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ABSTRAKT Helgard Berta Gapmann Die Bühnenwerke Dürrenmatts und die Tradition des Wiener Volkstheaters (unter besonderer Berücksichtigung Nestroys) Departrnent of German, McGill University (M.A. ) Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhaltnis des Wiener Volks- theaters zu dern zeitgenossischen Schweizer Autor, Friedrich Dürrenmatt. DaB die Dürrenrnàttsche Dramaturgie an verschiedene charakteristische Aspekte des Wiener Volkstheaters erinnert, wie auch die Tatsache, daB er .selbst von dieser Theaterforrn nur lobend spricht, weist auf die Moglich- keit hin, daS eine Untersuchung seiner Werke unter .diesem Aspekt ange- bracht ware. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen 1ihnliche Elemente dieser beiden Theaterforrnen, die man in die folgenden Gruppen zusammenfassen kann: 1. die Miteinbeziehung der Bühne aIs wesentlicher Teil des dramatischen Schaffens, und die Einstellung zum Publikum s 2. das kornische Element und 3. die Gesellschaftskritik. Die Untersuchung der komischen Elemente der früheren Stücke Dürren- matts erm6g1icht uns ein besseres Verstandnis der spXteren Werke, in denen die Komodie immer weniger 'lustig' wird. Das Element des Grotesken, welches an die Stelle der Komodie tritt und sie groStenteils verdrangt, bezeugt den wachsenden Pessimismus Dürrenmatts hinsichtlich der Weltlage.

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ABSTRAKT

Helgard Berta Gapmann

Die Bühnenwerke Dürrenmatts und die Tradition des Wiener Volkstheaters

(unter besonderer Berücksichtigung Nestroys)

Departrnent of German, McGill University

(M.A. )

Die vorliegende Arbeit untersucht das Verhaltnis des Wiener Volks­

theaters zu dern zeitgenossischen Schweizer Autor, Friedrich Dürrenmatt.

DaB die Dürrenrnàttsche Dramaturgie an verschiedene charakteristische

Aspekte des Wiener Volkstheaters erinnert, wie auch die Tatsache, daB er

.selbst von dieser Theaterforrn nur lobend spricht, weist auf die Moglich­

keit hin, daS eine Untersuchung seiner Werke unter .diesem Aspekt ange­

bracht ware.

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen 1ihnliche Elemente dieser

beiden Theaterforrnen, die man in die folgenden Gruppen zusammenfassen kann:

1. die Miteinbeziehung der Bühne aIs wesentlicher Teil des

dramatischen Schaffens, und die Einstellung zum Publikums

2. das kornische Element und

3. die Gesellschaftskritik.

Die Untersuchung der komischen Elemente der früheren Stücke Dürren­

matts erm6g1icht uns ein besseres Verstandnis der spXteren Werke, in denen

die Komodie immer weniger 'lustig' wird. Das Element des Grotesken, welches

an die Stelle der Komodie tritt und sie groStenteils verdrangt, bezeugt den

wachsenden Pessimismus Dürrenmatts hinsichtlich der Weltlage.

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ABSTRACT

Helgard Berta Gapmann

Die Bühnenwerke Dürrenmatts und die Tradition des Wiener Volkstheaters

(unter besonderer Berü~ksichtigung Nestroys)

Department of German. McGill University

(M.A. )

This thesis examines the relationship between the Viennese folk

o

theatre and Friedrich Dürrenmatt, a contemporary Swiss author. The

fact that the dramatic theory of Dürrenmatt is reminiscent of several

aspects characteristic of the Viennese folk theatre and that he himself

has always voiced an admiration for that particular form of theatre

indicate at the 'WOrks of Dürrenmatt under this aspect

could be a fruitful one.

The result,s of this show the similarities between these

t'WO three main points:

1- the approach with respect to the stage and the

audience,

2. the element of

3. the presence of social criticism.

A discussion of comedy in the earlier works of Dürrenmatt enables a

more thorough appreciation of thé increasing lack of it in the later

warks. The grotesque which bas largely replaced and displaced the comedy

testifies to DUrrenmatt's growing pessimism with respect to the 'human

condition. '

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BtlHNENWERKE DtlRRENMATTS UND DIE TRADITION DES WIENER

VOLKSTHEATERS

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DIE BUHNENWERKE DÜRRENMATTS UND DIE TRADITION DES WIENER 1

VOLKSTHEATERS (UNTER BESONDERER BERUCKSICHTlGUNG NESTROY&)-

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HELGARD BERTA GAPMANN

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A-thesis submitted to t~e Faculty of Graduate Studies and Research 1

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in partial fulfilment of the requirements for the degree of Kaster JI

of Arts in German.

Department of German, 4

• McGi11 University,

Montreal, Que., Canada August 27. 1973

® "H11gard Berta Gapwan 1974 :1

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Herr Professor Armin Arnold hat diese Arbeit angeregt

und Frau Ptofessor Trudis Goldsmith-Reber bat sie trotz 1

groB~r personlicher Belastung immer wieder gefordert.

Beiden spreche ièh meinen herzlichen Dank aus.

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GLIEDERUNG

• VORBEMERKUNCEN

1. DURRENMATT / WIENER VOLKSKOMODIE

1.1. Die alte Wiener VolkskomOdie

1.2. Die theoretischen Schriften

1.2.1. Literaturdrama / Spie1stück

1.2.2. Einstellung zum Pub1ikum

1.2.3. Komische und kosmische Urmaterie

1.2.4. Bühnenpoesie / Sublimierung

1.2.5. Unpolitik / Metaphysik

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2. NESTROY UND DAS MODERNE THEATER; SPIEL UND SATIRE

3. UNTERSUCHUNG DER WERKE DURRENMATTS

.3.1. Stilistische Ahn1ichkeiten zum Volkstheater

3.1.1. Gags

Ç)

3.1.2. Verdoppelung, Vervie1f§ltigung, Spiege1-

wirkung. Parallelismus und Wiederholung .. 3.1.3. Sprache

3.1.4. Personen requisitenhaft eingesetzt

l> 3.1.5. Essen

3.2. Das Groteske, die Metaphysik und die Tragikomëdie

\) 4. ABSCHLIESSENDEN BEMERKUNGEN

1

7 ~

7

15

17

19

23-

26

28

31

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53

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112

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141

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• ANMERKUNGEN 153 , BIBLIOGRAPHIE 164 .

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VORBEMERKUNGEN

Das Thema dieser Arbeit ergab sich aus einer Beschaftigung

mit Dürr~nmatt, bespnder~ aus einer Untersuchung seiner theo­

retischen Schriften. Diese drücken eine Begeisterung für das J

Wiener Volkstheater aus, weil es, wie das Theater der Griechen

und das der Elisabethaner im Gegensatz zum deutschen Th'eater .' unserer Zeit, zunachst einmal zeitgenossische Stücke aufführte.

Laut Dürrenmatt zeigep die Spielplane der metrten heutigen Thea-

ter vorzugsweise Klassiker auf, wodurch den Theatern die notige

Abonnentenzahl gesichert wird, und Stücke der heute noch leben-

den Stückeschreiber werden in geringer Zahl und überhaupt kassen-

bezüglich als notwendiges (die heutige Kunst unterstützendes) Ri-

siko mitaufgenonnnen. Zu dieser für die zeitgenoss{schen Drama-

tiker recht unangenehmen Gewohnheit auBert sich Dürrenmatt in der

Schrift Theaterprobleme:

Heroisch erfüllt man seine Pflicht, um beim nachsten

Shakespeare wieder aufzuatmen. Dagegen ist nichts zu

sagen. Es laBt sich nur die Bühne raumen. Platz den o

Klassikern. Die Welt der Museen wachst, birst vor Schatzen.

Noch.sind die Kulturen der Hohlenbewohner nicht zur Ganze

erforscht. Custoden anderer Jahrhunderte magen sich mit

unserer Kunst abgeben, wenn wir an der Reihe sind. 1

Nach Dürrenmatt setzt ein lebendiges Theater, die Aufführung

ausschlieBlich zeitgenassischer Stücke, ein einheitliches Publikum

u

-2-

voraus, etwas, was dem heutigen Theater fehlt. Das alt-griechische

Theater hatbesein Publikum, das mit den aufgeführten Mythen be-

kannt war, Shakespeare konnte auch mit seinen Zuschauern rechnen,

ebenso das Wiener Volkstheater; Dürrenmatt fühlt sich dagegen ge-

zwungen, sein Publikum zu produzieren, indem er das Wort Komëdie l ,

gieich einer Faile einsetzt. Das sind laut Dürrenmatt die Probleme ~

der heutigen Bühnendichtung, die nicht nur jeden Stückeschreiber

angehen.,.

Da6 Dürrenmatt das Wiener Volkstheater hëher einschatzt aIs

die gangigen Literaturgeschichten es zu tun pflegen. sagt aber

~ch nichts aus über die Rolle, die das Wiener Volkstheater in / seinem eigenen Schaffen spieit. Es ist àber nicht auszuschlieBen, ,

da6 man etwas, was man bewundert oder auch nur für gut haIt, wenn

es mit dem eJgenen Tatigkeitsfeld eng verbunden ist,' in seine Ge-

dankenprozesse aufnimmt und dann auf irgend eine Weise verarbeitet.

Somit kommen wir zum Zweck dieser Arbeit, die einen Versuch dar-

steIIt, das Wiener Volkstheater in den Werken Dürrenmatts aufzu-ù

spüren. o

2 Zuerst wurde anhand von Texten von Raimund und Nestroy fest-v

-, 'gestellt, daB weder Situationen noch Personen aus Raimund und Nestroy

bèi Dürrenmatt zu entdecken sind. Dasselbe giit auch für das Schema

der Stücke des Volkstheaters, das man verailgemeibernd aIs Zauber-"',

-3-

stück (Besserungsstück) und Posse bezeichnen konnte. Es lassen

sich aber doch gewisse Einzrlheiten bei Dürrenmatt anführen, die

ein wenig an das Wiener Volkstheâter erinnern, darunt~ z.B. die

~ Warteszene im Besuch der akten Darne. III fürchtet sich und sucht

bestimmte Personen auf, urn sich Schutz zu verschaffen, stoBt aber'

auf allgemeines Unverstandnis. Somit erkennt er, daS seine Mit-

bürger schon zu verstrickt si~d, urn ihn mit dem Leben davonkornmen

lassen zu konnen. Wahrenddes~,en sitzt die alte Datne auf dem Bal-<fi

kon, trinkt Whiskey un~ wartet. Kontrapunktisch wird zum,Balkon . zurückgeschaltet, womit das omin~e Walten der alten'Dame sicht-

bar gernacht wird. Hier ist an eine Bemerkung Dürrenmatts zu den-

. " ken, die er bezüglich der Zeit auf der Bühne ln den Theaterpro-

blemen 'gemacht hat:

lm allgemeinen erscheinen zwar die Handlungen auf der

Bühne aIs ein Nacheinander, in d'er Zauberposse "Der Tod

am Hochzeitstag" von Nestroy aber, um ein Beispiel zu Cr

nehmen, gibt es zwei Akte, die gleichzeitig spielen, und

mit Geschick ist diese Gleichzeitigkeit dadurch vorge­

tauscht, daB die Handlung des zweiten Aktes die Gerausch­

kulisse für den ersten und die Handlung des er~ten aie

Gerauschkul isse für den zweiten Akt bildet. W,eitere Bei­

spiele der Anwendung der Zeit aIs eine~ MOglichkeit des

Theaters konnten mit Leichtigkeit erbracht werden. 3

Offenbar findet er in anderen Werken eirien AnstoS für das eigene

Schaffen, indem er andere Moglichkeiten der Gestaltu~g des Raums,

des Gebrauchs der Zeit usw. erblickt. DaB jeder Men9ch~ der mit

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-4-

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Literatur zu tun hat, auf irgend eine Weise beeinfluBt w~rd,

führt Dürrenmatt selbst aus "in seinem Aufsatz Bt!kenntnisse eines 4·~c. ~

Plagia tors. ~

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Auch das St~ck Ein En~el komÎnt nach Babylon, besonders die

Miteinbeziehung des Himmels aIs Ausgang~punkt der Handlung, er-J '

innert an'das Volkstheater. und zwar an ein Element des 8andlungs-

s~emas der meisten Zauberstücke, naml'ich die aktive~ Za\1ber- ûiKl \.;.;

Geisterwelt, die auf m~nschliches Handeln einwirkt. Bei Dürrenmatt

kommt ein Engel nach Babylon mit dem Auftrag, dem.armsten Menschen

die himmlische Gnade, Kurrubi, zu überreichen. Ein MiBverstandnis , {)

bezüglich der Identitat des armsten Menschen entsteht, und derjenige,

der diese Gnaù~ wirklich benotigt, kann sie unter diesen Umstanden

nicht annehmen, obwohl er sie sich erworben bat. Es ist namlich

der Kon~g, dessen Stolz es verbietet, in sich selbst den armsten ~

11enschen zu erkennen. Dieses Stück endet ni~hf( mit d~r Erkenntnis G

und der darauffofgenden Besserung der Wiener Volksstücke, _~ondern

mit eihem Fluch gegen den Himmel und dem Wunsch'nach Rache.

Es wird klar, daB man von keinem EinfIuB des Wiener Volks-o

theaters auf Dür~enmatt,-der sich sozusagen aIs Zitat ausBdem

"' Volkstheater nachweisen UiBt, d.h. omit Sicherheit, allein das

Volkstheater zum Ursprung hat, reden kann: Man mua auf einer

andereren, allgemeinerén Ebene suchen, um herauszufinden,

erstens was es war, das Dürrenmatt am Wiener ~olk;theater

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-5-

'beeindruckte. zweitens wie er es verstand und drittens wie er es

in seiner eigenen Tatigkeit verwerte~e. Punkt eins meiner Arbeit

behandeit die beiden ersten Fragen. Punkt zwei bestatigt die Re-"

suitate und Punkt drei unt~ràu~~tJ~as Werk Dürrenmatts unter dem

L \ ' 'j ,ab~nannten Aspekt.

..t Naheres über die Gliederung: Zunachst untersuchte ich Dürren-

matts Aufsatz Die aite Wiener Volksk~modie5, warin er ein sehr

wichtiges. wenn nich~ das wichtigste Buch z.Z. über das Wiener

Volkstheater, Ott~ Rommels Die Alt-Wiener VolkskomOdie, beschreibt.

Es ergaben sich aus di~sem Aufsatz ~inige Kategori~n, die haufig

Korrespondenzen zu seinen theoretische~ Schriften aufwiesen~ Dann

wurde diesen Ahnlichkeiten nachgegangen. um herauszukristallisieren,

wie Dürrenmatts Verstandnis der Dramaturgie des ~iener Volkstheaters

mit seiner e~genen Theorie über das Theater verbunden ist. " '

Der zweite Teil der Arbeit referiert einige Beispiele der

neUeren Sekundarliteratur über Nestroy als Vertreter de~ Wiener

Valks'the.aters; ausnahmslos wu~de ihm eine Nachwirkung zugesprochen, ,

die früher nje in den Literaturgeschichten gewürdigt wurde. Dieser

Teil der Arbeit ergab zwei Grundkategarien, die mit den Hauptele-

menten des ersten Teils ~ber 'Urrenmatt im Wesentlichen übereinstim-/ rJ l 1

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lm dritten Teil soU aufgezeigt werden', wie die obengenannten ~

Hauptèlemente, die sowohl für Dürrenmatt wie auch für Nestroy gel-

ten, im Werk selbst erscheinen. Dazu Wurde einige Sekundarliteratur f'

ü~er Dürrenmatt zu Rate gezogen; die Kategorien~ unt~r welchen die

'Werke untersucht wurden, ergaben sich hauptsachlich aus den Stük­

ken, lehnen si~h aber in der Betitelung an Siegfried Kienzle an6, .-....

dessen Beitrag u.a. in 3.1. dargestellt wurde. Mit Absicht wurde

, * in diesem Teil auf eine eingehende Untersuchung des Weseut. der

) , . Komik verz~chtet, da-es die Arbeit nur unnotig kompliziert hatte.

Ich biete, mich teilweise auf Dürr~nmatt stützend, eine ganz a11-p

gemeine'Definition für Komik an - alles, was zum Lacqen bringt,

beinhaltet irgend eine Art Komik. Dasselbe gilt für die Definition

des Grote~ken, womit ich mich in 3.2. beschaftigt babe; das Cro-t

teske der spateren StUcke erklart rückwirkend ~ie Komik der früheren

<. Stücke. , .

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1. DURRENMATT / WIENER VOLKSKOMljDIE

1.1. Die alte Wiener VolkskomOdie

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Bemerkenswert an diesem nur vier Sei (en langen Aufsatz ist

die Oberflachlichkeit, ~it der die alte Wiener Volkskomodie be-

handelt wird. Das Entstehungsdatum (2.4.53 in Die Weltwoche) und .. der einleitende Satz: "Wer die Sage noch glaubt, es gebe im Deutschen

nur drei Lustspiele, wird wohl etwas erstaunt den ü,ber taus end Se,i-

ten starken, reich illustrierten Band Otto Rommels betrachten, den

der Verlag Anton Schroll in wien herausgibt"l - laBt vermuten, daB

es sich um eine Rezension des 1952 erschienenen Buches handelt. Der I,!,

letzte Satz scheint etwas verlegen einen AbschluB zu suchen, indem

das V9lksthe~ter dargestellt wird aIs Voraussetzung für das Ver­

standnis der sonst verblüffenden Handlung der 'Zàuberflote' von

~chikaneder, das einzige Stück der Volksbühne, welches zu über-

leben vernbchte und das nur.dank der Verbindung mit der Musik Mo-

zarts.

D~rrenmatt überfliegt zum groBten Teil den I~halt des Buches, ',,-

verweilt aber langer bei einigen Punkten, die im folgenden aufge-

zahlt werden. Es ist für·diese Arbeit von besonderer Wichtigkeit,

klar heraus~ustellen, was Dürrenmatt am Wiener'Volkstheater beein-

druckte; zu betonen iat,. da8 dieser Aufsatz die einzige Schrift iat,

die sich unmittelbar, bzw. vermittelt durch Otto Rommels Buch, aua-

. \-

-8-

schlie61ich mit dem Volkstheater beschaftigt.

AuBer der allgemeinen positiven Einstellung, die im ersten

Satz einen etwas schulmaBig-rhetorischen Ausdruck findet, wobei

man nicht recht weiS, ob das Kompliment dem Herrn Rommel oder dem

Volkstheater gilt, ist folgendes festzuhalten:

1. Der Unterschied zwischen Spielstück und Literaturdrama wird aIs \'

'klug' gelobt. Das Spielstück, zu welchem das Volksstück gerechnet

wird, ist eine Gattung, "die durchaus der Bühne bedarf und durchaus

für die Bühne geschrieben ist (was freilich das Literaturdrama auch

tun sollte) .,,2 In dieser Bemerkung, die andeutet, daB das Literatur-

drama der Bühne nicht bedarf und nicht für sie geschrieben ist, steckt

der Kern, der in den Theaterproblemen ~1954/55 entstanden) keimt,

namlich daB die Bühne an sich MogIichkeiten hat, die da sind, um er-

probt zu werden.

2. Diese Einstellung zur Bühne führt folgende Einstellung zum Publi~

kum herbei: ~ '::f..: )'lc

Der Schauspieler (d.h. derjenige, der im Volkstheater in

vielen Fallen zugleich auch Bühnenautor ist, der auf jeden

Fa11 die Moglichkeit hat, zu improvisieren,d.V.) weiS, was

das Pub1ikum will, und richtet sich nach dem Publikum, ein

viel gesUnderes Prinzip, aIs mab dort glaubt, wo nur 'an

sich' gedichtet wird. 3

- eine Aussage, die Dürrenmatt • 'V • ln etwas abgewandelter Form lm Auf-

satz Schriftstellerei- aIs Beruf (entstanden 1956, umgearbeitet 1965)

o

-9-

ln bezug auf sich und seine gesellschaftliche Situation und

Funktion ln materialistischer Terminologie weiterentwickelt. Ge-

sund ist nicht nur im übertragenen Sinn zu verstehen, da eine

wechselseitige Abhangigkeit zwischen Dichter und Publikum existiert

und zwar derart, daB der Dichter nur dann leben kann, wenn er ein

Publikum, d.h. Nachfrage nach seinem Produkt hat.

Ci 3. Was Dürrenmatt in bezug auf Stoff und lnhalt der Stücke aus

dem vorangegangen Punkt zieht, ist folgendes:

Es galt, immer neue Gestalten zu finden, in denen

sich der Zuschauer sehen konnte, nicht aIs Held -

was ihm gar nicht immer so angenehm ist, wie man

glaubt -, sondern aIs elne Art komische und kos­

mische Urmaterie, die zwar immer Pech hat" aber

gerade noch einmai davonkommt. 4

Besonders beachtenswert ist die Bez.ébbnsng des Helden, mit dem

sich der Zuschauer identifiziert, aIs komische und kosmische Ur­i.;

~terie, worauf in Punkt 5 naher eingegangen wird.

4. Die Freude an der Theaterei, besonders hinsichtlich der Bühnen­li

technik, sieht Dürrenmatt aIs angemessen für ein Theater, das in

den Anfangen (das metaphysische Barocktheater), mit erheblichem

Aufwand Kampfe zwischen Himmel und Holle um den Menschen aufge- •

führt bat. Hi~r Lst an seine Bemerkung in den Theaterproblemen zu

~enken: "lch liebe das farbige Bühnenbild, das farbige Theater " 5

Dieae Freude an der Theaterei, die Unterhaitung, iat auch der Punkt,

an dem sich Autor und Publikum treffen •

\,

• o

-10-

Die formalen Au/3erlÏchkeiten, eng mit dem metaphysischen In-

haIt verbunden, sind nach Dürrenmatt auch in der Sprache wieder-

zufinden (was auf der Ebene der literarischen Wertung auch zur

Geltung kommt - doch diesen Problemkreis spricht Dürrenmatt nicht

direkt an). Der Einheit, die aus der Verschmelzung von Forro und

Inhalt resultiert, gilt,Dürrenmatts Interesse:

Gerade in den Zauberstilcken wird oft eine echte

Bilhnenpoesie erreicht, eine hühere Durchsichtigkeit

der Dinge. Das Theater selbst wird Dichtung, das

Réquisit ~oesie, die Verwandlung ein Weiterfilhren

der Handlung auf einer hoheren Ebene. 6

Nicht erklart wird, wie man den Ausdruck 'echte Bühnenpoesie'

J interpretieren soIf; gibt es auch unechte, falsche Bühnenpoesie,

oder solI die 'hohere Durchstchtigkeit der Dinge', die Metaphy-

sierung des Stoffes, der Sprache mehr dichterischen (literarischen?)

Wert verleihen?

5. Die Identifikation des Publikums mit den Personen auf der Bühne

hat im Volkstheater einen überindividuellen Charakter: '~ie bei

Aristophanes die Athener, sahen sich die Wiener in der KOmOdie wie­

der.,,7 Ein langes Zitat folgt. wichtig für das Aufzeigen der eigen-

artigen Logik Dürrenmatts, besonders im Hinblick auf die metaphysische

Ebene im Volksstück. Das Lob auf die VolkskomOdie aIs lebendiges

Theater wird durch den sehr schmeichelnden Vergleich mit der grie­

chischen Bilhne der Antike un~it der Shakespeareschen unt~rstri-chen:

\

/

-11-

Es ist mëglich, die alte wiener Volkskomëdie mit

dem Theater des elisabethanischen London oder mit

jenem der Athener zu vergleichen, doch besi~zt sie

weder das Bewu6tsein, eine Geschichte, einen Staat

zu haben, das die Englander auszeichnet, noch die

Freiheit der Griechen, alles mit Namen zu nennen:

Sie zeichnet sich geradezu durch ihre Unpolitik au~.

An Stelle der Konige und Kardinale sind Zauberer

und Feen getreten, ein nicht unbedenklicher Zug,

( .•• ) Die Komodie der wiener gibt voiiendet eine

Stadt wieder, doch nicht aIs ein politisches Ge­

biIde, das Wien doch auch ist, aIs die Hauptstadt

eines Kaiserreichs l sond~rn aIs ein Durcheinander von

Kleinbürgern und Grafen, denen man nie eine poli­

tische Handlung zutraut. Die Regierung, die Kirche,

das Kaiserhaus bleiben ausgeklammert, und an die

Stelle der Politik tritt aIlzuoft eine verworrene

Metaphysik; es ist nicht immer gut, wenn die Dichter

d • f . 8 gezwungen wer en, t1e zu se1n.

Die Tatsache, da6 die Volksbühne das Volk (d.h. die Wiener, ein

einheitliches Publikum) widerspiegeIt, ist das entscheidende Moment

dieser Theaterform. Worauf Dürrenmatt nicht naher eingeht ist, da6 \ '\

diese Widerspiegelung nur in einem Bereiph des Wiéner Lebens statt-

findet, im Komischen, das letzten Endes eine festgelegte Ordnung

p! auf metaphysischer Ebene hat (im Gegensatz zu DürrenmattS(Auffassung

des Komischen), welche die menschliche Ordnung auf Erden vertritt . oder verdrangt. Diese 'Unpolitik' heiSt Dürrenmatt gut: " ••• es ist

nicht iuuner gut, wenn die Dichter gezwungen werden, tief zu sein."

Weil hier die Vorstellung von Zwang heraufbeschworen wird, muS die 1

" ~, "

••

-12-

Frage au~ommen, wer den Dichter wozu zwingt. Es bestehen mehrere

Moglichkeiten:

1. Das Publikum (die Wiener) zwingt den Dichter, tief zu sein,

2. die menschliche Weltordnung (der Staat) zwingt den Dichter,

tief zu sein,

3. die metaphysische Ordnung zwingt den Dichter, tief zu sein,

oder

4. die V8tstellung, daS Dichtung tief sein muS, um Anspruch

auf literarischen Wert zu erheben, übt den Zwang aus.

Die erste und dritte These lassen wir aIs unwahrscheinlich wegfallen,

weil in bezug auf das Volkstheater die Dimension der Tiefe nur be­

grenzt Sinn hat; wie Dürrenmatt selbst aufzeigt, beweist die Tatsache,

da8 der 'tiefe' Dramatiker Kleist seinerzeit kein Publikum fand, daS

das Publikum der Wiener Volkskomodie nichts gegen oberflachliches

Amüsement, nichts gegen die zum Teil auf Wienerisch handelnde Mar­

chenwelt (die metaphysische Ordnung) einzuwenden hatt~. Für These

zwei und v~er ist eine nahere Betrachtung des Adjektivs 'tief' sehr

aufschluSreich. DUrrenmatt bezeichnet die verworrene Metaphysik, die

an die Stelle der Politik tritt, aIs Unpolitikj demnach ist es mog­

lich, das Eigenschaftswort metaphysisch ait unpolitisch gleichzu­

setzen, ebenso seinen Gegensatz mit politisch. Wesentlich fUr die

Volksbühne ist These zwei, weil die Zensur gerade das Gegenteil vom

Dichter verlangte (tief - politisch) und· damit jede unzweideutige

zeitkritische Tendenz, wie sie oft in der KomOdie aIs Parodie oder

-13-

\ l'

Satire auftauchte, auszumergeln versuchte~~ Wesentlicher für Dürtén­~

matt ist These vier; sie beinba1tet die ~"u~deinstel1ung Dürrenma,tts (l, ~

zur Di~htubg überhaupt. aber besonders seine ~bneigung gegen Literatur-1 1

kritiker. dle hinter dem Ausgesagten krampfQaft das wirk1ich tief

-. ) '---.., 10 .. G~e1nte suchen. Auch w1rd h1er das Problem der literarischen Wer-, -,

tung des SchJpspiels angeschnitten, eine Gattung, die ihre Verwirk-

lichung nicht in Leder gebunden, sondern auf der Bühne erfahrt. Tief

im Sinne von politisch erweitert die sentenzartige SchluBbemerkung

des Zitats auf noch einen anderen Bereich, den der Beziehungen der

Menschen untereinander. besonders den der Funktion des Dichters in

der Gesellschaft. Dürrenmatt meint zwar, daB der Dichter aIs Gesell-

schaftsmitglied und rechtschaffener Mensch die Pflicht bat, sich

für Menschlichkeit im Allgemeinen einzusetzen, ist aber nicht immer

'damit einverstanden, daS dies im Rahmen der Dichtung. die sich kaum

als'Kampfwaffe eignet1l , geschehen solI. Zu diesem Punkt noch zu

erwahnen bleibt die Unpolitik bzw. die Metaphysik, die über den Um­;~

weg - der ReId aIs komische und kosmische Urmaterie - WiederhaW'

in der Deutung des Komodienbegriffes (ich verweise auf Punkt 1.2.3.

und 3.2.) bei Dürrenmatt findet.

Rierin ist auch die Rechtfertigung dieser Arbeit enthalten.

Die einzelnen komischen Elemente im Werk Dürrenmatts lassen sich

nicht einfach auf das Volkstheater zurückführen. Der oben behandel-

te Aufsatz laBt einem ein gewisses Interesse seitens Dürrenmatt für

1

-14-

das Vo1kstheater verspüren, mut~ Teil wie ein Versuch an,

dieser Theaterform ihr verdien~nsehen zu verschaffen, gibt

aber keine Hinweise auf Dürrenmattsche Verwertungen der Mitte1- ~-

und Praktiken des Vo1kstheaters, die die Quelle noch durch-

scheinen 1assen. Daa diese Schrift eine Art Buchrezension ist,

1egt noch mehr Gewicht in die negative Scha1e. Was für eine ,

1angere Behand1ung des Themas spricht, ist die VerknUpfung der

Vo1ksbühnendramaturgie - a11erdings nur so weit, wie DUrren-

matt diese Dramaturgie deutet - mit der Dramaturgie DUrrenmatts,

die einen nicht zu miBachtenden-Versuch darste11t, zu einer al1-

gemeinen modernen Dramaturgie zu gelangen. Der Versuch kann'als

praxisbetonte Theorie des modernen Dramas bezeichnet werden; im

Bezug zur Praxis kommt die Individualitat und Vie1seitigkeit des

Menschen zur Geltung, wie es auch die Formulierung 'Theater des

Experiments' ausdrückt.

"

• J

-15-

1.2. Die theoretischen Schriften

Die theoretischen AuBerungen im Band Theater-Schriften und rl;

Reden sind mit Vorsicht zu gebrauchen. Dürrenmatt ist ein hochst"

widersprüchlicher Theoretiker, eine Tatsache, die nur zu gut seine

Meinung über Theoretiker bestatigt. Ihn aIs Künstler interessiert

der momentane SchaffensprozeB; nur eine Neugier über das Wie und

Wômit dieses Prozesses verleitet ihn dazu, zu theoretisieren und

zu philosophieren, etwas, was er der menschlichen Natur aIs we-

sentliches Merkmal zuspricht. Diesem SchaffensprozeB zuliebe

verleugnet er ohne Bedenken seirt~ früheren Bemerkungen, denn es

geht ibm um das Machen der Kunst, eine ewige Entwicklung, die

durch das Ein-für-allemal-Festlegen gewisser Regeln eingeschrinkt

und behindert ware. 12

So-findet bei Dürrenmatt der Widerspruch seinen gere~hten

Platz; auSer der Rechtfertigung, die der Widerspruch durch den

experimentellen Charakter der nicht nur nach Regeln gehandhabten

Kunst erfahrt, hat er auch eine tiefere Bedeutung. AIs einleiten-

de Devise zum Band Theater-Schriften und Reden heiBt es:

Wer sich nicht widerspricht,

den wird man nie wieder lesen.

AuBer dem Wortspiel widersprechen 1 wieder lesen, steckt in diesem

Spruch vielleicht ein Wunsch nach Geitung, auf jeden Faii nach etwas

o

-16-

Mehr-als-nur-einmal-gelesen-zu-Werden, wie auch eine Andeutung,

dàB der Widerspruch ein wesentliches Merkmal der beutigen Welt

ist (man denke nur an seine KOmOdie) und nicht zuletzt ein Zynis-

mus den Literaturkritikern und -wissenschaftlern gegenüber, denen

er sich widerspenstig zeigt. 13 Kennzeichnend ist dieser Leit-

spruch für ~ürrenmatts Weltanschauung; der intellektuelle Reiz

der bestehenden Widersprüche, wie auch de~'Reiz des Erkennens der

Widersprüche, ermoglicht Dürrenmatt eine Haltung einzunehmen, die

"zum Teil auch raumlich zu verstehen ist: er meint, beschreiben zu

konnen, ohne. in gewisse Kategorien eingeordnet zu werden (sei es

aIs Materialist, Nihilist usw.), also intellektuell über dem ge-

14 sellschaftlichen ProzeS, der die Welt ist,zu stehen , aber auch

aIs Schweizer den Vorteil zu haben, die Welt "von Punkten aus

(zu- d.V.) beobachten, die hinter dem Mond liegen,,15, also in der

politischen Lage zu sein, das Weltgeschehen betrachten zu konnen,

oune daran teilzunehmen, obwohl er an anderer Ste~le das Gegenteil

behauptet, namlich, daS es unfair ware, den menschlichen Blickwin-

kel zu verlassen. \

Der folgende Teil der Arbeit ist die Erganzung zu den Punkten,

die aus dem Aufsatz liber die VolkskomBdie herausgehoben wurden. Es

wird auf mehrere theoretische Schriften hingewiesen, um die enge ,

Verbindung, die in 1.1. angedeutet wurde, ausführlicher nachzu-

weisen. Dasselbe Schema wurde hier beibehalten unter folgenden

Stichwortern:

,-

-.

"

J

-17-

o

1.2.1. Literaturdràma / Spie1stück

1.2.2. Einstellung zum Publikum

1.2.3. Komische und kosmische Urmaterie

1.2.4. Bühnenpoesie / Sublimierung

1.2.5. Unpolitik / Metaphysik

1.2.1. Literaturdrama / Spie1stück

Der ~chtigste Punkt der Dramaturgie Dürrenmatts iat die Mit-

einbeziehung der Bühne in das dramatische Schaffen. An einer Ste11e

behauptet Dürrenmatt sogar, daS das Mit-der-Bühne-Dichten ei~e wich-

tige, wenn nicht die letzte Motivation für ih~ ist, Dramen zu schrei-

1-6 ben. Das bed~utet, daB die Aufführung mindestens genauso wichtig

ist wie der gedruckte Text, und gleichzeitig, daB ein Publikum ent-1

weder vorhanden ist, wiè es z.B.die Wiener zur teit derJ~OlkskO-

modie waren, oder herges~ellt werden muS, wie es Dürre~)tt durch

das Fangwort Komodie zu machen versucht. '1'

~

Theaterstück heiBt erstens ein Erproben der Moglichkeiten der

BUh~e, ein Spielea mit Zeit, Ort und Handlung und zweitens eine

Fal1e, in welcher eine bestimmte Anzahl von individuellen Theater-

besuchern nach dem Hipeinpurzeln ,0 ~ 1 1

zum einheitlichen Publikum:}~er-

wandelt wird. Die BerUcksichtigung der ~ühne einerseits und-des

Publikums andererseits ist wesen~lich fUr die Wahl und die Gestaltung

~)

a

...................... ~---------------------

1

!

l .

• ..

-18-

û

des Stoffes; für Dürrenmatt scheint die Frage des Stoffes eine

schwierige zu sein, weil ihm sowohl das PubliKum mit seinen Wün-

schen, aIs auch die Wt~senschaft mit ihrer unwiderlegbaren Empirie

unüberschreitbare Grenz~n auferlegt. Ersteres kann er nur durch

das Lachen überl isten, letzteres nur durch Parodie *siegen, Pa­

rodie, die dem Dièhter noch das freie Erfinden erlaubt - beides l'

ll1Bt sich auf seine Weltanschauung zurückführen, die in der Ko-9 .

mOdie bzw. Tragikomodie die Moglichkeit erblickt, sich der groBen,

gef~rlichen, ~undeutbaren Welt zu stellen, die Bedrohungen und

Gefahren dieser Welt prophe~isch darzust~tlen,~nd zugleich eine w

Art Ordnung aus dem undurchsichtigen Chaos zu schaffen. ~t~~ ~ ~

Dazu kommt noch ein optimistischer Aspekt, das Spieleh, ein

Begriff, der sowohl das Theater aIs Spiel im Gegensatz zu Wirk-

lichkeit, ftis auch Theater aIs Spielerei beinhaitet. Man denke o

,.~~ hier an de~ Dürrenmattschen tlbermut, der eine kraftige Lebensbe­

ja-hung bez~~:~ theatralÏsch z.B.'

in de~Einf~hrUng~er , / ..

vierten Dimension Ausdruck findet. Die freigesetzte Phantasie auf 1

'- der Bühne konnte aber'auch eine unemanzipatorische Wirkung aus-"\ .

