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AMORBACH THEODER W. ADORNO Links Bibliothek

Adorno - Amorbach

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Adorno, Amorbach

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  • AMORBACH THEODER W. ADORNO

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    Wolkmann: ein Berg, der Bild seines Namens ist, freundlich b-riggebliebener Riese. Nun ruht er lange, breit gestreckt ber dem Stdtchen, das er von den Wolken grt. Gotthard: der kleinste Gipfel in der Umgebung trgt den Namen des mchtigs-ten Massivs der Zentralalpen, als mchte er das Kind sacht an den Umgang mit dem Gebirge gewhnen. Um keinen Preis htte es sich ausreden lassen, da ein geheimer unterirdischer Gang von einer Hhle der Klosterruine St. Gotthard in den Amorbacher Konventsbau hinabfhrt.

    Der war bis zur napoleonischen Skularisierung eine Benedikti-nerabtei, niedrig, auergewhnlich lang, mit grnen Lden, an-geschmiegt an die Abteikirche. Ihm fehlt, auer den Eingngen, jede energische Gliederung. Dennoch erfuhr ich daran zum ers-tenmal, was Architektur sei. Bis heute wei ich nicht, ob der Ein-druck einfach darauf zurckgeht, da mir am Konventsbau das Wesen von Stil aufging, oder ob doch in seinen Maen, unter Verzicht auf jeglichen Eklat, etwas sich ausspricht, was danach die Bauten verloren. Die Vedute, auf die er offenbar angelegt war, eine Stelle im Seegarten, kunstvoll hinter einer Baum-gruppe versteckt an dem von Karpfen bevlkerten, sympathisch riechenden Weiher, gibt einen kleinen, berschaubaren Ab-schnitt des Klosters frei. Stets noch stellt an dem Teil die Schn-heit wieder sich her, nach deren Grund ich vorm Ganzen ver-geblich frage.

    In der Hauptstrae, um die Ecke der geliebten Post, befand sich eine offene Schmiede mit grell loderndem Feuer. Jeden Morgen ganz frh weckten mich die drhnenden Schlge. Nie habe ich ihnen deshalb gezrnt. Sie brachten mir das Echo des lngst Vergangenen. Mindestens bis in die zwanziger Jahre hinein, als es schon Gasolinstationen gab, hat die Schmiede existiert. In Amorbach ragt die Vorwelt Siegfrieds, der nach einer Version an der Zittenfelder Quelle tief im waldigen Tal soll erschlagen wor-den sein, in die Bilderwelt der Kindheit. Die Heunesulen unter-halb von Mainbullau datieren, so wenigstens wurde mir damals erzhlt, auf die Vlkerwanderung zurck, nach den Hunnen be-nannt. Das wre schner, als wenn sie aus frherer namenloser Zeit stammten.

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    Die Fhre ber den Main, die man benutzen mu, wenn man hinauf will aufs Kloster Engelberg, hat ihren besonderen Aus-druck daran, da sie, archaisches Fahrzeug, nicht die Spur des willentlich Bewahrten von Trachtenverein und historischem Denkmal trgt. Keine einfachere und nchternere Mglichkeit, ans andere Ufer zu gelangen, als das Fahrzeug, von dem Ha-gen den Kaplan in die Donau warf, der als einziger vom Nibe-lungenzug gerettet wurde. Die Schnheit des Zweckmigen hat rckwirkende Kraft. Die Laute der Fhre ber dem Wasser, denen man schweigend nachhorcht, sind so beredt, weil sie vor Jahrtausenden nicht anders waren.

    Tatschlich kam ich mit der Sphre Richard Wagners in Amor-bach in Berhrung. Dort hatte, in einem Anbau an den Konvent, der Maler Max Rossmann sein Atelier; oft waren wir auf der Ter-rasse nachmittags bei ihm zum Kaffee. Rossmann hatte Deko-rationen fr Bayreuth gefertigt. Der eigentliche Wiederentdecker von Amorbach, brachte er Snger des Festspielensembles dort-hin. Etwas von dem ppigen Lebensstil mit Kaviar und Cham-pagner teilte sich der Post mit, deren Kche und Keller bertra-fen, was man von einem lndlichen Gasthof htte erwarten dr-fen. An einen der Snger erinnere ich mich genau. Obwohl ich nicht lter als zehn Jahre kann gewesen sein, lie er sich gern in Gesprche mit mir ein, als er meine Passion fr Musik und Theater bemerkte. Unverdrossen berichtete er dem Knirps von seinen Triumphen, zumal dem in der Rolle des Amfortas; die erste Silbe sprach er eigentmlich gedehnt aus, er mu wohl ein Hollnder gewesen sein. Mit ein und demselben Schlag fhlte ich mich aufgenommen in die Welt der Erwachsenen und in die getrumte, noch nicht ahnend, wie unvershnlich beide sind. Auf jene Tage geht zurck, da ich die Meistersinger-Takte Dem Vogel, der da sang, dem war der Schnabel hold gewach-sen, Rossmanns Lieblingsstelle, als Amorbach empfinde. Das Stdtchen ist nur achtzig Kilometer von Frankfurt entfernt, aber in Franken. Ein Bild Rossmanns, die Konfurter Mhle, unvoll-endet und auf bedeutende Weise zerrttet, ri mich hin. Meine Mutter schenkte es mir, ehe ich Deutschland verlie. Es hat mich nach Amerika und zurck begleitet. Rossmanns Sohn habe ich in Amorbach wieder getroffen.

