im „Landesverkehrsplan Sachsen 2025“ stellt die sächsische Staatsregierung ihre künftigen verkehrspolitischen Grundsätze und Ziele sowie die dazu notwendigen Strategien und Maß-nahmen dar. Der Landesverkehrsplan ist ein Fachplan sowohl für die einzelnen Verkehrsträ-ger als auch für die Entwicklung des Gesamtverkehrssystems. Er stellt den Bedarf neuer Ver-kehrsinfrastrukturvorhaben dar, die im Landesentwicklungsplan raumordnerisch gesichert werden.
Der Landesverkehrsplan bindet die Staatsregierung und ihre nachgeordneten Behörden in-tern. Er entfaltet im Gegensatz zum Landesentwicklungsplan keine unmittelbaren Rechtswir-kungen nach außen. Die maßnahmenkonkrete Ausfüllung dieses Plans erfolgt im Zuge der vertiefenden Fachplanung durch die zuständigen Aufgabenträger. Der Landesverkehrsplan ist kein Haushalts- oder Investitionsplan. Die Bereitstellung der Finanzmittel wird durch die je-weiligen Haushaltspläne vorgenommen. Die zeitliche Einordnung von Baumaßnahmen erfolgt dabei im Rahmen der Bauprogramme unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel.
Für den Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs werden mit dem Landesverkehrsplan den zuständigen Aufgabenträgern die Ziele und Maßnahmen für die weitere Entwicklung des ÖPNV als Teil des Gesamtsystems aufgezeigt. Die damit kompatible konkrete Angebotspla-nung obliegt den Aufgabenträgern (NVP).
Ländlicher Raum
Raumkategorie, die die Teile Sachsens umfasst, die im Vergleich zu den Verdichtungsräumen eine dünnere Besiedlung und eine geringere bauliche Verdichtung aufweisen. Wenngleich die Land- und Forstwirtschaft bei der Beschäftigung auch im ländlichen Raum nicht mehr domi-niert, so ist sie für die Flächennutzung in dieser Raumkategorie unvermindert prägend.
Linienverkehr (Straße)
Nach § 42 PBefG ist Linienverkehr „[…] eine zwischen bestimmten Ausgangs- und Endpunkten eingerichtete regelmäßige Verkehrsbedienung, auf der Fahrgäste an bestimmten Haltestellen ein- und aussteigen können.“
Sonderformen des Linienverkehrs sind Berufsverkehre, Schülerfahrten, Marktfahrten und die regelmäßige Beförderung von Theaterbesuchern (§ 43 PBefG). Diese Beförderungen werden unter Ausschluss anderer Fahrgäste durchgeführt.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 171 von 178
Begriff Definition
Menschen mit Behinderun-gen
Nach der Definition des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) sind dies „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchti-gungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrie-ren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“
Metropolre-gion Mittel-deutschland
Die Metropolregion Mitteldeutschland umspannt als zentralen Kern den Ballungsraum Leipzig-Halle-Jena. Zu ihren Mitgliedsstädten zählen Leipzig, Chemnitz und Zwickau im Frei-staat Sachsen, Halle und Dessau-Roßlau im Land Sachsen-Anhalt sowie Jena und Gera im Freistaat Thüringen.
Minderein-nahmen
Durch gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen sind Höchsttarife im Ausbildungsverkehr für Verkehrsunternehmen vorgeschrieben. Diese liegen i.d.R. deutlich unterhalb des Normaltarifs und führen zu Mindereinnahmen ggü. dem Verkauf des Normaltarifs.
Durch die Einführung neuer Tarifprodukte, Tarife oder Rabattierungsmöglichkeiten (z. B. BahnCard) kann es ebenfalls zu Mindereinnahmen ggü. historischen Werten der Fahrgeldein-nahmen kommen.
Mittelzent-rum
Vgl. „Zentrale-Orte-System“
Mobilität Möglichkeitsraum für Aktivitäten an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Ver-kehrsmitteln. Mobilität beschreibt das Potenzial bzw. „Bedürfnisse“, demgegenüber sind Verkehre die real durchgeführten Ortsveränderungen.
Mobilität und Verkehr sind nicht Selbstzweck, sie haben dienende Funktion zur Ermöglichung der Teilhabe von Menschen und damit deren Aktivitäten an unterschiedlichen Orten als Pri-märzweck. Aufgabe einer nachhaltigen lokalen oder regionalen Verkehrsplanung ist es, die tägliche Mobilität mit möglichst wenig Verkehr unter Beachtung der Grundsätze Vermei-den/Verlagern/verträgliche Abwickeln zu sichern.
