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I 1 ‚Ein weites Feld: Die Transformation der Landwirtschaft in der Ukraine‘

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‚Ein weites Feld: Die Transformation der Landwirtschaft in der Ukraine‘

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II

Vorwort des Ministers für den Agro-Industriellen Komplex der Ukraine,

Boris Supichanov

Der Agro-Industrielle Komplex gehört zu den führenden Sektoren der Volkswirtschaft der Ukraine.

1990 wurde die Arbeit mit dem Ziel begonnen, die agro-industrielle Produktion zu reformieren. Dank dieser Arbeit konnte die Erstellung von entsprechenden gesetzgeberischen und methodischen Grundlagen und Richtlinien praktisch vollendet werden.

Es wurden bestimmte Schritte bei der Änderung von Eigentumsverhältnissen in verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Tätigkeit unternommen. Das Privateigentum von Grund und Boden wurde gesetzlich anerkannt; neue Formen in der Organisationsstruktur der Agrarproduktion, wie Bauernwirtschaften und landwirtschaftliche Genossenschaften können sich entwickeln, und die Flächen, auf denen die privaten Haushalte wirtschaften, werden größer. Die Eigentümer von Bodenanteilen erhielten das Recht, über ihre Grundstücke selbständig zu verfügen. Bestehende landwirtschaftliche Betriebe wandeln sich zu neuen, marktorientierten wirtschaftlichen Strukturen. Die organisatorische Arbeit, die geleistet wurde, konnte die zu erwartenden positiven Wandlungen dennoch nicht bewirken, weil sie getrennt von der Schaffung eines effizienten wirtschaftlichen Mechanismus erfüllt wurde.

Zur Zeit wird damit begonnen, wirtschaftliche Methoden bei der Regelung von Grund- und Bodenverhältnissen einzuführen. Und so wurden

• Gebühren für die Nutzung von Landflächen eingeführt;

• die Rechts- und Ordnungsvorschriften erarbeitet, die die Organisation und die Durchführung von Grundstücksversteigerungen in den Ortschaften regeln,

• Bewertungen von Flächen landwirtschaftlicher Bestimmung vorgenommen und die Arbeiten zur Bewertung von Flächen nichtlandwirtschaftlicher Bestimmung durchgeführt.

Es ist vorgesehen, eine Bank für Grund und Boden (eine Hypothekenbank) mit einem entsprechenden Zweigstellennetz zu gründen und ein System zum Schutz von Investitionen, zur Absicherung der Tätigkeit von Kredit- und Finanzstrukturen einzuführen, die den Agrarsektor bedienen werden.

Außerdem ist vorgesehen, einen wirtschaftlichen Funktionsmechanismus im Agrarbereich zu implementieren, der die staatlichen und marktwirtschaftlichen Regelungen miteinander verknüpft, die Konjunktur der Binnen- und Auslandsmärkte berücksichtigt und die Erfahrungen der hochentwickelten Länder umsetzt.

Unter diesen Bedingungen ist die intellektuelle Hilfe wichtig und zeitgemäß, die für die Ukraine durch die Bundesregierung Deutschlands im Rahmen des TRANSFORM-Programms geleistet wird.

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Im vorliegenden Buch wurden folgende Probleme einer tiefgreifenden Analyse unterzogen: die Reformierung der Landwirtschaft in der Ukraine und die Reformierung von Agrarmärkten für Getreide, Zucker, Ölkulturen und Milchprodukte. Analysiert wurden auch Aspekte der Reformierung der Landwirtschaft auf der Ebene der Betriebe, der Entwicklung der landwirtschaftlichen Kooperation und der agro-industriellen Integration sowie der Schaffung von prinzipiell neuen wirtschaftlichen Strukturen auf der Grundlage des Privateigentums, die den Marktbedingungen angepaßt sind.

Dieses Buch stellt auch die positiven Erfahrungen der Restrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern Deutschlands vor, die meiner Meinung nach auch für die Ukraine nützlich sein können. Im vorliegenden Buch wird die Agrarpolitik in der Ukraine kritisch betrachtet, es werden pragmatische Empfehlungen und Wege für mögliche Lösungen von bestehenden Problemen angeführt, die zur erfolgreichen Integration der Ukraine in die europäische und Weltwirtschaft führen können. Ich bin sicher, daß diese Publikation eine wichtige Hilfe sein wird, sie wird neue Impulse für den Prozeß der Reformierung des Agro-Industriellen Komplexes der Ukraine geben.

Ich bin überzeugt, daß die Lösung von Fragen, die durch die Autoren dieses Buches angeschnitten werden, es ermöglichen kann, den Verlauf der Reformen in den Branchen des Agro-Industriellen Komplexes zu beschleunigen. Aus diesem Grunde kann ich das Buch einem breiten Kreis von Fachleuten empfehlen, die sich die aufgeworfenen Probleme und das Schicksal der Ukraine nicht gleichgültig ansehen. Die im Rahmen des TRANSFORM-Programms geleistete Arbeit wird zur Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine beitragen.

Boris Supichanov

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IV

Vorwort des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland,

Karl-Heinz Funke

Die Ukraine ist seit 1991 ein eigenständiger und unabhängiger Staat. Mit ihrer Verfassung und der Währungsreform von 1996 hat sich die Ukraine für einen demokratischen Rechtsstaat und eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung entschieden.

Es ist daher ein besonderes Anliegen der Bundesregierung, dem Wunsch der ukrainischen Regierung nach Unterstützung dieses Transformationsprozesses zu entsprechen.

Die Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft in der Ukraine mit ihrem großen agrarischen Potential ist eines der Schwerpunktgebiete des TRANSFORM-Programms der Bundesregierung. Von 1992 bis 1998 wurden für die Förderung von Projekten in der Agrarwirtschaft der Ukraine rund 16 Mio. DM zur Verfügung gestellt. Der Aufbau genossenschaftlicher Strukturen und die Förderung der Tierzucht standen dabei ebenso im Mittelpunkt wie Beiträge zu einer Reform der landwirtschaftlichen Ausbildung.

Die Nachhaltigkeit solcher Beratungs- und Ausbildungsprojekte ist vor allem dann gewährleistet, wenn damit gleichzeitig wirtschaftliches Engagement verbunden ist. Insofern begrüße ich die vielfältigen und auf Kontinuität ausgerichteten Aktivitäten der deutschen Agrarwirtschaft in der Ukraine. Ein höheres Maß an Rechtssicherheit würde wesentlich dazu beitragen, mehr ausländische Investitionen ins Land zu holen und vorhandene Investoren zum Bleiben zu bewegen. Verläßliche Rahmenbedingungen für in- und ausländische Investoren zu schaffen, ist auch eine Aufgabe, die die Deutsche Beratergruppe Wirtschaft gemeinsam mit der ukrainischen Regierung umsetzen möchte.

Dieses Buch, das nunmehr dritte der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, befaßt sich ausschließlich mit dem Thema des landwirtschaftlichen Transformationsprozesses in der Ukraine. Neben einer Analyse der landwirtschaftlichen Produktion enthält es vor allem Hinweise und Empfehlungen für agrarpolitische Weichenstellungen, die sowohl ukrainische Gegebenheiten als auch Erfahrungen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union und der Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern berücksichtigen.

Ich bin überzeugt, daß die vielfältigen deutsch-ukrainischen Kontakte auf der Ebene der Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur dazu beitragen werden, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zu fördern und so auch die Beziehungen im beiderseitigen Interesse weiterzuentwickeln. Die Beratergruppe Wirtschaft als ein Bindeglied zwischen den Regierungen und Unternehmen beider Länder wird in diesem Prozeß auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen.

Karl-Heinz Funke

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Ohne Punkte das Verzeichnis 1 usw.

Vorwort des Ministers für den Agro-Industriellen Komplex der Ukraine, Boris Supichanov II

Vorwort des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz Funke........................................................................IV

Einleitung ............................................................................................................. 1 1 Die Transformation der Landwirtschaft in der Ukraine......................................... 1 2 Zur Struktur des Buches...................................................................................... 3 3 Danksagung ........................................................................................................ 5

Teil I: Herausforderung an die Agrarpolitik - Weichenstellung für das Wachstum der Landwirtschaft ................................................................... 8

1 Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun? 9

1 Einleitung............................................................................................................. 9 2 Einige wirtschaftspolitische Leitlinien................................................................. 10 3 Eine Agrarpolitik für die Ukraine ........................................................................ 22 4 Literatur ............................................................................................................. 26

2 Protektion der ukrainischen Agrarwirtschaft - ein Rezept zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit? ........................ 28

1 Einleitung: Der Ruf nach Protektion................................................................... 28 2 Sind Protektion und Subvention zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit

geeignet?........................................................................................................... 29 3 Das Mehrwertsteuermoratorium der Ukraine - ein Beispiel für eine

erfolgreiche Infant Industry Politik?.................................................................... 35 4 Der fehlende Zusammenhang zwischen Protektion, Investitionen,

Arbeitsplätzen und Wachstum........................................................................... 41 5 Ist der Staat zum Nichtstun verurteilt?............................................................... 47 6 Literatur ............................................................................................................. 47

3 Wollen sie nicht, oder können sie nicht? Investoren und die Landwirtschaft der Ukraine...................................................................... 49

1 Einleitung........................................................................................................... 49 2 Was bietet die ukrainische Landwirtschaft dem potentiellen Investor?.............. 49 3 Was bietet die ukrainischen Regierung dem potentiellen Investor? .................. 50 4 Was wollen ausländische Investoren wirklich?.................................................. 52

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5 Was kann die Ukraine tun? ............................................................................... 53 6 Literatur ............................................................................................................. 55

4 Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU: Eine Option für die Ukraine? 56 1 Einleitung........................................................................................................... 56 2 Eine Kurzbeschreibung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik ............. 56 3 Historische Entwicklung..................................................................................... 58 4 Weitere Entwicklungen ...................................................................................... 59 5 Übertragbarkeit auf die Ukraine......................................................................... 60 6 Schlußfolgerungen ............................................................................................ 61 7 Literatur ............................................................................................................. 62

5 Erfahrungen der Transformation des Agrar- und Verarbeitungs- sektors der ehemaligen DDR: Lehren für die Ukraine .......................... 63

1 Einleitung........................................................................................................... 63 2 Warum die Ukraine aus der DDR-Transformation lernen kann? ....................... 63 3 Erfahrungen aus den Rahmenbedingungen für den Agrarsektor ...................... 64 4 Erfahrungen aus den Politikmaßnahmen für den Agrarsektor........................... 65 5 Erfahrungen aus der Förderpolitik für den Schlacht- und Molkereisektor .......... 71 6 Zusammenfassung............................................................................................ 74 7 Literatur ............................................................................................................. 75

Teil II: Die Agrarmärkte der Ukraine ............................................................ 76

6 Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender Handlungsbedarf.................................................................... 77

1 Einleitung: Bedeutung und Rückgang der ukrainischen Getreideproduktion..... 77 2 Ursachen der Produktionsausfälle..................................................................... 79 3 Die Vermarktung der ukrainischen Getreideproduktion ..................................... 82 4 Schlußfolgerungen ............................................................................................ 89 5 Literatur ............................................................................................................. 91

7 Der Markt für Zucker in der Ukraine: Gestern, Heute und Morgen... 92 1 Einleitung........................................................................................................... 92 2 Die Zuckerproduktion in der Ukraine: Eine Bestandsaufnahme ........................ 92 3 Die Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Zuckerproduktion .......................... 95 4 Die Zuckerquote: Eine Option für die ukrainische Zuckerpolitik? .....................104 5 Zusammenfassung und Empfehlungen ............................................................107 6 Literatur ............................................................................................................108

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8 Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten werden? ..................................................................................................... 110

1 Einleitung..........................................................................................................110 2 Beschreibung des ukrainischen Milchsektors...................................................111 3 Intervention der Politik im Molkereisektor .........................................................120 4 Betriebswirtschaftliche Aspekte der Milchproduktion und -verarbeitung:

Einnahmen, Kosten und Gewinnaussichten .....................................................124 5 Die Zukunft des ukrainischen Milchsektors: Eine Herausforderung für die

Agrarpolitik .......................................................................................................130 6 Handlungsalternativen für politische Entscheidungsträger in der Ukraine........134 7 Schlußfolgerungen ...........................................................................................137 8 Literatur ............................................................................................................138

9 Der Markt für Ölsaaten in der Ukraine: Erfolgsgeschichte oder Geschichte? ............................................................................................... 139

1 Einleitung..........................................................................................................139 2 Die Produktion und Verarbeitung von Ölsaaten in der Ukraine ........................140 3 Die Weltmärkte für Ölsaaten, pflanzliche Öle und Ölkuchen ............................148 4 Eine kritische Analyse der geplanten Exportsteuer für Ölsaaten......................157 5 Zukunftsperspektiven und Schlußfolgerungen .................................................163 6 Literatur ............................................................................................................164

Teil III: Betriebswirtschaftliche Aspekte der Transformation der ukrainischen Landwirtschaft .................................................................. 165

10 Die Wirtschaftliche Lage landwirtschaftlicher Unternehmen in der Ukraine, dargestellt am Beispiel des Oblasts Shytomyr....................... 166

1 Einleitung..........................................................................................................166 2 Ziele, Material und Methode .............................................................................166 3 Informationen zum Oblast Shytomyr ................................................................167 4 Wirtschaftliche Lage landwirtschaftlicher Unternehmen - Befragungsergebnisse

170 5 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen .....................................................193 6 Literatur ............................................................................................................195

11 Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors ... 198

1 Einleitung..........................................................................................................198 2 Die Struktur der ukrainischen Landwirtschaft ...................................................199 3 Gründe für den Rückgang der Produktion in der ukrainischen Landwirtschaft .201

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4 Empfehlungen ..................................................................................................215 5 Literatur ............................................................................................................222

12 Erfahrungen aus dem Engagement deutscher Agrarunternehmer in der Ukraine ........................................................................................... 223

1 Einleitung..........................................................................................................223 2 Die Entstehung der Joint Ventures...................................................................224 3 Erfahrungen......................................................................................................225 4 Zukunftsperspektiven .......................................................................................227

13 Förderung der Kooperation zwischen der ukrainischen und deut- schen Agrarwirtschaft im Rahmen des TRANSFORM-Programms . 228

1 Einleitung..........................................................................................................228 2 Ein neuer Ansatz ..............................................................................................230

Kartenanhang .................................................................................................. 240

Autorenverzeichnis.......................................................................................... 242

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Einleitung Stephan von Cramon-Taubadel und Ludwig Striewe, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Die Transformation der Landwirtschaft in der Ukraine Für die Menschen der Ukraine, deren Stolz die Landwirtschaft ist und die mit ihrer

Flagge - den gelben Getreidefeldern unter blauem Himmel - der Welt zeigen, welch reiche Ernte auf ihren weiten Feldern heranwachsen kann, ist es sehr schmerzlich, den Niedergang dieses so wichtigen Sektors mit ansehen zu müssen. Während die Ukrainer und speziell die ländliche Bevölkerung große Hoffnungen in den Wandel hegten und erwarteten, daß der Transformationsprozeß den Agrarsektor schnell in die Riege der international wichtigsten Exportländer für Agrarprodukte aufsteigen lassen würde, war in den USA, Kanada, der EU und anderen klassischen Exportländern die Furcht vor der Agrarmacht Ukraine groß. Aber wohl kein anderer Bereich der ukrainischen Wirtschaft hat die Erwartungen, die in ihn nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes gesetzt wurden, so wenig erfüllt wie die Agrarwirtschaft.

Auch wenn absehbar war, daß die Transformation der starren planwirtschaftlichen Strukturen des Agrarsektors hin zur Marktwirtschaft Zeit brauchen und schmerzhaft sein würde, ein solch dramatischer Einbruch der Produktion, der Wertschöpfung und der sozialen Lage der Bevölkerung auf dem Lande wurde kaum erwartet. Die Bruttoagrarproduktion ist in der Ukraine seit 1990 auf weniger als die Hälfte geschrumpft. Dabei haben die privaten landwirtschaftlichen Betriebe, vor allem aber die mehr als 10 Mio. Hauswirtschaften mittlerweile einen Anteil von fast 60% an der verbleibenden Produktion. Besorgniserregend ist aber vor allem die geringe Wertschöpfung des Agrarsektors. Fast 90% der Betriebe des öffentlichen Sektors wirtschafteten 1998 mit Verlusten. Hierunter befindet sich viele Betrieben, die mit den erzielten Erlösen nicht einmal den Wert der Vorleistungen erwirtschaften. Wo die landwirtschaftlichen Betriebe mit Verlusten wirtschaften, müssen die Vorleistungsanbieter auf ihre Forderungen verzichten, der Staat auf seine Steuereinnahmen und die Mitarbeiter auf ihre Löhne. Die soziale Sphäre vieler landwirtschaftlicher Betriebe bricht zusammen, und eine kommunale Struktur, die diese Aufgaben übernehmen könnte, ist in den seltensten Fällen vorhanden. So schließen Kindergärten, Schulen werden seit Jahren nicht mit neuem Material ausgestattet, und die ärztlich Versorgung bricht zusammen.

Doch welche Gründe haben zum Niedergang des Sektors geführt? Ist der bisher eingeschlagene politische Weg geeignet, die Landwirtschaft international wettbewerbsfähig und damit zum Motor der Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft zu machen?

Eine Analyse der Gründe für die desolate Lage muß viele Bereiche umfassen. So ist es sicherlich richtig, daß die ukrainische Landwirtschaft sehr unter der allgemeinen Depression der ukrainischen Wirtschaft gelitten hat. Richtig ist auch, daß die Subventionierung der Landwirtschaft vor allem in den USA und Europa einen nachhaltig negativen Einfluß auf die Entwicklung des Agrarsektors der Ukraine hat, weil Weltmarktpreise für Agrarprodukte durch subventionierte Exporte zum Nachteil der ukrainischen Produzenten gedrückt werden und ukrainische Exporte auf den geschützten Märkten Amerikas und vor allem der EU nicht abgesetzt werden können. Aus Sicht der politisch Verantwortlichen wäre es aber völlig falsch,

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resigniert die Hände in den Schoß zu legen, anstatt sie zu nutzen um all das, was aus eigener Kraft in Angriff genommen werden kann, zu tun. Wir sind überzeugt davon, daß in den vergangenen Jahren in der Ukraine selbst vieles versäumt wurde, was den Agrarsektor und den ländlichen Raum vor dieser tiefen Depression hätte bewahren können.

Zuallererst fehlt es an einer klaren Konzeption für eine Reform des Agrarsektors, die die Basis jedweder agrarpolitischer Entscheidung sein sollte. Bis heute gibt es keine klare Definition der Rolle des Staates in der Landwirtschaft. Die Ukraine hat sich zwar zu einer Marktwirtschaft bekannt, aber dennoch ist die Auffassung weit verbreitet, der Staat müsse sich an fast allen Produktions- und Konsumentscheidungen beteiligen. So ist es kaum einem anderen Land der Welt vorstellbar, daß der Landwirtschaftsminister entlassen wird, weil die Betriebe nicht mit den nötigen Mengen an Diesel für die Ernte ausgestattet werden. In einer Marktwirtschaft ist der Landwirtschaftsminister hierfür schlichtweg nicht zuständig. Zum zweiten mangelt es daran, daß die Eigentümer der landwirtschaftlichen Betriebe, z.B. die Mitglieder der Betriebe des öffentlichen Sektors, bisher nicht ausreichend darüber informiert sind, wie die Marktwirtschaft funktioniert und mit welchen Rechten und Pflichten sie ausgestattet sind.

Als besonders problematisch aber haben sich großen Reformwiderstände herausgestellt. So gibt es viele, die die notwendigen Umwälzungen einer Reform befürchten müssen. Bereits auf einem sehr geringen Lebensstandard gesunken befürchtet die ländliche Bevölkerung, daß sie zunächst verzichten und gewohnte Strukturen aufgeben müßten, um den Reformen zum Erfolg zu verhelfen. Diese Befürchtungen sind zum Teil berechtigt. Zu lange hat man notwendige Schritte vertagt. Nun werden die durch die unumgänglichen Reformen ausgelösten Umwälzungen sehr viel ausgeprägter sein als notwendig gewesen wäre, wäre man Reformschritte frühzeitig angegangen.

Zum anderen hat sich aber auch eine Gruppe von Nutznießern des Reformstaus herausgebildet. Diese Individuen nutzen die vielen Gelegenheiten, die sich daraus ergeben, daß sich zwar einige Bestandteile einer Marktwirtschaft in der Ukraine gebildet haben, aber viele Kontroll- und Regelmechanismen, wie eine funktionierende Justiz oder ein Konkursrecht verbunden mit persönlicher Haftung – nur schwach entwickelt sind. Die Gruppe der Profiteure der heutigen Verhältnisse ist in einer Allianz und bisweilen sogar Personalunion mit verschiedenen Regierungs- und Staatsorganen zu einem der großen Gegner von Reformen geworden.

Bei all diesen Überlegungen muß beachtet werden, daß die Ukraine ein demokratisches Land ist. Das heißt auch, daß diesen Mißständen mit demokratischen Mitteln beigekommen werden muß, und nicht diktatorisch von oben verordnet werden kann, weder von inländischen noch ausländischen Kräften. Der Transformationsprozeß der Landwirtschaft wird also länger dauern als zunächst gedacht. Viele Ukrainer befürchten Reformen, weil sie der Meinung sind, daß sich ihre Lage verschlechtern würde. Die Botschaft aber, daß es der Mehrheit der Ukrainer heute schlechter geht als vor 8 Jahren gerade weil landwirtschaftliche Reformen ausgeblieben sind, und daß es ohne Reformen in der Zukunft mit Sicherheit noch schlechter gehen wird, muß einer breiteren Öffentlichkeit verständlich gemacht werden.

Wir hoffen mit dem vorliegenden Buch hierzu einen Beitrag leisten zu können. Das Buch soll zwei Ziele erfüllen. Zunächst gilt es, wesentliche Teile der bisherigen Arbeit der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung zum Thema

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Landwirtschaft zusammenzustellen und in gebündelter Form einem breiteren Publikum in der Ukraine zugänglich zu machen. Gleichzeitig soll für Außenstehende und Interessierte ein Einblick in die Landwirtschaft der Ukraine nach 8 Jahren der Transformation gewährt werden.

Diese beiden Ziele können gleichzeitig nicht immer in ausreichender Harmonie erreicht werden. Die Papiere der Deutschen Beratergruppe sind in erster Linie als Beratungspapiere für Mitglieder der ukrainischen Regierung, des Präsidialamtes und des Parlaments angelegt und geschrieben. In diesen Beratungspapieren soll nicht nur beobachtet und analysiert, sondern auch Überzeugungsarbeit geleistet werden. So wurde auf zu komplizierte wissenschaftlichte Konzepte und Sprache verzichtet, was den eher wissenschaftlich orientierten Leser, der sich komplexe modelltheoretische Analysen erwartet, bisweilen vielleicht enttäuschen wird.

Wir sind uns gleichzeitig bewußt, daß hier viele Thesen vertreten werden, zu denen es in der ukrainischen Öffentlichkeit andere und teilweise diametral verschiedene Auffassungen gibt. Wir möchten uns deshalb dieser Diskussion stellen und würden uns über Reaktionen und Diskussionen von und mit politisch Verantwortlichen, Verbänden, Unternehmen, Studenten Wissenschaftlern und allen Interessierten sehr freuen.

2 Zur Struktur des Buches Die Landwirtschaft der Ukraine ist in der Tat ein weites Feld. Im Einklang mit den

Zielen und Aufgaben der Deutschen Beratergruppe haben wir uns im Laufe der letzten vier Jahre in erster Linie auf gesamtwirtschaftliche Aspekte der Agrarpolitik konzentriert, so z.B. auf die allgemeine Ausrichtung der Agrarpolitik und auf die Märkte für Produkte wie Getreide, Zucker und Ölsaaten, von denen erwartet wird, daß sie einen wichtigen Beitrag zum exportorientierten Wachstum in der Ukraine leisten könnten. Die dadurch entstandenen Papiere, zum Teil schon 1996 geschrieben, wurden für das vorliegende Buch um neuere Entwicklungen und Daten soweit wie möglich aktualisiert. Dadurch aber, daß auch Autoren von anderen Institutionen bereit waren mit ihrer Expertise zum Buch beizutragen, ist der Fokus dieses Bandes weiter gefaßt, und umfaßt neben einer Fülle von zusätzlichen wissenschaftlichen Erfahrungen auch die Beiträge von Autoren die in der Wirtschaft oder der technischen Zusammenarbeit tätig sind.

Die 13 Beiträge des Buches gliedern sich in insgesamt vier Teile. Im ersten Teil des Buches ‚Herausforderung an die Agrarpolitik - Weichenstellung für das Wachstum der Landwirtschaft‘ wird im ersten Kapitel ein agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine entworfen und die Rolle des Staates anhand bestimmter und in Marktwirtschaften allgemein akzeptierten Kriterien definiert. Mit diesem Beitrag wird der oben geäußerten Kritik Rechnung getragen, nach der der Ukraine ein solches Leitbild fehlt. Hieran inhaltlich eng anschließend wird im zweiten Kapitel der Frage nachgegangen, inwieweit der Staat in der Lage ist, lenkend in die Wirtschaft einzugreifen. Aufgrund international vielfältiger negativer Erfahrungen wird der Staat davor gewarnt, sich ein Wissen über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Branchen anzumaßen, daß er nicht haben kann. Im dritten Kapitel wird gezeigt, daß in der Ukraine zwar versucht wurde, einzelne Branchen oder gar Investoren speziell zu behandeln und für ein Engagement in der Ukraine zu gewinnen, das es aber von den politisch Verantwortlichen versäumt wurde, Spielregeln zu setzen, die für ein günstiges

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Investitionsklima notwendig wären. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der in der Ukraine oft gestellten Frage, ob die Agrarpolitik der EU auch auf die Ukraine anwendbar ist. Die Antwort fällt negativ aus, und es wird dringend davor gewarnt, eine Politik mit so hohen volkswirtschaftlichen Kosten und bedenklichen Verteilungswirkungen zu kopieren.

Der erste Teil des vorliegenden Bandes schließt mit einem Kapitel zu den Erfahrungen die in Deutschland mit der Transformation des Agrarsektors der ehemaligen DDR gemacht wurden. Auch wenn es unbestreitbare große Unterschiede zwischen den Ländern gibt, wird sowohl auf positive und damit nachahmenswerte Schritte verwiesen, als auch vor Fehlern gewarnt, die in den neuen Bundesländern gemacht wurden und zu großen, bis heute nicht behobenen Problemen geführt haben. (Was haltet Ihr hiervon. Ich bin noch nicht so glücklich. Frau Körber empfahl mir den Teil noch umzuarbeiten und eine Anschluß von EU- Agrarpolitik und Ossiland herzustellen)

Der Teil II des Buches nimmt die ‚Agrarmärkte der Ukraine‘ in Augenschein und beleuchtet spezielle Probleme in einzelnen Sektoren. Im Kapitel 6 werden dem für die Ukraine so immens wichtigen Getreidesektor große strukturelle Schwächen konstatiert. Verdeutlicht wird, daß der Landwirtschaft jährlich immense Einnahmen verlorengehen, weil eine mangelhafte Privatisierung und staatliche Eingriffe die Entwicklung bisher blockiert haben. In den Ausführungen zum Zuckermarkt der Ukraine in Kapitel 7 wird argumentiert, daß die Hoffnungen in der Ukraine, diesen zu Sowjetzeiten wichtigen Sektor wieder international wettbewerbsfähig machen zu können, unbegründet sind. Die hohen Produktionskosten in der Ukraine lassen es unwahrscheinlich erscheinen, daß die Ukraine ohne eine gesamtwirtschaftlich teure Subventionierung auf den Weltzuckermärkten eine bedeutende Rolle spielen könnte. Im 8. Kapitel zum Milchsektor in der Ukraine wird ein düsteres Bild gemalt. Es deutet einiges darauf hin, daß die Milchproduktion der Betriebe des öffentlichen Sektors schon in wenigen Jahren völlig zusammenbrechen könnte und damit auch der Verarbeitungssektor vor noch größere Probleme gestellt würde, da die privaten landwirtschaftlichen Betriebe und die privaten Hauswirtschaften kaum in der Lage sind, die Molkereien zu beliefern. In dem den zweiten Teil abschließenden Kapitel 9, wird gezeigt daß die Ölsaatenproduktion eine Art Erfolgsgeschichte der ukrainischen Landwirtschaft seit Beginn des Transformationsprozesses darstellt, weil die staatlichen Eingriffe im Vergleich zu anderen Sektoren relativ gering waren. Gerade deshalb wird dringend davor gewarnt, dem letzten profitablen Bereich der ukrainischen Landwirtschaft durch eine äußerst kurzsichtige Politik in Form von Exportsteuern für Ölsaaten die Grundlage zu nehmen.

Im dritten Teil des Buches werden daraufhin ‚Betriebswirtschaftliche Aspekte der Transformation der ukrainischen Landwirtschaft‘ beleuchtet. Im Kapitel 10 werden die Ergebnisse einer Befragung von Betrieben präsentiert. Hier erhalten die allgemeine Ergebnisse des wirtschaftlichen Niedergangs der ukrainischen Landwirtschaft ein mikroökonomisches Fundament, wobei deutlich wird, wie groß die Bandbreite der Ergebnisse trotz gleicher allgemeiner wirtschaftlicher Situation ist. Im Kapitel 11 wird daraufhin die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors analysiert. Bisher wurde die Umstrukturierung der Betriebe des öffentlichen Sektors allenfalls halbherzig verfolgt. Es ist zu bezweifeln, daß die Betriebe effizient werden können, solange der wirtschaftliche Erfolg des Managers nicht auch eng mit dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens verbunden ist. Vor allem aber wird die Schaffung von marktkonformen Beziehungen zwischen den Hauswirtschaften und den

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Großbetrieben angemahnt, die eine Quersubventionierung der Hauswirtschaften verhindern würde. Im Kapitel 12 wird die Frage aufgegriffen, warum nicht schon viel mehr deutsche Unternehmer in der Ukraine tätig sind, obwohl die Ukraine mit ihren guten natürlichen Voraussetzungen lockt. Das Ergebnis ist, daß es die vielen Schwierigkeiten bezüglich der Rechtssicherheit und Verläßlichkeit sind, die deutsche Unternehmer abschrecken, in der Ukraine tätig zu werden. Vor dem Hintergrund, daß ausländische Direktinvestitionen eine so wichtige Rolle für die Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft übernehmen könnten, ein düsteres Bild.

Im abschließenden letzten Kapitel, das das bisherige Engagement der deutschen Bundesregierung in der ukrainischen Landwirtschaft analysiert, und zukünftige Perspektiven aufzeigt, wird deutlich, daß die deutschen Regierungsorganisationen in der Ukraine mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie private Investoren. Auch im Rahmen des bilateralen TRANSFORM-Programms oder der multilateralen Hilfe ist bei einem Engagement in der Ukraine ein Erfolg noch lange nicht sichergestellt, wenn eine ähnliche Konzeption in den schnellen Transformationsländern erfolgreich war.

3 Danksagung Der Dank, den wir hier aussprechen möchten, gilt zuallererst der Regierung der

Ukraine, und hier im besonderen dem Ministerium für den Agro-Industriellen Komplex, dem Präsidialamt und dem Parlament. Die Arbeit der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung wäre ohne die vielen Kontakte zu engagierten Mitarbeitern dieser Institutionen, ohne die vielen, oft lang und kontrovers aber stets offenen Gespräche unmöglich und letztlich zwecklos gewesen. Beratungsarbeit in der Ukraine erfordert, daß Menschen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Interessen und Perspektiven aufeinander zugehen. Wir sind sehr dankbar dafür, daß wir immer wieder an Partner geraten sind, die hierzu bereit waren.

Unser Dank gilt besonders auch den Autoren Ph.D. D. BAKER, O. PROTCHENKO, PROF. DR. P. TILLACK, DR. O. DOLUD, J. TUMAT, J. ELSÄSSER UND S. ZORYA, die mit ihrer Bereitschaft ihre Beiträge zu diesem Band beizusteuern die Bandbreite der Themen geweitet und maßgeblich dazu beigetragen haben, daß in diesem Band die Erfahrung und das Wissen einer Vielzahl von Experten und Institutionen vereint ist. Bedanken möchten wir uns vor allem auch für die Beiträge und die Zusammenarbeit mit den Autoren Prof. Dr. U. KOESTER und Dr. H. THIELE, die im Auftrag der Beratergruppe Studien zu ihren Themen verfaßt haben. (Hier fehlt mir noch ein etwas wärmerer Satz in Richtung Koe und Holgi. Frau Körber fand das auch noch zu schwach, sie sagt, daß die ursprüngliche Version klingt wie hat sich stets bemüht)

Unser Dank gilt auch der Deutschen Beratergruppe in Kiew. Sowohl die Leiter der Gruppe Prof. Lutz HOFFMANN und Dr. Axel SIEDENBERG, von deren Erfahrung, fachlicher Kompetenz und Ausgeglichenheit wir noch unendlich viel lernen könnten, als auch die Kollegen in der Gruppe, die es uns immer wieder ermöglicht haben, über den Feldrand hinaus in den großen ‚Rest‘ der Wirtschaft zu schauen, haben unsere Arbeit tatkräftig, kritisch und sehr kooperativ unterstützt. (auch hier habe ich noch länger gebrütet, wobei ich dringend aufbrechen muß, wie man dieses stets koopeativ noch netter gestalten kann)Was besonders hoch angerechnet werden muß: alle haben immer wieder viel Geduld aufgebracht, wenn es

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um die Erläuterung so bodenständiger aber kniffliger Begriffe ‚hides and skins‘, oder ‚Ölkuchen‘ ging.

Dieses Buch und die Arbeit der Deutschen Beratergruppe insgesamt wäre ohne die Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die das TRANSFORM-Programm im Auftrag der Bundesregierung koordiniert, unmöglich gewesen. Unser besonderer Dank gilt Dr. K. BRÜMMER von der KfW-Koordinierungsstelle in Kiew sowie T. PITSCH von der KfW in Frankfurt, die die Idee für dieses Buch hatten und unsere Arbeit tatkräftig und mit viel?? Verständnis unterstützt haben.