    Trieb ich halbwchsig allein durch das Stdtchen im tiefen Abend, so hrte ich auf dem Kopfsteinpflaster die eigenen

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    Schritte nachhallen. Das Gerusch erkannte ich erst wieder, als ich, 1949 aus der amerikanischen Emigration zurckgekehrt, um zwei Uhr durchs nchtliche Paris vom Quai Voltaire in mein Ho-tel ging. Der Unterschied zwischen Amorbach und Paris ist ge-ringer als der zwischen Paris und New York. Jene Amorbacher Dmmerung jedoch, da ich als kleines Kind von einer Bank auf der halben Hhe des Wolkmann zu sehen glaubte, wie gleich-zeitig in allen Husern das soeben eingefhrte elektrische Licht aufblitzte, nahm jeden Schock vorweg, der nachmals dem Ver-triebenen in Amerika widerfuhr. So gut hatte mein Stdtchen mich behtet, da es mich noch auf das ihm gnzlich Entgegen-gesetzte vorbereitete.

    Kommt man nach Amerika, so sehen alle Orte gleich aus. Die Standardisierung, Produkt von Technik und Monopol, bengs-tigt. Man meint, die qualitativen Differenzen wren derart real aus dem Leben verschwunden, wie sie fortschreitende Rationa-litt in der Methode ausmerzt. Ist man dann wieder in Europa, so hneln pltzlich auch hier die Ortschaften einander, deren jede in der Kindheit unvergleichlich schien; sei es durch den Kontrast zu Amerika, der alles andere unter sich plattwalzt, sei es auch, weil, was einmal Stil war, schon etwas von jenem nor-mierenden Zwang besa, den man arglos erst der Industrie, zu-mal der kulturellen, zuschreibt. Auch Amorbach, Miltenberg, Wertheim sind davon nicht ausgenommen, wre es auch nur durch den Grundton roten Sandsteins, der Formation der Ge-gend, die den Husern sich mitteilt. Dennoch lt einzig an ei-nem bestimmten Ort die Erfahrung des Glcks sich machen, die des Unaustauschbaren, selbst wenn nachtrglich sich erweist, da es nicht einzig war. Zu Unrecht und zu Recht ist mir Amor-bach das Urbild aller Stdtchen geblieben, die anderen nichts als seine Imitation.

    Zwischen Ottorfszell und Ernsttal verlief die bayerische und ba-dische Grenze. Sie war an der Landstrae durch Pfhle mar-kiert, die stattliche Wappen trugen und in den Landesfarben spi-ralig bemalt waren, wei-blau der eine, der andere, wenn mein Gedchtnis mich nicht trgt, rot-gelb. Reichlicher Zwischenraum zwischen beiden. Darin hielt ich mit Vorliebe mich auf, unter dem Vorwand, an den ich keineswegs glaubte, jener Raum gehre keinem der beiden Staaten, sei frei, und ich knne dort nach Belieben die eigene Herrschaft errichten. Mit der war es mir

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    nicht ernst, mein Vergngen darum aber nicht geringer. In Wahr-heit galt es wohl den bunten Landesfarben, deren Beschrnken-dem ich zugleich mich entronnen fhlte. hnlich empfand ich auf Ausstellungen wie der Ila im Anblick der zahllosen Wimpel, die da einverstanden nebeneinander flatterten. Das Gefhl der In-ternationale lag mir von Haus aus nahe, auch durch den Gste-kreis meiner Eltern, mit Namen wie Firino und Sidney Clifton Hall. Jene Internationale war kein Einheitsstaat. Ihr Friede ver-sprach sich durch das festliche Ensemble von Verschiedenem, farbig gleich den Flaggen und den unschuldigen Grenzpfhlen, die, wie ich staunend entdeckte, so gar keinen Wechsel der Landschaft bewirkten. Das Land aber, das sie umschlossen und das ich, spielend mit mir selbst, okkupierte, war ein Niemands-land. Spter, im Krieg, tauchte das Wort auf fr den verwsteten Raum vor den beiden Fronten. Es ist aber die getreue berset-zung des griechischen Aristophanischen , das ich damals desto besser verstand, je weniger ich es kannte, Utopie.