" üben, weil auf der Bühne eine Freiheit herrscht, die für manche ,

1 ~chranken au8erhalb des Theaters entschadigen kann, ohne auf diese \ • Schranken aufmerksam zu machen bzw. "., 6

ohne sie zu beseit~.sen.. -

Dnrrenmatt ist sich wohl der Tatsache bewu8t, daS seine Auf- '

o "

. .

fassung der

,fertigt sie

Dichter

die

der Dürr

r -19-

d h . . h 17 h n er erkommllchen abwelc t , rec t-

der künstlerischen Freiheit, daS jeder .(

chen für sich regeln muS, und daB heutzutage

d f r Experimente darste11t. Bei der Betrachtung

tschen Komodie mu$'\aan sich vergegentrartigen, da8

das tragiscne Element gerade im Chaos wurzelt, und da6 die Ko-

mOdie keineswegs die Ordnung herbeiführt. Tragisch ist der mu-

~ " tige Menseh, der pUr sieh eine personliehe Ordnung aufstellt und

sich ihr unterordnet, komisch dagegen Dur die forma1e Darstellung

der Unverstandliehkeit oder Lacherlichke~t des Ganzen; das Gro-

teske tragt zugleich komische und tragische ZUge. Dem iuschauer

allein ist das Laehen reserviert, womiL er sich dann in einen un-

erreichbaren Raum zurückzieht. vom tragischen BUhnengeschehen

groBtenteils abgesichert.

Aber var allem bedeutet das Mit-der-Bühne-Dichten ein experi-

mentelles Theater, einen bewu8ten Schritt in die Richtung der Ent-

mythologisierung der Kunst, ihrer Ffeisetzung. Geradezu krass ist

dieser Gedanke am SchluB der Theaterprobleme ausgesprochen: '~ie t

Literatur muS sa leicht werden, daS sie auf der Waage der heutigen

. k . . k ". h h' N . d' . d . h' ,,18 Llteratur rltl nle ts me r wlegt: ur 50 Wlr Ble w~e er gewlc t~g.

1.2.2. Einstellung zum Prob1em

L

Erster Anhaltspunkt fUr mich war ein~ Bemerkung Durre~tt8~ '1

, ,

-20-

die von einer ganz bestimmten Einstellung zur Dichtung im All-

gemei~en'teugt: . " , ~êh liebe es nicht, vom Sinn ~er Dichtung zu reden.

Ich schreibe, weil ich nun einmal den Trieb dazu

habe, weil ich es Iiebe, Geschichten zu erzahIen" •

ohne mich bemüBigt zu fühlen, bei der Auflosung

der Weitratsei dabei zu sein. 19

Unausgesprochen. aber aIs selbstverstandlich anzunehmen ist, daB

, Dichtung zunachst die individualistische Verwirklichung und Be-•

statigung der Phantasie des Autors, Iosgelost von einer problema-

tischen WeIt, darstelit. Aber Kunst ist auch, laut Dürrenmatt, von

mehr aIs einer Se~te zu sehen; beim Rezi;ienten wird genauso selbst­

verstandlich ein Wunsch, ein Drang ZuT Unterhaltung vorausgesetzt. 20

In Dürrenmatts Seibstdarstellung aIs beruflicher Schriftsteller,

dem Marktgesetz des Angebots und der Nachfrage unterworfen. wird

deutlich, daB die Einstellung des Publikums und seine kol1ekti~n

Wünsche für den beruflichen Schriftsteller ~ehr wesentlich sind,

weil seine Existenz von der Konsumbereitschaft seines Pub1ik~ ab-

hangt. Es bande1t sich beim beruflichen Schriftsteller um eine natur-

wüchsige Teilung der Arbeit; er bat es erkannt, daB er gerne Ge-. 0

schichten schreibt und über1egt, ob er das Schreiben nicht zu

seiner Lebenstatigkeit machen konnte. Er zieht a1so mit seinen Ge-

schichten, seiner Ware zu Markte und hofft, sie gegen seine Lebens-

mittei im weitesten Sinn einzutauschen. Somit arbeitet er geaell-

o

-21-

schaftIich, und wenn es sich herausste11t, daS eine Nachfrage, ein

Bedürfnis nach seiner Ware besteht, da~n kann er sich auf diese 1

Weise sein Leben verdienen. Günstigèr für ihn ist es, wenn er den

anderen Tauschpartner berücksichtlgt, um auch sicher zu geheq, daB

ibm seine Ware abgenommen wird.

N~ebt unser SchriftsteIIer in einer besonderen WeIt, eine

Tatsache, die nicht ohne Konsequenzen ist; manches ist nicht so,

wie es sein soiite oder sein konnte. Diese Disharmonie findet sich

auch in den Geschichten, die er produziert, wieder. Es konnte der \

FaU sein, daS die Leser der Ges4hichten etwas anderes von Kunst 1

erwarten, weil sie im Alltag Disharmonie genug hab en und von der

Geschichte unterhaiten, vom Alitag abgelenkt werden wol1en.

Richtet sich der Schriftstel1er ganz nach ihnen, müSte er

ihnen wOmOglich etwas vorlügen, womit er sich selbst verleugnen

und keine Verwirklichung und Bestatigung ln seiner Arbeit erfahren

würde. Tut er es grundsatzlich nicht, lauft er Gefahr, sein Ge-

schift aIs unrentabei aufgrund mangeinder Nachfrage aufgeben zu

müssen. Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Veg: die Diplomatie,

d.h.aeine kritische (dem Wesen des Schriftstellers entaprechende)

aber doch akzeptable (verkaufliche) Raltung seinen Lesern, der

Gesel1schaft gegenüber einzunehmen und samit sleh sein Leben, sein

Uberleben in dieser Welt, wo es zunichst gilt, auszuhalten. zu sichern. 21

-22-

Der Schriftsteller muS gewisse Kompromisse eingehen, um

sich einen Markt ru schaffen. Er kann zwar keine Losung der

Welltratse1 finden, ist einerseits dazu gar nicht veranlagt bzw.

befahigt, ist sich aber andererseits der Ohnmacht des Einzelnen

bewuBt, dessen Aufgabe es nicht sein kann, die kollektiven Pro-

bl l " 22 E . h . d h . b Il baf eme zu osen. s sprlc t Je oc elne ewu2te, gese sc t-

liche Verantwortung mit diesen Worten:

Darum müssen Sie sich jetzt auch elnen Schrift­

steller wie mich gefallen lassen, der nicht von

dem redet, was er mit den Augen, sondern von dem,

was er mit dem Geiste gesehen hat, der nicht von

dem redet, was einem gefallt, sondern von dem, was

einen bedroht. 23

- ein Widerspruch, der sich aus Dilrrenmatts Einschatzung der Lage

der heutigen Weit erklaren laBt, der auch in folgenden Worten Aus-

. druck findet: "Ich zweifle nicht, aber ich stelle die Verzweifiung

dar. Ich bin verschont geblieben, aber ich beschreibe den Un ter-

gang" und weiter: ''Man darf nie aufhoren, sich di.e Weit vorzustellen,

wie sie am vernünftigsten ware • .,24

Wenn man siéh eine Weit aus vorhandenem Materiai aufbaut: (und

-- Dichtung ist eine solche Wel t), 25 kommen notgedrungen gewisse Struk-

turen auf, Strukturen, die slch aIs MiBstand:und Ungerechtigkeiten

zeigen, zu welchen der Schrlft8telle~ Stellung nehmen muS, diese

ZU8tande entweder bejahend oder verneinend. Wenn letzteres der Fall

26 ist, kann der nichter den Ruf eines 'Unbequemen' bekommen; daB

eine Verneinung bestimmter gesellschaftlicher Strukturen für die

Betroffenen, das Publikum, unangenehm sein kann, ist zu erwarten.

Die Unbequemlichkeit wird nur von ihrer Verkauf1ichkeit einge-

grenzt, weil man das Publikum nicht allzusehr verargern darf, wenn

man von seiner Gunst abhangt, wie es beim beruf1ichen Schriftsteller

der Fall ist. Weil Dürrenmatt es weiB, daB der Kern der Sache bitter

ist, macht er dem Publikum das Konsumieren leichter und angenehmer,

indem er den bitteren Kern mit verlockendem Schoko1adenübergu~ ver-

deckt. Das ist die eine Bedeutung und Funktion der KOmOdie, das

27 Lachen.

1.2.3. Komische und kosmische Urmaterie

Zunachst ist aber die KomOdie die Ausdrucksform der heutigen

Welt, eine im Umbruch sich befindende Welt, die keinen Stoff mehr

für Tragodien a la Schiller liefert, "weil wir keine tragischen

Helden, sondern our Tragodien vorfinden, die von Weltmetzgern in-

szeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden. Aus Hitler und

Stalin lassen sich keine Walleosteine mehr machen. ,,28 Aléo weil (..1

die gestaltete Welt, welche Voraussetzung der Tragodie ist, einfach

in der heutigen Welt nicht mehr sichtbar ist, kann man nur ver­

suchen, "das Gestaltlose zu gestalten, das Chaotische zu formen,,29,

was Dürrenmatt aIs das Hauptelement des Komischen versteht •

Auch stellt die KomBdie einen gewissen beschrankten Widerstand

.\

-24-

des Einzelnen dar, den'einzigen Widerstand, den Dürrenmatt gelten ....

UiBt, obwohl er sich der Ohnmacht des Einzelnen wie auch der Er-

folglosigkeit des Hohngelachters hinsichtlich der WeltmiBstande be-

wuBt ist. Die Erkenntnis seiner e~genen Wirkungslosigkeit tragt .siche~

P .. b .. 30 Ad' zu Dürrenmatts eSSlmlsmus zw. Konservatlsmus bel. n leser

Stelle bleibt noch der komische Einfall zu erwahnen, der 'von der

Uberlegenheit des Dichters zeugt und.dem Publikum die Maglichkeit

zum Lachen darbietet, ebenfaiis ein Ausdruck der Uberlegenheit. Der

Einfall ist zugl~ich Ursache und Produkt der Distanz, die der ,Schrift-

steller benatigt, um eine Welt darzustellen bzw. für sich in Ordnung

zu b . 31 rlugen.

À U

wie das Wiener Volks theater (besonders Raimund) auf der Unzu-

langlichkeit und Beschranktheit des Menschen aufbaute32 , 50 ge-

staltet Dürrenmatt auch alizu menschliche Menschen, d,enén eine

menschliche Natur zugeschrieben wird, die eine Konstante (Urmaterie)

darstellt. Diese menschliche Natur ist sa geschaffen, da8 sie dem

Zufaii unterliegt und paradoxerweise die Welt nicht zu durchschau~n

vermag, die sie selbst sa gestai tet bat; wie sie ist.

Für Raimund war die Welt noch die beste aller Welten, und Un-

zulanglichkeiten des Menschen waren noch von rein individuel 1er Be-

deutung. Es war der Glaube an die Gott-gewoll te Ordnung der Welt,

die vielleicht nicht immer in den Einzelheiten dem Menschen ver-

..

"

-25-

standlich war, die aber im GroBen und Ganzen ihren Sinn hatte. 33

Für Dürrenmatt dagegen liegt das Problem im Mangel des Sinnes im

GroBen und Ganzen; das Problem bat sich in dem HaBe verscharft, wie

die wissenschaft die Natur eroberte und dem unreifen Menschen die

Macht in die Rand gab, sich und die Welt zu zerstoren. Wobei Unzu-

langlichkeiten immer Stoff für KomBdien sind, schlagen sie ins

Tragische um, sobald man den verstandlichen, individuellen Rahmen

sprengt und die KomBdie vor den undurchschaubaren kosmischen Hin­

tergrund stellt. Das Noch-einmal-Davonkommen34 wird immer schwieri-

ger in einer Welt, die durch einen zerstreuteri Laborassistenten,

der aus Versehen auf den faischen Knopf drückt, atomisiert werden

konnte. Was uns aufgrund unserer menschlichen Natur bedroht, ist , nichts weniger aIs die totale Vernichtung. Komisch und tragisch zu-

gleich bIeibt der unzureichende Verstand, der zwar dazu fihig ist,

ungeheure Energien freizusetzen, der aber seine Grenzen nicht er-

kennt und deshalb sich unbekümmert am Rande des Abgrunds bewegt.

Wie im Wiener Volkstbeater die Feen- und Zauberwelt auf der .

-hoheren Ebene waltete, gibt es in DUrrenmatts Werken auch eine hBhere

Ordnung; sie ist, anders aIs die Marchenordnung, nicht durcb den

menschlichen Verstand faBbar, scheint sicb aber auch nicht im ge-

ringaten mit menscblichen Problemen zu'befassen, im Gegensatz zum

Alpenkonig z.B., der sich des Sterblichen annimmt, sondern waltet

eher mechanisch, ein Naturgesetz. das sicb ebensowenig um mensch-'

lichès Wohlergehen zu k~rn 8cheint wie der Menscb um die 1

Gerech- 1 1 1 1

!

..

o

• tJ

."

-26-

tigkeit in einem Ameisenhaufen.

Nicht nur liSt die bürokratische Welt keine Helden mehr zu,

sondern auch die durch die Tec~nik ungeheuer gewordene Welt mit

ihrem kosmischen Hintergrund und dem allmachtigen Zufall verhin-.J r-I

dert herkommlich~s Heldentum. lm sch5pferischen Werk DÛrrenmatts o

erscheint diese Macht immer siegreich, und der Held ist derjenige,

der, vielleicht aus Trotz, sich ihr stellt und somit eine Ordnung

für sich herstellt, 'also weder komisch noch kosmisch und Urmaterie

riur insofern, wie es das Kenschengeschlecht, mit der ihm zuge­

sprochenen Natur, noch nicht gescha~ft hat, sich selbst zu ver-

nichten und den irrsinnigen Kampf gegen die immer siegreichen

Krafte weiterführt, man denke nur an den Konig Nebukadnezar und

seine Absiéht, sich}an Gott zu rachen - die Darstellung der mensch­

lichen Hybris, im Jild vergleichbar mit dem emporsteigenden Atom-1

35 pilz, ein Vergleich, den Dürrenmatt selbst herausgefordert bat.

1.2.4. Bühnenpoesie 1 Sub1imierung

Poesie aIs Requisit und eine daraus resultierende hohere Durch-

sichtigkeit der Dinge bemerkte Dürrenmatt 'am Volkstheater, etwas, W8S

seiner Vorste1lung von Dichtung sehr nahe kommt la ut Banziger aus

der Vorbemerkung zur Kom8die (1943):

, "

• .....

-27-

was ilun ais Ziel vorschwebe: ''Den Raum dichten

zum Wort" hin. So sei es sehon bei den Grieehen ge­

wesen; alles sei bedeutend gewesen, weil es im Raume

bestinunt war. Jetzt aber sei alles anders: ''Wir

sind vom Unraum, vom Unwesentlichen, Bedeutungs­

losen -~ben. Der Staat, die Religion und die

Kunst sind für sich, ohne Beziehung zueinander:

abstrakt, übers~hwemmt von der Technik, dem

Bild des Wesenlos-en. Il Und da bleibe es unsere

J>fliçht, "Raum zu schaffen" durch den Geist:

"daIS im Wort alles wieder eins sei, das Wort

Fleisch werde ••• Denn sonst werden wir uns sel­

ber morden, denn alles wendet sich dann naeh . d .. ,,36 1nnen un zerstort.

Das, was in der Welt aIs chaotische Zusammenwürfelung erscheint,

soll das Wort ordnen, in einen sinnvollen Zusammenhang seçzen,

um die innerliche Zerstorung (die aber aueh aIs auBere Zerstorung

droht) zu vermeiden, und allgemein gesagt ist es auch, was seine

mutigen Men-sehen motiviert, 1DUtig zu sein und was ihn motiviert,

. 37 sich der Welt durch Diehtung zu stellen • .,

. ~ lm Besonderen sieht es dano 50 aus, daO die hohere Durch-

sichtigkeit nur individualistisch mOglich ist, nicht verbindlich

sein kann, und daher lm groBen und ganzen eben wieder'ein sinnlos

zusammengewürfeltes ChaO& ergibt. Aber gerade in dieser indivi-

dualistischen und illuaionKren Ordnung (Theater als Illusion,

Theater aIs Spiel) meint Dürrenmatt die ~dglichkeit einer univer-

,

1

-28-

sellen Ordnung zu sehen, indem er seinen mutigen Menschen einen

objektiven weil unverbindlichen MaBstab unterschiebt, weI cher dann

eine allgemeingijltige Moral darstellt, die; wenn befolgt, zwangs­

laufig aber ohne auBeren Zwang eine Ordnung herstellen muB. 38 Wie

sehr oft bei Dürrenmatt zeigt sich hier ein scheinbarer Wider­

spruch, der aber dialektisch zu verstehen ist als die zwei ex­

tremen Pole seiner Weltanschauung, wo sich apokalyptische V~sionen

mit Lebensfreude untrennbar vereinen.

1.2.5. Unpolitik /Metaphysik

ln vielen Werken Dürrenmatts ist eine Macht spürbar, die über­

menschliçh, metaphysisch ist. lm Volkstheater tritt eine ahn~iche

Macht in der Form von liebenswürdigen, lustige~, zumal auch lacher­

lichen und lasterhaften Geistergestalten auf, eine Macht, die ver­

standlich und darstellbar ist. Die Macht, die in Dürrenmatts Werken

vorkommt, ist unsichtbar; sie wird angedeutet mit einem unermeB-

lichen Himmel, mit einem verhungernden Stadtchen oder über den Um- "

weg der Technik, die sich in der Erforschung der Macht so weit von

der popularen Aufnahmefahigkeit entfernt hat, daB sie im besten Fail

nur zur Unverstandlichkeit des Ganzen beitragt. 39 Sie ist es, die

den Menschen mit totaler Vernichtung (eine Strafe für die Menschen,

die sic~ anmaBen, über ihre Grenzen hinaus zu forschen, zu handeln1)

bedroht. Sie ist keine Macht, die dem Menschen menschliche Gerechtig-

-29-

keit bringt; was dem ~enschen an Gutem von ihr zukommt, nennt

Dürrenmatt die Gnade, die ibm aber ebenso sinnlos und zufallig

erscheint wie das Gegenteil (der schlimme ZufaIl) und ebenso un­

geheuer ist in ihrer Unverstandlichkeit. 40 Kein Wunder, daB die

menschliche Politik, angesichts einer solch~n Gewalt, vollkommen

Iacherlich erscheint, und daB Dürrenmatt ihr Fehlen im Volks-

theater Iobt. Die Feenwelt, di~ an die Stelle der Politik tritt,

Ieistet mehr für ein Verstandnis der Weit aIs eine noch so ein-

gehende Behandiung der politischen Tagesfragen es getan hatte, und

ware die heutige Weit nicht so sehr durch den Fortschritt gefahrdet, "

würde dieser Kunstgriff bestimmt auch noch für Dürrenmatt gelten.

~

Die Unpolitik greift viel tiefer, wo vermutlich die Losung

der WeItprobleme,'c:Zu finden ist. Die Technik ist nicht an sich be-

drohlich, vielmehr sind ihre Resuitate miBbraucht bzw. nicht ver-1

nünttig, human und demütig gebraucht. Genau wie sie miBbraucht·wer-

den ist vieIIeicht dem Stück Die Physiker zu entnebmen, doch geht

es um mehr aIs um die Herrschaft von Menschen über Menschen, um

mehr aIs um Ausbeutung und Krieg. Das Weltliche ist für Dürrenmatt

nicht der letzte Beweggrund, 'aus welchem er sich mutig der Weit

stell~ Es ist und bleibt das Fehlen eines klar ausgedrückten Grun-

des für menschliches Leben und Streben, welthes, versteht ·sich,

unterdènnheutigen Umstandeg bzw. MiSstanden bioS ein Uberleben be-

deutet. Aber schon das Wort ·Uberleben' deutet auf eine Zukunft hi~,

\ \

• \f l'

-30-

CI

1n der sich der Mensch nicht mehr um die Existenz seines Planeten

zu sorgen braucht. Deshalb kann Dürrenmatt sagen:

Der Friede ist nichts aIs eine Seibstverstandlichkeit,

die an sich keine Probleme IBst.-Das ist seine immanen­

te Schwierigkeit. Hier Iauert di~ 'Gefahr, daB man~lvon , . ,

ibm zu viel erwartet. Keine Poli tlk der Wê,lt kann die

entscheidenden Fragen IBsen, die uns bewegen. ( ••. )

Erst hinter den Kuli~en dessen, was von der Politik,

vorn Staat vernUnftigerweise zu fordern ist und was

auch zu leisten ware, namlich Freiheit und soziale

Gerechtigkeit, beginnen die nicht selbstverstandIic~n, .. die ent8cheidenden Fragen, die nicht gemeinsam zu IBsen

sind, die aber jeder einzelne zu IBsen bat. Dorthin

vorzusto8en, durch die ~chichten der Politik, tiefer

noch, durch die Schichten des Alltags hindurch, ist

nicht nur die Aufgabe der heutigen Schriftstellerei 41

sondern auch unsere. Jedoch bleibt die Frage offen, ob man einfach

durch diese auleren Schichten der Po1itik wie des A11tags zu dem

o

eigentlichen ontologischen Kern der Sache durchzudringen vermag, ohne

die Probleme, die sich in der Diskrepanz zeigen zwische~dem, was

sein kBnnte, was nach DUrre~tt auch zu leisten ware, und dem was ~

ist, zuerst zu lasen. SolI die ontologische Fragestellung Prioritat

haben, wenn sie sich im Fall der totaten Vernichtung, die n~ch

DUrrenmatt ja durc~us mëglich ist', erUbrigen wlirde, oder ware es

nicht besser, diese Frage aicher zu stellen, indem man -soweit wie

es der Zufall erlaubt - die totale Vernichtung unmOglich macht. Zu

untersuchen bliebe dann nur, ob wir so viel vorn Zufal1 zu fUrchten

haben, wie Dürrenmatt" es meint •

• 0,

\ -31-

2. NESTROY UND DAS MODERNE THEATER; SPIEL UND SATlRE

Die Komodie~Nestroyswurzelt im Volksstück des sUddeutschen

Raums. Josef Antoni St~itzky bringt ais erster den Hanswurst 1

auf die Wiener Bühne, der sich aIs "illeg~timer Sohn der Conunedia

dell'arte"l in der Welt (und auch gegen die Welt)'''der barocken

Haupt- und Staatsaktionen, das Jesuitentheater und die barocke -.·-___ 1

.. 2 Oper, mit natürlichem Humor und urwüchsige~ Vitalitat behauptet.

, ,

Die Gründung der drei wichtigsten Volkstheater, das Leopold-

stadtertheater (1781), das Theater an der Wien (1786) UQd das ',",

u ~

Josefstadtertheater (1788), bezeugt die wachsende Bedeutung der

Wiener Vorstadtkomik, die aIs kleinblirgerliches und proletatisches

Gegenstück zum Burgtheater der hoheren Schichten zu bezeichnen

ist. Von den vielen Autoren" z.B. Stranitzky, Prehauser, v. Kurz,

~SChikaneder,· Hensler, Gleich'"1\eisl und Bauerle (die letzten drei

haben mit Raimund fUr das LeoPo}dstadtertheater geschrieben), sind

3 heute bauptsachlich nur noch Raimund und Nest~y bekannt.

\J

Eins der wichtigst~n Elemente der Wiener VolkskomOdie war

die direkte Verbindung zwischen Theater und Publikum:

Scbauspieler, Dramatiker und Zuschauer bilden eine

Lebensgemeinschaft, und ws sic,h auf d~r BUhne be­

~ibt, ist eine treue Projektion des Volksgeistes

in die künstlerische Sphare der Komik. 4 , 0

u

Obwohl das sogenannte 'Volk' soziologisch gesehen keine Einheit , .

·cP

o

"

••

·. .)

\,

-32-,,'l, ..... ~~

I~~J 1:S1\/' c

~I bildete, konnten nach Otto Rommel diese b~~tehenden Differen-

zierungen It_ ein Beweis < beneiderY~\7ert gesunder Entwickl,,!ng -,

durch'die projl~ie~ung in d~~~aum der komischen Fiktion lust-

" 5 voU ausgetragen werden." Komik im allgemeinen braucht einen <

(bis zum bestimmten Grade) einheitlichen sozialen Hintergrund

in Hinsicht darauf, was aIs komisch empfunde~ wird. Wolfgang o 0

Kayser sagt über den sozial~n Charakter der Komik:

" die Aufnehmend,en mil~sen' gl~ichgestimmt, einig,

", instinkt~i~h in der ZU1z1ssu?~--desse~ set, was ~ momentan aufgehoben werden d~~, und sie'müssen noch

instinktgleich sein in der A~essung der-Fallhohe. 6

Da~ heiSt also, Art und vor allem, Intensitat der ~ik-hangt vom

sozialen Hinterlgrund der Zuschauer ab, die z.Z. der Wiener Volks-

J komodïe im Theater aIs Einheit reagierten.

o

o

lm folgenden ~ird die Entwicklung der Wiener Volkskomëdie

von Stranitzky bis Nestroy, wie Otto ,Rommel sie darstelIt, kurz ,

referie.J:t; es sind dabei fünf deut1 iche S,tufen zu erkennen: (' \~< '

1~) Stranitzky (1676-1726) und der ~rste Wienerische Hanswurst. 1

mit 'romantisch-komischen Volksmarchen' nach dem Vorbild der '"?"<-..

barocke~ Haupt- und Staats~ktionèn~

• ~~) Gottfried Prehauser (l699-1~~) und J.F. von Kürz (1717-

1784) und das ZauberstUck, 'wob'e-r1 die Neuerung a\ts~~der Gestal-• '0-

tung der metaphysischen Weit besteht •

, t

('

-33-

<,

Die k~mische Figur verliert in der Zauberwelt sozu­

sagen ihre StaRdfestigkeit und wird durch Ubermachtige

Gewalten, Gotte~, Feen, Zauberer von einer Phantasma­

gorie in die andere gehetzt, bis sie, endlich zur Ruhe

gekommen, aufatmend sich in den Willen dieser hoheren

Instanzen fügt. Diese Stücke sind ein Wirbe1 von Ver­

wand1ungen und Verk1eidungen, deren dramentechnische

Funktion darin 1iegt, immer neue Sitùationen zu schaffen,

in denen sich Komik offenbaren kann. 7

3.) Philipp Rafner und das Lokalstück, das aus der Verschme1zung

von dem 'Sittenstück' und der Verwand1ungs- oder yerk1eidungsko-

mBdie (mit oder ohne Zau~) entsteht, widmet sich der komischen v

Spiegelung des Lebens. Zu erwahnen waren fo1gende Stücke:

Philipp Hafner, Die bürger1iche Dame oder Die bezahmte<fl Aus-

scnweifungen eines zUgel10sen Eheweibes (1763);

Neue Bour1esque: Etwas zu 1achen im Fasching oder Bur1ins

und Hanswursts se1tsame Carneva~zufi11e und Der Furchtsame (1764);

Emanuel Schikaneder, Die Fiaker in Wien und Der F1eischhauer in

tldenburg (1794); D~r Tiro1er Wastel (1796); Die bürgerlichen

Brüder oder Die Frau aus Krems (1797);

Ferdinand Kringsteiner, Der Zwirnhand1er aus Ober-tlsterreich (lP01);

Die schwarze Redoute (1804); Ehestandsszenen (1807); Hans in

Wien (1809); Hans in der Reimat (1810).8

Der sittengeschichtliche Wert des LOka1stücks bes~eht aus der Dar-

stel1ung der Auflosung der feudalen Standeordnung und des Aufstiegs

einer "neuen Aristokratie des Ge1des". 9

o

D

(\ -34-(,

\

~-" --.,\

4.) Adolf Bauerle (1786-1859), der Schapfer des 'Staberl' (Die

Bürger in Wien, 1813), und das parodistische Zauberspiel, womit

der Zeit des Zauberstücks durch die Vermenschlichung bzw. Ver-

wienerung der Zauberwelt ein Ende bereitet wird. Diese "echte

Ka d · d . ,,10 1 . d ma le der KongreB- un Nachkongre8ze1t ver agerte Je och

den Akzent auf das Spiel, wo natürlich die Gefahr des unkritischen

und letzten Endes systembejah~den und -stabilisierenden Spiels o

lauerte:

Diese Entwicklung kann von zwei verschiedenen Seiten

betrachtet werden: artistisch gesehen, ist es ~in . .. t..

Splel, Wle es ln sol cher Vollkommenhelt und unter der

lachenden Zustimmung einer ganzen Epoche noch nie ge­

spielt wurde, sitteng~schichtlich dagegen kann man

es aIs den Versuch, die Problematik der Zeit, die ge-, "

meistert werden wolÎ'te, einfach wegzulachen, recht be-

denklich finden, und Nestroy war der Mann dazu, es be­

denklich zu finden. 11

S.) Ferdinand Raimund und die Wiederaufnahme des Zauberstücks, die

aber gleichzeitig die Zerstarung der Altwiener VolkskomOdie mit

sich bringt: Raimund hat Dichtung auf die Wiener Bühne (d.h.

ideale AnsprUche auf die 'Schaubühne ohne ideale Ansprüche') ge-

bracbt und hat; somit û>hr Ende herbeigefübrt, ''wie die Frucht die

Blüte zerstart.,,12

~ 1

Auf diesen Schauplatz tritt nun Nestroy mit seiner neuen Komik,

die aus verscharfter Satire und grotesker Gestaltung besteht. Die "

-35-

o

neuere Forschung erblickt in Nestroy einen Vorlaufer des mo-

dernen Theaters. Karl Kraus erkannte in ibm etwas Tieferes aIs

den lokalen Possendichter der gangigen Literaturgeschichten und

machte auf seine zukunftsgerichtete Satire aufmerksam. Es waren ~ ,

nicht nur seine Zeitgenossen~ die Nestroy angriff, sondern auch

die Entwicklung, die' er vorausahnte, die eher heute aIs damaIs ...

klar zu erkennen ist. Den Leuten, die den Possendichter Nestroy

nicht aIs Künstler gelten lassen wollen, wird folgendes gesagt:

Wenn Kunst nicht das ist, was sie glauben und er­

lauben, sondern die Wegweite ist zwischen einem

Geschauten und einem Erdachten, von einem Rinnsal

zur MilchstraBe die kürzeste Verbindung, so bat

es nie unter deutschem Himmel einen Laufer ge­

geben wie Nestroy. Versteht sich, nie unter de­

nen, die mit lachendem Gesicht zu melden batten,

daB es im Leben haBlich eingerichtet sei. Wir

werden seiner Botschaft den Glauben nicht des-13 halb versagen, weil sie ein Couplet war.

, Laut Kraus ist Nestroys Satire vor allem fUr die Nachwelt wesent-

J ,

lich, denn zu seinem 50. Todestag (1912) waren die Tendenzen, die

er d~~ls satirisierte, sichtbarer, ausgepragter und Nestroyschen

Tadels bedUrftiger aIs zu seiner Zeit.

FUnf Jahrzehnte spiter kommt Kautner zu ihnlichem Ergebnis:

Eine verstandigere Kritik und bessere Aufführungen,

und vor allem. eine Umformung des europiischen Dra­

mas in der aichtung auf Nestroy hin, von Wedekind

D

.,P' •

l

-3'-

Uber Brecht zu DUrrenmatt, haben ibn in den letzten

20 oder 30 Jahren unvermutet zeitgemaBer, 'moderner'

erscheinen 1assen aIs zu irgendeiner Zeit im 20.

Jahrhundert. 14

Unser besseres Verstandnis für die Komëdie und die Tragikomëdie

" (vgl. dazu Dürrenmatt: die KOmOdie aIs die geeignetste Ausdrucks-

form unserer Zeit), unsere erweiterte Sicht, laBt uns manches bis-

her 'tlbersehene' aufgreifen, w~s uns dann dazu bewegt, Nestroy

hoher auf der Iiterarischen Leiter einzustufen, al~ es seine Zeit­

genossen getan hatten. 15 Wie Kraus ein balbes Jahrhundert vorher

weist Kautner auf Nestroys Satire hin, die aIs ~esentlic~es Ge-

staitungselement im modernen Drama weiterlebt, ohue den Gegen-

stand dieser Satire naher zu eriautern'.

Das skeptische Weltbild, die intellektue11-ironisch-objektive

Haltung der Welt gegenübe~, Abneigung gegen Pathos und ~entimentalitat

-'und das Gestattungsprinzip der Verfremdung sind nach Mautner die

Wesenszüge des modernen Dramas, die sehon bei Nestroy zu finden

. d16 S 1.n :

Mit volkstümlicher Burleske mischt sich Satire,

doch der Satiriker schlieBt sich von der Spezies

Mensch, die er satirisiert, nlcht aus, der In-1

tellekt steht der Posse nicht im Weg und die

Posse nicht dem Intellekt;17

Wie bei DUrrenmatt wird der menschliche Blickwinkel nicht ver-

~lassen, und es werden nicht nur die menschlichen Schwichen und

-37-

Unzulanglichkeiten beschrieben:

Die Gründe zum Abfall des Menschen und zu seiner

inneren Inkongruenz liegen nicht nur in ibm selbst.

Der Abfall ereignet sich gegen den Hintergrund der

Inkongruenz der Welt, der Widersinnigkeit des Schick­

saIs. S~ erzeugt Lug und Trug im Meoschen, Kummer

und Torhei t, und treibt i.)m hinein ios Lacherliche'.18

Die Satire, die Kritik, stellte für Nestroy ein ahnliches Problem

~r wie für Dürrenmatt, das gerade durch die Posse (man denke an

Dürrenmatts Lac'hen) überwunden wurde. 19 AIs 'Gestaltungsmittel der

Satire, der Illusionsbrechung der Sprache, weist Mautner bei ~

Nestroy das Element des Grotesken auf.

Was io Mautners Darstellung nur vage umrissen wird, das Auf-

zeigen der Illusion, des 'Lugs undtTrugs' der Sprache, ist Gegen-- \

stand einer eingehenden Untersuchung von Siegfried Brill. Seine

Arbeit unterscheidet z.B. zehn Arten der Sprachkomik, welche der

Entlarvung der Sprache dienen, womit die erstarrten Sprachschablonen

wieder ins Leben gerufen werden. Ferner spricht er klar aus, was

Kraus und Mautner nur angedeutet haben - die Satire, welche Nestroy

einen Platz in der Entwicklung,'die im Theater des Absurden gipfelt, p .)

eingesteht, ist die Vorahnung eines Hindernisses, das 'den Weg zur

künstlerischen Produktion blockiert, die Entfremdung in der ver-

s,teckten Form der Verdinglichung. Hierdurch erkU.rt Britl den ie­

sentlichen Unterschied Un künstlerischen Schaffen der beiden GroBen,

(

• (~

-38-

die so oft in feindliche Lager eingeteilt werden. Raimund fand

es noch moglich, die Inkongruenz zwischen Schein und Sein durch

den groBeren Rahmen einer symbolischen Ordnung, der MHrchenwelt

seiner Werke, aus~ugieichen. Nestroy jedoch ahnte die Weiterent-

wicklung und beschrieb '~eIches Verhangnis dem Geist und dem -~~

menschlichen Subjek~ drohte.,,20 Brili nennt das Verhangnis, das

Schicksal, beim richtigen Namen und bannt es somit aus dem Be-

reich des Metaphysischen. Der pragmatische Aspekt der Sprache,

die Mitteilungsfunktion, wird von Nes~roy aIs ungenügend verur-,

teilt, im Gegensatz zu anderen Dichtern, besonders zu den Roman-

tikern (Brill führt aIs Beispiel die wuchernde Sprache in"Bren-

tanos Ponce de Leon an), die sich im netzartigen, assoziativen

Sprachstil und Sprachspiel ergotzen. Es bIeibt das Problem der

Verdinglichung, die Nestroy feinsinnig ahnte aber nicht ganz

fassen konnte, der Ietzte Gegenstand der Satire.

wie Brili sieht Rio Preisner auch die Ahnung de~ 'neuen

Menschen' in Nestroys Satire; er bettet das PhHnomen der Ver-

dinglichung in den historischen Kontext und kommt auf die MOderne

zu sprechen:

Das ratselhafte Antlitz dieses neuen Menschen ver­

foigte den Dramatiker wie auch den Schauspieler

NestroYi ( ••• ) Mit tiefem künstierischen Instinkt

erabnte er zuletzt, daS der homo novus in Wirk­

lichkeit ein Mensch ist, der das Meuschsein unter

dem Deckmantèl abstrakter, philosophischer, poli-

-39-

(J

tischer Idole verrat, hinter denen jedoch der Ab­

grund hollischer Leidenschaften und Triebe klafft -~' '\

dies alles begleitet-von einer unmenschlichen Gleich-

gUltigkeit dem Nlchsten, sich selbst, den Dingen

gegenUber. Die Vorausse~zungen dieses possenhaften

Totentanzes von Heuchelei und Begierde (den Nes-

troy in vielem noch in Gestalt der barocken

Allegorien sah) wurden nicht nur durch die Herr­

schaft von Terror und Guillotine, die Blutbader ,

der napoleonischen Sehlachten, nicht nur durch

die christlieh vermummte Restauration mit ihren

vergebliehen Wiederbe1ebungsversuchen des zer­

fallenden feudalen Kosmos und des miBverstandenen

Mittelalters geschaffen, sondern durch etwas Uber

und unter aIl dem, durch etwas Unfa8bares, dabei

ungeheuer Virulentes, das einer unendlichen Massen­

vermehrung flhig war und unsinnige Leiden zu er-/.

tragen und hervorzurufen vermoehte, dureh etwas,

das Hand in Rand mit der Ent~ltung von Industrie,

Technik und Massenzivi1isation einherging. DUrren­

matt, einer der letzten,(;SchUler Nestroys, bezeieh­

nete jene Erfahrung der farblosen Hybris mit den

Begriffen Unraum, Bedeutungs1oses, Unwesentliches. 21

/

Hier ist auch noeh ein weiterer Zusammenhang zu erwlhnen (vgl. dazu

Abschnitt 1~2.2.) ~ die Ahnung des VerhSngnisses; Nestroy sieht den

zu seiner Zeit sehon siehtbar erstarrten Mensehen in der erstarrten

Sprache, DUrrenmatt beschreibt nicht was einem gefl1lt, sondern was

einen bedroht,22 beide hegen nicht die Absicht, unmittelbar zu In-

dern, sondern aufmerksam zu machen, zu warnen • 1

'.

