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ENERGIEPOLITIK Moderne Industriegesell- schaften sind immer noch hochgradig von Erdöl und Erdgas abhängig. Doch Kli- mawandel, Bevölkerungs- wachstum, begrenzte fossi- le Ressourcen und verhee- rende Kriege machen die eingeläutete Energiewen- de wichtiger denn je, so Doktor Daniele Ganser, Lei- ter des Swiss Institute for Peace and Energy Research, im Interview über alte Machtstrukturen und neue Umwelttechnologien. Herr Ganser, bitte stellen Sie doch zunächst Ihr Forschungsinstitut vor. Das Swiss Institute for Peace and Ener- gy Research – kurz SIPER – wurde 2011 in Basel gegründet. SIPER beschäftigt sich mit den Themen Energie und Frie- den. Ich bin der Leiter. Wir sind über- zeugt, dass diese Themen sehr viel stär- ker vernetzt sind, als weithin wahrge- nommen und kommuniziert wird. Das wollen wir ändern. Wie genau machen Sie das? Wir analysieren die Situationen und produzieren aus dieser Analyse zwei Produkte – Bücher und Vorträge. Mit beiden wollen wir aufklären. Vorträge halte ich zum einen bei Banken, Ener- giekonzernen und in Unternehmen verschiedenster Branchen, zum an- deren bei Nichtregierungsorganisa- tionen und friedensbewegten Bür- gerinitiativen. Das Interesse an unse- ren Themen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wissenschaftliche Analysen und Medienberichterstattung über den Zusammenhang von Kriegen und Rohstoffen gibt es doch aber schon seit vielen Jahrzehnten. Wo- her kommt das gestiegene Inte- resse? Erstaunlicherweise werden zentrale Zu- sammenhänge zwischen Energieres- sourcen und Kriegen heute von Mas- senmedien und Politik nicht im not- wendigen Maß thematisiert und auf- geklärt. In den Medien kommt das Wort „Ressourcenkrieg“ oder „Erdöl- krieg“ kaum vor. Ganz selten laufen manchmal spät nachts Dokumentatio- nen zu diesem Themenbereich auf Ar- te, die kaum Einschaltquoten generie- ren. Die Nachfrage nach unseren Ana- lysen und Informationen ist auch des- halb so hoch, weil Politik, Banken und Wirtschaft verlässliche Informationen brauchen. Denn Klimawandel, Ressour- cenverknappung und Bevölkerungs- wachstum zwingen viele Führungseta- gen dazu, sich solide mit diesen grund- legenden Thematiken auseinanderzu- setzen, um zukunftsfähige Strategien zu entwerfen. Vor allem aber haben auch viele Bürger eine Sehnsucht nach ehrlicher Kommunikation, sie wollen Genaueres darüber wissen, was in Krie- gen wie denen in Irak, in Afghanistan, in Libyen oder Syrien hinter den Kulis- sen gespielt wird, da von dort mittler- weile Millionen Flüchtlinge nach Europa kommen. Dieser Aufklärung hat sich unser Institut verschrieben. SIPER leuchtet also die Rohstoff- aspekte von Kriegen aus? Ja, das ist unser Problemaufriss. SI- PER klärt über verdeckte Kriegsfüh- rungen auf. Wenn es um den Zu- gang, den Besitz und den Transport von Erdöl und Erdgas geht, mischen seit vielen Jahrzehnten immer wieder 18 SANITÄR+HEIZUNGSTECHNIK 3/2017 „Das ist ein Geschenk an die Welt“ Die Energiewende vor dem Hintergrund von Kriegen, Ressourcenschwund, Klimawandel und demografschen Entwicklungen Dr. phil. Daniele Ganser Bild: Basile Bornand KURZVITA DANIELE GANSER Dr. phil. Daniele Ganser ist Gründer und Leiter des Swiss In- stitute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel. Das SIPER untersucht, ob es möglich wäre, die Energieversorgung zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umzustellen und Konflikte friedlich zu lösen (www.siper.ch). Daniele Ganser ist Schweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945 und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Res- sourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an der Universität St. Gallen (HSG) zur Geschichte und Zukunft von Energiesystemen und war Dozent für Zeitgeschichte an der Uni- versität Basel, der Universität Zürich und der Universität Luzern. 18_22-SHT3-17_Energiepolitik__ 24.02.17 13:01 Seite 18