    Besser als mit der Kleinbahn nach Miltenberg zu fahren, die auch ihre Meriten hatte, war es, dorthin von Amorbach auf ei-nem weiten Hhenweg zu gehen. Er fhrt ber Reuenthal, ein sanftes Taldorf abseits vom Gotthard, angeblich die Heimat Neidhards, und ber das stets noch einsame Monbrunn, in ge-schwungenem Bogen durch den Wald, der sich zu verdichten scheint. In seiner Tiefe birgt sich allerhand Gemuer, schlielich ein Tor, das man der Klte der waldigen rtlichkeit wegen Schnatterloch nennt. Durchschreitet man es, so ist man pltz-lich, ruckhaft ohne bergang wie in Trumen, auf dem schns-ten mittelalterlichen Marktplatz.

    Im Frhjahr 1926 saen Hermann Grab und ich im Lwenstein-schen Park bei Klein-Heubach. Mein Freund stand damals unter dem Einflu Max Schelers und sprach enthusiastisch vom Feu-dalismus, der Schlo und Anlagen derart aufeinander abzustim-men vermochte. Im gleichen Augenblick erschien eine Auf-sichtsperson, die uns rauh verscheuchte: Die Bnke sind fr die frstlichen Herrschaften reserviert.

    Als Schuljunge stellte ich mir unter den Worten sittlich und keusch etwas besonders Unanstndiges vor, darum wohl, weil sie meist bei Anlssen wie Sittlichkeitsverbrechen gebraucht

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    wurden, weniger zum Lob, als wo einer dagegen frevelte. Je-denfalls hatten sie, obzwar als deren Gegenteil, etwas mit der verbotenen Sphre zu tun. Amorbach trug zu dem Miverstnd-nis eine krftige Assoziation bei. Der brtige und wrdevolle Oberhofgrtner hie Keusch. Er hatte eine Tochter, die mir ab-stoend hlich vorkam; es verbreitete sich aber, er htte sich an ihr vergangen. Wie in der Oper bedurfte es der Intervention des gtigen Frsten, um den Skandal niederzuschlagen. Ich war schon recht erwachsen, als ich die Wahrheit meines Irrtums ent-deckte, da keusch und sittlich unanstndige Begriffe sind.

    Neben dem Pianino mit dem Mozart-Medaillon hing im Gastzim-mer der Post eine Gitarre. Ihr fehlten ein oder zwei Saiten, die restlichen waren sehr verstimmt. Ich konnte nicht Gitarre spie-len, aber ri mit einem Griff alle Saiten zugleich an und lie sie vibrieren, berauscht von der dunklen Dissonanz, wohl der ersten so vieltnigen, an die ich geriet, Jahre ehe ich eine Note von Schnberg kannte. Ich fhlte den Wunsch: so mte man kom-ponieren, wie diese Gitarre klingt. Als ich spter den Vers von Trakl Traurige Gitarren rinnen las, hrte ich keine andere als die beschdigte von Amorbach.

    Nicht selten kam in die Post, vormittags um elf, ein Mann, halb Bauer, halb Hndler, aus Hambrunn, einem jener benachbarten Odenwalddrfer, die man oben auf den abgeflachten Hhen ge-baut hat. Herkert, wie er sein Schppchen trank, mit Brtchen und wilder Kleidung, schien mir versprengt aus dem Bauern-krieg, von dem ich aus der Lebensbeschreibung Gottfrieds von Berlichingen wute, die ich als Reclambndchen im Bcherau-tomaten des Miltenberger Bahnhofs gezogen hatte. Miltenberg brennt. Was alles in der Gegend, an Leuten und Dingen, aus dem sechzehnten Jahrhundert noch vorhanden war, lie mich gar nicht zum Gedanken kommen, wie lange es schon zurck-lag; rumliche Nhe wurde zur zeitlichen. In seinem Schulter-sack aber hatte Herkert frische Nsse in ihren grnen ueren Schalen. Die wurden gekauft und fr mich geschlt. Ihren Ge-schmack behielten sie das Leben hindurch, als htten die auf-stndischen Bauernfhrer von 1525 sie mir aus Sympathie zu-gedacht, oder um meine Angst vor den gefhrlichen Zeitluften zu beschwichtigen.

