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ADAM J. DALTON Das Wispern der Schatten

Ad A m J. dA lton das Wispern der Schatten · me ikRanson, noch unbekannterweise an Sandi Wakefield, die omkmentieenrde Becky Unicorn, den überhwsc äng lihen c Phil Sharrock, die

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das Wispern der Schatten

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AdAm J. dAlton

Das Wispern der SchattenRoman

deutsch von mai ke Clauß nit zer

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Das Wispern der SchattenRoman

deutsch von mai ke Clauß nit zer

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die ori gi nal aus ga be er schien un ter dem ti tel»the Em pire of the Savi ours«

bei Gol lancz, the ori on Pub li shing Group ltd, lon don.

Verlagsgruppe Random House FSC-dEU-0100das für dieses Buch verwendete

FSC®-zertifizierte Papier Super Snowbrightliefert Hellefoss AS, Hokksund, norwegen.

1. Auf a gedeut sche Erst ver öf ent li chung märz 2013

bei Blan va let, ei nem Un ter neh men der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH, mün chen.

Co py right © der ori gi nal aus ga be 2012 by Adam J. dal tonCo py right © der deutsch spra chi gen Aus ga be 2013

by Ver lags grup pe Ran dom House GmbH, mün chenRe dak ti on: Ale xan der Groß

UH · Her stel lung: samSatz: Buch-Werk statt GmbH, Bad Aib ling

druck und Ein band: GGP media GmbH, PößneckPrin ted in Germ any

ISBn 978-3-442-26912-9

www.blan va let.de

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In lie be Si oux sie, mum, dad, Chris, da vid, Ga len, Ca spar, lach lan und Ka tar ina ge wid met.

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Hü tet euch vor de nen, die vom Glau ben und vom All ge mein wohl spre chen, aber zu gleich be haup ten,

ma gie sei teu fels werk.

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mit ei nem Gruß an mei ne wach sa me le se grup pe:den un er schüt ter li chen Paul leem ing, den ad ler äugi gen

mike Ran son, noch un be kann ter wei se an Sandi Wake field, die kom men tie ren de Becky Uni corn, den über schwäng li chen Phil Shar rock, die stets ge schäf ti ge mag gie mil ne und den

tat kräf ti gen Kevin Bu r ge.Ich dan ke matt White, nick White, tom mar tin

und Kasia mar tin für ihre groß zü gi ge Un ter stüt zung.

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Ka pi tel 1mA GIE ISt dAS ERS tE ÜBEl

Am An fang hat ten die ge seg ne ten Er lö ser das Volk vor den Hei den und Bar ba ren ge ret tet und im An schluss da ran be fes-tig te Städ te er baut, in de nen sie ihre neu ge won ne nen An hän-ger si cher ver wah ren konn ten.

Jede Stadt ver füg te über eine ste hen de Streit macht von Hel-den auf ih ren mau ern, um sie vor al len plötz li chen An grif-fen äu ße rer Plün de rer zu schüt zen und die leu te im In ne ren auf zu hal ten, die vom rech ten Weg ab wi chen oder in Ver wir-rung ge rie ten. denn es kam durch aus vor, dass ein heid ni scher ma gier, der sich ir gend wo in den Wäl dern ver steckt hielt, ver-such te, durch düs te re Zau ber Ein fuss auf den Ver stand des Vol kes zu neh men. Jil lans Schul ka me ra den er zähl ten sich füs-ternd die Ge schich te, dass einst ein Zau ber kun di ger das Volk von neu-Hei lig tum dazu ge bracht hät te, sich ge gen sei ne ei-ge nen Hel den zu er he ben, und dass nur der plötz li che und un er war te te Be such ei nes der Hei li gen des Reichs die Stadt da vor be wahrt hät te, voll stän dig ver lo ren zu ge hen – ge lobt sei en die Er lö ser für die Vo raus sicht, mit der sie den Hei li gen ge bo ten hat ten, von Ge mein de zu Ge mein de zu rei sen, um sich be stän dig des Vol kes an zu neh men!

Es ging das Ge rücht, dass die Hei den und Bar ba ren bru ta le Wil de, oft mals auch Ge stalt wand ler und auf je den Fall Ele-men te des Cha os wa ren. In al ten Zei ten hat ten die Er lö ser

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aus dem Cha os ein ge ord ne tes, si che res le ben für das Volk ge schaf en. das war na tür lich schon so lan ge her, dass heu-te je der da von wuss te, auch wenn er nicht am le ben ge we sen war, als es sich be ge ben hat te. das Reich der Er lö ser war ur-alt und war es schon im mer ge we sen – so gar noch äl ter als Sa mu el, der doch der äl tes te mensch in ganz Got tes ga be war, äl ter als Jil lans Groß va ter, Ur groß va ter oder Ur ur groß va ter (wer auch im mer das ge we sen sein moch te) und so gar äl ter als des sen Vor vä ter.

Pre di ger Pra xis sag te, dass das Reich der Er lö ser im mer so blei ben wür de, wie es seit je her ge we sen war – dass das Reich ewig sei. das ein zi ge ge ord ne te le ben, das es auf der Welt gab, war das Reich, und al les an de re war das Cha os. Zu An be ginn der Zeit hat ten sich, wie der Pre di ger sei nen Schü lern er zähl-te, die Kräf te des Gu ten und der ord nung zum Reich ver eint, um das Cha os und sei ne fins te ren heid ni schen Göt ter da von ab zu hal ten, un ein ge schränkt zu herr schen und am Ende die Welt zu zer stö ren. das Cha os läs ter te un ab läs sig das Reich und ver such te, es in den Un ter gang zu rei ßen, da es ei fer süch-tig war, weil die Er lö ser das Volk sei nem Grif ent wun den hat-ten. des halb be nö tig te jede Ge mein de ihre mau ern und Hel-den, und das ge sam te Volk muss te wach sam blei ben und sei ne Ge dan ken und sei nen Ver stand vor je der un hei li gen Re gung oder Ver su chung be wah ren.

Jil lan hat te die gan zen drei zehn Jah re sei nes le bens in ner-halb der mau ern von Got tes ga be ver bracht. mor gens wur de er in die Schu le in der Stadt mit te gleich ne ben dem gro ßen, weit läu fi gen Ver samm lungs platz ge schickt. Sei ne mut ter und sein Va ter ver brach ten den tag so wie die meis ten an de ren Er wach se nen au ßer halb der mau ern, sei ne mut ter mit der Feld ar beit, sein Va ter ge mein sam mit den we ni gen an de ren, die sich da rauf ver stan den, auf der Jagd in den Wäl dern. die Er wach se nen wur den im mer von ei nem trupp Hel den es kor-

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tiert und be schützt, ob wohl die Hei den sel ten an grif en, wenn die Son ne am Him mel stand. oh ne hin war es zu Jil lans leb-zei ten noch zu kei nem An grif ge kom men. Pre di ger Pra xis sag te, dass die Hei den ge lernt hät ten, die Hel den zu fürch-ten, und lie ber eine fins te re, heim tü cki sche Vor ge hens wei se wähl ten, statt sich der Ge fahr ei nes di rek ten Zu sam men sto ßes aus zu set zen. Pre di ger Pra xis sah im mer Jil lan an, wenn er die Wör ter fins ter und heim tü ckisch ge brauch te, aber Jil lan wuss te nie so recht, wa rum. Er fühl te sich un be hag lich da bei und wur de rot. Je des mal war er schuld be wusst und ver ängs tigt, und Pre-di ger Pra xis lä chel te, nick te wis send und rief sei nen Schü lern ins Ge dächt nis, wie wich tig es war, ihre Ge dan ken vor al len heim li chen und selbst süch ti gen Be gier den zu be wah ren, die ih nen von den Hei den und vom Cha os ein ge ge ben wur den.

Jil lan fürch te te sich vor Pre di ger Pra xis und ging nicht gern zur Schu le, wo er tag täg lich dem bö sen Blick des hoch ge-wach se nen man nes aus ge setzt war. der Jun ge wuss te, dass er dank bar da für hät te sein sol len, von den Erl ösern zu hö ren, weil sie so viel ge op fert und ge tan hat ten, um das Volk aus dem ver derb li chen Grif des Cha os zu be frei en, aber Jil lans mut ter muss te ihn je den mor gen mehr fach ru fen, um ihn über haupt aus dem Bett zu be kom men. manch mal er tapp-te er sich bei dem Wunsch, dass die Son ne nie mehr auf ge-hen, die nacht für im mer an dau ern und sein Schlaf nie mals en den wür de. dann wur de ihm klar, dass solch ein Wunsch sünd haft war – dass er fins ter und heim tü ckisch war, denn die nacht ge hör te den Hei den, und wenn man sich eine nacht wünsch te, die für im mer dau er te, dann träum te man in Wirk-lich keit vom end gül ti gen Sieg des Cha os. na tür lich woll te er, dass die Son ne wie der auf ging! Wie hät te er sich et was an de res wün schen kön nen? Wenn die Son ne nicht auf ging, wür de er nie wie der auf wa chen, um sei ne Schul freun de und El tern zu se hen, und er lieb te sei ne El tern ab göt tisch, mehr

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als al les an de re, ob wohl er wuss te, dass er die Er lö ser stär ker hät te lie ben sol len.