Schließlich möchten wir unseren Dank und unsere Bewunderung für die Geduld aussprechen, die Prof. G. Skripka, der Übersetzer der ukrainischen Version, C. Körber, J. Meyer, M. Morgun, D. Nasarenko, S. Schtschokin, A. Sementschenko, S. Zorya und nicht zuletzt V. von Cramon-Taubadel mit uns hatten, die all die vielen Aufgaben übernommen haben, die mit der Herausgabe dieses Bandes verbunden sind. (Frau Körber meint, das sei zu dick aufgetragen)

Stephan von Cramon-Taubadel und Ludwig Striewe

Kiew und Göttingen, Juli 1999

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Teil I: Herausforderung an die Agrarpolitik - Weichenstellung für das Wachstum der

Landwirtschaft

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1 Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun?

Stephan von Cramon-Taubadel, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung Der Agrarsektor der Ukraine präsentiert sich nach acht Jahren Unabhängigkeit in

einem zutiefst enttäuschenden Zustand. Je größer der kontinuierliche Rückgang der Agrarproduktion Jahr für Jahr ausfällt, um so eher klingen Reminiszenzen an die Vorstellung, die Ukraine sei der Brotkorb Europas, wie reines Wunschdenken. Fest aber steht, daß die Wirtschaft von diesen Wünschen nicht prosperieren kann und die ländliche Bevölkerung der Ukraine hierdurch allein nicht satt werden kann.

Was ist also falsch gelaufen? Warum konnte das landwirtschaftliche Potential der Ukraine bisher noch nicht aktiviert werden, und warum sind sowohl Quantität als auch Qualität der Produktion so drastisch gefallen?

• Es gibt Stimmen, die behaupten, daß das landwirtschaftliche Potential der Ukraine, insbesondere die Beschaffenheit der gepriesenen Schwarzerdeböden überschätzt worden sei. Es ist in der Tat offensichtlich, daß die Böden unter der zu Sowjetzeiten und danach vorherrschenden, unzureichenden Bewirtschaftungspraktiken gelitten haben. Nichtsdestotrotz ist die große Mehrheit der Experten der einhelligen Meinung, daß die Ukraine umgehend ein großer und konkurrenzfähiger Anbieter von Getreide und Ölsaaten auf dem Weltmarkt werden könnte, wenn ihre Landwirtschaft über internationale Standardtechniken verfügen würde. Dieser komparative Vorteil könnte sich dann vermutlich auch in einer international wettbewerbsfähigen Veredelungsproduktion niederschlagen, obwohl hierzu wahrscheinlich eine längere Entwicklungsphase benötigt würde.

• Andere argumentieren, der Kollaps der ukrainischen Landwirtschaft sei eine unvermeidbare Konsequenz des Transformationsprozesses. Sicherlich stellt die Transformation eine immense Herausforderung dar: Die jahrzehntelange Planwirtschaft hat ein entmutigendes Erbe ineffizienter und völlig veralteter Strukturen sowie verzerrter Anreize hinterlassen. Dennoch zeigt der Vergleich der Ukraine mit anderen Transformationsländern, daß diese sich (mit wenigen Ausnahmen) deutlich besser entwickelt haben, obwohl ihr Erbe oftmals dem ukrainischen sehr ähnlich ist, aber nicht von denselben vorteilhaften agro-klimatischen Bedingungen profitieren. Die Landwirtschaft in Ländern wie z.B. Polen und Ungarn hat einen geringeren Produktionsrückgang und eine raschere Erholung zu verzeichnen als die der Ukraine.

Und so entsteht letztlich der Eindruck, als habe die Ukraine zwar ein riesiges physisches Potential in der Landwirtschaft, andere Transformationsländer aber hätten mit einem geringeren physischen Potential mehr erreicht. Sicherlich gibt es keinen Grund anzunehmen, daß ukrainische Landwirte grundsätzlich weniger fähig seien als ihre

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Berufsgenossen irgendwo anders auf der Welt. Deshalb verbleibt die Frage: „Was ist also falsch gelaufen?“

Wenn weder die natürlichen Bedingungen noch die ukrainischen Landwirte die Ursache des Problems sind, dann verbleibt als mögliche Erklärung nur die Agrarpolitik, die die ukrainische Regierung seit der Unabhängigkeit verfolgt hat. Fast alle Länder dieser Welt haben ein Landwirtschaftsministerium und implementieren eine spezielle Agrarpolitik. Über Jahrzehnte hinweg haben Agrarökonomen diese Politik beobachtet und analysiert. Diese Beobachtungen haben zu wichtigen Schlußfolgerungen geführt, die auf Vor- und Nachteile verschiedener agrarpolitischer Ansätze schließen lassen, sowie die Grenzen des Machbaren in der Agrarpolitik aufzeigen. Diese Lehren sind auch auf die Ukraine anwendbar. Sehr zum Schaden der ukrainischen Landwirtschaft sind sie bisher allerdings weitestgehend ignoriert worden.

In diesem Kapitel wird ein Überblick über diese Erkenntnisse präsentiert und versucht, einen angemessenen Agrarpolitikansatz für die Ukraine zu definieren. Das Ziel besteht darin, die agrarpolitische Debatte in der Ukraine anzuregen. Dieses Ziel mag paradox erscheinen, weil ein jeder Beobachter der Ukraine bescheinigen wird, daß die Inhalte der Agrarpolitik seit der Unabhängigkeit sehr lebhaft und kontrovers debattiert wurden. Allerdings bringen viele in der laufenden Debatte vorgetragenen Positionen ein fundamentales Verständnisdefizit darüber zum Ausdruck, welches die realen Möglichkeiten und Grenzen der Agrarpolitik in der heutigen Welt sind. Kurz gesagt, die laufende agrarpolitische Debatte trifft den Kern des eigentlichen Problems in keiner Weise.

2 Einige wirtschaftspolitische Leitlinien

2.1 Die Ziele der Wirtschaftspolitik

Bei einer Diskussion mit Vertretern des Wirtschafts- und Landwirtschaftsministeriums zu Beginn des Jahres 1997 in Kiew kritisierte ein Mitglied der Deutschen Beratergruppe die Exportbarrieren für Getreide auf der Oblastebene, die 1996 eingerichtet wurden. Ein ukrainischer Diskussionsteilnehmer verteidigte diese Barrieren und fragte, ob die Beratergruppe das ‘Recht’ der Ukrainischen Regierung, im Getreidemarkt zu intervenieren, in Frage stellen wollte. Rechte und Verantwortlichkeiten von Regierungen werden in Verfassungen definiert, und nichts in der Ukrainischen Verfassung schließt eine Intervention im Getreidemarkt von vornherein aus.

Ist aber eine Regierung gut beraten, eine schädigende Politik einzuführen, nur weil sie das ‘Recht’ dazu hat? Entscheidend ist nicht, ob die ukrainische Regierung rein rechtlich dazu ermächtigt ist, in den Getreidemarkt einzugreifen, sondern vielmehr, ob dieser Eingriff aus Sicht der ukrainischen Wirtschaft sinnvoll ist oder nicht. Um beurteilen zu können, ob eine Politik sinnvoll ist oder nicht, muß man sich zuerst auf die Ziele der Wirtschaftspolitik einigen. Wenn diese Ziele klar definiert worden sind, kann jede Politik evaluiert werden, indem die folgenden Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

a) Bringt diese Politik das Land seinen wirtschaftspolitischen Zielen näher?

b) Gibt es irgendeine andere tragbare Politik, die das Land zu geringeren Kosten diesen Zielen genauso nah oder gar näher bringen würde?

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Sollte die Anwort auf die erste Frage ‘ja’ und auf die zweite Frage ‘nein’ lauten, dann kann in der Tat ohne Bedenken zugestimmt werden, daß die Politik sinnvoll ist.

Selbstverständlich ist die Definition von wirtschaftspolitischen Zielen nicht leicht. Ein Ziel ist immer etwas Normatives. Es gibt keine objektive wissenschaftliche Definition wirtschaftspolitischer Ziele, und verschiedene Individuen werden verschiedene Vorstellungen haben, wie diese Ziele auszusehen haben. Beispielsweise werden Landwirte und Verbraucher unterschiedlicher Meinungen hinsichtlich wichtiger agrarpolitischer Ziele sein (s. Box 1-1):

Box 1-1: Die Quadratur des Kreises: Was ist ein ‘angemessener’ Preis für Lebensmittel?

Es ist klar, daß Landwirte möglichst hohe Preise für ihre Produkte bevorzugen. Auf der anderen Seite wünschen sich die Verbraucher niedrige Lebensmittelpreise, damit sie möglichst viel Geld zum Kauf anderer Produkte zur Verfügung haben. Dieser Zielkonflikt hat sich durch die gesamte Historie als Herausforderung für Agrarpolitiker dargestellt. Politiker haben sehr viel Geschick bei der Formulierung agrarpolitischer Ziele bewiesen, die diesen Konflikt angeblich lösen. Ein beliebtes Manöver ist der Rückgriff auf Worte wie „angemessen“. Zum Beispiel verlangt Artikel 39 des EU Vertrags von Rom der EU, daß eine Zielsetzung in der Gemeinsamen Agrarpolitik „... die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen“ sein soll. Ähnlich lautet die Resolution Nr. 1062 der ukrainischen Regierung zur weiteren Entwicklung des staatlichen Getreidemarkts, in dem die Preise für die Landwirte „unterstützt“ und „stabil“ sein sollen und zur selben Zeit „akzeptabel“ für die Verbraucher. Genau betrachtet kann die Verwendung solcher Worte nichts dazu beitragen, den Konflikt zu lösen, denn Landwirte und Verbraucher haben vermutlich eine andere Auffassung darüber, was „angemessen“ und „akzeptabel“ ist. Zum Schluß entscheidet der politische Prozeß darüber, welche Gruppe die Oberhand bekommt und nicht irgendein objektives Kriterium. Beobachtungen über viele Jahre zeigen, daß Regierungen in reichen Industrieländern dazu neigen, Preisstützungen für Landwirte zu gewähren, weil sie annehmen, daß sich die Verbraucher in diesen Ländern höhere Preise für Lebensmittel leisten können. Entwicklungsländer dagegen tendieren dazu, die Lebensmittelpreise zur Entlastung ihrer Verbraucher auf ein niedriges Niveau zu drücken, vor allem, um dem Druck der armen und bedürftigen Stadtbevölkerung nachzugeben. Weiterhin zeigen Beobachtungen, daß seit Mitte bis Ende der 80er Jahre beides - sowohl die Unterstützung der Landwirtschaft in den entwickelten Ländern als auch die Besteuerung in den Entwicklungsländern - in vielen Fällen signifikant reduziert wurde. Staaten überall auf der Welt haben offensichtlich begonnen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Aber vielleicht ist es hilfreich, mit der Erläuterung einiger Grundprinzipien der allgemeinen Wirtschaftspolitik zu beginnen, bevor man sich den verwirrenden Details der landwirtschaftlichen Preispolitik widmet. Ganz allgemein würde wahrscheinlich die Mehrheit der Ukrainer (und der Menschen überall) dem folgenden Grundprinzip der Wirtschaftspolitik zustimmen:

Ziel 1: Die optimale Allokation von Ressourcen: Ausgehend von dem Ziel der Erhöhung des Lebensstandards für die gesamte Bevölkerung sollte die Regierung zu einer möglichst effizienten Nutzung (Allokation) der vorhandenen Ressourcen in der Wirtschaft beitragen.

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Solange Ressourcen, wie Boden und Kapital, knapp sind, ist es wichtig, diese so effizient wie möglich einzusetzen. Effiziente Nutzung bedeutet, mit den vorhandenen Ressourcen (Inputs) die größtmögliche Produktion (Output) zu erzielen (s. Box 1-2).

Box 1-2: Die Lenkung knapper Ressourcen in ihrer bestmöglichen Verwendung

Die Wirtschaftswissenschaften befassen sich damit, wie Individuen, ob nun allein oder in Gruppen, wie z.B. Familien, Unternehmen oder Länder, mit ihren knappen Ressourcen umgehen. Die Entscheidung, auf einem bestimmten Hektar Boden Mais anzubauen, bedeutet beispielsweise, daß dort kein Weizen oder andere gewinnträchtige Kulturen mehr angebaut werden können. In diesem Sinne ist der Boden knapp, denn es ist weniger Boden vorhanden, als wir gerne bewirtschaften würden. Wie viele Hektar sollten in der Ukraine mit Mais angebaut werden, wie viele mit Weizen? Oder - in wirtschaftlichem Terminus - welche Allokation des Faktors Boden sollte in der Ukraine zwischen der Mais- und Weizenproduktion angestrebt werden? Wenn Weizen auf dem Weltmarkt sehr teuer und Mais relativ günstig ist, dann würde es Sinn machen, ausschließlich Weizen zu produzieren. Ein Teil des Weizens könnte demnach exportiert und die daraus resultierenden Exporteinnahmen dazu genutzt werden, mehr Mais zu importieren, als auf der entsprechenden Fläche Land hätte produziert werden können. Wenn Mais das relativ teurere Gut ist, gilt der umgekehrte Fall. Sicherlich ist die Realität viel komplexer, da es weitaus mehr Kulturen zu berücksichtigen gibt als Mais und Weizen, und Landwirte außerdem noch die pflanzenbaulichen Beschränkungen wie Fruchtfolgen mit einbeziehen müssen. In einem so großen und vielseitigen Land wie der Ukraine werden sich diese Faktoren von Region zu Region und Betrieb zu Betrieb unterscheiden. Weiterhin können die Preise auch zwischen Aussaat und Ernte schwanken, so daß es im Sinne einer Risikominimierung sinnvoll wäre, die Anbaustruktur zu diversifizieren.

Welche Rolle sollte der Staat nun bei der Entscheidung spielen, wie der zur Verfügung stehende Boden in der Ukraine zwischen Weizen, Mais und anderem Getreide allokiert wird? Wirtschaftspolitik in der früheren Sowjetunion (FSU) basierte auf der Annahme, daß zentrale Planer am besten in der Lage sind, über die Allokation von Ressourcen zu entscheiden. Die Aufgabe der Allokation, nicht nur des Bodens, sondern auch der Technik, des Düngers usw. unter den verschiedenen Kulturen wurden den Planern überlassen. Im Gegensatz dazu entscheiden in einer Marktwirtschaft die individuellen Betriebe und Haushalte selbst, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel aufteilen. Unternehmen entscheiden, wieviel Arbeitskräfte, Kapital und Boden sie einsetzen wollen und zahlen für diese Ressourcen anschließend Löhne, Zinsen und Pachten, die auf freien Märkten bestimmt werden. Haushalte entscheiden ihrerseits, wie sie ihr Einkommen - das sie durch der Bereitstellung ihrer Arbeits-, Kapital- und Bodenkapazitäten in den Unternehmen verdient haben - disponieren, d.h., wieviel sie sparen, und wieviel sie für Waren und Dienstleistungen ausgeben.

Für viele, die in der FSU aufgewachsen sind und hier ausgebildet worden sind, ist es nur schwer vorstellbar, daß Entscheidungen, die ohne Plan von Millionen von Unternehmen und Haushalten getroffen werden, zu etwas anderem als Chaos führen können. Die Geschichte hat jedoch wiederholt gezeigt, daß dezentralisierte Marktwirtschaften eine weitaus effizientere Allokation der Ressourcen, und daher eine weitaus höhere Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen erreichen als Planwirtschaften. Warum ist das so?

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Ökonomen haben über das Für und Wider von Märkten im Gegensatz zur zentralen Planung in diesem Jahrhundert viel debattiert. Heutzutage würden die meisten zustimmen, daß die Aufgabe der effizienten Ressourcenallokation selbst für das fähigste Team von Planern zu komplex ist. Um diese zu erreichen, benötigen die Planer Informationen. Insbesondere müssen sie wissen, welche Ressourcen verfügbar sind, zu welchen Kosten Unternehmen mit diesen Ressourcen Güter produzieren können und wie die Haushalte die dabei entstehenden Produkte bewerten. Da jeder Haushalt unterschiedliche Präferenzen besitzt und jedes Unternehmen zu unterschiedlichen Kosten produziert, sind für die Planer eine Unmenge an Informationen erforderlich, viel mehr als überhaupt korrekt und schnell unter den bestmöglichen Umständen zusammengetragen werden könnten. Befürworter der zentralen Planung behaupten oftmals, daß die notwendigen Informationen hierfür doch zur Verfügung stehen würden. Sie beziehen sich aber im allgemeinen auf Informationen über Durchschnitte (z.B. Durchschnittskosten). Selbst wenn diese Informationen korrekt wären (und oft sind sie es nicht), wären sie als Grundlage für Allokationsentscheidungen nur von geringem praktischen Nutzen, denn Durchschnitte spiegeln die Vielfalt der Kosten und Präferenzen in einer Volkswirtschaft nicht wider (s. Box 1-3).

In einer Marktwirtschaft muß diese Unmenge an Informationen von niemandem gesammelt werden, denn sie steht allen Wirtschaftssubjekten in Form von Preisen zur Verfügung. Preise beeinflussen die Entscheidungen der Unternehmen und der Haushalte beim Kauf und Verkauf von Gütern. Gleichzeitig werden die Preise selbst von diesen Entscheidungen mit beeinflußt. Diese Prozesse führen dazu, daß Preise in einer Marktwirtschaft zweierlei widerspiegeln; sowohl die Wertschätzung der Haushalte für die zur Verfügung stehenden Güter und Dienstleistungen, als auch wieviel es die Unternehmen kostet, diese Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Indem sich Firmen und Haushalte mit ihren Entscheidungen an den Preisen orientieren, ziehen sie diese Information implizit mit in ihre Betrachtung ein und leisten indirekt ihren Beitrag zur effizienten Allokation der vorhandenen Ressourcen. Wie Adam Smith es 1776 formulierte, es ist, als ob eine „unsichtbare Hand“ die Unternehmen und Haushalte führt, und sie mit ihren privaten, unkoordinierten Entscheidungen im Sinne des Allgemeinwohls handeln läßt.

2.2 Marktversagen

Wenn der Markt so perfekt funktionieren würde, wie es hier gerade geschildert wurde, gäbe es natürlich keine Notwendigkeit für irgendeine Form staatlicher Eingriffe. Eine optimale Allokation von Ressourcen (Ziel 1 oben) könnte ohne irgendeinen staatlichen Eingriff erzielt werden. Aber in der Ökonomie ist längst bekannt, daß die „unsichtbare Hand“ in der Realität nicht jederzeit für alle Entscheidungen funktioniert. Wenn der Markt nicht in der Lage ist, eine effiziente Ressourcenallokation herbeizuführen, sprechen Ökonomen vom sog. ‚Marktversagen‘.

Es gibt drei maßgebliche Ursachen von Marktversagen: Die erste Ursache betrifft die Marktmacht. Gibt es in einer Region z.B. nur einen einzigen Eigentümer von Getreideelevatoren, werden die Landwirte in dieser Region keine andere Möglichkeit haben, als diesen zu beliefern. Als Monopolist wird er nicht dem Wettbewerb unterworfen sein und kann deshalb höhere Preise für seine Dienste (Reinigung, Trocknung, Lagerung usw.) verlangen, als es sonst der Fall wäre. Folglich wird die Rentabilität der Getreideproduktion in der Region sinken, und Landwirte werden hierfür insgesamt weniger Ressourcen einsetzen.

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Das Ergebnis wird eine suboptimale Ressourcenallokation sein. Der Staat könnte die Volkswirtschaft zurück zu einer optimalen Ressourcenallokation dirigieren, wenn er die Preise reguliert, die der Monopolist in Rechnung stellen darf, oder wenn er verlangen würde, daß der Monopolist einen Teil seiner Kapazitäten an Wettbewerber verkauft.

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Box 1-3: Was Durchschnitte nicht erfassen

Die folgenden Daten über Betriebsgewinne in der deutschen Landwirtschaft von 1992/93 bis 1994/95 illustrieren, wie hoch die Variabilität sein kann, die sich hinter simplen Durchschnitten verbirgt. Die Betriebe sind nach ihrem Einkommenspotential in die Gruppen klein, mittel und groß geordnet. In der Grafik wird der Durchschnittsgewinn für jede Gruppe insgesamt sowie für die jeweils höchsten 25% und niedrigsten 25% in jeder Gruppe dargestellt. Während die Durchschnitte mit zunehmender Betriebsgröße ansteigen, ist ersichtlich, daß die meist erfolgreichen kleinen Betriebe in der Lage waren, höhere Gewinne zu erzielen, als die durchschnittlichen mittleren Betriebe. Diese Kleinbetriebe erzielten sogar einen um fast dreimal höheren Gewinn, als die am wenigsten erfolgreichen großen Betriebe, obwohl letztere ein mindestens 50% größeres Einkommenspotential besitzen.

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Kleine Betriebe Mittlere Betriebe GroЯe Betriebe

Durchschnitt Oberste 25% Unterste 25%

Quelle: BMELF (verschiedene Jahrgänge).

Mit diesen Daten vor Augen kann man sich vorstellen, was passiert, wenn Politiker sich dafür entscheiden, über eine Preisstützung und auf der Basis von Informationen über durchschnittliche Produktionskosten, den landwirtschaftlichen Betrieben ein bestimmtes Gewinniveau zu garantieren. Einige Betriebe würden in diesem Fall offensichtlich mehr Unterstützung erhalten als sie benötigen, während andere nicht genügend bekommen würden. Das Problem besteht einfach darin, daß nur sehr wenige Betriebe dem Durchschnitt entsprechen, fast alle liegen entweder unterhalb oder oberhalb. Der Durchschnitt ist daher ein sehr primitives agrarpolitisches Werkzeug.

Dieses Phänomen ist selbstverständlich nicht einzigartig für die Betriebe in Deutschland. Die Lage der ukrainischen Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie ist ähnlich, d.h., einige Unternehmen sind weitaus erfolgreicher als andere. Was z.B. läßt sich mit den Daten anfangen, die auf durchschnittlichen Produktionskosten für Zucker in der Ukraine basieren und uns nichts über die spezielle Situation in einer der 192 ukrainischen Zuckerfabriken sagen? Welche Erkenntnisse über das Potential für alternative Süßstoffe, wie Maisstärkesirup, der bereits in vielen Ländern der Welt einen signifikanten Marktanteil besitzt, aber in der Ukraine (noch) nicht produziert wird, können uns solche Daten liefern? Die Antworten auf diese Fragen sind ‚wenig‘ und ‚keine‘. Durchschnitte geben zu wenig von dem wider, was z.Zt. Bestand hat und noch weniger von dem, was sein könnte.

Der zweite Grund für Marktversagen sind sog. ‘Externalitäten’, die auftreten, wenn die Produktions- oder Konsumentscheidung eines Einzelnen Auswirkungen auf andere

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Individuen hat. Eine Externalität tritt z.B. auf, wenn Landwirte Dünger ausbringen und dabei das Grundwasser unter ihren Feldern verschmutzen. Bevor anliegende Städte und Gemeinden dieses Grundwasser als Trinkwasser nutzen können, muß es aufbereitet werden. Wenn Landwirte für diese Aufbereitung nichts zahlen müssen, erscheint der Düngemittelverbrauch aus Sicht der Landwirte weniger kostenaufwendig, als es für die gesamte Volkswirtschaft tatsächlich ist; im ökonomischen Jargon gesprochen ‚externalisieren‘ Landwirte einen Teil der wahren Kosten für die Düngerausbringung. Im Ergebnis verbrauchen die Landwirte zu viel Dünger, und zu viele der nur knapp vorhandenen Ressourcen werden für die Düngerausbringung und Wasseraufbereitung aufgewendet. In solchen Fällen könnte die Regierung die Ressourcenallokation durch eine Besteuerung des Düngers verbessern.

Der dritte Grund für Marktversagen betrifft sog. ‘öffentliche Güter’. Ein öffentliches Gut ist gekennzeichnet durch seine ‘Nichtausschließbarkeit’ (es ist nicht möglich, nicht zahlende Individuen vom Konsum dieses Guts auszuschließen) und durch seine ‘Nicht-Rivalität’ (der Konsum dieses Guts durch einen Einzelnen reduziert nicht die Menge des Gutes, die anderen Individuen zur Verfügung steht). Straßenbeleuchtung und nationale Verteidigung werden oft als Beispiele für öffentliche Güter zitiert. Einige landwirtschaftliche Technologien haben den Charakter eines öffentlichen Gutes. Wenn z.B. eine neue Weizensorte mit verbesserten Resistenzen gegenüber Krankheiten von Züchtern auf den Markt gebracht wird, ist es sehr schwierig, Landwirte von der Reproduktion und dem Nachbau abzuhalten. Ferner hängt der Nutzen, den ein Landwirt von der Anwendung dieser Sorte davonträgt (reduzierter Pflanzenschutzmitteleinsatz, höhere Erträge) nicht davon ab, wie viele weitere Landwirte diese neue Sorte einsetzen. Öffentliche Güter führen zu Marktversagen, denn ihre ‘Nichtausschließbarkeit’ schafft Anreize zum Trittbrettfahren. Diese Güter werden genutzt, ohne daß dafür gezahlt wird. Im oben erwähnten Beispiel wäre eine mögliche Folge des Trittbrettfahrens, daß kein privater Züchter bereit wäre, Ressourcen in die Pflanzenzüchtung zu investieren. Es würden folglich zu wenig neue Sorten entwickelt. Der Staat könnte dieses Marktversagen korrigieren, indem er öffentliche Gelder für landwirtschaftliche Forschungseinrichtungen bereitstellt (s. Box 1-4).

2.3 Politikversagen

In allen drei diskutierten Fällen von Marktversagen wurde betont, daß staatliches Eingreifen die Ressourcenallokation verbessern kann. Das ist nicht gleichzusetzen mit der Behauptung, daß staatliches Eingreifen notwendigerweise zu einer Verbesserung führen muß. Die Erfahrung aus vielen Ländern hat in der Tat immer wieder gezeigt, daß staatliche Intervention oft eine vorhandene suboptimale Ressourcenallokation verschlechtert, anstatt sie zu verbessern. Wenn das der Fall ist, kommt zum Marktversagen das, was die Ökonomen ‘Politikversagen’ nennen, erschwerend hinzu.

Warum führt ein gutgemeintes staatliches Eingreifen oftmals zu Politikversagen? Ein wichtiger Grund hierfür wurde oben bereits angesprochen, das Problem der Information. Betrachten wir das Beispiel der Grundwasserverschmutzung, die auf die Düngerausbringung der Landwirtschaft zurückzuführen ist. Um die Düngerbesteuerung, die die Externalität der Grundwasserverschmutzung korrigieren soll, festzulegen, benötigt die Regierung (vermutlich in Form eines Regulierungskomitees) exakte Informationen sowohl über den Nutzen der Düngerausbringung für die Landwirte als auch über die Kosten der Wasseraufbereitung für die Städte. Der Nutzen für die Landwirte wird von Betrieb zu Betrieb in Abhängigkeit vom

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Bodentyp, der Fruchtfolge, den Wetterbedingungen und einer Reihe von anderen Faktoren differieren, die schwierig und manchmal unmöglich zu messen sind. Die Kosten der Wasseraufbereitung werden auch von diesen Faktoren abhängen sowie von der Entfernung der einzelnen Städte zu den Verschmutzungsquellen, der Technologie usw. Somit ist von vornherein keineswegs sicher, daß der Staat in der Lage ist, ausreichend exakte Information für die Festlegung einer allokationsverbessernden Düngerbesteuerung zu sammeln. Versucht der Staat, eine Steuer ohne die erforderlichen Informationen festzulegen, ist nicht auszuschließen, daß das gewählte Steuerniveau das ursprüngliche Marktversagen eher noch verschlimmert als löst.

Box 1-4: Die Bedeutung der staatlich finanzierten landwirtschaftlichen Forschung

Ökonomen sind seit langem daran interessiert, die Gründe des landwirtschaftlichen Produktionswachstums zu identifizieren. Im Rahmen von Untersuchungen zu diesem Thema, die in den 40er Jahren initiiert wurden, stellten Wissenschaftler aus den USA fest, daß das bisherige Wachstum in der landwirtschaftlichen Produktion nur teilweise durch Steigerungen des Einsatzes von Inputs wie Boden, Arbeit, Dünger usw. erklärt werden konnte. In einer neueren Studie bspw. haben Agrarökonomen geschätzt, daß der gesamte Inputeinsatz in der amerikanischen Landwirtschaft zwischen 1948 und 1994 durchschnittlich sogar um jährlich 0,07% gefallen ist, obwohl der betriebliche Output im selben Zeitraum um jährlich beinahe 2% angestiegen ist (BALL et al. 1998). Offensichtlich konnte die Produktivität der eingesetzten Inputs in dieser Zeit signifikant erhöht werden. Eine gesteigerte Produktivität kann aber nicht allein auf dem physischen technischen Fortschritt basieren (verbesserte Sorten, Pflanzenschutzmittel und Maschinen), sondern ebenso durch technischen Fortschritt in Form des sog. ‘Humankapitals’ (Ausbildung und Erfahrung, die zu einem verbesserten betrieblichen Management und Nutzung der verfügbaren Ressourcen führen). In den letzten Jahrzehnten haben Ökonomen Methoden zur Messung der Rendite von Investitionen in der landwirtschaftlichen Ausbildung und Forschung entwickelt. Verschiedene Studien zeigen, daß diese Renditen sehr hoch sein können und oftmals bei über 20% liegen. Viele Produkte der landwirtschaftlichen Ausbildung und Forschung besitzen aber den Charakter eines öffentlichen Gutes. Folglich tendiert der Marktmechanismus trotz der hohen Renditen dazu, wenig Ressourcen in die Produktion dieser Güter fließen zu lassen. Daher kann es aus gesellschaftlicher Sicht sinnvoll sein, öffentliche Gelder in die Agrarforschung und Ausbildung zu investieren. Öffentliche Investitionen sind aber nicht die einzig mögliche Lösung: Anhand von Institutionen wie Patentgesetzen und Gesetzen die Pflanzenzüchtung betreffend kann der Staat auch die Anreize für private Investitionen in die landwirtschaftliche Forschung erhöhen.

Einen weiteren Grund, weshalb staatliches Eingreifen nicht notwendigerweise zur Allokationsverbesserung führt, stellt die sog. ‘politische Ökonomie’ dar. (Agrar-)Politik wird nicht von Heiligen oder wohlwollenden Diktatoren gemacht, sondern vielmehr von ‚normalen‘ Menschen. Deshalb wäre es naiv zu glauben, daß jede politische Maßnahme einen gutgemeinten Versuch darstellt, Marktversagen zu beheben. Der Politiker, der z.B. über die zu erhebende Düngersteuer entscheiden muß, wird nicht (nur) die optimale Korrektur der Verschmutzungsexternalitäten im Kopf haben. Wahrscheinlich wird er statt dessen auch mit in Betracht ziehen, welches Niveau der Düngersteuer ihm zum Gewinn der nächsten Wahl besonders behilflich sein könnte oder eventuell auch die Tatsache, daß ein Schwager zufällig Eigentümer einer Düngemittelfabrik ist. Die schließlich erhobene Düngersteuer wird vielleicht wenig Ähnlichkeit mit der erforderlichen Steuer zur Korrektur der

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Verschmutzungsexternalitäten aufweisen und könnte sogar zu einer Verschärfung des ursprünglichen Marktversagens führen.

Das Zusammenspiel der unvollständigen Informationen und der politischen Ökonomie läßt bei vielen Ökonomen Skepsis darüber aufkommen, ob der Staat zur Korrektur des Marktversagens fähig ist. Die Existenz von Marktversagen ist nicht per se eine hinreichende Bedingung für staatliches Eingreifen. Statt dessen müssen Fälle von Marktversagen im einzelnen untersucht werden, um festzulegen, ob und in welcher Form staatliche Eingriffe zu einer Korrektur führen können.

2.4 Der Konflikt zwischen der Verteilungsgerechtigkeit und der Effizienz der Produktion

Neben dem Marktversagen gibt es einen weiteren bedeutenden Grund für eine staatliche Wirtschaftspolitik. Selbst wenn der Marktmechanismus - mit oder ohne staatliche Hilfe - zu einer optimalen Ressourcenallokation führt, könnte dieses effiziente Ergebnis von der Gesellschaft als ungerecht empfunden werden. Mit anderen Worten heißt das, obwohl eine effiziente Ressourcenallokation garantiert, daß die Volkswirtschaft so viele Güter und Dienstleistungen wie möglich produziert, garantiert sie nicht, daß alle Mitglieder der Gesellschaft einen als ‚gerecht‘ empfundenen Anteil an dieser Gesamtproduktion erhalten. Eine Metapher, die in diesem Zusammenhang oft verwendet wird, lautet: Der Marktmechanismus kann zwar sicherstellen, daß die Wirtschaft den größtmöglichen ‚Kuchen‘ backt, aber er garantiert nicht, daß jedes Mitglied der Gesellschaft ein gerechtes Stück dieses ‚Kuchens‘ erhält.’

Aus diesem Grund greift der Staat oftmals auf verteilungspolitische Maßnahmen zurück. Ein Beispiel einer solchen Umverteilungspolitik stellt die progressive Einkommenssteuer dar, die der Finanzierung von Sozialleistungen für bedürftige Familien dient. Gelegentlich wird argumentiert, daß die Arbeiter eines bestimmten Sektors bedürftig sind und daher in den Genuß von Umverteilungen kommen sollten. So wird z.B. die Tatsache, daß in den Industrieländern die durchschnittlichen Einkommen in der Landwirtschaft niedriger erscheinen als die Einkommen in anderen Sektoren, oft als Rechtfertigung für die Gewährung von Subventionen zugunsten der Landwirtschaft herangezogen.

Selbstverständlich neigen politische Entscheidungsträger bei verteilungspolitischen Maßnahmen dazu, in dieselben Fallen wie bei der vorher beschriebenen Korrektur von Marktversagen zu tappen. Um die als notwendig angesehenen Transfers gezielt auf sozial bedürftige Personen zu konzentrieren, benötigt man Informationen, die in der Beschaffung kostenaufwendig sein können. Ferner, so lobenswert die Absicht an sich ist, den wirklich Bedürftigen zu helfen, so groß ist die Gefahr, daß Politiker verteilungspolitische Instrumente nicht zur Herstellung von Gerechtigkeit einsetzen, sondern zur Erhöhung der Chance der Wiederwahl oder zur Bereicherung ihrer ‚Freunde‘ mißbrauchen werden (s. Box 1-5).