-40-

Bis zu diesem Punkt wurde Nestroys richtiges Erkennen einer

künftigen Entwicklung der Menschheit betont und hervorgehoben aIs

das Element, das ihn in eine zur Moderne fUhrende Richtung ein-

ordnet. Wie Mautner es formuliert:

Es sei ein Vergleich erlaubt: Das,osterreichische

Volksstück,ist im 19. Jahrhundert gewissermaBen

auf eine Drehscheibe gelangt. Ein Zug bat die alte

Richtung beibehalten, bat zu Anzengruber und Schon­

herr geführt'und ist so auf einem toten Geleise

stehengeblieben. Der andere Zug - Nestroys Stücke -

ist auf der Drehscheibe in eine neue Richtung ge­

lenkt worden und aIs der Zug der Zeit an den ge­

nannten Stationen vorbei - von Wedekind zu Dürren-23 matt - munter in die Gegenwart gedampft.

Siegfried Diehl bat Zauberei und Satire im Frühwerk Nestroys

untersucht und kam zu folgenden Kategorien: die Aufhebung der

Illusion (Par~die des Illusionstheaters) und Satire (Kritik der

Gesellschaft) aIs Grundelemente des Nestroyschen Theaters. Hier wird ,~ --,

klar erlautert, was Karl Kraus folgenderma8en darstellte: "Er nahm

die Schablone, die aIs Schablone geboren war, um seinen Inhalt zu

verstecken, der nicht Schablone werden konnte.,,24 Die Aufhebung

der Illusion, die zum Teil auch Aufhebung der Theaterillusion ist,

geschi~ht erstens durch Lacherlichmachen der überlieferten Zauber-

welt (Sprengung der 10rm-Schablone) und dann, unabhingig vom Zauber,

durch Aufdeckung und Entlarvung der Sprachschablone. Gesellschafts-

kritik, die sich über das Menschengeschlecht emporhebt (lHautner), 1

liefert den groBeren Rabmen, der auch unsere Zeit miteinschlie8t,

-.

..

-41-

gerade weil nicht konkrete und daher zeitgebundene, veralternde

MiBstande behandelt werden, sondern die Einstellung des Menschen,

die es ermBglicht bat und es stillschweigend hipnimmt, daO die

Welt so ist,' wie sie ist. Diesem. Prinzip im Kleineren folgend,

parodiert Nestroy z.B. nicht nur die Marchenwelt, sondern den

"pseudoro1ll8ntischen Kinderglauben, der dies en Apparat erst er­

mëglicht hatte.,,2S

Die Aufhebung der Illusion einer sinnvollen Weltordnung,

sowie die der Illusion der Sprache. die aIs ungenügendes Kp~uni-

kationsmittel erscheint, rückt Nestroy in die Nahe einer spezifi~ch ti

modernen Theaterform, das Theater des Absurden, das einen Fatalis­

mus nicht ganz ad absurdum führt. 26

Die oben genannten Kategorien heiOen in Jürgen Reins Arbeit

'Satirische KomBdie' und 'SpielkomBdie' - es sin~ Konstruktions-

elemente der Weltanschauung, die zur Gestaltung der Nestroyschen

Posse führen. Die' Kategorien decken sich nicht genau mit ~enen, die ()

in den bisher referierten Arbeiten' hervorgehoben wurden, da d'as

satirische Element in H~ins Begriffsabgrenzung, sowohl in der Kritik

der Gesellschaft aIs auch in der Aufhebung der Illusion, aIs Be-

nutzung der Schablone.erscheint und das spielerische Element genau-

50 in beiden Kategorien seinen Platz findet. Die wesentliche Uber-. einstimmung ist jedbch wichtiger al~ der Unterscbied und macht be­

griffliche Spitzfindigkeit Uberflüssig.

• • •

\

• u

-42-

Sa heiBt es bei Hein: ,

In der satirischen KomOdie ist aie Satire die

strukturbildende und -tragende Kraft; das Splel

ist die Weise, in der die Satire das Komodien­

geschehen entfaltet. In der SpielkomOdie ist das

Spiel die strukturbildende und -tragende Kraft;

hier bat die Satire die Aufgabe, der eigengesetz-,

lich in sich sc~wingenden Welt des Spiels einen

satirischen Akzent zu verleihen. ( ••• ) Spiel ist

ahnlich wie die Satire nichts unmittelbar Gattungs­

haftes, sondern eine Perspektive, unter der die

Welt gesehen und gestaltet werden kann. Spiel und

Satire 'sind gleichermaBen exemplarisch und sym­

bôlisch, im Einzelnen meinen sie zugleich das Gan-

d " 1 27 ze, 1e We t.

Die Unterscheidung zwischen 'seinlassendem' Spiel und 'aufheben-

der, nichtseinlassender' Satire wird wichtig, wenn man diese '.

Kategorien auf Lebensbejahung und ihr Gegenteil übertragt, man

denke an Dürrenmatt und seine Antwort auf die Welt.

Diehls Satirebegriff innerhalb der Passe scheint sich mehr

auf die ''Darstellung der UnverbesserlÏchkeit vpn Menschen und Welt,,28

zu beschranken, wobei zu fragen ware (besonders weil in Nestroys

Werk die Unverbesserlichkeit des Menschen in bestimmten Umstlnden

aufgezeigt wird), ob es nicht die Unverbesserlichkeit des Menschen

gerade aufgrund dieser Umstlnde ist, die Nestroy beschreibt. Die ...

Unverbesserlichkeit ist eng ~tt der von Preis~er historisch dar-

,

J

-43-

geste11ten Entfremdung verbunden, a1so ware sie auch in Nestroys

Werk historisch zu erk1aren und nicht nur in Nestroys beschrankter

historischer Auffassung wiederzugeben.

Zusrumnenfassend ist zu sagen, daS die oben aufgeführten Dar-

ste1lungen mit geringen Unterschieden zum gleichen Ergebnis kommen.

Nestroy gilt aIs Vorlaufer der modernen Dramatik; er teilt mit

ihr eine pessimistische Weltanschauung, die auf der Unverbesser-

lichkeit bzw. Unveranderbarkeit des Menschen beruht und gibt dieser

Weltanschauung künstlerische Form durch die Gestaltungselemente

Spiel und Satire, Lebensbejahung und Kritik.

Zum AbschluB dieses Kapitels mochte ich in kurzen Zügen ein

Stück Nestroys, Der bose Geist Lumpazivagabundus oder Das lieder­

liche Kleeblatt, Zaub~rposse mit Gesang in drei Akten, auf die oben-

genannten Aspekte hin untersuchen. Dieses Stück ist haufig aIs

Nestroys popularstes und erfolgreichstes bezeichnet worden - Otto

Basil berichtet, daS es bis Rode 1836 hundertsiebenma1 gespielt wur­

de29 -, und insofern stellte es auch die Grundlage seines kUnftigen

Schaffens dar:

Erst durch den Erfolg des LUMPAZIVAGABUNDtJS batte der

Dramatiker die innere und auBere Freiheit gewonnen, sicb " . von der Konvention, von der Verbindlichk~it, von der

Scbablone ganz zu IBsen. 30

Der Lumpazivagabundus wurde am Il. April 1833 mit Nestroy in der

J

'.

c

-44-

Rolle des Knieriem, Wenzel Scholz aIs Zwirn und Carl Carl (der

Direktor CaJ%~ Andreas Bernbaum) aIs Le,im zum ersten Mal aufge­\...-

führt. 31

Der Untertitel, der das Burleske mit der überlieferten Zau-

berwelt verbindet', weist auf die Art des Stückes ,hin, wie auch der

Na~ des bosen Geistes (man denkt an crump und Vagabund) sehon

einiges ù1ber den Inhalt aussag~. Eine Wette zwischen den Feen

Amorosa und Fortuna, die durch den liederlichen Lebenswandel der

jüngeren Zauberer~nerationen hervorgerufen wir~ bildet im Wol­

kenpalast des F~konigs Stellaris den Ausgangspun~ der Handlung.

Die Sohne yertrinken und verspielên 9nter dem verderbliehen Ein-

fluB des bosen Geistes Lumpazivagabundus ihr Erbe und zeigen sieh

allen zum Trotze unverbesserlieh, obwohl sie mit ihrer Besserung

ihr verlorenes Gut von Fortuna wiederbekamen. Nur Hilaris, Sohn

des alten Zauberers Kystifax, würde sich bessern, wenn 'er Brill~n-

tine, die Tochter der Fortuna (die Hutter ist durchaus gegen diese

/ -Verbindung) heiraten dUrfte, was also andeuten würde, daB die Fee

Amorosa maehtiger ware aIs die Fee Fortuna. Nun muS eine derartige

Andeutung bewiesen werden. Desbalb wird ,die Handlung auf die Erde

verlegt, wo Fortuna versuchen solI, mindestens zwei von dré~ lu-

stigen Gesellen durch ihre çunst vom liederlichen Lebenswandel auf "

den tugendreichen Pfad zu locken. Sollte es ihr gelingen, daun

waren Hilaris und B~illantine auf ewig getrennt •

\

-45-o ,)

Die drei lustigen Gesellen, ~eim, ein tragisch verliebter

Tischler, Zwirn, ein Don Juan von einem Schneider, und Knieriem,

ein fatacl!Ïstischer Schuster, der zuviel trinkt, gewinnen im )..otto

mit der Hilfe der Fee Fortuna, aie ihnen die gewinnende Nummer ~

Traum gezeigt bat. Qa aIle drei etwas anderes mit ihrem Geld vor-

baben, trennen sie sich mit dem ~rsprechen, sich am Jahrestag

ihres groBen Treffers in Wien beim Tischlermeister Hobelmann zu­\~

sammenzufinden und im Unglück einander auszuhelfen.

(;

Wie es dem Leim und dem Zwirn ergeht,' zeigt der zweite Akt.

Der erste Schauplat; ist Wien, wo beim Hobelmann gerad~è1n\Hoch-\

zeitsfest gefeiert wird - der Wirt vom 'Goldenen Nockerf'''A~'t\die < \

(,

Hobelmannsche geheira tet, zwar nicht Leims geliebte. P~ppi" wie \, . --'.' \~ \

... t '10\ \

er es meint, sondern ihre Kusine.'f was Anla& genlig zur komi'schen t

Verwicklung gibt. Alles geht a~r gut aus, und Leim bekommt, seine

Peppi aIs Brautj nachdem der Schwiegervater vom neuen Reichtum ")

32 Leims erfihrt, heiBt es sogar: "Jet~t muB Er' s Madel nehmenl"

~wirn bat sich in die hëhere Gesellschaft Prags Eingang ver-,

schafft, wo er als Herr von Zwirn sein Schneidergeschaft nur auBerst

widerwillig betreibt: '~ie Leut glauben grad, ein Schneider ist nur'~

wegen ihnen auf der Welt.,,33 Hauptberuflich ist er ein kleiner Don

Juan, der sich von allen Parasiten der hoheren Gesellscbaft aus jp

nelunen liSt •

u

o

'J

• u

-46-

~ 4

Der Jahrestag, an dem sich Zwirn und Knieriem total ver-

lottert und heruntergekommen in Wien einfinden, wird i~ dritten

Akt beschr.ieben; dann erfahren wir auch Knieriems Schicksal, das I~

,) im zweiten Akt seltsamerweise nicht erwahnt wurde. Kni~riem ist

von Weinkeller zu ~einkeller gewandert, bat im Rausch immer

Streite angefangen und ist jedesmal ausgeraubt worden, bis er

zuletzt zwei Monate im Gefangnis verbracht hat. Zwirn beschreibt

ihre finanzieUe Lage folgendermaBen: "Kamerad, mir scheint,wir

34 sein aUe zwei mit unseim Kapitalien in Ordnung." ~".

Leim mOchte die Gesinnung seiner beiden Freunde prUfen, laSt

sich also von seinem Schwiegervater aIs heruntergekommen und z.Z.

krank in einem Spital li~gend ausgeben und informiert sie über

seine traurige Lage in einem Brief. Da die ungelernten Gesellen

nicht lesen konnen, wird das Vorlesen vom Meister Hobelmann zum

AnlaS komischer Verwirrung. Leim, von ihrer guten Gesinnung Uber-

~~tet die beiden, bei ibm zu bleiben und ein anstindiges

Leben zu führen, wofür er sie belohnen würde. Aber Zwirn wie Auch

Knieriem halten es in diesem auf gesunder Arbeit gegrUndeten bUr-

gerlichen Haushalt nicht aus und verzichten lieber auf das ihnen

angebotene gesicherte Dasein. Wir finden sie im Wirtshaus wieder, • 1/.

wo sie, von dem verkleideten Stellaris beob~chtet, sich einen lu-

stigen Abend machen. S~ellaris ist aber ibre Lie~eitoemp6rt und laSt sie von Furien in den Abgrund schleifen. Hier schaltet die

o

>, i:'" .....

\:;

-47-

Handlung wieder zum Feenreich zurück, wo sich Fortuna aIs besi~t

bekennen mus. Hilaris, wie auch die anderen Jungen des Feenreiches,

• sind durch ~morosa und die wahre Liebe wieder anstandig geworden;

Amorosa verlangt aIs 1ohn, die beiden recht streng bestraften lu-

stigen Gesellen auch bessern zu dürfen. Das Schlu8bild zeigt aIle

drei Gesellen glücklich im Sch08e ihrer Familien, und der Chor be-(,-;'\

singt;., den Segehl:.ré1hes ordent lichen, "arbei tsreichen Lebens. ~

Es 5011 jetzt auf einige Elemente des komischen Spiels auf­..: (

merksam gemacht werden, die dann

~Dürrenmatts ma8geblich sind.

für die Untersuchung der Werke "

AIs ers tes zu erwahnen ware der base Geist Lumpazivagabundus,

der sowohl i. Feenreich wie auch auf der Erde seinen~Chaden an­

richtet, wobei es klar wird, da8 es im Feenreich genauso übel wie

auf Erden zugeht: a150 eine deutliche Entmythologisierung der

Za uberwe 1 t •

Die Gestaltung der HauptcHaraktere beruht auf komiscben Cha-

raktereigenschaften - Leim, der tragisch verliebte Tischler, der

sein Bett in einiger Entfernung, von den anderen Gesellen gemacbt

baben machte, da er wegen seines Kummers im Schlaf furchtbar um

sich schlagt, Zwirn mit seinen zahlreichen Lieb~sabenteuern und . ~

.,

Knieriem, dessen Ansicht nach es sich nicht lohnt, etwas AnstKndiges

p

-48-

zu unternehmen, da aufs Jahr der neue Komet kommt und die Welt

zugrunde richtet. AIs Dreierkonstellation treten die Gesellen

auf und aIs einander gleiehgemachte Dreierkonstellation be-

enden sie das Stüek.

Der Wirt Pantseh ist fest davon überzeugt, daB er in der

Hauptziehung nunderttausend Taler gewinhen wird, da seiner Frau

die Nummer getraumt bat, jedoeh ist ibm dieser groBe Erfolg nieht

zu Kopf gestiegen:

PANTSCH: ( ••• ) Oh, mieh maeht's Glüek nieht stolz. ( .•• )

LE~ Das ist ein reeht ein rarer Mann, der Wirt, er ist gar • nieht stolz auf'den Treffer, der noeh gar nieht gezogen

. 35 lst.

-AIs die drei Gesellen das Los, dessen Nummer ihnen im Traum er-

sehienen ist, kaufen wellen, versehwindet plotzliqh der Taler,den.

der Sehuster Knieriem beigesteuert bat. Leim findet aber die LOsung

des Problems:

LEIM beiseite, zu Knieriem: Sei still, ieh hab sehon ein

-Mittel, den Tater zu entdeeken. Laut zu den Anwesenden:

Meine lieben Leut, es ist ein Taler wegko~en, halten

Sie daher aIle, wie Sie hier im Zimmer sind, die Rand

in die Hoh.

Alle tun, wie Leim es verlangt.

LEIM: Habe~alle die Hand in der Roh?

ALlE: Jal

LEIM: Der aueh, der den Taler g'nommen bat?

2WIRN: Ja! Bemerkt in diesem Augenblick, d~8 er sich verschnappt

bat, und schlagt sichÜmit der Band auf die Stirn: 0 je!36 i

,1

" ;~!

(

:-49-

Diese Stelle wie Auch die Episode mkt dem Brief, den der Meister

Hobelmann Zwirn und Knieriem vorzulesen versucht, scheinen um

ihrer selbst Willen dazustèhen, ohne etwas zur Vertiefung'der

Charaktere oder zum Ablauf der Handlu~ beizutragen. Hier einige

Beispiele aus der Briefepisode:

HOBELMANN: No ja, ich les ja recht gern, ich fUhl mich Auch

geehrt. Liest: ''Wie gern war ich heute bei euch _"

ZWIRN: Das werden Sie gar nie erleben, daB ich in Ihrer

Gegenwars lesen'werd.

HOBELHANN: Wann Er's 50 fortmacht, 50 wird Auch Er nicht

er1eben, daB ich in Seiner Gegenwart 1esen werd. 37

und weiter: c'

HOBELMANN 1iest: "Ich habe vor vier Monat;en, wie ich von Wien

fort bin, Herrn Hobelmann hundert Taler zurück' 1assen _fi

ZWIRN: Wer?

HOBELHANN: No, der Leim.

KNIERIEM: Der LeÏJn.,

ZWIRN: Aba, der Leim.

HOBELMAmf liest: Il - Herrn Hobelmann hundert Taler zurUck'

1assen _fi

ZWIRN: Also zweihundert Taler~

HOBELHANN: Nein, nur einhundert Taler.

ZWIRN: Verzeihen Sie, Sie haben vorhin gelesen: "Ich habe

Herrn Hobe1mann hundert Taler zuruck' lassen", - dann

haben Sie wieder g'lesen: "Ich habe Herrn Hobelmann (,

hundert Taler zurück'lassen", - sein a180. zweihundert.

HOBELHANN: Wie ich das erste Hundert geles~ hab, bat Er

mich unterbrochen, ~n hab ich's repetie~t, u~ so ist

das zweite HQndert herausgekômmen. \

ZWIRN: »as miissen Sie sich abgewiShnen •

-50-

HOBELMANN: So mua Er mich nicht immer unterbrechen! Liest:

Il - Herrn Hobelmann hundert Taler zurückgelassen _II

ZWIRN: Jetzt sein' s drei.

HOBELMANN base: Es gilt nur einhundert Taler, ich halte mich

an das, was in dem Brief steht!

KNIERIEM: Nein, nein, es gi1t nur hundert Taler.

ZWIRN: So müssen Sie a1so nicht mehr herauslesen, aIs drin

steht, Sie stürzen sich sonst in eine Schuldenlast. 38

Ahnlich fungiert auch das ver10rene Mopperl der Camilla und die von .

Zwirn auf !wallisch' verfaBte Annonce. Andererseits tragt aber die \ _... .

"

Verwirrung ~eims Ipurch. die Ankündigung der Hochzeit Strudls mit der ,1

Hobelmannschen zut Handlung bei, indem das MiSverstandnis den Leim {

aus dem Hobelmannschen Haus und auf Wanderschaft treibt.

Sprachlich fallen die bezeichnenden Namen auf (Hobelmann, Leim,

Knieriem, Zwirn, Windwachel, Lüftig, Pantsch, Fassl), die teilweise

zu Wortspielen führen; so sagt z.B. Leim, aIs von Strudl ,die Rede

ist: n( ••• )'ber Strud1liegt mir im Hagen wie ein Knadel.,,39 An

anderer Stelle verzweifelt er über seine Zukunft: "Oh, jetzt geht

der Leim aus 'm Leim, für mich plant sich nichts mehr - Meine Peppi! 1140

Daa die dummen Leute immer GlUck haben, wird sprichworthaft

aber auf umgekehrte Weise ausgedrückt, aIs vom Fass1, der gerade

tausend Taier gewonnen bat, die Rede ist:

J

,

" LEIM: Dem sahet man' s auch nicht an, da8 er tausend Taler ge ....

wonnen bat. 41 KNIERIEM: Warum? Er schaut dumm genug aus •

\ .,

-51-

Der Herr'von Zwirn laBt sein Portrat malen, ist aber ein wenig \

unzufrieden, daB es 50 lange dauert und gebrauch~'eine Redewendung,

die der schlagfertige Maler sofort aufnimmt:'

ZWIRN: Na, ein ViertelstUndchen hab ich grade noch Zeit.

Setzt sich. Aber sie dalken lang herum mit mein' Portrat.

MALER: Heut wird der Dalk fertig.

ZWIRN: Was? - Wie meinen Sie das?

HALER: Ich meine mêine eigne Wenigkeit

fertig ~it Hochdero Portrat. 42 ich werde heute

Auch an Wortspielen fehlt es beim'Portratieren nicht:

HALER: Ihre Nase ist schwer zu treffen.

ZWIRN: Meine Nasen? Gar nicht. Schaun S', mir hat voriges

Jahr im Bierhaus einer ein Halbeglas ins G'sicht

g'haut, der hat meine Nasen sehr gut getroffen, sag ich 43 Ihnen. ,

Jedoch bei aller Komik ist etwas.anderes spürbar, eine mitunter

recht kühle Luft, man denke z.B. an den Ausdruck, den Leim fUr

sein Unglück ~indet: v

_~~ LEIM: Das ist alles mein Herzenskummer. Ihr werdet mir's

nicht glauben - ich seh, einem lustigen Kerl g1eich, aber

das ist alles nur auswendig, inwendi~ schaut's famos

~us bei mir. Wie ich trink, glaub ich, ein jeder

Tropfen ist Gift - wie ich iB, so iBt der Tod mit mir -

wenn ich spring und tanz, so ist mir inwendig, aIs

wenn ich mit meiner Leich ging' - wie ich ein' Kameraden

seh, der nix bat, so gib ich ibm gleich alles, obwohl

ich selber nix hab, und das bloB, weil ich in Gedanken

alleweil ~ein Testament mach. 44

ist es mit Knieriems Schicksalsglaube, der sich sowohl in

• ..

seinen berauschten Untaten, die fUr ihn unverschuldete UnglUcks-

falle sind, wie auch in dem Weituntergangsgedanken sichtbar macht.

Das Kometenlied vollqringt den Sprung von individueller Exzentri-->~

zitat zur al1gemeine~ Gesellsehaftskritik: "Herunt' sehon' sieht

45 man' s klar, die Welt g~ht z' grund'."

Mehr aIs Ieicht befremdend wirkt die Art und Weise, mit der

Leim seine zukünftige Braut einpackt:

LEIM: Das Geld g'hort mein - die Peppi g'hort auch mein,

jetzt nimm

Er hebt Pe

ganze Bagage zusamn und zieh aus.

die Kiste auf die Geldsacke

tragen sie geht nebenher, aIle andern

Das SchluBbild bereitet ndch das groBte Unbehagen, indem es alles}

andere aIs überzeugend wirkt. Knieriem und Zwirn, dureh die Fee

AIoorosa gebessett, beenden ihre Arbeit und freuen sich auf die Lust-',' t Il,

1'1'-1.1

barkeiten des wohlverdienten Feierabends, wahrend der Chor das ar-

beitsfrohe bürgerliche Leben lobt:

Jeder hat nun seine Arbeit getan,

J~t.zt bricht ein, frohlicher Fei' rabend an.

Rauslich und arbeitsam - 50 nur allein

Kann man des Lebens sich dauernU!rfreun!47

-53-

3. UNTERSUCHUNG DER WERIΠDURRENMATTS

3.1. Sti1istische Ahnlichkeiten zum Volkstheater

AuBer den Bemerkungen in seinen theoretisêhen Schriften er-

wahnt Dürrenmatt den Namen Nestroy in seiner Anmerkung zum Besuch

der a1ten Dame. Hier heiBt es aIs eine Art Regieanweisung: '~n •

inszeniere mich auf die Richtung von Volksstücken hin, behandle

mich aIs eine Art bewuBten Nestroy, und man wird am weitesten kom-"

men. Man bleibe bei meinen Einfallen und lasse den Tiefsinn fahren

" " 1 . .. • Er ~~lber, wieoauch der groBt~ Teil seiner lnterpreten und

Kritiker, der solche AuBerungen nur zur Kenntnis nimmt und sie ein-

fach wiederholt, g~t keine nahere Bestimmung seiner Auffassung

vom Wiener Volksstück und zeigt auch nicht, was man unter 'Art be-

wu8ten Nestroy' zu verstehen bat. Vielleicht ist das auch, wie er

an anderer Stelle dieser Anmerkung schreibt, eine "dialektische

Ubung für Kritiker". 2 Es ist in der Tat eine dialektische Ubung,

den Widerspruch zwischen dem bewu8ten Nestroy und dem Tiefsinn,~den

man fahren lassen solI; zu versohnen.

Banziger z.B. wiederholt ledig1ich den lnbalt der Dürrenmatt-o

Bchen Anmerkung, Claire bewege sich auBerbalb der mensch1ichen Ordnung,

wenn er rhetorisch fragt: "Stammt Claire nicht beinahe aus dem Hlir-

chènreich? Bewegt sie s,ich, gefangen im lrdischen, nicht trotzdem

au8erhalb der menschlichen Ordnung. ein Revenant fUr GUl1en?,,3

-

i"

-54-l'

Eine Wendung zum Volksstück hin sieht er ebenfalls in dem Stück

Ein Engel kommt nach Babylon, aber in der DUrrenmattschen Ent-. .

wicklung, wie Bânziger sie aufzeigt, bedeutet es einen "Ausweg

4 aus der Sackgasse Brecht". Den Ausgangspunkt der Handlung auf

einer übermenschlichen Ebene (der Schopfer schickt einen Engel 1)

mit Kurrubi, der Gnade, zur Erde, um sie dort de~ ârmsten Erd-

bewohner zu sch.enken) bringt Bânziger in die Nâhe des.Lumpazi-... " ('. ...

vagabundus von Nestroy: "Die Wette im Feenreich wurde mit den

5 liederlichen Menschen in Verbindung gebracht." Das VolksstUck ~

bleibt nach Baoziger dennoch nur ein Ausweg, der nicht in allen

Fallen brauchbar ist.tln der Besprechung des Stückes Frank V, , .

Oper einer Privatbank wird der Zauberpossenstil kritisi~rt: . ; \

Und der Zauberpossenstil eines Nestroy lâBt slch nicht

fUr den LiquidatiœnsprozeB eines modernen Bankunterneh­

mens wieder aufnehmen. Die Posse, durfte man oft konsta­

tieren, var Dürrenmatt immer lieb gewesen; denn auch im

Wiener Volksstück gab es viel Sinn für die Parodie, Ein-J

falle, Gesang, Narrenfreiheit, gab es jenen unerhort

aggressiven und doch nicht bitteren Humar, d~r noch na­

her zum Theater gehort aIs die Zeitkritik des Kabaretts.

An sich bestimmt ein gutes Vorbild! Gefâhrlich hochstens ,

dann, wenn das Possenhafte kein legitimer Bestandteil

des Werkes ist. In der Oper d~r privatbank bat Dürren­

matt die grausame Konsequenz des Verbrechertums zeigen

wollen. 6

Auf den Kern reduziert gilt fUr Bânziger das Prinzip der reinen

Gattungen - man darf keine komOdiantischen Stilmittel zur Behaqd-1

lun~nes ernsten Inbalts benutzen.

-55-

Eingehender werden vor ailem auBerIiche XhnIichkeiten Dürren-

matts zum Wiener Volksstück im Aufsatz von Kienzle beschrieben. Sein

Beitrag zu dieser Sache besteht aus einer Aneinanderreihung~er-

schiedenartigster Elemente, die von einer stilistischen Verwandt-

schaft Dürrenmatts"zum Wiener Vo~kstheater zeugen. Zusammenfassend'

führe ich im folgenden seine Au{zahlung an:

" 1.) Dürrenmatts Bekenntnis in den theoretischen Schriften,

2.) Gags, die fast Selbs;zweck sind,

3.)Verdoppelung, Spiegelwirkung. Parailelismus und Wiederholu~,

4.) das E;~en, "der Hang zu opulenten Schmausereien". 7

5.) Stilisierung, \

,.) überbelichtete Details, "die in ihrer Hellsichtigkeit

für den ganzen UmriB stehen".8

7.) Figuren, ~ie requisitenhaft eingesetzt werden und zur

'f bloBen Zeichensetzung verkür%t sind,

8.) eine antithetisch geführte Sprache und

g.) Zerstorung der Illusion durch Aufzeigen der Lüge der

Sprache. durch Entiarvung der Phrasen, durch Wdrtlich­

nehmen von Abstrakten. 9

Punkt I dieses Katalogs wurde bereits in Verbindung mit DUrrenmatts

theoretischen Schriften im ersten Abschnitt dieser Arbeit behandelt.

Noch hinzuzufügen waren Bemerkungen Dürrenmatts, über die K0m6die Lm

Werkstattgesprach mit Horst Bienek. lm Gespr'ch ging es um den MiS-

erfolg des Stückes Frank V, Oper einer Privatbank, insbesondere um

!

1,

• -56-

die Absicht des Autors im genannten Drama. Dürrenmatt führt aus: \

Die Bühne deutet die' Welt nur unabsichtlich, absichtlich

nutzt sie dagegen mit einer gewissen Schadenfreude. ich

will das ruhig zugeben, die komëdiantischen Moglichkeiten

aus, welche die Welt ih~ bietet,~taglich bietet. Bos­

haftigkeit gehort zur d~~maturgischen Pflicht jedes Schrift~ stellers. Wir haben nicht positiv, wtr hab en éhrlich zu

sein. ( •• :) Das Komodiantische ist suspekt, wird nicht

voll, nicht ernst genommen. Ich bin jedoch nur von hier

aus zu verstehen, vom ernst genommenen Humor h~r. In

diesem paradoxen Satz drUckt sich meine Liebe zur Tragi­

kOmOdie aus. Ich gehe vom Komëdiantischen aus, vom Ein­

fall, um etwas ganz Unkomadiantisches zu tun: den Men­

<schen darzustellen - so kOnnte ich vielleicht meine Kunst

definieren. Der Mensch ist für mich ein Wesen. das nur

durch paradoxe, komadiantische Mittel, Formen, dargestellt

werden kann, denn der Mensch geht nicht auf wie eine Rech­

nung, und wo der Mensch so aufgeht, ist die ~echnung sicher

gefalscht. Anders ausgedrückt: das KOmOdiantische

ist meine dramaturgische, ich mOchte fast sagen: meine

wissenschaftliche Methode, mit der ich mit dem Menschen

experimentiere, um oft Resultate zu erhalten, die mich

allerdings oft selber verblüffen. lO 1

Das KomBdiantische ist also die einzig mëgliche, Erfassung bzw. Dar-

stellung des in sich widersprüchlichen Menschen auf der Bühne, eine

Darstellung, die sich durch Einfalle und Paradoxien kennzeichnet.

So ver$teht Dürrenmatt seine kOmOdiantischenStilmittel aIs durchaus

zum Ernst passend ~dd steht damit im Gegensatz zur oben angeführten

Auffassung Bilnziger~. Gut'hkes Theorie der Tragikomëdie stimmt mit

• t

-57-

den Dürrenmattschen Ausführungen überein; er sieht in der Tragi-

kOmOdie eine Identitat des Gegensatzlichen (d.h. des Komischen und

des Tragischen) wie auch eine gegenseitige Steigerung:

J

.•• einerseits verscharft die ttagische Implikation das

Komische, indem sie ibm gro8ere Tiefe, der komischen Sicht

mehr Hindernisse gibt, die zu überwinden sind;"sie macht

also die komische Inkongruenz durch ihre gesteigerte, KraB­

heit um so wirkungsvol1er. Auf der anderen Seite ver­

scharft die unleugbare komische Konstellation -.hohnisch

gleichsam - die Bitterkeit des Tragischen. Und beide

Arten von W~chselwirkung haben gleichzeitig statt, sind

aneinander gebunden und steigern sich fortschreitend .. Il gegense1t1g •••

Der oben aufgeführte Katalog Von Kienzle zeigt gewisse stilistische

MBglichkeiten des KomOdiantisçhen auf, die gewiS den theoretischen

Ausführungen Dürrenmatts nicht widersprechen wilrden. Die Kategorien

für den folgenden Teil dieser Arbeit basieren daher auf diesem Kata-

log, wobei aus arbeitstechnischen Grilnden auf ein Aufzeigen der

Tragik,die aus dieser Komik hervorkommt und durch sie gesteigert

wird. verzichtet wurde. Jedoch solI dies immer im Hintergrund pra-

sent bleiben, da es ja die Funktion der komischen Elemente in Dürren-

matts Werk darstellt. So konnte z.B. Johann Bockelsons FreBmonolog

in Es steht geschrieben als einfache Charakterkomik aufgefaSt werden

ein Ubertrieben sinnlicher Mensch gibt sich dem GenuS des Essens hin /

und rezitiert den Speisezettel samt Kommentar danach; sobald man

aber den Hintergrund bedenkt - die Stadt MUnster wird von wiedertau-

ferfeindlichen Truppan belagert, es liegen die Leichen der verhunger-

'.

-58-

ten Bürger in den Straéen -, dann besteht die Tragikomik eben

aus dem zum Himmel schreienden Kontrast zwischen Oben und Unten,

zwischen Konig und Volk. Ahnlich steht es mit den viélen Hoch-

zeiten der Claire Zachanassian - ihr Mannerverbrauch iat kolossal -;

man konnte lachen, wenn man nicht wüBte, daB sie den ersten Lieb-

haber, Alfred Ill, tatsachlich im wahrsten Sinne des Wortes ver-

brauchen will: Seinen Tod will sie sich kaufen.

Das Paradoxe im Menschen besteht aus de~ Widerspruch der . .

ei~zelnen Teile zum Ganzen, wobei die einzelnen Tei'le komisch

dargestellt werden konnen, die Situation, das Ganze, worin er

agiert und reagiert, aber das Tragis~he bedeutet. Diese Doppel­o

bodigkeit des KomBdiantischen, sei es nun aIs paradox, aIs Tragi-

komodie oder aIs Groteske bezeichnet, ist das Grundprinzip des

Dürrenmattschen Schaffens. 12 Das Komodiantische ruft aber nur

1n geringem HaSe helles Lachen hervor; das Lachen bricht hervor,

stockt aber dann vor dem düsteren Hintergrund, und das Verhaltni~ -zwischen Lachen und Gra~~n ist nicht immer vergleichbar - man , ~Y

denke nur an Die Ehe des Herrn Mississippi oder Titus Andronicus

im ~rgleich,zu Ein Engel kommt nach Babylon. r-. _) 4' ~t. '''''{'':~ d

lm folgenden sollen einige komëdiantische Mittel aufgezihlt

und mit Textstellen belegt ~erden. Es wurde versucht, die chrono-, --

logische Reihenfolge der Werke DUrrenmatts einzubalten, wobei anzu-

I..:J

)

-59-

• Q

merken ist, da8 Romulus der Gro8e in der neuen Fassung (1964),

~. Die Ehe des J:lerrn Mississippi in der dritten Fassung (od.), ~

Ein Engel kommt nach Babylon in der zweiten Fassung (1957) und

Herku1es und der StaIl des Augias in der Theaterfassung (1963)

untersucht wurden. Die Chronologie hilt sich aber an d~s Ent-

stehungsdatum, wie es von Elisabeth Brock-Su1zer ermitte1t wurde.

" " Es steht geschrieben (1946) \.'

Der Blinde (1947) ~

Romulus der GroBe (1948, 1956, 1961, 1964)

Die Ehe des Herrn Mississieei (1950, o.J., o.J.)

0 Ein Enge1 kommt nach BabI10n (1953, 1957)

Der Besuch der altenDa~e (1955)

Frank der FUnfte (~ -t

-~ (1958) 0

Die Ph}':siker (1961)

Herku1es und der Stall des Augias (1962, 1963)

Der Meteor (1965)

Die Wiedertaufer (1966)

Konig Johann! nach Shakeseeare (1968)

P1a~ Strindber& (1968/69) 13

-'. Hinzuzufügen bleibt noch Titus Andronicus, 1970 erschienen, wie auch

Portrat eines P1aneten, 1971 •

. ~.

• \

0.