Jil lan hat te manch mal Angst vor sei nen ei ge nen Ge dan ken und Ge füh len. Sie konn ten sünd haft sein und droh ten, ihn in Schwie rig kei ten zu brin gen und da für zu sor gen, dass das Cha os ir gend wann völ lig von ihm Be sitz er grif. Und die Art, wie Pre di ger Pra xis ihn im Un ter richt an sah, deu te te da rauf hin, dass der Pre di ger es wuss te. Er muss te wis sen, dass Jil lan von sol chen Ge dan ken heim ge sucht wur de. Er sah es Jil lan an, wann im mer sein Ge sicht rot an lief, und viel leicht spür te er so-gar ei ni ge sei ner Ge dan ken, denn de nen, die stark im Glau ben wa ren, hat ten die Er lö ser die Gabe ver lie hen zu se hen, wo und wann das Cha os am Werk war. des halb hör ten all die an de ren Stadt äl tes ten res pekt voll auf den Pre di ger, wenn eine wich ti-ge Ent schei dung zu tref en war und wann im mer je mand aus dem Volk sich mit ir gend ei ner Be schwer de an den Rat wand te.

»muss ich denn un be dingt hin? mir ist ein biss chen übel«, be-klag te sich Jil lan, als er mit sei nen El tern beim Früh stück saß. dann hell te sich sei ne mie ne auf: »Viel leicht kann ich heu-te zu Hau se blei ben, und du könn test bei mir blei ben, mut-ter!« Jil lan brach te sei nen fe hent lich sten Blick zum Ein satz, den, der sei ne mut ter ge wöhn lich über zeu gen konn te, ihm sein Ge burts tags ge schenk im Vo raus zu ge ben oder ihm eine zwei te Por ti on ei ner ih rer köst li chen nach spei sen zu rei chen.

Aber heu te war sein Va ter zu schnell für ihn. »Es über rascht mich gar nicht, dass dir übel ist, wo du doch die gan ze nacht hier drin nen ein ge pfercht ver bracht hast. Was du brauchst, ist fri sche luft, mein Jun ge, und da von kannst du auf dem Schul-weg reich lich be kom men. du fühlst dich si cher schon wie der be lebt und mun ter, wenn du erst bei dei nen Freun den bist.«

Jil lan wei ger te sich, et was an sei nem Ge sichts aus druck zu än dern, und hielt den Blick wei ter auf sei ne mut ter ge rich tet. Ihre mie ne wur de be sorgt.

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»Viel leicht ist er wirk lich krank, Jed.«Jed schnaub te und stell te sei nen Be cher mit leich tem Bier

kra chend auf dem tisch ab. »mei ne süße, ver trau ens se li ge ma ria, hast du etwa nicht ge se hen, wie er sein Ho nig brot he-run ter ge schlun gen hat? Ein Jun ge mit so viel Ap pe tit kann doch wohl nicht son der lich krank sein, nicht wahr? Und ganz gleich, was es ist, an ste ckend ist es je den falls nicht, weil es dir und mir gut geht, also macht es kei nen Un ter schied, ob er den tag nun krank zu Hau se oder in der Schu le ver bringt. da ist es doch bes ser, wenn er in der Schu le Rech nen und Schrei ben lernt, da mit er nicht wie wir auf den Fel dern oder im Wald en det, wenn er erst er wach sen ist.«

Jil lan fuch te stumm – er hät te da ran den ken sol len, dem Ho nig brot zu wi der ste hen, aber Ho nig moch te er nun ein-mal am liebs ten. Er wuss te, dass er es an ders wür de ver su chen müs sen. »Aber ich will nicht mit Zah len und Buch sta ben ar-bei ten, Va ter. Ich will Jä ger wer den wie du! Ich übe doch schon die gan ze Zeit mit mei nem Bo gen und kann aus vier zig Schritt Ent fer nung ei nen Baum tref en!«

Jed, ein Bär von ei nem mann, nick te bei fäl lig und ver setz te Jil lan ei nen schwe ren Schlag auf die Schul ter, der ihn ge ra de-zu zu sam men fal te te. »Ja, mein Sohn, du hast gute Au gen, aber du hast noch nicht die Kraft, die Art Bo gen zu span nen, die ei nen wil den Kei ler in vol lem lauf er le gen kann …«

Jil lan be äug te Jeds Bo gen, der in der Ecke ne ben der tür lehn te. die Waf e war so lang, wie er groß war, und als er sich in der vo ri gen Wo che heim lich da ran ver sucht hat te, war er nicht in der lage ge we sen, ihn mehr als ei nen hal ben Zoll weit zu span nen.

»… und du kannst noch kei ne tier fähr ten le sen oder dich auf den Wald we gen zu recht fin den. Sieh mal, es dau ert nur noch sechs mo na te, bis der Hei li ge hier her ent sandt wird, um alle zu den Erl ösern zu zie hen, die voll jäh rig wer den. dann

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wirst du ein mann sein, und ich brin ge dir bei zu ja gen, aber es wird meh re re Jah re dau ern, bis du so weit bist, dass du ei-nen rich ti gen lang bo gen füh ren kannst. Bis da hin musst du wohl oder übel ir gend ei ne Ar beit ver rich ten, um dei nen teil zu un se rer Ge mein schaft bei zu tra gen … und die Frau zu ver-sor gen, die du dir viel leicht er wählst.«

Jil lan wur de rot und fand die Holz ma se rung des ti sches plötz lich höchst in te res sant.

»Also lern or dent lich le sen und Schrei ben, dann bie tet dir Ja cob, der Händ ler, viel leicht ir gend wann an, für ihn zu ar-bei ten. Er hat kei nen Sohn, und sein Rü cken ist mitt ler wei-le so krumm, dass er sei nen Kar ren nicht mehr al lein be la-den kann. du hast doch im mer ge sagt, dass du gern an de re orte ken nen ler nen möch test, statt hier drau ßen am wil den äu ßers ten Rand des Reichs fest zu sit zen. nun, der Händ-ler kann dir die Ge le gen heit bie ten, auf Rei sen zu ge hen, denn wie du ja weißt, fährt er je den mo nat nach Er lö ser pa-ra dies und baut dort am markt tag ei nen Stand für Got tes-ga be auf.«

»Und Jac obs toch ter, Hel la, ist ein ver nünf ti ges mäd chen.« ma ria lä chel te. »Wie ich höre, hat sie ein Auge auf dich ge-wor fen, das ein Herz auf vier zig Schritt trift.«

Jil lan er rö te te so gar noch hef ti ger als zu vor. »Ich gehe jetzt zur Schu le!«, ver kün de te er hit zig und stand auf.

Jed er barm te sich sei ner. »nun är ge re ihn doch nicht so, ma ria. Es ist schon gut, Jil lan, ein jeg li ches zu sei ner Zeit. Und es ist dei ne Ent schei dung – an ders als an de re El tern wer den wir nichts in die Wege lei ten und nicht auf et was be-har ren. In ord nung?«

Jil lan nick te. »Ich muss jetzt los, sonst kom me ich zu spät. Ich muss mei ne Schie fer ta fel und mei ne Krei de für die Schu le ho len. darf ich schon ge hen?«

Jed zö ger te und rang ei nen mo ment lang mit sich. »Ja, wenn

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du mir sagst, wa rum du ver sucht hast, dich vor der Schu le zu drü cken.«

Jil lan riss er schro cken die Au gen auf.»Jed, er ist doch oh ne hin schon ganz ver stört«, sag te ma ria

mah nend. »Es kann war ten.«Jed hielt den Blick wei ter auf sei nen Sohn ge rich tet und

senk te die Stim me zu ei nem Knur ren. »macht der Sohn des Äl tes ten Co rin dir schon wie der Sche re rei en?«

»nein, nein!«, wehr te Jil lan ab. »Er ist bloß ein Ein falts pin-sel. Ich habe kei ne Angst vor ihm.«

»Was ist es dann? du weißt doch, dass du uns al les sa gen kannst. Wir sind dei ne El tern, und wir lie ben dich.«

Jil lan trat ver le gen von ei nem Fuß auf den an de ren. Er warf ei nen hil fe su chen den Blick zu sei ner mut ter, aber sie be ob-ach te te ihn nur mit ei ner mi schung aus Be sorg nis und neu-gier. Am Ende konn te er sich nicht mehr zu rück hal ten und platz te he raus: »der Pre di ger hasst mich! Er hat es stän dig auf mich ab ge se hen, ob wohl ich doch ei gent lich nichts falsch ge macht habe. Aber sagt bit te, bit te nichts da rü ber, denn das wür de al les nur noch schlim mer ma chen. Es sind ja nur noch sechs mo na te. Ich schaf e das schon!«

Ein fürch ter li cher Zorn trat in die Au gen sei nes Va ters, ein Zorn, den Jil lan noch nie zu vor ge se hen hat te und der ihm mehr Angst mach te als Pre di ger Pra xis. »Ich wuss te ja, dass man sich nicht da rauf ver las sen kann, dass die se Schlan ge es gut sein lässt!«

»Jil lan!«, sag te ma ria in schar fem ton und ver lang te so sei-ne Auf merk sam keit. »Hol dei ne Sa chen und geh in die Schu-le. So fort! Ich muss mit dei nem Va ter re den. mach dir kei ne Sor gen, al les wird gut.« mit lo dern den Au gen wand te sie sich sei nem Va ter zu.

Jil lan foh aus dem Zim mer. Sein Herz poch te hef tig, und das Blut rausch te ihm in den oh ren. Er schnapp te sich Schie-

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fer ta fel und Krei de und nahm dann ei nen sei ner be son de ren Stei ne aus der ni sche in der mau er sei ner Schlaf kam mer. Er hat te schon be gon nen, selt sam ge färb te und son der bar ge-form te Stei ne zu sam meln, als er noch klein ge nug ge we sen war zu glau ben, dass sie eine be son de re Be deu tung und ma-gi sche Ei gen schaf ten hät ten, aber mitt ler wei le wuss te er, dass sein Va ter ihm nur dann Stei ne mit brach te, wenn es den Jä gern nicht ge lun gen war, ge nug Ka nin chen für die Koch töp fe al ler Fa mi li en zu fan gen. den noch schob er sich heu te den glat-ten ro ten Kie sel, den er mit tap fer keit in Ver bin dung brach-te, in die ta sche.