Von Bedeutung ist schließlich, daß Umverteilung nicht das ist, was Ökonomen als „Nullsummenspiel“ bezeichnen. In einem Nullsummenspiel gewinnt der Gewinner immer genauso viel, wie der Verlierer verliert. Eine unbequeme Tatsache im Wirtschaftsleben ist nun leider, daß für die Umverteilung einer Griwna in die Tasche eines bedürftigen oder verdienstvollen Menschen mehr als der Einzug einer Griwna von anderen Menschen

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erforderlich ist. Ein exzellentes Beispiel für dieses Prinzip stellt die EU-Agrarpolitik dar (s. Box 1-6).

Box 1-5: Die Notwendigkeit und die Ausgestaltung der Agrarpolitik in den Industrieländern

Jahrelang wurden die Preisstützungen für Landwirte in den Industrieländern, wie der EU und den USA, damit begründet, daß die Einkommen in der Landwirtschaft niedriger sind als in anderen Sektoren. Ökonomen haben nun begonnen, diese Begründung in Frage zu stellen. Erstens gibt es riesige Unterschiede zwischen den Betrieben in der Landwirtschaft (s. Box 1-3). Ohne Zweifel gibt es einige Betriebe mit geringem Einkommen, aber dennoch erzielen viele Betriebe in der EU und in den USA ein Einkommen, das weit über dem Landesdurchschnitt rangiert. Zweitens erzielen viele landwirtschaftliche Haushalte ihr Einkommen nicht allein aus der Landwirtschaft. Viele Landwirte oder deren Familienmitglieder üben eine Nebentätigkeit in anderen Sektoren aus, so daß das Einkommen, das in der Landwirtschaft erzielt wird, kein vollständiges Bild der aktuellen Einkommenssituation wiedergibt. Außerdem haben Studien bewiesen, daß Landwirte durchschnittlich vermögender sind als Arbeiter in anderen Sektoren (in bezug auf Boden- und Wohneigentum sowie Ersparnisse), was eventuell auftretende Einkommensunterschiede zum Teil kompensieren kann.

Schließlich sind Preisstützungen kein besonders effizientes Instrument zur Einkommensumverteilung zugunsten kleiner Betriebe, die wirklich ein unterdurchschnittliches Einkommen erzielen. Es ist nur logisch, daß hohe Preise den Landwirten mehr nutzen, die viel produzieren, als denen, die wenig produzieren. Aber gerade die kleinen Betriebe mit geringem Produktionsvolumen benötigen in der Regel die größte Unterstützung. Zu Beginn der 90er Jahre hat der Agrarkommissar der EU MacSharry Zahlen veröffentlicht, die demonstrierten, daß 80% der Einkommenstransfers, die durch die Preisstützung im Rahmen der EU-Agrarpolitik entstehen, in die Taschen von nur 20% der EU-Landwirte fließen. Zu diesen 20% gehören überwiegend die größten und erfolgreichsten Landwirte oder mit anderen Worten die, die die Hilfe am wenigsten benötigen. Diese Zahlen machen deutlich, daß die Preisstützungen der EU, die damit begründet wurden, den bedürftigen Landwirten zu helfen, in erster Linie die reichen Landwirte noch reicher gemacht haben. Diese Landwirte arbeiten mit Hilfe sehr gut organisierter Lobbyisten in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten der EU und haben es verstanden, die agrarpolitischen Entscheidungsträger sehr erfolgreich unter Druck zu setzen.

Warum ist Umverteilung gesamtwirtschaftlich betrachtet ein Negativsummenspiel? Erstens entstehen bei jeder Umverteilung Verwaltungskosten. Das Eintreiben von Steuern, das Überweisen von Transferzahlungen, das Verwalten von Quoten usw. benötigt Ressourcen (Bürokraten, Büroflächen, Bleistifte und Computer), die anderen produktiven Verwendungsmöglichkeiten der Wirtschaft entzogen werden. Zweitens greift die Umverteilung in die Funktionsweise der „unsichtbaren Hand“ ein. Erinnern wir uns daran, daß Preise in einer Marktwirtschaft Signale darstellen, die Unternehmen und Haushalte darüber informieren, wie Güter bewertet werden und wie hoch ihre Produktionskosten sind. Steuern, Subventionen und Quoten ändern die relativen Preise und verzerren damit die Signale, die Wirtschaftssubjekte empfangen. Eine Politik, die z.B. die Preise für Lebensmittel erhöht, wird sowohl den Anreiz zur Produktion von Lebensmitteln steigern, als auch die Nachfrage nach Lebensmitteln dämpfen. Der Lebensmittelkonsum wird wahrscheinlich nur geringfügig schrumpfen, da die Menschen wenig Alternativen zum Konsum von Lebensmitteln haben (Ökonomen sprechen davon, daß die Nachfrage nach Lebensmitteln

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‘preisunelastisch’ ist), aber die Lebensmittelproduktion wird mit Sicherheit reagieren. Als Ergebnis hieraus werden Ressourcen in die Lebensmittelproduktion verlagert, die eigentlich zur Produktion anderer Güter mit einem höheren Wert für die Haushalte hätten beitragen können. Folglich wird das Gleichgewicht zwischen Produktionskosten und dem Wert der produzierten Güter durcheinandergebracht und das Ziel einer optimalen Ressourcenallokation verletzt. Schließlich schafft die Umverteilung fast immer Anreize für Betrug und Mißbrauch. Der Staat kann anhand von Kontrollinstrumenten versuchen, Verluste durch Betrug und Mißbrauch zu vermeiden, aber erhöhte Kontrolle führt wiederum zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand.

Box 1-6: Was kostet die Umverteilung einer DM in die Taschen eines EU-Landwirts?

1987 erarbeiteten Ökonomen eine Analyse, die messen sollte, wieviel es die Konsumenten (in Form von höheren Preisen) und die Steuerzahler (in Form höherer Steuern) kostet, wenn eine DM durch die EU-Agrarpolitik zugunsten der Landwirte transferiert wird. Die unten dargestellten Ergebnisse zeigen, daß dieser Wert im Durchschnitt bei 1,50 DM liegt. Das bedeutet bspw., daß insgesamt 1,5 Mrd. DM aufgewendet werden müssen, wenn man die Landwirte mit einer zusätzlichen Milliarde DM durch die EU-Agrarpolitik für Getreide, Fleisch, Milch und Zucker unterstützen möchte - ein Negativsummenspiel von 500 Mio. DM!

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Milch Fleisch Zucker Getreide Durchschnitt

DMAusgaben der Konsumenten und SteuerzahlerZusдtzliche Einnahmen der Landwirte

Quelle: O.V. (1987).

Umverteilung ist folglich immer ein Negativsummenspiel. Bezüglich der oben benutzten Metapher bedeutet dieses: Wann immer versucht wird, ein Stück des ökonomischen Kuchens umzuverteilen, gehen mehrere oder weniger Krümel während des Transfers verloren. Der Kuchen wird daher insgesamt kleiner. In diesem Zusammenhang sprechen Ökonomen oftmals von einem sog. ‚Trade-off‘ zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Effizienz. Ist eine anfängliche Einkommensverteilung gegeben, führen Umverteilungsmaßnahmen mit dem Ziel einer Steigerung der Verteilungsgerechtigkeit zwangsläufig zu einer geringeren Effizienz. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, daß Umverteilung ‘falsch’ ist. Politiker in der EU haben vielleicht das dringende Gefühl, daß Zuckerproduzenten und andere Landwirte ein größeres ‘Stück des Kuchens’ verdient haben. Aber aufgrund des Trade-off zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Effizienz kann diese Umverteilung nicht gratis durchgeführt werden.

Wenn Umverteilungen nun trotz der auftretenden Kosten dennoch als notwendig erachtet werden, dann werden die meisten Menschen zustimmen, daß sie mit möglichst

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geringen Kosten umgesetzt werden sollten. In der Regel bieten sich mehrere politische Instrumente an, die zu derselben Umverteilung führen können. Einige dieser Instrumente werden geringere Effizienzverluste (Kosten) verursachen als andere. Hieraus ergibt sich das zweite allgemeine Ziel der Wirtschaftspolitik, das - obwohl es ebenfalls normativ ist - wahrscheinlich von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden kann:

Ziel 2: Effiziente Umverteilung: Der Staat sollte sicherstellen, daß gewünschte Änderungen der endgültigen Verteilung der in einer Volkswirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen mit einem möglichst geringen Produktionsrückgang eben dieser Güter und Dienstleistungen erzielt werden.

Welche Formen von Umverteilungspolitik sind nun effizienter als andere und warum? Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist es in der Regel effizienter, direkte Einkommenstransfers für bedürftige Personen zu gewähren als indirekte Transfers, die an bestimmte ökonomische Aktivitäten, wie Produktion oder Konsum gebunden sind (s. Box 1-7).

Box 1-7: Effiziente Umverteilung zwischen Ökonomen und Taxifahrern

Die folgende Parabel wird manchmal zur Illustration des Konzepts der effizienten Umverteilung benutzt. Ein Ökonom wird eingeladen, die Agrarpolitik eines Landes zu analysieren. Es ist sein erster Besuch in diesem Land, und er weiß nicht, wie er vom Flughafen zum Hotel kommen kann. Am Flughafen hält er deswegen ein Taxi an. Der Taxifahrer, der seine Chance erkennt, stellt seinen Taxameter an und wählt eine Fahrtroute mit Umwegen vom Flughafen zum Hotel. Der Preis beläuft sich auf 50 USD, was dem doppelten des üblichen Preises von 25 USD entspricht. Der Ökonom zahlt, hat aber das dumpfe Gefühl, daß er soeben ‚über den Tisch‘ gezogen wurde. Es stört ihn nicht, Taxifahrer zu unterstützen, da er sein Studium seinerzeit selbst mit Taxifahren finanzierte. Aber nun ist er Ökonom und haßt es, Ressourcen zu verschwenden. Daher bestellt der Ökonom ein paar Wochen später zur Zeit seines Abflugs ein Taxi direkt zum Hotel und bietet ihm einen Pauschalpreis von 45 USD bis zum Flughafen an, unabhängig von der Fahrtroute.

Was ist nun der Unterschied zwischen den beiden Fahrten? In beiden Fällen wird Einkommen vom Ökonomen zum Taxifahrer umverteilt. Allerdings stellt der zweite Fall eine weitaus effizientere Form der Umverteilung dar. So zahlt der Ökonom für die erste Fahrt 50 USD statt 25 USD. Um jedoch in den Genuß der zusätzlichen 25 USD zu kommen, mußte der Fahrer durch die ganze Stadt fahren, Benzin, das Gummi seiner Reifen und eine halbe Stunde seiner Arbeitszeit verschwenden. Nach Abzug dieser Kosten stellt der Taxifahrer fest, daß er einen Nettotransfer von nur rund 15 USD erhalten hat. Auch der Ökonom mußte eine zusätzliche halbe Stunde Zeit im Auto verschwenden, so daß er für die erste Fahrt effektiv mehr als 50 USD gezahlt hat, vielleicht 55 USD. Es ist also leicht zu erkennen, daß die zweite Fahrt beide - sowohl den Ökonomen als auch den Taxifahrer - besserstellt als die erste. Der Fahrer nimmt den direkten Weg zum Flughafen ohne Verschwendung von Benzin, Reifen oder Zeit und erhält einen Nettotransfer von 20 USD, 5 USD mehr als bei der ersten Fahrt. Der Ökonom zahlt nur 45 USD für die zweite Fahrt und spart eine halbe Stunde, finanziell eine Verbesserung von 10 USD gegenüber der ersten Fahrt.

Die Moral der Geschichte? Das Problem der ersten Fahrt besteht darin, daß das Einkommen nicht direkt transferiert wurde. Statt dessen erhielt der Taxifahrer seinen Transfer indirekt in Form eines Entgelts für zusätzlich gefahrene Kilometer. Dieses stellte eine Verschwendung dar,

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denn eigentlich sollte das Einkommen des Taxifahrers erhöht werden und nicht die Anzahl der vom Taxifahrer gefahrenen Kilometer.

Dieses Prinzip ist auf die Agrarpolitik übertragbar, z.B. auf die Zuckerpolitik der EU. Oben wurde festgestellt (s. Box 1-6), daß die Umverteilung zugunsten der Zuckerproduzenten in der EU kostenaufwendig ist. Diese Umverteilung wird mit den Instrumenten einer Quote durchgeführt (ein System, das u.a. Vorschläge für die Einführung einer Zuckerquote in der Ukraine inspiriert hat). Dieses Quotensystem stellt ein ineffizientes Instrument der Umverteilung dar, da es andere tragbare Instrumente gibt (z.B. Einkommenssteuerermäßigungen für Zuckerproduzenten), die dieselbe Umverteilung zu geringeren Kosten bewirken würden. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist die EU-Zuckerpolitik daher nicht sinnvoll, denn sie verletzt das Ziel einer effizienten Umverteilung. Eine ukrainische Zuckerpolitik, die auch auf Quoten basiert, müßte aus denselben Gründen als nicht sinnvoll erachtet werden. Es ist wichtig, nochmals zu betonen, daß dieses ökonomische Argument in keiner Weise die Frage beantwortet, ob die Zuckerproduzenten in der EU oder in der Ukraine den Erhalt dieser Transfers benötigen. Die Frage, ob die Zuckerproduzenten den Transfer benötigen ist eine normative, für die es keine wissenschaftlich-objektive Antwort geben kann. Ziel 2 besagt lediglich, daß - wenn Umverteilung gewünscht wird - diese mit den möglichst geringsten Kosten für die Gesamtwirtschaft durchgeführt werden sollte.

3 Eine Agrarpolitik für die Ukraine Auf den bisherigen Seiten dieses Kapitels wurden einige ökonomische Leitlinien für

die Ausrichtung der Agrarpolitik entwickelt. Diese Leitlinien sind normativ, aber werden von Prämissen abgeleitet, die von den meisten Menschen als akzeptabel erachten werden. In Kurzform:

1. Die Politik sollte auf die Verbesserung der Ressourcenallokation abzielen, um die Gesamtproduktion von Gütern und Dienstleistungen zu maximieren.

2. Die Politik sollte auf der Annahme basieren, daß - bis der konkrete Gegenbeweis erbracht werden kann - der Marktmechanismus am besten zur Ressourcenallokation geeignet ist.

3. Wo Marktversagen vermutet wird, sollte eine vorsichtige Bewertung herangezogen werden, um sicherzustellen, daß korrigierende Politikmaßnahmen implementierbar sind und nicht zu Politikversagen führen.

4. Wo eine Umverteilung als notwendig erachtet wird, sollte eine vorsichtige Bewertung herangezogen werden, um sicherzustellen, daß eine möglichst effiziente Form der Umverteilung gewählt wird.

Inwiefern stützt sich die Agrarpolitik der Ukraine zum heutigen Zeitpunkt auf diese Leitlinien? Ein vollständiger Rückblick aller seit der Unabhängigkeit der Ukraine implementierten und geplanten agrarpolitischen Maßnahmen würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Deshalb wird im folgenden anhand von einigen ausgewählten Beobachtungen gezeigt, daß die Ausrichtung der Agrarpolitik in der Ukraine bisher weitgehend ohne Berücksichtigung ökonomischer Prinzipien stattgefunden hat.

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3.1 Die Grundrichtung der Agrarpolitik

Nirgendwo auf der Welt geht die Agrarpolitik hunderprozentig mit den oben beschriebenen Leitlinien konform, obwohl einige wichtige Agrarländer, wie z.B. Neuseeland, diesen immer näher kommen. Im Gegenteil, die Landwirtschaft ist ein Sektor für, den viele Staaten z.T. sehr verschwenderische Politiken konzipiert und eingeführt haben. Wie oben dargestellt wurde (s. Box 1-5 und 1-6), gehört die EU zu dieser Gruppe. Es gibt allerdings Anzeichen, daß die Politiker in der EU und anderswo realisiert haben, daß die Agrarpolitik in der Vergangenheit zu kostspielig war und deshalb geändert werden muß. Während die Landwirtschaft von Liberalisierungstendenzen im Rahmen früherer Runden der GATT-Verhandlungen mehr oder weniger unberührt blieb, hat die Uruguay-Runde, die 1993 mit der Einrichtung der Welthandelsorganisation (WTO) endete, das erste Mal auch die Agrarpolitik strengen Richtlinien unterworfen. Für die nächste Runde der Verhandlungen, deren Beginn 1999 geplant ist, wird ein weiterer Abbau der Protektion erwartet. Als Ergebnis haben viele Länder begonnen, ihre Agrarpolitiken zu reformieren. In Übereinstimmung mit den oben beschriebenen Leitlinien wurde die Protektion der Landwirtschaft in vielen Ländern abgebaut. Politikveränderungen, wie z.B. die Abschaffung der verschwenderischen Quotensysteme in der EU, werden offen diskutiert, was vor zehn Jahren kaum denkbar gewesen wäre und sogar von Landwirten befürwortet wird (s. Box 1-8).

Box 1-8: Der Abbau der landwirtschaftlichen Protektion in den Industriestaaten

Seit Ende der 80er Jahre haben die meisten Industriestaaten Schritte zur Liberalisierung ihrer Agrarpolitik unternommen. Eine Möglichkeit, diesen Änderungen zu folgen, ist die Betrachtung der sog. ‚Producer Subsidy Equivalents‘ (PSE). PSEs messen den Anteil am Produktionswert der Landwirtschaft, der aufgrund von agrarpolitischen Maßnahmen, wie z.B. Subventionen oder Preisstützung, zustande kommt. Wie die folgende Grafik zeigt, sind die PSEs in den bedeutenden Agrargüter produzierenden Industriestaaten im Laufe der letzten zehn Jahre z.T. beträchtlich gesunken.

0102030405060

EU USA Kanada Australien Neuseeland

PSE (%)

1986-88 1993-95 1996 1997

Quelle: OECD (verschiedene Ausgaben).

Ebenfalls im Einklang mit den oben entwickelten Leitlinien haben agrarpolitische Entscheidungsträger den Anteil von direkten Einkommenszahlungen in der Agrarstützung in den letzten zehn Jahren erhöht. Somit hat eine Verschiebung weg von den verschwenderischen indirekten Maßnahmen wie z.B. der Preisstützung stattgefunden (s. Box 1-9).

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Leider haben viele agrarpolitische Entscheidungsträger in der Ukraine diesen weltweiten Trend in der Agrarpolitik noch nicht erkannt. Während die EU, die USA und andere führende Agrarproduzenten aus ihrer agrarpolitischen Vergangenheit Lehren ziehen, sind einige in der Ukraine scheinbar fest entschlossen, diese Fehler zu wiederholen, in dem sie Maßnahmen wie Interventionssysteme und Quoten empfehlen, deren Zeit woanders langsam aber sicher abläuft.

3.2 Ressourcenallokation

In dem sie es bisher versäumt haben, einen funktionierenden Bodenmarkt aufzubauen, haben die agrarpolitisch Verantwortlichen in der Ukraine einen Beitrag zu einer fast beispiellosen Fehlallokation von landwirtschaftlichen Ressourcen geleistet. Zwei Formen der Fehlallokation sind in diesem Zusammenhang besonders gravierend. Erstens, wenn der Boden verpachtet und verkauft werden könnte, wären erfolgreiche Landwirte in der Lage, Boden von weniger erfolgreichen Landwirten zu pachten oder zu kaufen. Es ist seit langem bekannt und in empirischen Studien bewiesen worden, daß die Managementfähigkeit der wichtigste einzelne Faktor für die erfolgreiche Leitung eines landwirtschaftlichen Betriebs ist (s. Box 1-3: Ein gut geführter Kleinbetrieb kann mehr Gewinn erwirtschaften als ein potentialträchtiger, aber schlecht geführter Großbetrieb). Da es die Mobilitätsbarrieren für Boden in der Ukraine den erfolgreichen Betriebsleitern erschweren, ihre weniger erfolgreichen Kollegen zu verdrängen, wird die vielleicht reichste vorhandene physische Ressource der Ukraine nicht mit dem besten Management und Know-How kombiniert, das die Ukraine zu bieten hat.

Box 1-9: Änderungen in der Zusammensetzung der landwirtschaftlichen Unterstützung der EU

Die EU-Politiker haben ihre Unterstützung für die Landwirte seit dem Ende der 80er Jahre nicht nur reduziert (s. Box 1-8), sondern auch die Zusammensetzung der Agrarpolitik zugunsten von effizienteren Maßnahmen, wie z.B. direkten Einkommensbeihilfen, geändert. Der Anteil an der Unterstützung für Landwirte, der durch Preisstützungsmaßnahmen gewährt wird, ist von fast 100% in den Jahren 1986-88 auf etwas mehr als 50% im Jahr 1996 gesunken. Zur selben Zeit stieg der Anteil der direkten Einkommenstransfers von 8 auf 33%.

-25

0

25

50

75

100

1986-88 1993-95 1996

Preisstьtzung Direkte Zahlungen Sonst.

Quelle: OECD (verschiedene Ausgaben).

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Zweitens könnte der Boden auch eine (Teil-)Lösung der extremen Kapitalknappheit in der ukrainischen Landwirtschaft bieten. Ohne den Einsatz von Boden als Sicherheit besitzen die landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine kaum Möglichkeiten, Kapital zu Neu- und Ersatzinvestitionen zu beschaffen. Es ist illusorisch, daran zu glauben, daß die benötigte Menge an Kapital jemals vom Staat zur Verfügung gestellt werden könnte, obwohl viele Politiker in der Ukraine diesen Mythos nach wie vor propagieren. Folglich ist das Fehlen eines Bodenmarkts ebenso verantwortlich für den Sachverhalt, daß eine der wertvollsten physischen Ressourcen in der Ukraine, ihr Boden, auch nicht mit ausreichend Kapital und moderner Technologie kombiniert wird.

Zusammengefaßt wird der Boden in der Ukraine als unmittelbare Folge agrarpolitischer Versäumnisse verschwendet. Dieses ist nicht nur schädlich für die ukrainische Wirtschaft. Auch aus weltwirtschaftlicher und ökologischer Perspektive ist es äußerst ineffizient, daß Millionen Hektar fruchtbarsten Bodens in der Ukraine verschwendet werden, während anderswo in der Welt Ernten unter ökonomisch marginalen und ökologisch bedenklichen Bedingungen erzwungen werden. Ukrainische Bedenken, daß große Flächen des Bodens von Ausländern aufgekauft werden könnten, sind zwar nachvollziehbar, aber das absolute Verbot für den Handel mit Boden erscheint als eine Überreaktion auf diese Bedenken, wie das Beispiel eines freien Bodenmarkts - mit Einschränkungen für ausländisches Eigentum - in Polen zeigt.

3.3 Bewertung und Analysekapazitäten

Bei der obigen Diskussion und der Entwicklung von Leitlinien für die Ausrichtung der Agrarpolitik wurde wiederholt die Bedeutung von Bewertung und Analyse betont. Bevor eine Politikmaßnahme implementiert wird, ist eine gründliche Analyse der Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Allokation und Verteilung absolut notwendig. Es liegt auf der Hand, daß Politiker bestrebt sein werden, ihre eigens entworfenen und implementierten Politikmaßnahmen zu verteidigen. Daher werden sie kaum objektiv in ihrer eigenen Analyse sein. Um so wichtiger ist es, daß diese Analyse von unabhängigen, unparteiischen Experten ausgeführt wird, denen man einen bestmöglichen Zugang zu den ihnen notwendigen Informationen gibt und die Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Ergebnisse verschafft (Transparenz). Die meisten Landwirtschaftsministerien der Welt haben ihre eigenen, ‘hausinternen’ Analysekapazitäten. In einem Großteil der Länder wird die Analysearbeit jedoch auch von unabhängigen Institutionen, wie Universitäten, Instituten und Beratern, durchgeführt. Diese Institutionen liefern manchmal Ergebnisse, die politisch unbequem für die Entscheidungsträger sind. Allerdings ist diese Arbeit für eine offene und demokratische Meinungsbildung unentbehrlich.

Kennzeichnend für die Ukraine sind relativ schwache, landwirtschaftliche Analysekapazitäten. Viele Politiker und Analysten in der Regierung und den verschiedenen Universitäten und Instituten besitzen sehr wenig Erfahrung mit den Grundprinzipien der Marktwirtschaft und der landwirtschaftlichen Politikanalyse. Das ist sicherlich verständlich, da die betroffenen Individuen für Aufgaben in der Planwirtschaft ausgebildet wurden, mit einer starken Betonung technischer im Gegensatz zu ökonomischen Fragestellungen. Leider wird nach wie vor zu wenig in den Aufbau von gut ausgebildeten und - vor allem - unabhängigen Analysekapazitäten investiert, die in der Lage wären, die Politiker und die gesamte Öffentlichkeit mit unverzerrten Stellungnahmen zur Agrarpolitik auszustatten.

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Ausländische Berater können zwar einen Beitrag zur Ausarbeitung solcher Stellungnahmen liefern, aber dem wirtschaftlichen Verständnis, das bei diesen Beratern vorhanden ist, steht oft ein mangelndes Verständnis der spezifisch ukrainischen Situation gegenüber. Im Ergebnis sind ausländische Analysten deshalb vielmals unfähig, ihre Kenntnisse den ukrainischen Bedingungen anzupassen und effektiv zu vermitteln.

3.4 Die aktuelle Agrarpolitik: Eine Last für die ukrainische Landwirtschaft

Es ist symptomatisch für das Fehlen von marktwirtschaftlich orientierten Ausbildungs- und Analysekapazitäten in der Ukraine, daß viele Vertreter der ukrainischen Regierung über die Notwendigkeit zur Subvention und Unterstützung der Landwirtschaft reden, obwohl tatsächlich die ukrainische Regierung selbst die Landwirtschaft laufend massiv besteuert. In diesem Zusammenhang sind nicht die direkten Steuern gemeint, die Bestandteil der ukrainischen Fiskalpolitik sind, sondern vielmehr verschiedene Formen der impliziten Besteuerung, die aus agrarpolitischen Versäumnissen resultieren. Der fehlende Bodenmarkt, der oben angesprochen wurde, ist vermutlich das beste Beispiel für eine Politik, die die Landwirtschaft signifikant besteuert, in diesem Fall durch eine künstliche Verknappung und Verteuerung von Kapital. Ein anderes Beispiel stellt die staatliche Intervention auf den landwirtschaftlichen Produktmärkten dar. Das Unvermögen, die Vermarktungskanäle z.B. für Getreide zu liberalisieren, das Festhalten am Staatsmonopol in der Lagerung und beim Transport, die immer wiederkehrenden regionalen Exportverbote und die de-facto Fortsetzung der Staatsaufträge tragen alle dazu bei, daß die Ab-Hof-Preise für Getreide und andere Güter viel niedriger sind, als dies sonst der Fall wäre.1 Folglich muß man diese Politik als indirekte, aber nicht weniger signifikante Besteuerung der landwirtschaftlichen Produktion bezeichnen.

Wenn mehr Klarheit über diese Zusammenhänge herrschen würde, dann würden die verantwortlichen Politiker vielleicht realisieren, daß als erster Schritt in Richtung Gesundung der Landwirtschaft in der Ukraine nicht die Planung einer neuen Protektionspolitik, wie Interventionsstellen und Quotensysteme, unternommen werden müßte. Vielmehr wäre zunächst ein Abbau der aktuellen, politisch induzierten Verzerrung zuungunsten der Landwirtschaft zu empfehlen. Bevor man das teure Gaspedal der landwirtschaftlichen Protektion betätigt, wäre die ukrainische Regierung gut beraten, zunächst einmal die Bremsen zu lösen, die sie seit der Unabhängigkeit auf Kosten der Landwirtschaft angezogen hält. Nach einer anfänglichen Phase der Umstrukturierung, die bisher zwar verschoben werden konnte, aber unvermeidlich sein wird, werden die Politiker vielleicht überrascht feststellen, daß die ukrainische Landwirtschaft - wenn sie eine faire Chance erhält - sehr gut auf eigenen Füßen stehen kann.

4 Literatur BALL, V.E.; BUREAU, J.-C.; NEHRING, R. and SOMWARU, A. (1998): Agricultural Productivity

Revisited, American Journal of Agricultural Economics, Bd. 79, S.1045-1063.

BMELF (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), (jährlich): Agrarbericht der Bundesregierung, Bonn.

1 Siehe Kapitel 6: Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender

Handlungsbedarf.

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O.V. (1987): Bauernbefreiung, Kapital, Bd. 5, S.134-135.

OECD (verschiedene Jahrgänge): Agricultural Policy Monitoring and Outlook, Paris.

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2 Protektion der ukrainischen Agrarwirtschaft - ein Rezept zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit?

Ludwig Striewe, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung: Der Ruf nach Protektion Während sich die betroffene Landbevölkerung der Ukraine fassungslos dem

Niedergang der Agrarwirtschaft gegenüber sieht, mangelt es nicht an Vorschlägen zur Bewältigung der Krise. Gerade in jüngster Zeit üben einige hiervon eine große Anziehungskraft auf viele politisch Verantwortliche aus. Es handelt sich hierbei um den Reiz einer Idee, dem vor der Ukraine schon viele Länder erlegen sind: Die Subventionierung junger oder im Restrukturierungsprozeß befindlicher Industrien mit dem Ziel, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Danach müsse die ukrainische Agrarwirtschaft nur für eine gewisse Zeit vor ausländischer Konkurrenz geschützt oder beispielsweise durch ein Steuermoratorium subventioniert werden, um sie aus der Krise zu führen und international wettbewerbsfähig zu machen.

Politische Kreise in der Ukraine werden nicht müde zu betonen, wie wichtig die staatliche Subventionierung einzelner Bereiche des Agrarsektors ist. Nach gängiger Meinung bieten hier vor allem das 5-jährige Steuermoratorium auf die Mehrwertsteuer und die teilweise Befreiung von der Bodensteuer für den landwirtschaftlichen Kernsektor oder ein Importschutz auf ausländische Technik und die Subventionierung der ukrainischen Landmaschinenproduzenten für den Vorleistungssektor die Ingredienzen, die notwendig sind, um die Medizin zu mixen, an der die kranke ukrainische Agrarwirtschaft gesunden kann. Doch was ist dran an diesem Argument, dem eine so bestechende Logik zugrunde zu liegen scheint. Kann diese sogenannte ‘Infant Industry Politik’ - die Protektion einer Branche - diese wettbewerbsfähig machen und Wachstum anstoßen? Kann man den Argumenten Glauben schenken, die suggerieren, daß der Weg aus dem Dilemma so einfach ist? Und ist die ukrainische Regierung tatsächlich gut beraten, dem Druck der Industrie nach handelsbeschränkenden Maßnahmen und Subventionen nachzugeben?

Im anschließenden Abschnitt 2 werden nach einer Erklärung der Begriffe von Protektion und Subvention zunächst die Bedingungen für eine erfolgreiche Infant Industry Politik erörtert. Im 3. Abschnitt wird der wichtigen Frage nachzugehen sein, inwieweit das Steuermoratorium eine erfolgversprechende Politik zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sein kann und welchen Erfolg man sich von dieser wichtigen Maßnahme erhoffen kann. Aus einem Vergleich mit dem Investitionsförderungsprogramm in Deutschland können dabei wichtige Rückschlüsse gezogen werden. Aber auch in vielen Ländern gibt es umfangreiche Erfahrungen mit der Infant Industry Politik. Im 4. Abschnitt sollen deshalb Ergebnisse umfangreicher Studien vorgestellt werden, aus denen die Ukraine wichtige Lehren ziehen kann.

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2 Sind Protektion und Subvention zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit geeignet? An Gesetze zur Protektion bzw. Subventionierung der Agrarwirtschaft werden von

Seiten der Politik in der Regel ganz bestimmte Erwartungen über die Wirkungsweise geknüpft. Im Falle des Mehrwertsteuererlasses für die Landwirtschaft hegt man beispielsweise die Hoffnung, daß die Landwirtschaft hierdurch ihre Produktion steigern und langfristig wettbewerbsfähiger werden könne. Welche Voraussetzungen aber müssen vorliegen, damit die Politik den gewünschten Erfolg zeigt? Nach der Erläuterung der Begriffe Protektion und Subvention einerseits und der Definition von Wettbewerbsfähigkeit andererseits soll hierauf im dritten Teil des Abschnitts eingegangen werden.

2.1 Protektion, Subvention und Wettbewerbsfähigkeit

Der Einfluß des Staates auf das Wirtschaftsleben ist allgegenwärtig. Über die Wirtschaftsordnung, die die Ausgestaltung der Eigentumsverfassung, der Wettbewerbsordnung, das Vertragsrecht usw. umfaßt, entscheidet der Staat darüber, unter welchen Regeln Unternehmen wirtschaftlich tätig werden können. Offensichtlich aber greift der ukrainische Staat - in vielen Bereichen sogar mehr als in anderen Ländern - auch sehr aktiv in die Landwirtschaft ein. So werden Vorleistungen für die Agrarbetriebe bereitgestellt, die Vermarktung staatlich beeinflußt, Unternehmen subventioniert oder durch Einfuhrhemmnisse vor ausländischer Konkurrenz geschützt.

Nur wenige dieser Eingriffe werden allgemein als Protektion bezeichnet, da hierunter vor allem Einfuhrbeschränkungen wie Importzölle, Importverbote und Importquoten zum Schutz der inländischen Unternehmen zusammengefaßt werden. Bei dieser Definition bleibt allerdings unberücksichtigt, daß auch andere Eingriffe den inländischen Produzenten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz verschaffen können. Sowohl direkte Subventionen, ein Steuererlaß oder Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind hierzu geeignet. Es ist in diesem Zusammenhang somit wenig sinnvoll, zwischen Protektion und Subvention zu unterscheiden. Die Begriffe werden im folgenden deshalb synonym gebraucht. Von Protektion oder Subventionierung wird immer dann gesprochen, wenn ein staatlicher Eingriff der betreffenden Branche oder dem Sektor einen geldwerten Vorteil gegenüber einer anderen Branche, vor allem aber gegenüber der ausländischen Konkurrenz verschafft. Andererseits ist so ein staatlicher Eingriff, der für die betreffenden Unternehmen einen geldwerten Nachteil mit sich bringt, als Besteuerung zu bezeichnen.1

Allgemein kann ein Betrieb als wettbewerbsfähig bezeichnet werden, der ein Produkt zu einem bestimmten Zeitpunkt und Ort zu einem Preis anbieten kann, der gleich hoch oder sogar niedriger ist als der anderer Anbieter. Wird ein solches Kriterium zugrunde gelegt, so ließen sich durch entsprechend hohe Zölle oder Subventionen in der Ukraine nahezu alle Produkte langfristig mit Gewinn - und damit wettbewerbsfähig - produzieren. Tatsächlich hat es in anderen Ländern solche Versuche gegeben.