„Das ist ein Geschenk an die Welt“ - SIPER · ren. Es ist auch nur noch eine Frage der Zeit, bis die dezentrale Speiche-rung von selbstgewonnener Elektro - energie für jedermann

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Moderne Industriegesell-schaften sind immer nochhochgradig von Erdöl undErdgas abhängig. Doch Kli-mawandel, Bevölkerungs-wachstum, begrenzte fossi-le Ressourcen und verhee-rende Kriege machen dieeingeläutete Energiewen-de wichtiger denn je, soDoktor Daniele Ganser, Lei-ter des Swiss Institute forPeace and Energy Research,im Interview über alteMachtstrukturen und neueUmwelttechnologien.

Herr Ganser, bitte stellen Sie dochzunächst Ihr Forschungsinstitutvor. Das Swiss Institute for Peace and Ener-gy Research – kurz SIPER – wurde 2011in Basel gegründet. SIPER beschäftigtsich mit den Themen Energie und Frie-den. Ich bin der Leiter. Wir sind über-zeugt, dass diese Themen sehr viel stär-ker vernetzt sind, als weithin wahrge-nommen und kommuniziert wird. Daswollen wir ändern.

Wie genau machen Sie das?Wir analysieren die Situationen undproduzieren aus dieser Analyse zweiProdukte – Bücher und Vorträge. Mitbeiden wollen wir aufklären. Vorträgehalte ich zum einen bei Banken, Ener-giekonzernen und in Unternehmenverschiedenster Branchen, zum an-deren bei Nichtregierungsorganisa-tionen und friedensbewegten Bür-gerinitiativen. Das Interesse an unse-ren Themen ist in den letzten Jahrenstark gestiegen.

Wissenschaftliche Analysen undMedienberichterstattung über denZusammenhang von Kriegen undRohstoffen gibt es doch aberschon seit vielen Jahrzehnten. Wo-her kommt das gestiegene Inte-resse?Erstaunlicherweise werden zentrale Zu-sammenhänge zwischen Energieres-sourcen und Kriegen heute von Mas-senmedien und Politik nicht im not-wendigen Maß thematisiert und auf-geklärt. In den Medien kommt dasWort „Ressourcenkrieg“ oder „Erdöl-krieg“ kaum vor. Ganz selten laufenmanchmal spät nachts Dokumentatio-nen zu diesem Themenbereich auf Ar-te, die kaum Einschaltquoten generie-ren. Die Nachfrage nach unseren Ana-lysen und Informationen ist auch des-halb so hoch, weil Politik, Banken undWirtschaft verlässliche Informationenbrauchen. Denn Klimawandel, Ressour-cenverknappung und Bevölkerungs-wachstum zwingen viele Führungseta-gen dazu, sich solide mit diesen grund-legenden Thematiken auseinanderzu-setzen, um zukunftsfähige Strategienzu entwerfen. Vor allem aber habenauch viele Bürger eine Sehnsucht nachehrlicher Kommunikation, sie wollenGenaueres darüber wissen, was in Krie-gen wie denen in Irak, in Afghanistan,in Libyen oder Syrien hinter den Kulis-sen gespielt wird, da von dort mittler-weile Millionen Flüchtlinge nach Europakommen. Dieser Aufklärung hat sichunser Institut verschrieben.