Jil lan lief zu rück durch die klei ne Kü che und die Ess e cke des Häus chens, wo bei er es kaum wag te, ei nen ver stoh le nen Blick auf sei ne El tern zu wer fen, und dann hi naus ins licht. die Stim me sei ner mut ter drang ihm in die oh ren.

»… und wenn du uns wirk lich liebst, dann lässt du es da bei be wen den. Als wir her ge kom men sind, hast du mir ver spro-chen, kei nen Är ger mehr zu ma chen, da mit wir un se ren Sohn in ei nem ge wis sen maß von Frie den und Si cher heit groß zie-hen kön nen. du hast es mir ver spro chen, Je dad iah, und ich for de re von dir, dass du die ses Ver spre chen auch hältst!«

Sein Va ter grumm elte zur Ant wort et was, aber Jil lan konn-te es nicht ver ste hen.

»nein!«, mel de te sich mit schril ler Stim me er neut sei ne mut ter zu Wort. »das ist in neu-Hei lig tum ge stor ben, zu-sam men mit vie len gu ten men schen. Wenn du wie der da mit an fängst, dann – die Er lö ser sei en mei ne Zeu gen! – kannst du es ohne Jil lan und mich tun. Ich wer de nicht ta ten los zu-se hen, wie du die se Fa mi lie in Ge fahr bringst.«

Jil lan blin zel te und ver such te, sei ne Schlüs se aus dem zu zie-hen, was er ge ra de be lauscht hat te. Was mein te sei ne mut ter mit als wir her ge kom men sind? Hat ten sei ne El tern ir gend wann vor sei ner Ge burt in ei nem an de ren teil von Got tes ga be ge lebt?

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Und wie kam es, dass sie leu te aus neu-Hei lig tum ge kannt hat ten, ei nem ort, der so für Schan de und Blas phe mie stand, dass man sei nen na men al len falls füs ter te?

So weit Jil lan wuss te, war das ein zi ge Zu hau se, das er je ge-habt hat te, ihre klei ne Hüt te, die eng an die Stadt mau er von Got tes ga be ge baut war. die Fa mi li en, die sich als ers te in der Stadt nie der ge las sen hat ten, be wohn ten na tür lich die grö ße ren Häu ser, die auch über Vor gär ten und Hin ter hö fe ver füg ten, in der nähe des Ver samm lungs plat zes la gen und ge wöhn lich ei nen Sitz im Rat hat ten. Als aber die Be völ ke rung ge wach-sen war, hat ten für die neu e ren Fa mi li en nur ei lig ge bau te, be-eng te Be hau sun gen zur Ver fü gung ge stan den. Jil lan und sei ne El tern leb ten di rekt an der Süd mau er, hin ter der die Ab fall-gru ben und der Fried hof la gen. Jen seits da von be gann die ei gent li che Wild nis.

die men schen mie den die Süd mau er. So gar das Süd tor wur-de le dig lich von ei nem ein zi gen Hel den be wacht, weil es aus-schließ lich für die sel te nen Be gräb nis se ge nutzt wur de. Ge-mein hin leb ten nur die al ler neu es ten Fa mi li en im un ge ord ne ten Gas sen ge wirr der Süd stadt, aber wäh rend die meis ten Fa mi li en von dort fort zo gen, so bald sie konn ten, wa ren Jil lan und sei-ne El tern so gar dann noch in ih rem Zu hau se ge blie ben, als die Häu ser rings um ver las sen wor den und ver fal len wa ren. In fol ge-des sen hat te Jil lan sei ne El tern nie für neu an kömm lin ge ge hal-ten, son dern im mer ge glaubt, dass sie nun ein mal leb ten, wo sie leb ten, weil sie Zu rück ge zo gen heit schätz ten. die Ein mi schung an de rer leu te mit all ih ren Re geln und ih rer Ge ring schät zung brach te ei nem schließ lich nichts als Är ger ein. Und Jil lan mach-te der Ge ruch der Un rat gru ben, über den so vie le men schen die nase rümpf ten, wirk lich nichts aus – er war da mit groß ge wor-den und fand die feuch te Er digk eit ir gend wie tröst lich.

Blin zelnd wur de ihm be wusst, dass er das la by rinth, in dem er leb te, schon fast ver las sen hat te und in der nähe der be-

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leb te ren Stadt vier tel war. Er ging lang sa mer, weil er den mo-ment sei nes Ein tref ens an der Schu le so lan ge wie mög lich hi naus zö gern woll te. Er be ob ach te te, wie ein Vo gel hoch am Him mel fog, und er tapp te sich da bei, ihm am Bo den zu fol-gen. der Vo gel führ te ihn zu rück zur mau er, und Jil lan stieg die lan ge trep pe hi nauf und ging hi nü ber zu dem Hel den, der ein sam am Süd tor Wa che hielt.

der alte Held Sam nir nick te Jil lan zum Gruß zu und rich-te te die grau en Au gen dann wie der auf die Wild nis.

»Rührt sich ir gend et was?«, frag te Jil lan, wie er es im mer tat, und setz te sich auf sei nen ge wohn ten Platz zwi schen zwei Zin nen.

Sam nir ließ den Blick wei ter über die land schaft schwei-fen. nach ein oder zwei Se kun den ant wor te te er bär bei ßig: »Ich glau be, ich habe vor hin ge se hen, wie ei ner der Ber ge nach links ge rückt ist.«

Jil lan lä chel te. »Ist er nicht!«der Held sah Jil lan fins ter an. »du weißt ja auch so gut

Be scheid über Ber ge, nicht wahr? Hast du je auf ei nem ge-stan den? nein? das habe ich mir ge dacht. Und wer bist du, dass du es wagst, ei nem mäch ti gen Hel den des Reichs zu wi-der spre chen? Ich soll te dich aus peit schen, durch die Stra ßen schlei fen und dann vor al ler Au gen auf hän gen las sen, da mit du all je nen als War nung dienst, die es den Hei den ge stat ten, ihre Ge dan ken zu ver der ben.«

Jil lans lä cheln wur de brei ter. »die Fält chen in dei nen Au-gen win keln ver tie fen sich im mer, wenn du es nicht ernst meinst.«

»Fluch über mein ver rä te ri sches Ge sicht!« Sam nir seufz te. »Es kennt mich zu gut. da rum kann ich auch nie mit ei nem der an de ren Hel den Kar ten spie len.«

»Bist du des halb im mer al lein hier drau ßen?«, frag te Jil lan ge dan ken los.

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der Held ver stärk te sei nen Grif um den Schaft sei nes Speers, bis ei ni ge sei ner Fin ger knö chel knack ten. Er wand-te das Ge sicht schnell wie der dem Fried hof und dem Wald zu. Sein ton fall wur de kalt. »du nimmst dir zu viel he raus, Jun ge! Ich schul de dir kei ne Ant wor ten. mach, dass du in die Schu le kommst. Ich will nicht, dass der Pre di ger mir vor hält, dass ich dich vom ler nen ab ge hal ten hät te.«

Jil lan ließ den Kopf hän gen. Sam nir hat te im mer an ders als alle an de ren ge wirkt, we ni ger vor ein ge nom men, we ni ger ab-leh nend. der Held hat te die Welt ge se hen und hat te vor nichts Angst, nicht ein mal da vor, in ei nem Ge wit ter al lein Wa che zu hal ten. Ein paar Jah re lang hat te Jil lan da von ge träumt, ganz wie Sam nir ein Held zu wer den – mit wet ter ge gerb tem Ge-sicht und stein har ten mus keln –, bis er dann er fah ren hat te, dass Hel den nie ei ge ne Fa mi li en ha ben durf ten, da mit ihre Be reit schaft, ihre Pficht zu tun, nicht von Ge füh len in mit-lei den schaft ge zo gen wur de. den noch hat ten sie im lau fe der Jah re vie le Stun den mit ei nan der ver bracht, ob nun in freund-schaft li chem Schwei gen oder mit Ge sprä chen über an de re Ge-mein den, Bäu me, tie re und alle mög li chen din ge, die Sam nir ge se hen hat te – al ler dings hat ten sie, wie Jil lan nun be wusst wur de, nie da rü ber ge spro chen, wa rum Sam nir frei wil lig al-lein hier drau ßen wach te. Bis jetzt hat te Jil lan sich in Sam nirs Ge sell schaft im mer si cher ge fühlt, und die Welt war ihm je-des mal, wenn er mit ihm ge spro chen hat te, ein we nig durch-schau ba rer er schie nen.