1 Mit dieser Definition soll allerdings nicht unterstellt werden, daß es nicht gravierende Unterschiede

in den Wirkungsmechanismen verschiedener Subventionsmaßnahmen gibt.

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Ein bekanntes Beispiel ist der Weizenanbau in der Wüste Saudi-Arabiens. Durch massive staatliche Subventionen wurde hier eine Tonne Brotgetreide für das ca. 10-fache des Weltmarktpreises erzeugt. Offensichtlich jedoch wird Saudi-Arabien durch die Produktion von Getreide ärmer, da jede produzierte Tonne den Steuerzahler und Verbraucher ein Vielfaches dessen kostet, was auf dem Weltmarkt hierfür ausgegeben werden müßte. Daraus folgt, daß grundsätzlich jeder Betrieb im Inland wettbewerbsfähig gemacht werden kann, wenn er nur ausreichend vor Importen geschützt bzw. ausreichend hoch subventioniert wird. Das Land wird jedoch ärmer, wenn die Produktion im eigenen Land teurer ist als der Import des gleichen Gutes vom Weltmarkt. Denn in einem solchen Fall könnten die eingesetzten inländischen Ressourcen wie Boden und Arbeit, aber auch die Vorleistungen, die teilweise teuer importiert werden müssen, für andere wirtschaftliche Tätigkeiten sinnvoller eingesetzt werden. Zwar können die Betriebe unter dem Schutz der Protektion profitabel wirtschaften, doch ließe sich im Land eine höhere Wertschöpfung erzielen, wenn andere, international wettbewerbsfähige Güter produziert würden.

Deshalb ist es wichtig, zwischen der Wettbewerbsfähigkeit eines Betriebes und der gesamten Branche eines Landes zu unterscheiden. Von letzterer kann nur gesprochen werden, wenn bei Freihandel und ohne Subventionen zum gleichen oder günstigeren Preis wie von den ausländischen Konkurrenten angeboten werden kann. Nur dann erzielt ein Land eine positive Wertschöpfung, und nur dann ist die Produktion auch ökonomisch sinnvoll und wohlstandsmehrend.

2.2 Das Infant Industry Argument

Bei aller Gegensätzlichkeit der Systeme in Ost und West, hier der zentralen Planwirtschaft und dort der sozialen Marktwirtschaft in ihren verschiedenen Ausprägungen, gab es doch Gemeinsamkeiten, die sogar gleichen theoretischen Ursprungs sind. Hierzu zählt die Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo, die sowohl den liberalen Ökonomien als auch der Planwirtschaft eine theoretische Fundierung bietet, und nach der die Spezialisierung der Produktion nicht nur unter den Individuen in einer Wirtschaft, sondern auch zwischen verschiedenen Ländern vorteilhaft ist.2

Danach liegen die Vorteile des freien Warenaustausches auf der Hand: So wird zum einen die Effizienz des Einsatzes der vorhandenen Produktionsfaktoren wie Boden, Arbeit und Kapital gesteigert, weil durch die Arbeitsteilung entsprechend den komparativen Kostenvorteilen in den Regionen oder Ländern produziert wird, die einen relativen Kostenvorteil bei entsprechenden Produkten haben, wie eben Weizen in der Ukraine oder Oliven in Italien. Die Effizienz des Ressourceneinsatzes wird zweitens auch dadurch gesteigert, daß durch den freien Warenaustausch die inländischen Monopole oder Oligopole der ausländischen Konkurrenz ausgesetzt werden und deren Monopolmacht dadurch zerstört oder eingeschränkt wird. Drittens kann die Nutzung steigender Skalenerträge ermöglicht und viertens die den Konsumenten zugängliche Produktvielfalt gesteigert werden.

2 Allerdings erschöpfen sich in dieser grundlegenden Erkenntnis die Gemeinsamkeiten beider

Systeme, weil die Spezialisierung im ehemaligen Ostblock staatlich gelenkt wurde, in der Marktwirtschaft aber durch die Wahl des Produktionsstandortes der einzelnen Unternehmer im Marktprozeß bestimmt wird.

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Wie gegen die Protektion sprechen auch gegen direkte Subventionen viele Argumente. So gehen Verfechter der Marktwirtschaft davon aus, daß die sich im freien Prozeß von Angebot und Nachfrage herausbildenden Preise sowohl für die Produktionsfaktoren als auch für die Produkte den richtigen Knappheitsrelationen auf den Märkten entsprechen. Steigende Getreidepreise bewirken beispielsweise, daß insgesamt weniger Getreide verbraucht und gleichzeitig mehr produziert wird, weil die Produktion von Getreide für die Landwirte profitabler wird. Jeder Eingriff des Staates, jede Verzerrung des Preisgefüges führt zu einer mehr oder weniger starken Verschwendung von Ressourcen. So wurde z.B. in allen ehemaligen sozialistischen Ländern der Brotpreis künstlich subventioniert mit der Folge, daß Getreide erst einmal gemahlen und gebacken wurde, um dann als subventioniertes Brot zum Teil in den Futtertrog zu wandern. Von der Grundregel ‚Der Marktmechanismus regelt den Einsatz der Ressourcen am effizientesten‘ gibt es wichtige Ausnahmen.3 Das Infant Industry Argument stellt eine solche Ausnahme dar, bei dem die Abweichung von der Regel für Freihandel und gegen Subventionen gerechtfertigt sein könnte.

Auch die Befürworter einer Infant Industry Politik leugnen den eigentlichen Vorteil von Freihandel nicht. Sie heben allerdings hervor, daß die inländische Branche, der internationale Neuling also, in einer Startphase gegenüber den ausländischen Anbietern einen Produktionskostennachteil aufweist. Die Gründe für die anfänglichen Kostennachteile sind folgende:

• Aus technologischen Gründen weist die Produktion mit zunehmender Größe deutlich sinkende Stückkosten auf. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Fixkosten im Vergleich zu den variablen Kosten sehr hoch sind (vgl. BALDWIN 1969, S.295).

• In der Branche gibt es sogenannte learning-by-doing Effekte, da erst mit steigender Erfahrung in der Produktion die Kosten sinken.

• In Transformationsländern besteht die Notwendigkeit der Einführung neuer Technologien, um veraltete Anlagen ersetzen zu können.

Befürworter des Infant Industry Schutzes gehen nun davon aus, daß Betriebe, die eine gewisse Zeit vor Wettbewerb geschützt werden, ihre Kosten soweit senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können, daß sie später erfolgreich gegen Importe konkurrieren und aus eigener Kraft wachsen können. Darüber hinaus wird angenommen, daß die anfänglichen Kosten dieser Maßnahme für die Subventionen oder den Verzicht auf die Vorteile des Freihandels langfristig durchaus ausgeglichen werden können. Das wird der Fall sein, wenn die betreffende Branche wächst und langfristig ohne den staatlichen Schutz, d.h. ohne Subventionierung, eine positive Wertschöpfung erzielt, oder anders ausgedrückt, international wettbewerbsfähig wird. Die Subventionierung des Agrarsektors ist nach den Verlautbarungen ukrainischer Politiker deshalb kein Selbstzweck, sondern Instrument zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft und damit ein Faktor, der Wachstum anstoßen soll.

3 Vgl. Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun?

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2.3 Die Bedingungen für eine erfolgreiche Infant Industry Politik

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine Infant Industry Politik tatsächlich zum Erfolg führt und gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist? Wie kann eine Branche in der Ukraine, die sich in der Umstrukturierung befindet, deren Management noch nicht gelernt hat, effizient zu produzieren und die Produkte am Markt zu plazieren, diese Wettbewerbsfähigkeit erlangen? Das Argument zur Infant Industry Politik impliziert, daß durch Zollschutz oder Subventionen ein Automatismus in Gang gesetzt wird, der die betroffene Branche wettbewerbsfähig macht. Dabei lassen die Verfechter freilich offen, ob die Protektion tatsächlich zeitlich begrenzt werden kann, ob die hohen Kosten von Protektion gerechtfertigt sind, ob die Protektion notwendig und geeignet ist. Diese Fragen sollten jedoch unbedingt geklärt werden, bevor eine Industrie geschützt wird.

2.3.1 Die Befristung des Schutzes

Die Protektion einer jungen Industrie kann nur für eine gewisse Zeit erfolgen, wie schon der Begriff von der Infant Industry impliziert. Sind die staatlichen Eingriffe grundsätzlich ungeeignet, die Branche international wettbewerbsfähig zu machen, dann sollte der Schutz von vornherein unterbleiben. Die Subventionierung einer Branche, die nicht ‘erwachsen’ wird, verschwendet dauerhaft Ressourcen und würde die Ukraine ärmer machen. Allerdings ist es schwierig zu bestimmen, über welchen Zeitraum der Schutz gerechtfertigt ist. Das hängt vor allem von den zukünftigen Gewinnen ab, die in der Branche erzielt werden und von den alternativen Verwendungsmöglichkeiten der Ressourcen, die zur Subventionierung der Branche notwendig sind.

2.3.2 Die volkswirtschaftlichen Kosten müssen durch den späteren Nutzen kompensiert werden

Gleich einem Unternehmen, das über verschiedene Investitionsalternativen entscheidet und die wählt, die nach Risikoabwägung die höchste Rendite abwirft, muß auch bei staatlichen Entscheidungen streng nach diesem ökonomischen Prinzip entschieden werden. Das läßt sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: Der Nutzen einer (politischen) Maßnahme muß deren Kosten überwiegen. Während die Kosten einer privaten Investition aber offensichtlich sind - sie bestehen aus den Anschaffungskosten für die Investition und die Betriebskosten der Anlage in den einzelnen Perioden ihrer Nutzung - ist das bei einer staatlichen Maßnahme auf den ersten Blick nicht sichtbar, weil ein Zollschutz beispielsweise keine Staatsausgaben nach sich zieht, sondern sogar zu Staatseinnahmen führt.

Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich gleichwohl ein jeder Eingriff des Staates als Instrument, welches der einen Gruppe Kosten aufbürdet, um einer anderen einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Eine Kapitalhilfe für einen bestimmten Sektor beispielsweise, muß in anderen Bereichen der Wirtschaft erst einmal erwirtschaftet und als Steuer eingetrieben werden, bevor sie als Subvention ausgezahlt werden kann. Und auch ein Zollschutz belastet andere Sektoren. Jeder Einfuhrschutz für Landmaschinen und Vorleistungen z.B. verteuert die Produktion von Getreide und anderen Feldfrüchten in der Ukraine. Er führt dazu, daß die ukrainische Weizenproduktion weniger konkurrenzfähig ist, als sie es ohne den Schutz der einheimischen Vorleistungsindustrie wäre.

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2.3.3 Die Schutzmaßnahmen müssen erforderlich sein

Ein nächstes Kriterium, welches erfüllt sein muß, um einen Infant Industry Schutz rechtfertigen zu können, lautet: Der Schutz muß auch erforderlich sein. Erwartet eine Branche, nach einer gewissen Zeit wettbewerbsfähig werden zu können, sind die Produktionskosten also nur zeitweilig höher als die ausländischer Konkurrenten, so drängt sich die Frage auf, warum die Branche diese Zeit der höheren Produktionskosten nicht mit eigenen Mitteln überbrückt. Es ist das Wesen einer jeden Investition, daß der Aufwand in einer Startphase höher ist als der Ertrag aus der Investition und daß der Unternehmer erwartet, diese Aufwendungen erst durch zukünftige Erträge decken zu können. Bei einem gut funktionierenden Kapitalmarkt oder dann, wenn - wie in der Ukraine - ausländische Investoren bereit wären, zu investieren, sind keine staatlichen Eingriffe erforderlich.

Zwei Bedingungen können allerdings staatliche Eingriffe gerechtfertigt erscheinen lassen. Zum einen ist möglich, daß ein Kapitalmarkt nicht gut funktioniert und der Zugang zu Krediten vor allem durch staatliche Aktivitäten erschwert wird (das sog. Crowding Out). Allerdings läßt sich hieraus nicht automatisch eine Rechtfertigung für Subventionen ableiten. In der Ukraine ist das Zinsniveau sehr hoch und die auch durch das ineffiziente Bankensystem minimale Versorgung der Wirtschaft mit Krediten wohlbekannt (vgl. MÖLLERS 1999, S.217 ff.; GROS und STEINHERR 1999, S.193 ff.). Höchste Priorität sollte aber die Bekämpfung des Übels an der Wurzel haben. Hierzu wären strenge Haushaltsdisziplin zur Milderung des Crowding Out Problems und die Schaffung von gesetzlichen Voraussetzungen für funktionierende Kreditmärkte als Maßnahmen vorzuziehen.

Zum anderen kann es sogenannte positive externe Effekte geben, die Schutzmaßnahmen erforderlich machen. Positive externe Effekte einer Investition ergeben sich, wenn sich die Erträge dieser Investition nicht allein aus den Einzahlungsströmen für das Unternehmen zusammensetzen, sondern wenn die Investition einen positiven Effekt auch auf andere, vielleicht erst zu gründende Unternehmen hat. So wird in vielen Industrieländern häufig beobachtet, daß sich in einer bestimmten Region viele Unternehmen der gleichen Branche ansiedeln, weil positive, sog. Spill-Over-Effekte zwischen diesen Unternehmen bestehen. So siedeln sich um ein Kernunternehmen herum häufig weitere Betriebe an, weil die Infrastruktur für diese Branche vorhanden ist, weil entsprechend ausgebildete Arbeitnehmer zur Verfügung stehen oder weil Mitarbeiter des Kernunternehmens eigene Firmengründungen vornehmen. Können solche Effekte erwartet werden, dann kann es durchaus sinnvoll sein, ein Kernunternehmen bei der Ansiedlung zu unterstützen.

Entscheidend für den Erfolg einer Infant Industry Politik ist aber, daß der Staat Informationen darüber hat, welche Branche eines Landes tatsächlich über komparative Kostenvorteile verfügen wird und damit weltweit wettbewerbsfähig werden kann. Viele Regierungen glauben dieses Wissen zu haben, weil beispielsweise von der früher gegebenen Wettbewerbsfähigkeit auf die zukünftige geschlossen wird. Die Wettbewerbsfähigkeit ist jedoch ein zukunftsorientiertes Konzept, und der Staat hat in der Regel weitaus weniger Informationen über den zukünftigen Erfolg und die Entwicklungen in einer Branche als private Unternehmen. Regelmäßig jedoch entscheiden staatliche Stellen, welche Industriezweige des Schutzes bedürfen oder wo dieser besonders sinnvoll einzusetzen ist.

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2.3.4 Die Maßnahme muß geeignet sein

Selbst wenn all diese Bedingungen zutreffen, so stellt sich die entscheidende Frage danach, ob der staatliche Eingriff geeignet ist, eine bestimmte Branche wettbewerbsfähig zu machen. Am Beispiel der Exportsteuer für Ölsaaten,4 die die inländischen Ölmühlen gegenüber der ausländischen Konkurrenz beim Bezug von Ölsaaten begünstigen soll, läßt sich zeigen, daß solche Maßnahmen nicht geeignet sind, die ukrainischen Betriebe wettbewerbsfähig zu machen. So könnte zwar vermutet werden, daß die durch die Steuer erhöhte Kapazitätsauslastung der ukrainischen Ölmühlen die durchschnittlichen Produktionskosten senken und die Betriebe international wettbewerbsfähig werden. Das ist allerdings nicht anzunehmen: Die Ölmühlen haben bei freiem Export und vom Weltmarkt abgeleiteten Inlandspreisen für Sonnenblumenöl keine Absatzprobleme für ihre Produkte. Wenn diese Unternehmen also nicht in der Lage sind, die für die Betriebe optimale Menge an Ölsaaten einzukaufen, dann kann das nur daran liegen, daß sie auch bei optimaler Auslastung ihrer Betriebe nicht wettbewerbsfähig sind. Die minimalen Produktionskosten der ukrainischen Betriebe sind also höher als die der ausländischen Konkurrenz, obwohl diese die Transport- und andere Kosten des Exports in ihrer Kalkulation berücksichtigen müssen. Natürlich arbeiten nicht alle ukrainischen Betriebe mit gleichermaßen hohen Kosten, doch wird es sicherlich eine Reihe von Unternehmen geben, die auch langfristig nicht wettbewerbsfähig werden können. Für die anderen Betriebe sind aber tiefgreifende Restrukturierungsmaßnahmen angeraten, die eher geeignet sind, die Produktionskosten zu senken. Eine Exportsteuer kann hierfür kaum Anreize schaffen. Warum sollten die Unternehmen die notwendige Umstrukturierung vornehmen, wo sie fast acht Jahre darauf verzichtet hat? Die Subvention oder Protektion verbessert zwar die Gewinnsituation der begünstigten Betriebe, beseitigt aber nicht deren strukturelle Mängel, die der eigentliche Grund für deren mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sind.

In Abschnitt 2.1 wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Begriffe Subventionierung und Protektion grundsätzlich kaum voneinander zu trennen sind, sich verschiedene Maßnahmen aber in ihrer speziellen Wirkungsweise deutlich voneinander unterscheiden können. Werden in der Volkswirtschaft oder in einer Branche zu niedrige Ausgaben für Forschung und Entwicklung getätigt, und droht diese Branche in der Wettbewerbsfähigkeit zurückzufallen oder Rückstände gegenüber Konkurrenten nicht aufholen zu können, so stehen mehrere staatliche Maßnahmen zur Verfügung. Zum einen könnte der Staat einen Zollschutz implementieren oder aber eine direkte Subvention auszahlen. Diese Maßnahmen scheinen allerdings wenig geeignet zu sein, da nicht sichergestellt ist, daß die Unternehmen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel in Forschungs- und Entwicklungsaufgaben investieren. Viel sinnvoller scheint statt dessen eine gezielte Subvention dieser Aktivitäten in den Unternehmen oder aber eine staatliche finanzierte Forschung, deren Ergebnisse allen Unternehmen gleichermaßen zur Verfügung steht.

Aus diesen Überlegungen läßt sich eine klare Hierarchie der Maßnahmen ableiten. Wenn tatsächlich ein Marktversagen besteht,5 hat die Maßnahme Priorität, die direkt am

4 Vgl. Kapitel 9: Der Markt für Ölsaaten in der Ukraine: Die Fortsetzung bisheriger Erfolge? 5 Vgl. Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun?

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eigentlichen Problem - dem Marktversagen - angreift. Diese Erkenntnis sollte auch bei einer etwaigen Infant Industry Politik Anwendung finden.

Die Bedingungen, die einen Infant Industry Schutz erfolgreich machen, sind in der Abbildung 2-1 zusammengefaßt, nach der eine solche Politik zeitlich befristet sein muß, die Kosten den Nutzen übersteigen und schließlich der Schutz erforderlich sowie geeignet sein muß. Trifft auch nur eine dieser Bedingungen nicht zu, so ist der Staat auf jeden Fall gut beraten, von einer Infant Industry Politik Abstand zu nehmen.

Abbildung 2-1: Unter welchen Bedingungen ist eine Infant Industry Politik gerechtfertigt?

Zeitliche Befristung

Schutz lohnt nicht Schutz mцglich

Nutzen > KostenJA

Schutz erforderlichJA

Schutz geeignetJA

JA

NEINNEIN

NEIN

NEIN

Quelle: Eigene Darstellung.

Aus diesen Überlegungen wird deutlich, daß der Erfolg einer Infant Industry Politik zwar durchaus gerechtfertigt sein kann, aber dies doch eher als kurioser Sonderfall gewertet werden muß denn als allgemeingültige Regel. Diese eher allgemeinen theoretischen Überlegungen werden im folgenden Abschnitt auf das Steuermoratorium der Ukraine angewandt und in Abschnitt 4 durch empirische Ergebnisse aus anderen Ländern belegt.

3 Das Mehrwertsteuermoratorium der Ukraine - ein Beispiel für eine erfolgreiche Infant Industry Politik? Die drastisch sinkende Leistungsfähigkeit des ukrainischen Agrarsektors im Jahr 1998

und der Produktionsrückgang haben politische Forderungen nach massiven Subventionen und Steuererlässen für die Landwirtschaft laut werden lassen. Besonders durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer, so argumentieren viele ukrainische Politiker, kann der Agrarsektor auf einfache und elegante Weise wettbewerbsfähig gemacht werden. Der Mehrwertsteuererlaß für tierische Produkte, seit Beginn des Jahres 1998 in Kraft, bewirkt, daß die landwirtschaftlichen Betriebe keine Mehrwertsteuer abführen müssen, von den Mehrwertsteuereinnahmen der verarbeitenden Industrie aber 70% direkt zugewiesen bekommen. Allein diese

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Subventionierung hat einen Umfang von ca. 330 Mio. UAH (UKRAINIAN NEWS AGENCY No. 50 1998).

Darüber hinaus sind ab 1999 laut Präsidialerlaß Nr. 1328 vom 2. Dezember 1998 auch andere Produkte von der Mehrwertsteuer befreit, wenn die Betriebe hierfür Vorleistungen erwerben. So ergibt sich aus der Summe vom Mehrwertsteuermoratorium, ca. 700 Mio. UAH, und der Steuerbefreiung für tierische Produkte, ca. 330 Mio. UAH, ein Subventionsbetrag von ca. 1 Mrd. UAH und damit fast 1 % des Bruttoinlandsprodukt. Natürlich muß zwischen der theoretischen und der tatsächlichen Subventionierung unterschieden werden. Da ein großer Teil der Vermarktung über Bartergeschäfte abgewickelt wurde, bei denen keine Mehrwertsteuer erhoben werden kann, ergibt sich hieraus auch kein zusätzlicher Subventionswert.

Viele Politiker hegen nach öffentlichen Verlautbarungen die Hoffnung, daß die Agrarwirtschaft durch das Steuermoratorium binnen 4 bis 5 Jahren wettbewerbsfähig gemacht werden kann. Ist diese Hoffnung begründet? Reicht es aus, die teilweise mit hohen Verlusten wirtschaftenden Agrarbetriebe einfach nur zu subventionieren ohne die eigentliche Ursache ihrer geringen Rentabilität zu beseitigen? Oder wird das gesteckte Ziel hiermit völlig verfehlt? Letzteres ist wahrscheinlich, denn:

3.1 Die zeitliche Begrenzung ist politisch nur schwer durchzusetzen

Subventionen zeitlich zu befristen, weil diese nach einer gewissen Zeit hinfällig werden, ist ein politisch schwieriges Unterfangen, wie die Erfahrung aus anderen Ländern der Welt lehrt. Obwohl eine vierköpfige Familie in der EU jährlich ca. 1.500 USD allein an Steuergeldern aufwenden und darüber hinaus höhere Preise für Nahrungsmittel hinnehmen muß, hat die Lobbyarbeit der landwirtschaftlichen Verbände es immer wieder vermocht, grundlegende Reformen der EU-Agrarpolitik zu verhindern. Auch im deutschen Kohlebergbau ist die absurde Situation entstanden, in der die gezahlten Subventionen mit über 100.000 DM pro Arbeitsplatz sehr viel größer sind als der ausgezahlte Lohn. Dennoch hat man es bisher politisch nicht durchsetzen können, die Subventionierung des Kohlebergbaus zu beenden. Auch die ukrainische Regierung wird große Schwierigkeiten haben, die Sonderbehandlung der Landwirtschaft nach fünf Jahren wieder aufzuheben, weil es viele Betriebe geben wird, die ihre Effizienz nicht haben steigern können und ohne die Subvention wieder unter die Gewinngrenze fallen.

3.2 Ist der Nutzen höher als die Kosten?

Da Kosten und Nutzen des Steuermoratoriums erst in den kommenden Jahren anfallen und Gewinner und Verlierer sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bevölkerung zu finden sind, lassen sich Nettonutzen und -kosten kaum exakt quantifizieren. Ein einfaches Beispiel kann aber verdeutlichen, wie hoch die Rendite bei den derzeit hohen Zinsen sein müßte, wenn sich das Steuermoratorium rentieren soll. Nimmt man an, daß erstens das Steuermoratorium nach fünf Jahren tatsächlich wieder abgeschafft wird, daß der Staat zweitens die Einnahmeausfälle für diese fünf Jahre zu einem Zinssatz von 50% verzinsen muß, drittens die Landwirtschaft im dritten Jahr wieder profitabel wird und viertens die Effekte des Steuermoratoriums 30 Jahre Wirkung zeigen - was unrealistisch lang ist -, so müßten die für das Steuermoratorium eingesetzten Mittel eine jährliche Rendite von fast 33% zeigen, damit

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der Nutzen des Moratoriums dessen Kosten übersteigt. Eine derart hohe Rendite ist jedoch kaum zu erzielen. Hierüber, wie auch über den Sachverhalt, wer überhaupt zu den Gewinnern und den Verlierern zählen könnte, scheint in der Ukraine aber wenig Klarheit zu herrschen. Tatsächlich werden von der Regierung unberechtigterweise einseitig die Vorteile des Steuermoratoriums hervorgehoben.

Zu den Gewinnern des Steuermoratoriums zählen ganz eindeutig die landwirtschaftlichen Betriebe. Allerdings werden diese nicht - wie vermutet - einen Einspareffekt von jährlich fast 1 Mrd. UAH erzielen, sondern deutlich weniger, da die verarbeitende Industrie nun einen Verhandlungsspielraum erhält, den sie nutzen kann, um den landwirtschaftlichen Betrieben niedrigere Preise als den früheren Bruttopreis zu zahlen. Insgesamt werden folglich weniger als 1 Mrd. UAH bei den landwirtschaftlichen Betrieben ankommen, die aber dennoch insgesamt eine Nettosubventionierung erfahren. Die Verwendung der Mittel ist dabei an den Kauf von produktionssteigernden Vorleistungen gebunden. Erst wenn die landwirtschaftlichen Betriebe mit diesen Vorleistungen einen deutlichen Mehrwert erzielen und somit langfristig auch ohne Subventionierung wieder profitabel werden, kann von einer erfolgreichen Infant Industry Politik gesprochen werden. Diese dann erzielten Gewinne müßten mit den Kosten des Steuermoratoriums verglichen werden.

Die Kosten des Steuermoratoriums: Der Steuerausfall in Höhe von ca. 2 Mrd. UAH muß vom ukrainischen Staat gegenfinanziert werden. Bei der äußerst schwierigen Haushaltslage ist das nur unter größten Opfern möglich, die jedoch nicht die Politiker oder andere Entscheidungsträger zu bringen haben. Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß die Mittel auf Wegen beschafft werden, die politisch Schwächere treffen. Eine wahrscheinliche Option ist z.B. die weitere Verzögerung der Auszahlung von Löhnen durch den Staat in Bereichen wie Bildung und Gesundheit. Das Steuermoratorium wäre dann nichts anderes als eine Umschichtung von Geldern aus den Taschen von Lehrern und Ärzten in die der landwirtschaftlichen Betriebe, die Vorleistungen zu kaufen gezwungen sind. Weiß die Regierung wirklich - mit anderen Worten, liegen tatsächlich entsprechende empirische Analysen vor -, daß die Gelder in anderen Bereichen wie der Schulbildung weniger gut investiert sind als beim Kauf von Düngemitteln oder Landmaschinen für die maroden landwirtschaftlichen Betriebe? Man erwartet sich in der Landwirtschaft eine höhere langfristige Rendite. Die entstehenden Kosten sind allerdings offensichtlich: der Verzicht auf Ausbildung, der Verzicht auf Auszahlung der Löhne in anderen Bereichen, der Verzicht auf Investitionen usw.

Der Staat könnte das Steuermoratorium aber auch finanzieren, indem die Steuern für andere Branchen erhöht werden. Aber auch so würde unterstellt, daß die 1 Mrd. UAH in der Landwirtschaft besser investiert ist als in anderen Wirtschaftsbereichen. Darüber hinaus nimmt die Regierung implizit an, daß für die restliche Wirtschaft keine weiteren negativen Effekte entstehen. Es ist aber zu erwarten, daß die Wirtschaftsleistung in anderen Bereichen sinken wird, weil die Steuerlast noch erdrückender wird. Eine jede Subventionierung der einen Branche zieht unweigerlich die Besteuerung der Bevölkerung oder anderer Industriezweige nach sich, deren Wachstum folglich gebremst wird. Ob der etwaige Nutzen des Steuermoratoriums die Kosten überwiegt, scheint aufgrund dieser Überlegungen äußerst zweifelhaft zu sein.

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3.3 Ist der Schutz für die Landwirtschaft erforderlich?

Die Frage nach der Erforderlichkeit des Steuermoratoriums ist gleichzusetzen mit der Frage nach Alternativen für diese Politik. In der ukrainischen Öffentlichkeit wurde im Sommer 1998 das Steuermoratorium als die einzig mögliche Rettung der Agrarwirtschaft dargestellt. Die Ursachen für die hohen Verluste liegen allerdings viel tiefer. Hier sind zu nennen:

• die mangelhafte Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Betriebe;

• der fehlende Bodenmarkt, der die Betriebe vom Zugang zu Krediten ausschließt;

• die äußerst ineffiziente Vermarktung und Verarbeitung der Agrarprodukte, die der Landwirtschaft Verluste in einer Höhe beschert, die ähnlich groß sind, wie die Subventionen an den Sektor.

Dies sind die eigentlichen Gründe für die mangelhafte Profitabilität. Das Steuermoratorium ist ein Versuch, diese Versäumnisse zu kompensieren, und zielt an den eigentlichen Ursachen der Krise vorbei. Es ist das Gebot der Stunde, diese Hindernisse zu beseitigen.

Kann die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft gesteigert werden? Die katastrophale Gewinnsituation der ukrainischen Agrarwirtschaft (88,3% der Betrieb schlossen das Jahr 1998 mit Verlusten ab6) soll durch das Steuermoratorium eine grundlegende Verbesserung erfahren. Trotz Ermangelung genauer Daten über die Varianz in den Betriebsergebnissen läßt sich aus der Erfahrung in anderen Ländern ableiten, daß die Unterschiede in den Ergebnissen ukrainischer Betriebe eine sehr große Varianz aufweisen werden. Ein großer Teil der Betriebe weist weder Gewinne aus, noch zahlt er Steuern oder Löhne. Diese Betriebe betreiben Wertvernichtung und werden mit jedem Liter Milch, der produziert wird, ärmer, weil die Erlöse nicht einmal die Aufwendungen für die Vorleistungen abdecken.

Eine weitere Gruppe von Betrieben wird zumindest in der Lage sein, die variablen Kosten zu decken. Allerdings werden auch viele dieser Betriebe über das Mehrwertsteuermoratorium kaum in die Lage versetzt werden, Gewinne zu erwirtschaften. Erst eine dritte Gruppe, die 1998 Verluste knapp unter der Gewinnschwelle erzielte, könnte vom Steuermoratorium profitieren und evtl. langfristig wettbewerbsfähig werden, weil die notwendigen Investitionen vorgenommen und Produktivitätssteigerungen erzielt werden. Für diese Gruppe sowie für die schon jetzt profitablen Betriebe besteht die Chance, daß das Steuermoratorium den gewünschten Effekt erzielt.

3.4 Ein Beispiel aus der Bundesrepublik Deutschland

Ergebnisse aus Deutschland, wo seit 1973 in einem bundesweiten Programm Investitionen in der Rindviehhaltung mit Zuschüssen und Zinssubventionen gefördert werden, können für die Ukraine lehrreich sein. Wie beim Steuermoratorium in der Ukraine, ist es Ziel des deutschen Programms, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu steigern. Für ein Einzel-unternehmen werden hierfür bis zu 250.000 DM an Subventionen aufgewendet.

6 Verlusten in Höhe von 778 Mill. USD in der Tierproduktion stehen Gewinne von 76 Mill. USD in

der pflanzlichen Erzeugung gegenüber.

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Anders als in der Ukraine, wo mit dem Steuermoratorium nach dem Gießkannenprinzip verfahren wird, ist die Investitionsförderung in Deutschland jedoch auf eine ganz bestimmte Gruppe von Betrieben ausgerichtet, die der dritten oben beschriebenen Gruppe der ukrainischen Betriebe entspricht. Das sind solche Unternehmen, die zwar grundsätzlich das Potential haben, langfristig wettbewerbsfähig zu werden, dieses ohne staatliche Hilfe aber angeblich nicht schaffen können.

Um diese Betriebe zu identifizieren, wird in Deutschland ein sehr aufwendiges Auswahlverfahren angewandt. So müssen Buchführungsabschlüsse vorgelegt und ein Betriebsplan erstellt werden, anhand dessen die zukünftige Entwicklung des Betriebes abzulesen ist. Nur wenn erkenntlich wird, daß dieser wettbewerbsfähig werden kann, die Investition aber ohne staatliche Hilfe nicht zu bewerkstelligen ist, werden Subventionen gewährt. Nun sollte man erwarten, daß ein so detailliertes und teures Auswahlverfahren, daß ca. 20.000 DM pro Betrieb kostet, gewährleistet, daß die entwicklungsfähigen Unternehmen eindeutig identifiziert werden können. Die Realität aber sieht anders aus:

Eine Untersuchung von über 300 Förderfällen in Norddeutschland zeigt sehr ernüchternde Ergebnisse. In der Tabelle 2-1 wurden diese Betriebe anhand ihres Arbeitseinkommens pro Arbeitskraft, das sie vier Jahre nach Förderung erzielten, in vier Gruppen eingeteilt (die schlechtesten 25% der Betriebe wurden in Gruppe 1 gruppiert, die folgenden in Gruppe 2 usw.). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen sind bemerkenswert. Während die schlechtesten 25% durchschnittlich nur 12.192 DM erzielen, erwirtschafteten die besten fast 110.000 DM, obwohl das Arbeitseinkommen laut der vor der Subventionierung erstellten Betriebsentwicklungspläne in allen Gruppen zwischen 37.000 DM und 41.000 DM lag. Deutlicher läßt sich kaum darstellen, wie wenig es der Staat trotz seiner aufwendigen Auswahl vermocht hat, die entwicklungsfähigen von den nicht entwicklungsfähigen Betrieben zu trennen.

Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch beim Gewinn. Während der Gewinn laut Entwicklungsplan in allen Betrieben auf 75.000 DM bis 81.000 DM beziffert wurde, ergaben sich tatsächlich Unterschiede zwischen den Gruppen von 23.000 DM bis 120.000 DM. Rechnet man den Gewinn darüber hinaus auf die landwirtschaftliche Nutzfläche um (Gewinn pro ha), so schneiden die schlechtesten Betriebe mit nur 217 DM/ha sehr schlecht, die besten mit 1.532 DM/ha äußerst gut ab. Interessant aber ist, daß sich diese Ergebnisse nicht von dem unterscheiden, was der Durchschnitt aller deutschen Milchviehbetriebe erzielt. Hier schneiden die schlechtesten Betriebe mit 81 DM/ha ähnlich schlecht ab wie die geförderten Betriebe. Die besten Unternehmen erzielen mit 1.437 DM aber ebenso gute Ergebnisse wie die besten der geförderten Betriebe.

Welche Faktoren sind für die hohe Varianz der Betriebsergebnisse verantwortlich? In der Ukraine wird oft behauptet, daß vor allem die hohen Subventionen für die Profitabilität der Betriebe in der EU ausschlaggebend sind. Der Blick in die deutschen Betriebe kann diese Hypothese aber nicht stützen. So unterscheiden sich die Subventionswerte (Tabelle 2-1, Zeile 5) zwischen der ersten und vierten Gruppe kaum. Im Gegenteil, eine Korrelationsanalyse in der letzten Spalte der Tabelle zeigt sogar einen negativen, allerdings nicht signifikanten Zusammenhang. Es gibt somit keinen Einfluß der Höhe der Subvention auf den Betriebserfolg der landwirtschaftlichen Betriebe.

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Tabelle 2-1: Die Wirksamkeit der einzelbetrieblichen Investitionsförderung in Deutschland am Beispiel der Ergebnisse geförderter Betriebe in Schleswig-Holstein

Einteilung in Gruppen nach Arbeitseinkommen pro Arbeitskraft in DM

1. Gruppe 2. Gruppe 3. Gruppe 4. Gruppe Korrelat.- Anzahl der Betriebe 78 77 77 77 Koeffizient

Arbeitseinkommen/AK 12.192 39.571 61.064 109.415 1,0000* geplantes Einkommen 37.606 39.346 40.599 41.563 0,2465* geplanter Gewinn 74.262 76.422 77.402 81.248 0,1453* Gewinn im Zieljahr 23.389 62.273 90.647 122.514 0,7664* Gewinn/ha 217 641 947 1.532 0,8530* Eigenkapitalbildung/ha -466 6 394 547 0,4747* Subventionswert 71.872 88.447 73.078 76.363 -0,0434 Anzahl Milchkühe 44 45 50 51 0,1822* Fläche in ha 64,1 71,6 71,8 76,8 0,2446* Alter Betriebsleiter 43 43 39 37 -0,2531*

Hinweis: Die Berechnungen wurden anhand einer Stichprobe von 309 von 1988 bis 1990 geförderter Betriebe durchgeführt. Die Gruppen wurden mittels des Arbeitseinkommens/AK gebildet. Die Daten in den ersten vier Spalten spiegeln den Durchschnitt der entsprechenden Gruppe wider. In der letzten Spalte wurde die Korrelation der entsprechenden Größe zum Arbeitseinkommen errechnet. Der Korrelationskoeffizient ist bei Werten größer dem Betrag von 0,113 mit 5% Irrtumswahrscheinlichkeit signifikant. Die Markierung mit * weist auf eine signifikante Korrelation hin.

Quelle: STRIEWE et al. (1996), S.431.

Ausschlaggebend für das Betriebsergebnis scheint statt dessen die Faktorausstattung zu sein, hier vor allem die Fläche und die Anzahl der Kühe, und erstaunlicherweise das Alter des Betriebsleiters, daß mit einem Korrelationskoeffizienten von -0,25 den höchsten Erklärungsgehalt für die Unterschiede im Betriebsergebnis bietet. Je älter der Betriebsleiter ist, desto schlechter ist das Betriebsergebnis. Sicherlich zeichnen hierfür nicht vorrangig das bloße Alter, sondern in erster Linie die bessere Ausbildung und die Managementfähigkeiten verantwortlich, die ältere von jüngeren Betriebsleitern unterscheiden. Hätte man Kennzahlen, die die Managementqualitäten besser beschreiben, so würden sich - wie andere Untersuchungen zeigen – wahrscheinlich auch höhere Korrelationskoeffizienten errechnen.

3.5 Lehren für die Ukraine

Die Ergebnisse der Investitionsförderung in Deutschland sollten auch die Politiker in der Ukraine alarmieren. Obwohl das Programm auf entwicklungsfähige Betriebe zugeschnitten ist und obwohl eine Administration mit langer Erfahrung die Mittel für das Programm verwaltet, wird das Hauptziel, die deutschen Milchviehbetriebe wettbewerbsfähig zu machen, verfehlt. Welche Wirkungen sind vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen für das Steuermoratorium in der Ukraine zu erwarten, einer Subvention, bei der nicht einmal versucht wird, zwischen entwicklungsfähigen Betrieben einerseits und den nicht entwicklungsfähigen andererseits zu unterscheiden? Die Wahrscheinlichkeit für einen spürbaren Erfolg des

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Steuermoratoriums ist äußerst gering, die der Verschwendung von Steuergeldern aber sehr groß, was auch die Bewertung der Mehrwertsteuerbefreiung für tierische Produkte eines Experten aus dem Landwirtschaftsministerium bestätigt: „Die Subventionen bringen [für die landwirtschaftlichen Betriebe] keinerlei Vorteile. Statt zu wachsen sind die an die Ernährungsindustrie abgelieferten Mengen weiter zurückgegangen“ (BIZNES No. 49 1998).

Ähnlich negative Effekte lassen sich auch bei den vielen anderen Maßnahmen erwarten, die jeweils auf die Unterstützung bestimmter Bereiche der Agrarwirtschaft gerichtet sind. Hier sind beispielsweise die Streichung der Schulden von landwirtschaftlichen Betrieben und der Betriebe aus dem der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich zu nennen, die hohen Importsteuern auf Landmaschinen, die bis Mitte 1998 in Kraft waren, oder die Exporthemmnisse für viele tierische Produkte.

4 Der fehlende Zusammenhang zwischen Protektion, Investitionen, Arbeitsplätzen und Wachstum Wie plausibel sind die bisher abgeleiteten Argumente gegen eine Infant Industry

Politik wirklich? Kann durch entsprechende Modifizierungen nicht doch Wachstum angestoßen werden? Haben Länder wie Südkorea es nicht vorgemacht, wie durch konsequenten Schutz der einheimischen Autoindustrie Wachstum erzeugt werden kann? Ist das Plädoyer für freien Handel nicht eine Schutzbehauptung der westlichen Industrieländer, die ihre Produkte möglichst ohne Handelsschranken auf den Märkten der Ukraine und anderer Transformationsländer absetzen wollen? Eine Reihe von Untersuchungen der letzten 30 Jahre kann darüber Auskunft geben, ob Protektion und Subvention Wachstum haben anstoßen können und ob Länder mit protektionistischem Handelsregime tatsächlich schneller gewachsen sind.

4.1 Kann Protektion Wachstum induzieren?

Die Beantwortung der Frage nach den Gründen für das Wachstum einer Volkswirtschaft und den Ursachen für die Unterschiede in den Wachstumsraten zwischen verschiedenen Ländern ist seit jeher ein zentrales Anliegen von Politik und Ökonomie. Für die Ukraine ist die Lösung dieser Frage überlebenswichtig. Sie kann aus den Erfahrungen anderer Länder lernen, welche politischen Strategien erfolgreich waren und welche Ideen sich als falsch erwiesen haben.

Die klassische Theorie erklärt Wachstum vor allem durch die Faktorakkumulation, also die Investitionsquote in einer Gesellschaft. Empirische Studien haben allerdings schon in den 50er Jahren gezeigt, daß sich mittels der Kapitalakkumulationstheorie nur weniger als 15% der Unterschiede der Wachstumsraten zwischen einzelnen Ländern erklären lassen können (SOLOW 1957; ABRAMOWITZ 1956; KENDRICK 1961, zitiert in WEILER 1996, S.125 ff.). Dieser geringe Erklärungsgehalt hat die Suche nach weiteren wachstumsstimulierenden Faktoren angeregt. Vor allem in sogenannten Querschnittsanalysen zwischen verschiedenen Ländern wurde der Einfluß zusätzlicher Faktoren wie der Stand der Ausbildung, also das Humankapital, und die politische Stabilität untersucht. Doch auch hierdurch ließen sich nicht mehr als 50% der Unterschiede zwischen den Ländern erklären.

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Wie aber oben schon erläutert, kann vor allem über externe Effekte, die in bestimmten Firmen oder Branchen entstehen, Wachstum ausgelöst werden: Ansiedlungen von Pionierunternehmen lösen eine Reihe von Folgeansiedlungen aus, Know-how im Inland entsteht und bewirkt so Wachstum. Hierauf basierend argumentieren die Anhänger einer Infant Industry Politik nun, daß besonders durch den Schutz heimischer Schlüsselindustrien, also durch eine Politik des Protektionismus, Wachstum angestoßen werden kann. Die Verfechter des Freihandels betonen hingegen, daß die Lernprozesse bei freien Kaptial- und Güterbewegungen besonders groß sind und beispielsweise ausländische Direktinvestitionen gefördert werden, denen für die Entwicklung eines Landes über die beschriebenen Lerneffekte eine besonders große Bedeutung zukommt. Vor diesem Hintergrund ist es von großem Interesse, ob und welchen Einfluß das Außenhandelsregime auf ausländische Direktinvestitionen und allgemein auf Wachstum der Länder hat.

4.2 Kann Protektion ausländische Direktinvestitionen anziehen?

Diese Frage ist eindeutig zu bejahen, wie auch in Umfrageergebnissen aus Rußland bestätigt wird. Firmen sehen den Wunsch, Handelsbarrieren zu umgehen, für ihre Investi- tionsentscheidung als sehr wichtig an (FOSTER 1999, S.3). Fraglich ist allein, wie sinnvoll diese Politik ist, denn die damit verbundenen Kosten sind erheblich. So zeigt das Beispiel Daewoo, daß ausländische Investoren nur mit immensen Zugeständnissen hinsichtlich Steuerbefreiungen und Schutz vor ausländischer Konkurrenz in die Ukraine gelockt werden konnten. Es werden sowohl der Steuerzahler als auch die Bevölkerung zur Kasse gebeten, die für den Kauf von Gebrauchtwagen nun sehr viel höhere Preise zahlen muß. Darüber hinaus hat sich die Regierung einen Konflikt mit der EU eingehandelt, weil bestimmte Teile der mit der EU geschlossenen Abkommen verletzt wurden. Daß die Ukraine Investoren nur dann anzulocken vermag, wenn massive Zugeständnisse gemacht werden, zeigt aber auch ihre Versäumnisse. Weil den Investoren über die vielen Investitionshindernisse große Steine in den Weg gelegt werden, ist der Staat gezwungen, diese Versäumnisse mit Steuergeschenken und Importhemmnissen für die Konkurrenten der Investoren zu kompensieren. Handelsprotektion und Subventionen sind somit auch hier nur ein äußerst schlechter Ersatz für die unter dem Begriff strukturelle Reformen angesprochenen Änderungen in der ukrainischen Politik.7

4.3 Der Einfluß protektionistischer Politiken auf Wachstum

Welchen Einfluß hat das Außenhandelsregime nun auf das Wachstum eines Landes? Eine Reihe von Untersuchungen (dargestellt in Tabelle 2-2) zeigt hierfür ein recht eindeutiges Ergebnis. Die vier hier aufgezeigten und in den letzten 25 Jahren durchgeführten Studien kommen zu dem Ergebnis, daß Länder mit einem offenen Handelsregime und einer exportorientierten Politik höhere Wachstumsraten verwirklichen.

7 Ferner: Trotz aller Zugeständnisse wurde die Produktion bei Daewoo im Herbst 1998 für

unbefristete Zeit eingestellt.

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Tabelle 2-2: Die Ergebnisse ländervergleichender Studien über den Zusammenhang zwischen Außenhandelsregime und Wachstum

Autoren Institution Zeitraum Ergebnisse

DONGES (1976) IfW Kiel* 1940-75 Der Wechsel von der Importsubstitutionspolitik zu einem nach außen orientierten Handelsregime ist wachstumsfördernd.

KRUEGER (1978); BHAGWATI (1978)

NBER* 1950-72 Ein exportorientiertes Außenhandelsregime scheint Wachstum eher zu begünstigen als eine Importsubstitutionspolitik; empirische Untersuchung zeigt starke Korrelation zwischen der Höhe des Sozialprodukts und der Exportaktivität.

BALASSA et. al. (1982) Weltbank 1960-73 Starke Korrelation zwischen Exporten und wirtschaftlichem Wachstum durch Verbesserung der Anreizstruktur im Zuge des Abbaus protektionistischer Maßnahmen.

MICHAELY et. al. (1991) Weltbank 1960-86 Die zentrale Erkenntnis ist, daß Liberalisierung wirtschaftliches Wachstum beschleunigt.

Hinweis: * IfW Institut für Weltwirtschaft in Kiel; NBER National Bureau of Economic Research

Quelle: Eigene Darstellung nach WEILER (1996), S.137.

Besonders die Staaten, die eine Importsubstitutionspolitik verfolgen, also wie die Ukraine, versuchen, Importe durch heimische Produkte zu ersetzen, schneiden in diesem internationalen Vergleich schlechter ab, wie besonders die Studien des Kieler Instituts und des NATIONAL BUREAU OF ECONOMIC RESEARCH (NBER) betonen. Hierfür verantwortlich ist nach BALASSA (1982, zitiert in WEILER 1996) die schlechtere Ressourcenallokation gemäß der komparativen Handelsvorteile, die schlechtere Kapazitätsausnutzung und die fehlende Nutzung von Skaleneffekten.

In einer zweiten Gruppe von ökonometrischen Studien in Tabelle 2-3 wurde darüber hinaus versucht, in Länderquerschnittsregressionen mit Hilfe von Daten aus einer möglichst großen Gruppe von Ländern einen Zusammenhang zwischen Außenhandelsorientierung und Wachstum nachzuweisen. Als Index für die Außenhandelsorientierung verwenden BALASSA und MICHAELY z.B. die Exporte eines Landes und weisen nach, daß es einen positiven Zusammenhang zwischen Exporttätigkeit und Wachstum gibt. Auch die WELTBANK unternahm 1987 den Versuch, die positive Wirkung eines offenen Handelsregimes auf das Wirtschaftswachstum mit Hilfe eines Handelsorientierungsindexes nachzuweisen. Hier kommt man zu dem Ergebnis, daß die ökonomische Leistungsfähigkeit von Ländern mit offenem Handelsregime der mit einem restriktiven, d.h. Außenhandel behindernden, unterlegen sind.

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Tabelle 2-3: Die Ergebnisse ökonometrischer Studien über den Zusammenhang zwischen Exportorientierung und Wachstum

Autoren Institution Zeitraum Ergebnisse

MICHAELY (1977); BALASSA (1978)

Weltbank 1950-73 1960-73

Signifikanter Zusammenhang zwischen Exporttätigkeit und Wachstum.

FEDER (1982) Weltbank 1964-73 Exportorientierte Länder haben größeren Wachstumserfolg.

WORLD BANK (1987) Weltbank 1963-83 Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Ländern mit offenem Handelsregime ist in allen Belangen höher als die der Länder mit restriktiver Handelspolitik.

LEVINE & RENELT (1992) Weltbank 1960-89 Weisen darauf hin, daß ein starker Zusammenhang zwischen Exportorientierung und Wachstum besteht, weil exportorientierte Länder eine höhere Faktorakkumulation aufweisen.

SACHS & WARNER (1995) Harvard 1970-89 Stufen Länder in offen und weniger offen ein und kommen zu dem Schluß, daß als offen eingestufte Länder deutlich höhere Wachstumsraten aufweisen.

Quelle: Eigene Darstellung nach WEILER (1996), S.143.

Interessant sind aber besonders die Ergebnisse von LEVINE und RENELT (1992), die in ihrer Untersuchung grundsätzlich zum gleichen Ergebnis kommen, aber herausstreichen, daß die Ergebnisse nicht nur auf die Nutzung von komparativen Kostenvorteilen zurückzuführen sind, sondern besonders auf die vermehrte Akkumulation von Produktionsressourcen in Ländern mit offenem Handelsregime, einem Effekt, der von den Verfechtern von Protektion eigentlich der Infant Industry Politik zugeschrieben wird.

4.3.1 Kritik an den Untersuchungen

Natürlich sind die Ergebnisse dieser vielen Studien nicht ohne Kritik geblieben. Obwohl sie ausnahmslos nachweisen, daß Länder mit offenem Handelsregime höhere Wachstumsraten erzielen, bemängeln Kritiker, daß sie allein eine positive Korrelation, aber keine schlüssige Erklärung dafür gefunden hätten, warum die handelsorientierten Länder höhere Wachstumsraten erzielen. So bleiben die Autoren den letzten Nachweis schuldig, ob es nun die effizientere Allokation, steigende Skalenerträge oder die Diffusion von Wissen ist, die zu höheren Wachstumsraten führt.

Ebenso wurde die Klassifizierung und die Auswahl der Stichproben für die Studien kritisiert. Wie bei jeder Untersuchung unterliegen diese Parameter zumindest zum Teil dem Urteil des Forschers. Schließlich kann über die Auswahl der Stichproben von Ländern auch ein gewisser Einfluß auf das Ergebnis der Studien genommen werden. Bei all dieser berechtigten Kritik haben es die Verfechter einer protektionistischen Politik allerdings nicht vermocht, ihrerseits nachzuweisen, daß die Bedingungen für eine Infant Industry Politik in der Praxis gegeben sind und daß es einen Zusammenhang zwischen Protektion und Wachstum gibt. Im Gegenteil, gerade auch Untersuchungen auf Branchenebene haben den Nachweis

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nicht erbringen können, daß es einen positiven Zusammenhang von Protektion und Wachstum gibt. Eine Reihe von Untersuchungen soll deshalb hier vorgestellt werden.

4.3.2 Empirische Untersuchungen auf Branchenebene

Wie oben bereits dargestellt, gibt es einen zentralen Wirkungsmechanismus, der bei einer Infant Industry Politik postuliert wird. Danach sind die Kosten der inländischen Produktion anfänglich zwar höher als die der ausländischen Konkurrenten, diese können aber unter dem Schutz der Protektion oder Subvention schnell fallen und den Standard der ausländischen Konkurrenz erreichen. Möchte man nun untersuchen, ob der Schutz tatsächlich erfolgreich war, so ist es eine notwendige Bedingung, daß die Produktionskosten bzw. die Produktivität in der geschützten Industrie im Zeitablauf schneller fallen als in der nicht geschützten Industrie.

Wird diese Bedingung nicht erfüllt, so war die Infant Industry Politik nicht erfolgreich. Doch selbst dann, wenn sich in der geschützten Industrie größere Produktionssteigerungen haben verwirklichen lassen als in anderen Industrien, kann nicht automatisch auf den Erfolg der Politik geschlossen werden, wenn nicht bekannt ist, daß die gesamtwirtschaftlichen Kosten dieser Politik geringer waren als der Nutzen. Die Kostensenkung ist somit eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für einen erfolgreichen Infant Industry Schutz. Somit lassen sich für die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit des Infant Industry Schutzes vier verschieden Szenarien ableiten: 1. Klarer Mißerfolg: Der Schutz steigert die Produktivität nicht. 2. Mißerfolg: Der Schutz steigert die Produktivität, aber die Kosten sind größer als der Nutzen. 3. Ergebnis unklar: Der Schutz steigert die Produktivität, aber klare Aussagen über Kosten und Nutzen sind nicht zu treffen. 4. Klarer Erfolg: Die Produktivität wird gesteigert, und der Nutzen überwiegt die Kosten. Werden nun die verschiedenen Studien in dieses Schema aufgenommen, so ergibt sich das in 2-4 gezeichnete Bild.

KRUEGER und TUNCER untersuchten z.B. 1982 die verarbeitende Industrie in der Türkei zwischen 1963 und 1976 und kamen zu dem Ergebnis, daß die Produktivitätsfortschritte des verarbeitenden Sektors in der Türkei trotz Protektion mit 1,8% weit hinter den Produktivitätsschritten anderer Länder zurückbleibt, wo 3% bis 4% erzielt wurden. In einer weiteren Untersuchung dieser Autoren, in der der Produktivitätsfortschritt in vielen verschiedenen Branchen der Türkei untersucht wird, ergibt sich darüber hinaus ein äußerst uneinheitliches Bild. Es bestehen sowohl zwischen einzelnen Branchen als auch zwischen einzelnen Betrieben (vgl. hierzu die Erfahrungen mit der Investitionsförderung in Deutschland) große Unterschiede in der Produktivitätsentwicklung, wobei sich irgendein positiver Einfluß der Protektion oder Subvention und Produktivitätssteigerung nicht nachweisen läßt. In der Tabelle 2-4 ist für die Ergebnisse deshalb das Feld Mißerfolg und uneindeutig markiert.

Bemerkenswert ist, daß von allen in der Tabelle vorgestellten Studien nur zwei, die von HEAD 1994 und die von HEYWOOD 1981, zu dem eindeutigen Ergebnis kommen, daß sich die Infant Industry Politik gelohnt hat, obwohl auch hier der Nachweis fehlt, daß der Schutz die günstigste Option war. In einer weiteren Untersuchung von KEMAL wurde herausgestellt, daß die verarbeitende Industrie Pakistans durch die Tatsache, daß sie geschützt wurde, überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen erzielte und tatsächlich international wettbewerbsfähig wurde.

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Tabelle 2-4: Ergebnisse empirischer Untersuchungen auf Branchenebene

Autoren Land Branche Zeitraum 1 2 3 4 Ergebnis

KRUEGER & TUNCER (1982)

Türkei Industrie 1963-76 x Produktivitätsfortschritt von 1,8% gegenüber der nicht protektionierten Branche im Ausland von 3% bis 4%

KEMAL (1979) Pakistan Industrie 1959-69 x Protektion hat Wachstum begünstigt, keine Auskunft darüber, ob die Kosten größer als

der Nutzen waren

HEYWOOD (1981)

Frankreich Baumwolle

1793-1860 x Protektion erfolgreich, Nutzen größer als Kosten

WESTPHAL (1982)

Auswertung mehrerer Studien

x Kein klarer Zusammenhang, keine Erkenntnis, daß Nutzen größer als Kosten

BELL ET AL. (1982)

Thailand Stahlblech 1961-73 x Protektion hat Produktivitätswachstum behindert

BELL ET AL. (1984)

Auswertung mehrerer Studien x Kein Zusammenhang zwischen Protektion und Produktivitätswachstum

HOLDEN (1986) Südafrika Industrie 1976-84 x Negativer Zusammenhang zwischen Produktivitätswachstum und Protektion

NISHIMIZU & PAGE (1986)

Thailand Industrie 1963-76 x Kein Zusammenhang zwischen Protektion und Produktivitätswachstum

LUZIO & GREENSTEIN

(1993)

Brasilien Computer 1977-92 x Das Ziel der Regierung technische Autonomie zu erreichen wurde verfehlt,

Kosten in Höhe von 1/3 der Umsätze

HEAD (1994) USA Stahl 1867-1913 x Schutz der Stahlschienenproduktion in den USA war erfolgreich

Hinweis: 1. Klarer Mißerfolg; 2. Mißerfolg; 3. Uneindeutig; 4. Erfolg. Quelle: Eigene Darstellung nach WEILER (1996), S.166.

Alle anderen Untersuchungen aber können keinen positiven Zusammenhang zwischen Protektion und Produktivitätswachstum nachweisen. Im Gegenteil, BELL ET AL. zeigen, daß die Protektion zu einer langanhaltenden Stagnation geführt hat, weil Anreize zur Steigerung der Produktivität gefehlt haben. Und so kommen sowohl BELL als auch WESTPHAL und andere zu dem Ergebnis, daß in protektionierten wie in nicht geschützten Industrien die Variabilität in den Produktivitätsfortschritten sehr groß ist, aber daß nur sehr wenige durch eine Infant Industry Politik geschützte Industrien tatsächlich die Produktivitätsfortschritte haben erzielen können, die notwendig gewesen wären, um international wettbewerbsfähig zu werden. Die Ergebnisse der Studien zeigen zwar eindeutig, daß in wenigen Fällen auch unter Protektion die Steigerung der Produktivität möglich war, sich ein eindeutig positiver Einfluß aber in keiner Weise ableiten läßt. Somit ist die Infant Industry Politik grundsätzlich ungeeignet, die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche zu steigern, Wachstum anzustoßen und eine Volkswirtschaft tatsächlich wohlhabender zu machen.

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5 Ist der Staat zum Nichtstun verurteilt? Besonders die empirischen Ergebnisse stimmen wenig zuversichtlich, daß eine

klassische Infant Industry Politik über Handelsbeschränkungen oder Subventionen wie das Steuermoratorium die ukrainische Agrarwirtschaft wettbewerbsfähig machen kann. Und so drängt sich die Frage auf, was der Staat zu tun in der Lage ist?

Zu einer erfolgreichen Politik zählen natürlich die oft beschriebene Bereitstellung der Vertragssicherheit, Gerichtsbarkeit, Verläßlichkeit der Politik und andere mehr. Vor allem aber bei Marktversagen ist der Staat gefragt. Wenn beispielsweise der Mangel an technischen und organisatorischen Fähigkeiten ein Hindernis für die Entwicklung wettbewerbsfähiger Betriebe, weil es sich für die Unternehmen nicht lohnt, in die Ausbildung zu investieren, da die geschulten Arbeitnehmer wahrscheinlich abwandern würden, kann staatliches Eingreifen durchaus sinnvoll sein. Diese Problematik haben viele Länder erkannt. Es ist allerdings eine Frage der richtigen Maßnahmen, die darüber entscheidet, ob der Wirtschaft sinnvoll geholfen werden kann. So wäre es sicherlich falsch, den Mangel an Managementfähigkeiten der Betriebsleiter oder das Fehlen von in marktwirtschaftlichen Praktiken geschulten Mitarbeitern durch eine Erhöhung der Outputpreise oder durch ein Steuermoratorium zu kompensieren zu versuchen. Statt dessen sollte die Politik das Problem an der Wurzel angreifen, also dort, wo sich ein Marktversagen erkennen läßt. Priorität sollte deshalb beispielsweise die Verbesserung der Ausbildung der Menschen haben. Je direkter die Hilfe das eigentliche Problem löst, desto effizienter wird dieses auch beseitigt. Nur wenn die äußerst knappen Mittel der ukrainischen Volkswirtschaft wirklich dort eingesetzt werden, wo sie den höchsten Ertrag erzielen können, ist die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der staatlichen Intervention gegeben.

6 Literatur BALDWIN, R. E.(1969): The Case against Infant Industry Tariff Protection. In: Journal of

Political Economy, Vol. 77.

BIZNES No. 49 1998

CENTER FOR INTERNATIONAL ECONOMICS (1993): Let’s Talk Tariffs, Center for International Economics, Canberra.

CRANDALL, W., R. (1987): The Effects of US Trade Protection for Autos and Steel. In: Brookings Papers on Economic Activity, No. 1.

FOSTER, C. J. (1999): The Impact of FDI in the Upstream and Downstream Sectors on Investment in Agriculture in the NIS. In: OECD, Expert Meeting: Agricultural Finance and Credit Infrastructure in Transition Economies, Moscow, Russia.

GROS, D. und STEINHERR, A. (1999): Banking Reform in Eastern Europe with Special Reference to Ukraine. In: A. Siedenberg und L. Hoffmann (Hrsg.). Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective. Physica-Verlag, Heidelberg, 1999, S.213-216.

MÖLLERS, F. (1999): Development of the Ukrainian Financial Sector: Proposals for Banking, Pension and Capital Market Reform. In: A. Siedenberg und L. Hoffmann (Hrsg.). Ukraine at the Crossroads: Economic Reforms in International Perspective. Physica-Verlag, Heidelberg, 1999, S.217-239.

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STRIEWE, L.; LOY, J.-P. und KOESTER, U. (1996): Analyse und Beurteilung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung in Schleswig-Holstein. In: Agrarwirtschaft: Jg. 45, Heft 12, S.423-434.

UKRAINIAN NEWS AGENCY/BUSINESS WEEK No. 50, December 14-20, 1998.

WEILER, F. (1996): Das "Infant-Industry"-Argument für protektionistische Maßnahmen : theoretische Einordnung und wirtschaftspolitische Relevanz. Hochschulschriften Metropolis-Verlag, Marburg, Band 25.

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3 Wollen sie nicht, oder können sie nicht? Investoren und die Landwirtschaft der Ukraine

Stephan von Cramon-Taubadel, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung

In den regelmäßigen Gesprächen der Deutschen Beratergruppe mit Mitgliedern der ukrainischen Regierung einerseits und potentiellen bzw. aktuellen ausländischen Investoren andererseits zeigt sich immer wieder, daß die Meinungen über die Attraktivität des Standorts Ukraine für landwirtschaftliche Investitionen weit auseinander gehen. Während Vertreter der ukrainischen Regierung (und des Parlaments) behaupten, sie hätten die wesentlichen Elemente eines günstigen Klimas geschaffen, beschweren sich viele Investoren über Hindernisse, die ein sinnvolles Engagement - d.h. eine rentable Investition - unmöglich machen.

Welche Gruppe hat Recht, die Regierung oder die Investoren? Im folgenden wird eine Antwort auf diese Frage gegeben und zusammengefaßt die Meinung vertreten, daß beide Gruppen gewissermaßen Recht haben. Die Regierung der Ukraine hat in der Tat viele, aber leider nicht die richtigen Schritte unternommen, um Investoren in die Landwirtschaft der Ukraine zu locken. Investoren, die sich für die ukrainische Landwirtschaft interessieren, sind nach wie vor - trotz einladender Worte und einiger Bemühungen der Regierung – abgeschreckt. Sie ziehen es daher vor, ihre Ressourcen (Kapital, Technologie und Management-Fähigkeiten), die in der Ukraine so dringend benötigt werden, in anderen Ländern der Welt zu investieren. Denn eines darf in keiner Diskussion über Investitionen vergessen werden: Investoren denken in Alternativen. Die Ukraine ist nur eines von vielen Ländern, in denen investiert werden kann. Auf der bekannten Rangliste der Zeitschrift ‚Institutional Investor‘ (HANDELSBLATT 1999) wird die Ukraine zur Zeit von 136 Ländern auf Platz 112 geführt. D.h., nach Einschätzung von Investoren gibt es gegenwärtig 111 Länder, in denen eine Investition lohnender und sicherer als in der Ukraine erscheint.

2 Was bietet die ukrainische Landwirtschaft dem potentiellen Investor? Die ukrainische Landwirtschaft hat für Investoren viel zu bieten. Über das physische

Potential der ukrainischen Landwirtschaft (Fläche, Bodenqualität, Marktnähe) wird nach wie vor sehr viel gesprochen. Ca. 40% der Schwarzerdeböden der Welt liegen in der Ukraine. Dennoch mehren sich die Stimmen, daß das ständige Gerede über das Potential der ukrainische Landwirtschaft bisher eher negative Auswirkungen für die Entwicklung des Sektors hatte. Tatsächlich scheinen viele Ukrainer der Meinung zu sein, daß gute Böden allein schon eine profitable Landwirtschaft garantieren und daß ausländische Investoren aufgrund dieser Böden früher oder später in die Ukraine kommen müssen.

Beide Schlußfolgerungen sind falsch. Zum einen stellen gute Böden nur einen von vielen wichtigen Bestandteilen einer profitablen Landwirtschaft dar - mit der zunehmenden

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Modernisierung landwirtschaftlicher Produktionsprozesse sogar einen Bestandteil von abnehmender Bedeutung. Zum anderen darf nicht vergessen werden, daß Investoren stets Alternativen vergleichen. Die Ukraine hat zwar gute Böden, andere Länder aber haben andere Vorteile, die landwirtschaftliche Investitionen attraktiv machen, wie z.B. eine größere oder zahlungskräftigere Bevölkerung, regelmäßigere Niederschläge, eine bevorstehende EU-Mitgliedschaft usw. Und schließlich werden zunehmend Zweifel über die Qualität der ukrainischen Böden laut. Während diese Tag für Tag in Tischreden gelobt werden, leiden sie seit Jahren unter Mißwirtschaft. Die Folgen sind z.T. erschreckende Erosionsschäden und erheblich reduzierte Humus- und Nährstoffreserven.

Das Fazit? Die Ukraine hat ein großes - wenn auch in den letzten Jahren geschädigtes - physisches Potential in der Landwirtschaft. Dieses hat aber offensichtlich allein nicht gereicht, Investoren in des Land zu locken. Im Gegenteil, die Tatsache, daß Investitionen trotz des großen Potentials ausgeblieben sind, zeigt deutlich, daß das Investitionsklima in der ukrainischen Landwirtschaft zu wünschen übrig läßt.

3 Was bietet die ukrainische Regierung dem potentiellen Investor? Die ukrainische Regierung hat viele Maßnahmen zur Steigerung des ausländischen

Investitionsvolumens in der Landwirtschaft ergriffen. Es wurden Agenturen und Komitees gegründet, die Investoren bei der Suche nach geeigneten Partnern und mit der Beschaffung der notwendigen Zulassungen, Genehmigungen usw. helfen. Verschiedene internationale und bilaterale Räte und Kommissionen mit Mitgliedern aus Wirtschaft und Politik veranstalten seit Jahren Treffen, Symposien und Seminare, bei denen Investitionsvorhaben und -hemmnisse erörtert werden. Bis Anfang 1999 wurden Staatsgarantien in kumulierter Höhe von ca. 4,5 Mrd. DM vergeben, davon über die Hälfte für Investitionen in der Landwirtschaft und der Landmaschinenindustrie.1 Es wurden sechs Sonderwirtschaftszonen errichtet, in denen besondere Bedingungen für Investoren geschaffen wurden. In einigen Fällen (z.B. Daewoo) wurden sogar spezielle Gesetze verabschiedet, die günstige Konditionen für Investitionen (z.B. besondere Steuererleichterungen oder Schutz gegen Konkurrenten) schufen. In diesem Sinne lud der Vorsitzende des Agrarausschusses der Verchovna Rada, Herr Moroz, die Teilnehmer der Deutsch-Ukrainischen Kontaktbörse ‚Agrokontakte‘ im Oktober 1998 dazu ein, sich mit ihren Investitionsplänen direkt an seinen Ausschuß zu wenden, damit für jedes Investitionsvorhaben maßgeschneiderte gesetzliche Bedingungen geschaffen werden könnten.