Mobilitäts-eingeschränk-te Personen
Personen, die bei der Benutzung eines Transportmittels aufgrund einer körperlichen, geisti-gen, psychischen oder sonstigen Behinderung oder aus Altersgründen eingeschränkt sind und besondere Aufmerksamkeit, sowie eine sachgerechte Anpassung der Verkehrsleistung erfor-dern.
Mobilitäts-management
Unter Mobilitätsmanagement ist ein jüngerer Ansatz der Verkehrspolitik und -planung zu verstehen, der auf die Beeinflussung der Nachfrage im Personen- und Güterverkehr im Inte-resse einer effizienten, umwelt- und sozialverträglichen Mobilität durch Maßnahmen im Be-reich der Information, Kommunikation, Organisation und Koordination, die des Marketings bedürfen, zielt. Typische Beispiele sind etwa die gezielte Information von Neubürgern etwa über die bestehenden ÖPNV-Verbindungen inklusive eines Gutscheins für eine Monatskarte („Mobilitätspacket“ o.Ä.) oder Mitfahrbörsen von Unternehmen/Organisationen.
Modal Split
(Verkehrsmit-telnutzung)
Gemessene oder angestrebte Aufteilung der Gesamtverkehrsnachfrage auf die verschiedenen Verkehrsträger bzw. -mittel.
Multimodal Durchführung von Wegen mit unterschiedlichen Verkehrsmodi pro Zeiteinheit; Auswertun-gen des Deutschen Mobilitätspanels für das Jahr 2008 ergaben, dass in einer Woche mehr als 40% der Bevölkerung „monomodal“ ausschließlich mit dem Auto unterwegs war. (Nobis, C. (2013): Multimodale Vielfalt – Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns. Diss., Humboldt-Universität Berlin)
Seite 172 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Begriff Definition
Nachhaltig-keit
Prinzip aus der Ökologie, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nach-wachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann. Dies impliziert den langfristigen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und dauerhafte Sicherung der Um-weltverträglichkeit.
Der Begriff hat darüber hinaus auch Eingang in andere Politikfelder genommen, z.B. in die Finanzpolitik.
Die Nachhaltigkeit stellt heute ein vorrangiges politisches Leitziel dar und dient häufig als Fördervoraussetzung für Verkehrskonzepte und -maßnahmen.
Nahverkehrs-plan
Analyse der Situation und Planung der Maßnahmen zur Entwicklung des ÖPNV in einem be-stimmten Gebiet unter Beachtung formeller und informeller raumordnerischer und gesamt-verkehrsplanerischer Vorgaben.
Der Nahverkehrsplan wurde mit der Novellierung des PBefG 1996 neu eingeführt. Er stellt eine Rahmenplanung für den öffentlichen Nahverkehr dar.
Entsprechend den ÖPNV-Gesetzen der Länder stellen die zuständigen Aufgabenträger zur Sicherstellung und Verbesserung des ÖPNV Nahverkehrspläne auf, die die Ziele der Raum-ordnung, Landesplanung sowie der Stadt- und Verkehrsentwicklungsplanung aufgreifen und die Belange des Umweltschutzes, des Städtebaus sowie der jeweiligen ÖPNV-Bedarfs- und Ausbaupläne berücksichtigen.
Oberzentrum Vgl. „Zentrale-Orte-System“
Öffentlicher Personennah-verkehr (ÖPNV)
Das sächsische ÖPNVG kennt folgende Begriffsbestimmung:
„Öffentlicher Personennahverkehr im Sinne dieses Gesetzes ist die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. Ein solcher Verkehr liegt vor, wenn bei der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrs-mittels die Beförderungsstrecke 50 Kilometer oder die Beförderungszeit eine Stunde nicht übersteigt.“
Funktional gliedert sich der ÖPNV auf in den Eisenbahnverkehr (Schienenpersonennahver-kehr - SPNV) und den öffentlichen straßengebundenen Personennahverkehr (ÖSPV) mit Bus-sen aber auch Straßenbahnen und U-Bahnen. Diese Abgrenzung ist historisch entstanden und wird durch moderne Entwicklungen, wie z.B. dem Chemnitzer Modell vermehrt überwunden.
SPNV und ÖPSV werden ergänzt durch Verkehre mit Taxen oder Mietwagen, sowie Linienver-kehre mit Fähren, Bergbahnen und anderen Sonderverkehrsmitteln.