Aber heu te war et was an ders. Et was war schief ge gan gen. Erst war es ihm ge lun gen, ei nen Streit zwi schen sei nen El-tern he rauf zu be schwö ren, und jetzt hat te er Sam nir er zürnt. Viel leicht hat te er sich et was vor ge macht, wenn er an ge nom-men hat te, dass er und Sam nir Freun de wä ren. Was konn ten ein drei zehn jäh ri ger Jun ge und ein grau haa ri ger Krie ger schon mit ei nan der ge mein ha ben? Sam nir war bis her of en bar nur

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nach sich tig mit ihm ge we sen oder freund lich, weil ihm der Jun ge aus der Süd stadt leid tat. Ver är gert über sich selbst und ent schlos sen, dem Hel den nie wie der läs tig zu fal len, rück-te Jil lan auf sei nem Sitz wei ter und setz te dazu an, hin ab zu-sprin gen und zur trep pe zu lau fen. Je eher er in die Schu le kam, sechs wei te re mo na te des ler nens hin ter sich brach-te und vom Hei li gen zu den Erl ösern ge zo gen wur de, des-to bes ser.

doch zu Jil lans Er stau nen sag te Sam nir, der ihm im mer noch den Rü cken zu ge wandt hielt, lei se: »War te.« Ein Seuf-zen. »Wa rum bin ich hier drau ßen und füh re den Be fehl über nichts als den Wind, ob wohl ich einst in der Ar mee des Reichs män ner be feh ligt habe? Wa rum lebe ich im ab ge le gens ten Win kel des Reichs, ob wohl ich frü her Sei te an Sei te mit den Hei li gen ge gen die Bar ba ren in der öst li chen Wüs te ins Feld ge zo gen bin? Wa rum füh re ich jetzt nur noch die Auf sicht über ei nen Fried hof voll stau bi ger Kno chen, ob wohl ich doch einst den tem pel des Gro ßen Erl ösers selbst be wacht habe?« Er hielt inne. »Weil ich wie alle an de ren men schen bin, Jil-lan. Einst dach te ich, dass ich bes ser als je der an de re Sterbli che wäre und dass mei ne nähe zum hei li gen Her zen des Reichs mich zu et was Be son de rem mach te – zu et was Be deu ten de rem. Ich wei ger te mich, das Ge gen teil ein zu se hen, selbst als mei ne Ge len ke be gan nen, je den mor gen beim Auf ste hen von mei ner Prit sche zu schmer zen, und als die last mei ner Rüs tung mir die Schul tern nie der drück te. Ich be gann, jün ge re und fä hi gere män ner als Be dro hung zu se hen und din ge zu sa gen und zu tun, um ih nen Stei ne in den Weg zu le gen, selbst wenn es nicht dem Wohl des Reichs dien te. Ich stell te mei nen Hoch mut und mei ne Ei gen sucht über den Wil len der Er löser, ob wohl ich ih nen doch so viel ver dank te. Aber die Er lö ser sind all-wis send und sa hen die Ket ze rei in mei nem Her zen. Ich wurde auf ge for dert, mich zu rück zu zie hen, und als ich mich wei ger-

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te, wur de ich aus dem hei li gen tem pel be zirk ver bannt, so dass es mir fort an ver wehrt war, die Ge hei lig ten zu se hen und zu hö ren. Ich war ih rer Ge gen wart nicht wür dig, ver stehst du? So gar da nach wur de mir noch eine Ge le gen heit zu ge stan den, al les wie der gut zu ma chen, denn die Er lö ser sind selbst dann gnä dig, wenn sie Übel tä ter stra fen. Ich er hielt den Be fehl über die Hel den auf den mau ern von Hy vans Kreuz, ei ner gro-ßen Ge mein de, die nicht wei ter als ei nen Wo chen marsch vom hei li gen Her zen des Reichs ent fernt liegt. doch im mer noch war ich un dank bar und trach te te in mei nem Zorn da nach, die Schuld al len um mich he rum zu zu schie ben. mö gen die Er-lö ser mir ver ge ben – ich habe ih ren na men da mals viel fach miss braucht! der hei li ge Azual sah sich ge zwun gen, mich aus Hy vans Kreuz zu ver ban nen, und nach meh re ren an de ren un-er freu li chen Pos ten bin ich hier ge lan det, am Ran de der Wild-nis. mei ne Ge dan ken, Wor te und ta ten wa ren schuld da ran, dass ich in Un gna de ge fal len bin, und sie ha ben mich so weit wie nur ir gend mög lich vom hei li gen Her zen fort ge führt. Ich bin fast schon zum Hei den ge wor den, so weit bin ich vom rech ten Weg ab ge wi chen – so ver derbt bin ich. Wa rum bin ich hier drau ßen?«, frag te er und wand te sich mit weit auf ge ris se-nen, starr bli cken den Au gen Jil lan zu. »Ich habe mich selbst zu die sem Pos ten ver ur teilt! Je der fin det sei nen rech ten, an ge-mes se nen Platz in der ord nung der din ge, Jil lan, und dies ist mei ner. letz ten En des fal len die Sterb li chen stets sich selbst zum op fer. Ich bin der nied rigs te der nied ri gen und muss nun die tage, die mir noch blei ben, da mit ver brin gen, die se be schei de ne Pficht nach bes ten Kräf ten zu ver rich ten, sonst kann ich ge nau so gut das Reich ganz ver las sen, mich in den Ber gen den Hei den an schlie ßen und mich vol lends dem hoh-len Cha os hin ge ben.«

Jil lan konn te sich nicht rüh ren, da der dräu en de Held ihn zwi schen den Zin nen fest na gel te. der Jun ge hat te sich schon

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so weit zu rück ge lehnt, wie er es wag te, und klam mer te sich mit den Fin gern ver zwei felt an die Stei ne, um sich da vor zu be wah ren, drei ßig Fuß tief in die Ab fall gru be oder auf den Fried hof un ter halb der mau er zu stür zen. Er wag te es nicht zu at men, da mit Sam nirs wil der, ge quäl ter Blick sich nicht plötz lich auf ihn rich te te, statt durch ihn hin durch zu se hen.

»Wer de nicht wie ich«, füs ter te der Held. »Zu ei nem Ge-spenst, das im Wind heult, ei nem We sen von so we nig Ge halt und Wert, dass so gar die Geis ter der to ten un ter ihm sei ne Ge sell schaft mei den und an ders wo nach der Wär me des le-bens su chen. Ver sprich mir das!«

Jil lan nick te und schluck te ver ängs tigt. Sei ne Zu stim mung schien den Sol da ten zu be ru hi gen, denn er blin zel te mehr mals und kam dann wie der zu sich. »tut mir leid, Jun ge. Ich woll te dir kei nen Schre cken ein ja gen.«

Jil lan rap pel te sich auf und setz te die Füße wie der fest auf den Wehr gang. »Ich … ich mag dich im mer noch, Sam nir. Ich glau be nicht, dass du der nied rigs te der nied ri gen bist«, mur mel te er und straf te sei ne Wor te lü gen, in dem er zur trep pe rann te.

»Se hen wir uns mor gen?«, rief Sam nir ihm nach. »Ich er-zäh le dir mehr von den Ber gen, wenn du magst! Sie sind ein Boll werk der Hei den und des Cha os. Sie sind ein so kal ter und un wirt li cher ort, dass sich noch nicht ein mal die Hei-li gen al lein bis dort hin vor wa gen. Jun ge! Wenn du je mei ne Hil fe brauchst …«

der Held sah dem Jun gen nach. dann rich te te er den trost-lo sen Blick auf den Wald aus wip pen den tan nen, der sich bis zu den fer nen Ber gen er streck te. Ein ei si ger Wind ließ ihm die Zäh ne klap pern, und er kau er te sich in sei ner Rüs tung zu sam-men. So weit er es be ur tei len konn te, wür de der Schnee fall in den Ber gen früh ein set zen, und das be deu te te ei nen lan gen, har ten Win ter, den nicht alle über le ben wür den. die Ern te

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war ge ra de erst ein ge bracht wor den. Was war aus dem Herbst ge wor den? So kurz und schon vo rü ber wie sei ne Jugend. »der Jun ge soll ver fucht sein! Er sorgt da für, dass ich mich ver-gesse«, mur mel te er.

Er schüt tert rann te Jil lan den gan zen Weg bis zur Schu le. Bis-her war heu te al les auf den Kopf ge stellt wor den, und so konn te er es nicht ab war ten, die ver trau ten Ge sich ter sei ner we ni gen Freun de zu se hen und mit hil fe des Un ter richts eine ge wis se tröst li che All täg lich keit zu rück zu ge win nen.

die an de ren Kin der von Got tes ga be stan den schon war tend vor den gro ßen Ei chen tü ren der Schu le, die meis ten dicht bei-ei nan der, um Schutz vor dem Wind zu fin den, der über die Frei fä che des Ver samm lungs plat zes im Stadt zent rum feg te.

»Ich habe mir schon Sor gen ge macht, dass du zu spät kom-men wür dest!«, sag te Hel la mit ei nem lä cheln, bei dem sich Grüb chen in ih ren Wan gen bil de ten.

Schwer at mend nick te Jil lan zur Ant wort nur.»Wo nach stinkt es hier? der Un rat riecht aber heu te kräf-

tig!«, sag te Haal, der Sohn des Äl tes ten Co rin. Sei ne Freun de Karl und Si lus ki cher ten.

Haal war kräf tig ge baut wie sein Va ter, aber wäh rend der Äl tes te Co rin eine Art sanf ter Rie se war, nutz te Haal sei ne Kör per grö ße aus, um die an de ren Schü ler zu zwin gen, das zu tun, was auch im mer er sag te. Jed hat te Jil lan er klärt, dass die na tur de nen, die geis tig lang sam wa ren, ge le gent lich zu-sätz li che Kraft ver lieh, weil sie sonst un fä hig ge we sen wä ren, auf der Welt zu über le ben. Jil lan wuss te nicht, ob das zu traf oder nicht, und es spiel te oh ne hin kei ne Rol le, da Pre di ger Pra xis sich hü te te, mit dem Sohn des Äl tes ten zu hart um-zu sprin gen, ob wohl die ser stumpf sin nig und faul war. Jil lans Ein schät zung nach hät te Haal der dümms te und schwächs te mensch auf der Welt sein und den noch mü he lo ser als alle

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an de ren über le ben kön nen, nicht ohne die se da bei noch tö-richt zu ver spot ten.

Ge wöhn lich hät te Jil lan Haals Be mer kung gar nicht wei-ter be ach tet, denn Haal sag te schon seit Jah ren sol che din ge, aber heu te fühl te Jil lan sich nicht so wie im mer. Heu te war kein tag wie je der an de re, son dern ein tag, an dem El tern sich strit ten, Hel den Schwä che zeig ten und Freun de wü tend wur den. Heu te war der tag, an dem Jil lan sei ne Furcht vor dem Pre di ger ein ge stan den hat te, sei nen traum aus ge spro-chen hat te, Jä ger zu wer den, sich da rauf ge freut hat te, zu den Erl ösern ge zo gen zu wer den, und sich Ge dan ken da rü ber ge-macht hat te, ir gend wann eine Frau zu fin den. Heu te war der tag, an dem Jil lan nicht län ger so tun konn te, als ob er ein Kind war. Heu te be gann der Kampf, der den Rest sei nes le-bens an dau ern wür de.