Diese Bemühungen haben alle eines gemeinsam: Vom Investor wird erwartet, daß er eng mit Vertretern der ukrainischen Regierung – oft mit einzelnen Regierungsorganen oder gar Personen – zusammenarbeitet, um seine Pläne zu gestalten und umzusetzen. D.h., der Investor hat bei gegebener und allgemeingültiger Rechtslage nicht vornehmlich mit Partnern aus der Wirtschaft über die Gestaltung investitionsspezifischer Bedingungen zu verhandeln, sondern mit Vertretern verschiedener Regierungsorgane auf zentraler und lokaler Ebene.

1 Siehe das Papier der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung Nr.

M13: Ohne Staats-Moos... mehr los? Zur Debatte der Prüfung und Vergabe der Staatsgarantien.

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Diese Art und Weise der Anbahnung von Investitionsgeschäften hat entscheidende Nachteile für potentielle Investoren. Erstens, die entstehende Investition basiert nicht auf einer sicheren und allgemeingültigen Rechtslage, sondern hängt unmittelbar ab von spezifischen Vereinbarungen, oft von der Unterstützung einzelner Regierungsorgane oder -vertreter. Das mit der Investition verbundene Risiko wird hierdurch erhöht, weil damit gerechnet werden muß, daß eine spezielle Vereinbarung (z.B. eine firmen- oder branchenspezifische Steuererleichterung) leicht rückgängig gemacht werden kann. Zweitens öffnet diese Abhängigkeit von einzelnen Regierungsorganen bzw. -vertretern der Korruption Tür und Tor. Der Oblastvorsitzende z.B., der eine besondere Genehmigung erteilt hat und diese auch schnell wieder aufheben könnte, sitzt dem Investor gegenüber an einem langen Hebel.

In westlichen Marktwirtschaften werden Entscheidungen über ausländische Direktinvestitionen meistens zwischen privaten Unternehmen getroffen, ohne eine nennenswerte direkte Einflußnahme des Staates. Natürlich gibt es auch in diesen Ländern verschiedene Melde-, Genehmigungs- und Registrierungspflichten. Aber diese werden meistens nach allgemeingültigen Regeln gegenüber Beamten erfüllt, die ihre Entscheidungen nach öffentlich bekannten und transparenten Regeln innerhalb von vorgegebenen Fristen treffen und begründen müssen. In der deutschen Landwirtschaft finden fast täglich meist kleinere ausländische Investitionen statt (eine dänische Firma kauft eine deutsche Wurstfabrik, ein holländischer Bauer kauft einen Milchbetrieb in den neuen Bundesländern usw.), ohne daß hochrangige Regierungsvertreter auf Bundes- oder Länderebene überhaupt informiert werden, geschweige denn eine aktive Rolle bei der Vermittlung des Geschäftes spielen.

Die aktive ‚Betreuung‘ von Investitionen seitens der Regierung bedingt einen weiteren Nachteil. Politiker sind stets auf der Suche nach positiven Ereignissen, die sich öffentlichkeitswirksam darstellen lassen. Sie stehen in der Regel auch unter Zeitdruck. Daher werden sie sich eher um ein einzelnes zehn Mio.-DM-Investitionsvorhaben als um 20 Vorhaben á 500.000 DM bemühen können und wollen. Die Folge ist eine einseitige Bevorzugung von großen Einzelprojekten. Es werden Partner gesucht, die der Ukraine gleich eine gesamte Mähdrescherproduktion zur Verfügung stellen oder 100.000 ha. Zuckerrüben anbauen sollen, statt über kleine, realisierbare Projekte nachzudenken, wie z.B. die gemeinsame Produktion von Pflügen oder den Bezug und die Endmontage einiger Teile einer Kartoffelerntemaschine in der Ukraine. Zwischen Marktwirtschaften spielen aber gerade solche Kooperationen, die zunächst einen kleinen Umfang haben, eine tragende Rolle. Über kleinere Projekte, die Schritt für Schritt ausgebaut und vertieft werden, können individuelle Kontakte, Marktkenntnisse und vor allem Vertrauen entwickelt werden. Bei den ausländischen Firmen, die in der ukrainischen Landwirtschaft tätig werden wollen, handelt es sich mehrheitlich um kleine und mittelständische Unternehmen, die sich in kleinen Schritten vorantasten müssen, weil die starke Abhängigkeit von Großprojekten im Einzelfall den Fortbestand des Unternehmens gefährden würde. Während sich die Regierung der Ukraine seit Jahren um große prestigeträchtige Projekte gekümmert hat, sind kleinere Investitionsvorhaben, die sich in der Zwischenzeit zu beträchtlichen Größen hätten entwickeln können, durchs Netz gefallen.

Das Fazit? Nach der in der Ukraine herrschenden Vorstellung müssen Investitionen immer gleich in zweistelliger Millionenhöhe mit der aktiven Unterstützung von hochrangigen Regierungsvertretern verhandelt werden. Private Investoren ziehen es aber vor, auf der Basis

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von allgemeingültigen Rahmenbedingungen und ohne direkte Abhängigkeit von einzelnen Regierungsorganen oder -vertretern, überschaubare Projekte mit privaten Partnern schrittweise aufzubauen. Die Regierung der Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren sehr um Investoren bemüht. Diese Mühe hat aber wenig Wirkung gezeigt, weil nicht auf die eigentlichen Bedürfnisse von Investoren eingegangen wurde. Wenn ein potentieller Investor von der Regierung die Einladung bekommt, „lassen Sie uns Ihnen persönlich helfen, die gefährlichen Klippen einer Investition in der Ukraine zu umschiffen“, dann empfängt er eigentlich nur die Botschaft „hier gibt es nach wie vor gefährliche Klippen“.

4 Was wollen ausländische Investoren wirklich? Vieles ist geschrieben und gesagt worden über das, was Investoren wünschen und die

Hemmnisse, mit denen sie sich in der Ukraine konfrontiert sehen. Auch die Deutsche Beratergruppe hat sich bereits ausführlich zu diesem Thema geäußert.2 Die Landwirtschaft unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von anderen Sektoren; auch hier brauchen Investoren eine stabile und transparente Rechtslage, ein faires und stabiles Steuersystem, unabhängige und schnelle Gerichte usw. Tatsache ist, daß ausländische Investoren in der Ukraine nach wie vor unter im internationalen Vergleich widrigsten Umständen arbeiten müssen.

Instabile Rechtslage

Eine Firma investiert in einer Zuckerfabrik, um die effiziente Verarbeitung von importiertem Rohzucker zu ermöglichen. Nachdem die Investition getätigt wird, gelingt es der ukrainischen Zuckerlobby, eine drastische und rückwirkende Erhöhung des Importzolls für Rohzucker durchzusetzen. Die Folge: Der Investor erleidet Verluste und stellt sowohl die Produktion als auch weitere Investitionen ein. Die internationale Zuckerindustrie ist eine relative kleine Gemeinschaft, und so ist bald niemand mehr bereit, eine größere Investition in der Ukraine zu tätigen.

Korruption

Zollbeamte an der Grenze zu Polen weigern sich, eine Ladung Pflanzenschutzmittel abzufertigen, wenn sie nicht ca. 5.000 DM an inoffiziellen ‚Gebühren‘ bekommen. Dann ‚fehlt‘ ein Stempel und schon ist Wochenende, so daß alles bis Montag liegen bleibt. An zwei weiteren innerukrainischen Grenzen wird die Ladung von der Miliz aufgehalten und weiter verzögert. Schließlich kommt die Ladung mit fünf Tagen Verspätung an. In der modernen Landwirtschaft kommt es oft auf einzelne Tage - manchmal sogar Stunden - an; aufgrund der Verspätung ist die Wirksamkeit der Mittel stark reduziert, der Investor und sein ukrainischer Partner erleiden einen Verlust.

Vertragsbruch

Ein Investor liefert Inputs im Frühling und bekommt dafür Sonnenblumenkerne im Herbst. Er lagert die Kerne in einem staatlichen Elevator ein. Als er sie sieben Wochen später

2 Siehe das Papier der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regeirung Nr. I11:

Ausländische Direktinvestitionen in der Ukraine: Vom enttäuschenden Rinnsal zum reißenden Strom?

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abholen möchte, ist ein Viertel der Menge ‚verschwunden‘, die anderen drei Viertel von niedrigerer Qualität als eingeliefert wurde. Die Kerne werden auf 20 Eisenbahnwaggons aufgeladen; davon kommen nur 15 mit acht Tagen Verspätung am Hafen an, nachdem der Investor selbst Diesel für die Lok auftreiben mußte. Obwohl sich weder die Führung des Elevators noch die Zuständigen für den Eisenbahntransport an schriftliche Verträge gehalten haben, weiß der Investor aus Erfahrung, der Rechtsweg wird teuer, zeitaufwendig und schließlich ohne praktischen Erfolg bleiben.

Zwei weitere investitionshemmende Faktoren sind insbesondere für die ukrainische Landwirtschaft von Bedeutung. Zum einen ist das Fehlen eines Bodenmarktes zu nennen. Investoren wären viel eher bereit, in größere Anlagen (z.B. eine Ölmühle) zu investieren, wenn sie die Grundstücke, auf denen sich diese Anlagen befinden, auch kaufen könnten. Der ukrainische Bodenkodex sieht für solche Fälle nur die Verpachtung von Flächen an ausländische Investoren vor, was aber keine ausreichende Sicherheit für langfristige Investitionen bietet. Zum anderen ist das Gesetz Über Besonderheiten bei der Privatisierung im Agro-Industriellen Komplex zu nennen. Im Rahmen dieses Gesetzes können Investoren in der Regel höchstens 20-30% Anteile an zu privatisierenden Unternehmen erwerben. Trotzdem wird von ukrainischer Seite oft erwartet, daß diese Investoren gleich 100% der notwendigen Investitionen in diesen Unternehmen tätigen. Kein Investor ist bereit, in einem Unternehmen die Mehrheit des finanziellen Risikos zu übernehmen, wenn er bei Schlüsselentscheidungen über die Führung des Unternehmens nur ein Minderheitenvotum ausüben kann.

5 Was kann die Ukraine tun? Die Investoren haben das gewünschte Kapital, und sie haben die Wahl, wo sie

investieren. Wenn sie sich bisher mehrheitlich gegen die Ukraine entschieden haben, dann gibt es nur eine mögliche Schlußfolgerung: Trotz Bemühungen der Regierung sind die Investitionsbedingungen in der Ukraine vergleichsweise schlecht. Erst wenn die Regierung bereit ist, diese Sicht der Lage zu akzeptieren, macht es Sinn, über weitere Schritte nachzudenken. Die Ukraine kann sich als ‚mißverstandenes‘ Land zurückziehen und weiterhin behaupten, daß die Investoren der Welt sich mehrheitlich irren. Wenn aber die Ukraine den Zustrom an Investitionen erhöhen möchte, dann muß sie mit konkreten, bisher nicht erfolgten Schritten auf die Wünsche der Investoren eingehen.

Das Image der Ukraine als investitionsfreudiges Land muß verbessert werden. Hierzu könnte die Regierung mehrere Beiträge leisten. Zunächst könnte sie dazu beitragen, daß die Serie von negativen Signalen an potentielle Investoren gebrochen wird. In der Vergangenheit hat die Regierung immer wieder durch Maßnahmen wie die Exportverbote bzw. die Einschränkungen des kommerziellen Handels für Getreide denkbar schlechte Signale an Investoren gesendet. Selbst wenn diese Maßnahmen aus agrarpolitischen Gründen sinnvoll gewesen wären - was nach wie vor stark bezweifelt werden muß -, Investoren können sie nur als Beweis für die Unzuverlässigkeit der Ukraine verstehen. Die agrarpolitischen Entscheidungsträger in der Ukraine sollten sich gedanklich in die Position eines ausländischen Investors versetzen, der drei Jahre in Folge im Frühjahr eingeladen wurde, die ukrainische Landwirtschaft mit Inputs zu beliefern, um dann im Herbst mitgeteilt zu bekommen, daß er nur zum Teil, wenn überhaupt, bezahlt wird. Zur Zeit wird in Regierungskreisen wieder über die Einführung einer Exportsteuer für Sonnenblumenkerne

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nachgedacht. Die Einführung einer solchen Steuer würde ein weiteres negatives Signal an potentielle Investoren senden und stünde im direkten Widerspruch zur Ankündigung, man möchte die Investitionen ankurbeln.3

Ferner könnte die ukrainische Regierung dazu beitragen, daß auch Erfolgsberichte aus der ukrainischen Landwirtschaft im Ausland gemeldet werden. Bisher wird fast ausschließlich von Enttäuschungen berichtet, wenn sich Investoren aus der Agrarindustrie über Erfahrungen in der Ukraine austauschen. Das eine Unternehmen berichtet von Problemen mit dem Zoll. Das zweite beschwert sich über die jährlichen Einschränkungen des kommerziellen Handels mit Getreide. Das dritte berichtet, daß sein Joint Venture in der Ukraine in drei Wochen von der Steuerinspektion öfter besucht wurde, als das wesentlich größere Mutterhaus in Deutschland im ganzen Jahr 1998.

Wie könnte ein Erfolgsbericht aussehen? Zunächst ist klar, daß man klein anfangen muß. Es ist schlicht unrealistisch zu erwarten, daß Investoren nach ihren bisherigen Erfahrungen nun plötzlich mit zwei- bis dreistelligen Millionensummen in der Ukraine einsteigen werden, 100.000 ha bebauen oder eine ganze Fabrik sanieren. Das Vertrauen der Investoren in der Ukraine hat Schaden genommen in den letzten Jahren, und es gibt viele Alternativen zu einer Investition in der Ukraine. Um potentielle Investoren zurückgewinnen zu können, müßte die Regierung beweisen, daß sie imstande ist, bisher fehlende Rahmenbedingungen zumindest für ein kleines, überschaubares Pilotprojekt zu erstellen.4 Sollte das Pilotprojekt bereits 1999 erste Erfolge zeigen, dann könnte über die Übertragung des Konzepts auf größere Gebiete mit einem entsprechend größeren Engagement der Investoren nachgedacht werden.

Was wären die wichtigsten Elemente dieses Rezepts? Im Rahmen des Pilotprojektes würden sich ausländische Unternehmen bereit erklären, zusammen mit ukrainischen Partnerbetrieben in einigen genau definierten Regionen z.B. einige Tausend ha mit Getreide und Ölsaaten anzubauen oder in die Milchverarbeitung zu investieren. Im Gegenzug würde die ukrainische Regierung versichern:

• daß diese Unternehmen ohne jede Einschränkung über die mit den Partnern vertraglich vereinbarten produzierten Mengen (z.B. Getreide) verfügen könnten. D.h. die völlige Ausnahme von jedem staatlichen Eingriff im Exportgeschäft (Exportverbote, bzw. –beschränkungen wie z.B. Exportsteuer, Kautionen usw.), der im Laufe des Jahres eingeführt werden könnte (natürlich wäre es am besten, wenn mit der inzwischen 3-jährigen Tradition solcher Eingriffe diese 1999 endgültig unterbunden werden könnten);

3 Dieser Steuer hätte auch fatale Folgen für die landwirtschaftlichen Produzenten der Ukraine, da es

die Rentabilität einer der letzten profitablen Produktionsrichtungen reduzieren würde. Siehe hierzu Kapitel 9: Der Markt für Ölsaaten in der Ukraine: Die Fortsetzung bisheriger Erfolge?

4 Im Rahmen des TRANSFORM-Programms der deutschen Bundesregierung entwickelt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zusammen mit führenden deutschen Agribusiness-Unternehmen ein Konzept für ein solches Pilotprojekt. Siehe hierzu Teil IV: Ausblick - Das Engagement der Bundesregierung in der ukrainischen Landwirtschaft.

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• daß für die betroffenen Unternehmen stark vereinfachte Steuer- und Zollbestimmungen gelten. Z.B. könnte bestimmt werden, daß diese Unternehmen nur eine einheitliche Steuer auf sämtliche Umsätze zu entrichten haben und daß sie für sämtliche Importe einen festen, einheitlichen Zollsatz bezahlen müssen. Hierbei ginge es nicht darum, große Steuererleichterungen zu schaffen, sondern darum, realistische Belastungen mit einfach zu administrierenden Verfahren zu verknüpfen und

• daß sie sich für die unbürokratische Einhaltung dieser Verpflichtungen auf lokaler Ebene einsetzt. So müßte z.B. dafür gesorgt werden, daß Importe nach Eingang des zu zahlenden Zolls binnen 24 Stunden ohne Verzögerung freigegeben werden. Zöllner, die sich weigern, diese Bestimmungen zu befolgen, müßten mit sofortiger Wirkung suspendiert werden. Ähnliche Vorkehrungen müßten dafür sorgen, daß der freie Binnenverkehr innerhalb der Ukraine ohne Ausnahme gewährleistet wird (d.h. keine Behinderungen des Warenverkehrs an Oblastgrenzen) und daß die Befugnisse anderer Behörden wie z.B. die Rayon- und Oblastadministrationen, Steuer- und Zertifizierungsämter usw. auf ein vertretbares Maß reduziert werden.

Dieses Rezept ist nicht mit einer der gängigen Sonderwirtschaftszonen zu verwechseln. Im Rahmen des vorgesehenen Pilotprojektes würde die Regierung sich nicht noch stärker in der Planung von Investitionen engagieren.5 Statt dessen würde sie sich aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen, um eine kleine Insel der Marktwirtschaft in der Ukraine zu schaffen. Es würde funktionieren. Die Agrarproduktion, die Einkommen und die Steuerzahlungen in der betroffenen Region würden steigen. Nächstes Jahr würden sich weitere Regionen und Investoren für eine Ausdehnung des Projektes anbieten. Natürlich gäbe es auch Protest, vornehmlich von Individuen und Behörden, die zur Zeit - ohne zur Produktion beizutragen - an wichtigen Schnittstellen im Wirtschaftskreislauf sitzen und abschöpfen. Na und?

6 Literatur HANDELSBLATT (1999): Institutional-Investor-Rangliste, 19. März.

5 Die ukrainischen Sonderwirtschaftszonen haben Investitionen bisher wenig gefördert, weil sie

staatliche Intervention nicht reduzieren, sondern eher verstärken. So gesehen sind sie ein weiteres Beispiel für Bemühungen der Regierung, Investitionen zu fördern, die aber an den tatsächlichen Wünschen von Investoren vorbeizielen. Siehe hierzu das Papier der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung Nr. K26: Sonderwirtschaftszonen als Mittel der Investitionsförderung.

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4 Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU: Eine Option für die Ukraine?

Stephan von Cramon-Taubadel, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) wurde Ende der 50er Jahre durch den

Vertrag von Rom ins Leben gerufen und ab 1967 vollständig implementiert. Eine umfassende Erläuterung der GAP würde den Rahmen dieses Papiers aus zwei Gründen sprengen:

• Erstens ist die GAP eine sehr komplizierte Politik, die Hunderte von Regelungen zu beinahe allen Gebieten der landwirtschaftlichen Produktion und Verarbeitung umfaßt. Der sog. 'CAP-Monitor', ein von der Firma Agra Europe in London herausgegebenes Nachschlagewerk zur GAP,1 das sowohl bekannt als auch teuer ist, umfaßt über 600 Seiten!

• Zweitens ändert sich die GAP ständig. Große Reformen wurde 1984, 1989 und 1992 durchgeführt und die Diskussion um die weitreichendste Reform bisher, die sog. Agenda 2000, hält im Augenblick in der EU noch an.

Osteuropäische Staaten (die Ukraine eingeschlossen), die das Ziel eines EU-Beitritts verfolgen bzw. GAP-ähnliche Politikmaßnahmen einführen wollen, können wichtige Lehren aus der Tatsache ziehen, daß die GAP seit ihrer Gründung wiederholt reformiert werden mußte. Besonders interessant aus dieser Perspektive ist die Frage, warum die GAP so reformbedürftig war und ist. Ist es vielleicht möglich, daß die GAP deswegen ständig überarbeitet werden mußte, weil sie eine grundsätzliche Fehlplanung war? Und in welcher Richtung verändert sich die GAP? Die GAP stellt ein sich ‘bewegendes Ziel’ dar, und agrarpolitische Entscheidungsträger - z.B. in der Ukraine -, die dieses Ziel treffen wollen, müssen wissen, wohin sie sich bewegt. Diese Themen werden im vorliegenden Papier diskutiert.

2 Eine Kurzbeschreibung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik Im Rahmen der GAP werden zwei Arten von Politikmaßnahmen angewandt: Markt-

intervention und Strukturförderung. 1997 betrugen die Gesamtausgaben der EU für die GAP 45,6 Mrd. ECU (das sind 55% des Gesamthaushalts der EU von 82,4 Mrd. ECU). 88% hiervon wurden im weiteren Sinn für Marktinterventionsmaßnahmen ausgegeben.2

1 AGRA EUROPE (wird laufend erneuert): CAP-Monitor. London. 2 Vgl. BMELF (1998), Agrarbericht. Bonn.

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Die Marktintervention im Rahmen der GAP basiert im allgemeinen auf dem folgenden Preisstützungsmechanismus (s. Abbildung 4-1):3

Jedes Jahr legt der Ministerrat, der sich aus den 15 Agrarministern der EU-Mitgliedsländern zusammensetzt, einen Zielpreis für das betreffende Produkt fest. Der Zielpreis stellt die Obergrenze für die Preise innerhalb der EU dar und ist im allgemeinen signifikant höher als der Weltmarktpreis. Um Billigimporte, die den Zielpreis unterbieten würden, zu unterbinden, wird auf alle Importe eine Abgabe in Höhe der Differenz zwischen dem Weltmarkt- und dem Zielpreis erhoben. Diese sog. variable Abschöpfung (variabel, weil es je nach Abstand zwischen dem sich ändernden Weltmarktpreis und dem konstanten Zielpreisniveau fluktuiert) stellt sicher, daß Importe auf dem Binnenmarkt der EU nur wettbewerbsfähig sind, wenn der Binnenmarktpreis in der EU mindestens so hoch wie der Zielpreis ist.

Natürlich funktioniert dieser Preisstützungsmechanismus nur, solange sich die EU in der Position des Nettoimporteurs für das betreffende Produkt befindet. Ist die EU dagegen Nettoexporteur, so haben die Importabgaben keine Auswirkungen auf den Binnenpreis, der dann in Richtung des Weltmarktpreises abfällt. Um dieser Möglichkeit Rechnung zu tragen, wird vom Ministerrat der sog. Interventionspreis festgelegt, der für die landwirtschaftlichen Produzenten eine Preisgarantie, eine Preisuntergrenze darstellt. Offizielle Interventionsstellen in jedem der Mitgliedsländer sind dazu verpflichtet, jede angebotene Menge des betreffenden Produktes zum Interventionspreis aufzukaufen - vorausgesetzt, daß die Ware den vorgeschriebenen Qualitätsstandards entspricht und bestimmte administrativen Einschränkungen eingehalten werden. Diese physische Intervention verhindert ein Absinken der Binnenmarktpreise unter das Interventionspreisniveau. Sofern ihre Lagerkapazitäten erschöpft sind, müssen die Interventionsstellen natürlich ihre aufgekaufte Menge exportieren. Diese Exporte führen zu hohen Verlusten im EU-Haushalt, denn die zum Interventionspreis aufgekauften Mengen können lediglich zum weitaus niedrigeren Weltmarktpreis abgesetzt werden.

Abbildung 4-1: Die Grundzüge des GAP-Marktinterventionssystems

3 Die folgende Beschreibung ist stark vereinfacht. Für die meisten Agrarprodukte gibt es eine

spezielle Markt-intervention, die auf das im folgenden beschriebene Schema aufbaut, aber auch viele produktspezifische Regelungen und Ergänzungen vorsieht.

Weltmarktpreis

Zielpreis Interventionspreis

VariableAbschöpfung Export-

subvention

Importsituation Exportsituation

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Quelle: Eigene Darstellung

Andererseits kann die EU auch Exportsubventionen anwenden, um das Preisniveau auf dem Binnenmarkt über dem Interventionspreis zu halten. Private Händler erhalten pro exportierte Tonne eine Subvention in Höhe der Differenz zwischen Interventions- und Weltmarktpreis. Ohne diese Subvention würde kein Händler Produkte aus der EU exportieren, denn ein solcher Export würde bedeuten, die Produkte zu einem hohen Preis (zum Interventionspreis) zu kaufen und zu einem niedrigen Preis (zum Weltmarktpreis) zu verkaufen. Mit Hilfe der Exportsubventionen werden die Händler in Höhe der Differenz von Inlandspreis und Weltmarktpreis entschädigt. Die Auswirkungen auf das Budget der EU bleiben dieselben wie im oben beschriebenen Fall der Interventionskäufe; der Haushalt muß für jede exportierte Tonne Verluste hinnehmen, die eben dieser Differenz zwischen Interventionspreis und Weltmarktpreis entsprechen.

3 Historische Entwicklung Als die GAP in den 50er und 60er entworfen und implementiert wurde, war die EU bei

den maßgeblichen landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Getreide und Fleisch noch Nettoimporteur. Folglich hat man sich bei der Ausgestaltung der oben beschriebenen Preisstützungsmaßnahmen vor allem Gedanken über die Importsituation gemacht und nur wenig an die Auswirkungen einer Exportsituation gedacht. Im Falle einer Importsituation führen variable Abschöpfungen zu Einnahmen für den EU-Haushalt. Deshalb gab es hier zunächst kaum finanziellen Druck für Reformen. Aber selbst wenn das Budget und damit die Steuerzahler nicht belastet wurden, so mußten doch die Verbraucher höhere Lebensmittelpreise zahlen, als dieses ohne Preisstützung der Fall gewesen wäre (da der Binnenmarktpreis deutlich über dem niedrigen Weltmarktpreis lag). Hieraus erwuchsen (und erwachsen) beunruhigende soziale Konsequenzen, da die Preisstützungsmaßnahmen v.a. die belasten, die einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben (die ärmere Bevölkerungsschichten), und weniger die, die einen relativ kleinen Anteil für Lebensmittel ausgeben (die reicheren Schichten). Von Ökonomen wird eine solche Besteuerung ‘regressiv’ genannt.

Im Laufe der Zeit führte die hohe Preisstützung der GAP zu signifikanten Produktionszuwächsen, und bis Mitte bzw. Ende der 70er Jahre hatte sich die EU zum Nettoexporteur für die wichtigsten Agrargüter entwickelt. Nicht nur die Konsumenten wurden durch die GAP aufgrund der höheren Lebensmittelpreise finanziell stark belastet, auch für die Steuerzahler wurde die GAP aufgrund der nun notwendigen Exportsubventionsausgaben zunehmend teurer. Außerdem stand die GAP im Mittelpunkt vieler Konflikte mit den Handelspartnern der EU: Führende Agrarexporteure - wie die USA, Kanada und Argentinien - warfen der EU vor, mit Exportsubventionen ihre Überschußproduktion auf den Weltmärkten zu 'dumpen' und damit zu einem allgemeinen Absinken der Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse beizutragen.

Diese zwei Faktoren - explodierende Budgetkosten einerseits und die wachsende Unzufriedenheit der Handelspartner andererseits - sind die maßgeblichen Ursachen dafür, daß die GAP sich seit über zwei Jahrzehnten von einer Krise in die nächste bewegt. Dieser

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anhaltenden Krisenzustand brachte die Politiker dazu, eine Reform nach der anderen zu erlassen. 1984 wurde beispielsweise die Milchquote eingeführt, ein Versuch, die Milchüberschüsse zu beschränken und damit die Exportsubventionsausgaben für Milchprodukte abzubauen. Aber keine dieser Reformen war von Erfolg gekrönt, da sowohl die budgetären Ausgaben als auch die Auseinandersetzungen mit den Handelspartnern noch weiter zunahmen. Zu Beginn der 90er Jahre drohten Konflikte über die GAP ein erfolgreiches Abschließen der Uruguay-Runde der GATT Verhandlungen (heute WTO) zu verhindern. Auch die Budgetbelastung durch die GAP wuchs weiterhin stark an.

Dieses führte 1992 zur sog. MacSharry Reform (benannt nach dem damaligen Agrarkommissar der EU). Diese Reform hatte gewichtige Folgen für die Preisstützungssysteme für Getreide und Rindfleisch. Interventionspreise wurden um bis zu 30% in drei Jahren gesenkt, was dazu führte, daß die Binnenmarktpreise für Getreide fast auf Weltmarktniveau fielen und die Preisstützungen für Getreide stark reduziert wurden. Als Entschädigung wurden den Getreideproduzenten direkte Einkommenstransfers in Form von festen Prämien pro Hektar gewährt. Diese Zahlungen variieren je nach Ertragspotential von Region zu Region; Landwirte in Deutschland z.B. erhalten im Durchschnitt rund 600 DM/Hektar und Jahr. Als Gegenleistung mußten sie in den vergangenen Jahren einen bestimmten Anteil ihrer Ackerfläche (dieser variierte zwischen 5% und 12%) brach liegen lassen (sog. Flächenstillegung).

4 Weitere Entwicklungen Mit der MacSharry Reform gaben die agrarpolitischen Entscheidungsträger in der EU

indirekt zu, daß die GAP grundsätzlich fehlerhaft war und einer immensen Veränderung bedarf. Ökonomen argumentieren deshalb, daß Preisstützungsmaßnahmen verglichen mit direkten Einkommenstransfers4 eine sehr ineffiziente Form der Einkommensunterstützung sind. Die MacSharry Reform war aber nur der Beginn eines unumkehrbaren Prozesses. Obwohl die Spannungen zwischen der EU und ihren Handelspartnern z.T. abgebaut werden konnten, lassen abzusehende zukünftige Entwicklungen weitere Reformen in dieselbe Richtung sehr wahrscheinlich erscheinen.

• Erstens hat die MacSharry Reform nicht alle Problembereiche tangiert, vor allem nicht die, die mit den Marktordnungen für Milch und Zucker verbunden sind. Im Rahmen der neuesten Reformpläne - der sog. Agenda 2000 - ist ein weiterer Abbau der Preisstützung insbesondere für Milch, Getreide und Rindfleisch beschlossen worden.

• Zweitens hat die EU Verhandlungen mit fünf osteuropäischen Beitrittskandidaten begonnen. Diese Länder (Estland, die Tschechische Republik, Ungarn, Polen und Slowenien) besitzen ein bedeutendes landwirtschaftliches Potential. Sollte das aktuelle Preisniveau, das durch die GAP garantiert wird, von diesen Ländern übernommen werden, so würde deren Produktion sicherlich in Kürze in die Höhe schnellen. Die Folgen wären eine erneute massive Belastung des EU-Haushalts sowie ein Aufflammen der alten Konflikte mit den Handelspartnern. Deshalb erscheint eine

4 Das Thema Preisstützung vs. direkte Zahlungen wird in Kapitel 1 eingehend diskutiert:

Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun?

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weitere Liberalisierung der GAP vor dem vollständigen Beitritt dieser Staaten unausweichlich.

• Schließlich steht 1999 der Anfang einer weiteren Verhandlungsrunde der WTO an. Die Handelspartner der EU werden nochmals ihren Druck hinsichtlich einer Reform der GAP erhöhen. Denn diese Länder, wie Kanada und die USA, haben ihrerseits ihre Agrarpolitik in den letzten Jahre stärker liberalisiert und erwarten deshalb von der EU ähnliche Schritte.

5 Übertragbarkeit auf die Ukraine Aus ukrainischer Perspektive mag die GAP zunächst höchst erfolgreich erscheinen

und deshalb auf die Ukraine übertragbar sein. Die Betriebe in der EU sind mit moderner Technik bestens ausgestattet und können im Durchschnitt weitaus höhere Erträge aufweisen, als dies z.Zt. in der Ukraine in der Fall ist. Dennoch ist das äußere Erscheinungsbild irreführend.

Zunächst würde eine GAP-ähnliche Politik für die Ukraine unerschwinglich sein. Man sollte sich wieder ins Gedächtnis rufen, daß die GAP ursprünglich für eine Importsituation ausgerichtet wurde. Deshalb wäre es seinen Architekten vielleicht zu verzeihen, daß sie die immensen Kosten der GAP im Falle einer Exportsituation zunächst unbeachtet ließen. Es ist aber offensichtlich, daß sich die Ukraine von Anfang an in einer Exportsituation befinden würde, und damit ist auch klar, daß eine GAP-ähnliche Politik von Anfang an viel zu budget-aufwendig für die Ukraine wäre. Die ukrainische Regierung kann eine solche Politik schlicht und einfach nicht finanzieren.

Im Grunde kann dies sogar als Glück im Unglück betrachtet werden. Denn, selbst wenn man sich eine solche Agrarpolitik leisten könnte, wäre dieses eine schlechte Politik für die Ukraine:

• Wie oben erläutert belastet die GAP nicht nur die Steuerzahler, sondern läßt auch die Lebensmittelpreise für Konsumenten ganz erheblich ansteigen. Schätzungen der OECD zufolge mußten EU-Verbraucher 1995 beinahe 53 Mrd. USD mehr für Lebensmittel ausgeben, als dieses ohne GAP der Fall gewesen wäre. Das entspricht rund 140 USD pro Kopf und Jahr bzw. 570 USD für einen 4-Personen-Haushalt in der EU. Befürworter der GAP argumentieren oftmals, daß die Verbraucher in der EU wohlhabend genug seien, um sich höhere Lebensmittelpreise leisten zu können. Dieses ist im Falle der EU evtl. strittig, aber im Falle der Ukraine ganz und gar nicht zutreffend. Viele Menschen in der Ukraine müssen unter zunehmend ärmlichen Bedingungen leben, und selbst eine Preiserhöhung für Lebensmittel von 10% oder 20% würde den Lebensstandard für viele drastisch sinken lassen.