Öffentlicher Straßenper-sonenverkehr (ÖSPV)
Öffentliche Straßenpersonennahverkehr oder auch straßengebundener ÖPNV; der ÖSPV umfasst den Nahverkehr, der auf der Grundlage des PBefG erbracht wird (Busse, Oberlei-tungsbusse, Straßen- und Stadtbahnen sowie U-Bahnen, Verkehre mit Taxen oder Mietwa-gen, die einen Linienverkehr ersetzen, ergänzen oder verdichten sowie Linienverkehre mit Fähren, Bergbahnen und anderen Sonderverkehrsmitteln).
Öffentlicher Verkehr (ÖV)
Verkehr mit allgemein zugänglichen Verkehrsmitteln (bezogen auf öffentliche Fahrzeuge somit incl. Taxen, Car-Sharing, Mitnahmesysteme etc.)
ÖPNVFinAusG Gesetz zur Finanzierung des Ausbildungsverkehrs im Öffentlichen Personennahverkehr. Das ÖPNVFinAusG regelt den Ausgleich der bei der Beförderung von Personen mit ermäßigten Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs bei den Verkehrsunternehmen entstehenden Mindereinahmen. Der Freistaat Sachsen gleicht diese auf Basis einer landesgesetzlichen Re-gelung nach § 64a PBefG mit Zuwendungen an die Landkreise, Kreisfreien Städten und die von § 3 Abs. 1, Satz 3 ÖPNVG-Sachsen erfassten Kreisstädte aus. Die Verteilung der Zuwen-dungen wird nach einem Schlüssel vorgenommen, der die Fläche und die Schülerzahlen der Bezugsgebiete berücksichtigt.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 173 von 178
Begriff Definition
ÖPNVFinVO Verordnung des SMWA zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Mittelauftei-lung und Mittelverwendung der Regionalisierungsmittel im Freistaat Sachsen).
ÖPNV-Gesetze
Im Gefolge der Regionalisierung mussten die Länder die auf sie übergegangene Zuständigkeit für die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung gesetzlich regeln. Die Ausge-staltung der öffentlichen Verantwortung für den ÖPNV ist Regelungsgehalt der ÖPNV-Gesetze der Länder. Die Gesetze regeln u.a. die Zuständigkeiten für Gewährleistung eines den öffent-lichen Interessen entsprechendes Angebots (Aufgabenträger), die räumliche und funktionale Organisation der Aufgabenwahrnehmung, Vorgaben und Anforderungen zur Verkehrspla-nung und die Finanzmittelausstattung.
Personenbe-förderungs-gesetz (PBefG)
Spezielles Gewerbegesetz für den Personenverkehr auf Straßen. Es beinhaltet allgemeine Bestimmungen, das Genehmigungsverfahren sowie Rechte und Pflichten wie z. B. die Be-triebspflicht und Beförderungspflicht für die Omnibus-, Straßenbahn- und weitere Verkehrs-unternehmen.
PlusBus Produkt des ÖSPV, vgl. Tab. 5
Raumkatego-rie, -typ
Räume, die eine weitgehend einheitliche Struktur aufweisen und deshalb hinsichtlich ihrer angestrebten Entwicklung einheitlich zu behandeln sind.
Im LEP 2013 sind folgende Raumkategorien unterschieden: Verdichtungsräume, ländlicher Raum, verdichteter Bereich im ländlichen Raum.
Daneben wurden im LEP auch Räume mit besonderem Handlungsbedarf festgelegt, die nach der im Entwurf enthaltenen Begriffsdefinition u. U. auch als Raumkategorie bezeichnet wer-den könnten. Dies entspricht aber nicht der Systematik des LEP.
Regionalisie-rung
Unter der Regionalisierung wird die mit der Bahnstrukturreform Ende 1993 eingeleitete Neu-ordnung zwischen einerseits der unternehmerischen Verantwortung für den (eigenwirtschaft-lichen) Personenfernverkehr und andererseits der öffentlichen Verantwortung für den (ge-meinwirtschaftlichen) Personennahverkehr verstanden. Der Schienenpersonennahverkehr ging in die organisatorische Verantwortung der Länder über, die dafür mit finanziellen Mit-teln, den sogenannten Regionalisierungsmitteln, ausgestattet wurden.
Regionalisier-ungsgesetz (RegG)
Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz). Das RegG ist die einzelgesetzliche Umsetzung des Art 106a GG. Das Gesetz überträgt die Si-cherstellungs- und Finanzierungsverantwortung für den SPNV auf die Länder und regelt Höhe und Verteilung der Regionalisierungsmittel, die den Ländern für diese Aufgabe vom Bund zur Verfügung gestellt werden.
Regionalisie-rungsmittel
Zuwendungen des Bundes an die Länder zur Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr nach dem Re-gionalisierungsgesetz (RegG). Das RegG ist die einzelgesetzliche Umsetzung des Art 106a GG.