, .' -60'-

" '"

3.1.1. Gags

Das Wort Gag so11 sehr weit verstanden werden; aIs Definition .'

mOchte ich 'ein witziger Einfall' vorschlagen, etwas, worüb~·man ,')

lacht, kichert, breit lachelt oder sich über die komische Phantasie

des Autors wundert. Es kan,n die einzelnen E'lemente des 'slapstick

humour' umfassen, z.B. die berilhmte ins Ge~icht geschleuder~e Torte,

Ungeschicklichkeit nach Chaplins Art, wie auch subtilere Tricks

wie z.B. Anachronismen, Ubertreibungen und Anspielungen. Gags ode~

Tricks konnen in einer Person, in einer Situation" in einem Dialog

oder Monolog, in Bilhnenanweisungen usw. untergebracht werden. "

So zu verstehen ist der chronometrische Türke (Es stehege­

schrieben); auf die kaiserliche Prage nach der-Uhrzeit sieht der

.ZeremonienmeJs<t:er am türkischen Chronometer nach. -

'tr

DER ZEREMONIENMElSTER: lch will am tilrkischen

Chronometer nachsehen, den'o Du meine Majestat

im Kri~ge wider die Heiden erbeutet hast.

Er Bffnet eine sa~gahnliche, reicbverzierte , =

und,aufrecbtstehende Kiste, in der ein TUrke

mit einem Stock steht, mit dem aer arme Kerl

in regelmaBigen Abstanden auf den Boden der

Kiste klopfen muB •.

DER CHRONOMETRISCHE TURKE: Es ist' beim Schlag ,

des /r'eichverzierten Stockes geMu. dreizehn mir,

14 Minuten und zehu Sekundeu.

(KomlSdien II, S. 70) .'

o

'-' . •

..

O'

..

-61-

o

Nach ~er genauen Zeitangabe des Türke~, auf die Sekunde genau,

tut einem der a&me Kerl mit seiner ewigen Klopferei wirklich , ~

leîd; befm genaueren Hinsehen würde man diese Figur eher grot~sk •

.. nennen, da es sich t3tsachlich um eine Verstümmelung bzw. un~ , 15 natürl iche Umfuntkionierüng eines ~tenschen bandel t.

Ein ahnlicher Gag ist die Unterhaltung, die die Feldherren ,

--Johann von Büren u~d Hermann von Mengerssen in voIler Rüstung

führen, da ihnen for twahrend " die Vis iere selbst ~uklappen. (Ko­,.. .. modien Il, s~ 53 L)

Ein weiteres Detail, das komisch wirkt, ist das plotzliche .)

Heulea" des kleinen Don'Philipp, Sohn des Kaise~~ wahrend einer

Konferenz' "zwischen Kaiser und Bischof. Komisch ist nicht nur die v •

Etklarung des Zeremonienmeisters, dessen Redeart 50 st~if wie seine

Hiltûng ist, sondern ~uch die Tatsache, daS die hauslichen Ver-

haltnisse des Kaisers sich storend in den geschaftlicnen Verhand.-

luhge~~bemerkbar machen.

"

D~R Z&REMONIENMEISTER: 0 D~ meirte Majestat,

Don Philipp ~flegt imme~ zu schreien, sobald

von Aufhang~n die Rede, R~dern oder anderen

Tode\,!r ten •

(KOmodien II, ,S. 73)

Hier sieht man wieder den grausamen Hintergrund der religiosen

Verfolgung und des Scheiterhaut,ens yon humane.r Sicht, nachdem 'man

- \

li

.,

v'

"

,J

-62-

o

sich durch die possenhafte Darstellung de~ Stadtbelagerung gegen

das Sterben verhartet hat.

In dem Stück Der Blinde wird dem alten Herzog ein Schauspiel l,

vorbereitet, in dem er seinen realen Zustand durch das Nachvoll-

ziehen seines Untergangs,erkennen solI. Diese Situation verleiht

d~r Sprache eine besondere Kraft, da mit Vieldeutigkeit herumge­

spielt werden kann. So besteht der groBte Teil der witzigen Ein-f ' '

falle aus Wortspielereien, die dem Blinden etwas anderes bedeuten

',') aIs den Sehenden. lm dritten Abschnitt dieses Kapitels wird auf ~-

die Sprache naher eingegangen. Hier noch zu erwahnen ware die

Flucht, die dem Herzog vorgegaukelt wird, wobei sich da& Fliehen

nur im Kreise abspielt und man sich mit der erfundenen Geographie

auseinandersetzt.Nach dreitagigem Hetzen macht die Bande unter

~inem fiktiven Baum haIt, unter einer Biche: Pal~~edes kommt hin-

zu und erkennt die Geographie natürlich nicht, da er bei de~ ersten

Beschreibung nicht zugegen war:

PALAHEDES: Içh'grüBe meinen Vater unter diesem •

Birnbaum, der im stillen Talgrunde stehtl ,. DER SCHAUSPIELER: Unter dieser Siche, die frei-

lich etwas von'einem Birnbaum an sich hat, auf

dem Be~e, der im stillen Talgrunde steht.

(KomOdien Il, S. 151)

Romulus der GroBe, die ungeschichtlicne historische KomBdie, wirkt

yor allem dadurch komisch, daB wir eine bestimmte Seite der Geschich-r ~

te k~nnen lernen, ~ie es hatte sein kOnnen, wenn ~B. der letzte

1

-63-

romische Kaiser e1n Humanist und Hühnerzüchter gewesen ware. In diesem

Stück hat der Kaiser dazu noch ~inanzielle Sorgen. So kann es dazu

kommen, da8 der Kunsthandler Apollyon die Büsten der romischen

,Kaiser aufkauft und Gipsabdrücke davon machen laBt, die an die

Gymnasien, "die man jetzt iiberall in den germanischen Urwaldern er­\

richtet" (Komodien I, S. 16.), abgeschickt werden. Etwas platter

wirkt die Ko~ik des zweites Aktes, wo man im Park vor dem La~d-haus des Kaisers nur Hühnergegacker hort und andauernd auf Eier

tritt. Der Sppftier (so nennt ihn der Kaiser) Spurius Titus Mamma, Ir ~

der keine Aufmerksamkeit für seine weitumstürzende Meldung erre-

gen kann, schleppt sich todmüde und verargert durch den Akt, bis

er dann doch einschlàft und das Wichtigste, die miBglückte Ver-

schwOrurtg und die Gipfelkonferenz zwischen Odoaker und Romulus, "

verpaBt.

Eindeutig aIs Gag zu verstehen ist die Dàrstellung der ero-

tischen Aktivitàten Anastasias (Die Ehe des Herrn Mississippi)

'\ durch das Spiel mi, der Tafel, die, von oben herunteJœelassen.

nur die Beine sichtbar la8t, ein Spiel, das auf possenhafter ~eise

die Aussagen von Graf von Ubelohe-Zabernsee und Mississippi aIs

G

Illusion entlarvt. Ebenso wird die Standuhr, aIs EingangsmOgIich-

keit, zum Trick: Diego, der Justizminister, sowi~ die Arztekommission,

die den Auftrag hat, Mississippi abzuholen, bétreten merkwürdiger-

weise den Raum durch die Standuhr, wie es den folgenden Regiean-

weisungen zu entnehmen ist: c

• \

-64-

Diego ist durch die Standuhr ins Zimmer getr~ten

und richtet nun, vor dem Spiegel, durch den hin­

durch man das Publikum sieht, die Kravatte.

(Komodien l, S. 106)

Und wei ter:

Uberall in den Türen links und rechts und in den

Fenstern - wo Saint-Claude und der Minister ver­

schwunden sind - sowie aus der Standuhr ~eraus

drangen sich Arzte in weiSen Kitteln und mit

dicken Hornbrillen auf die Bühne. -~ (Komodien l, S. 142)

Makaber-komisch wirkt der Tanz, den Anastasia und Mississippi , " \,r/

waprend des alles enthüllenden Besuches um den Kaffetisch aus-

führen sallen.

Gegenstand einer beiSenden Komik im Stück Ein Engel kommt nach

Babylon ist die Staatsform; bornierte KOnige und opportunistische

Staatsmanner balgen sich um die Macht, und die Zukunftshoffnung,

der Kronprinz, ist ein Idiot, der grinsend über die Bühne hüpft. '\

Es herrschen zwei KOnige, der eine auf dem Thron, der andere iba

aIs Schemei dienend; sie sind jedoch austauschbar wie die Kopfe ihrer

gemeinsamen Statue. Nebukadnezar, der jetzige Konig, ist emport, .

weil sich die Weit aIs groSer erwiesen bat, aIs es ibm seine Geo-

graphen ermittelt hatten.

NEBU~~: Wie der groSe KOnig Nebukadnezar

festst~llte, hort b~im Libaoon die Welt auf.

Dieser Ansicht sind s~tliche Geographen und

Astronomen.

"

- ---~-- ,----~-------

• o

-65-

Der Engel sehaut auf der Landkarte naeh.

DER ENGEL: Jenseits sind noeh einige Dorfer.

Athen, Sparta, Karthago, Moskau, Peking.

Siehst Du?

(KomOdien I, S. 173)

Seine Reaktion dazu ist ein zorniges Bei§eite, er lasse noeh den

Hofgeographen hangen; danaeh gibt er den Befehl, "diese laeher-

lichen Dorfer, Sparthen, Hosking, Karthagau und Paka, oder wie sie , '

auch alle heiBen" (Komodien l, S. 194) zu erobern. ,::,'.Î

Ahn1ieh wird mit den Daehtern gespaSt. Kurrubi, das Himmels-

gesehenk der gottliehen Gnade, übt eine verheerende Wirkung auf die

gesamt~ Stadtbevolkerung aus. Alle Hanner diehten, und sehon gibt

es Streit: Ali, der Weinhând1er, bat des Bankiers Engibbi VersmaB

angewendet, worauf samtliche von Akki unterstützte Dichter aus

ihren Sarkophagen stürzen 9nd laut behaupten, daB es i~r VersmaB

sei. Dazu sagt Akki: "Inmer das gleiehe. Beginnt einer zu dichten,

sehon wird ér des Plagiats beziehtigt" (KomOdien I, S. 203), ,was \ ~~estÜDmt im Zu~~mmenhang mit DUrrenmatts Sehwierig~eiten mit der

Witwe Frank Wedekinds steht. 16

1

Aber aueh auf harmlosei-Ebene wird mit den Diehtern Spott ge-.

trieben; sie sehnellen aus allen Ecken empor, wenn Aussicht auf

neuen Stoff besteht, z.B. der bevorstehende Tod ihres Mazens, Akki;

sie torkeln betrunken Uber dié BUhne, wenn Akki sie, anstatt seinem

••

-66-

Henkersamt nachzugehen, im~glichen Palast bewirtet und dann

wahrheitsgetreu seinem Herrn berichtet,' er habe sie 1n hoheri!",,~

1 1 Regianen versetzt. 1

\

-"

Aus der Schatztruhe der komischen Elemente stammt auch die "

" , Verkleidungsszene, die Dürrenmatt in diesem Stück zweimal ge-

braucht: Zuerst verkleidet sich Nebukadnezar, der KOnig, um den

Bettler Akki dazu zu überreden, daB er in den Staatsdienst ein-

trete, denn sein Staat solI vollkommen sein, und da ein Bettler

seiner Meinung nach etwas UberfIüssiges in'einem echt soziaien

Staat ist, müssen die Bettler entweder freiwillig oder gezwungen­

ermaBen einen Beruf ergreifen. Dann ~immt Akki den Beruf des Hen-\~)

kers an und tritt in seiner Henkèrstrach~ var Nebukadnezar, um ,-

ibm Bericht zu erstatten:

NEBUKADNEZAR: Ist mit dem Betteln aufgeraumt?

AIGU: Vollig.

NEBUKADNEZAR: Der Bettler Akki?

AKKI: Verwandelt. Nicht einmal Majestat würde

ihn erkennen, stünde er vor Ihnen. ,,~{_'\

NEBUKADNEZAR: Aufgeknüpft?

AKKI: Erhoht. Er bewegt sich in den hochsten

Kre isen.

NEBUKADNEZAR: Der Mazen der Dichter wird sich

kaum im Himmel befinden.

AKKI: Etwas tiefer.

(Komàdien 1, S. 226)

'\

-~ ... --- - -- -- -----;---- - - -- -- - -- ------r--

~.

','

:'61-

Obwohl die Gestalt der Claire Zachanassian das Stück Der Besuch

der alten Dame eher in das Licht des Grotesken rückt, ~o konnen

wir doch mehrere Tricks aufzahlen, die trotz beunruhigendem Hin-

tergrund das reinste Lachen hervorrufen. Hier ware die BegrüBungs-

szene am Bahnhof zu erwahnen, die Auseinandersetzung der Zacha-

nassian mit dem Zugführer, der auf eine Erklarung für die Betatigung

der Notbremse wartet, denn: ''Die Notbremse zieht man nie in diesem

Lande, auch wenn mal! in Not ist" (Komëdien I, S. 265), und die\ Be-

grüBungsrede des Bürgermeisters, die leider durch das Gerausch

des abfahrenden Schnellzugs übertont wird. Die Szene, in der III

seinen Fluchtversuch unternimmt, wird i~ ihrer verleugneten je-

doch unverkennbaren Bedrohlichkeit durch den von dem Zug absprin-

,genden Kondukteur nur bestarkt, indem mit dem fingierten Ab- und

Aufsprung und dem lauten und ausgedehnten Ruf 'Güllen' klammer-

artig die Moglichkeit der Flucht aIs Illusion entlarvt.wi~d~ Da dies

auf komische Weise geschieht, wird die Tragik der Auswegslosigkeit

I11s in den Bereich der TragikomBdie verwies~n. Auf diese Weise

si~d auch die gel ben Schuhe zu deuten, die samtliche Güllner tra-

gen und die sinnbildlich, aber auf jeden Fall komisch, die immer

tiefergreifende Verschuldung und Verstrickung der Gü11ner dar-

stellen.

lm zweiten Bild der Komodie Frank der Fünfte stellen sich die ,

beiden Neukommlinge .inander vor:

-68-

HEINI: Ich komme aus Drosseldorf.

PAULI erfreut: Ich aus Amseldingen.

(KomOdien II, S. 201)

Der Ortsbezeichnung wohnt eine Aussagekraft inne, die den Burschen

eine gerechtfertigte làndliche Naivitàt, sogar Tolpelhaftigkeit, , ,

aufstempeït; diesè Tolpelhaftigkeit wird im neunten Bild, in dem

der Personalchef Egli dem Pauli Neukomm Gaunerunterricht erteilt,

und im zwolften Bild, ~n ~em sogar der erfahrene Personalchef eine

Panne erleidet"vollends ausgekostet. ù

Bestimmte Charaktermerkmale oder Charakter bezeichnende Aus-

sagen gehoren z~Arsenal der komischen Elemente, besonders wenn

s~e durch wiederholung in verschiedenen Situationen die Einstellung

der Person aIs konstant darstellen. DemgemaB zeugt Ottilies "Immer

ich", wenn Sl.e Geschàftliches d.h. die Beseitigung der UnerwUnschten

erledigen muS, von einer Abscheu vor der Ausführung dër, Schmutzar-

beit des Mordens, auf dem das ganze Geschaft aufgebaut ist, wobei

man aber die Ordentlichkeit und Geschàftstreue berücksichtigen muB,

mit der sie dann doch die Auftr'age ausführt. Ahnlich komisch wirkt

Eglis schwaches Herz; 'er darf sich nicht aufregen, tut es aber trotz-

dem, wenn irgendetwas schiefgeht und muS dann zu den Tropfen greifen.

Die gegenseitige Ausrottung der Gangster, die wahrend des >

ganzen Stück~s sta ttfindet und einen komischen Hohepunkt in dem

13. Bird aufzeigt, in de~"alle Ubriggebliebene~ im Keller beim

. '

-69-

Tresor Wache halten und zwischen MiStrauen und wackerem Singen,

zwischen gegenseitiger Waffenbedrohung und heiterem Tanzchen

schwanken, wird durch diese Lacherlichkeiten in ihrer Grausam-

keit gestarkt, da am Ende der Sohn Herbert seinen Vater in den

Tresor einschlieBt und ibm somit auf kaltblütigste Weise den aus-

gedehntesten Tod , bereitet.

Der Urteilsspruch des,Staatsprasidenten, von dem Ottilie

Strafe verlangt, wird in der Form einer Musiknummer vorgetragen

-und entbehrt somit jeglichen Ernstes:

DER STAATSPRASIDENT: Ottilie Frank, vernimm jetzt

meinen Urteilsspruch:

Mein altes Schatzchen, komm, nimm's nicht 50 schwer

Was du gesta~den, ist zwar schlimm, allein

Seh ich genauer hin, ist'~ kein Malheur

Nur laS das Morden jetzt in Zukunft sein

In Zukunft sein

Das macht man einfach nicht, mein Taubchen

Nein nein nein nein

So radikal darf man nicht sein v

-50 radikal darf ma~ n1cht sein.

(KomOdien II. S. 277f.)

lm Stück Die Physiker ist gleich zu Anfang ein Mord an einer

Krankenschwester ausgeübt worden, ein i~ Grunde genommen nicht

komisches Ereignis; da aber ein Mord in einer Irrenanstalt anders

zu beurteilen ist aIs ein Hord auBerbalb einer Irrenanstalt, iat die

\

'.

••

\ \

l,

-70-

Moglichkeit zur komischen Darstellung gegeben. Der Kriminalin-

spektor zeigt wahrend der Untersuchung eine wachsende Ungeduld -, tr

es ist ja anch schlieBlich der zweite Mord in dieser Anstalt binnen r

zwei Honaten - und, da er mit anderen Ma8staben an die Sache her-

ankommen müate, aIs ibm zur Verfügung stehen, ehtspringt seiner

Einstellung und dem sich daraus ergebenden Dialog mit dem Frl.

Doktor eine Art Komik. En muB sich gedulden und auf das Frl. Dok-

tor warten, die eben den MOrder in seinem Geigenspiel auf dem

Klavier begleitet, um ihn zu beruhigen. In der Unterredung mit

ihr muB er sich mehrmals korrigieren lassen, da der Mord ein

Unglücksfall und der Horder ein Tater ist, der nicht zurechnungs-

fahig ist und infoigedessen auch nicht zur Rechenschaft gezogen

werden darf. Der dri tte Mord am Ende des ersten Akts und dï'e da-

rauffolgende Untersuchung am Anfang des zweit~n Akts bringt eine ,

~berraschung mit sich; der Inspektor hat sich an diese sicherlich

frustrierende Situation angepaBt und genie8t sie sogar, im Gegen-

satz zum Fri. Doktor, die ihre Seelenruhe und gottliche Geduld ver-

Iiert und diesmai sogar selbst den Tater aIs MOrder bezeichnet, wo-,

rauf sie ihrerseits korrigiert wird. Der Inspektor hingegen ist

heiter, und aIs Mobius bittet, der Inspektor mage ibn doch wegen

des Mordes verhaften, erklart er: "nie Gerechtigkeit macht zum

ersten Male Ferien, ein i1lJlllenses Gefühl.'~ (Komadien II, S. 330)

nie Gestalt der braven Frau Mobius, die sich etn balbes Leben

/

1 . ~

-71-

lang für ihr Johann-Wilhelmlein abgea;peitet hat, nimmt etwas

Lacher1iches an, wenn wir erfahren, daB ihr zweiter Mann, der

Missionar Rose, ihr kaum ein besseres Leben bieten kann, da er

karglich besoldet wird und auBerdem noch sechs Buben in die Ehe

bringt. Dazu bietet Frau Rose, gleichsam aIs Erklarung, schlicht

an: "Oskcfr ist ein leidenschaftlicher Vater." (KomOdien II, S. 307)

o ' Die Essensszene eridnertein wenig an die Szene im Keller

beim Tresor 'im Stück Frank der Fünfte; dort wie hier wird mit

Waffen gedroht. die genauso wirkungs10s sind, da beide sich gegen-

überstehende Partien gleich ausgerüstet sind. Komisch wirkt be-

sonders der Appetit bzw. die Appetitlosigkeit, die sich der Si-

tuation entsprechend einste11t. Wer die Oberhand zu haben glaubt,

genieBt das herr1iche Aben~hl, LeberknOde1suppe, Poulet à la d

broche, Cordon bleu, wahrend den anderen der Appetit vergeht.

Der witzige Einfa11, um den sich\~as ganze Stück dreht, ist . 'u

die unfruchtbare bucke1ige alte Jungfer, das Frl. Doktor, die ,- . -eigentlich die einzige Irre in dem Stück ist, der es jed6ch ge-

1ingt, sich der Etfindungen des MObius zu bemachtigen und einen

~iesentrust aufzubauen, der systematisch diese Erfindungen aus­o

beutet. wahrend die drei Physiker sich durch ihre Morde den Aus-

weg zur Freiheit endgü1tig v~tel1t haben und sich somit selbst

zur totalen Wirkungslosigkeit verurteilt haben •

1

-72-< '

, ' ..... ~ ",

< 1

In Herkules oder der StaIl des Augias spielt der Sekretar

des Nationalhelden, Polybios, eine mit groBen Sehmerzen verbun- -~

dene Rolle. Andauernd Berge oder Treppen hinuntergeschmettert

und anderswie verprügelt und IDiBbraucht, ist er der mit Pathos

a~gehauchte Narr, dem es immer sch~rcht gehen wird. AIs Spiel-

ansager vertritt er dieselbe Rolle wie Graf von Ubelohe-Zabern-

see (Die Eh~ des Herrn Mississippi), der auch aIs zu bemitleidende

Misehung von Laeherliehkeit und Erhabenheit über die Bühne tau-

melt.

Eine Art Gag ist das Aufzeigen der anderen Sei te des Mensehen,

wie wir es sehon beim Ietzten romischen Kaiser, Romulus dem Hühner-

züchter, gesehen haben und w~e es uns die betërend schone Hetare

Dejaneira, jetzt die LOwenhaut des Herkules bürstend, zeigt. Die

LOwenhaut ist ja schlieBlich die einzige Bekleidung des Nationai-

helden und es nimmt keinen Wunder, daB sich e~ne "wahre Staubwolke"

beim Bürsten ausbreitet,"besonders da wahrend des Bürstens Deja-

neiras Gedanken auf be~timmte Heldentaten ihres,Geliebten zu ruhen

kommen. Es scheint, Herkules habe in der davorgehenden Naeht im J

Rausch eine Hetare im Stadtpar~vergewaltigt, mehrere Banken de-

moliert und sei dann'erst am HOrgen in Begleiturig von zwei 'ver-

hungerten Hâdchen nach Hause gewankt.

Ahnlich wie mit der koniglichen Weltordnung in Ein En~el

kommt naeh Babylon wird mit der Demokratie geseherzt, und zwar

• 1.::

o J

• "

..

- . -73-

" ..

mit der Bauerndemokratie, denn Augias aIs Prasident hat kein

konigliches Blut in seinen Adern, sond~rn ist Iediglich der

Reichste der Bauern. Die Ma~ner des,Rates tauchen buchstabIi~h

" aus dem Mist auf, weil das Land total vermistE;..t:-',,{'i!it, wie wir aus , ,. ,,. J

folgender einleitenden Rede des Augias erfahreiù

AUGIAS: ( ••. ) wir befinden uns im altehrwürdigen

Rathaus der elischen Bauernrepublik.

~as Podium fahrt zurück, verschwindet.

Augias ist et~s verlegen.

Das heiBt, aueh hier i8t ein kleines Gestandnis

am Platz - da das Rathaus - Sie verstehen -

da das Rathaus schon langst unter -o

unter unseren agronomischen Abfallprodukten ver-

graben Und versunken ist, tagt der'groBe nationale

Rat in meinem StaIl - der Einfachheit halber.

(Komodien II, S~ 370f.)

Diese tapferen Demokraten tagèn also im~ll des Staatsprasidenten

Augias und besprechen die wichtigen tagespolitischen E~eignisse,

namlich den bevorstehenden Untergang der Bauernrepublik in dem un-,

obeschreibliehen Mist. Horen wir nun, was sieh im Rathaus bzw. StaIl

abspielt:

[)

AUGIAS mit der Gloeke: Manner von Elis!

- DRITTER: Hort(unseren, P~asidenten Augias.

DIE ANDEREN: Horen wir i~ zu.

AUGIAS: leh habe eine Idee.

Schweigen.

ALLE: Eine Id'ee?

AUGIAS: Ganz plotzlich.

Schweigen • ,

VIERTER~ Bin ieh aber erschrocken.

...?: ,

(Kom5dien ~I, S. 373f.)

)

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.. ' f (

) ,,'

-74-

Wei ter wird der demokratische Vorgang im Kommissionswé~en ver-

spottet. Alle Elier sind fest davon übe~~eugt, daS ausgemistet

werden muS und zwar radikal, jedoch komme~ Éinwande wie z.B!, t'

~ daS unter dem Mist immense Kunstschatze. verborge~ liegen, die

durch die Uberschwemmung geschadIgt wer~~n konnten, daB diese "

Kunstschatze vielleicht nie vorhanden gewesen sind, aber daB ." l

. der Glaube darap die Elier zusammenhalt upd 'CewiBheit darüber

mit zu groSem Risiko verbu~den ist,daS der Mist ja eigentlich D v

das Nationalprodukt, mit dém Export betrieben wird, d4rstellt,

kurz, daB das Ausmisten:

SECHSTER: ( .•• ) die Tiefe unserer Religion verhindert. ,J

SIESENTER: Den Viehstand dezimiert. , ,

ACHTER: Das elische Weib zu Exzessen verleitet.'

ZEHNTER; Die Reichen verarmt.

ERSTER: Den Wirtschaftsfrieden verwüstet.

ZWEITER: Die Darfer verstadtert.

DRITTER: Das seelische Leben des Xindes ve~kümmert.

VIERTER: Weil das UrgeIDÜtliche des Misteô fehlt.

DIE ANDE~~ Das Urgemütliche! , ~;.

. (KobtOdien II, S" 414f.)

". Demzufolge wird dann auch auf demokratische Weise eine Kommission,

1

eine Gegenkommission, eine Zwischenkommission und eine Oberkommission

gebildet, ~ diesen und weiter1n Fragen bezüglich des Ausmisterls nach-

zugehen. Es gibt auch dementspreéhend vi~le Amter, von denen °sich

He~les die Erlaubnis zum Ausmisten hoien muS. bevar er mit der ~ .

Arbeit anfangen darf. Ers~aunlicherweise haIt sich Herkules, nach-

.~---

\

• -,

"

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~. '''',

D

<\ Foige ~'(ldai. Polybios ·die Sunune für den" Ausmist~lJnK~auftrag

weit ubérschatzt hat unH samit zwn finanriellen Ruin des National-t "

helden'6~igetragen hat, aber ande~erseits recht komplizierte Re-

chenaufgaben ''für ~inen, der mit ,dem Dezimalsystem aufgewachsen .

ist, mitbringt. Herkules wird,jedoch mit Schwierigkeiten solcher ......

Art ~pieiend fertig:

IOLE: So'ist es nicht wahr, was man von dir er-,""

zahlt, aIl diese Geschichten mit Frauen?

HERKULES: Man ûbertrèibt. So erzahit man, ich

halte in einer Nacht füntzig Tochter des Konigs

Thespios verführt.

IOLE verst~ndnisIos: Fünfzig?u

. HERKULES: Drei maL drei mal dr~i mal' zWf!i weniget

drei wen~ger elne.

\

. , (Komodien II, S. 409) 'j

Der Brieftrager haIt sich für die wtchtigste Person des Stückes, .. 1 ...........

ohwohi er rtLr eine kleine Sprephrolle hat, weil er das ganze Ge~

schehen'ausioste - er Iieferte ja,schlre~lic~ den Brief von Augias

an Herkules lb. Lichas ist ein wenig gesc,hwatzig und gibt einige

Postgeheimnisse preis, z.B. daB die Post'gelesen wird, aber nur .,

aus humanisti~chen Gr,ünden, namlich daB die Post. mit einem ange-

rnessenen Gesichtsausdruck Uberreicht werden

was Lichas über ~en foigenschweren Brief zu

kann. Horen wir nun

berichten hat:

LICHAS: ( ••. ) Peinlic,h ist er. Nicht nur ortho­

graphisch. De&n es ist off~nsich~li~h. daB diese

Elier den Titei "Sauberer GrieChènl,anfS II allzu

'l, /. . , ......

• 1

-76-. "

'1' ...

wortlieh nehmen und.- ein ,Ansinnel.'l. stellen, das. l

Herk~les tief beleid~en mua und nieht nur i~n,

die ganze Nation ware bestürzt, würde das Ange­

bot bekannt. Ieh erbleiehte, aIs ieh den lnhalt

las. Und nieht nur ieh, auep meine Frau wurde

to~enblaB und ebenso der Backer Antipoinos, der

Metzger Likymnios, der Schreiner Myrmion, der

S~ngler Opheltes, der Weinhandler Krotos, der

Wirt Oineus, der Polîzist Triops, der Bo~r Me­

rops, der Priester Panopeus, die ~orstadthetare .. Pyrene - auBerordentlich preiswert und reinlich.

singt, tanz~, rezitiert~ausgezeichne~. besonders

Klassiker, die Post kann sie warmstens empfehlen,

,mittlerer Stadtgraben sechzehn - mit einem Wort, •

'jeder, der den Brief las, entsetzte sich. Das

unter uns. Ich bin Brieftrager. habe die Geschik-~

ke der Welt auszutragen und nicht zu bejammern

und 'die Post kommentarlos abzuliefern.

(Komëdien II, S. 379)

Die Fab'el, die dem Stück De,r Meteor zu Grunde liegt, ist

ein komiscner Einfall; eine prominente Person, die von Krankheit

geplagt im St~rben liegt und ste~ mOchte, überlebt unwillentlich

samtlich~ Personen, die da~ Sterbebett umgeben. Es handeit sich

hîe~ sogar um ein medizinisches Wunder, eine zweifache Auferstehung.

Dieses Stück wird vor allen anderen Stücken~~biOgraPhiSch gédeutet;

da es 8ith um einen berühmten Schriftstel~ bandelt, mag eine , l ' l • ~)

autobi~aphische Deutung, naheliegen. Elisabeth Brock-Sulzer sieht

1n dem Stück ein Uberdenken ,Diirrenmatts"seines bisherigen Schaffens, l ' .. : .

-77-

Q

.... d ~. K . l . 1; l 7 T .. hl' h h' uas ann eln neues aplte elU eltet. ,atsae le sc elnt

hier eine deutliche Zasur zu erkennen sein, die die folgenden

Werke (Die Wiedertaufer, Konig Johann, Play Strindberg, Titus

Andr~nieus und Portrat eines Planeten) stilistiseh von den

vorherigen trennt. \ ~

Ein Gag ist das Bühnenbild: Ein Künstleratelier, mit einem

Eisenofen, "der auaerdem aIs Kochstelle dient, mit einer fantà-

s~ischeh Ofenrohre, die sich über dem Ofen ,teilt, um sich dann

naeh einigen Umwegen zur rechten Seitenwand hinzuziehen, worin

sie verschwindet" (rier Meteor, S. 8), mit Wascheleinen, mit

tropfenden Wtndeln und schiechten Bildern.

\)

Ebenfalls Gag ist die Auferstehung des Nobelpreistragers , .

Schwitter, die zweimal die medi~inische Welt wie auch die Ange-

horigen in Verlegenheit~ ji Konsternation stürzt. Schwitter über-

lebt aIle anderen; er.schafft sich sogar Platz im Sterbebett, das

vorübergehend vom Pfarrer Lutz besetzt worden ist; er schiebt die

Mobel im Atelier zurecht, wie er sie damaIs, aIs er noch dieses

Atelier mietete, hatte; er mua sogar seiner Sc~iegermutter, Frau

'Npmsen, ein Glas Wasser bringen, weil es ihr nicht gut geht. Der

groBe Muheim, der dên Schriftsteller nur zu gerne umbringen würde, , l

laBt davon ab, denn Sterbende sind unantastbar. Muheim I~t es

auch nicht zu, da~ der Kunstmaler NYffenschwander, der auf Schwitter ...

mit einem Ofenhaken zukommt, seine Rache nimmt. Die komischen Ein-.'\

.. -

..;

,

-78-

?

falle in den Rollen des Stüekes werden in 3.1.4. aIs Requisiten

naher besprochen, da sie im Grunde typisehe Figuren für diese

Konstellation darste11en.

3.1.2. Verdoppelung, Vervielfa1tigung, Spiege1wirkung,

Para1lelismus und Wiederholung

.-Sehon in seinem ersten Bühnenwerk laBt sich dieses Merkmal

séhen, das 1m Besuch der a1ien Dame am haufigsten angewendet wird.

In Es steht gesehrieben leiten drei Wiedertaufer das Stüek ein, ~

aIle drei ahnlich in i~rer Zerlumptheit, ihrem Pathos und i~rer ~ Laeher1iehkeit. Die zwei Frauen des Landgrafen von Hessen s1n~ ,

echte Spiege1bi1der - sie spr~Fhen mit denselben Worten mit ge-

r1ngen syntaktisehen Unterschieden: ,G,

CHRISTINE: Mein Gemahl hat ausdrücklieh gesagt:

Es k1opft! , \,

'MARG.-\RETA: Ausdrücklieh hat mein Gemah1 gesagt:

Es klopft!

'~Wahrend der ganzen Szene konnen 5 ieh die beiden

Damen nicht bequeme~ nacheinander zu spreehen,

sondern reden immer gleichzéitig.

(KomOdien II, S. 89)

Die Spiegelwirkung bezieht S'ieh nieht Ilur auf das Sprechen,~ 50n-, \ "

~ dern dehnt 5ieh auf den Beréich des Handelns aus. wi~ es foigender

Regieanwei5ung zu entnehmen ist~ ,. Sie gehen beide higaus, die ~ine links, die

andere rechts, und 8chlagen die TUren zu. Da

aber die ~~nde fehlen r sieht man si. hinter

.'

1 •

-79-

den Türen gleichzeitig mit gleichen Bewegungen

auf und ab gehen. \

(Komodien II, S. 92)

Der Blinde weist solch~Doppelwesen nicht auf. Dagegen ist

aber die Handlung aIs komodiantische Wiederholung zu verstehen,

da dem Herzog das Geschehene, die Zerstorung seines Herzogtums,

vorgespielt wird. Weil es in diesem Stück einen Blinden gibt,

der nichts mit den Augen nachprüfen kann, erhalt der Handlungs-

ablauf eine zweite Bedeutung; erstens haben Wlr das Geschehen 11'

an sich für die Sehenden, und zweitens· das, was der

Auch ist das Ende des Stückes eine Wiederholung des Anfangs~,

bt.

blinde H~rzog sitzt nach wie vor var seinem zertrümmetten Schlo ,

·f\ nur diesmal weiB er, da13 sein SchloB zertrü/mnert ist. Der Fel~GJ

herr Negro da Ponte will vorbei wie auch am Anfang, nUl" diesma 1

zieht er tatsachlich weiler, ohne das erfiliit zu haben, was er

"ich vo'rgenommen hatte, narulich die Zerstorung des Glaubens des

gl iickl ichen, bl inden Herzogs. "

Q

Die ~amme~e~ Romulus, A,h'lle. und Pyramus und die

Kammeret ridos und Sulphurides, im Stück Romulus

der GroBe (neu& Fassung l aIs 'twosome' zu v~~st~hen; sie

haben natürlich k lne groBe Rolle, treten jedoch gleJchzeifig auf,

aus und sind in keiner Weise voneinander

,1

'1

. • '

-80-

Die mit germanischen Fürstennamen ausgestatteten Hühner~

prophezeien den Untergang Roms - aIs Spiegelwirkung des politischen

Ablaufs legen diese Hühner, 1m Gegensatz zu den Hühnern, die Ro-

mernamen tragen, doch Eier, a1so: '. '

ROMULUS: ( ••. ) Der Gèrmanenfürst Odoaker hat Pavia er­

obert, denn das Huhn seines Namens hat drei Eier gelegt,

wie mir eben gemeldet wurde. ~o viel Uber'einstillDllung )

ist noch in der Natur, oder es gibt keine Weltordnung.

(Komodien I, S. 20)

Auch das Attentat auf den Kaiser (an sich Wiederho1ung bzw. Parodie

der Ermordung Julius Casars) wird nicht von einem Einzelnen unter-

nommen; samt1iche Leute, die dem Kaiser nahe stehen,auSer Frau 4nd

Tochter, . haben sich nach Verschworermode in schwarze Mantel ge-

h~llt und sich in den verschiedensten Stellen, im Schrank und unter 1

dem Bett, versteckt,-um dann auf komische Weise und unverrichteter

Dinge entdeckt zu werden - z.B. tritt der Kaiser einem,auf die

Ri~ger, der sich dann durch einen Schmer~ensschrei verrat. Alle

haben dieselbe Absicht, sind zu ~em Zweck gleich angezogen (schwar-.. zer Mantel, gezuckter Degen~ und w~rden auf ko~ische Weise ent-

deckt und unschaqlich gemacht.

r

Oie Ehel~es Herrn Mississippi beginnt mit der Erscheinwng von • , t)

drei Hannern in Regenmanteln, und roten Armbindeu, die ,Saint-<:lapde

hinrichten und d,ann ve'rschwinden, ein Dre~,er-A'nfang wie in Es steht

geschrieben. Drei .rànner sind es auch, die ihr Schicksal mit Anasta-

'.