SIPER leuchtet also die Rohstoff-aspekte von Kriegen aus? Ja, das ist unser Problemaufriss. SI-PER klärt über verdeckte Kriegsfüh-rungen auf. Wenn es um den Zu-gang, den Besitz und den Transportvon Erdöl und Erdgas geht, mischenseit vielen Jahrzehnten immer wieder

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„Das ist ein Geschenk andie Welt“Die Energiewende vor dem Hintergrund von Kriegen,Ressourcenschwund, Klimawandel und demografischenEntwicklungen

Dr. phil. Daniele Ganser

Bild: Basile Bornand

KURZVITA DANIELE GANSER

Dr. phil. Daniele Ganser ist Gründer und Leiter des Swiss In-stitute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel. DasSIPER untersucht, ob es möglich wäre, die Energieversorgungzu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umzustellen undKonflikte friedlich zu lösen (www.siper.ch). Daniele Ganser istSchweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sindFriedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Res-sourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an derUniversität St. Gallen (HSG) zur Geschichte und Zukunft vonEnergiesystemen und war Dozent für Zeitgeschichte an der Uni-versität Basel, der Universität Zürich und der Universität Luzern.

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auch Militärs und Geheimdienstemit. Aber SIPER diskutiert auch Lö-sungsmöglichkeiten. Wir folgen ei-ner Vision: Erneuerbare Energienund neue Umwelttechnologien kön-nen die Energiegewinnung durchfossile Rohstoffe komplett ersetzenund so zu einer sehr viel friedlicherenWelt beitragen.

Dann klären Sie uns doch bitte auf:Wie lange werden Öl und Gasnoch reichen?Im Jahr 1800 waren wir eine MilliardeMenschen auf der Erde, heute sindwir sieben Milliarden. 1945 verbrauch-te die Menschheit sechs Millionen FassÖl pro Tag. Heute brauchen wir un-glaubliche 95 Millionen Fass Öl proTag. – Der Druck auf die Ressourcenist enorm gewachsen. Das macht sichauch durch starke Preisschwankungenbemerkbar. Der Ölpreis ist von 10 Dol-lar in 1999 auf 140 Dollar im Jahr2008 gestiegen. Dann fiel er wiederauf 50 und ist insgesamt sehr volatil.Um Ihre Frage zu beantworten: Wirwerden sicher auch noch 2050 auf Ölund Erdgas zurückgreifen können.Aber der sogenannte Energy-Returnon Energy-Invest (EROEI) verschlech-tert sich zusehends. Der Aufwand fürdie Förderung wird immer größer. Die-se Kosten-Nutzen-Rechnung gerät zu-nehmend aus der Balance. Frühermusste vielleicht ein Fass Öl investiertwerden, um 100 Fässer zu fördern.Um 1900 bohrte man in Texas bspw.nur 30 bis 40 Meter tief und das Ölkam gesprudelt. Heute muss man inder Hochsee nach Öl bohren, bei derexplodierten Ölplattform DeepwaterHorizon beispielsweise vier Kilometertief. Außerdem beginnen sich etlicheFördergebiete auch zu erschöpfen –wie die in Norwegen oder Großbri-tannien. Und in die vielen Kostenbe-rechnungen fließen so gut wie nie dieKosten der Ressourcenkriege oder diedadurch ausgelösten Flüchtlingsströ-me mit ein.

… deswegen läuteten einige In-dustrienationen bereits vor mehrals zehn Jahren die sogenannteEnergiewende ein, allen voranDeutschland.Richtig. Auf technologischer Seitesind auch bereits enorme Fortschritteerreicht worden. Aus Sonne, Erdwär-me, Windkraft und Biomasse kannheute dezentral Strom erzeugt wer-

den. Freilich ist vieles dabei noch ver-besserungswürdig, einige Entwick-lungen stehen auch noch am An-fang. Aber es wird in allen Bereichengeforscht und entwickelt, was dasZeug hält. Bei der Photovoltaik habenwir bereits den Punkt erreicht: Sie istzum Massenprodukt und für jeder-mann erschwinglich geworden. DieAutobranche basiert derzeit noch fastkomplett auf Erdöl. Aber der inter-nationale Wettstreit um den Elektro-automarkt, die Elektromobilität ist invollem Gange. Aber auch hier gibtes deutliche Fortschritte. 2017 gehtbeispielsweise die Giga-Fabrik von