• Außerdem verursacht die komplexe Verwaltung der GAP eine erhebliche Verschwendung und schafft ein großes Betrugspotential. Bei einer Inspektion stießen vor einigen Jahren Vertreter des Europäischen Rechnungshofs auf ein Schiff im Hamburger Hafen, das an einem Ende mit Getreide beladen, gleichzeitig am anderen Ende aber wieder entladen wurde. Ein Händler hatte eine Gesetzeslücke in den Bestimmungen ausgemacht, die ihm für dieses vollkommen sinnlose und verschwenderische Be- und Entladen Subventionszahlungen der EU einbrachte.

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Unzählige solcher und ähnlicher Geschichten könnten hier aufgeführt werden; der Punkt ist - und das ist sicherlich nicht neu für die Ukraine - daß komplexe staatliche Interventionen den besten Nährboden für verschwenderische und kriminelle Aktivitäten bieten.

Nicht nur in der EU haben agrarpolitische Entscheidungsträger begriffen, daß Preisstützungsmaßnahmen kostenintensiv und verschwenderisch sind. Überall auf der Welt, in fast allen wichtigen Agrarländern, beginnt man langsam aber sicher, diese Maßnahmen abzubauen.5 1984 hat beispielsweise Neuseeland seine Agrarpolitik vollständig liberalisiert. Im Jahre 1996 ist in den USA ein neues agrarpolitisches Konzept erlassen worden, das die staatliche Intervention im Getreidesektor erheblich reduziert. Eine Liberalisierung der Agrarpolitik wird sogar in der Schweiz - einem der reichsten Länder der Welt mit einer der höchsten Protektionsraten für Agrarprodukte - durchgeführt. Die internationalen Bestimmungen, die die nationale Agrarpolitik regeln, wurden aufgrund der im Jahre 1994 abgeschlossenen Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen erheblich verschärft, und die anstehende WTO Runde läßt eine weitere Verschärfung erwarten. Sollte die Ukraine also ernsthaft über eine Mitgliedschaft in der WTO nachdenken, dann ist eine protektionistische Agrarpolitik alter Prägung keine tragbare Option.

6 Schlußfolgerungen Die GAP war von Beginn an grundsätzlich fehlkonzipiert und hat sich infolgedessen

während ihrer rund 30jährigen Geschichte von einer Krise zur anderen gehangelt. Die Grundstruktur der GAP hat sich allerdings in den letzten Jahren mit der Zurücknahme der Intensität staatlicher Intervention maßgeblich geändert, wobei weitere marktwirtschaftliche Reformen in der nahen Zukunft zu erwarten sind.

Die EU ist vergleichsweise reich und ihre Landwirtschaft in vielen Regionen starken naturbedingten Nachteilen ausgesetzt. Folglich ist es eventuell verständlich, daß sich Politiker in der EU verpflichtet fühlten, diese Nachteile mit einer Interventions- und Protektionspolitik für die Landwirtschaft auszugleichen. Die Verhältnisse in der Ukraine stellen sich allerdings genau anders herum dar: Die Ukraine ist relativ arm, und die Landwirtschaft wurde mit einem immensen naturbedingten Potential gesegnet. Aus diesem Grund besteht keine Notwendigkeit für eine GAP-ähnliche Politik in der Ukraine, selbst wenn man sich eine solche Politik leisten könnte. Ukrainische Agrarpolitiker wären sehr schlecht beraten, wenn sie die extrem kostenintensiven Fehler der EU Agrarpolitiker aus der Vergangenheit wiederholen würden. Die ukrainische Landwirtschaft benötigt keine Versprechen der Regierung über eine staatliche Unterstützung, die sie sowieso niemals bezahlen könnte, sondern muß zunächst einmal von den vielen Hindernissen befreit werden, die die ukrainische Agrarpolitik ihr seit der Unabhängigkeit in den Weg gelegt hat. Es macht wenig Sinn, über die Betätigung des Gaspedals der staatlichen Unterstützung der Landwirtschaft nachzudenken, solange der Staat immer noch mit einen Fuß fest auf der Bremse steht.

5 Siehe Box 1-8 in Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat

tun?

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7 Literatur AGRA EUROPE (wird laufend erneuert): CAP-Monitor. London.

BMELF (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), (1998): Agrarbericht der Bundesregierung, Bonn.

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5 Erfahrungen der Transformation des Agrar- und Verarbeitungssektors der ehemaligen DDR: Lehren für die Ukraine

Holger Thiele, Institut für Agrarpolitik und Marktforschung, Universität Gießen.

1 Einleitung Der Agrarsektor der ehemaligen DDR hat im Gegensatz zum Industriesektor zur

Erhöhung der Bruttowertschöpfung während der Transformation beigetragen. Demgegenüber erzielt der Verarbeitungssektor (Schlacht- und Molkereibetriebe) nach wie vor negative Renditen. Ziel dieses Beitrags ist es, den politischen Entscheidungsträgern in der Ukraine durch die Erfahrungen mit der Transformation der Landwirtschaft in der ehemaligen DDR Hinweise für die eigene Politikausgestaltung zu geben. So zeigte sich im Transformationsprozeß der ehemaligen DDR, daß die Auswirkungen von Politikmaßnahmen wie z.B. die Vorgaben der Vermögens- und Schuldenbewertungen der Kollektivunternehmen und die Investitionsförderungen fehlerhaft eingeschätzt wurden, demgegenüber die Bedeutung funktionierender Pachtmärkte für Boden weitgehend richtig eingeschätzt wurde. Aus den aus gesamtwirtschaftlicher Sicht fehlerhaften Politikentscheidungen einerseits und richtigen bzw. korrigierten andererseits, kann die Ukraine Lehren ziehen.

2 Warum die Ukraine aus der DDR-Transformation lernen kann? Die Ukraine ist im Umstrukturierungsprozeß nicht so weit fortgeschritten wie die

ehemalige DDR. So steht die eigentliche Dekollektivierung der landwirtschaftlichen Großunternehmen noch bevor. Diese ist in der ehemaligen DDR bereits abgeschlossen, ohne daß es zum Zusammenbruch der Großbetriebe kam. Die Möglichkeit für die Ukraine, hieraus Lehren zu ziehen, ist jedoch eingeschränkt, da der Agrarsektor der neuen Bundesländer einige Besonderheiten aufweist, die nicht mit der Ukraine vergleichbar sind. Wesentliche Politikfelder sind jedoch sehr ähnlich, so daß direkte Übertragungen möglich sind. Zu diesen Politikbereichen gehören die Bewertung und Aufteilung des Vermögens und der Schulden der ehemaligen sozialistischen Kollektivbetriebe, die Liberalisierung des Bodenmarktes und die Investitionsförderung.

Die wesentliche Besonderheit des Agrarsektors der neuen Bundesländer besteht in dem extrem hohen Anpassungsdruck, dem die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGen) unmittelbar nach der Wende 1990 ausgesetzt waren. Durch Preissenkungen von bis zu 80% und Lohnsteigerungen von bis zu 200% lag der Anpassungsdruck um ein Vielfaches über dem anderer Länder. Dennoch brach die Agrarproduktion, wie Abbildung 5-1 verdeutlicht, nicht ein, wie beispielsweise in der Ukraine gegenwärtig zu beobachten ist. Statt dessen konnte das Ausgangsniveau selbst in den ersten Jahren der Transformation gehalten werden.

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Abbildung 5-1: Bruttowertschöpfung der Agrar- und Industrieproduktion in der ehemaligen DDR von 1989 bis 1996 (in Preisen von 1991, 1989=100)

0

20

40

60

80

100

120

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996

Jahr

Bru

ttow

erts

chцp

fung

(198

9=10

0)

Industrieproduktion Agrarproduktion

Quelle: KOESTER & BROOKS, 1997; THIELE, 1998, S.35.

Ein Grund für die Aufrechterhaltung des Niveaus der Agrarproduktion in den neuen Bundesländern im Vergleich zu anderen Transformationsländern bestand darin, daß erhebliche Anpassungen innerhalb des Sektors stattfanden. Welche Politikmaßnahmen im wesentlichen diese Anpassungsprozesse erleichterten, welche sie behinderten und welche Erfahrungen daraus abzuleiten sind, wird im folgenden dargestellt.

3 Erfahrungen aus den Rahmenbedingungen für den Agrarsektor Die Berliner Mauer zwischen der Bundesrepublik und der DDR fiel am 9. November

1989. Obwohl befürchtet wurde, daß soziale Probleme entstehen, wenn eine schnelle Transformationsstrategie gewählt wird (SINN & SINN 1992, S.150ff.), entschied man sich für die Einführung von Politikmaßnahmen, die zur schnellen Transformation führen sollten. Die Dimension des Anpassungsdrucks, welcher im wesentlichen durch Produktpreissenkungen und Faktorpreissteigerungen - mit anderen Worten, eine enorme Verschlechterung der landwirtschaftlichen Austauschverhältnisse – verursacht worden war, wurde bisher in keinem westlichen Agrarsektor beobachtet. Um den Anpassungsdruck abzufedern, wurden Maßnahmen ergriffen, die soziale Härten milderten und somit die Anpassungsfähigkeit der Betriebe erhöhten.

3.1 Vorteile durch marktwirtschaftliche Ordnungs- und Außenhandelspolitik

Bereits acht Monate nach dem Fall der Mauer wurde am 1. Juli 1990 die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland

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gegründet. Zu den wichtigsten neuen Rahmenbedingungen für die landwirtschaftlichen Großbetriebe der DDR gehörte der neugeschaffene institutionelle Rahmen für eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung. Hierzu zählte die Neugestaltung der Gesetzgebung, die Einklagbarkeit und Überprüfbarkeit von Vertragsbeziehungen und die Etablierung einer Eigentumsordnung. Besonders wichtig war weiterhin der Abbau der alten Außenhandelsbeschränkungen im Jahr 1990. Schon kurze Zeit später waren importierte ertragssteigernde Inputs mit höherer Qualität sowie eine neue Agrartechnik verfügbar. Das ermöglichte bereits nach drei Jahren erste Produktionssteigerungen, z.B. 34% bei Weizen und 79% bei Zuckerrüben.

3.2 Nachteile für den Agrarsektor durch Überbewertung der Währung

Von der Einführung der DM im Zuge der Wirtschafts- und Währungsunion am 1.7.1990 ging ein in der westlichen Welt bisher unbekannter Anpassungsdruck für landwirtschaftliche Betriebe aus. Dieser Druck für die LPG-Nachfolgeunternehmen war die Folge der Überbewertung des Wechselkurses. So fixierten politische Entscheidungsträger den Wechselkurs Ostmark zur DM auf 1:1, womit man weder die allgemeine Kaufkraftparität noch die Schwarzmarktkurse zugrunde gelegt hatte. Dies hatte zur Folge, daß die Ostmark der DDR vierfach überbewertet wurde (DIW 1990). Aufgrund dieser Maßnahme sanken im Juli 1990 die Preise für Exportgüter um 77%. Insbesondere die Landwirtschaft wurde dadurch belastet, da der Agrarsektor zu den Sektoren zählt, die größtenteils handelbare Güter produzieren. So erfolgte eine drastische Preissenkung für Agrarprodukte (der sogenannte ‘Preisbruch’) in einer Spannbreite von 38% bei Zuckerrüben bis zu 77% bei Geflügelfleisch. Durch die Wechselkursfestlegung stiegen gleichzeitig die Reallöhne auf mehr als das Vierfache (THIELE 1998, S.22).

3.3 Der Agrarsektor profitierte von Sozialprogrammen

Insbesondere die umfangreichen Sozialprogramme haben die Anpassungsfähigkeit der Betriebe erhöht. Durch Zahlungen im Rahmen von Umschulungsmaßnahmen, Vorruhestandsregelungen, Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe wurden hohe Abwanderungsanreize für landwirtschaftliche Arbeitskräfte der LPGen gesetzt. Die LPGen konnten sich so in sozial verträglicher Weise zügig von überschüssigen Arbeitskräften trennen. Dies war um so notwendiger, als daß gleichzeitig die Arbeitskosten der LPGen aufgrund von Lohnvereinbarungen auf hohem Niveau rapide anstiegen. Die Sozialtransfers für die von 1990 bis 1995 entlassenen 736.000 landwirtschaftlichen Arbeitskräfte haben mit schätzungsweise 66 Mrd. DM die direkten Agrarausgaben für diesen Zeitraum um mehr als 100% übertroffen. Der Agrarsektor hat damit einen erheblichen Teil seiner Anpassungskosten auf andere Sektoren der Volkswirtschaft überwälzt (THIELE 1998, S.23). Dies wird finanziell für Länder wie die Ukraine nicht möglich sein, so daß die Anpassungsprozesse von vornherein eine höhere soziale Akzeptanz benötigen.

4 Erfahrungen aus den Politikmaßnahmen für den Agrarsektor

4.1 Freie Rechtsformenwahl und Bedeutung von Genossenschaften

Eine wesentliche Erfahrung aus der Anfangszeit der Transformation der ehemaligen DDR ist die beschränkte Möglichkeit der Prognose zukünftiger Betriebsstrukturen. So zeigt

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der Vergleich von Prognosen und Empfehlungen zur Rechtsformenentwicklung im Jahr 1990 mit den bisher beobachtbaren Entwicklungen große Abweichungen. Die anfänglichen Erwartungen vieler Agrarökonomen und Agrarpolitiker hinsichtlich des Umfangs von Familien- und Großbetrieben einerseits und in Form von Genossenschaften und GmbH-Unternehmen andererseits, haben sich nicht bestätigt. Die Agrarstrukturpolitik sollte dementsprechend keine Zielvorgaben für Rechtsformen tätigen, vielmehr sollte sich die Rechtsformen- und Betriebsgrößenstruktur aus dem Wettbewerb ergeben. Dafür ist es allerdings notwendig, daß die Kosten des Rechtsformenwechsels gering gehalten werden, wie dies durch gesetzliche Neuregelungen in den neuen Bundesländern erfolgte.

Die Dynamik in der Anpassung der Betriebe verdeutlicht Tabelle 5-1. Die ehemaligen sozialistischen Kollektivbetriebe in Form von GmbH-, AG- und e.G.-Unternehmen weisen mit einem Flächenanteil von 62% nach wie vor den größten Anteil an der Agrarproduktion auf. Während sich die Anzahl der ursprünglich 4.050 LPGen auf rd. 3.170 Nachfolgeunternehmen um insgesamt 22% reduzierte, fanden hohe Anpassungen in der Flächenausstattung statt. So sank der Flächenanteil dieser Betriebe an der gesamten Landwirtschaftsfläche um durchschnittlich 5% pro Jahr. Er betrug im Jahr 1989 noch 83%, im Jahr 1996 demgegenüber nur noch 62%.

Tabelle 5-1: Entwicklung der Rechtsformen landwirtschaftlicher Unternehmen in den neuen Bundesländern von 1989 bis 1996

Rechtsformen 1989 1992 1996

Anzahl der Betriebe

Genossenschaften, GmbH und AG (ehem. LPG) 4.050 3.036 3.174

Staatliche Betriebe (ehem. Staatsgüter) 464 101 125

Einzel-/Personenunternehmen (Familienbetriebe) 3.588 15.438 27.554

Landwirtschaftliche Betriebe insgesamt 7.638 18.575 30.843

Anteil an der Landwirtschaftsfläche (%)

Genossenschaften, GmbH und AG (ehem. LPG) 83 74 62

Staatliche Betriebe (ehem. Staatsgüter) 7 1 0,2

Einzel-/Personenunternehmen (Familienbetriebe) 10 25 38

Flächenanteile insgesamt 100 100 100

Quelle: THIELE 1998, S.42.

Die Genossenschaften (eingetragene Genossenschaften = e.G.) als ursprünglich größte Gruppe der Nachfolgeunternehmen der LPGen sind rückläufig und dienten vielen Kollektivbetrieben möglicherweise als Übergangsstadium in der Transformation. So wandeln sich die Genossenschaften seit 1992 kontinuierlich in andere Rechtsformen um. Seitdem reduzierte sich ihre Anzahl um 12% von ursprünglich 1.464 auf 1.293 im Jahre 1996. Es kann angenommen werden, daß sie sich mehrheitlich in GmbH-Unternehmen umstrukturieren, da der Anteil der GmbH-Unternehmen in demselben Zeitraum um 22% zunahm. Auch dem Ergebnis einer Befragung im Jahr 1994 zufolge streben 17% der e.G. bis 1999 einen Rechtsformenwechsel in Richtung GmbH an. Seit 1994 übersteigt die Anzahl der GmbH-

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Unternehmen die der Genossenschaften. Im Jahr 1996 existierten bereits 1.432 GmbH-Unternehmen.

Die Gründe, die zu der Abnahme der Anzahl der Genossenschaften in der ehemaligen DDR geführt haben, dürften auch für Entscheidungsträger in der Ukraine, wo in agrarpolitischen Diskussionen oft implizit von der Überlegenheit genossenschaftlicher Strukturen ausgegangen wird, von Interesse sein. Der erste Grund für die rückläufige Entwicklung der e.G. dürfte in den geänderten Erwartungen der Mitglieder über die anfangs unterstellte höhere Arbeitsplatzsicherheit und den daraus resultierenden geringen Anpassungsnotwendigkeiten der e.G. liegen. Die vermeintlich höhere Arbeitsplatzsicherheit war ein entscheidender Grund für die Wahl der e.G. in der Anfangsphase. Dies gilt heute nicht mehr, denn es sind nur noch wenige Mitglieder beschäftigt. Zusätzlich erwarteten viele LPG-Mitglieder fälschlicherweise vom Wechsel zur e.G. die geringsten Änderungen im Vergleich zur Situation in einer LPG. Im Zuge der Transformation stellten sich diese Erwartungen größtenteils als nicht richtig heraus.

Ein zweiter entscheidender Grund des Rückgangs von Genossenschaften liegt im erhöhten Kreditrisiko und der damit verbundenen geringeren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Kapitalgesellschaften. Dies wurde jedoch erst langsam transparent, da die e.G.-Unternehmen, wie die anderen Juristischen Personen auch, erst später in der Transformation umfangreiche Investitionen durchführten und erst dann die Finanzierungsprobleme evident wurden. Auch die starke Interessenvertretung der Genossenschaften im Westen der Bundesrepublik förderte die Umwandlung der LPG zu e.G.. Dies war um so leichter möglich, als daß bis dahin keine Erfahrungen über den Erfolg von Produktionsgenossenschaften in westlichen Ländern vorlagen. Das höhere Kreditrisiko der e.G. liegt in den Genossenschaftsstatuten begründet. Danach müssen die Genossen die Konsequenzen ihrer Abstimmungsentscheidungen in geringerem Maße selbst tragen als in anderen Rechtsformen, weil jeder nur eine bzw. maximal drei Stimmen hat, auch wenn seine individuelle Kapitalbeteiligung unterhalb dieses Anteils liegt. Zum anderen hat jedes e.G.-Mitglied ein Kündigungsrecht und kann seinen Eigenkapitalanteil dem Unternehmen entziehen. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist zu erwarten, daß e.G.-Unternehmen risikoreichere Investitionsentscheidungen treffen als andere Unternehmen. GmbH- oder AG-Unternehmen werden daher gegenüber e.G.-Unternehmen Vorteile in der Kreditfinanzierung aufweisen (THIELE 1998, S.43f.).

4.2 Die Notwendigkeit funktionierender Bodenmärkte

Die Beobachtungen in der ehemaligen DDR geben Hinweise darauf, daß eine schnelle Dekollektivierung der LPG-Flächen und die Etablierung eines privaten Bodenmarkts, der 75% der Landwirtschaftsfläche ausmacht, notwendige Bedingungen zur Effizienzsteigerung im Agrarsektor darstellen. Es zeigt sich, daß Existenzgründer (Pachtanteil >90%) und insbesondere Nachfolgeunternehmen (Pachtanteil 99%) auf einen effizienten Bodenpachtmarkt angewiesen sind. In der bisherigen Transformation ist der Kaufmarkt im Vergleich zum Pachtmarkt unbedeutend gewesen, da sowohl die notwendigen Anpassungen in den Flächenausstattungen als auch die Existenzgründungen durch Flächenpacht offensichtlich mit geringeren Transaktionskosten verbunden sind und Liquidität zum Bodenkauf in den ersten Jahren der Transformation kaum vorhanden war. Tabelle 5-2 zeigt,

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daß das Flächenwachstum der Familienbetriebe größtenteils mit einem ansteigenden Pachtanteil einhergeht.

Tabelle 5-2: Entwicklung der Betriebsgrößen und des Pachtanteils von Einzelunternehmen und Personengesellschaften im Vollerwerb von 1991/92-1994/95

Rechtsformen Betriebsgrößen in ha LF Pachtanteil in %

1991/92 1994/95 1991/92 1994/95

Einzelunternehmen 114 161 87 90

Personengesellschaften 328 415 95 98

Quelle: THIELE 1998, S.45.

Das Beispiel der neuen Bundesländer verdeutlicht aber auch, daß eine freie Ausgestaltung der Pachtverträge auf dem privaten Bodenmarkt zwischen den LPG-Mitgliedern und den Nachfolgeunternehmen zu erheblichen Anpassungsverzögerungen der Bodenpreisbildung und zu Verzerrungen der Bodenallokation führen kann. Dies hemmt die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Bodenmarkt für andere Wachstumsbetriebe, die womöglich höhere Wertgrenzproduktivitäten des Bodens aufweisen. Wenn die Wanderung des Bodens zum besten Wirt gefördert werden soll, dann ist die Transparenz auf dem Bodenmarkt zu erhöhen. Insbesondere für die ehemaligen LPG-Mitglieder, die als Verpächter auftreten, sind die Informationen zu ex-ante Vorkehrungen in den Pachtverträgen und die allgemeinen Marktinformationen zu verbessern.

Die Entwicklung des Bodenmarkts in der Transformation der ehemaligen DDR dokumentiert, daß sich trotz des geringeren Anteils der staatlichen Flächen (25% der Landwirtschaftsfläche) dort größere Verzerrungen der Bodenallokation ergeben können als auf dem privaten Bodenmarkt. Die Privatisierung von staatlichen Flächen erwies sich als problematischer als die Dekollektivierung, weil erstere nicht einfach nur die Rückgabe von Nutzungsrechten, sondern die Etablierung neuer Eigentumsrechte notwendig machte.

Die Erfahrungen in der ehemaligen DDR deuten darauf hin, daß es bei der Privatisierung der staatlichen Flächen und den häufig vorliegenden ungeklärten Eigentumsrechten gesamtwirtschaftlich sinnvoller sein kann, statt des sofortigen Flächenverkaufs und der damit verbundenen kurzfristigen Verpachtung die Staatsflächen vorerst für längere Zeiträume zu verpachten. Damit kann trotz oft langwieriger Rechtsstreitigkeiten über Eigentumsrechte die Planungsunsicherheit für die investierenden Betriebe verringert und somit die Agrarproduktion effizienter betrieben werden.

So wurde bisher der Flächenverkauf durch Einsprüche der zwischen 1945 und 1949 enteigneten Eigentümer verzögert. Diese Gruppe von ehemals 7.160 Großbetrieben hat im Gegensatz zu anderen Gruppen ihre Flächen nach der Wende nicht wiedererhalten. Sie hoffen nach wie vor, daß ihnen durch gerichtliche Urteile Land zugesprochen wird. Die letztlich z.Zt. bestehenden Verkaufsregeln sind durch hohe Zugangsbeschränkungen und hohe Regelungsdichten gekennzeichnet. Die mit dem verzögerten Flächenverkauf und der Ausgrenzung bestimmter Unternehmen einhergehenden Unsicherheiten und eingeschränkten Kreditzugangsmöglichkeiten verringern die Effizienz der Agrarproduktion in den neuen

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Bundesländern. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sollten Einschränkungen in der Preisbildung auf dem Bodenmarkt vermieden werden. Politische Entscheidungsträger - auch in der Ukraine - sind gut beraten, wenn sie auf eine starre Festlegung des Pachtpreises und Prioritätenlisten zur Bodenvergabe verzichten.

4.3 Notwendigkeit marktorientierter Vermögens- und Schuldenbewertungen

Die Erfahrungen in der ehemaligen DDR zeigen, daß es im Zuge der Neubewertung des LPG-Vermögens durch fehlerhafte gesetzliche Vorgaben zu Verzerrungen der Faktorallokation und der Vermögensverteilung kommen kann. Im Durchschnitt hat nahezu jedes zweites Nachfolgeunternehmen eine fehlerhafte Vermögensbewertung und –verteilung durchgeführt (THIELE 1998, S.93). Dies wird dazu geführt haben, daß auch ineffiziente Nachfolgeunternehmen erhalten blieben und weitergewirtschaftet haben. In den neuen Bundesländern ist es für eine Änderung der Regelungen der Vermögensbewertung zu spät, da die Vermögensauseinandersetzung bereits 1991 abgeschlossen wurde. Jedoch kann die Ukraine, die noch vor der eigentlichen Dekollektivierung steht, aus den Erfahrungen Ostdeutschlands lernen. So ist im wesentlichen darauf zu achten, daß die Regeln und Rahmenbedingungen so zu setzen sind, daß es zu möglichst geringeren Differenzen zwischen den Ertragswerten und den Liquidationswerten der Unternehmen kommt. Demzufolge sollte von an alten Buchwerten oder an Substanzwerten orientierten Bewertungsregeln Abstand genommen werden, da diese systematisch zu Überbewertungen führen. Weiterhin sollte der Zeitdruck der Umstrukturierung gering sein, um Unterbewertungen der Liquidationswerte zu reduzieren. Überdies ist zu vermeiden, daß die Anreize zur Unterbewertung des Vermögens nicht noch durch gesetzliche Regelungen verstärkt werden.

Die Erfahrungen in der ehemaligen DDR verdeutlichen, daß es sowohl zu Anreizen von Scheinexistenzgründungen als auch zu geringen Barabfindungen an ausscheidende Mitglieder kommen kann, die keine Existenzgründer sind. So zeigen Erhebungen über die Abfindungen in 422 sächsischen Nachfolgeunternehmen der LPGen, daß 57% aller fehlerhaften Vermögensauseinandersetzungen zu Lasten der sofort ausscheidenden Mitglieder gingen (THIELE 1998, S.108). Für andere Transformationsländer wie die Ukraine läßt sich folgern, daß in den Verteilungsregeln des Vermögens keine Differenzierung nach ausscheidenden und verbleibenden Mitgliedern enthalten sein sollte. Überdies sind bei Mitgliedern, die aus dem Unternehmen ausscheiden, Differenzierungen zwischen Existenzgründern und sonstigen Mitglieder zu vermeiden. Insbesondere aber sollten die diskretionären Handlungsspielräume in der Festlegung von Abfindungen möglichst klein gehalten werden, um keine zusätzlichen Anreize für Unterbewertungen zu schaffen.

Die in Ostdeutschland durchgeführte LPG-Vermögensbewertung und –verteilung zeigt, daß es zu Vermögenskonzentrationen in der Hand weniger LPG-Mitglieder kommen kann. Manager der Nachfolgeunternehmen tendieren dazu, möglichst viel Vermögen im Unternehmen zu halten und somit ausscheidenden Mitgliedern zu geringe Vermögensbeträge auszuzahlen. So läßt sich nach der vollzogenen Vermögensauseinandersetzung resümieren, daß eine bessere Aufklärungs- und Informationskampagne für die LPG-Mitglieder hätte durchgeführt werden müssen, um deren ungünstige Ausgangsposition zu verbessern. Dadurch würde auch die Selbstkontrolle der Vermögensauseinandersetzung vor Ort erhöht. Somit hätte auch die soziale Akzeptanz der Umstrukturierung verbessert werden können, die im Umstrukturierungsprozeß der neuen Bundesländer deutlich zurückging und später dazu

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führte, daß die Nachfolgeunternehmen unter starken politischen Druck gerieten. Aufgrund der wachsenden sozialen Unruhe wurde letztlich die Rechtsberatung unzufriedener Mitglieder staatlich gefördert und die Reduzierung der Prozeßkosten durch Zusammenfassung von Klageverfahren gegen eine Nachfolgeunternehmung vorgeschlagen.

Wenn Verstöße zu Lasten ausscheidender Mitglieder der Kollektivbetriebe verhindert werden sollen, so folgt für Transformationsländer wie die Ukraine, sind umfangreiche gesetzliche Regelungen der Kontrolle und Durchsetzung einer ordnungsgemäßen Vermögens-auseinandersetzung zu etablieren. Insbesondere agrarpolitisch induzierte Unsicherheiten sollten weitestgehend vermieden bzw. verringert werden.

Dies ist um so notwendiger, um die besten Betriebsleiter auch in Zukunft in den Unternehmen zu selektieren. Ansonsten zeigen die Erfahrungen in den neuen Bundesländern, daß die neuen Betriebsleiter oft auch die alten Betriebsleiter sind. So besteht die Geschäftsführung der heutigen LPG-Nachfolgeunternehmen zu etwa 90% aus im Unternehmen verbliebenen ehemaligen LPG-Leitungen bzw. Vorstandsmitgliedern.

Neben der Bewertung des Vermögens ist auch die Bewertung der Schulden, die bis zur Wende angesammelt wurden, entscheidend für die Entwicklung der Großbetriebe. So waren die LPGen zum Zeitpunkt der Wende zu 72% mit diesen sogenannten ‘Altschulden’ belastet, im Durchschnitt mit 1.500 DM je ha bzw. 2,6 Mio. DM je Unternehmen. Die Politikfehler liegen prinzipiell in zwei Bereichen. Zum einen wurden die Altschulden bei der Neubewertung überbewertet. Zum anderen unterliegen sie seit der Wende besonderen staatlichen Regelungen, die Zinsen und Tilgungen hierauf reduzierten. Ein Teil der Altschulden wurde erlassen. Dennoch häuften sich die Schulden durch Nichtzahlung der Zinsen und Tilgungen auf Schuldenbestände an, die im Jahr 1998 teilweise oberhalb der Ausgangssituation des Jahres 1990 lagen. Deshalb ist eine marktorientierte Bewertung von Altschulden zwingend erforderlich und sollte nicht wie in den neuen Bundesländern verzögert werden. Zwar kann es durch hohe Inflationsraten wie in vielen Transformationsländern zu einer erheblichen Reduzierung der Altschuldenlast kommen, eine Verschiebung jedoch erhöht gleichzeitig das Politikrisiko der Beteiligten und damit die Kosten der Kreditgewährung.

Zusätzlich zu den alten Schulden der Unternehmen werden neue Schulden, die sich seit der Wende angesammelt haben, ganz 'normal' behandelt, d.h., sie müssen an die Kreditinstitute zurückbezahlt werden, und die Betriebe haften mit ihrem Vermögen dafür. Reicht dieses Vermögen nicht aus, gehen Betriebe in den Konkurs. Mindestens 20% der LPGen wurden u.a. aus Gründen der Überschuldung (Alt- und Neuschulden) insbesondere in den ersten Jahren nach der Wende liquidiert.

4.4 Notwendigkeit einer zurückhaltenden Investitionsförderung

Die Auswirkungen der Investitionsförderungen für den Agrarsektor in der ehemaligen DDR verdeutlichen, daß es trotz erheblicher Mittelaufwendungen zu Verschlechterungen der relativen Wettbewerbsfähigkeit einzelner Rechtsformen kommen kann. Überdies wird durch Obergrenzen der Investitionsförderung auch die relative Wettbewerbsfähigkeit der größeren Betriebseinheiten und der kapitalintensiveren Viehhaltungsunternehmen verringert. Tatsächlich können diese zwischen den Betriebsformen entstehenden Wettbewerbsverzerrungen zumindest teilweise für den deutlichen Rückgang der Viehhaltung in der Transformation Ostdeutschlands verantwortlich sein.

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Angesichts dieser Entwicklungen und auch zwecks Angleichung der Förderung in den alten und neuen Bundesländern kam es 1997 zur Neuausgestaltung der Investitionsförderung. Damit wurden zwar einige Verzerrungen zwischen Rechts- und Betriebsformen beseitigt, aufgrund reduzierter Obergrenzen aber werden große Betriebe sogar stärker benachteiligt als zuvor.

Ein weiteres, prinzipielles Problem der Investitionsförderungen besteht darin, daß bei der Förderhilfenvergabe kaum zwischen rentablen und unrentablen Unternehmen unterschieden werden kann.1 Aus gesamtwirtschaftlicher und agrarsektoraler Sicht kann es somit zu Kapitalfehllenkungen kommen. Angesichts der Kapitalknappheit in der Ukraine könnte es durch die Investitionsförderung sogar zu deutlich stärker negativen Effekten kommen als in westlichen Industrieländern.

Die Erfahrungen zeigen weiterhin, daß es durch die Investitionsförderung nicht nur zur Erhöhung der ohnehin hohen ländlichen Arbeitslosigkeit, sondern auch zur Entwertung des zu Beginn vorhandenen Altkapitalstocks kommen kann. Dies ist insbesondere in den Produktionsprozessen der Fall, in denen der Faktor Arbeit leichter durch Kapital ersetzt werden kann und die Erhöhung der Produktionsmenge zu einem geringeren Anstieg des Arbeitseinsatzes führt. So ist davon auszugehen, daß der Kapitalbedarf zum Aufbau der Landwirtschaft in der Transformation durch Investitionsförderungen insgesamt ansteigt. Die Entscheidungsträger sind daher gut beraten, die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit der Betriebe mit anderen Maßnahmen zu verfolgen, wie beispielsweise durch die Liberalisierung der Bodenmärkte.

5 Erfahrungen aus der Förderpolitik für den Schlacht- und Molkereisektor Ähnlich wie im Agrarsektor wurde auch in der Transformation des veralteten

Schlacht- und Molkereisektors der ehemaligen DDR davon ausgegangen, daß Kapitalsubventionen unbedingt notwendig sind. Heute zeigt sich jedoch, daß die wirtschaftlichen Fehlsteuerungen hier noch umfangreicher waren. Trotz massiver Subventionierung von 1,1 Mrd. DM im Zeitraum von 1990 bis 1996 konnte der Gesamtsektor selbst 1996 wegen jährlicher Verluste des Sektors von rd. 80 bis 100 Mio. DM nicht zum volkswirtschaftlichen Nettoeinkommen beitragen. Die hierfür verantwortlichen Grundprobleme werden im folgenden zusammengefaßt.