Er straf te die Schul tern, wand te sich Haal zu und starr te ihn böse an. Es be frie dig te Jil lan, eine ge wis se Un si cher heit in den Au gen des an de ren auf schei nen zu se hen.

»Jil lan, tu das nicht!«, füs ter te Hel la, da sie Jil lans Stim-mung spür te und be gann, sich Sor gen zu ma chen.

»Was du riechst, Haal, ist zwei fels oh ne dein ei ge ner Atem, denn der dreck, der aus dei nem mund kommt, ist so ver-fault wie je der Un rat. man muss sich fra gen, was du isst, um so zu stin ken und auf zu quel len. Was für ver we sen den Ab-fall stopfst du in dich hi nein, und wo be kommst du ihn nur her? du schleichst dich doch wohl nicht in fins te rer nacht zu den Un rat gru ben, oder? Wenn so ein Ge schöpf sein Un we-sen treibt, ist es ja kein Wun der, dass die Hei den Angst da vor ha ben, in die nähe von Got tes ga be zu kom men. das Cha os selbst fürch tet sich vor dei nem ge wal ti gen Ap pe tit und da vor, dass du es in ei nem Stück ver schlin gen könn test!«

Es herrsch te Stil le. So gar der Wind kam wie ent setzt zum Er lie gen.

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»Was ist denn, Haal?«, frag te Jil lan mit ei nem hä mi schen Grin sen. »Bist du so dumm, dass du es noch nicht ein mal be-merkst, wenn du be lei digt wor den bist?«

Karl und Si lus stan den mit of e nem mund da. Ihre Bli cke husch ten von Haal zu Jil lan und wie der zu rück. Alle an de ren Schü ler rück ten ins tink tiv von ih nen ab.

Haals Ge sicht be gann rot an zu lau fen, und in sei nen klei nen schwar zen Au gen famm te Zorn auf. Sprach los vor Wut rang er nach luft. dann senk te er die nied ri ge Stirn wie ein Wild-schwein, das zum An grif über geht.

»nein! nicht!«, quiek te Hel la.Jil lan war selt sam ru hig. Soll te das Cha os doch kom men.

Ent we der wür de es ihn voll kom men zer stö ren, oder er wür-de sei ne Fein de de mü ti gen. Es war ein fach. Es war klar. Er emp fand kei ne Zwei fel, die Ver wir rung ge stif tet oder sei-ne Ur teils kraft ge trübt hät ten. Es gab nur Kon zent ra ti on, Ziel stre big keit und Be herr schung. Er wür de nicht ver sa gen. der Sturm tob te um ihn, aber er stand ru hig in mit ten sei-nes Au ges. Er be ob ach te te mit selt sa mer los ge löst heit, wie der Stru del von macht um ihn he rum Haal hin und her zu schleu dern be gann …

die gro ße Schul tür schwang plötz lich auf und gab den Blick auf nichts als dun kel heit frei wie ein höh len ähn li cher Schlund, der weit auf klaf te, um sei ne Beu te in ei nem Stück zu ver schlin gen. Ein kal ter luft hauch kam von der tür.

»Kommt he rein, Kin der!«, knarzte Pre di ger Pra xis’ Stim me. »Be eilt euch, denn wir soll ten so viel Zeit wie mög lich da mit ver brin gen, zu un se rer ei ge nen Bes se rung mehr über die ge-seg ne ten Er lö ser zu ler nen.«

die ses eine mal trö del ten die meis ten Schü ler nicht, in die dun kel heit zu ei len. Jil lan kam plötz lich wie der zu sich und stol per te, als ihm schwind lig wur de. Hel la streck te mit ver-ängs tig ten blau en Au gen die Hand aus, um ihn zu stüt zen.

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»Was ist ge sche hen?«, füs ter te sie. »das war so selt sam!«Haal stand im mer noch da und starr te Jil lan böse an. Er

ver hieß ihm stumm, dass sie die Sa che nach der Schu le klä ren wür den, und dreh te sich dann auf dem Ab satz um, ge folgt von Karl und Si lus, die bei de blass wa ren.

»Ich … ich weiß nicht«, keuch te Jil lan. »Viel leicht wer de ich krank.« doch er zwang sich, mun ter zu tun und sich auf-zu rich ten, um Hel la nicht noch mehr zu ver stö ren. »Komm schon, lass uns hi nein ge hen. Sonst be schließt der Pre di ger noch, uns zu be stra fen, weil wir faul sind.«

Aber Jil lans Ge dan ken lie ßen sich nicht so leicht wie der auf rich ten wie sein Kör per. Sie wir bel ten, als ob der Sturm in sei nem Kopf tob te und ver zwei felt ei nen Weg ins Freie such te. Er be kam Schmer zen in den Schlä fen, und es kos-te te ihn mühe, nicht zu sam men zu zu cken. Er kon zent rier te sich an ge strengt da rauf, auf dem Stein bo den schön re gel mä-ßig ei nen Fuß vor den an de ren zu set zen. Es ge lang ihm, al-les an de re in den Hin ter grund zu drän gen und sei ne Kopf-schmer zen zu ei nem dump fen Po chen zu sam men schrump fen zu las sen, das ihn zwar noch so pei nig te und pie sack te, dass sei ne Schul tern dann und wann zuck ten, aber er er kann te be frie digt, dass er sich größ ten teils in der Ge walt hat te. Er brach te ein lä cheln für sei ne Freun din zu stan de und zog sie mit in die Schu le.

Pre di ger Pra xis stand da und mus ter te sie bei de nach ei nan-der von Kopf bis Fuß. Er war so groß und dünn, dass er un-na tür lich lang ge streckt wirk te. Sei ne Au gen wa ren wie Was ser, manch mal farb los, manch mal so, dass sie den Farb ton al ler din ge in ih rer Um ge bung wi der spie gel ten. Je des mal, wenn der Pre di ger ihn an sah, hat te Jil lan den Ein druck zu er trin-ken. Al les an de re an Pra xis be stand aus schar fen Kan ten – die un ver wüst li che Stirn, die wie mit dem li ne al ge zo ge nen Wan-gen kno chen, die Ha ken na se. der Pre di ger war die Zucht ru te,

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die jede Ge mein de be nö tig te, wenn sie nicht all zu weit vom Wil len der ge seg ne ten Er lö ser ab wei chen woll te.

»Gu ten mor gen, Kin der!«, krächz te der Pre di ger.»Gu ten mor gen, Pre di ger Pra xis!«, ant wor te ten sie im Chor

und muss ten sei nem Blick stand hal ten. Jil lan konn te ein Zit-tern nicht un ter drü cken. Sein na cken fühl te sich nass und kalt an. Er wank te leicht, und sein Stuhl scharr te über den Bo den.

»Jil lan Jä ger sohn, hast du kein Be neh men?«, frag te der Pre-di ger. »Ihr an de ren dürft euch set zen.«

Haal mach te sich nicht die mühe, sein lä cheln zu ver ber-gen. Un ter dem Schar ren und Scha ben von Stüh len ließ sich die Klas se an ih ren Schreib ti schen nie der. Jil lan sah auf sei-ne Füße hi nab.

»nun, Jil lan Jä ger sohn? Wir war ten. oder willst du uns mut-wil lig von un se rem Stu di um der ge seg ne ten Er lö ser ab hal ten?«

»Ent schul digt, Pre di ger, es wird nicht wie der vor kom men.«»Hör auf, so zu nu scheln, Jun ge! Ver suchst du, dei ne Ent-

schul di gung he run terzu schlu cken, be vor sie zu hö ren ist? Bist du nicht auf rich tig? Bist du nicht ehr lich? Hebe den Kopf und ent schul di ge dich deut lich bei uns al len.«

Jil lan hob den Kopf und die Au gen, die sich noch nie so schwer an ge fühlt hat ten, und sag te: »Es tut mir leid.« Er krümm te leicht die Schul tern, um das Zu cken zu ver ber gen, das sein Kreuz durch lief.

»Weißt du, mein Jun ge, ich bin neu gie rig. Geht dein schlech-tes Be neh men auf dei ne arm se li ge Er zie hung zu rück – oder auf fins te re und heim tü cki sche Ge dan ken? nun? Was von bei-dem steckt da hin ter?«

Jil lan war so ver wirrt, dass ihm kei ne ein fa che Ant wort ein-fiel. die Fra ge des Pre di gers war eine Fal le. Ent we der muss-te er sei nen El tern die Schuld ge ben und so Haal und sei nen Kum pa nen Ge le gen heit zur Häme ver schaf en, oder er muss te ge ste hen, den Ver su chun gen des Cha os er le gen zu sein.

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»Ich …«»Er hat sich eine Er käl tung oder so et was ein ge fan gen! des-

halb zit tert er«, platz te Hel la he raus.Pre di ger Pra xis be dach te die blon de toch ter des Händ lers

der Stadt mit ei nem zor ni gen Blick. Er sag te ein paar Au gen-bli cke lang nichts, und die Klas se hielt den Atem an.