Tesla in Nevada an den Start undwird leistungsstarke Akkus produzie-ren. Es ist auch nur noch eine Frageder Zeit, bis die dezentrale Speiche-rung von selbstgewonnener Elektro-energie für jedermann erschwinglichsein wird.

Trotz all Ihrer Zuversicht gibt esnach wie vor eine andere Realität.Erdgas und Erdöl sind nach wievor unsere wichtigsten Energie-träger. Neue Pipelines werden ge-baut, weitere sind geplant. Neh-men wir nur die North- und South-stream-Pipelines nach Europa.

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Russland kann sein Gas nirgendwo soteuer verkaufen wie in Europa. Mit derNorthstream-Pipeline durch die Ostseehat sich Russland den direkten Zugangauf den deutschen und westeuropäi-schen Gasmarkt gesichert und frühereTransitländer im Baltikum, Polen unddie Ukraine umgangen. Das hat die Bal-ten und Polen und deren Partner dieUSA verärgert. Dieser direkte Marktzu-gang ist für die Russen aber auch füruns in Zentral- und Westeuropa sehrwichtig. Denn Russland ist der stabilsteLieferant und die dortigen Erdgasvor-kommen werden noch über viele Jahr-zehnte abbaubar sein. Zentral- undWesteuropa wird von Russland, Nord-afrika und aus der Nordsee mit Erdgasversorgt. Die Nordsee-Vorkommen sindin absehbarer Zeit erschöpft und Nord-afrika ist politisch instabil.

Die südlichen Versorgungspipeli-nes nach Europa - wie die South-stream- und die Nabucco-Pipeline- sind sehr viel umkämpfter als dieNorthstream durch die Ostsee.Das ist so. Da herrscht ein heftigesKräftemessen und Gerangel zwischenden Weltmächten, regionalen Mäch-ten und nationalen Interessen. Welchesüdlichen Routen nach Europa sichdurchsetzen werden, ist nach wie voroffen. Ein Land spielt dabei eine be-sondere Schlüsselrolle – die Türkei. DieUSA und Russland buhlen in Ankaramit allen Mitteln heftig um Einfluss.Zur Analyse dieser Konflikte hilft es,die Pipeline-Netze und die Netze von

Militärbasen anzuschauen. Das sinddeutliche Marker auf dem geostrate-gischen Schachbrett.

Nach Ihrer Analyse ist auch der Sy-rien-Krieg ein Krieg um Ressour-cen und Pipelineführungen.Genau so ist es. Saudi Arabien und Ka-tar hatten 2009, also zwei Jahre vorKriegsausbruch, beschlossen, einePipeline durch den Nahen Osten zubauen, um ihr Erdgas auf den euro-päischen Markt zu bringen. Die Katarisbesitzen zusammen mit dem Iran einesder weltweit größten Erdgasfelder imPersischen Golf. Wenn sie das nicht soextensiv wie möglich anzapfen, fördertder Iran das Gas auf seiner Seite. DemErdgas sind internationale Grenzzie-hungen egal. Derzeit verflüssigen dieKataris ihr Erdgas und verschiffen esin alle Welt. Eine Pipeline wäre für dieKataris und Saudis sehr viel lukrativer.Eine geplante Pipeline Richtung Mit-telmeer über den Irak kann wegen derkatastrophalen Sicherheitslage im Iraknicht gebaut werden. Eine zweite Va-riante müsste durch Syrien führen (sie-he Grafik). Der syrische Präsident Assadhat diesen Plan aber nicht zugelassen,weil er die Interessen Russlands vertei-digen will. Russland ist seit Sowjetzei-ten ein enger Verbündeter und FreundSyriens. Die Russen halten in Syrienauch zwei Militärbasen und haben kei-nerlei Interesse daran, dass die Saudisund die Kataris – und mit ihnen auchdie USA – mit dieser Pipeline die rus-sischen Erdgasgeschäfte in Europa stö-