Reisezeit Zeitbedarf für die Durchführung einer Reise vom Abfahrtsort bis zum Zielort über alle genutz-ten Verkehrsmittel und Umstiege summiert (auch komplexe Reisezeit).
Rendezvous-haltestelle
Haltestelle, an der die Fahrten mehrerer Linien zur Anschlussgewährung gleichzeitig halten.
Sachsen-Takt Initiative zur Einführung eines integralen Taktfahrplans für SPNV und ÖSPV im Freistaat Sach-sen.
Schienenper-sonenfern-verkehr
Nach der Definition des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ist Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) der Verkehrsdienst im Schienenverkehr mit mittleren Reiseweiten von über 50km und mittleren Reisezeiten von über 1 Stunde.
Seite 174 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Begriff Definition
Schienenper-sonennah-verkehr (SPNV)
Öffentlicher Personennahverkehr mit Eisenbahnen im Sinne des Allgemeinen Eisenbahnge-setzes (AEG) (z.B. S-Bahnen und Regionalbahnen, aber nicht U-Bahnen, Straßenbahnen).
Schülerbeför-derungsträger
Träger der notwendigen Schülerbeförderung gemäß § 23 Abs. 3 SchulG, in Sachsen sind dies die Landkreise und Kreisfreien Städte.
Schülerver-kehr
Mit Schülerverkehr ist die Beförderung von Schülern und Auszubildenden zu ihren Ausbil-dungsstätten gemeint. Wer Schüler bzw. Auszubildender im Sinne des Personenbeförde-rungsrechts ist, regelt die Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenpersonenverkehr (PBefAusglV). Schüler sind eine wichtige und unter Umständen lukrative Fahrgastgruppe des ÖPNV. Verkehrsunternehmen haben Anspruch auf Ausgleichs-zahlungen, wenn sie vergünstigte Zeitfahrausweise (Schülermonatskarten etc.) anbieten (§ 45 a PBefG; § 6a AEG).
Smartcard Eine Smartcard ist eine spezielle Kunststoffkarte mit eingebautem integriertem Schaltkreis (Chip), der eine Hardware-Logik, Speicher oder auch einen Mikroprozessor enthält. Im ÖPNV kommt die Smartcard als Bezahlberechtigung oder elektronisches Ticket zum Einsatz.
Sollkosten Sollkosten sind Planungsgrößen, die bei der Monetarisierung von Leistungsmengen eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Istkosten als reale Werte werden Sollkostensätze angewendet, um eine Bewertung unabhängig von den individuellen Produktionskostenfunktionen von Unter-nehmen vorzunehmen.
SPNV-Erfolgs-monitor, -Monitor
Datenbank zur jährlichen Erfolgskontrolle für den SPNV auf dem Gebiet des Freistaates Sach-sen (enthält u.a. Statistiken zu Verkehrsnachfrage, Zuschussbedarf, Erlösen).
Sprung(fixe) Kosten
Dienstleistungen oder Produkte mit einer nicht-linearen Kostenfunktion. Sprungfixe Kosten entstehen beispielsweise dann, wenn eine Angebotsausweitung die Anschaffung neuer Fahr-zeuge oder die Herstellung neuer baulicher Anlagen voraussetzt.
StadtBus Produkt des ÖSPV, vgl. Tab. 5
Straßenbau-lastträger
Rechtlich zur Erfüllung der Straßenbaulast (gesetzliche Verpflichtung zum Neubau, zur Ände-rung sowie zur Erhaltung und zum Betrieb öffentlicher Straßen) verpflichtete Gebietskörper-schaft bzw. staatliche Stelle.
Subsidiarität Subsidiarität bedeutet, dass öffentliche Aufgaben möglichst bürgernah, idealerweise auf kommunaler Ebene geregelt werden sollen. Erst wenn eine Koordinierungsaufgabe dort nicht gelöst werden kann, wird die Regelungskompetenz nach „oben“ (Kreise, Länder, Bund, EU) abgegeben.
TaktBus Produkt des ÖSPV, vgl. Tab. 5.
Taktfahrplan Fahrplan, bei dem die Fahrten einer Linie jeweils mit demselben Zeitabstand oder einem Mehrfachen dessen verkehren.
Übergangs-tarif
Spezieller Tarif für den Übergang von einem Verbundraum zu einem angrenzenden Verbund-raum.