»die Er lö ser ha ben ihm eine Zun ge ge schenkt, Hel la Ja-cobs toch ter! Wenn er nicht vor dem Pre di ger der Er lö ser für sich selbst spre chen kann, wozu taugt die se Zun ge dann? Und wir müs sen uns fra gen, wel ches Ge heim nis ihn wohl da von ab hält zu spre chen. Hüte dich da vor, Hel la, bei der Wahl dei-ner Freun de oder bei der Ent schei dung, für wen du ein trittst, un klug zu han deln. Ver stehst du, was ich dir da mit sa gen will, oder soll ich viel leicht dei nen Va ter und die Stadt äl tes ten bit-ten, es dir zu er klä ren?«

mit zit tern der Un ter lip pe brach te Hel la ein ni cken zu-stan de und stot ter te: »J…ja, Pre di ger. Ich ver ste he. Es … es tut mir leid.«

der Pre di ger nick te und wand te sich mit ei nem Schnau ben an Jil lan: »Set zen! du hast uns schon ge nug Zeit ge kos tet und un se re Auf merk sam keit kei nen Au gen blick län ger ver dient, da wir uns doch den ge seg ne ten Erl ösern wid men soll ten. nun gebt gut acht, Kin der, denn ei ni ge von euch wer den bald in dem Al ter sein, in dem sie vom gött li chen, hei li gen Azual zu den Erl ösern ge zo gen wer den. dann könnt ihr eu ren Platz als voll gül ti ge mit glie der die ser Ge mein de ein neh men und be-gin nen, uns für nah rung, Un ter kunft und Un ter wei sung zu ent loh nen, mit de nen wir euch jah re lang ver sorgt und ei ni-ge von euch höchst wahr schein lich zu sehr ver wöhnt ha ben.«

Jil lan wi der stand dem drang, sich un ter dem bö sen Blick des Pre di gers un be hag lich zu win den.

»der Be such des ge seg ne ten Hei li gen in die ser be schei de-nen Ge mein de und die Zie hung zu den Erl ösern sind An lass

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ge nug für ein gro ßes Fest. Es wird in der nacht der Zie hung ei nen tanz auf dem Ver samm lungs platz ge ben, aber die je ni-gen, die da ran teil neh men, soll ten da rauf ach ten, es mit dem Fei ern nicht zu über trei ben, da mit ihre Ur teils kraft nicht ge-trübt wird und gar noch das Cha os Ein lass in ihre Ge dan ken fin det. die je ni gen, die ge zo gen wer den sol len, wer den den ge-weih ten Hei li gen im lau fe des ta ges al lein tref en. Was zwi-schen euch und dem ge weih ten Hei li gen ge schieht, muss ein hei li ges mys te ri um blei ben, über das ihr nie mals sprecht, da sonst die Hei den zu viel er fah ren und Wege er sin nen könn-ten, in das Sak ra ment ein zu drin gen. Ihr wer det eure fins ters-ten Ge dan ken beich ten und euch dann ei ner Prü fung un ter-zie hen müs sen, um fest zu stel len, ob ihr wür dig seid, ge zo gen zu wer den. Bei man chen wird sich un wei ger lich er wei sen, dass sie mit dem ma kel be feckt sind …«

Jil lans Kopf haut pri ckel te, und er senk te den Blick auf die schlich te Plat te des höl zer nen Schreib tischs.

»die Be feck ten wer den vom Hei li gen ge rei nigt wer den. das ist kein an ge neh mer Vor gang, aber ihr müsst den An wei-sun gen des Hei li gen ohne Zö gern ge hor chen, da sonst der ma kel alle Kräf te auf bie tet und sich ge gen sei ne Ent fer nung sperrt. mehr sage ich nicht über die Prü fung und die Rei ni-gung, denn sie sind teil des hei li gen myst eri ums. Fürch tet euch nicht, denn der Hei li ge wird oh ne hin viel un ter neh men, um das hei li ge Wis sen wie der aus eu rem Ver stand zu ent fer-nen. lasst euch nur von dem Hei li gen lei ten, ganz gleich, was er von euch ver langt, und al les wird gut. Habt ihr das alle ver-stan den?«

»Ja, Pre di ger Pra xis!«der Pre di ger nick te, die ses eine mal zu frie den. »den noch

tä ten wir gut da ran, uns die ent setz li chen op fer ins Ge dächt-nis zu ru fen, die der hei li ge Azual im na men der Er lö ser ge-bracht hat, da mit wir auch wirk lich ver ste hen, welch gro ße

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Ehre er uns mit sei nem Be such er weist. Wie das Buch der Er lö ser uns sagt, war er einst ein Kind wie ihr, in ei ner Ge-mein de wie die ser. Aber sei ne Ge mein de war stolz und ei gen-sin nig ge wor den und woll te lie ber selbst über ihre Zu kunft ent schei den, statt sich vom Wil len der Er lö ser lei ten zu las sen. das Cha os hat te den Ver stand sei ner El tern ver derbt und sie dazu ge bracht, ihn im dun keln der nacht ab scheu li chen Ver-su chun gen aus zu set zen. Sei ne See le war in stän di ger Ge fahr, und es schien nie man den zu ge ben, der ihn hör te, wenn er um Hil fe rief oder sich in den Schlaf wein te.«

da war wie der die ser wis sen de Blick. da war die hei ße Röte, die Jil lan in die Wan gen stieg.

»Ei ner von euch wird nun aus der le gen de von Azual vor le-sen. Hört gut zu, Kin der, und sitzt still, denn ich wer de gleich da nach Ver ständ nis fra gen stel len. Hel la, du scheinst heu te er-picht da rauf zu sein, dei ne Stim me zu ge brau chen, also geh bit te zum Buch und schlag die rich ti ge Sei te auf.«

Pre di ger Pra xis for der te Hel la oft auf, die le sung vor zu neh-men, weil er wuss te, dass sie ih rem Va ter bei der Buch füh rung half und sich des halb gut mit Buch sta ben und Zah len aus-kann te. Vie le der an de ren Schü ler hat ten mühe beim le sen, und der Pre di ger konn te es nur schwer er tra gen, die ge hei lig-ten Wor te des Buchs der Er lö ser ent stellt aus den mün dern der Un ge bil de ten zu hö ren.

Hel la ging zu dem schlich ten le se pult ne ben dem Schreib-tisch des Pre di gers und hob mit bei den klei nen Hän den den schwe ren Buch de ckel. die Sei ten wa ren mit Gold über zo gen und lie ßen ihr Ge sicht er strah len. Jil lan fand, dass sie wie ein En gel aus sah. Er starr te sie hin ge ris sen an, wäh rend sie die mar kier te Sei te auf schlug und lang sam und be tont zu le sen be gann.

»Und in ih rer Weis heit schenk ten die ge seg ne ten Er lö ser dem Volk von Flaum klamm ei nen Kna ben. Er wuchs un ter

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dem na men da mon auf, den schon sein Va ter ge tra gen hat te. der Kna be be rei te te sei nen El tern und al len, die ihn sa hen, gro ße Freu de, denn in sei ner Un schuld war er ein lieb ling der Er lö ser und zog da rum alle Her zen an, wie die Son ne eine Pfan ze aus der Erde her vor wach sen lässt oder wie eine Flam me die fat tern den Cha os we sen der nacht an lockt und ver schlingt. doch oft wirft die Son ne ohne ei ge ne Schuld ei-nen Schat ten, wenn je mand sie ab zu weh ren ver sucht. Und so-gar ein fri scher Schös sling kann mehl tau an zie hen, und da ran ist nicht die Son ne schuld. Auf die sel be Wei se such te die Ver-derb nis des Cha os den jun gen da mon in Flaum klamm heim. Sein Va ter wur de ei fer süch tig auf die lie be sei ner Frau zu ih-rem Sohn. Er war fer ner hin ei fer süch tig auf all die je ni gen, die Zeit mit sei nem Sohn ver brach ten, wenn er es nicht konn te. des halb wand te er sich ge gen da mon, sein ge lieb tes Kind, und hielt ihn in ei ner klei nen Kam mer in sei nem Haus ein ge-sperrt. Au ßer dem ver bot er sei ner Frau, ih ren Sohn je mals zu be su chen, denn es war ihm da rum zu tun, sei nen Sohn voll-kom men zu be sit zen und zu lie ben. In den dun kels ten Stun-den der nacht, wenn der Ein fuss des Cha os am stärks ten war, be such te er da mon und ver sün dig te sich an ihm. doch wenn gleich die Son ne für eine Wei le un ter geht, kann sie doch nicht dau er haft zu rück ge hal ten wer den. Und so wur de da-mon von sei ner mut ter be freit, die ihre ge zie men de müt ter-li che lie be nicht län ger ver leug nen konn te. In gro ßer Angst, dass sein Va ter voll kom men dem Cha os an heim fal len könn te, ging da mon zum Stadt rat, um sei nen Va ter und alle, die sich nicht dem Wil len der Er lö ser beu gen woll ten, bloß zu stel len. doch selbst zu dem Zeit punkt ver gab da mon im Her zen sei nem Va ter sei ne Sün den, denn da mons tat war selbst los und aus Sor ge um das Volk ge bo ren. Aber der Stadt rat hat te sich längst von heid ni scher ma gie und Blend werk be ein fus-sen las sen und sah die Welt nicht, wie sie war, son dern so, wie