ren. Der russische Staatskonzern Gaz-prom dominiert den europäischenMarkt. Meiner Analyse zufolge, habensich die USA, die Saudis und Katar lan-ge vor Ausbruch des Syrien-Kriegs zu-sammengetan und konzipierten denPlan, Assad zu stürzen. Die Massen-medien erzählen hingegen meist eineandere Story, die meiner Meinungnach völlig falsch ist. Das Narrativ lautetdort fast immer: Der böse Diktator As-sad kämpft gegen sein Volk. Dass Sau-di Arabien und Katar islamistischeKriegsparteien in Syrien unterstützen,die gegen Assad kämpfen, ist längstbewiesen. In meinem jüngsten Buch„Illegale Kriege“ habe ich den Syrien-Krieg unter diesem Rohstoff-Gesichts-punkt detailliert analysiert.

Wer sind derzeit die weltweitgrößten Player im Erdölgeschäft?Die größten Player im Geschäft sinddie Saudis mit dem Staatskonzern Sau-di Aramco, die Russen mit dem Staats-konzern Rosneft und die Amerikanermit ExxonMobil, der fest im US-Estab-lishment verwurzelt ist. Rex Tillerson,früher CEO von ExxonMobil, ist aktuellder Außenminister der USA. Alle dreiLänder produzieren rund 10 MillionenFass Erdöl pro Tag. Die drei sind diegroßen Champions der Branche. BPund Shell können da nicht mitspielen.Die spielen eine Liga tiefer. Die dreiGroßen sind sogenannte Swing-Pro-ducers. Sie können die Weltmarktprei-se aktiv beeinflussen, wobei die Saudisnoch dazu meist in der Lage sind, dieOpec zu dominieren. Russen, Ameri-kaner und Saudis haben jedoch sehrunterschiedliche Förderstrukturen und-bedingungen. Die Saudis fördern ihrErdöl sehr preiswert, müssen nicht tiefbohren und können von einem Fass-preis von 30 Dollar gut profitieren. Beiden Amerikanern spielt zunehmenddas Fracking eine Rolle. Dort liegen al-lein die Produktionskosten pro Fassbei 50 bis 70 Dollar.

Die rasanten Entwicklungen in derUmwelttechnologie und bei derGewinnung von regenerativerEnergie sind für jeden sichtbar.Steigen die großen Akteure desErdgas- und Erdölgeschäfts jetztin diese neuen Technologien ein?Das sehe ich nicht. Ich saß mit PeterVoser, dem früheren Chef von Shell,auf einem Podium. Meine Vision der100 Prozent erneuerbaren Energiever-