-81- ,

sia verknüpfen - Graf v. Ubelohe-Zabernsee, Mississippi und Saint-

Claude. Drei Geistliche loben~nastasias Engel-der-Gefangnisse-Arbeit, , .

indem sie die verschiedenen Satzteile ihter kleinen Rede nachein-

ander aussprechen, wie auch die Arztekommission chorartig einen Satz-

teil wiederhol t.

1 / ~ Ein paralleler Aufbau der GeSChehniss~, die zur merkwürdigen

i Ehe führen, ist auch zu konstatier9n: Anas~asia bringt ihren Mann

.[

om, Mississippi bringt sèine Frau um; Grun~ für b~ide Morde'schèint

Ehebruch zu sein und die zweite Ehe ist von Mississippi aIs Sühne

für diese gesetzwidrigen Handlungen gedacht. Diese Parallelitat

dehnt sich auf die kleinsten Einzelheit,en aus - deinentsprechend sind

auch die Bewegungen Mississippjs und Anastasias beim Kaffee-Verhor

genau die gieichen.

lm Stück Ein Engei kommt nach Babylon haben wir ebenfalls eine

Dreier-Konstellation: Der Engel, aIs BettIer'verkleidet, der'Konig~

Nebukadnezar~ auch aIs Bettler verkl~idet, und Akki, der echtè

BettIer, aIle zerlumpt mit langem, rotem Bart, bestimmen das Los .

des Himmelsgeschenks, Kurrubi.

AIs Doppeigestait erscheinen die beiden Konige von BabyloQ: il

Nebukadnezar und Nimrod sind auf ewig'miteinande~ verbunden, der '.

eine ohen auf d~ Thron, der andere unten, ais FuBschemel dienend;.,:

, 1

-1

'1

"

,

-82-

NIMROD: Jetzt bin ich unten, doch verde ich wieder '0,;,

nach obén steigen, jetzt ist Nebukadnezar oben, doch

wird er wiëder nach unten fallen.

NE BUKADNEZAR: Das wird nie'geschehen.

NIMROD: Das ist immer'ge5chehen seit Tausenden von

Jahren.

'(KomOdien l, S. 183)

Sogar Kurrubi erschrickt vor den beiden, weil sie' in ionen ein

Doppelwesen erkennt (S. 233) " wie ~s ihre ,S tatue mi t dem aus-

wechsel'haren Kopf nur bestatigt. Der Kronprinz, ein seilhüpfender

Idiot, ise beider Sohn, denn sie ~i~sen nicht, welc~er von ihnen

den Jungen gezeugt hat. AIs der gemeinsame Thron durch den Auf-

stand der Babylonier,gefahrdet-wfrd, sprechen sie gemeinsam, , "

schmelzen sie sozusagen in eine handelnde Person zusammerl.

Ganz klare Wiederh~lung findet in der Szene statt, wo die

Stadtleute Kurrubi~inSicherheit bringen wollen. Der Po1izist, der

erste und zweite Arbeiter tr Giumil, Al i und Engibb,i s~gen ihr kleines . ,.

Sprüchchen der Reihe nach auf - ilrren Namen, ihren Besitz,' was sie

dem Mâdchen ah Gutem anbieten kônnen, jeder nach seinem Stand.

Das Stück Der Besuch ~er alten Dame veist, am deutlichsten

Personepverdoppelungen auf. Koby und Loby, die beidén dicken Onkel-

chen sprecheq ~ntweder gleichzeitig oder dasselbe nacheinander, je

nach Gutdünken des Regisseurs; sie treten nur miteinander aut und

. (

-83-

sind durch nichts vonefnander zu unter~cheiden. Beide waren eln-

~l richtige Menschenrnamens Ludwig Sparr und Jakob Hühnlein, doch

Wurden sie für eine inhumane ~ktion, ein Meineid in einem Vater-'

sèhaftsproze13, Eur Rechenschaft gezogen. Sie wurden kastriert und' '1-,

"'" gèblendet, zu pflanzenartigen, auBerl ich und inner'l:ich sich ahneln-

den Gestalten entstellt, um ihre Schuld zu büBen. (?

Die Gatten der Frau Zachanassian konnen laut Bühnenanweisung

vom gleichen Schauspieler dargestellt werden, sie werden uns aIs ,

ZahJen vorgestellt (VII, VIII und IX) oder aIs Moby, Hoby und Zoby. , l

Uber den Gatten·Nr. VII erfahren wir: 1

1 ~ \ r "II ~ -; J

CLAIRE ZACHI\.~S'SIAN: '( ••. ) Eigentlich heiet er ~ ~~!.'t' ,1

Pedro, doch macht sich Moby schoner. Es paet auch

besser zu Boby, wie der Kammerdiener heiet. Den

bat: man schlÏeelich fürs Leben, da tlÛss'en sich

dann eben die Gatten nach seinem Namen richten • ....

(KomOdien l, S. 269)

Toby und Roby' sind von Claire zum Sanfte-Tragen gekaufte Gangsft,er:..; ,:j

." die aIs Eigentum -der Zachanassian jede individuelle Daseinsbe-

rechtigung entbehren.

, In der Hand lung ware die Panthe:r-Episode parallel zur 111-u r Cl

Ermordung zu sehen. 'Das fauchende Tier entkommt und wird endlich

gerade zu' einem Zeitpunkt erschossen, wo III die fürchterliche ~

Angst aufgeht, weil 'er sieht, wie die Leute 'Schulden machen und

:

" '

, '

"

• "

1 )

-84-

0,

seIne prekare Lage nicht berücksichtigen. )[11, den Claire vor

fünfundvierzig Jahren ihren Panther nannte, erkennt in der Er-

schieSung der Wildkatze die Bereitschaft seiner Mitbürger zur

Gewalttat:

ILL: Mich jagt ihr, mich.

(Komodien l, S. 298)

Ahnlich grauenhaft wirkt die Wiederholung des Gelübdes (SchluS-

abstimmung) in der Gemeindeversammlung für die Presse, denn die

B~leuchtung streikte, und auch die Feststellung des enttauschten

Kamerama nns, daS beim zweiten Mal liis Freudenschrei 'Mein Gott'

ausblieb.

Parallel aufgebaut sind die Stationen des Weges, den III in ~

seiner steigenden Verzweiflung Z~I den verschiedenen Behorden an-, . . , ,

tritt, zuerst zur Polizei, da»n' zum Bürgermeister. zuletzt zum

Pfarrer, alles kontrapunktisch zu der am Balkan wartenden,Whiskey

trinkenden Dame dargesteLlt .

. ,

lm Stück Frank aer Fünfte sind kèine Doppelfiguren festzu-

stellen, dagegen~onnen wir einige Wiederholungen in der Handlung

auf!ahlen. Der immeF fast gleich ablaufende G~ngsteralltag wird

z.B. durch das Fru~stück bei Guillaume angedeutet; Guillaume hat r

schon vor der Bestellung alles fertig, weil jedèr G~st tagtaglich

dasselbe zurn Frü~tück i8t. Wiederholung ist auch Eglis Aufregung

" und Ottilies 'Immer ~ch', wie schon im letzten Abschnitt erwahut \

4

\ \

,

-85-

o wurde. Der Schlüssel zum Tresor existiert 1n vielen Exemplaren,

denn jeder Beamte hat sich ein halbes .. Dutzend naclnnachen lassen, .. um sich selber an ~~er Kasse zu bereichern.

\....

Morde an Krankenschwestern bilden den Hauptpunkt der Handlung

des ersten Aktes im Stück Die Ph~iker; dem ersten Mord, vor zwei

Monaten geschehen, folgt ein zweiter, dessen Untersuchung das Stück

einleitet. lm Laufe des Aktes wi~d der dritte Mord verübt. Komisch

wirkt dié Rollenvertauschung, die im Gesprach zwischen dem Inspek-

tor und dem Frl. Doktor nach dem dritten Mord stattfindet. Nach dem

,zweiten Mord muBte sich der ~nspektor korrigieren lassen:

INSPEKTOR: Zwei Morde - , FRL. DOKTOR: Bitte, lnspektor.

INSPEKTOR: Zwei UpglUcksfalle. ( ••• )

(Komodien II, S. 300) o

und wei ter:

INSPEKTOR: Das war er also!

FRL. DOKTOR: Ernst Heinrich Ernesti.

INSPEKTOR;. Der Morder -

FRL. DOKTOR: Bitte, Inspektor.

INSPEKTOR: Der Tater, der sich für Einstein haIt.

(Komodie~ Il, S. 301)

Nach dem:dritten Mord wird elne ahl1lÏche Sachlage besprochen, nur 1

daB diesmal das Frl. Doktor ihre Physiker mit anderen Augen sieht:

FRL. ,DOKTOR: Mo~hten Sie nun den Harder

INSPEKTQR: Bitte, Fraulein Doktor.

'FRL.~KTOR: Ieh meine!\ den Tater sehen?

(Komodien II, S. 326)

,

'.

.-

~86-

8 , 0

und weiter:

FRL. DOKTOR: Dieser dritte Mord -

INSPEKTOR:' Bitte, Fraulein Doktor.

FRL. DOKTOR: Dieser dritte'Unglücksfall

(Komodien lI, S. 326)

Nach der Unterhaltung am Essenstisch, in der die drei Physiker

ihre Positionen kla~ umrissen haben, in der a1so die Physiker ~ls o

Individuen mit individuellen und klar unterscheidbaren' Interessen

\ ' . . dargestellt werden, wird ihnen jegliche WirkungsmOglichkeit durch

die Enthüllungen der irren Irrenarztin genommep. Somit verlieren

sie ihre Personlichkeit und verfallen in die Wiederholung. Das St~ck

endet mit der Selbstvorstellung der Physiker. jeder sagt 1n ahn-

licher For~ den kurzen Lebenslauf' der W~hnidentitat auf und ver-

schwindet einer nach ~em anderen in sein 2immer, d~s zur Zelle ge-

worden ist.

In Herkules und der St~li des Augia~ gibt es kaum Wiederho1un-

gen, Parallelitaten oder Verdoppelungii' auBer der Gestalt des

Polybios, der, kaum vom Krankenbett aufgestanden, wieder aufs

'schmerzlichste mi8handel t wird.

Der Meteor zeigt nur eine Vetdoppelung auf, die aber eine ,

luBerst nebensachliche Rolle spielt, nimlich die' ~willingstochter , ,

des. Mal~rs Nyffenschwander. An Wiederholungen' is-t -die auffalligste

natUrlich der Tod und die sich zweimal erei~nende Auferstehung des 0

\ \ \ \ '

1

'"

-87-

~

Schriftstellers Schwitter. Die Leute, die revueartig an se1nem 1)

Sterbebett vorbeiziehen, gehen aIle irgendwie an ihm zugrunde:

- D~F ~farrer Lutz, ~er Schwitter bei der Verbrennung seiner

Manuskriptè und ta~ender Banknoten behilf1ich ist, stirbt .plotz­

lich nach der unge;9hnlichen Aufregung.

- Der groBe MUh~, der über die angeblicheUntreue seiner ver­

storbenen Frau nicht hinweg kann, wirft ~nbedacht d'en etwas Ui-

stigen Maler Nyffenschwander die Treppe hinunter und begeht somit

e1nen Mord; gesund und achtzigjahrig ist er dann doch voilig er-

ledigt~ aIs sich die Geschichte mit seiner Frau aIs Halluzination

des sterbenden Nobelpreistragers und Geschicht~nschreibers er-/ c

weist.

- Olga, 'die vierte Frau Schwitters, nimmt sich aus Li~be zum ver-

storbenen bzw. immer noch sterbenden Gatten das Leben.

- Jochen Schwitter, der Sohn, der mit seinem extravaganten Lebens-

stii auf die Erbschaft angewiesen ist, erfahrt, d~a das Geld ver-

brannt ist. Er kann also seih gewohntes Leben nicht auf dieselbe

t Art u~J}Weise fortführen. J • \

1

- Auguste Nyffenschwander, der na~h einer halben Stunde des Allein-,

seins mit Schwitter die Augen aufgehen, verIaBt ihren nichtswürdigen

Mann, der dann vom groBen ~uheim, wie oben erwahn~, aus dem W~g ge-

schafft w'Îrd.

- Carl Roppe, der Verleger, dem der 'verstorbene' Schwitter durch •

eine verschIüsselte Lobrede vom,Starkritiker aIs Profitquelle ver-~

Loren geht, muB noch dâzu erfahren, daB der Schrift8telle~ Verlags~

\ , \

"

• ., ,

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\

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, ' -

-88-

geider mitverbrannt hat, und daB er geschaftlich voilig er-

Iedigt ist.

- Professor Schlat,ter, der Chirurg, hat seine wissenschaftliche

. '-' GIaubwürdigkeit eingebüBt, denn eine bzw. zwei Auferstehungen

gèben einem Arzt, der den Tod klinisch festgestellf hat, den

todlichen StoB.

- AIs letzte stirbt Frau Nomsen, Abortfrau und Schwiegermutter "

des Sebriftstellers, ~achdem der Tod ihrer TocRter ihr eine

'fürchterliche Lehre' war. (D~r Meteor, S. 67)

" u

Muheim und Nyffenschwander sind beide von Schwitter auf ahn-

liche Weise in ~hrer Ehre verletzt worden. Auguste Nyffenschwander

hat mit Sehwitter gesehlafen und darauf ihren Mapn verlas$en, und

"\

die verstorbene Frau Muheim solI ihrerseits dem armen Künstler

Schwitter die Miete immer zurilckgegeben haben, denn sie war-nicht

nur kunstliebend sondern aueh künstlerliebend, l~ut Schwi~ter. , ~

Huheim uaP. Nyffenschwander gebrauchen dieselben Worte, um ihren .

• Unmut kundzutun:

Î

MUHEIM: Ieh konnte\' Siil zerfetzen:'

SCHWITTER: Ich steh~ zu Ihrer VerfUgung. • '{i

MUHEIM: Zermalmen. ~,',

SCHWITtERt ver~eifen Sie sieh ruhig ~n mir.

r

)

"

(Der Meteor, S. 28) ~

und:

• 1

NYFFENSCHWANDER: ,lch kônnte Sie zerfetzen!

SCHWITTER: tch stehe zu lhrer Verfü~~ng •

1 • i .. \

\ '0

";Jf- \

-89-

NYFFENSCHWANDER: Zermalmen!

SCHWITTER: Vergreifen Sie sich ruhig an mir.

o (Der Meteor, S. 46)

Auch die Zigarre kommt zweimal vor; beim ersten Mal mOchte Muheim

im Atelier rauchen, wird aber von Schwitter zurechtgewieseo: "Nicht

rauchen, wahrend ich sterbe." (Der Meteor, S. 28) Jedoch beim zwei­

ten Mal erschrickt Muheim selbst, aIs er sich beim Anzünden er­

tappt, &bwohl Schwitter diesmal auch mitrauchen mochte. (Der Meteor,

S. 51)'

3.1. 3. Sprache

Komische Effekte, die zum Teil in der Sprache verankert sind,

erzielt Dürrenmatt in den mit Pathos beladenen Worten der Wieder-

taufer, die das Stück Es steht geschrieben ei~leiten. Das Sprach­

niveau und der apokalyptische lnhalt wird zur Lacherlichkeit hin­

untergezogen durch die zerlumpten und ungekammten Gestalten der

Wiedertaufer,'die, auf der Bühne knieend, abwechselnd ins Publikum

sprechen.

AIs auf die wafrwortliche Bedeutung eines Wortes oder auf ver­

schiedene Bedeutungen"eines Wdrtes z.B. mit oder ohne Prifix an­

spieleod, sind foigende Beispiele zu nennen:

JOHANN BOCKELSON: ( ••• ) Ich werde aIs ein leuch­

tendes Meteor durcb eure N1cbte stUrzenl

o.

-90-

DIE WACHE: Wie denken lhro Gnaden 50 hochgespannte

Plane zu verwirklichen?

(Komodien II, S. 23)

AIs Spiel mit einem Wort:

DER M5NCH: Das ist ungerecht! Ich gehore vor ein

geistliches Gericht und nicht vor ein Ketzergericht.

ERSTER SOLDAT: Ihr gehort vor allen Dingen vor das

Jüngste Gericht!

(KomBdien II, S. 40)

~OHANN VON BUREN: Es kommt nicht darauf an, wem

wir dienen, es kommt darauf an, daB wir verdienen.

(KomOdien II, S. 54)

JOHANN BOCKELSON: Was macht ihr da auf dem Boden,

Graf Gilboa'l

DER KOCH: Ich mache nicht auf den Boden, ich

drilcke nur meine untergeordnete Stellung aus. 1

(KomBdien Il, S. 104)

Von einem Wort aus wird ein Beweiskreis gebildet, der sich mit dem ~

Anfangswort wieder schlieBt und somit die Aussagekraft des Ausgangs-" q

satzes steigert:

KNIPPERDOLLINCK: Wer bist du? 1

JOHANN BOCKELSON: Ich bin Niemand. Sieh die Fefzen

an meinem- teib! Ich bin ein hungriger Hagen, und ein

hungriger Hagen ist leer und leer ist, nichts! Und wo

nichts ist, ist niemand.

(KomOdien II,, S. 29)

Der Typ des gelehrten Narren, der das 'Rappeln' im Kopf bat, ist

einer der StraBenkehrer, die Bockelson in dem Mistlarren finden.

Er würzt seine Bemerkungen mit akademischen Brocken, tei1s auf

\\

• '1

-91-

Lateinisch, scheint aber dochl eher nur eine Fratze des Wis~ens ,

,~ aufzusetzen. Auf diese Weise kann es zum folgenden, sich reimen-

t

den Wortwechsel kommen:

~.

DIE WACHE: Judico, ergo sumo

ERSTER STRASSENKEHRER: Sehr wohl, euer Strengen,

ergo dumm.

(KomOdien II, S. 19)

Die Vermengung von Wesentlichem und Unwesentlichem wirkt komisch -

es werden im folgenden Beispiel Feldherren aufgezahlt, die in der \ L

Schlacht gefallen sind, und dieser menschlichen Tragik wird der

Verlust einer Trommel gleichgestellt:

DER TROMMLER: Das ist eine kapitale Niederlage,

Feldherr!

JOHANN VON BUREN: Steding tot, Westerholt tot, alles

tot!

DER TROMMLER: Und meine Trommel entzwei!

(Komodien II, S. 63)

Ahnlich ist folgender Vergleich, der zwei sehr verschiedenartige

Bereiche in Verbindung miteinander setzt. der, obwohl nicht gerade

zur Würde eines Konigs passend, doch in Bezug auf Bockelson (man •

denke an seinen monstrosen FreBmonolog) das einzig Richtige aus-

sagt:

DER KOCH: Heil, Konig Bockelson, Heil!

Was die Blutwurst unter den Würsten,

das bist du, 0 Konig, unter den Fürsten!

(KomBdien II, S. 104) '.

-92-

Das Stück Der Blinde weist unzahlige Beispiele der Sprach-

komik auf, da die Grundsituation - der seligmachende Glaube eines

Blinden versus die unse1i,ge Realitat des DreiBigjahrigen Krieges -

der Sprache eine besondere Wichtigkeit verleiht und den Wider-

spruch zwischen dem, was gesagt wird und dem, waS'ist, erst richtig

hervorhebt. Die Zweideutigkeit des Gesprochenen kann aIs durchaus

komisch auf den Zuschauer wirken, jedoch ist nicht zu ver8es8eR,daS

wir hier eine Variation des klassischen Schemas der Tragikom6die

haben, namlich die bewuf3te Tauschung, die e~ne zur Tragik fahigen

Person (und der Blinde ist tief und würdig) in einer zu ihm nicht

passenden Umwelt erleidet. 18 In diesem Fall tauscht die leiden-

de Person sich selbst bzw. wird in ihrem Irrtum durch Sohn und Hof-

dichter bestatigt und haIt diesen Glauben gegen aIle Anstürme der

Wirklichkeit, die von dem schwedischen Feldherrn Negro da Ponte

'1 in verschiedenen Ausführungen unternonunen werden, aufrecht. Hier

nun einige Beispiele:

Der Herzog bat durch eine gewissermaf3en gnadenvolle Krankheit die

Zerstorung seines Herzogtums durch den Krieg nicht wahrgenommen

und glaubt, da er jetzt wieder gesund vor den Trümmern seines

Schlosses sitzt, alles w!re beim Alten geblieben. Ein Feldherr

• aus dem Heer von Wallenstein geht vorüber •••

DER HERZOG: Es ist ein schones SchloB, Edelmann. 6

NEGRO DA PONTE: Ein Uberaus luftiges SchloB.

DER HERZOG: Was wollt Ihr damit sagen?

NEGRO DA PONTE: Es ist sehr in die Luft gebaut •

(KomOdien II, S. 124) .

~/

Jo

-93-

und weiter:

PALAMEDES: Wie gefa11t Euch unser Sch1oB?

NEGRO DA PONTE: lch gebe mir Mühe, es nicht zu

übersehen. o

(Komodien II, S. 127)

Der diabo1ische Negro da Ponte nimmt sich~vor, dem B1inden sozusagen

die Augen zu offnen, seinen Glauben zu zerstoren und ruft zu diesem

Zweck sein Heer herbei, ein Heer, das aus dlh zerrissensten und zer-

1umptesten Gesta1ten zusammengewürfe1t ist, darunter ein Schauspie-

1er, eine Dirne, ein stamme1nder Neger usw. Mit diesen Leuten will

er dem Herzog eine trakische KomBdie oder komische Tragodie vor-

spielen. Palamedes, dem Sohn des Herzogs, werden einige dramatis

persooae mit Beschreibung ihrer Charaktereigenschaften vorgeführt:

PALAMEDES: LaSt mi ch eine Nonne sehen.

Aus dem Hintergrund kommt die Dirne.

DER SCHAUSPIELER: Mehr denn eine Nonne: Eine

Abtissin. Ein Wunder an Tugend, ein Wunder an

Nachstenliebe. Sie liebt our aus nachster Nahe. d

lm vollsteo Besitz der Keuschheit, eine GroS-

grundbesitzerio an Keuscbheit, mit bestem Ge­

wissen zu sagen. Ganze Rekrutenbataillone haben

ihrè Keuséhheit an diese Dame abgegeben, sie

konnte unseres Kaisers Armee damit einkleiden.

(KomOdien II, S. 139)

PALAMEDES: Zeigt mir den Naturburschen.

Lucianus tritt vor.

DER SCHAUSPIELER: Ein besonders natUrliches Exemp1ar.

Es gibt nichts NatUr1icheres fUr ibn, aIs Burschen

zu lieben •

(KomOdien II, S. 140)

;

~, ,

-94- •

AIs"die sogenannte Abtissin, die Grafin Freudenberg, den Herzog

um Schutz bittet, entfaitet sich das ganze double entendre, und

der Herzog kann alles" in seinem Sinne verstehen. So kommt fol-

gender Wortweehsel zustande:

,

DIE DIRNE: Ieh war Abtissin eines Klosters.

DER HERZOG: Wo befand sich dieses heilige Haus?

DIE DIRNE: In Münehen in Bayern. Wir gaben uns

ganz dem Dienst der Liebe hin. Wir waren nie un­

willig. Stets waren wir bereit, uns denen zu

sehenken, die uns notig hatten. Keiner ging von

uns, den wir nieht erieichtert hatten. Wir maeh­

ten viele Mensehen mit unserer Liebe glUeklieh.

DER HERZOG: So habt Ihr Eueh in Liebe aufgeopfert.

DIE DIRNE: Ieh habe Tag und Naeht geopfert.

DER HERZOG: Die Liebe allein ist nicht umsonst,

Grafin.

'DIE DIRNE: Wit..,l ieben nie umsonst. , }.~ DER HERZOG: Warum habt Ihr Euer Kloster veriassen?

,DIE DIRNE: Wir sind übermannt worden.

DER HERZOG: "Ihr seid nun auf der Flucht? , /-\

DIE DIRNE;/Ich'werde von einem Feldherrn zum an-

dem getrieben.

DER HERZOG: Es sind schli~ Zeiten auBerhalb

meines Landes. '" .

DIE DIRNE: Man gerat standig unter Soldaten~

~ER HERZOG: Wer den Boden meines Landes betritt,

fürchte sich nicht. Was mi~ gehBrt, gehOre Euch.

Schenkt Eure Liepe denen, die Euch qier umgeben.

DIE DIRN~: Ich werde aIle mit meiner Liebe beglUcken.

DER HERZOG: Ich entlasse Euch' in voIler Gnade.

(Kom8dien II, S. 144)

\ . . l '

\

o <

\ \

.-

, ,

,(

-95-

Dieses double et'en~re-wird auch von sehenden Leu~n beansprucht -

d.h. der Wortwitz ist nicht nur in der Gegenüberste11ung von G1aube

und Wirklichkeit fruchtbar, wie in den foigenden TextsteIIen z.B. ,

e1n Wort in.:'mehreren Bedeutungén durchgespieit wird~ AIs Negro da ~ l ... -: (

" 1-

-Ponte im qegensatz zu seiner früheren Angabe - er sagte, er sei

ein schwedischer Fe1dherr - sich aIs Feldher~ des Wallenstein aus-,

weist, bemerkt er: 1

/ 'i

r,

NEGRO DA PONTE: Es ist gut, vorsichtig zu sein.

PALAMEDES: Dabn werdet Ihr keine Kinder haben.

wir sprachen eben von He;rn Wallenstein. Ich

schatze ihn, denn er ist vielseitig: Ein tüch­

tiger Barbier, er hat dieses Land kah1 gescho­

ren, ein guter KuppIer, er hat es gleich mit den

Ratten in ein Bett gebracht, und ein wackerer . Missionar, der das ganze Gebiet zum Jenseits

bekehrt hat.

(Komodien II, S. 127)

Auf ahnIiche Weise-Wird mit dem Wort Grund aIs Ursache und Be-

grenzung gespielt in foigender ,TextsteI1e:

DER HERZOG: Ihr seid unglücklich, und ich kann

Euch nicht helfen. lhr habt mir noch nie den

Grund Eures Kumme~ entdeckt.

" PALAMEDES: Mein Kummer hat 1çeinen Grund. Er o

ist bodenl9s. Ihr seid blind, und es ist 1eicht,

glücklich zu ~ein, wenn man blind ist'-.

(KomBdien II, S. 1511.)

Auch 80 mi! dem Wort treffen:

NEGRO DA PONTE: ~freut mich, Euch zu treffen,

mein Prinz.

\

"

• ,

,..

-96-

\ PALAMEDES: Ihr habt mich miLten ins Herz getrof~ •

fen. Ihr habt aus meiner Schwester eine Dirne ge-.

macht.

(Ko Il, S. 156) "'T"'"--=-~-

Komik kann durch Wiederholung mit bedeutungsvolle Veranderun)?en,

jedoch mit ahnlichem Lautbild, erzielt werden. Foigendes ~eispiei

aus dem Blinden erinnert an eine Stelle in Es steht geschrieben:

SUPPE: Seht, ein Weib.

PALAMEDES: Seht, ein Kleid.

(Komodien II, S. 153)

Zum Vergleich nun die Stelle in Es steht geschrt.rben:

DIE WACHE: Judico, ergo sumo

ERSTER STRASSENKEHRER: Sehr wohl, euer Strengen,

ergo dunun.

(KomOdien II, S. 19)

AIs Sprachkomik zu verstehen sind die Urlaute (Bohmisch!), die deü

Neger/Wallenstein zur BegrüSung ausstoBt, wie auch der darauffol-'

gende Siegermonolog:

,1

DER NEGER: Mir gehoren Bauch, und mir gehoren

, Erde,' die ich freS und die ich tu in meinen

Bauch.

/

(KomOdien II, S. 176)

Die Spr~~hkomiK im Stück Romulus der GroBe umfaBt ein weltes

Spektrum: Zunachst anzufUhren ware clas uoangeme8sen~ Sprachniveau -

der Ant1quitatenha~ler Apollron spricht ein wenig geringschat~ig

von den BUsten der ehrwürdigen romischen Kaiser:'

• /

... 97-

APOLLYON: Für den ganzen Rummel gebe ich zehn

Goldstücke.

J(Komodien l, S. 25)

Ahnliche Komik wird durch die Person d~ Casar Rupf, Hosenfabrikant,

erzielt. indem er okonomische MaBstabe und natürlich auch dement-

sprechen~e Terminologie in seiner Geschaftsunterredung mit Romulus

gebraudMt, gerade in Anwesenheit des ostromischen Kaisers Zeno, den , 1

das MiSachten des Hofzeremoniells - Rupf ~ibt ihm einfach den Hut

zu halten - etwas b~fremdet.

" , o Rom~lu~, der nüchterne Denkei~ !aSt sich überhaupt nicht aus , -

der Fassung bringen. Sogar die Tatsache, daB ein Bote ibm die Nach­~

richt der romische;'Niederlage bei pavia überreichen mochte, ver-

''''7nlaBt ihn nicht, sein - nicht Frühstück, sondern - Morgenessen zu

unterbrechen. Er erklart dem aufgeregten Innenminister, wie es mit

'weltumstürzended Meldungen' beschaffen ist:

TULLIUS ,ROTUNDUS: Majestat! Es handelt sich

eine weltumstürzende Meldung!

ROMULUS: Meldungen stürzen die Welt nie ume Da ,

tun die Tatsachen, die wir nun einmal nieht

dern konnen, da sie sehon gesehehen sind, wenn

die Meldungen eintreffen. Die Meldungen regen

die Welt nur auf, man gevohne sie sieh deshalb

so weit aIs mBglich ab. .:

1

\ -(KomBdien 1, S.' 16)

\ Es wird ihm aber die Unterhaltung über dasselbe-Thema - der sichere

Untergang Roms und ~as denn zu unternehmen sei - mit seiner Prau

,-

o

-98-

nicht erspart. Julia, aufgeregt wie aIle, kan~-' die unfaBbare

Ruhe ihres ~nes nur schwer ertragén, Wle es folgender Wort­

wechse~ Z~gt. Romulus' Logik ist schier unwiderlegbar:

JULIA: Ich mua dich bitten, an m~in krankes

Herz zu denken.

ROMULUS: Drum setz dich und iB.

(Kdmodien l, S. 17) ,..

Aus klar ersichtlichen Gründen fordert sie ihren Mann auf, mit

ihr zu f1ieben, ~h er erwidert mit einem Wortspiel: U -

ROMULUS: Der Kaiser flüchtet nicht.

JULIA: Das wird dich den Kopf kosten. ~

ROMULUS: Und? So11 ich deshalb "s~hon jett't kopflos

handeln?

(Ko~odien l, S. 49)

Eine gewisse logische aber-doch trügende Kraft haftet an der

Sprache, wenn sie, durch geschickte Formulierung, einen Sachver-

haIt geradezu in sein Gegenteil umkehrt. So der optimistische Kriegs-

minister, der aus der für die Romer ungünstigen Kriegslage do ch

noch das Beste herauszieht, ~ei er sich des Trugschlusses über­

haupt nicht bewuBt wird:

MARES: Die.Zeit arbeitet fUr uns. Die strategische

,Lage wird stündlich günstiger. Sie Vèl-bessert sich

von Niederlage zu Niederlage. Je mehr sich die

GerŒ@nen in die Halbinsel hinunterwagen, desto

mehr geraten sie in eine Sackgasse, ~nd wir kOnnen

sie von Sizilien und Korsika her mit Leichtigkeit

~ über den Haufen rennen.

\

(KolDÔdien l, 'S. 36)

)

•• -99-

Der Kais~r von Ostrom, Zeno, befindet sich schon seit geraumer

Zeit~f der Flucht vor den Germanen, ist schon heiser vom Auf­

sag~n des unglaublich langen "Hilfe erbitt -ich", die Formel, die

das byzantinische Zeremoniell für einen Asyl suchenden Kaiser vor-

sehreibt, meint es aber trotz allem ehrlich, wenn er laut und mit

Uberzeugung sagt:

ZENO: ( ..• ) Ieh will von Athiopien aus meinen

unbeugsamen Kampf g~gen den Germanismus fort­

setzen.

(Komodien I, S. 25)

w

lm Stüek Die Ehe des Herrn Mississippi benutzt Dürrenmatt

für einige Gestalten eine Redeform, die in ihrer Unnatürlichkeit

sehr befremdend wirkt - ein Stilmittel wie es z.B. der Ein~angs-

monolog der Wiedertaufer in Es steht geschrieben aufweist; so-z.B.

die drei feierliehen Geistlichih, die nacheinander die Worter jhres li

Lobspruches aussprechen:

L

DER ERSTE: AIs V~rtreter des Synoda1rats -

DER ZWEITE: der Diozese -o

DER DRlTTE: und der Kultusgemeinde un~erer Stadt -~ 0

DER ERSTE: sind wir gekommen, Ihnen verehrte -

DER ZWElTE: liebe -

DER DRITTE: gnadige

t DER ERS TE : Frau, 1n dieser schweren Stunde zu danken.

(Komodien l, S. 121)

Gleicherma8en wei taus komischer wirkt die Sprech-

weise der Arztekommis ion, die Mississippi auf Befeh1 des neuen

~ J f

,­.'

/ ,

o

-100-

Ministerprasidenten 'zur Begutaehtung in die K1inik' überführen.

Der psychiatrische ArztekongreB hangt buchstablich an jedem Wort,

das der. Prof. Uberhuber über d~ Fa11 ausspricht. DaB die Szene

nieht ins Tragisehe führt, - imme~n wird ein Mann Opfer einer

po1itischen.lntrige und hat die Aussieht, den Rest ,seines Lebens

im I~haus zu verbringen - dafür sorgt Dürrenmatt, indem er die

Arzte a1s komische Figuren auftreten laSt. Bek1eidet mit weiSen

Kitte1n und dieken Hornbri11en stromen sie durch Türen, Fenster

und sogar dureh die Standuhr in das Zimmer hinein. Demse1ben ko-

mischen Zweck dient der Einfall, die Arzte jewei1s die 1etzten

Worter des Prof. Uberhuber ehrerbietig wiederho1en zu 1assen: \

PROF. UBERHUBER: Typischer Fall von Psychose durch

atypische Schizophrepie.

ARzTE: Atypisehe Schizophr~nie.

MISSISSIPPI: Ieh vergiftete meine-erste Fr~u.

PROF. UBERHUBER: Die fixe Idee.

ARzTE: Fixe Idee.

(KomOdien l, S. 142)

In Ein Enge1 kommt nach Baby10n beruht ein Teil der Komik auf der

Naivitat des Engels, was s~eh dann auch tei1weise in Wortwitzen

oder in se1bstverstandlichen aber ganz neu formulierten Au~sagen

niedersehlagt.· Der Engel weiS nieht viel-von der Erde und den Men-

sehen, ist aber wissensdurstig und stUrzt sich eifrig in seine For-

.,.... .. sehungsarbeLt. Angefangen w1rd m1t dem Euphrates:

DER ENGEL e t die Ufermauer hinunter und steckt den

Finger in Wellen, 'worauf er ihn zum Munde führt: ,

..

.' o

-101-

' .

• Er scheint aus einer Unmenge von angesammelten Tau zu

bestehen. "

(KomBdien I, S. 167)

Es ist noch zu früh a~ Morgen, um den ~ett1er Akki zu se,chen, dem 1

o Q Kurrubi, die Gnade, üb~rgeben werden sollte; Kurrubi und ihr Be-

gleiter 1egen sich zunachst hin, mit der L~ndkarte zugedeckt, C)

denn:

DER ENGEL: ( ..• ) Mich friert"obschon dies nach der

Karte eine der warmsten Gegenden der Erde sein solI.

Es ~cheint ~ich um einen kalten Stern zu handeln.

(KomBdien I, S. 169)

Tatsach1ich Ïst die Erde ein ka1ter Stern, jedoch nicht genau in D , _

dem Sinne - daa man desha1b frieren mua - wie der Enge1 es meint. , Zweideutigkeiten sind Bfter in Akkis Sprache zu konstatieren,

wobei aber dieses Sti1mitte1 bei ibm nicht auf Naivitat ~ie beim

Enge1 hlDweist, sondern eher seine Sch1auheit und ScK(agfertig­

• G •

keit, seine Begabung, aus jeder Situation das Beste herauszuz1ehen,

~, bestatigt.

..

Akki bat sich, um nicht gehenkt zu werden, den Henkersberuf

eingehandelt und erscheint in Berufskleidung, ohne jedoch seine e <

wahre Identitit preiszugeben, vor seinem Çebieter, Nebukadnezar:

NEBUKADNEZAR: Ist mit dem Betteln aufgeraumt? \'

AKKr: V'dllig. o

NEBUKADNEZAR: Der Bettler Alli?

<l,

o

. .

• , ,

• .,

-102-

AKKI: Verwande1t. Nicht einma1 Majestat würde ihn

erkennen, stUnde er vor Ihnen. ~

NEBUKADNEZAR: AufgeknUpft?