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er sie se hen woll te, da er dann wohl ge mut sein konn te, ganz gleich was ge schah und was dem Volk zu stieß. die Äl tes ten ver spot te ten da mon und ta del ten ihn da für, dass er sich ge-gen die Züch ti gung sträub te, die sein Va ter für not wen dig er ach te te. Sie nann ten sei ne Be haup tun gen un be rech tigt und ge häs sig und ver lang ten so dann von ihm, al les zu wi der ru-fen. Als da mon dazu nicht be reit war, weil er nur auf dem Pfad der Wahr heit wan del te, fäll te der Rat das Ur teil, dass er ver bannt wer den und nie nach Flaum klamm zu rück keh ren soll te, und das trotz der fe hent li chen Bit ten sei ner reui gen El tern. So wur de da mon in die Wild nis ver bannt, mit nichts als dem Hemd, das er am lei be trug. lan ge wan der te er und leb te von Bee ren, Pil zen und Pfan zen, bis er ins hei li ge Herz des Reichs ge lang te. die Er lö ser wa ren höchst be trof en, als sie hör ten, was dem jun gen und un schul di gen da mon an ge-tan wor den war. Fer ner hin wa ren sie be trübt zu hö ren, was aus Flaum klamm ge wor den war, und sie schwo ren Ra che, um das Cha os zum Woh le des Volks und des Reichs zu rück-zu drän gen. die Hel den des Reichs wur den aus ge schickt, um das Volk zu be schüt zen, mit da mon an der Spitze, da er die Ge gend gut kann te, aber auch, weil er tun woll te, was er nur konn te, um so vie le Be woh ner von Flaum klamm wie mög lich zu ret ten. trotz der Prü fun gen und Qua len, die ihm auf er-legt wor den wa ren, woll te da mon den Ein woh nern im mer noch Ver ge bung und jede Ge le gen heit zur Buße an bie ten. Als ehr li ches und from mes Kind aus dem Vol ke war er da rauf be dacht, dem Vor bild der ge seg ne ten Er lö ser zu fol gen, das Volk zu ret ten und so vie le wie mög lich zu den Erl ösern zu zie hen. Und so ge schah es, dass Flaum klamm er o bert wur de, nach dem der ehr li che da mon den Hel den die Ge heim gän ge durch die Stadt mau ern ge zeigt hat te. Vie le wur den ge tö tet, denn sie wa ren nicht mehr zu ret ten; vie le wur den ge ret tet, und ei ni ge we ni ge fo hen im Schut ze der dun kel heit. da mon

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führ te die Ar mee der Hel den bei ih rer Ver fol gung an und fand vie le Hei den schlupf win kel tief im Wald. die Kämp-fe wa ren ent setz lich. der Erd bo den und die Flüs se wa ren rot vor Blut, und die Fel der wur den meh re re Fuß tief un ter den lei bern der Ge fal le nen be gra ben. doch dank des Wil-lens der Er lö ser, ihn zu be schüt zen, tri um phier te der tap fe re da mon. Er säu ber te al les land süd lich des hei li gen Her zens und dräng te die un buß fer ti gen Hei den zwi schen die Berg-gip fel. So wur den das Volk und das land er ret tet und ge-lang ten zu neu er Blü te. neue Sied lun gen wur den ge grün det und er hiel ten die na men neu-Hei lig tum, Er lö ser pa ra dies, Hel den bach und Got tes ga be, um den ge seg ne ten Erl ösern für ihre Weis heit und ihre ta ten zu dan ken. In An er ken nung sei ner Ehr lich keit und sei nes Glau bens im An ge sicht au ßer-or dent li cher Ver su chun gen und Wid rig kei ten wur de da mon von den Erl ösern se lig ge spro chen und als ewi ger Hei li ger wie der ge bo ren, den man den hei li gen Azual nennt. Er wur-de fer ner hin von den Erl ösern da mit be auf tragt, die lan de süd lich des hei li gen Her zens auf ewig un ter sei nen Schutz zu neh men, da mit das Cha os nie wie der Ein fuss auf das Volk die ser Ge gend ge win nen könn te. Und so ge schah es, dass in Hy vans Kreuz der tem pel des hei li gen Azual er rich tet wur de, da mit der ge seg ne te Hei li ge in an ge mes se nem Rah men Pil-ger emp fan gen konn te und zu gleich ei nen Rück zugs ort zur Ver fü gung hat te, an den er alle paar mo na te zu rück keh ren konn te, nach dem er in den Ge mein den im Sü den all de nen, die voll jäh rig wur den, das hei li ge Sak ra ment der Zie hung ge spen det hat te. Hier en det die le gen de«, ver kün de te Hel la schließ lich und sah Pre di ger Pra xis an.

der Pre di ger nick te lang sam und be deu te te ihr, zu ih rem Platz zu rück zu keh ren. Sein Blick schweif te über die Klas se, hielt nach al len Aus schau, die nicht mit vol ler Auf merk sam-keit bei der Sa che wa ren, und blieb am Ende auf Jil lan ru hen.

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»Jil lan Jä ger sohn, was wa ren die drei Wun der, die der hei-li ge Azual voll brach te, als er noch als da mon be kannt war?«

Jil lan hör te nur ein Rau schen in den oh ren. Er sah, wie sich die lip pen des Pre di gers be weg ten, aber er konn te die Wor-te nicht rich tig ab le sen. Er spür te ei nen druck hin ter sei nen Au gen, und be vor er wuss te, wie ihm ge schah, frag te er auch schon: »Herr Pre di ger, es ist mei ne Pficht, die le sung bes-ser zu ver ste hen. Könn tet Ihr mir wohl sa gen, ob ei ni ge der Hei den in die Ber ge ent kom men sind? Und gibt es Flaum-klamm noch?«

die Klas se schnapp te lei se nach luft. Ins tink tiv spür ten alle, dass Jil lan eine Gren ze über schrit ten und sich an ei nen ver bo te nen ort vor ge wagt hat te. Sie wuss ten nicht, wa rum es falsch war, son dern nur, dass es falsch war, und das war al les, was sie wis sen muss ten.

das Ge sicht des Pre di gers wur de so streng, wie sie es noch nie ge se hen hat ten. Sei ne hoh len Wan gen wa ren umsc hat tet, sei ne na sen lö cher ein ge zo gen, sei ne lip pen blut leer.

»du wagst es?«, füs ter te er. »du wagst es, mich, ei nen Pre-di ger des Reichs, aus zu fra gen? Was für ein ma kel ist in dir, Jun ge, dass dich die Hei den so bren nend in te res sie ren?«

das Rau schen tos te mitt ler wei le in Jil lans oh ren, aber dies-mal wür de er sich nicht in die Fal le lo cken las sen. »Sie sind un se re fürch ter li chen Fein de, Herr Pre di ger. Wir müs sen ge-nug über sie er fah ren, um zu wis sen, wie wir uns am bes ten vor ih nen schüt zen kön nen. le ben noch im mer wel che in den Ber gen?«

In dro hen dem ton und mit zu sam men ge knif e nen Au gen sag te der Pre di ger sehr lei se: »Un se re bes te Ver tei di gung ge gen die fins te ren und heim tü cki schen Schli che des Cha os ist das rech te Ver ständ nis des Wil lens der Er lö ser, und das ist al les, was wir be nö ti gen, um uns zu schüt zen, wie du längst wis sen soll test, Jun ge. die ge naue lek tü re der Hei li gen Schrift und

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die Un ter wei sung, die der Pre di ger der Er lö ser in Got tes ga be dir an ge dei hen lässt, sind ge nug!« Jetzt wur de sei ne Stim me lau ter, und die Wor te spru del ten schnel ler aus ihm her vor: »Ge nügt dir die se hei li ge leh re in dei nem Stolz und dei nem Hoch mut nicht, Jun ge? du bist zu neu gie rig, um dei ne Ge-dan ken zu bän di gen und in si che re Bah nen zu len ken! Hüte dich, Jil lan Jä ger sohn, denn das Cha os lau ert bei der seits des rech ten We ges, der dem Wil len der Er lö ser ent spricht, und soll test du dich zu fra gen be gin nen, ob die lich ter und das Fun keln rechts und links da von der ein la den de Glanz ei nes ver lo re nen Schat zes sind, dann wirst du nur all zu leicht vom rech ten Weg ab wei chen und für im mer in die Irre ge hen!« Spei chel sprüh te aus dem mund des Pre di gers und glit zer te im mat ten licht, das durch die Fens ter lä den drang. »Wenn du ein bes se rer oder frömm erer Schü ler wärst, Jil lan Jä ger-sohn, dann hät test du nicht so rasch die heil sa me lek ti on über Kas par den neu gie ri gen aus der Hei li gen Schrift ver ges-sen! Was be ne belt dei nen Ver stand mit Ver ges sen? nun? du weißt es doch selbst, oder? Es ist der ma kel der Ver derbt heit, nicht wahr?«

die an de ren Schü ler starr ten Jil lan ent setzt an. So gar Hel-las Ge sicht ver riet Zwei fel und Angst.

Jetzt schrie der Pre di ger mit wil dem Blick: »du bist ei gen-sin ni ger, als es dir gut tut, Jun ge! Un be re chen bar wie dei ne El-tern, ich sage es ja! das macht dich so ge fähr lich wiss be gie rig. So lan ge du dei ne Feh ler nicht ein siehst, stellst du für all dei-ne mit schü ler eine Ge fahr da. Sie soll ten dich mei den, da mit der ma kel nicht auf sie über geht! dich mei den, ja! Hi naus, Kin der, hi naus! Geht nach Hau se und be tet da rum, dass die Er lö ser euch lei ten mö gen. Hel la und Jil lan, ihr wer det hier bei mir blei ben, die Hei li ge Schrift stu die ren und Er lö sung su chen. da nach wer de ich mit dem Rat spre chen, um fest zu-stel len, was wir un ter neh men kön nen, um euch von den an-

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de ren ab zu schir men, bis der ge seg ne te Hei li ge er scheint, um den ma kel von euch zu zie hen. Hi naus!«, kreisch te er.

die Kin der rap pel ten sich pa nisch auf, und ein paar schrien vor Schreck, als sie von den an de ren an ge rem pelt und bei sei-te ge sto ßen wur den. Jil lan blin zel te ent setzt und ver such te zu ver ste hen, was da vor ging. War er wirk lich von ei nem ma kel be su delt? War das die Er klä rung für den Är ger heu te und da-für, dass alle so wü tend zu sein schie nen? Und was soll te es be deu ten, dass sei ne El tern un be re chen bar wa ren? Er sah Hel la an, aber sie hat te zu wei nen be gon nen und wich sei nem Blick aus. Ihre Schul tern zit ter ten, aber er wag te es nicht, zu ihr zu ge hen.

der Pre di ger scheuch te die letz ten Kin der hi naus und be-gann dann er regt auf und ab zu ge hen. Von Zeit zu Zeit starr te er die bei den an und mur mel te et was in sei nen Bart. Er fal te te die Hän de und rang sie in in ni gem Ge bet. Jil lans Schul tern zuck ten hef tig, aber zum Glück be merk te der ab-ge lenk te Pre di ger nichts da von. Am Ende blieb Pra xis ste hen und war an schei nend zu ei ner Ent schei dung ge langt.