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sorgung teilt er nicht. Shell wolle ver-stärkt ins Gasgeschäft einsteigen, mein-te er. Das ist deren Strategie. Die PRder etablierten Energiekonzerne ver-kauft diese Strategie den Konsumentenauch noch als ökologisch. Mit Green-washing1 will man Erdgas als umwelt-freundlich darstellen. Das Umschwen-ken auf erneuerbare Energien ist fürdiese althergebrachten Erdöl/Erdgas-Unternehmen verständlicherweise sehrschwer möglich. Die haben riesige ka-pitalintensive Investitionen und Infra-strukturen aufgebaut, in die Explora-tion, die Pipelines, die Tanker. Das allesmuss sich über Jahrzehnte amortisierenund die Gewinne sollen möglichst weitdarüber hinaus maximal abschöpftwerden. Auch die Atomenergie unddie Kohle sind zentral gesteuert undbrauchen viel Kapital. Das ist ein ganzanderes Modell als die erneuerbarenUmwelttechnologien, die überall de-zentral und verbrauchernah und mitvergleichsweise kleinen Kapazitätenund Investitionen entstehen. In ihrerGesamtheit setzen sie den großen Kon-zernen jedoch schwer zu. Die dezen-trale Energieversorgung ist im Kernauch viel demokratischer als alles, waswir im Energiesektor je hatten. Sie liegtplötzlich in Reichweite und in den Hän-den der Bürger. Der Bürger ist gleich-zeitig Produzent und Konsument, wirnennen das „Prosumer“. Ich selber ha-be ein Haus und bin durch Erdwärme,Solarpanels und mit meinem Elektro-auto schon heute fast energieautark.- Um auf Ihre Frage zurückzukommen:Wenn sich das dezentrale, erneuerbareKonzept durchsetzt, ist das sehr profi-table Geschäftsmodell der Erdöl- undErdgasindustrie vorbei und ihren eige-nen Untergang werden die nicht auchnoch selbst befördern.

Apropos „befördern“: Mit vielenhundert Milliarden Euro Steuer-geldern hat Deutschland neueEnergietechnologien gefördertund so beispielsweise auch maß-geblich mit für den Durchbruchder Solar-Industrie gesorgt. VieleUnternehmen klagen allerdings

über die mit der staatlichen För-derung verbundenen steuerlichenMehrbelastungen etwa durch dasErneuerbare-Energien-Gesetz, dieEEG-Umlage.Deutschland hat mit diesen Subven-tionen gewaltige Summen in die For-schung und die Entwicklung fließenlassen und so beispielsweise die So-larindustrie unterstützt, den Preis proKilowattstunde Solarenergie markt-fähig zu machen. Das ist ein Geschenkvon Deutschland an die Welt.Deutschland hat hier großartige An-schubarbeit geleistet, von der die gan-ze Welt profitiert. Meiner Meinung

nach besteht hier nicht nur Grund zuGroll und Missmut, sondern man kanndarauf sehr stolz sein.

Aber können Sie den Groll von Un-ternehmern nicht verstehen,wenn Milliardeninvestitionen unddeutsche Steuergelder in die So-lartechnologie geflossen sind, sichdas für Deutschland aber kaumauszahlt, weil beispielsweise Chi-na mit Dumpingpreisen große Tei-le der deutschen Solar-Industriezur Strecke gebracht hat?Ja, das kann ich emotional sehr gutnachvollziehen. Und sicher sind nicht

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1 Greenwashing steht für Methoden, die

einem Unternehmen in der Öffentlichkeit

ein umweltfreundliches Image verleihen

wollen, ohne dass es eine Grundlage dafür

gibt. Der Begriff spielt auf die Geldwäsche

im Sinne von „sich reinwaschen” an.

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alle Gesetze und Konzepte optimalaufgegangen. Da sind auch Fehlergemacht worden. Heute würde manbeispielsweise eine so hohe Vergü-tung für Solarstrom sicher nichtmehr über eine so lange Zeit garan-tieren. Aber wir befinden uns in ei-nem einschneidenden historischenProzess und Deutschland verhilft ei-ner neuen Technologie-Generationmaßgeblich zum Durchbruch. Abge-sehen davon, dass das der Weg derVernunft ist, zahlen sich diese Inves-titionen in der Gesamtbilanz lang-fristig sicher auch für das Land aus.– Und an dieser Stelle will ich denKreis zum eingangs Gesagten wiederschließen: Man kann das Geld auchdümmer ausgeben. Billionensum-men fließen in die Kriege in Afgha-nistan, Irak, Libyen und Syrien. Alldiese Kriege sind zu einem nicht ge-ringen Teil auch vom Kampf um Erd-öl- und Erdgasressourcen und Pipe-lineführungen motiviert. Allein dasPentagon hat ein Jahresbudget von600 Milliarden Dollar.