AKKI: Erhoht. Er bewegt sich 1n den hôchsten Kreisen.

NEBUKADNEZAR: Der Mazen der Dichter wird sich kaum

im Hitllllel b:finden. (~î AKKI: Etwas tiefer.

(Komodien l, S. 226)

Seine Verkleidung wird sogar auf gewisse Weise komp1imentier~:

NEBUKADNEZAR: Du bist der ein~ige in meinem Reich,

der sich nicht verstellt, der ist, der er ist.

AKKI: Majestat, das finde ich etwas übertrieben.

(Komôdien l, S. 233)

Akki Ubt natürlich seinen neuen Henkersberuf nicht aus. Die Dichter,

die ihr Leben aufgrund einer konig1ichen Laune einbü8en sollen,

bringt Akki zwar in die koniglichen Verlies~, bereitet aber fUr

sie nicht den Strick, sondern ein gro8es Besaufnis vor:

NEBUKADNEZAR: Du hangst die Dichter auf?

Von links torkelt ein Dichter auf die Bühne,

aus einem riesigen HUmpen trinkend. Akki winkt

ibm energisch, zu verschwinden. Der Dichter

torke1t wieder hinaus.

AXKI: Ich versetze sie in andere Umstande.

(Komôdien l, S. 232)

D

Pein1ich wird es, wenn die Party ein weni8 zu 1aut und lustig wird,

fas passende c

aber auch fUr diesen FaU hat Akki Wort bereit:

NEBUKADNEZAR : Was ist denn dies fUr ein Gesinge,

Henker?

AKKl: Die Dichter. Sie stÏDeen ihre Oden an.

/

·'

o

\

• u

-103-

NEBUKADNEZAR: Sie tonen seltsam frohlieh.

AKKI: Die babylonisehen Diehter verbraehten ein

so trauriges Leben, daB sie sieh nun freuen, in

ein anderes zu kommen.

(Komodien l, S. 232)

Von Zeit zu Zeit überraseht das Spraehniveau. AIs der éndgültige

Termin für Akkis Eintritt in den Staatsdienst übersehritten ist, u

kommt der Henker, der Feierliehe genannt, um endlieh, naehdem es

viele Male irgendwie verhindert worden i9t, dem LebenAkkis ein

Eude zu bereiten. Diesen 'Feierliehen' grûBt Akki in einer früheren /

Fassung des Stücks mit einem schliehten 'Salü', der seinerseits o

ebenso einfach 'GrüB Gott' erwidert. In der vorliegenden Fassung

strebt Dürrenmatt das andere Extrem an - der GruS ist mit Pathos

.beladen:

DER FEIERLICHE: GegrüBt seist du, Bettler Akki, ~

gegrüBt.

AKKI: Was willst du?

(KomOdien l, S. 213)

Da Akki ziemlich alles durehgemaeht bat, was man einem Menschen

zu~rauen darf, und dennoeh lebensfreudig der Zukunft entgegen

sieht, ohne VOn seinen Prinzipien abzuwei~hen, kann man ibm seinen

Sarkasmus nicht verdenken. Um Akki zum Staatsdienst zu überreden, ~ ~

bat man ihn auf der Polizeiwaehe gefoltert; danach kommt der Poli-

zist geschiftlich bei Akki unter dem Bfùckenbogen vorbei:

DER POLIZIST: Ieh habe eine Heuigkeit für dieh.

AKKI: Eine neue Folterzange?

(Kom84ien I, S. 199)

\ -104-

_ t , ~ 1

Ein guter Teil der Komik am Anfang des StUtkes Der Besueh der

alten Dame beruht auf dem Untersehied zwisehen der steinreiehen

alten Dame, die man erwartet, und der allen Erwartungen widerspreehen-

den alten Dame, die den Schnell~ug durch Ziehen der Notbremse zum

Halten bringt. Dieser Unterschied wird in der saloppen Spraehe, die

man eigentlich nicht von weltberühmten Leuten erwartet, die sich aber

andererseits nur solche Leute leisten konnen, klar zum Vorsehein

c gebracht. Ein Menseh. der die Notbremse zi~ht, muS wahl se1ne Grün-

de dafür haben, und Claire Zachanassians Grund entbehrt nieht einer

gewissen zwingenden Logik:

~ER ZUGFUHRER: Ieh Wqrte auf eine Erklarung. Dienstlich.

lm Namen der Eisenbahndirektion.

CLAIRE ZACHANASSIAN: Sie sind ein Schafskopf. Ieh w~ll

eben' dat) St~dtehen mal besuehen. SolI ieh etwa aus

Ihrem Schnellzug springen?

, (Komëdien I,~ S. 266)

Ihre Respektlosigkeit nimmt man selbstverstandlich ohne AnstoS, "-

wenn auch etwas verblüfft, hin; dem Zugfilhrer sagt sie, er solle

mit seinem Zug davonbrausen {Komodien I, S. 267),dem Bilrgermeister

gratuliert sie zu den beiden GOren {KomOdien l, S. 270),der Lehrer

solI mit seinem ,schliehten Volkslied losschieBen (Komëdien l, S. 269)

und mit ihrem alten Liebhaber niIlUDt sie sieh auch kein Blatt vor 0

den Mund:

CLAIRE ZACHANASSIAN: Ieh nannte

Panther' •

Ill: Der bin ich noch •

"

schwarzer

"

a ,,1

1 • -105-

) CLAIRE ZACHANASSlAN: Unsinn. Du bist fett geworden.

Und grau und versoffen.

(Komëdien 1, S. 268)

Sie spricht mit der Siche~heit und Uberlegenheit einer Person, die

sich ihrer Macht vollkommen bewuBt ist, und die sich demgemaB nichts ~

4US kleinen artigen Hoflichkeitsspie1chen macht; wie man sich l~cht

denken kann, haben auch ihre Komplimente durchaus realistisch-r

derben - und dementsprechend wenig schmeichelhaften - Charakter.

Nach dem Empfangs1ied sagt sie:

CLAIRE ZACHANASSlAN: Gut gesunden, GUl1ener. Be­

sonders der blonde BaB links auBen mit dem groBen

Adams~fel w~r eigenartig.

(Komëdien I, S. 270)

;

Chorahn1iches, undia10gisches Sprechen wurd. sehon in den voran-

gegangenen Bemerkungen zu anderen Stüeken erwahnt. lm Besueh der

alten Dame sprechen die GUllener am Anfang in das Publikum hinein,

ohne miteinander zu reden; sie besehreiben ihre fürehter1iehe wirt-

sehaftliehe Lage ln Ein~eirollen. Am Ende gruppieren sie sieh zum • f~~

~ièhtigen Chor zusammen und besingen ihr neugefundenes ~ensehen-

würdiges Leben. Genaue Definitionen, wie wir sehon bei der 'welt-

umstürzenden Meldung' in Romulus der GroBe gesehen ~ben, werden

in diesem StUek aueh gebraueht. III geht zur Polizei, weil er Angst

bat, weil er sich vom Vorsehlag der alten Dame ernstlieh bedroht

fühlt. Der Polizist erwidert aber darauf:

DER EOLIZIST: Unlogisch. Sie k8nnen nicht durch

einen Vorschlag bedroht werden, sondern nur durch

das AusfUhren eines Vorschlags.

(Kom8dien I~ s. 295)

o

-106-

Frank der Fünfte drückt komische Situationen auch dur~ Songs aus; die Sentimentalit~t der Gangster, ihre Sehnsucht nach

bürgerlichem Anstand, ihre Klagen über ihre verbreeherisehen "

Tatigkeiten und das Jammern über die katastrophalen gesundheitliehen i

Folgen des nervenaufreiBenden Berufs werden im Zusammenhang mit

Musik gebraeht. o

Auf die Wiederholung mit Umkehbung in der Untersuchung der

Morde in den Physikern wurde im vorigen Abschnitt hingewiesen, .

ebenso auf die undialogischen SchluBworte der drei Physiker. Noeh

zu erwahnen zum Punkt Sprache ware das una?gemessen saloppe Spraeh-

niveau, ~hnlich wie wir es sehon bei Claire Zachanassian bemerkt

haben, das dem Frl. Doktor in ~er Unterredung mit der Familie

Rose zugeteilt wird. Sie spricht mit derse~ben Uberlegenheit und -- -~

.' gebrauch'D hoehst umgangssprachliehe Redewendungen:'

FRL. DOKTOR: ( ••• ) Geld liegt wie Heu herum,_ und es

ist meine Pflieht aIs Arztin, Ihrem Johann Wi~helm­A

lein davon etwas zuzuscbaufeln. Sie sollen mit einem

guten Gewissen nach den Marianen dampfen dUrfen.

(Kom5dien II, S, 308)

AIs dann das Fr~. Doktor Gesch~ftsleute zu einer Trust-Sitzung

empfKngt, wird kein Kaviar und Sekt aufgetragen, denn:

FRL. DOKTOR: Die KoryphKen sind nicht da, um zu

schlemœen, sondern um zu arb~iten.

(Komadién II, S. 345) •

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• '.

-107-

Von dem~ungewohnl~chen Zahlensystem der Efier im Stück Herkules

und der StaIl des Augias und den daraus resultierenden Kommuni-

kationsschwierigkeiten ('drei mal drei mal drei mal zwei weniger

drei weniger eins' - Komëdien II, S. 409) war schon oben die Rede.

Wie schon in anderen Stücken wird wichtigen, hochgestellten

Personen manchma~ sehr umgangssprachliches Ausdrucksniveau zuge-

~eilt. Der. Prasident der Bauerndemokratie, Augias, stellt uns

seine 1<inder vor:

AUGIAS: Phyleus, mein Sohn, ein achtzehnjahriger

Bengel, und Iole, mein Tochterchen. Vierzehn. So

ihr beiden, tanzt wieder ab.

(Komëdien II. S. 370)

Komisch ist auch die mit Pathos beladene Sprache des armen, ge-

schundenen Sekretars. der balb aIs Narn. batb aIs miBbrauchte

aber tr~ wùrdige Person, Herkules begleitet und berat:

POLYBIOS: ( ••• ) Ich heiBe Polybi9s und stamme aus Samos.

1ch bin der Privatsekretar unseres Nationalhelden

Aber auch d~e gedemütigate, zusammengeschlagenste

Kreatur - ich wllhle bewu8t diese Worte - wird ein­

mal reden, einmal nach aIl den endlosen und -

wenn ich den Verlauf der Geschichte grosso modo

.betrachte - doch wahl fruchtlosen Jahrhunderten,

J.

die seit meiner Zeit verfl08sen sind. Und 80 rede

ich denn, enthülle ich denn. Auch wir sehnten uns

nach einem~Platz an der Sonne, auch wir hofften auf

ein meRschenwUrdiges Daaein. Wo landeten wir? ner Zuatand unserer BUhne ~agt alles. Doch genug. Kein

Meister koJœlt •••

(Kom6dien ll~ S. 362) J

M '

"

-108-

Auf ahnlich epische Art und Wei~e stellt sich Augias uns vor" ~

wenn auch nicht mit solchem pathetischen Ton aber auf jeden Fall

ehrlich und affektlbs, und der Brieftrager, der gesch~atzig ùnd

witzig einige Ereignisse der Zukunft, die zwar mit Herkules aber ,

nichts mit dem Handlungsablauf unseres StUckes zu tun haben, vor-

wegnimmt.

Chorartiges Sprechen, ge die GUllener es benutzen, um ihre

trostlose Lage auszudrücken, mac den Haup~teil der Beschreîbung 1

des vermisteten Landes aus. Die eute fUhren keinen Dialog aus,

sondern sprechen einfach auf epische Weise, ein jedet seinen

kleinen Satz:

ERSTER: Es stinkt in unserem Land, da8 es nicht 2um

Aushalten ist.

ZWEITER: Der MistI steht 50 hoch, da8 man Uberhaupt

nur noch Mist sieht.

DRITTER: Letztes Jahr sah'man noch die Hausdacher,

nun sieht man auch die nimmer.

VIERTER: .Wir sind total vermistet.

ALLE: Vermistet.

(KomBdiën II, S. 372)

Der Meteor zeigt zahllose Beispiele des unangemessenen Sprach-, '

niveaus auf; die Situation, denkt man sich, ist ja zugleich traurig ~ ~ ~

und wundervoll - es bandelt sich um das Sterben,und die zweifache

Auferstehung einer eminenten PersUnliobkeit, eines Nobelpreistrigers -,

wird aber dadurch ins Komische Ubergeleitet. da8 der Sterbende un-

willentlich fast aIle Leute in der unmittelbaren Umgebung Uberlebt

\.

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.. "

-109-

oder irgendwi~ die Schuld an ihrem verdorbenen Leben tragt. So

wird dem Sterben seine Weihrauchatmosphare geraubt, was sich so-

wohl in,Situationskomik wie Auch in der Sprache niederschlagt.

SChwitter selbst umschreibt sein Sterben mit 'Abkratzen' (Der

Meteor, S. 9), mit 'Exitus', vor d~m man groBzügig wird - er

drückt dem Kunstmaler Nyffenschwander Geld für sein Atelier in

die Hand - (Der Meteol, S. 11), mit'Abtanzen' - "Sauf en ist ge-:,-~

sund fürs Abtanzen" (Der Meteor, S. 32). Sein letzter verzweifel-

ter Ausruf lautet: "Wann krepiere ich denQ endlich!" (Der Meteor, , S. 71). ,

Nicht nur für Schwitter nimmt das Sterben ungewohnliche Züge

a~. sondern auch für die Leute, die mit ihm zu tun haben, diéje-

nigen, die sozusagen in sein Sterben geraten (Der Meteor, S. 54).

Die Unannehmlichkeiten bzw. Katastrophen, die Schwitter mit seinen

Auferstehungen verursacht~ verstimmen die Leute aufs AuBerste; sie o warten und warten, aber Schwitter stirbt nicht endgUltig und

richtet mit seinem Schein-Sterben nur Schaden an. Auf diese Weise

konnen folgende, nicht gerade zum Sterben passende Wortwechsel zu-

stande kommen:

Durch die TUre spiht Auguste.

AUGUSTE: Herr Schvitter?

SCHWITTER: Lebe noch.

'AUGUSTE: Javohl, Herr Schwitter.

(Der Meteor, S. 15)

Bezüglich der unervarteten Auferstehung iu8ern sich der Pfarrer:

If

-110-

PFARRER LUTZ: Gott erwahlte Sie, Herr Sc~itter,

Yl damit die Blinden sehen und die Gottlosen an ihn

glauben.

SCHWITTER: Werden Sie nicht geschmacklos.

(Der Meteor, S. 18)

und der Arzt, Prof. Schlatter:

SCHLATTER: ( ••• ) Freundchen, ich fin eigentlich

gekommen, Ihren werten Leichnam<sicherzustellen.

'SC~tTTER: Nehme ich an.

SCHLATTER: Noch nicht 50 weit.

SCHWITTER: Endlich werden auch sie ungeduldig.

SCHLATTER: Mein Bester, die Medizin erlitt die

groBte Schlappe des Jahrhunderts. Ihre Herztone

und Lungengerausche sind prachtvoll in Ordnung.

Schweigen. -' SCHLATTER: Mir ist trostlos zu Mute.

Schweigen.

SCHLATTER: Einfach scheuBlich.

Erhebt sich.

SCHLATTER: Auch der Blutdruck ist nahezu ideal.

SCHWITTER: Das ist nicht wabr! Ich verfaule, ich

verwese! Ich liege in den letzten Zügent

(Der Meteor, S. 56)

Spa ter spricht der Arzt noch deutlicher sein Unbehagen über Schwitters

Weiterleben 8US:

SCHWITTER: Seit Stunden varote ich auf meinen Tod! .

SCHLATTER: Ich séit Monaten. und nun ist sogar ihre

Peristaltik wieder in Scbwung ger(ten.

(Der Meteor. S. 57)

Der VerIe.er Roppe ist durcb Scbvitter'in~le SCbvierig-

\'

è) _~ __ -<_--.J._",~ ____ ~~~ _________ ......... j)!

.-

-111-

keiten geraten, denn, wie sehon oben e~ bat der Star-

kritiker, Friedrich Georgen, den Schri 1er mit einer Lob-

rede erledigt, und auBerdem hat Schwitter samt ,seinem eigenen

Geld und Manuskripten Verlagsgelder verbrannt:

KOPPE: ( ••• ) Wolfgang, ich drücke dir zum letzten

Mal die Hand~irbst du wirklich?

SCHWITTER: firklich. ,

KOPPE: Bist du sicher?

SCHWITTER: Ganz sicher.

KOPPE: Man konnte dich sonst ins Christliche um­

interpretieren, und mein Verlag ware gerettet.

SCHWITTER: Nichts zu machen.

KOPPE: Warten wir ab.

(Der Meteor, S. 59)

Folgender Wortwechsel drückt den Ke~n der Sache treffend aus:

SCHWITTER: Ein Skandal, ~aB ich noch lebe.

SCHLATTER: Das kann man wohl sagen, mein Lieber.

(Der Meteor, S. 55)

Der Meteor zeigt auch ein Wortspiel auf, ein Wortsp,iel, das dem

graBen Muheim die Seelenruhe raubt:

~MUHEIM: Meine Gattin war kunstli~bend, nicht'ich. 1

SCHWITTER: Künstlerliebend.

(Der Meteor, S. 25) ·f

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-112-

.. 3.1.4. Personen requisitenhaft eingesetzt

lm SachwOrterbuch der Literatur von Gero von Wi1pert werden

\

aIle Ausstattungsgegenstande mit Ausnahme von Kostümen und Kulissen,

d]e zur Bühnenaufführung &ines Schauspiels erforder1ich sind, aIs ,

• .' • < h 19. .. 1 • Requ1s1ten bezelc net. D1ese Kategor1e hat Klenz e etwas erwel-

"" tert" um darin auch Personen aufzunehmen, die nichts Individuelles

für den Handlungsablauf des Stückes leisten, jedoch aber diesen ' ,

Handlungsablauf auf~irgendeine Weise unterstützen. In den Werken

Dürreomatt~ sind es die eindeutig komischen Figuren, die zum Teil 1

'sehon in Abschnitt 3.1.1. aIs Gags behandelt wurden, die in diese V

Kategorie eingeordnet werden konnen. So waren z.B. die beiden

Stra~ehrer zu verstehen, die Joh~nn Bocke1son zu Anfang des

~ Stücks Es steht geschrieben im Mistkarren finden, wie auch die

Gemüsefrau im gleichen Stück, die bei der geplanten Hi~ichtung . -

des Monche ihre Apfel, Rüben und ihren Salat lo&~~rden will. Dem

armen MBnch geht es an denoKragen, die Gemüsefrau bietet aber eine

aopere Perspektive an, die dem Einze1schicksa1 ~niger Bedèutung \

~e8teht. DER MHNCH: Leute! Bürger. von MUnster in Westfa1en!

DIE GEMOSEFRAU: Rettich! SdhBner roter Rettich! Wer Il

kauft Rettich! Bi1lig! Bi11ig! Wundervoller roter

Rettichl . ~ KHMCH: Weib, sei stilil Ich will meine letzte

Ansprache balten. r

o

,

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• ...

-113-

DIE GEMOSEFRAU: Monchlein schweig, und laS dir den

Kopf abschlagen! Ich habe sechzehn Kinder und sieb­

zehn Vater zu ernahren! Rettich! Rettich! Rot wie

Blut und gut wie'ne Zeugung!

. (KomOdiep II, s. 41)

Weitere Beispiele, der chronometrische Türke und 'die zwei Frauen

des Landgrafen von Hessen, wurden aber schon erwalint.

Die Grundsituation des StUcks Der Blinde, ein blinder Herzog,

der über die Zerstorung seines Herzogtums auf8run~~einer Krankheit

nicht Bescheid weiS, verlangt nach einem Konflikt, worln um die

lllusionen des Blinden gekampft wird. Somit sind die sich ge~en-

überstehenden Parteien klar abgegrenzt, Sohn des Herzogs auf der

einen Seite, Eindringling und Storenfried auf der anderen. Zum,

'Kreis um den Herzog gehort der ob1igatorische Hofnarr, bezeichnen-

derweise Gnadenbrot Suppe genannt, zum Krels des Feldherrn sein

Heer. die zerlumpten Soldaten samt Dirne., d'ie weiter nichts zu

tu~ haben. aIs im obligatorischen Spiel ihre Rolle einzunehmen.

In Romulus der GroSe, ein Stück. warin âUhner eine relativ

groBe Rolle spielen, mua natürlich auch ein Huhn geschlachtet

werdenj dazu br~ucht man eine~ Ko~~ de~ mit Messer ..

hinter dem

RUcken verborgen, ~in Hahn über die BUhne jagt. Die beis(en Diener 1

4es Romul beiden des Zeno und~r Kunstbindler geb6ren aIle \,

zum Themenkreis htergehenden Empiriums, ohne aber den Unter-

gang zu beeinflu8seh •

. ? •

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-114-

Die Ehe des Herrn Mississippi bringt Gruppen auf die Blihne,

die die Funktion einés komischerr-Kommentars innehab~n, 'comic

relief' sozusagen.~Die drei f~\erl~chen Geistlichen, die Anastasia

aIs Engel der Gefangnisse huidigen, tre~~n trotz der Feierlich~

kéit oder ger~de wegen der FeieriiChkeit1 aIs nicht ernst zu nehfuen-o

II

'de Personen auf un~erfen somit ein komisches Licht, das die Tra-..

gik dieser Situation noch steigert, auf An~stasias jahr~lange Tatig-

keit im Dienst 'ihres jetzigen Mannes, u~ ihre Schuld am Tode ihres

'--ersten Mannes zu bUBen. AhnIich fungiert die Arztekommission, die

Mississippi ZUT Beobachtung abhoit.

lm StUek Ein Engel kommt nach Babylon haben wirèden Hofstaat,

der in seiner Machtgier konstant inkonsequent bIeibt, insofern ewig

gleieh bleibt, ein Requisit wie die Statue mit dem auswechselbaren

Kopf, die auch eine MaBnabme darstelit fUr den ewig gleich bleiben-

den Wechsel der KOnige.

lm Besuch der alten Dame sind es die Reporter, die, ei~

~ Fliegenschwarm~leich, die alte Dame verfolgen und der grausamen

Gemeindeversammlung am Ende des StUcks, wo die BUrger ibre Bereit-o

sehaft zum Mord feierlich erkliren, einen komischen Anstrich geben. 1 1

Auch der Kondukteur" wie schon in 3.1.1. etwilhnt, der Pfinder, detf;?':

mit Sperberaugen seiner Pflicht nachgeht, und die verschiedenen

Gatten der Zachanassian, die nur aIs Za~,len auftreten, gehoren zu

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-115-

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d~n requistenbaft eingesetzten Personen.

Frank der Fünfte zeigt ~ine Personenkonstellation auf, ~n

der nur zwei Gruppen echt bandeln, die Eltern auf der einen Seite,

die Kinder auf der anderen. Die anderen Personen konnen einer die­i

ser beiden Gruppe~ zugeordnet verden oder stehen praktisch auBer-

ba1b des Geschehe~s, vie z.B. der Ke1lner, der Frühstück serviert,

oder die Kunden, die~rtig vorbeiziehen und die Plane der

Gangster vereite1n.

lm Stück Die Physiker gehort ein Kriminalinspektor

Wie sehr er eine Rollenfigur ist, merken wir spateste~s

ZlUD MO~ bei der

komischen Umkehrung der Rollen (s. 3.1.1.) Anfang des zveiten

Akts. Auch die resolute Oberschvester Marta BoIl, die nur ober-

schwesternhaft-resolut Kognakglaser und Aschenbecher vegraumt, vie 1.)

auch)Frau Rose und Fami1i~, denn auch irre Physiker müssen eine

rührende Vergangenheit ha~, "treten aIs unpersonliche u~ zur

Situation gehorende Bekraftig~~·der Handlung auf.

o

Herkules und der StaIl des Augias bereiiet Schwierigkeiten

~n der Einordnung der Personen~ veil die Zeitperspektive recht in-J ·1

.' konstant ist; sehr oft werden wir durch einen Ansager in eine Si-.. " tuation eingeführt, die zeitlich entweder weit zurUck oder voraus

ô

liegt. Da wi~ schon vorher Uber loles und Phyleus' Schicksal in-

o

\

-116-

• Ç\ formiert wurden, müssen wfr S1e ~u den handelnden Personen des

\ Stücks rechnen, was sie ohne diese epische Verlangerung des

Stücks nicht verdient hatten. Vielmehr hatten sie der unpers?n-

lichen Gruppe.der Verehrer, die einem Zweierverhaltnis Hindernisse

in den Weg stellen, angehort. EindeutLg requisitenbaft ist der

Brieftrager, der sich selbst in der Funktion des Briefüberreichens

genau so aIs Requisit versteht, wi'e es der Brief ist, der das Ge-.

schehen auslost. Ahnlich fungieren die Ratsherren der Elischen

Bauerndemokratie, die unpersanlich die Parodie der Demokratie und . des Kommissionswesens ausspielen.

Die Personenkonstellation im Meteor hat den Nobelpreistrager

Wolfgang Schwitter, der sogar noch nach seinem zweiten klinisch

festgestel~ten Tode über die Lebenden waltet, aIs unverrüGkbaren

Mittelpunkt. An seinem Sterbebett vorbei ziehen Leute, die Schwitter

vë~lig bouiversiert oder indirekt ums Leben bringt, ohne daB sie ,

personlich direkt auf sein Leben mehr EinfIuB haben, aIs daB

Schwitter aus einer sadistischen Mischung von Verachtung und Scha-

./ denfreude VerIagsgelder z.B. verbrennt uqd somit mehr Leute aIs nur

J 1'- ,

seinen Erben in finanzielle Verlegenheit bringt. Die Personen er-

scheinen zu Typen erstarrt, Typen, die man um eine berühmte Person

findet. die aber nur unwesentliche SateIIiten darstel1en •

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-117-

3.1.5. Essen

Es nimmt einen Wunder, wenn man bedenkt, wieviei in den

Stücken nürrenmatts gegessen wird. In den meisten Stücken wird

nicht nur auch unter anderem gegessen, sondern dem Essen selbst

wohnt eine gewisse Aussagekraft inne. Sehr oft ist es weniger

nur ein komëdiantischer Einfall_kls ein technischer Griff, Per-

sonen auf der Bühne zu einem bestimmten Zweck zusammenkommen zu

lassen, um daon den tragischen Hintergruod der komisch darge-

steIIten Geschichte erscheinen zu Iassen. Es kann z.B. über-

trieben genau beschrieben und in übermenschlichen Quantitaten

verschiungen werden, wie es der Faii ist in.Es steht geschrieben,

Die Stadt Münster, vom feind umgeben, hungert; Johann Bockeison

dagegen - und das Wort ist eine Unter~reibung - 'schIemmt'. Sein \

Kommentar zum soeben vertiigten Hahl:

JOHANN BOCKELSON: Ich habe ausgezeichnet gegessen.

Zwar war es ein bescheidenes Hahl, wie es angemessen

,ist in schwerer Zeit,

doch wurde ich satt mit Gattes Hilfe und ein wohliges

GefUhl breitèt sich über meine Glieder,

Ich denke mit innerstem Behagen an die Muranensuppe

zurUck, (\

mit den EinsiedIerkrebsen und frischen Meerschnecken,

die mir zu Beginn serviert Varde.

Siehe, es var kOstlich!

Auch liegt mir noch der Riesenhecht zartlich im Sinn,

wie eine f~rne Geliebte, in rotem Landwein gekocht und mit

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.'

,

-118-

Forelle gefüllt, Roteln, Blaufelchen und sauren Oliven,

Essigreizkern, Perlzwiebeln und Gurken. Dies alles

schmeichelte ,meinem Hagen wie eine Frauenhand.

Wie brünst·ig war ich nach Froschschenkeln ••• usw.

(Komëdien II, S. 79)

~ Der DreiBigjahrige Krieg bat groBes Leiden durch Hunger ver ur-

sacht, wie es f01gende Aussàge des Herzogs der Hungerleider (Der

Blinde) bestati'gt. Allerdings friBt und trinkt der Sprecher, wahrend

er dem blinden Herzog sein. Leid vortragt, und zuletzt wirft er so-

gar ein Stück Fleisch weg; eine Tat, die unter diesen Umstanden 1

,genau so unmor~lisch wirkt wie das Fressen des Bockelson·in der .. belagerten Stadt. In diesem Stück wird aber durch diese bewuBte

. " Tauschung, die keineswegs unkomisch ist, die Figur des dupierten

Herzogs ~n ihrer Tragik gestarkt.

SCHWEFEL: Ich bin der Herzog der Hungerleider, der Vater

jener, die bald krepieren. . . Ich birt da, das. groBe Lied vom graBen Hunger zu singen,

das ewige Lied mit den unendlichen Strophen,. dessen Text

~ch vergessen habe, und das nur jene singen, die nicht

mehr singen 'ko~nen, un~das nur jene horen, .die nicht

mehr horen, denn sie es sen und trinken nicht mehr.

Er trinkt.

Ich batte taus end Pferde und tausend KOhe und tausend r

Schafe und tausend saue. Ich var ein ~ero des Ackerbaus, ein Salomo der Viebzucbt.

Aber es steht schlimm um ein Land, das besiegt worden ist,

denn ver siegt"achtet nicht,auf seine PUle •

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-119-

Er zertritt den Besiegten.

Er friSt: Den sieht niemand.

Wer besiegt ist, kommt in Not, und Not 1ehrt toten.

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So wird schlecht, wer siegt, und schlecht, ~er unterliegt.

Wie 5011 die Welt be5ser werden dabei?

Er trinkt. ~

Hein Dorf ist zerstort, es ist dem Erdboden gleichgemacht.

Uberhaupt ist ~n unserem Lande alles dem Erdboden gleich­

gemacht: Stadte, Schlosser, Dorfer und Menschen, diese

besonders. Die Not, der Tod und die Verzweiflung ist,groS,

noch groSer aber der Hunger.

Der Hunger ist immer am groSten!

Er friSt. • •• usw.

(Komodien II, S. 158f.)

Essen aIs C~rakterbeschreibung finden wir in Romulus der GroBe,

da das FrühstUck, oder wie Romulus es nennen will, das Morgenessen,

die Geisteshàltung Romulus' der Geschehnisseudes Horgens gegenüber

klar ausdrückt. D.ieses Morgenessen, eng mit der Hauptbeschilftigung

des Kaisers, der Hühnerzucht, verbunden, dauert den ganzen ersten

Akt, und'Romulus laSt sich durch n~hts st8ren, eine beachtliche

Leist~ng, da ja schlieBlich Innenminister, Kriegsminister" Kunst­

h~ndler, Asyl suchender ~iser Ost-Roms, Frau, Tochter, Hosenfabri-

kant und Bote mit echten Anliegen kommen.

Die ihe des Herrn Mississippi.bat weniger mit Essen aIs mit

'lTinken zu tun es hande"lt s ich U1Il ICaffee und zwar vergifteten •

J

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,-120-

Am Anfarig des Stücks hei8t es in einer Bühnenanweisung:

In der Mitte ein rundes Biedermeier-Kaffeetischchen, die

eigent1iche Hauptperson des Stücks, um das herum sich das

Spiel dreht, um das herum alles zu inszenieren ist, von

zwei Louis-Quatorze-Sesseln flankiert.

(Komodien l, S. 87)

Diese Bühnenbeschreibung ist wortlich gemeint, da tatsachlich aIle

wichtigen Ereigniss~ um den Tisch henun stattfinden. D,ie Vernehmung

und der daraus resultierende Heiratsantrag geschehen beim Kaffee­

trinken; im Eifer des Wortgefechts sol1 sogkr ein'~~leiner Tanz um "

den Tisch aufgeführt werden. Mississippi und Graf Ubelohe treffen ~

sich wahrend des Aufstands unter dem Tisch, der sicherste Ort im

Raum, um dort Ubelohes Behauptung, er sei der Liebhaber Anastasias

und somit der Grund für den Tad ihres Mannes gewesen, zu besprechen.

An diesem Tisch werden ~ich Anastasia und Mississippi gegen Ende

~Stückes gegenseitig vergiften. Au8erdem soll das Zimmer und

die einzelnen Einrichtungsgegenst~nde, somit auch der Tisch, die c

Falgen des Aufstands und den damit verbunden~n unaufhaltsamen Zu­

sammenbruch dieser kleinen"Welt darste11en.

el kommt nach Bab Ion zeigt uns eine Mahlzeit (Rind-

e van Akki vorbereitet, eine wahre

Euphrats), die einen graBen Umscbwung für den

Orgie am Ufer diS Bettler ~edeutet;

wahrend dieser vom Henker sehr genossenen Mahizeit tauscht Akki

sein Leben bzw. seinen Tod fUr den Beruf des Henkers ein. In Hen-

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1 -121-

kerstracht bekommt er am Ende-des StUcks zum zweiten Mal das

Madchen Kurrubi, die Himmelsgnade, geschenkt.

Eine Offenbarung, W1e auch ein dramatischer Umschwung, wird . /

das Resultat eines Essens zu Ehren der Frau Zachanassian (Der Be-,

such der alten Dame) im Go1denen Aposte1. Die Versamm1ung nimmt

die Form eines Gerichts an, da die Szene hauptsachlich auf den

f . . . ,-Erklarungen des Butlers Boby, ehemaltgoer R1chter 1m Vaterscha~ts-

()

prozeB der Klara Wascher gegen ~lfred Ill, beruht. Das Esse~

~elbst verliert an Interesse. Hauptgrund daf~r ist die Versamm1ung

der Leute, die bei dieser Gelegenheit den VQrschlag der Zachanassian

horen konnen.

In Frank der Fünfte zeigt uns das immer gleichbleibende Früh-

stück bei Guillaume den nerven- und magenkranken Zustan~ der

Gangster, eine konkrete Schilderung der gesundheitsschidlichen

Foigen des anspannenden Berufs. Die Brote, die von Frank' und den

Anges,tellten im Tresor ausgepackt werden - samtl·iche Leute haben

sich in weiser Voraussicht fUr mehrere Tage versorgt, weil sie vor-~

haben, den Tresor zu bewachen - bilden den Hintergrund fUr die

makabre Szene, die paradoxerveise mit dem Hungertod Fraoks im

Tresor enden wird.

Im StUck Die Physiker sehen sich die drei Physi~er gezwungen,

...

• ;Or ••

-122-

,­nach den Morden an den Krankenschwestern zu handeln. Eisler (Ein-

stein), Kilton (Newton) und MBbius sçhenken sich wahrend der Mahl-

zeit reinen Wein ein und einigen sich, angesichts der Weltlage aIs

lIre weiterzuleben, um die unreife Henschheit vor dem foigenschwere~

Wissen HBbius' zu schonen und - " ••• ale Narren das Geheimnis unserer

wissenschaft treu zu bewahren." (Komëdien II, S. 344)

C-. ',.

Die Suppe aus Bohnen und Speck. das Nationalgericht der Elier

imdStUck Herkulet und d~r StaIl des Augias wird immer magerer und

dünner, ein Zeichen der sich immer verschlimmernden wirtscbaftlichen

Lage des Nationalhelden.

IV lm StUck Der Meteor wird nicht gegessen, eine'Tatsache, die

sich durch die Krankheit des Nobelpreistragers, eine Krankheit, die

auch den Magen Ubel angegriffen bat, erklaren liSt. DafUr wird recht

viel Kognak getrunken, was nach Schwitters eisener Aussage gut fUrs

Abkratzen sein ~ll. In diesem Stück erfüllt das Sterbebett die

zentrale. versammelnde Funktion, die in 50 vielen StUcken dem Tis~h

zugeordnet wurde •

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,

-123-

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3.2. Das' Groteske, die Metaphysik und die Tragikomëdie (

Die Untersuchung in Punkt 3.1. ~ich auf die früheren Stücke

DUrrenmatts bezogen; Der Meteor wurde schon oben zum Wendepunkt er-

k1irt. Di~ darauf fo1genden StUcke, Die Wiedertiufer (1966), KOnig

Johann (1968), Play Strindberg (1968/69), Titus Andronicus (1970); o

(das theoretische Werk Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht

(1969) ) und das Stück Portrit eines P1aneten (1971) zeichnen sich

durch ein vo11iges Feh1en der komischen Seite, wie wir es von den

frühen Stücken gewohnt sind, aus. Dagegen zeigt sich ein deut1ich

grotesker Zug, der im fo1genden zunachst theoretisch besprochen 6

werden 8011.

Klaus Volker definiert das Groteske folgenderma8en:

Das Groteske bezieht seine Wirkung aus einer Art Mi8-

verstandnis. In der Komëdie 1acht de~ Zuschauer über

eine Figur, weil er klUger scheint aIs diese Figur.

Er überblickt die Fehler, die die Figur noch nicht

kennt. Groteske Wirkung entsteht beim Zuschauer, wenn

àuf der Bühne ein tragischer Vorgang aIs komischer vor­

gefUhrt wird. Koudk und Tragik vermischen sich wie ~ ... ' 20

Lachen und Weinen: Gegensitze werden ausgespielt.