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    Auf der Rossmannschen Terrasse vernahm ich eines Nachmit-tags, vom Platz vor der Schlomhle her, wst grlenden Ge-sang. Ich erblickte drei, vier ganz junge Burschen, unziemlich verkleidet, es sollte malerisch sein. Mir wurde erklrt, das seien Wandervgel, ohne da ich mir darunter etwas Rechtes htte vorstellen knnen. Mehr noch als die greulichen, obendrein falsch auf Klampfen begleiteten Volkslieder erschreckte mich der Anblick. Keineswegs entging mir, da das nicht Arme waren wie die, welche in Frankfurt auf den Bnken der Mainanlagen zu nchtigen pflegten, sondern, nach kindlichem Sprachgebrauch, bessere Leute. Keine Not, vielmehr eine mir unverstndliche Ab-sicht veranlate ihren Aufzug. Er erfllte mich mit der Angst, es ebenso halten und eines Tages schutzlos lrmend durch die Wlder stampfen zu mssen: die Drohung des Deklassiertseins in der Jugendbewegung, lngst ehe in dieser die deklassierten Brger sich verbanden und auf groe Fahrt zogen.

    Lse man es in einem Roman, es wre unertrglich wie von Schriftstellern, die das Kauzige als unverwstlichen Humor auf-wrmen. Aber ich erfuhr es aus erster Hand; ein Stck der ana-chronistischen Mitgift, die ich von Amorbach empfing. Wenn der Rentamtmann zu seinem Stammtisch ging, pflegte ihn, sicher-lich gegen seinen Willen, seine Frau zu begleiten. Sooft er einen ber den Durst trank und fr ihren Geschmack allzu lebhaft schwadronierte, ermahnte sie ihn mit den Worten: Siebenlist, beherrsch dich! Nicht minder verbrgt, wenngleich mehr der Sphre von Witzblttern um 1910 zugehrig, ist ein Ereignis aus Ernsttal, dem Leiningenschen Besitz. Dort erschien eine Res-pektsperson, die Gattin des Eisenbahnprsidenten Stapf, in knallrotem Sommerkleid. Die gezhmte Wildsau von Ernsttal verga ihre Zahmheit, nahm die laut schreiende Dame auf den Rcken und raste davon. Htte ich ein Leitbild, so wre es jenes Tier.

    Wildschweinftterung bei Breitenbuch, ganz einsam im hchs-ten Odenwald, nicht weit vom Hainhaus mit den steinernen Sit-zen der Feme, von der ich nicht bezweifelte, es sei die gleiche, welche Adelheid von Weislingen verurteilte, eine meiner frhes-ten Geliebten aus Bchern. Ich meinte, noch vor wenigen Jah-ren, die Wildschweine, viele Hunderte, wrden um ihrer selbst willen gefttert. So hatte ich in der Kindheit unter den Anstn-

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    den, die man mir in den Amorbacher Wldern zeigte, eine Ein-richtung mir vorgestellt, die dem Wild zugute kommen sollte, das da, wenn es gar zu heftig gejagt wurde oder fror, ber die Leitern hinaufklettere, Schutz und Zuflucht finde. Das wre doch An-stand gewesen, der dem Wild gegenber. Wie ich lernen mute, da jene luftigen Baumhtten Jgern dienen, die auf dem An-stand lauern, um das Wild zu schieen, erklrte mir ein Kundi-ger, die Ftterung in Breitenbuch fnde nicht den friedlichen Sauen zuliebe statt, nicht einmal blo, um die cker vor angeb-lichen Verwstungen zu behten, sondern vorweg, um den J-gern ihre Beute am Leben zu erhalten, bis sie ihnen vor die Bchse liefe. Solche bedrohliche Vernunft indessen konnte kei-neswegs den mchtigen Keiler beirren, der aus dem Farnkraut sich erhob und auf uns zukam, ungemtlich wie einst der Wild-schweinduft im Forst von Preunschen und Mrschenhardt, bis wir bemerkten, da er, offenbar aus der weiteren Umgegend erst nach der allgemeinen Ftterung eingetroffen, von uns eine individuelle erwartete. Vorweg gab er Zeichen des Dankes von sich und trottete enttuscht davon, als wir nichts fr ihn hatten. Inschrift am Gehege: Wir bitten um Sauberkeit und Ord-nung. Wer wen?