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 175 von 178
VII. Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung Erläuterung
Abb. Abbildung
AngE Angebotsentwicklung (Arbeitsgruppe der ÖPNV-Strategiekommission)
AEG Allgemeines Eisenbahngesetz
AFZS Automatische Fahrgastzählsysteme
AG Arbeitsgruppe
AT Aufgabenträger
BEG Bayerische Eisenbahngesellschaft
BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
BT Bundestag
BRat Bundesrat
BVWP Bundesverkehrswegeplan
C2C Car-to-Car
C2I Car-to-Infrastructure
DB Deutsche Bahn
DFI Dynamische Fahrgastinformationssysteme
Drs. Drucksache
DVB Dresdner Verkehrsbetriebe
EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
EntflechtG Entflechtungsgesetz
ERegG Eisenbahnregulierungsgesetz
EVG Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
EVU Eisenbahnverkehrsunternehmen
Ew Einwohner
Fplkm Fahrplankilometer
Fin Finanzierung (Arbeitsgruppe der ÖPNV-Strategiekommission)
FGSV Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen
Fzg Fahrzeug/Fahrzeuge
GG Grundgesetz
GVFG Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
h Stunde, Stunden
Seite 176 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Abkürzung Erläuterung
i.d.R. in der Regel
i.e.S. im engeren Sinne
i.H.v. in Höhe von
IHK Industrie- und Handelskammer
IVS Intelligente Verkehrssysteme
ITF Integraler Taktfahrplan
IuF Infrastruktur und Fahrzeuge (Arbeitsgruppe der ÖPNV-Strategiekommission)
KAG Sächsisches Kommunalabgabengesetz
km Kilometer
LASuV Sächsisches Landesamt für Straßenbau und Verkehr des Freistaates Sachsen
LEP Landesentwicklungsplan
LK Landkreis
LIP ÖPNV-Landesinvestitionsprogramm
LNVG Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen
LuFV Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
LST Leit- und Sicherungstechnik
LSV Landesverband des sächsischen Verkehrsgewerbes
LVB Leipziger Verkehrsbetriebe
LVP Landesverkehrsplan
MdL Mitglied des Landtags
MDSB Mitteldeutsche S-Bahn
MDV Mitteldeutscher Verkehrsverbund
min Minuten
Mio. Millionen
MIV Motorisierter Individualverkehr
NAH.SH Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein
NASA Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt
NE-Bahn Nicht-bundeseigene Eisenbahnen
NI Land Niedersachsen (Länderkürzel)
NRW Nordrhein-Westfalen
NVBW Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg
Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage Seite 177 von 178
Abkürzung Erläuterung
NVP Nahverkehrsplan / Nahverkehrspläne
NVS Nahverkehrsservicegesellschaft Thüringen
NWkm Nutzwagenkilometer
ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr
ÖPNVG Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Freistaat Sachsen
ÖPNVFinVO Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zur Finan-zierung des öffentlichen Personennahverkehr
ÖPNVFinAusG Gesetz zur Finanzierung des Ausbildungsverkehrs im Öffentlichen Personennahverkehr
Orga Organisation (Arbeitsgruppe der ÖPNV-Strategiekommission)
ÖSPV Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr
ÖV Öffentlicher Verkehr
p.a. per annum (pro Jahr)
PBefG Personenbeförderungsgesetz
Pkm Personenkilometer
RB Regionalbahn
RE Regionalexpress
RegG Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs
RIN Richtlinien für integrierte Netzgestaltung
RL-ÖPNV Richtlinie des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr über die Gewährung von Fördermitteln im öffentlichen Personennahverkehr
RMV Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH
RP Rheinland-Pfalz (Länderkürzel)
SchulG Sächsisches Schulgesetz
SMF Sächsisches Staatsministerium der Finanzen
SMI Sächsisches Staatsministerium des Inneren
SMK Sächsisches Staatsministerium für Kultus
SMWA Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
SN Freistaat Sachsen (Länderkürzel)
SPNV Schienenpersonennahverkehr
ST Sachsen-Anhalt (Länderkürzel)
StW Staatssekretär für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
Tab. Tabelle
Seite 178 von 178 Abschlussbericht der ÖPNV-Strategiekommission Sachsen – Anlage
Abkürzung Erläuterung
TH Thüringen (Länderkürzel)
TuV Tarif und Vertrieb (Arbeitsgruppe der ÖPNV-Strategiekommission)
VBB Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg
VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen
VEP Verkehrsentwicklungsplan
VMK Verkehrsministerkonferenz
VMS Verkehrsverbund Mittelsachsen
VO Verordnung
VU Verkehrsunternehmen
VVO Verkehrsverbund Oberelbe
VVV Verkehrsverbund Vogtland
Zkm Zugkilometer
ZV Zweckverband
ZVMS Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen
ZVNL Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig
ZVOE Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe
ZVON Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien
ZVV Zweckverband ÖPNV Vogtland