Er sieht einen literarischen Ursprung des Grotesken in der Schwank--

dichtung; in der eom.edia dell'arte, im Wiener Volkstheater und bei

Lenz und Tieck vird da. Groteske veiterentwickelt. AIs Funlttion bat

" • • •• 1..1.-i·' d ,,21 vi h· es d1e Erschl1e8ung der Wlrkl1c,~ t lm Para oxen , e auc e1ne

"

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-124-

Verfremdungsfunktion, mit we~cher Volker eine Grenze zwischen

groteskem und absurdem Theater zieht, obWohl die Grenze offen-

bar auch fUr ibn flieSend bleibt, wie es im folgenden einen etwas

widersprUchlichen Ausdruck findet:

Das gegenwartige Theater sieht sic~.einer grotesken

Welt gegenUbe~So ist es zunehmend der Gefahr ausgesetzt,

naturalistisches Theater zu werden, einfache Wirklich­

keit abzuschildern. Das Groteske versuchte seit je die

ErschlieSung der Wirklichkeit im Paradoxen.·So strebt

es heute danach, die ,an der Oberflache nicht'durch­

schaubare Welt durchschaubar zu machen. ln·seinen besten.

Beispielen kehrt das groteske Theater zur realistischen

Gestaltung zurUck. - Das groteske Theater ist nicht ab­

surdes Theater. Es greift ins lrreale Uber, um die Re-

alitat greifbar zu machen. 22 r

Trotz einiger widersprUchlicher AuSerungen steht fest, daS Volker

im Grotesken ein Gestaltungsmittel sieht, welches eine bewuSte und

gezielte Verzerrung der (angenommenén~) Wirklichkeit vornimmt, um

die reale Wirklichkeit durch die verfremdete (groteske) Wirklich-

keit verstindlicher zu machen. Doch meine ich, geht er zu weit in " , 4 seinem Optimismu,s, wenn e.r behauptet, daS Dürrenmatt.. in den Physikern

, die Welt aIs verinderbar darstellt.und,im Gegensatz EU den Dra-

matikern des absurden Theaters,ein~ positive Antwort auf die Wider­

sprUche der Welt gibt. 23

Es lat jedoch sehr einseitig, das Groteake ausschlie81ich in

den Dienst der Erkenntnistbeorie zu st,ellen und etvas kurZ8ichtig,

• .,'

-125-

ihrer.Verfremdungsabsicht einen Uberwaltigenden Erfo1g zuzu-r

~chreiben, zumal die andauernde erkenntnistheoretische Wirkung

,doch fragwürdig b1eibt und Die Physikèr ni~nden zu einem be-

friedigenderen Verhl1tnis zur Kenntnis des Irrsinns der We1t ge-

bracht bat, gescbweige denn den Irrsinn selbst beseitigt bat. ~ .

Vor allem aber bat das Groteske, vie es bis hier verstanden

wird, auch eine ganz andere Sei te, wie es Dürrenmatt mit s.inem

Begriff d~s Ubê~uts ausdrücken will. Es ist im Grunde genommen

ein Ausdruck der Lebensbejahung, eine Selbstbestatigung, wenn

Dürrenmatt eine Person durch die.Standuhr ins Zimmer treten laBt, -(

komisch, unrealistisch, ,vernunftwidrig, aber keineswegs eine Hi+~

zur Erklarung der Welt oder zur Beseitigung der MiSstande der Welt.

Hier wlre vielleicht eine Untersuchung der Funktion des Grotesken

. im:Reich der Freiheit (in der Kunst) im Gegensatz zu seiner Funktion

im'Reich der Notwendigkeit (auSerhalb der Kunst) erforderlich, was

aber ibm Rahmen dieser Arbeit abseits führen würde.

Reinhold Grimm untersucht das Werk Dürrenmatts unter folgen~

- den, von W6~fgang Kayser aufgestellten Kategorien:

1.) die Vrermengung getrennter Bereiche

2.) die Aufhebung der Statik

3.) der Yerlu8t der Identitlt

, 4.) ~ie VerzerrÜÎl8Kder natiirlichen Proportionen· ' .

5.) die Aufhebuns_ der Dingkategorie

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.. -126-

6.) die Zerstorung des Personlichkeitsbegriffs

7.) die ZertrUmmerung der geschichtlichen Ordnung

AIs bevorzugte Motive gibt er folgendes an:

1.) das Monstr~se

2.) di~ Vermischung des Mechanischen mit dem Organischen

3.) die zu Puppen und Marionetten erstarrten Leiper

4.) die zu Larven und Masken erstarrten Gesichter

5.) die Darstellung des Wahnsinns 9 1

6.) die Piotzlichkeit, die Uberraschung24

, Einen Schritt wei ter aIs Kayser geht Grimm mit Ae~Behauptung, es

gebe verschiedene Elemente des Grotesken bei Dürrenmatt, die er "1..

:::~:i::i::::::::::' s::~:::C:a:::i::::d::::::: :::::.:::.::n:::'t l'·

er zu em SchIuB, das ~oteske aIs Grundstruktur des Dürrenmatt-

schen Werks zu erklaren und in Dürr,nmatt einen 'verkappten Hu-

. , k 25 man~sten zu er ennen.

"Wesent lich an Grimms Bei trag zur Dürrenmatt-Forschung ist das

Herausstellen des Grotesken a~s Gestaltungsmittel, aIs Strukturele-

ment, wobei unterschieden wird zwischen einem spielerisch-vitalen

einerseits und einem dimonisch-parodistischen Aspekt andererseits.

AIs Grundhal~UDg DUrrenmatts der Welt gege~ber wird das satirische

Element dargestellt.

Festzuhalten ist auch seine Unterscheidung: '~ie Gestaltung

G

/

• , ......

-127-

c

des Ungestalteten, des Gesiehtslosen und ungreittar~Fremden führ~

zum Damonischen, die Gestaltung des vorgeformten~tigen und

Vorhandenen zur Parodie,,26 und seine weitere Definition der P~r'o-11

die aIs die spezifisch moderne Form der literal"Îschen Groteske. 27 . ., , ~

Die Anknüpfung an die theoretischen Sehriften Dürrenmatts geschieht G "

an diesem ~unkt über das'~ort Komadie; Komodie aIs Uberbegriff -()

eine Einstellung zur heutigen chaotisenen, undurchschaubaren Welt,

dessen Str~turelement das Groteske schlechthin ist. Jedoch g~t,

es in diesem~haos Pakete vorgeformten Stoffs, besonders literarischen (~f,_l. • •

Stoffs, die nur auf parod~st~sehe Weise behandelt werden konpen,

gerade weil Dürrenmatt den chaotischen Hintergrund~iteinbeiieht,

von~elche~ sich diese Stoffpakete abso~dern. " . '.

Arnold Heidsieck in seinem Buch Das Groteske und das Absurde

. . d 28 . h • d . h A f"h lm ma ernen Drama setzt Sle u.a. mlt en Grlmmsc en us u rungen

auseinander. Bei Heidsieck werden simtliche Dinge, die in Grimms , ' 'Y

Katalog aIs grotesk gelten, unter die Aufschrift Manierismus ein­

geordnet, da sie vielleicht Ungerei~eheiten, Unstimmigkeiten oder '-

Paradoxa darstellen, aber keineswegs das rein Groteske. nImlich lA', 29

die Ehtstellung des Menschen durch den Menschen. Wo bei V81ker

noch'die ganze Gattung Tr3gikomBdie LB Bereich des Grotesken steht

(s~S. 97), wird bei Heidsieck eine scharfe Trennung vorgenommen

zwiscben dem J:omiscben bzw. Tragikomisch~ und dem Grotesun, vie es

folgendes Zitat Œber den Beauch der alten Dame klar darstellt:

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-128-

o

Die trageqde Struktur des dramatischen Geschehens ist

grotesk u.d steht im Widerspruch zu der tragikomiscben

Formintention des StUcks. Unbestritten sei, daB bis ~u \ ,

den Zeitpunkt, da die Alte Dame vor der Gemeindever- :

sammlung den Grund ihres Besuches bekanntmaçht und für

I11s Ermordung eine Milliarde bietet, das Komische vor-ç -

he~schend ist. Der Bürgermeister spricht unentwegt

seine BegrüBungsred~weiter, wàhrend alles übertonenti------­

der S~hnel1zug davonrast ( ••• ) "Gatte VII denkt noch

fester nach" und wirkt 50 "fast damonisch, wie ein Bra­

silianer", ist !iber "Griecll'isch-Orthodox" ( ••• ), der

"volkstÜlnliche Vater" der Besuchertn bat in Güllen "ein

stark beachtetes Gebaude errichte~", eine offentl iche .,­

Toilette ( ••• ), wie der Bürgermeister in seiner Rede

zu erwahnen weiB, usf. In dieses Komische mischt sich

bereits ein grotesker Zug: die Gestalt der Alten Dame,

an der "alles Prothese" ( ••• ) ist, und ihres Gefolges

etwa, zweier herkulischer, kaugunmikauender ''Honstren'' ,

( ... ) . ~ ~

Diese Einschrankung des Bezirks des Grotesken ist für diesen Ab-,-•

schnitt meiner Abhandlung arbeitstheoretisch vorteilhaft, weil mit

9 ihr ein kleiner Vergleich der Stücke vor und nach dem Meteor vor-

,1 genommen werde~ kann. Fast aIle Werke werden im Untertitel aIs Ko-

""d - " nd" A..- b • ho 31 h . d d' mo len lrge elner~~t ezelC et. Beac tenswert lst, aB le

- J'

ersten beiden Werke aIs Dr~en bezeichnet sind, die folgenden bis

zum Meteor i~lusiv aIs Komadien"daB aber voncden letzten fUnf nur

eins, nimlich Titus Andronicus, den Untertitel KD~ie erhalten o

bat; das letzte StUck wi~ Uberhaupt nicHt nlher beschrieben •

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-129-

Einiges, was in 3.1. unter Gags angeführt wurdë, konnte man ()

~ch Heidsieck aIs rein grotesk bezeic~~en; ~arunter würde z.B. 0' u~

der chronometrische !ürke (Es steht gesa~ieben), der geschandete

und nur in einem System, das Vaterlandsliebe hoch~einstuft, ver­

standlicbe Kmilian (Romulus der GroBe), die doppelte KOnigsge­

sta~(Ein Engel kommt nach Babylon) und die a~te'Dame, ihre

Eunuche~, die Sanftetrager, aber auch II~ (D~r Besuch der alten J" '\,

Dame) fallen. Obwohl Dürrenmatt sel~st das Wort ~~otesk - 0 b- ,:) ?\'"',

für seine

Ph iker bemüht, meint Heidsieck, daB diese Be~ichnung ,. ~'

ni-cht zu-

ft, wie Dürrenmatts Begriffsabgrenzungen ohnehin nicht klar o

sind, weil die Handlung des Stücks'"nicht tnit dem Grotesken cfI~ ~ ,_ ....

Verzerrung der unertraglichen Realitat mit dem Zweck des echt

unertraglichma~hen d~eser Realitat bewirkt.32

Somit gibt es Ver-

zerrung~ oder Paradoxa, aber keine Grotesken. Jedoch ist es eine o

bestimmte Sicht, um das Wort Weltanschauung zu ~ermeiden, die ge-

rade den bOsen Zufall und die unbeschreibliche'Unvernunft des Men-

~_9t!hen aIs Warnung auf die .. -/~r

~hne'bringen will, di~~durch eine ver-.. \'~t

nünf1ige Etnschatzung der heutigen Weltlage best~t ist. Diese

Lage beschreibt Heidsieck am Ende seiner SchluBbemerkungen:

Auch die0beutigen politiscb·gesellscbaftlichen Entwick­

luogen, die fortgescbrittenen Me~,den in Physik und

~ Chemie, in Biologie und Geneti~~gen kaum weniger das

\ Potential in sicb, in IdBerste groteske Pervers~-um­

zU8cblagen. Die Anstrengungen der Kenschen, Elend und . Angst, das Unheil selbst aus det Welt zu schaffen, das,

("

Bewu8tsèin der gescbicbtlicben Tragweite tarer Veran-

o

il

.' - .~ .. -':.

• \ ,

-130-

staltungen ist universell geworden, doch ihre immer

perfekterenHittel, industrielle Produktion und ad­

ministrative Bürokratie, ~ienen haufig genug'entgegen­

gesetzter Bestimmung: dem Krieg, der Ausrottung und dem

Terror. Dieser Widerspruch ist allgemein geworden in der ~

Herrschaft des Menschen über die Kernenergie, welche

nicht nur Arsenal universeller Technifizierung ist, die

Leben für aIle bedeutet, sondern auch des Kriegs und der

Vernichtuns aller. Dies ist der groteske Hintergrund

Z . 33 unserer e1t.

DaB Wissen, besonders technisches Wissen, 1n unserer tech-

nischen Zeit Macht ~edeute~, bat Dürrenmatt in den Physikern klar

ausgedrUckt. 'Auf die Darstellung der Macht verlegt er sich nach û

de. Meteor; zunachst Die Miedertaufer, eine Bearbeitung des Wie-

dertluferstoffes seines ersten veroffentlichten Stilckes Es steht

a..carieben. Wobei im ersten Stück die Personen ohne Gruppenange­

~iakeit verzeichnet werden, sind sie in den Wiedertaufern in

Paraten, !luter, Volk von Münster und Landsknechte aufgeteilt, eine •

Y.reiafacbung oder Stilisierung, die sich in den spateren Werken

aacb aua,eprlgt,r, zeigen wird. lm erst~n Werk ist Bockelson ein

Scburke, der an sich rei8t, was er nur kann, ohne an die Konse-

qUenaen au denken; in den Wiedertaufern ist er ein Komëdiant, der

aIs AuBenseiter im widersinnigen Sp·el der Hacht mitspielen will.

Da er sich aber nicht alles genau absrechnén kann, wird auch er

zum Fall gebracht. Wie sehr das ganze nur ein grausames Spiel ist,

(

D

• /

-131-(,

zeigen die Worte, die Dürrenmatt dem Bischof über Bockelson in

den Mund legt, aIs er den Kepf Matthisons, soeben durch katholische

Truppe~ getotet, betrachtet: '1

BISCHOF: ( ••• ) Welche PoB)

AIs KOmOdienfreund stehe ich nun e1nem KomOdianten

gegenüber

Süchtig nach groBen Rollen, getrieben von einer gemeinen

Phantasie

Auf~Brettern eingeübt, mit Literatur gefüttert und mit ,:1,

ausg~droschenen Phrasen

!st er gefilhrlicher ais du -

Sei zufrieden, Backer aus Harleem: t.

Dein Tod war lacherlich, kümmere dich nicht darum

Nur das bleibt bestehen, Prophet

Was uns argert und worüber wi+ lachen.

(Die Wiedertaufer, S. 53) \1

Ebënfalls ist es ein AuBenseiter, der im Kenig Johann im Machtspiel

indirekt mitspielt. Der Bastard Faulconbridge ist aber nicht an der

Macht für sich sélbst interessiert, sondern üb~ aIs vernünftiger

Ratgeber des KOnigs eine reformtrachtige Funktion aus. Faulconbridge

kann aber von seiner Sicht aus nicht aIle Intrigen überblicken und

ein jeder Zug lest einen Gegenzug'aus nach dem Prinzip Aktion/Reaktion,

WBS ihn dann wieder zum Handeln zwingt. Die Folgen des Handelns des Q

Gegners sind aber nicht immer mit Sicherheit vorauszusehen, denn

der Mensch kann auf verschie~ene Weisen reagieren, die nicht zu­

letzt auch vom Zufall abhiln~ sind. Au8erdem beinhaltet jede ln-

der~ng eine Verilnderung des ganzen, was fUr politische Systeme le-o

bensgefilhrlich sein konnte. Sein Scheitern erklilrt Dürrenmatt durch

,) •

-132-

o

das Wesen der Reform an sich, das gleich das ganze System in

34 Frage stellt.

Die Absicht des Stücks, laut Dürrenmatt, ist, eine Analogie . '\

zu unserer Zeit zu suggerieren:

"Konig Johann" ist ein politisches Stück, das iat es

bei Shakespeare und das ist es bei mir. Es zeigt die

Maschinerie der Politik, das Zustandekommen ihrer Ab-()

kommen und ihrer Unglücksfalle, doch ist es ein Spiel

unter den'Mardern, nicht unter den Opfern. ( ••• )

Ein altes Stück, im Grunde nur revidiert, aber im alten

Stil gehalten. Bewu2t. Oamit wird die Moglichkeit, es auf

unsere Zeit zu beziehen, um so schrecklicher: oaa uns

''Kanig Johann" illlDer noch angeht, weist unsere Problema-·

tik auf. ~in bOses Stück, ich bestreite es nicht, doch

wird es von u~serer Zeit bestatigt.

(Kanig Johann, Nachwort, S. 101)

Play Strindberg, ~ie KomBdie über bürgerliche EbetragOdien,

zeigt den Kampf zweier Ebeleute um die Macht übereinander - Ihnliche ,:

Problematik wie die obengeschilderte, jedoch im kleinen, famililren

Bereich, obne Opferzahl, die in die Tausende gehi. Zum XuSersten

stilisiert zeigt es nicht die Tragik der Sit~tion, schlie81ich ist .!r~J

,

es ja aucb eine Kom6die Uber aine Ehetrag6die, sondem eber die Llçher-/

lichkeit der menachlichen Vernunft, die ein derartigea Verblltnis

zustandekOlllRen lUt und beibebllt. Auf jeden FaU gibt es Probleme

in der Welt; die über die neurotische Bbeproblematit des StUcka Vor-

j

1

f

-133~

rang haben. Vielleicht ist das auch der Grund. warum Dürrenmatt

wieder zu einer Shakespeareschen Vorlage griff, um etwas Gülti-

geres über die heutige Welt aussagen zu konnen, diesmal Titus

Andronicus, ein Stück über Gerechtigkeit und Recht. Die Gerech-

tigkeit und das Recht waren ja sehon immer in Dürrenmatts Stük-

ken behandelt worden - oft in Verbindung mit Gericht und Richter,

man dfq~e an Romulus der GroSe, Die Ehe des Herrn Mississippi,

Ein Engel kommt nach Babylon, Der Besuch der alten Dame und auch

Frank der Fünfte. Auch ist von Dürrenmatt ein Vortrag erschienen -4

Monstervortrag Uber Gerechtigkeit und Recht nebst einem helveti~chen

Zwischenspiel (Eine kleine Dramaturgie der Politik) - man kann

also behaupten, daS Dürrenmatt sich sehr fUr die Gerechtigkeit aIs

zwischenmenschliches Problem interessiert.

Titus Andronicus, der Besieger der Goten, bat aIs zurU~kkehren-

der Held das Recht, lich neben den beiden Sohnen des verstorbenen

Kaisers aIs Kandidat in der Wahl fUr den Kaiser zu stell~n. Er be-

stimmt aber aIs treuer Untertan. daB dieses ~t dem aitesten Sohn

zukommert 5011. Samit hat er sich aIs ramische Machtperson erledigt.

Sein weiterer Weg führt direkt zum Untergang - im Namen des Rechts -

denn der Sohn(hat sich gegen den Vater aufgelehnt, um die Flucht der

Sch~ester mit ihrem GeIiebten zu decken -, die Tochter wird geschln-

det und verstUmmelt, zwei S6hne verden unschuldig hingerichtet, er

-134-

se1bst hackt sich einen Ann ap, um diese Hinrichtung zu vermeiden,

zu1etzt wird er von Saturninus getotet, nachdem er noch seine Toch-o

ter und die Kaiserin erdolcht bat.

Nachdem er seinen 22. Sohn se1bst getotet hat, ist er verwirrt,

beginnt er an seinem Recht und an der Gerechtigkeit des,Staates zu

zweifeln. Aber erst nachdem er sich se1bst die Hand abgeschnitten

hat, um das Leben seiner unschuldigen Sohne zu retten, beginnt er

zu handeln; er versamm~lt aUe KrUppe1 um sich - der Krieg bat ja

genug KrUppe1 hinterlassen - und stiftet Unruhen. Der Kaiser kann

dagegen nicht einschreit~n. denn die Unruhen sind durchaus patrio-

tischer Art; Spie1e werden in den StraBen aufgefUhrt, patriotische

Demonstrationen finden statt und Bittschriften werden mit Pfeilen t

in den kaiser1ichen Pa1ast geschossen. Leider endet sein Hande1n

in einer groBen B1utlache; der einzig Uberlebende ist der Gote

Alarich, der somit die Romer besiegt. In seinem Sch1uBmono1og re-

flektiert Alarich die sinnlose, barbarische Wiederholung der Welt-

geschi~hte:

ALARICH: Yom Himmel stieg Gerechtigkeit und ward ""

Zur Rache, die Gerechtigkeit verlangte,

Die vieder nach der Rache schrie; und 80,

Die eine stets die andere geblrend,

Geht's weiter im stupiden Lauf der Zeit.

Bring um, vas lebt. hluft Leichen auf zu Bergen,

VerwUstet, plUndett Rom, verbrennt's zuJAsche,

Einst war e. groB, nun ist es Schutt;

, , "

• ·r,.~ .. ~.

-135-

Einst herrschte es. nun herrschen wir. nach uns

Sind andere an der Reihe. uns drohen Hunnen,

Den Hunnen Türken. dies~n die Mongolen;

Sie aIle gierig nach der Weltherrschaft.

Die eine kurze Weltsekunde unser.

Was solI da Gerechtigkeit, ~s solI da Rache?

Nur Namen sind's fUr eine üble Mache.

Der Weltenball, er rollt dàhin im Leeren

Und sti~bt so sinnlos. wie wir aIle sterben:

Was war, was ist, was sein wird, mua verderben.

(Titus Andronicus, S. 79)

Das Thema des letzten Stücks, Portrat eines Planeten, wird hier­

mit schon vorw~gge~ommen, nàmlich der Untergang der Welt. Die Ang~t,

daB die Welt durch die Technik zerstort wird. wihrend die Menschen

sich auf der Erde baigen, bat Dürrenmatt in seinen theoretischen

Schriften sc~on ausgedrückt. In diesem Stück ist es etwas noch Un-

berechenbareres, eine Naturkatastrophe, die die Weltzerstorung ver-

ursacht.

Wie wir schon gesehen haben, werden die Themen der StUcke immer

pessimistischer, sie enden sogar nihilistisch. Die frühen Stücke

Dürrenmatts, wie es die Untersuchung gezeigt bat, bat~en eigentlich

tragische Grundsituationen; yom Thema her sind die spiteren Stücke

von den früheren nicht sehr vèrscbieden. Die Gestaltung neigt je-

doch in den spiteren StUcken zur Vereinfacbung, zur Stilisierung

(z.B. die Sprache in KOnig Johann_und Play Strindberg)~ Nehensich­

lichkeiten kommen immer weniger auf, vie es z.B. in Berkules und

(,

- .

-136-•

o

der StaIl des Augias mit dem Brieftrlger, in Romulus der Gro8e

der Kaiser von Ost-Rom, oder in den Physikern Frau Rose und ihre

Buben noch der Fall war; Personen werden entindividualisiert -

wo Romulus noch eine Personlichkeit war mit pers8nlichen Leiden­

schaften und Unzullnglichkeiten, ist Johann, Konig von England,

wie auch Philipp, KHnig von Frankreich, zum Vertreter des Feu­

dalismus geworden, Anastasia, Mississippi, St. Claude und Ube19he

sind noch Personen, Alice (A), Edgar (E) und Kurt (K) sind auf

Buchstaben reduziert, im Portrlt eines Planeten ist die Kilrzung

noch radikaler - die acht Personen, darunter Adam und Eva, wie

auch Sëhne Kain und Abel, die ersten Menschen, stellen die

Menschen überhaupt dar. Die Stücke werden teilweise noch aIs

KomBdien bezeichnet, Titus Andronicus sogar noch im Untertitel,

/ KOnig Johann und Play Strindberg in Bemerkungen Dürrenmatts über

die Stücke. Wie sieht es aber mit der Komik aus?

ln &Hnig Johann bat Leopold, Herzog von Hsterreich, noch

eine gevisse tolpelhafte Rauernkomik inne. Gegen die vornehmen

Herrscher Englands und Frankreichs erscheint er mit seinen Ilnd­

lichen Redewendungen wie ein Barbar, der aber die Macht bat, sich

solche Auffilligkeiten leisten zu konnen. Lokales KoI~rit zeigt

sich in vielen seiner !uSerungen - z.R. fragt er in bezug aul

Faulconbridge: "Zum Teufel, wer ist dieser blonde Strizzi1"

(Janig Johann, S. 23), wie auch ein der Situation nicht aD$e-

-137-

mess~ner Appetit - wahrend des Hochzeitmahls tritt Pandulpho~

Kardinal von Mailand, auf und vertritt die Interessen der Kir-

che, wobei lângere Dialoge über politische Angelegenheiten er-

folgen, die aIle am Hahl beteiligten'stark angehen; der Hster-

reicher ist jedoch derart in sein Essen vertieft, daS sein Bei-" ,

trag zur Unterredung tatsachlich nur aus Unterbrechungen be-

steht: '~asan! Ich mochte noch Fasan!" (lŒnig Johann, S. 46),

"Und noch vom Ferkel!" (S. 46), "He! Wein! FUllt mir den Humpen!"

(S. 47), ''Der Ochse schmeckt phantastisch." (S. 47), ''Das Kalb

is t zah, der Ochse is t mir. lieber." (S. 48), und "Salat." (S. 48).

Er merkt es gar nicht, daS sich aIle yom Tisch erboben hab en und

einander Krieg erklârt haben, erst wenn die Bedienung ausbleibt -

das Hahl ist ja offiziell beendet -, nimmt er seine Umwelt wahr.

Eine tragische, unsinnig~ Szene mit einem komischen EinSâtz, der

aber auch mit der Komik aufhort, denn der Hsterreicher beendet

die sze~~1I1it dem ,sa.tz: "Hauptsach,

pâppe~tl' (KHnig Johann, S. 50)

der !Crieg ist wieder aufge-

Xhnlich ist die 6. SZeDe des Titus Andronicu8~ wo ein Bauer

Eintritt in den kaiserlicben Palast ersucbt, um eine Klage vor

Saturninus zu bringen. Der Bauer bat ein P'roblem, obesser sechzebn

Probleme, nlmlich sechzebn lC.inder, die fast vor Hunger sterben.

Dazu meint Titu8, nacbdea er dem verstlndnislo8én Bauern ein Wort-

spiel Saturninus-Saturn, der seine Kinder frai, auftiscbte und ibm

.' .. ' , l

, .\

i

-138-

den neuen Herrscher aIs Zeus vorstellte:

TITUS ANDRONICUS:

Das ist doch kein Grund, Zeus aufzusuchen.

BAUER:

Und ob das ein Grund ist. Die Dienstboten von Saturn und

Zeus, oder wie die Herren heiBen~ hab en meine Kinder ge­

macht.

TITUS ANDRONICUS:

____________________ ~E~s~i~s~t~e~i~n~e~E~h~r~e~f~ü~r eine Frau~ von Satur~ ~~ Zeus Kinder

'.

1 --~ ---

bekommen zu haben.

BAUER:

Ich pfeif' auf diese Ehre, und meine Frau pfeift noch mehr

auf sie. Seht, Herr, das ist namlich sa: Ich plage mich

den ganzen Tag, dann falle ich ins Bett und von Sinnlich­

keit keine Spur. Doch des nachts kommen die Kaiserlichen

und plündern mir den Taubenschlag aus, weil die Herren

Saturn und Zeus Taubeneier lieben, ich erwache, dnd wenn

ich erwache, packt micht dié Wut, und wenn udch die Wut

packt, kann ich nicht mehr schlafen, und wenn ich nicht ,

mebr schlafen kann, packt mich die Sinnlichkeit, und dann

passiert es eben. Aber jetzt habe ich genug von diesen

Anfechtungen. Meine Frau hungert~ meine Kinder hungern,

fünf sind scbon gestorben, und mich hungert's, und der ..... heilige Sebastian kann auch nicht mebrchelfen.lch gehe

darum zum Herrn Zeus, oder wie er lieiat, und fordere für

die durch seine Taubeneierfresserei an mir verscbuldete

Sinnlicbkeit Gerechtigkeit.

(Titus Andronicus, S. 6i)

Beide Szenen enden jedocb mit sinnloseID TOO; der ijsterreicher wird

von Faulconbridge im Gefecht niedergeschlagen, seinen KOpf legt der

Bastard in die Suppenscbüssel - dazu Dürrenmatt: "Grotesker Spiel-

• u

-139-

vorschlag, doch nicht ohne Logik" (KOnig Johann, Anmerkungen, S. 98) -, ,

sicher aIs Antwort auf die davorgewesene Mahlzeit; der Bàuer, eine

Bittschrift von Titus Andronicus mit seiner eigenen Klage Ube~: ~ ~

reichend, wird sofort gehingt, womit er anscheinend einverstanden

ist:

BAUER:

( ••• ) Meiner Seel, hingt mÎ'ch, meine Frau und meine

Kinder dürfen anstindig verhungern, mein Hals nimmt

ein sauberes Ende und der heilige Sebastian wird fUr

uns alle beten.

(Titus Andronicus, S. 66)

Komisch wirkt auch die Prasidentenszene im Portrit eines Planeten,

in der der' Prisident andauermeinem seiner Ratgeber, zuletzt auch

seiner Frau, den Mund verbietet; die nachste Sze~e schildert dann

den Weltuntergang.

lm Ubrigen gibt es in den spateren StUcken wenig, worUber man

lachen kann, wie man es im Besuch der alten Dame z~B. noch konnte.

Daa Groteske bat jedoch an Intensitit zugenommen. Die Szene, die am

meisten das Beiwort grotesk verdient, ist die Mahlzeit, die Titus

Andronicus dem Kaiser Saturnin und der'Kaiserin Tamara vorbereitet; ,

es werden n~ich die Sohne der Kaiserin, schuldig an der grotesken

VerstUmmelung Lavinias, geschlachtet und Yolgenderweise zubereitet:

TITUS ANDRONICUS:

( ... ) Das Blut vermeng ich mit dem Fleisch. di~ Knochen

\

. o

".

<)

-140-

Reib ich zu Hehl und knete einen Teig,

Und aus dem Teige bild ich eine Rinde,

Drin einzubacken eure Schurkenh~upter •

Kommt dann die Kaiserin. die teure Mutter,

Setz ich aIs delikates Fl~ischgericht

In goldner ~chüssel euch der Hündin vor.

Der Erde gleich solI sie die Brut verschlingen,

Die sie gewrfen.'

(Titus Andronicus, S. 74 f.)

Henschenfressèr kommen abermals im letzten Stück. Portrst eines

Planeten vor; diesmal wird ein Komitee zu einer Insel geschickt. um

die dortigen Barbaren yom Kannibalismus abzubringen, wozu KUhe, Schwei-

ne und Schafe, je tausend, vom Festland importiert werden IDÜssen.

Dieser gewaltige Export bringt jedoch das wirtschaftliche Gleichge­

wicht des Festlands ins Schwanken und die groteske Situation ent-

steht, daB,wshrend der Kannibalismus auf der-Insei erfolgreich be­D

kSmpft wird, die Leute auf dem Festland notgedrungen zur Barbarei

zurückkehren, wiederum ein Angriff auf das Kommissionswesen (man den-a

ke an Herkules und der StaIl des Augias), aber weithaus grotesker und

humorloser in der Gestaltung. 35

Der Krieg in Kanig Johann wi~d ~e8entlich anders dargestellt

aIs der Drei8igjAhrige Krieg,b~. die Fo1gen davon,~lm Blinden;(die

Kriegsleute erscheinen im Schlachteranzug- es hei8t ja auch Schlacht

in der Kriegsterminologie -, Ddt Blut bespritzt. das daa Abschlachten,

das groteske Hiedermetzeln von Menachen bezeugt.

. '. , ,. , _. 7 ,;'"'

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l'.

-141-

4. ABSCHLIESSENDE BEMERKUNGEN

\'"'. \:~.

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In einer Regieanweisung zum Besuch der alten Dame schrieb

Dürrenmatt:

Man inszeniere mich auf die Richtung von Volksstücken hin,

behandle mich al~ ein'e Art bewuSten Nestroy, und man wird

am weitesten kommen. Man b1eibe bei meinen Einfai)en und

lasse den Tiefsinn fahren 1 ù

Hier deutet Dürrenmatt an, wie er sein Stück verstanden und gespielt

haben mochte; die Annahme, daB diese Andeutung fUr sein Gesamtwe~k

maSgeb1ich sein konnte, wird durch einige Stell~sein~theoreFischen ,

Schriften, wie auch durch die al1gemeine Art seiner StückJ? bestarkt.

Uber das früre StUck Es steht geschrieben und die darin angewendeten 1

d~amatischen' Kunstgriffe sagt Adolf D. Klarmann:

It also shows DUrrenmatt's love for Nestroy and the Viennese

folk theatre, "This most wonderfu1 phenomenon in the German

theatre." A discussion in greater detaÏl might therefore be . d' d 2 1.n l.cate .

Dieser Aufforderung versuchte meine Arbeit zu folgen.,)

Es galt zunachst eine Themenabgrenzung vorzunehmen, da ein Ver-

such eines vol1standigen Vergleichs zwischen dem Wiener Volkstheater

auf der einen Seite und Dürrenmatt auf der anderen gewiS gescheitert

wire. Ich habe mich hauptsichlich auf Nestroy und Dürrenmatt beschr.nkt

und den Titel der Arbeit rech~ weit und offen formuliert:'Die Bühnen~

werke DUrrenmatts und die Tradition des Wiener Volkstheaters (unter

be80nderer Berücksicbtigung Bestroys).

I..l 'Y' . '.

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-142-o

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, .' Zunachst schien es mir nützlich, Dürrenmatts Aufsatz über Otto

Rommels Buch zu untersuchen. Die Ergebniss~ wiesen auf seine theo-w

retischen Werke hin, die dann herangezogen wurden, um die wich-

tigs~en Punkte DUrrenmattscher Dramaturgie herauszuarbeiten. Diese

- " wurden dann der Dramaturgie des Volkstheaters mit einer Analyse

eines Nestroyschen StUckes gegenUber gestellt, damit die Ahnlich-

keiten klar hervortreten. Dabei ergab sich, wie vorau~use~n war,

daB Dürrenmatt in eine Tradition der Kom8die eingeordnet werden

kann, deren Haupterscheinungen z. B. die Schwankdichtung, 'dle ,

Commedia dell'arte und das Wiener Volkstheater waren.

o

Daraufhin muB~e folgende Frage beantwortet werden: Wie zeigt

§ich diese Tradition konkret in den Werken Dürrenmatts? Hier konnte

ich aus den Stücken Dürrenmatts, aus seinen theoretischen Schriften,

aus den Stücken Nestroys und aus Sekundarliteratur über beide Au-

to~en folgend-es konstatieren:

1.) Die Wichtigkeit der BUhne bzw. die Prioritat der Aufführung dem

gedruckten T~xt gegenUber, wird von Dürrenmatt betont. Die vielen

Bearbeitungen ,seiner Stücke bezeugen,c daB seiner ~einung nach alles, a,

was auf ~er Bühne nicht wirkt~ geandert werden kann. FUr das Wiener

Volkstheater batte dieses Prinz~p noch graSere GUltigkeit; einer-

seits muBten die Dichter eine enorme Produktivitat baben, waren mit-

unter (wie Nestroy unter Direktor Carl) dazu vertraglich verpfli~htet, ('

mehrere Stücke im Jahr zu liefern, wesbalb der Vorwurf des f,lUchtigen

o

o

il "

o

-143-

• Arbeitens, der von Seiten der Kritik haufig geauBert wurde,

sicher oft mit Recht besteht. Andererseits waren die Stücke-

schreiber oft a~eh gleichzeitig Schauspieler; sie verstanden t

siéb dann in erster Linie aIs Komiker, die sich ihr Material

selbst verschafften, und nicht aIs Dichter, was z.B. durch die Tat-

sache, daB nur 12 StUcke von Nestroy zu seinen Lebzeiten ge-

d • d 3 ruckt wurden, untermauert Wlr •

Für d~s Wiener Volkstheater ist die Bühne ein Ort, der die Welt

darstellt; Otto Rommel hebt diesen Aspekt aIs eins der ~ichtig-

sten Momente des Wiener Volkstheaters hervor:

Nur aus diesem sicheren Verstandnis für das Fiktive und

Reprasentative im Wesen des Theatralischen heraus ist z.B.

die erstaunliche Lebenskraft des Altwiener Zauberstückes zu

verstehen, das sich mit lachelnder Selbstverstandlichkeit

inmitten der mondanen Skepsis der KongreBzeit behauptete.