Sie sind viel unterwegs in der Ener-giebranche und in Unternehmer-

kreisen. Wie ist die Stimmung un-ter den Ingenieuren, in der Indus-trie und in Installationsbetrieben?Das kann ich nicht generell sagen. DieStimmung ist sehr unterschiedlich. Dieeinen sagen, es sei derzeit kaum Geldmit neuen Energietechnologien zuverdienen, für sie bringe das nichts,es sei alles ein Jammertal. Die anderensind begeistert, erwirtschaften Ge-winne und sehen überall Chancen,argumentieren sogar für das langfris-tige und ehrgeizige Ziel, 100 Prozenterneuerbare Energie zu produzieren.Und dann gibt es auch die knallhartenGegner der erneuerbaren Energien,die sehr allergisch darauf reagieren,wenn wir deren Geschäftsmodelle mitRessourcenkriegen in Verbindungbringen. Ich erlebe hierzu manchmalhitzige Podiumsdiskussionen. Interes-sant sind auch die Entwicklungen beiden Banken: Die sind mittlerweile of-fen für die Analysen von SIPER. Diestellen neue Finanzprodukte und Um-weltfonds für Anleger zusammen, dieauf die Energiewende bauen und die-se unterstützen. Klar, auch diese Fi-nanzprodukte und Fonds krachenmanchmal zusammen und werfen

nicht allesamt die Gewinne ab, diesich mancher versprochen hat – ge-nauso wie andere Finanzprodukteauch. Aber die Banken erkennen zu-nehmend die Potentiale und die Not-wendigkeit der Energiewende.

Wie stehen Bauindustrie und Ar-chitekten zur Energiewende?Aus der Bauindustrie kommen die po-sitivsten Signale. Dort wird eine weit-gehend autarke Energieversorgungfür möglich gehalten. Für die Baubran-che ist es realistisch, dass künftig im-mer mehr neu gebaute Häuser zuKraftwerken werden, also netto überzwölf Monate mehr Energie erzeugenals sie verbrauchen. Der Umbau vonAltbauten, also von bestehender Bau-substanz, ist freilich etwas komplexerund kostenintensiver.

Die Politik diskutiert seit geraumerZeit vielerorts die CO2-Steuer. Washalten Sie davon? Eine Steuer auf C02 halte ich für sinn-voll. Damit würden fossile Energieträgerwie Erdgas, Kohle, Benzin und Dieselsofort teurer. Das würde wiederum dieerneuerbaren Energien sehr viel stärkerstützen als viele kleine steuerfinanzierteFörderprogramme für die eine oder dieandere Umwelttechnologie. Die Politiksollte insgesamt stärker auf die Innova-tionskraft der Unternehmen in der Um-welttechnologiebranche setzen undhelfen, diese freizusetzen. Die Märkteund örtlichen Gegebenheiten würdenallein regeln, ob sich hier oder dort Ener-gie oder Energiemixe aus Wasser, Wind,Erdwärme oder Sonne durchsetzen.

Sehen Sie die CO2-Abgabe in ab-sehbarer Zeit kommen?Die Diskussionen werden heftig ge-führt. Aber momentan gibt es wederin der Schweiz noch in Deutschlandpolitische Mehrheiten dafür. Dasmuss man verstehen: Wir leben inGesellschaften, die über 100 Jahreauf fossile Brennstoffe gesetzt habenund davon auch sehr stark profitie-ren. Bis heute hängen noch sehr vieleArbeitsplätze an Kohle, Erdöl und anErdgas. Der technologische, mentaleund politische Wandel wird noch ei-nige Jahrzehnte brauchen, aber wirsollten diesen Weg weiter zügig be-schreiten. Auch um des Friedens wil-len.

Das Gespräch führte Dr. Lutz Mükke.

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