»Sieh doch, was dei ne Ver derbt heit an ge rich tet hat, Jun ge! Sieh doch, wie sie un ser rech tes Stu di um des Wil lens der Er-lö ser ge stört hat. Siehst du ein, zu was für ei ner Ge fahr du ge wor den bist?«

Zwi schen Be schä mung und leug nen, Ent schul di gung und Ver wei ge rung hin- und her ge ris sen stell te Jil lan fest, dass er nicht spre chen konn te. Es ge lang ihm je doch, be küm mert zu ni cken, wäh rend sein Zu cken nicht auf hör te.

»lasst uns be ten, dass es noch nicht zu spät ist! dei ne ei-ge ne Ver derbt heit ein zu ge ste hen ist der ers te Schritt zur Er-lö sung, Jun ge. Wenn du be reust und dich dann als auf rich tig buß fer tig er weist, be steht noch ein we nig Hof nung für dich. das Cha os kann viel leicht noch be siegt und der ma kel von dem ge seg ne ten Hei li gen aus ge trie ben wer den! dann wer den

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wir alle dei ne Rück kehr zu uns fei ern! Also darfst du nicht ver zwei feln, Hel la Jac obs toch ter, denn die Hof nung auf zu-ge ben be deu tet, es am Glau ben an die ewi gen Er lö ser feh len zu las sen. Wir müs sen statt des sen stär ker und ent schlos se-ner im Glau ben wer den, denn wir brau chen die Er lö ser nun mehr denn je! Zeig mir, dass du das ver stehst: Be reue dei ne Ver zweif ung, Hel la Jac obs toch ter!«

das jun ge mäd chen be kam un ter sei nen trä nen ei nen Schluck auf, wisch te sich den Rotz von der nase und ant-wor te te: »Ich be reue, Herr Pre di ger, wirk lich, das tue ich! Ich ver su che, ein bra ves mäd chen zu sein und die lek ti o nen zu ler nen, so gut ich kann.«

»das ist gut, Hel la, das ist gut. Jetzt tritt an die Hei li ge Schrift und lies uns aus der le gen de der Ver damm nis vor, da mit wir bes ser ver ste hen, wel che Schre cken der ma kel der Ver derbt heit für uns be reit hält. lass uns von der heid ni schen Höl le hö ren, in die das Cha os uns zu lo cken ver sucht, ei nem ort, der so tief be gra ben ist, wie der hei li ge Azual die lei-chen der Hei den auf türm te. Sie ist ein ort des Ver falls und der Ver derbt heit, an dem das Cha os sich von Un auf merk sa-men und de nen nährt, die aus der Si cher heit des Reichs fort-ge schweift sind, ein ort dunk ler Heim lich keit, an dem das Cha os Rän ke schmie det und lau ert, um das Reich zu stür zen, wäh rend es zu gleich vor dem ent hül len den licht und strah-len den Glanz der ge seg ne ten Er lö ser und ih rer Hei li gen zu-rück scheut. Komm, Hel la, lies für uns, wäh rend Jil lan zit ternd und von Reue ge schüt telt da sitzt! Sieh, wie die Ver derbt heit in ihm sich vor Schmer zen win det, nun da sie ent tarnt ist und die rei ni gen den Wor te und den wah ren Wil len der Er löser ver-neh men muss!«

Pre di ger Pra xis ent ließ sie erst, als die Son ne schon un ter ging. Er be fahl ih nen, ge ra de wegs nach Hau se zu ge hen, und wies

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sie an, mit nie man dem zu spre chen – vor al lem nicht mit-ei nan der – und ih ren El tern mit zu tei len, dass sie spä ter am Abend mit ei nem Be such von ihm und meh re ren Äl tes ten zu rech nen hät ten.

Von Schuld ge füh len und Schre ckens vi si o nen ge pei nigt stol-per te Jil lan blind nach Hau se. Er war er schöpft, aber in ihm war et was, das nicht zur Ruhe kom men woll te. Es war der ma kel, da von war er mitt ler wei le über zeugt. der ma kel war nie zu frie den und bohr te sich in ihn wie ein Wurm. Wenn er ein mes ser ge habt hät te, hät te er sich selbst auf ge schlitzt und ver sucht, den ma kel he raus zu schnei den. »Schließ lich ist es doch so: Auf op fe rung und Pflicht er fül lung be schir men das Volk vor dem Cha os, nicht wahr?«, wie der hol te er bei sich. Er muss te be reit sein, sich selbst auf zu schnei den, um all die zu ret ten, die er lieb te. Es war die ein zi ge mög lich keit, denn sonst wür de er für an de re eine Ge fahr dar stel len und es dem ma kel ge stat-ten, sich aus zu brei ten.

Sie war te ten hin ter der zwei ten Ecke auf ihn. Ir gend et was traf ihn im na cken, und er wur de vor wärts ge sto ßen.

»Hei de!«, zisch te eine Stim me hin ter ihm. Es klang nach Karl.

Jil lan stol per te und muss te los ren nen, um auf den Bei nen zu blei ben und nicht zu Bo den zu stür zen. Er sah Si lus mit ge ball ten Fäus ten kampf be reit vor sich ste hen. da er wuss te, dass er nicht in der lage sein wür de, recht zei tig an zu hal ten, lief Jil lan noch schnel ler und pack te Si lus auf Höhe der Hüf-te. der Jun ge fiel um und schlug mit den Fäus ten wir kungs-los auf Jil lans Rü cken ein. Als Si lus lan de te, ver schlug es ihm den Atem, und er keuch te. Jil lan ließ den Kopf em por schnel-len und traf sei nen Geg ner un ter dem Kinn, sodass es Si lus’ Schä del zu rück riss. dann ver setz te Jil lan Si lus ei nen kräf ti gen Faust hieb ins Ge sicht.

Ein mas si ger Schat ten rag te aus der dun kel heit auf. Es war

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Haal. mit ei nem Äch zen schwang er ei nen schwe ren Stock in ei nem nied ri gen Bo gen. Im schwa chen licht sah Jil lan ihn erst kom men, als es be reits zu spät war. der Stock traf ihn un mit tel bar ober halb des rech ten Au ges und schleu der te ihn hin ten ü ber in den Schmutz. Blut lief ihm in die Au gen, und er stöhn te. Er be kam ei nen bru ta len tritt in die Sei te, aber als er sich vor Schmer zen zu sam men krümm te, ge lang es ihm, das Bein des An grei fers zu pa cken und ihn um zu rei ßen.

»mö gen die Er lö ser ihn ver fu chen! Schnapp ihn dir, Karl! Prüg le den ma kel aus ihm he raus!«, rief Haal.

Und dann brach die Ver derbt heit schließ lich her vor. der Sturm, der in Jil lans Ver stand ge fan gen ge we sen war, um tos-te sie und be gann, an ih ren Klei dern zu zer ren. Jil lan sah nur noch rot, wäh rend blu ti ge Blit ze knis ternd von ihm aus gin gen. Er rich te te die rohe Ener gie ge zielt auf Karl, und der Jun ge schrie ent setzt auf, als sie ihn traf. Es er tön te der oh ren be täu-ben de Knall ei ner Ex plo si on, und dann riss die druck wel le alle zu Bo den, Jil lan ein ge schlos sen.

Als der nach hall ver klang, war nur noch das Wim mern von Haal und Si lus zu hö ren. Karl lag reg los da. der Ge ruch von ge schmol ze nem me tall und ge koch tem Schwei ne feisch hing über ih nen.

Jil lan ver such te, sich auf die Bei ne zu kämp fen, und sack te kraft los wie der zu Bo den.

Zit tern de Stim men be gan nen in die nacht hin aus zu ru fen.»Hier her!«, schluchz te Si lus.»ma gie!«, jam mer te Haal. »mord!«Jil lan knurr te, und die Jun gen schrien auf und wälz ten sich

weg. mit vor mü dig keit un deut li cher Stim me sag te Jil lan: »Seid still, sonst töte ich euch auch noch!«

Sie ge horch ten und be ob ach te ten ihn mit dem Blick ver-schreck ter tie re. Jil lan stand lang sam auf, kämpf te ge gen eine Wel le der Übel keit an und be müh te sich, nicht ohn mäch tig

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Adam J. Dalton

Das Wispern der SchattenRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Paperback, Klappenbroschur, 640 Seiten, 13,5 x 20,6 cmISBN: 978-3-442-26912-9

Blanvalet

Erscheinungstermin: Februar 2013

Sie nennen sich Erlöser, doch sie bringen den Tod … Jillan wächst behütet im Reich der Erlöser auf. Was auch geschieht, er weiß, dass der HeiligeAzual ihm beistehen wird. Bis zu dem schicksalhaften Tag, am dem aus ihm unkontrollierteMagie hervorbricht, und er einen seiner Mitschüler umbringt. Kaum jemand ist entsetzter alsJillan. Denn die Heiligen dulden keine magischen Kräfte neben ihren eigenen. Als Ketzer gejagt,flieht Jillan in die Wildnis, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Doch dann beschließt derHeilige Azual, den jungen Mann persönlich zur Strecke zu bringen …