In Wien wurde Theater nie mit Wirklichkeit verwechselt. 4

Dürrenmatt lehnt das Illusionstheater ebenfalls ab; fUr ihn bedeutet

die Büh?ê7~~ Fe}d fUr Experimente, fUr das Ausprobieren der Moglich-~ ...... y ,

keiten d~eit und des Raums und fUr die Gestaltung einer.Bühnen-

welt, die eine Welt darstellt, aber nicht àbbildet oder 'realistisch'

widerspiegelt. Dürrenmatt liebt das farbige Theater, das drastische

Wirkungen erz'ielt und das beim Publikmn ablesbare Reaktionen hervor-- ,t,

ruft. Hier liegt der Punkt. der die 'eit des Wien~ Volltstheaters von u

unserer unterscheidet: die Wiener Vorstadttbeater batten ibr 'ein-

heitliches' Publikum; interessant ist. wie Otto Basil die Popularitlt

Nestroys (d.h. das Treffen seiner KOmik) auf die sprachlicbe 'Land­"<J

-144-

~ schaft' Osterreichs zurückführt:

DaB ibm das Publikum nach anfanglichem Widerstand durch dick

uQd dünn, beinah .illenlos, traumwandierisch, foigte, laBt

darauf schlieBen, daB dieser Personalstil knappster und ver­

dichtester Ausdruck des sprachlichen Nationalstils war.S

Dürrenmatt dagegen fühltsich gezwungen, sein Publikum zu überlisten,

in eine Theaterfal-le~'_)J.ineinzulocken, durch das Fangwort Komodie. '\ tl .".' ~..-j '-.t,....."

Otto Rommel bezeichnet die Rolle des Komischen aIs das zweite cbh-,

rakteristische Merkmal des Wiener Volkstheaters; bis zu Raimund und • 1.

Nestroy war die VolkskomBdie

reines, schwereloses Spiel, aber ein Spiei von einem un­

erhorten artistischen Reize, an dem die ganze Stadt, ja das

ganze weitraumige alte Qsterreich und ganz Süddeutschland

geradezu mit Leidenschaft teilnahmen, denn dieses Spi.l kam

aus de~ Zentrum des Volkslebens und war eine Lebensmacht. , .. , 6 Wer seinem Bann verfiel, verfiei ihm für das ganz~ Leben.

Vielleicht konnte man den Unterschied zWlschen dem Volkstheater und

Dürrenmatt folgendermaBen beschreiben: Komische wirkung kaon nur auf

einem einheitlichèn Bezugsbereich stattfinden7 - das Wiener Publikum

aIs Einheit brachte den Bezugsbereich ins'Theater mit; Dürrenmatt

versucht, einen sicherlich vorhandenen Bezugsbereich zu treffen, wo-

durch sich dann das 'einheitliche' Publikum durch das Lachen alleine

h~rstel1t.

Konlret zeigt sich die Miteinbeziehung der Bühne in einer ak-

tiven Handlung, wie aucb in der Miteinbeziehung des Publiku~,

was sich vor ailem in der Ansprache an das

. .

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-145-

Publikum ~uBert, z.B. das Auftreten und der Monolos des Tischiers

Leim in Nestroy~ Lumpazivagabundus. Knieriems Kometenlied hebt

sich auch yom Stück ab, indem der Schuster sozusagen aus der Rolle

fallt und ein Lied vorbr1ngt, das auf konkrete Dinge auBerhalb des

Theaters bezug nimmt. Die improvisierten~Lokalstrophen gehoren

ebenso dfozu. Bei Dürrenmatt konnen wir aIs Beispiel die Monologe an-

führen, in denen die Schauspieler das Stück ansagen, sich selbst . ~

vorstellen, etwas über den Handlungsablauf berichten, sich über

den Stückeschreiber beklagen oder historische Uberblicke von der

8 Spielzeit bis zur Gegenwart geben •.

2.) Der zweite Punkt. an dem sich das Wiener Volkstheater und

Dürrenmatt treffen. ist das Komische. Laut Rommel qrachte Nestroy ;

eine neue aggressiv-pessimistische Satire auf die Wiener Bühne, die ~

~ ~ z.B. vorher bei Raimund noch nicht zu finden war. wie auch eine

neue Art Witz, der sich teilweise von,der Bandlung des jeweiligen

Stückes ablosen lieB und einige Verbreitung in der Stadt aIs selb-. 9

standiger Witz erfahren konnte. Nestroy fand seine Welt nicht die

Beste aller Welten; Dürrenmatt findet auch vieles Bedrohliche. Wie

ist das mit der KomOdie zu vereinbaren?

Für Dürrenmatt lag die Antwort darin, daB er lm Komadiantischen die

einzige Darstelluugsweise der heutigen cbaotischen Welt, wie auch ~

des heutigen Menschen Uberhaupt, sah: N

-146-

, Der Mensch ist für mi ch ein Wesen, das nur durch paradoxe,

komBdiantische Mitte1, Formen, dargeste11t verden kann, denn

der Mensch geht nicht auf vie eine Rechnung, und va der Mensch

50 aufgebt, ist die Rechnung sic~er gefa1scht. 10

Dürrenmatt geht noch weiter und erhebt (in dieser he1denlosen Zeit)

eine Art 'anti-Held' zum Helden, eine Person, die auf die Welt, von

der es kein Entrinnen gibt, 'antwo~tet. Bei Nestroy ist es die Tra-J

dition des Spalmachers, des Hanswursts, des .Narrs, d~r die'Komik

seiner Stücke in der Hand bat, der aber letzten Ende~ ebenfalls eine

Art 'anti'-H~ld darstellt. Otto Basil bemerkt eine Affinitat Nestroys

11 zum schwarzen Humor , berichtet von dem Befremden, das seine Komik ce

manchma1 hervorgerufen hat12

und zitiert einen Satz von Dürrenmatt,

der genau so gut von Nestroy batte sein kBnnen:

Die Sprache der Freiheit unserer Zeit' ist der Humar, und sei

es auch nur der Galgenhumor, denn diese Sprache setzt eine

Uberlegenheit voraus auch da, wo der)Mensch, der sie spricht,

1 . 13 unter egen 1st.

Man denkt g1eich an Knieriem bei Nestroy\und Akki bei Dürrenmatt.

Das Komische bedeutet aber nicht nur tlberlegenhe~t (oder das Dürren-

mattsche Zurücktreten, um den Gegner besser einschitzen zu kBnnen),

sond~rn auch vitale Lebensbejahung und Spiel im reinsten Sinne. Dieser l, .

Aspekt der Komik wurde kurz in Nestroy Lumpazivagabundus und in den

~ Kapite1n 3.1.1. bis ink1. 3.1.4. in der Untersuchung ~r Werke

Dürrenmatts dargestellt. Es handelte sicb bei Dürrenmatt vie bei

Nestroy um theatralisch possénhafte E1emente, um Burleske, um Uber-

-147-

mut, was auch in der ungeschichtlichen Darstellung und den ko-

, mischen Anachronismen,Ausdruck findet.

3. Der dritte Vergleichspunkt ist in,dem Bereich der Met~physik zu

suchen, die nach Otto ~~omme1 beim Wiener Volkstheater teilweise ,

,an die Ste1le der lolitik trat. Nestroy war nicht unpolitisch oder

gleichgü1tig, aber aIs Revolutionar einordnen konnte man ibn kaum. 14

Basil formuliert es treffend:

DaB er sich ,gegen den Absolutismus, insbesondere gegen die

Knebe1ung der Meinigungsfreiheit.und überhaupt gegen Metter­

nichs Polizeiherrschaft stellte, ist keine hervorstechende

1 · . h· 15 po ~t~sc e Le~stung -

" Auch Dürrenmatt ist kein Revolutionar; ibm geht es um Probleme,die

hinter denjenige~ der Politik des Al1tags liegen, also im onto-

logischen Bereich~

Nestroy machte eine Zeitlang mit 'der Zauberparodiemode mit, .aber

in seinem Zauberreich gibt es 0 Gestal ten vie den bosen Lumpazivaga-

bundus, die allzusehr den 1iederlichen Gese11en auf Erden gleichen~

Durch Dürrenmatts Gesamtwerk hindurch waÙet auch eine übermensch-

liche Kraft, die menschliches Handeln beeinfluBt, aber nie eine klar

umrissene Gestalt erh8lt wie in den Zauberstücken des Wiener Volks-

theaters. Amodeutlichsten zeigt sich die metaphysische Welt im Ge­

wand der G~ade, wie sie im'J'Engel kommt nach Babylon poetische Ge­'t

stalt anniDlDt. Die Gnade, das Hillllleisgeschenk. konmt von einem Gott.

der sich um mensch1iche Verhiltnisse überhaupt nicht kUmmert und

o

)

-148-

daher auch zu vage in seiner Bestimmung des Empfangers des Ge-

schenks vorgeht. Der'armste unter den Menschen solI Kurrub~ be-

kommen, jedoch ist der effektiv 'ârmste' Mensch der Konig Nebu-

kadnezar, der sich zuerst aIs solcher bekennen müBte, was ibm aber

nicht moglich ist; er mochte die Gnade haben, kann sie aber unter

solchen Umstanden nicht annehmen. Der Bettler Akki, zwar eine

zerlumpte Figur, aber auf,grund seines Verstândnisses der Welt und /

der Macht ein reicher Mann, bekommt sie zuletzt und weiS sie auch

zu schatzen.

Manchmal erscheint die Macht aIs eine vom Menschen ausgehende,

aber von ihm getrennte und verselbstandigte Macht, die über ibm

waltet, ohne daS er sie aIs zum Menschen gehorend erkennt. Hier

ware besonders Der Besuch der alten Dame anzuführen, wo in deru

Gestalt der Zachanassian die Macht des Geldes und die unvermeid-

lichen Zwange des wirtschaftlichen Systèms auftreten. Es kommt

hier keine Veranderung des, Systems, das unmenschliche Opfer ver-

langt, zur Rede; Dürrenmatt macht lediglich darauf aufmerksam, daO

die Güllner trotz ihres schwachen Willens rticht zu verurteilen sind,

da bestiumt jeder andere genau so inï; Verhlingnis hineingerutscht

ware. Insofern ist es keine personliche Schu~d, die dargestellt

wird, obwohl III aIs Sündenbock einen Teil der Schuld auf sich

nimmt, da er sich seines Vergehens klar bewu8t ist, sond~rD die • 1

Schuld einer Gemeinde, einer Gesellschaft, die aber durch die re-

lative Not erklârt wenn nicht entschuldigt wird. Daa beiat dann

: , ~, .

eigentlich, da8 weder die lndividuen noch das System aIs Wurzeln

des Ubels inkl. des Unrechts an Klara Wsscher angeklagt werden;

insofern bleibt die Kritik noch unausgesprochen.

ln den Physikern wird der Machtwahn am deutlichsten ausgesprochen;

anstelle eines Hümmels oder einer unerklarlichen Wirtschaftskrise

steht die Macht des technischen Wissens (die Macht des Kënig Salomos).

d'ie aber wiederum zur Wirtschaftsmacht und totalen We1therrschaft

verwandelt wird. Leider wird der Realitatsbezug und damit auch die

Kritik dadurch verwirrt, da8 es sich um eine irre Irrenarztin, also

um keine normale Person bandelt, .fie. das 'Geheimnis an sich reiSt.

Jedoch zeigt Dürre~tt hier, daSéder bose Zufall das Gegenstück

zur Gnade ist, das eine genau so unverstandlich und letzten Endes ,

grausam wie das andere, und daS menschliches Handeln dem Zufall

unterliegt. Gesellschaftlich gesehen bedeu~et es die Ineffektivitat

des Einzelnen, der die Probleme zu losen versucht, die aIle angehen

und nur aIle losen kOnnen.

Klarer wird dieser Gedanke 1m KOnig Johann ausgedrückt, wo ein

vernüÙfti~er Mensch vernünftigen Rat gib~. aber dann doch immer von

d~r Reaktion der-Gegner überrascht wird und sich schlie81ich selbst () .

in Schach~s~tzt. Dürrenmatt gestaltet die Unveranderbarkeit der Wel~.

da eine,Reform das ganze System in Frage stellt, und die Maehthaber

trotz allen Unterschieden und Unstimmigkeiten sich in der Prioritlt-

der Erhaltung des Systems einig und demzufolge stark sind •

. ,

-150-

In Titus Andronicus wird die grausame, sinnlose Wiederholung der

Weltgeschichte dargestellt, die einzig aus Grausamkeit und Unge-

rechtigkeit besteht. Eine Verandetung konnte nur noch in der Zer-

stërung der Welt bestehen, wie Dürré~matt es dann durch eine Natur-

katastrophe im Portrat eines Planet en geschehen laSt.

w~ung una Kritik werden ausgesprochen, doch liegt hier ein groSer

Widersprucn vor,o~nn Dürrenmatt im Gegensatz zu Brecht z.B. durch-

eg nur die UnmBglichkeit einer positiven Wirkung seiner Kritik,

gleidhzeitig aber trotzdem paradoxerweise die Notwendigkeit des

unwirksamen Protests~ des ohnmachtigen Aufschreis, darstellt. , o •

Nestroys Anklage an die Entfremdung der bürgerlichen Welt wurde

klar ausge8pro~hen; im Lumpazivagabundus konnen ~ir dem Chor keinen

Glauben schenken. Knieriem: und Zwirns (richtige und echte) Ab-

lehnung der bürgerlichén Welt, die nur institutionalisierte Freuden

anbietet, bleibt derart prasent, daO ihre Besserung aIs an den

Haaren herbeigezogen erscheint. Die Ablehnung besteht trotz happy

end als Anklage gegen das System.

Die Kategorien Spiel und Satire wurden in dem Nestroy-Teil

der Arbeit aIs grtindlegend he~orgehoben. Die Untersuchung der

Werke Dürrenmatts bat Elemente der Komik, die bauptsachlich in die

Kategorie des Spiels fallen, aus den frUheren Stücken angefUhrt. Ob-

wohl es den Beispielen nicht immer ausdrUcklich beigefUgt wurde,

wurde do ch von Zeit zu Zeit auf die tragische GrundsitQation der

>

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~~ ..

•• , ,

t

-151-

Stücke aufmerksam gemacht, indirekt a1so auf die damit verbundene

Anklage,/ die Kritik, die die satirische Intention" verwirklÏcht.

In den spateren StUcken DUrrenmatts hat sich der Sc11werpunkt in -

~ie Richtung der Kritik hin ver1agert, wobei eine intensiveré Form

Q k • des Grote~ken zu onstat1eren war. )

Die Komik der frühëren StUcke zeugt von einer Kr4ft, von einer

Farben- und Aktionsfreude, von einer Vorliebe,für Uberraschungen;

von klaren.Wiederholungen, von Verdoppelungen, von einem Sinn fUr

die Wichtigkeit der grundlegenden S~fie~ des Lebens wie z.B. für das

Essen, von.effektvollen Anfangen und Schlüssen, J kurz, von einer

lebensfreudigen Phantasie und einer Fabulier- und Unterhaltungslust,

die eher in die Tradition des Volkstheaters (Commedia dell'arte,

Scbvankdichtung ~.s.w.) aIs in die e,ines Hofmannstha1s (Der Scbwie-

rige), um ein Beispiel zu nennen, gehort.

, J jedoch ~eIdet Dürrenmatt, um mit Karl Kraus zu reden, vie

N~stroy, daB es in der Welt do ch recht haBlich eingerichtet sei. t

Die Verlagerung des Schwerpunkts auf das Groteske in den spateren

Werken im Gegen~atz zu der heiteren, einfachen, effektvollen Komik

der frUheren Werke kann auf ein Durchdenken seiner gesellschaft­

lichen Funktion ~urUckzufUhren ,sein. Die Komik ma~ht die frUheren , ,.

~erke zu genielbar und lilt die Kritik e~n wenig ~ü kurz ~~n. k ~ " ,.. J ~

, In den spiteren StUckep arbeitec Dür~e~tt mit 8tlrkeré~ Mitteln •

• '1

..

-152-

• .. um dem abgehartete~ Pub1ikum seine Kritik und seinen Protest

k1arzumachen.

Nicht zu vergessen ist, daB Dürrenmatt spatestens nach dem

groBen Erfo1g des Besuchs der alten Dame weltberühmt geworden ist,

und daB er somit das Fangwort Kom5die. wie auéh die komische Ge-Q!, 0

.-staltung, nicht mehr in dem Grad benotigt wie vorher, um ein Pu-

blikum herbeizulocken. Er kann es sich 1eisten. ein wenig unan-

geneluner zu sein, ohne gleich dadurch seinen Lebensunterhalt, zu .~

verlieren. Aber wahrschein1ich ist es die a1lgemeine Weltlage,

die die Bausteine für die Bühnenwelt liefert, die für Dürrenmatts

" Wendung vom Komischen zum Grotesken verantwortlich ist.

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.,

• ,

.-) .

'"'. ,- }~ -153-

ANMERKUNGEN

VORBEMERKUNGEN .

1 Friedrich Dürrenmatt, '~Theaterprobleme," Theater -

Schriften und Reden, ZUrich 1966, S. 131.

2 Johann Nestroy, Nestroys ~ in %Wei Banden, brsg. v.

den nationa1en Forschungs- und Gedenkstatten der

k1assischen deutschen Literatur in Weimar, Weimar 1962.

Ferdinand Raimund, SUmt1iche Werke, hrsg. v. Friedrich

Schreyvogl, MUnchen 1960.

3 Dürrenmatt, a.a.O., S. 109.

4 ders., "Bekenntnis9~ eines P1agiators," a.a.O., S. 239/246.

5 ~ ders., ~'Die alte Wiene}" Volkskomodie," ,a.a.O., S. 142/145.

6 Siegfried Kienzle, ''Friedrich Dürrenmatt," Deutsche Literatur

seit 1945, hrsg. v. Dietrich Weber. Stuttgart 1968, S. 362/390.

l' DURRENMATT / WIENER VOLKSKOM(SDIE "\

1 Dürrenmatt, ''Vo1kskomodie,'' a.a.O., S. 142. )

2 ebda.

3 ebda.

4 a.a.O., S. 143.

5 ders., ''Theaterprob1eme,'' a.a.O., S. 107.

6 ders., ''VolkskomOdie,'' a.a .0., S. 14~.

7 ebda.

8 a.a.O., S. 145.

9 Nestroy versuchte, diesen Zwang zu umgehen, indem er der

Zensur vorzensurierte Texte lieferte. FUr die Aufführungen

ga1ten jedoch die ursprUnglichen Fassungen der Texte.

Vgl. dazu: Rio Preianer, Johann Nepomuk Kestroy: ~ Sch8pfer

~ tragischen Posse, MOnchen 1968, S. 29fç

:1

.. , "

'J.'" :

7 -r 1f ré

'.

10

-154-

Ich denke besonders an den Sch1uBsatz der '~eaterpro-"

bleme," aber auch an andere abw!rtende Au8erungen wie z.B.:

Dürrenmatt, "Theaterprobleme," a.a.O., S. 113. - "Niemand

kopft leichter aIs jene', die keine KOpfe ~ben." .' Il Dürrenmatt scheint mit sich selbst noch nicht einig ge-

12

13

14

worden zu sein. Man vergleiche: ders., ''Vom Anfang her,"

a.a.O., s. ~9. - " ... voin GroBvater her weiB ich,

daS Schreiben eine Form des Kampfens sein kann."

In diesem Zusammenhang zu erwahnen waren noch die Aus­

fijhrungen in den "Theaterproblemen" Uber die Wirkungslo­

sigkeit der Kunst im Bereich der Gese11schaft.verander~ng. , Hier wird die Notwendigkeit des Protests dargestellt, der

aber nicht im Aufdecken der Diskrepanz zwischen de~, was

die Welt ist, und dem, was sie im Positiven sein konnte,

besteht, sondern im Heraufbeschworen der apokalyptischen . Bi1der, die für Dürre~tt den logischen Sch1uB einer Ge-

schichte bedeuten.

ders., "Theaterprobleme," a.a.O., S. 93f.

Vgl. dazu das Ei der Erklarung in den ''Theaterproblemen,''

a.a.9., S. 108.

Das ist eine Haltung, die besonders deutlich im Stück

Die Ehe des Herrn Mississippi zum Vorschein kommt.

15 ders., "Fingerübungen zur Gegenwart," a.a.O., S. 45.

Vg!. dazu "Theaterprobleme," a.a.O., S. 123.

"Die Welt (die BUhne somit, die diese Welt bedeutet) steht

_ fUr mich aIs ein Ungeheures da. aIs ein Ratse1 an Unheil, das

hingenommen werden muB, vor dem es jedocb kein Kapitulieren

geben darf. Die Welt ist groBer denn der Mensch. zwangsliufig

nimmt sie 80 bedrohliche ZUge an, die von einem Punkt auBer­

balb nicht bedrohlich wiren, doch'babe ich kein Recht und'

keine F!higkeit, mich auSerhalP zu stellen. Trost in der

Dich~ung ist oft nur allzubillig, ebrlicher ist es wohl, den

menschlichen Blickwinkel beizubehal ten. "

\,

-155-

'Vg1. dazu die Miteinbeziehung der Bühne bei d~n Griechen

und beim Vo1kstheater, a.a.O., S. 105.'

17 VgI. dazu: Karl S. Guthke, Die moderne Tragikomëdie:

."

1 -

Theorie und Gestalt, Gottingen 1968, S. 135.

" .•. solI das heiSen, daS Dürrenmatts I<omodientheorie von

der sti11schweigenden Ubereinkunft woh1 samt1icher andern

Dramaturgien abweicht, daB nllmlich di'e I<omëdie wie die

Tragodie in der Vorste11ung gründen, daB es eine Ordnung

oder Norm gibt, in Hinb1ick auf welche etwas komisch oder

tragisch ist'? It

18 Dürrenmatt, '~Theaterprob1eme," a.a.O., S. 131.

19 ders., ''Vom, Sinn der ~ichtung in unserer Zeit," a.a.O.,

S. 56.

20 Zum Thema Kunst und Unterha1tung:

.. ders., "Schriftstellerei aIs Beruf," a.a.O., S. 55. , Berto1 t Brecht, Schriften.!!!!!. Thea ter ~ - . !lli!!: eine nicht-

aristote1ische Dramatik, Frankfurt/M. 1957 (1. bis 6. Tausend),

S. 66.

Sigmund Freud. Das Unbehagen 1 in d.er Ku1 tur. AbriB der

Psychoanalyse, Frankfurt/M. und Hamburg 1971, S. 73f.

21 Diese Ansicht kOlllJlt auch in Dürrenma tts Romanen vor, im

22

23

24

25

26

Verdacht wie auch im Versprechen.

DUrrenmàtt, Der Verda 1961, S. 120.

ders., Das Versprechen~ "ri - 1..;"

• 19.

ders., "21 Punkte zu den Physikern," ::o....I..;.....:.._=.!l, ZUrich

1~3, S. 355. \ ' deps., ''F~gerübungen, Il a.a.O., S. 45. "~ .. ~ ~

ebda.

ders. "Hingeschriebenes," a.a.O., S. 89.

ders., ''Vom Sinn," a.a.O:,_ S. 63. "

(

Vg!. dazu: ~ unbequeme Dürrenmatt, mit Beitrlgen von

Gottfried Benn, E. Brock-Sulzer, ~. Buri, R. Grimm, H. Mayer

und W. Ober1e, Basel 1962 • .. "

J

..

-156-

~

27 Dürrenmatt, "Theaterprob1eme," a.a.O., S. 124.

"Die KomBdie rst eine Mausefalle, in die das Publ ikum 1

immer wieder gedit und immer noch geraten wird."

28 a,a.O., S. 119.

29 a.a.O., S. 121.

30 a.a.O., S. 128f.

31 Fritz Buri sieht in seinem Aufsatz die Gnade aIs den Haupt­

einfa11 des Dürrenmattschen Werks an.

32

33

Fritz Buri, "Der 'Einfa1l' der Gnade in Dü1."renmatts dra­

matischem Werk," Der unbequeme Dürrenmatt, a.a.O., S. 35/69.

Otto Rommel, Die AIt-Wiener VolkskomOdie, Wien 1952, S. 905. -.--

" das MenschlÎche im UnzuU:ingl ichen ••• "

a.a.O., S. 913: "Zwar verlor er nie den Glauben an den Sinn

der Welt - davor bewahrte ibn ebenso sicher seine vertrauens­

vo1l~ katholische Frommigkeit wie der im osterreichischen

Biedermeier langer aIs irgendwo in Europa bewahrte Glaub

sein~~hrhünderts an die beste der Welten; er wuBte:"

des Ke~hen irdisch Teil ist Dulden ••• "

34 Dürrenmatt, "Satze fUr Zeitgenossen," a.a.O., s. 83.

"Es wird innner schw~erige;: yerden, davonz!lkotœlen. Il

35 ders.~, !.!.!!. Engel kommt nach Babylon, Kom8dien .!" ZUrich

1957, S. 252.

"Die vorliegende Komodie versucht den GAd anzugeben,

wesha1b es in Babylon zum Turmbau kam, der Sage nach zu

. einem der grandiosesten, wenn auch unsinnigsten Unternehmen

/~r Menschheit; um so wichtiger, da wir uns heute in ahn­

liche Unternehmen verstrickt sehen."

36 Hans Banziger, Frisch ~ Dürrenmatt, Bern/Manchen 1960,

37

./ S. 123f.

D~~renmatt, ''Vom Sinn, Il a.a .0., S. 63.

"Der Scbriftsteller gebe es auf, die Welt retten zu wollen. ,

Er vage es wieder, die Welt zu formen, aus ibrer Bildlosig­

keit ein Bild zu machen."

u

(

• o

~

'1 '

.~

,.

, .1

38

39

,0

ders., ''Der Rest ist ~nk," a.a.O., S. 73.

ders., ''Vom Sinn," a.a.O., S. 58ff.

40 Vg!. dazu: Ein Engel ~ ~ Babylon.

41 Dürrenmatt, "Ansprache anlâsslich der Ver1eihung des Kriegs­

blinden-preises," a.a.O., S.(149.

2.

1

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18

NESTROY UND DAS MODERNE mUTER; SPIEL UND SATIRE

"

Wiener Vo1ksstücfe, mit einem Nachwort von Bart el' F. Sinhuber, J

Wien 1971, S. 476.

Otto Rommel, J~hann Nestroy: Der Satiriker auI der A1twiener

Komodienbühne, Wien 1948, S. 37.

a.a.O., S. 35 und Sinhuber, a.a.O., S. 476.

Rommel, a.a.O., S. 36.

a.a.O., S. 37.

Wolfgang Kayser, Das sprach1iche Kunstwerk,München/Bern

196914, s. 382.

Rommel, a.a.O., S. 38.

a.a.O. , S. 38ff.

°a.a.O. , S. 39-. ~.

a.a.O., S. 41.

ebda. ebda. __

Karl Kraus, "Nestroy und die Nachwelt," Die Fackeo

1, 14. J&,:.

(1912), Nr. 349/350, Bd. 43, S. 4. ~

Franz Mautner, "Nestroys Kunst und UDsere Zeit," Jahrbuch

der Deutschen Schillergesellscbaft, 7. Jg., Stuttgart 1963,

S. 386. to

a.a.O. , S. 406. '-/

ebda. • a~a.O. , S. 414.

a.a.O. , S. 398.

J D

• -

• • '- .

19

-158-

o

a.a.O,., S. 396. .. "Der Gegenstand seiner Satire war a1so der Mensch sch1echt­

hin, gestaÙet aIs Figuren der Umwe1t Nestroys, aIs die

Wiener seiner Zeit. Er begab sich so in die paradoxe

Stel1ung des Satirikers aui' der Bühne, der für seinen '.

Erfolg a'uf ein Publikum angew1esen ist, das Gegenstand

seiner Satire ist."

20 Siegfried ~rill, Die KomBdie ~er Sprache: Untersuchungen

zum Werke Johann Nestroys, Nürnberg 1967, S. 209.

21

Fe~ner œ.a.O., S. 208.

"Es ist eine abstruse Verzerrung des Nestroyschen Werkes,

~u~einen, der Dichter habe se1n Leben lang nichts anderes

zu tun gehabt, aIs Raimunds N~ivitat zu verhëhnen."

Preisner, a.a.O.,' S. l8f.

Dürrenmatt, "Fillgerübungen zur Gegenw~rt," a.a.O., S. 45.

23 DMautner, a.a.O., S. 4l4f.

24'

!

Kraus, a.a.O., S. 5.

" Vg1. dazu: Siegfried Diehl, Zauberei und Satire im Frühwerk

Nestroys', Bad Homburg v.d.H./Berlin/Zürich 1969, S. 183. o ~

"Nicht mehr die alten liebenswerten Geister, die ein dauer-

€af'te~ menschliches Glück gewahrleisten, nicht mehr die Un­

zuUinglic,hkeiten einer lustigen Figur, die sich selb~tbewuat

durch eine Mlirchenwirklichkeit arbeitet, bestimmen Nes,troys

frUhe'Possen. Die Travestie wird nur benutzt aIs Mittel für

~ eine echte Parodie, die ihr Ziel nicht'in biederer Situa~ions­

,komik sieht, sonde~ die ihren Gegenstand wirklich angrelft.

'Lacherliche Zauberei aIs Chiffre für eine lAcherliche ~elt-

-, .r,~gierung, ~rodie aIs geziEfllte Literatur- und Theaterpersi­

flage, S~tire aIs Gesellschaftskr{tik. die .ich nur am Bande

gegen einzelne MiBstande richtet, i. Gruade j.aoch ~ie ganzeb

'Ordnung', 'je nahe~~ die Weltordnung, in prage stellt: das

sind die wesentlichen Blement, in Nestroy. JrUhwerk. 1I

o

• ..

~' .

-159-

o

25 Dieh1, a.a.O., S. 174.

26 a.a.O., S. 178.

28

30

31

"Nestroys Possen weisen zwar mitunter recht deut1ieh auf

die fau1en Verhaltnisse der Gesel1sehaft hin, aber es feh1t

ihnen jedes Programm zu einer Verbesserung der Zustande, und "

noch sehwerer wiegt der fata1istisehe Zweifel, der keine ge-

sta1tende Aktivitat aufkonmen 1aBt." Naeh Dieh1 sind das die

HauptteRdenzen des Theaters des Absurden, die sehon in o

Nestroys Werk ausgepragt sind.

JÙrgen Hein, Spie1 und Satire in der Komodie Johann Nestroys,

B~' Homburg v.d.H./ Berlin / Zürich 1970, S. 159.

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Basil, a.a.O., S. 163.

32 Johann Nestroy, Nestroys'Werke in zwei Banden, a.a.O., Bd. 1,

S. 33.

33

34

35

36

37 ,

38

39

40

41

42'

43

44

'-

a.a.O., S. •

'a.a.O. , S.

a.a.O., S.

a.a .0., s. a.a.O., s. a.a .0., s. a~a.O. , S.

a.a.O., s~

a.a .0., S.

a.a.O., s. ebda.

a.a.O., s.

34.

49.

15.

'23.

51. ,

53.

29. ...

30.

14. C'

35.

17.

"

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. ,

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---,

-160-

45 a.a.O., S. ~8.

46 a.a.O., S. 33.

47 a.a.O., S. 67.

3. UIttÈRSUCHUNG DER WERlŒ DllRRENMATTS

1 Dürrenmatt, 'Der 'Besuch der Alten Dame, KomBdien l, a.a.O.,

S. 348.

2 ebda.

3

4

5

6

7

Banziger, a.a.O., S. 180.

a.a.O., S. 154f.

ebda.

a.a.O., S. 185.

Kienile. a.a.O., S. 377. (J

8 a.a.O., S. 376.

9 ebda.

10 Horst Bienek, Werkstattgesprache mit Schriftste11ern,

München 1962, S. 102f.

Il Guthke, a.a.O., S. 65.

\,

12 Vg1. dazu Dürrenmatts Aussagen im Gesprach mit Horst Bienek.

13 Elisabeth Brock-Sulzer, Friedri~h Dürre~tt, Zürich 1970,

s. 322f.

14 FUr die Belege aus den Texten Dürrenmatts werden die An­0,

l' merkungen den Beispielen zugefügt. Ange8\ben werden die'oTite1 , ,

15 ,~

(entweder der Stücke, z.B. Titus Andronicus, wenn sie nur in

Einze1ausgaben erschienen sind, oder der 'Sammlungen, z.B.

Komëdien'_.!., KOmOdien II, wenn sie -dort zu finden sind) und

,die ent$prechenden Seitenzah1en. Bühneôa~eii~ngen oder Teile

de8<T~xts, die ÜD Kursivdruck erscheinen, verden in meinem

Text unterstrichen. ~ Vgl. dazu die Definition des Grotesken in: J/ Arnold Heidsiét-t., Das Groteske ~ das Absurde im modemen

Drama, Stuttgart! Berlinl Kalnl Mainz 1969, S. 72 • ~

·'

".

-161-

~

16 Vg!. dazu DürretuDatt, "Bekenntnisse," a.a.O., S. 239/246.

17 DaB sein nachstes Stück, Die Wiedertaufer, eine Bearbeitung des

Stückes Es steht geschrieben ist, unterstützt diese Annahme.

21

22

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a.a.O., S. 44f.

a • a . 0 ., S. 44.

23 a.a.O., S. 11." ,., 'J '~às absurde Theater zeigt die Weit nicht in ihren Wider-

sprüchen, es ~ndert sich nur über die Widersprüche und

treibt seine SpaBeo Es durchschaut nicht mehr die Gesetze

der Welt, nimmt die Verhaltnisse aIs gegeben. Und die Weit

wird Schicksal genannt. Das absurde Theater erscheint nur

aIs eine neue Form von Schicksalsdrama. Grot~skes ~rama

will den Irrsinn, der geschieht, darstellen. Die Welt ist

veranderbar. Dürrenmatt zeigt in seinem neuen Stück Die

Physiker einen solchen Irrsinn. Aber er feiert diesen Irr-

sinn nicht."

24 Reinhold Grimm; "Parodie und Groteske bei Friedrich Dürren­

matt," Strukturen: Essays zur deutschen Literatur, GOttingen

1963, S. 45:

25 a: • a . O., S. 71. t

'~ürrenmatt rügt aber auch die Welt und die Menscheno Er

tadelt und klagt an. Mit den dimonischen, vitalen, spiele-1

rischen und ~rodi8tische~ Elementen des Grotesken, von denen

wir bisher ausschliejlich spracben, verbindet sicb bei ibm

immer w,ieder ein starkes satirisches Element. (o •• ) Der

Satiriker aber will" nicht nur rUgen, sondern auch bessern."

o

. "

-162-

" .

26 a.a.O., S. 70.

27 ebda.

28 Heidsieck, a.a.O. S. 16/47.

29 a.a.O., S. 87ff.'

30 a.a.O., S. 89.

31 Untertite1:

Es ~ geschrieben, ein Drama

Der Blinde, ein Drama

Romulus der Gro8e, ungeschicht1iche historische ~omOdie

Die Ehe des Herrn Mississippi, eine KomBdie

Ein Enge1 kommt nach Babylon, eine fragmentarische Komodie

in drei Akten

Der Besuch der alten Dame, eine tragische Komëdie in drei

Akt.en

Fran!; der Fünfte, ein.e Komodie

Die Physiker, eine Komodie in zwei Akten

Herkules und der StaIl des Augias, e~ne KOmOdie

Der Meteor, eine KOmOdie in zwei Akten

Die Wiedertaufer

Konig Johann, nach Shakespeare

Play Strindberg, Totentanz nach August Strindberg

Titus Andronicus, eine KomOdie nach Shakespeare

Portrat eines Planeten

32 Heidsieck, a.a.O., S. 94.

33 a.a.O., S. 115.

An dieser -Ste1le mOchte ich auf S. 38f. meiner Arbeit zurück­

weisen, wc Rio Preisner dense1ben Hintergrund für Nest~or

34 ROnig Johann, Nachwort, S. 101.

eines'Systems ist immer eine halsbrecherischë

setzt, ob sie will oder aicht, das ganze

-163-

35 ders., Portrat eines P1aneten, S. 24.

ABEL: ( ••• ) Ohne ~oordination lst das We1thilfsprogramm

nicht durchzuführen. Wahrend ihr Komitee harmlose Kanni­

ba1en auf Tiernahrung umstellt,'friBt ein dreitausend­

jahriges Kulturvolk vor Hunger Leichen. Wenn ein Komitee

den Kannibalismus fërdert, so ist es das Komitee gegen

den Kannibal ismus. ( ••• )"

4. ABSCHLIESSENDE BEME1ll<1fflGEN ".,1

1 Dürrenmatt, KomOdien !, a.a.O., S. 348.

2 Adolf D. K1armann, "Friedrich Dürrenmatt and the Tragic

Sense of Comedy, fi The Tulane Drama Review IV (1960), S. 82.

3 Rommel, a.a.O., S. 175. Ferner Basil, a.a.O., S. 14f.

4

5

6

Rommel, a.a.O., S. Il.

Basil, a.a.O., S. 17.

Rommel, a.a.O., S. 13.

7 Vgl. dazu a.a.O., S. 43ff. und W. KayseF, a.a.O., S. 382.

8 Klarmann, a.a.O., S. 82.

9 Rommel, a.a.O., S. 57f.

10 Bienek, a.a.O., S. 102f.

Il Basil, a.a.O., S. 58.

12 Rommel, a.a.O.,~ S. SOff.

13 Basil~ a.a.O., S. 58.

14 AuchJJpaul Reimann kODDllt in seinem Vorwort der hier benutzten

Nestroy-Ausgabe zu diesem Ergebnis.

15 Basil, a.a.O., S. 119 •

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