5.1 Das Grundproblem: Fehlerhafte Institutionen der Fördermittelvergabe

Ein grundsätzlicher Fehler lag darin begründet, daß die Entscheidungskompetenz bei der Vergabe von Fördermitteln für Aus- und Neubau von Schlachthöfen und Molkereien bei den betroffenen Bundesländern lag. Die Geldmittel dagegen wurden größtenteils durch die EU und den Bund bereitgestellt. Die Bundesländer hatten einen hohen Anreiz, möglichst viele Fördermittel der EU und des Bundes ins eigene Land zu holen. Der vermeintliche Vorteil wurde darin gesehen, daß damit schnell moderne Schlacht- bzw. Molkereikapazitäten hätten

1 Siehe hierzu die ausführlichen Erläuterungen in Kapitel 2: Protektion der ukrainischen

Agrarwirtschaft: Ein Rezept zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit?

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aufgebaut werden können. Dabei wurde jedoch der Eigenfinanzierungsanteil unterschätzt, der sich auch aus den Folgesubventionen zusammensetzt. Hohe Zinszahlungen und Abschreibungen bzw. Tilgungen bei gleichzeitig mangelnder Auslastung der Kapazitäten führen nämlich dazu, daß Folgesubventionen für die Bundesländer nötig werden, die zumeist den jeweiligen Bundesländeretat in voller Höhe treffen. So wird zur Zeit gefordert, daß sich die Bundesländer im Rahmen eines Strukturkrisenkartells an der Stillegung von Schlachtbetrieben finanziell beteiligen sollen.

5.2 Das Prognoseproblem: Fehleinschätzungen von Produktionsmengen und -struktur

Es zeigte sich, daß Prognosen über zukünftige Schlachtkapazitäten den Abbau in der Viehhaltung deutlich unterschätzten und viele Politikeffekte falsch eingeschätzt wurden. Im Dezember 1990 wurde ein Gutachten (BÖCKENHOFF & WIMMLER 1990) erstellt, welches von einem Rückgang in der Rind- und Schweinefleischerzeugung im Gebiet der ehemaligen DDR von 25 bis 30% gegenüber 1989 ausging. Der tatsächlich eingetretene Rückgang war bei Rindfleisch mit 50% doppelt so hoch, bei Schweinen mit 75% sogar dreimal so hoch. Man ging davon aus, daß die damalige Fleischindustrie völlig veraltet war und daher die meisten alten Schlachtbetriebe stillgelegt werden sollten. Außerdem standen umfangreiche Subventionszusagen und mögliche Sonderabschreibungen bereit, die zu großzügigen Bauten regelrecht drängten (HANUSCH 1997, S.34).

Die Unterschätzung des zukünftigen Viehhaltungsabbaus resultierte daraus, daß einerseits die geringe Liquidität der Betriebe und andererseits die mangelnde Qualität ostdeutscher Fleisch- und Molkereiprodukte den Marktfruchtbau wettbewerbsfähiger machte. Durch die Überbewertung des Wechselkurses verstärkte sich der Zusammenbruch der Handelsbeziehungen zu den Ländern Osteuropas, die geringere Fleisch- und Milchproduktqualität akzeptierten, was den Preisdruck erhöhte. Weitere Politikmaßnahmen wie die Bevorteilung des Marktfruchtbaus durch Flächenprämien und höhere Kapitalsubventionierung verringerten die Wettbewerbsfähigkeit der Viehhaltung und förderten den Viehhaltungsabbau.

Aufgrund des genannten Prognoseproblems, der hohen Bereitschaft zur Subventionierung und der politikbedingten Entwicklungshemmnisse für Viehhaltungsunternehmen werden von den geschaffenen Schlachtkapazitäten - wie in Abbildung 5-2 verdeutlicht - die Rinderschlachtkapazitäten zu lediglich 32% und die der Schweine zu 65% ausgelastet. Im Durchschnitt von Rind und Schwein findet eine Auslastung von nur 56% statt (vgl. auch WOLFFRAM et al. 1996, S.435).

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Abbildung 5-2: Auslastung der Schlachtkapazitäten bei Rindern und Schweinen in den neuen Bundesländern im Jahr 1995

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60

80

100

Neue Bundesl. Mecklenburg-V.

Brandenburg Sachsen-Anh. Thьringen Sachsen

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SchweineRinder

Quelle: Eigene Darstellung nach ZMP 1997.

Auch in naher Zukunft ist keine große Kehrtwende der bisherigen Unterauslastung zu erwarten, wenn die bisherigen Politikmaßnahmen fortgeführt werden. Eher ist von einer weiteren Verschärfung auszugehen. Zumindest im Milchviehhaltungsbereich wird durch den weiteren Anstieg der Produktivität ein unverminderter Bestandsabbau und damit eine erhöhte Minderauslastung erwartet. Auch im Schweinefleischsektor konnte bis März 1997 kein Anstieg der Produktionsmengen festgestellt werden (BÖCKENHOFF 1997, S.150f).

5.3 Das Allokationsproblem: Negative Renditen trotz massiver Subventionierung

Das Altkapital im Schlacht- und Molkereisektor wurde durch die Subventionierung entwertet, so daß der Gesamtkapitalbedarf des Sektors anstieg. Technisch teilweise noch nutzbare Anlagen und Kapitalgüter im Schlacht- und Molkereisektor, die jedoch einen höheren Arbeitsbedarf erfordert hätten, wurden abgeschrieben. Im Zeitraum von 1990 bis 1997 wurden Neuinvestitionen im Schlachtbereich von 1,2 Mrd. DM und im Molkereibereich von 1,8 Mrd. DM getätigt. Diese Investitionen wurden im Schlachtbereich zu 34% und im Molkereibereich zu 38% subventioniert. Insgesamt betrugen die Subventionen in diesem Zeitraum 1,1 Mrd. DM. Nach WOLFFRAM et al. (1996, S.436) entstanden allein bis 1995 Fehlinvestitionen in Höhe von 500 Mio. DM.

Neben den Fehlinvestitionen hatte die hohe Subventionierung von Investitionen mit Rationalisierungseffekten zur Folge, daß im Schlachtsektor die Arbeitskräfte (AK) zu etwa 30% (auf ca. 6.500 AK) und im Molkereibereich zu etwa 50% (auf ca. 4.000 AK) gegenüber 1989 abgebaut wurden. Ähnlich wie im Agrarbereich muß ein großer Teil dieser sozialen

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Kosten der entlassenen Arbeitskräfte den Kapitalsubventionen als Kosten angerechnet werden. Tabelle 5-3 zeigt, daß nach sechs Jahren der Umstrukturierung immer noch nur eine negative Verzinsung des eingesetzten Investitionskapitals erwirtschaftet wird. Obwohl jeder der 12 geförderten Schlachtbetriebe im Durchschnitt 34 Mio. DM Subventionen und jeder der 30 geförderten Molkereibetriebe 23 Mio. DM erhielt, betrug der Sektorverlust in der Schlachtbranche von 1991 bis 1996 ca. 670 Mio. DM und in der Molkereibranche 350 Mio. DM.

Tabelle 5-3: Sektorale Verluste bzw. Gewinne der Schlachtbetriebe und der Molkereibetriebe der neuen Bundesländer in der Umstrukturierung von 1991 bis 1996

Summe 1991-96 1991 1992 1993 1994 1995 1996

in Mio. DM

Schlachtsektor - 670* - 96 - 121 - 105 - 150 - 100 < - 100*

Molkereisektor - 350* - 165 - 112 - 70 - 19 +/- 0* + 20* Hinweis: * Eigene Schätzungen. Quelle: GLOER (1997).

Die Erfahrungen in den neuen Bundesländern zeigen, daß man die Chancen für den Aufbau einer im Vergleich zu Konkurrenzregionen wettbewerbsfähigen Schlachthofstruktur vertan hat. Dies hat deutliche negative Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe. Schlußfolgernd ist festzuhalten, daß der Aufbau eines effizienten Verarbeitungssektors eine notwendige Voraussetzung für eine effiziente und wettbewerbsfähige Landwirtschaft ist.

6 Zusammenfassung Im Gegensatz zur ukrainischen Landwirtschaft hat sich der Agrarsektor der

ehemaligen DDR sehr schnell an marktwirtschaftliche Bedingungen angepaßt. Selbstverständlich haben beide Transformationsländer unterschiedliche Rahmenbedingungen. So war der Preis-einbruch nach der Wende in Ostdeutschland viel größer als in anderen Transformationsländern. Andererseits helfen insbesondere umfangreiche Finanztransfers von West- nach Ostdeutschland, die sozialen Probleme der Transformation aufzufangen. Dennoch kann die ukrainische Landwirtschaft aus der DDR-Transformation lernen, da grundsätzliche Politikfelder sehr ähnlich sind und vor allem die Regelungen zu sehr ähnlichen ökonomischen Anreizen führen.

Insgesamt ist festzuhalten, daß die schnelle Einführung der marktwirtschaftlichen Ordnungs- und Außenhandelspolitik sowie der Sozialprogramme die Anpassungsfähigkeit des Agrarsektors in der ehemaligen DDR unterstützten. Demgegenüber existierte ein hoher Anpassungsdruck für die landwirtschaftlichen Großbetriebe aufgrund der Überbewertung der Währung und der überhöhten Löhne. Wichtig ist, daß sich die Politik nicht einseitig auf bestimmte Rechtsformen oder Betriebsgrößen festlegt, sondern daß sich diese im marktwirtschaftlichen Prozeß im Laufe der Transformation ergeben müssen. Insbesondere die schnelle Etablierung eines funktionsfähigen Bodenpachtmarktes kann - wie die deutschen Erfahrungen zeigen - erheblich zu einer hohen Anpassung der Betriebe an neue Rahmenbedingungen beigetragen haben. Demgegenüber muß die Investitionsförderung im

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Agrar- und insbesondere auch im Verarbeitungssektor als überhöht und fehlgesteuert angesehen werden. So hat der Molkerei- und Schlachtsektor in den neuen Bundesländern bislang die Chancen vertan, zur Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in der Transformation beizutragen.

7 Literatur BÖCKENHOFF, E. (1997): Vorausschau auf den Schweinemarkt. Agrarwirtschaft, Jg. 46,

S.150-151.

BÖCKENHOFF, E. und K. WIMMLER (1990): Strukturanalyse der Fleischindustrie in der ehemaligen DDR und Schlußfolgerungen für die weitere Entwicklung der Produktionskapazitäten in diesem Wirtschaftszweig. Gutachten erstellt im Auftrag des BML, Bonn.

DIW (1990): DEUTSCHES INSTITUT für WIRTSCHAFTSFORSCHUNG: DDR Wirtschaft im Umbruch. Unveröffentlichter Bericht, Berlin.

GLOER (1997): Schriftliche Mitteilung. Institut für Betriebswirtschaft und Marktforschung der Lebensmittelverarbeitung, Bundesanstalt für Milchforschung Kiel.

HANUSCH, W. (1997): Durch Überkapazitäten nicht wettbewerbsfähig. Neue Landwirtschaft, Nr. 2, S.34.

KOESTER, U. und K. BROOKS (1997): Agriculture and German Reunification. World Bank Discussion Paper No. 355, Washington, D.C.

SINN, G. und H.-W. SINN (1992): Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung. 2. Auflage, Tübingen.

THIELE, H. (1998): Dekollektivierung und Umstrukturierung des Agrarsektors der neuen Bundesländer. Eine gesamtwirtschaftliche und sektorale Analyse von Politikmaßnahmen. Agrarwirtschaft, Sonderheft Nr.160, Frankfurt.

WOLFFRAM, R., BONGAERTS, R. und J. SIMONS (1996): Überlegungen zur Korrektur von Fehlentwicklungen in der Schlachthofstruktur der neuen Bundesländer. Agrarwirtschaft, Jg. 45, S.435ff.

ZMP (1997): Informationen der Marktberichtstelle. Berlin.

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Teil II: Die Agrarmärkte der Ukraine

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6 Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender Handlungsbedarf

Ludwig Striewe und Stephan von Cramon-Taubadel, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung: Bedeutung und Rückgang der ukrainischen Getreideproduktion Wenn von der Ukraine die Rede ist, fallen vielen Menschen zunächst die Worte

‘Brotkorb’ und ‘Kornkammer’ ein. In der Tat genießt das Land äußerst günstige agro-klimatische Bedingungen. Anfang des Jahrhunderts war die Ukraine einer der bedeutendsten Getreideexporteure der Welt. Nach dem 2. Weltkrieg spielte ukrainisches Getreide eine wichtige Rolle bei der Deckung des Gesamtbedarfs der Sowjetunion. Dabei wurde oft vermutet, daß die potentielle Getreideproduktion der Ukraine wesentlich höher lag als unter planwirtschaftlichen Bedingungen realisiert werden konnte. Befreit von der Planwirtschaft, so die Erwartungen vieler (und die Befürchtung einiger) Beobachter Anfang der 90er Jahre, müßte die Ukraine schnell - neben Argentinien, Australien, der EU, Kanada und den USA - einer der führenden Getreideexporteure der Welt werden.

Entgegen diesen Erwartungen ist die ukrainische Getreideproduktion seit Beginn des Transformationsprozesses drastisch gesunken (Abbildung 6-1). Die durchschnittliche Jahres-produktion fiel von 47,4 Mio. t zwischen 1986 und 1990 auf 36,4 Mio. t zwischen 1991 und 1996. Mit anderen Worten, zwischen 1991 und 1996 wurden pro Jahr durchschnittlich 11 Mio. t weniger Getreide produziert als in den 5 Jahren zuvor. Die Produktion fiel weiter auf 35,5 Mio. t 1997 und 26,5 Mio. t 1998. Für 1999 wird keine wesentliche Erhöhung der Getreideernte erwartet.

Im Vergleich zur Produktion, die unter Anwendung der international ‘üblichen’ Technologie hätte erzeugt werden können, ist die Produktion der letzten Jahre noch enttäuschender (Tabelle 6-1). Bei vorsichtigen Einschätzungen der Erträge, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erreicht werden könnten,1 hätten auf der durchschnittlich ca. 14 Mio. ha großen Getreideanbaufläche der Ukraine zwischen 1991 und 1995 jährlich ca.

1 Die Erträge, die in Tabelle 6-1 angenommen werden, sind Schätzungen der Erträge, die sofort bei

Anwendung vorhandener Sorten und Technik unter Weltmarktbedingungen erzielt werden könnten (siehe DEUTSCH-UKRAINISCHER KOOPERATIONSRAT 1996). Die Meinungen über das Ertragspotential in der Ukraine gehen weit auseinander. Einige Experten sprechen beispielsweise von Weizenerträgen, die unter Weltmarktbedingungen im Durchschnitt über 8 t/ha liegen würden. Es muß aber zwischen physischem und wirtschaftlichem Potential unterschieden werden. Das physische Ertragspotential liegt sicherlich sehr hoch, obwohl, wie 1996 deutlich wurde, in einigen Jahren der Niederschlag ein limitierender Faktor in der ukrainischen Getreideproduktion ist. Ferner haben die Böden vielerorts in der Ukraine unter den schlechten Bewirtschaftungspraktiken in der Vergangenheit gelitten. Spitzenerträge werden daher wahrscheinlich erst nach einer Erholungsphase von einigen Jahren wieder möglich sein.

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63 Mio. t Getreide erzeugt werden können. Dies sind 25-30 Mio. t pro Jahr mehr als in den letzten Jahren tatsächlich erzeugt wurden.

Abbildung 6-1: Die Getreideproduktion der Ukraine 1986-1998

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1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Jahr

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in M

io. t

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Ausgaben).

Die Folgen für die ukrainische Wirtschaft sind verheerend. Die Schätzungen in Tabelle 6-1 deuten auf einen Verzicht an Exporteinnahmen von ca. 4 Mrd. USD für das Jahr 1996 hin, wobei diese Zahl in den darauffolgenden Jahren wegen der gefallenen Preise für Getreide nach unten korrigiert werden muß. Auf der anderen Seite bleibt auch die Produktion der anderen Kulturen, wie Sonnenblumen und Raps, sowohl hinter dem historischen als auch dem potentiellen Niveau zurück. Betrachtet man alle Möglichkeiten, die das bisher brach liegende Produktionspotential für Marktfrüchte hat, gehen dem Land jedes Jahr mehrere Milliarden USD verloren.

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791

Tabelle 6-1: Getreideerträge und -produktion in der Ukraine 1991-1995: Tatsächliche und potentielle Ergebnisse

Getreideart Aussaat-fläche Ø 1991-95

Ertrag Ø 1991-95

Produktion Ø 1991-95

Möglicher Ertrag*

Mögliche Produktion

Weltmarkt-preis

Ø 1995-96

Entgangene Export- erlöse**

(‘000 ha) (t/ha) (Mio. t) (t/ha) (Mio. t) USD/t Mrd. USD

Weizen 5.805 3,2 18,6 5,5 31,9 190 2,5

Gerste 3.975 2,9 11,5 4,5 17,9 130 0,8

Mais 1.148 3,0 3,4 5,5 6,3 145 0,4

Roggen 513 2,1 1,1 3 1,5 100 0,04

Sonstige 2.517 1,5 3,8 2,2 5,5 100 0,2

Summe 13.956 38,4 63,2 3,94 Hinweis: * Siehe Fußnote 1 im Text. ** Differenz zwischen möglicher und tatsächlicher

Produktion, bewertet mit dem Weltmarktpreis. Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK; USDA-ERS (Internet); eigene

Berechnungen.

2 Ursachen der Produktionsausfälle Warum ist es der Ukraine bisher nicht gelungen, das vorhandene Produktionspotential

zu aktivieren, und warum hat sich die Situation sogar fortschreitend verschlechtert?

Die Standarderklärung von ukrainischer Seite deutet überwiegend auf finanzielle Engpässe hin. Da Kapital äußerst knapp geworden ist, erhalten die Betriebe kurzfristige Kredite zur Finanzierung von ertragssteigernden Vorleistungsgütern nur schwer oder überhaupt nicht. So ist beispielsweise der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln seit Beginn des Transformationsprozesses drastisch zurückgegangen. Aufgrund der Kapitalknappheit werden auch notwendige langfristige Investitionen zur Instandhaltung und Erneuerung des landwirtschaftlichen Kapitalstocks nicht vorgenommen. Daher hat sich der Zustand des landwirtschaftlichen Maschinenparks in der Ukraine (Aussaat, Spritz- und Erntetechnik) drastisch verschlechtert. Wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, so die gängige Argumentation, könnten diese Probleme beseitigt und die Produktion gesteigert werden.

Dabei wird oft übersehen, daß die herrschende Kapitalknappheit in der ukrainischen Landwirtschaft auch eine Ursache haben muß. Denn wie ist zu erklären, daß die Investitions-tätigkeit ausgerechnet in einem angeblich so potentialträchtigen Sektor ausbleibt? In diesem Zusammenhang ist es zunächst hilfreich, sich ein Bild vom Umfang der benötigten Kredite zu machen. In Tabelle 6-2 werden die jährlichen variablen Produktionskosten für die vier wichtigsten Getreidearten der Ukraine geschätzt. Grundlage sind die international üblichen Produktionsintensitäten und Techniken, die die in Tabelle 6-2 dargestellten Ertragssteigerungen ermöglichen würden sowie die durchschnittlichen Aussaatflächen der Jahre 1991 bis 1995.

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Tabelle 6-2: Schätzung der benötigten kurzfristigen Kredite zur Deckung der jährlich anfallenden variablen Kosten der Getreideproduktion in der Ukraine

Getreideart Aussaatfläche Ø 1991-95

Variable Kosten* Benötigter kurzfristiger Kredit

(‘000 ha) (DM/ha) (Mrd. DM)

Weizen 5.805 288 1,67

Gerste 3.975 204 0,81

Mais 1.148 413 0,47

Roggen 513 192 0,10

Summe 11.441 267** 3,06 Hinweis: * Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz und Brennstoffe. ** Gewichteter

Durchschnitt der vier Getreidearten. Quelle: DEUTSCH-UKRAINISCHER KOOPERATIONSRAT (1996); eigene Berechnungen.

Allein für die variablen Kosten der Getreideproduktion wären schätzungsweise kurzfristige Kredite in Höhe von jährlich rund 1,7 Mrd. DM notwendig. Die benötigten Investitionen in den Maschinenpark würden ein ähnliches Kreditvolumen beanspruchen,2 dessen Tilgung allerdings über mehrere Jahre hinweg erfolgen könnte.

Somit dürfte klar sein, daß die Entwicklung des ukrainischen Getreidepotentials so kostenintensiv ist, daß sie unmöglich vom Staat oder den multi- und bilateralen Geberinstitutionen allein getragen werden könnte. Das notwendige Kapital ist vor allem deswegen knapp, weil private Anleger im In- und vor allem im Ausland sich bisher mit Investitionen in der ukrainischen Landwirtschaft sehr zurückgehalten haben. Dies wiederum ist eine Folge fehlender oder unzureichender Rahmenbedingungen, deren Schaffung zu den Aufgaben der Politik gehört. So gesehen sind Kapitalknappheit, mangelnde Technik und Produktionsrückgänge lediglich Symptome, die als Folge einer tieferen ‘Krankheit’ entstehen (Abbildung 6-2).

2 Ferner muß berücksichtigt werden, daß auch Investitionen in anderen Produktionsbereichen

(Ölsaaten, Zuckerrüben, Sonderkulturen, Obst und Gemüse) sowie in der landwirtschaftlichen Veredlung (Fleisch- und Milchproduktion) und Verarbeitung (von Zuckerfabriken und Schlachthäuser bis hin zu Bäckereien) benötigt werden. Prof. Sabluk vom Institute for Agrarian Reform schätzt, daß die ukrainische Landwirtschaft insgesamt Investitionen in Höhe von 150 Mrd. USD benötigt!

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Abbildung 6-2: Die Ursachen des Rückgangs der ukrainischen Getreideproduktion

Quelle: Eigene Darstellung.

Welche fehlenden oder unzureichenden Rahmenbedingungen belasten die ukrainische Getreideproduktion am meisten? Zu den wichtigsten gehört sicherlich das Fehlen eines Bodenmarktes. Ohne Privateigentum an Grund und Boden verfügen die meisten Betriebe in der Landwirtschaft über keine Sicherheiten, die sie bei der Kreditbeschaffung einsetzen könnten. D.h., Kapital wird durch das Fehlen eines Bodenmarktes in der Ukraine künstlich verknappt. Ohne einen Bodenmarkt gibt es auch keinen Mechanismus, der effiziente Betriebe expandieren und ineffiziente schrumpfen läßt. In einer Marktwirtschaft mit liberalem Bodenmarkt sind effizient wirtschaftende Betriebsleiter in der Lage, höhere Kauf- bzw. Pachtpreise für Boden zu zahlen als ineffiziente. Somit kann der Boden im Zeitablauf zu den effizienteren Betrieben ‘wandern’, und die Produktivität der Landwirtschaft insgesamt steigt.

Wie groß der Unterschied zwischen effizienten und ineffizienten Betrieben in der Landwirtschaft sein kann, wurde bereits in Kapitel 1 illustriert.3 Vor allem die Qualität des Betriebsleiters spielt in diesem Zusammenhang eine dominierende Rolle, denn Erfahrungen in vielen Ländern zeigen, daß gute Managementfähigkeiten (Organisationstalent, schnelles Umsetzen neuer Ideen, Motivation der Mitarbeiter und Durchsetzung von Disziplin) mindestens so wichtig sind wie das technische Wissen und moderne Technik. Zweifelsohne existieren ähnliche Unterschiede zwischen effizienten und weniger effizienten Unternehmen auch in der ukrainischen Landwirtschaft. Diese Unterschiede stellen erhebliche Produktionsreserven dar, die angezapft werden können. D.h., selbst unter den gegenwärtig schlechten Bedingungen (Kapitalknappheit und mangelnde Technik) könnte die landwirtschaftliche Produktion signifikant gesteigert werden, wenn die effizienteren Betriebsleiter über einen größeren Anteil der vorhandenen Ressourcen verfügen würden.4 Aufgrund der bisherigen Mißerfolge bei der Liberalisierung des Bodenmarkts in der Ukraine wurde dieser Mechanismus zur Produktivitätssteigerung in den Jahren seit der Unabhängigkeit überhaupt nicht aktiviert.

3 Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun? Box 1-3 und

Abschnitt 3 unter der Rubrik 'Ressourcenallokation'. 4 Auch der beste Betriebsleiter kann wenig bewirken, wenn er seine Ideen nicht durchsetzen kann.

Aufgrund der Organisations- und Rechtsformen der Großbetriebe in der Ukraine sowie ihrer Verflechtung mit den Hauswirtschaften sind die Leiter dieser Betriebe in der Regel nicht in der Lage, Arbeitsdisziplin zu kontrollieren und bedeutende Umstrukturierungen vorzunehmen. Vgl. hierzu Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors.

Schlechtes Investitionskl

ima

Kapital- knappheit

Fehlende bzw. überalterte Inputs (Maschinen, Agrarchemikalien)

Produktionsrückgang

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3 Die Vermarktung der ukrainischen Getreideproduktion Nicht nur auf der Produktionsseite, sondern auch auf der Vermarktungsseite hat es die

ukrainische Regierung bisher versäumt, wichtige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Vermarktungskette ist bei einem handelbaren Produkt wie Getreide deswegen von Bedeutung, weil sie das Bindeglied zwischen den Welt- und Inlandsmärkten darstellt. Das in einem Betrieb in der Ukraine geerntete Rohprodukt Getreide muß in der Vermarktungskette mit einer Reihe von Dienstleistungen kombiniert werden, bevor potentielle Käufer auf dem Weltmarkt bereit bzw. überhaupt in der Lage sein werden, es zu kaufen. Zu diesen Dienstleistungen gehören Reinigung, Klassifizierung und Zertifizierung, Lagerung und Transport vom Betrieb zum Exporthafen.

Einzelne landwirtschaftliche Betriebe können diese Dienstleistungen in der Regel nicht selbst anbieten, weil sie nicht über die notwendigen Anlagen (Lagerhäuser, Eisenbahnlinien) bzw. entsprechend großen Partien (mehrere Tausend Tonnen) verfügen. Statt dessen werden diese Dienstleistungen in allen bedeutenden Getreidehandelsländern von spezialisierten Unternehmen angeboten. Diese Unternehmen verlangen für ihre Dienstleistungen Preise, die von dem aus Sicht der Ukraine fixen Weltmarktpreis abgezogen werden müssen, um den Erzeugerpreis zu ermitteln. Liegt der Weltmarktpreis für eine bestimmte Getreideart- und qualität bei 150 USD/t und kosten die verschiedenen Vermarktungsdienstleistungen insgesamt 30 USD/t, so wird ein Händler bereit sein, dem Erzeuger bis zu 120 USD/t für sein Getreide zu zahlen. Betragen die Vermarktungskosten dagegen 60 USD/t, so wird der Erzeuger nur höchstens 90 USD/t erhalten.

Somit spielt die Effizienz der Vermarktung eine entscheidende Rolle für den Erzeuger. Je effizienter das Vermarktungsunternehmen, desto besser5 und billiger die entsprechenden Dienstleistungen, desto höher der Erzeugerpreis. Die Effizienz eines Vermarktungsunternehmens wiederum hängt von mehreren Faktoren ab. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Konkurrenzlage. Spürt ein Vermarktungsunternehmen kaum oder keinen Konkurrenzdruck, so ist es in der Lage, Marktmacht auszuüben und Monopolrenten abzuschöpfen. Gerade bei der Getreidevermarktung bieten sich mehrere Möglichkeiten zur Ausübung von Marktmacht. Produzierende Betriebe, die nur über begrenzte eigene Lagerkapazitäten verfügen, sind direkt nach der Ernte auf die vorhandenen Lagerunternehmen angewiesen. Genauso ist ein Händler, der Weizen auf dem Lande ex Lager kauft und auf ein wartendes Schiff verladen muß, kurzfristig auf die vorhandenen Transportmöglichkeiten und Hafenkapazitäten angewiesen. Gibt es in einer Region nur ein Lagerhaus oder zwischen Lager und Hafen nur eine Transportmöglichkeit, dann sind die Betreiber des Silos oder der Transporteinrichtung nicht dem Wettbewerb unterworfen. Sie können überhöhte Vermarktungskosten verlangen und dem Produzenten entsprechend niedrigere Preise aufzwingen.

Genau diese Situation ist in der Ukraine gegeben, denn mehrere wichtige Vermarktungsdienstleistungen (z.B. Lagerung und Transport) werden von monopolistischen

5 ‘Besser’ heißt z.B. im Falle von Getreide, daß weniger Verluste (Quantität und Qualität) während

der Lagerung auftreten, so daß größere Mengen des Exportproduktes am Exporthafen einen höheren Preis erzielen.

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Strukturen angeboten. Die Folgen lassen sich beispielhaft anhand der Abbildung 6-3 darstellen. Ausgehend von einer Tonne Getreide, die einerseits auf den Feldern der Ukraine und andererseits in Deutschland produziert wurde, kann der entsprechenden Erlös für diese Tonne nach Abzug aller Kosten, die in Verbindung mit der Ernte, der Aufbereitung, der Lagerung und dem Transport entstehen, berechnet werden. Um eine Vergleichbarkeit für die physischen Verluste und Kosten zu erhalten, werden alle Größen als Mengenäquivalente angegeben. D.h. der ‘Erlös für die landwirtschaftlichen Unternehmen’ in Abbildung 6-3 stellt die Residualmenge pro tatsächlich produzierte Tonne dar, für die die Landwirte den fob-Preis am Schwarzen Meer erzielen.

Abbildung 6-3: Die Kosten der Getreidevermarktung in Deutschland und der Ukraine (fob Odessa = 100 %)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Ukraine Deutschland

Ang

aben

in %

Ernteverluste

Verluste auf den Betrieben

Transportverluste

Gesamtkosten Lagerung

Lagerverluste

Umschlag Binnenland

Transportverluste

Transportkosten

Umschlag Hafen

Handlesmarge

Erlцse der landwirtsch.Betriebe

Quelle: UKRAGROCONSULT (verschiedene Ausgaben); BICKERT (1997); mündliche

Auskünfte verschiedener Getreidehändler in der Ukraine und Deutschland; eigene Berechnungen.

Die Kosten und Verluste stellen sich als extrem hoch für die Ukraine dar. Insbesondere die Ernte- und Lagerverluste in der Ukraine übertreffen den Durchschnitt in Deutschland um ein Vielfaches. Nach dieser Schätzung gehen hier schon rund 13% (in Deutschland rund 3%) verloren. Auch die Gesamtkosten der Lagerung in den staatlichen Elevatoren übersteigen diejenigen in Deutschland erheblich. Als weiterer gewichtiger Kostenfaktor der Getreidevermarktung in der Ukraine ist der Umschlag in den Häfen anzusehen, der weitere 10% der hier betrachteten Tonne Getreide aufzehrt, im Gegensatz dazu rund 6% in Deutschland. Als besonders gravierend und erlösmindernd fallen aber auch die extrem hohen Handelsmargen ins Gewicht. Sie sind die Folge des mit dem Handel verbundenen hohen Risikos (verursacht u.a. durch staatliche Intervention, s.u.), der hohen Kosten der Informationssuche und des schwierigen bürokratischen Antragsprozedere für

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Genehmigungen, Transportmöglichkeiten etc. Daher werden in der Ukraine Handelsmargen von zwischen 10 und 15% (bei Ölsaaten sogar bis zu 25%) verglichen mit 5% in Deutschland erhoben. Nach diesen Berechnungen erzielen die Landwirte der Ukraine beim Export nach Abzug aller Kosten nur 40% des Weltmarktpreises, die deutschen Landwirte dagegen rund 70%. Es wird deutlich, daß das auf ukrainischen Feldern produzierte Getreide aus wirtschaftlicher Perspektive betrachtet sehr weit vom Weltmarkt entfernt ist, obwohl es geographisch gesehen recht nahe zu sein scheint.

Die gesamte Getreidemenge, die 1997 geerntet wurde, betrug rund 33 Mio. t. Erlösausfälle von rund 30% führen zu Reduzierungen des Erzeugerpreises von 1-1,5 Mrd. USD. Diese Zahl stellt zwar nur eine grobe Schätzung dar, aber auch nur die Hälfte davon hätte zu einer signifikanten Verbesserung der eingesetzten Produktionstechnik und somit zu Produktionssteigerungen beitragen können (vgl. Tabelle 2). Ferner stellt diese Summe ein Vielfaches dessen dar, was der Staat an Unterstützung für die Getreideproduktion in den letzten Jahren tatsächlich leisten konnte. Über mehrere Jahre gesehen würden auch dynamische Effekte eintreten. Hierzu gehören der Aufbau des Kapitalstocks, die Akkumulation von Know-How und die Entwicklung des Rufs der Ukraine als zuverlässiger Partner auf internationalen Getreidemärkten. Transformationsländer, die früher und konsequenter mit der Agrarreform angefangen haben, befinden sich im Vergleich zur Ukraine bereits in einer solchen Aufbauphase, wie ein Vergleich der Ertragsentwicklung in Polen, Ungarn und der Ukraine zeigt (Abbildung 6-4).

Abbildung 6-4: Entwicklung der Getreideerträge in Polen, Ungarn und der Ukraine 1989-1996

50

75

100

125

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Jahr

Get

reid

eerta

g (1

989=

100)

Polen Ungarn Ukraine

Quelle: FAO (1999).

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Das Problem der Monopole für wichtige Vermarktungsdienstleistungen nimmt in der Ukraine eine besonders tückische Form an. Monopole beispielsweise im Transportwesen oder beim Angebot von Hafenkapazitäten entstehen - zumindest kurzfristig gesehen - aus vorhandenen physischen Engpässen, sog. Flaschenhälsen. Der Staat hat die Aufgabe, durch die Zulassung von Konkurrenz dafür zu sorgen, daß Monopole dieser Art möglichst aufgelöst werden. Bei den gegenwärtigen monatlichen Lagergebühren von 4 USD/t und mehr bei Getreide z.B. wären Investitionen in neue Lagerkapazitäten sehr lukrativ. Bisher wurden allerdings private Investoren, die einen Versuch unternommen haben, auf diesen Markt zu gelangen, durch komplexe bürokratische Hürden abgeschreckt. Der Staat müßte alles daran setzen, diese Hürden zu entfernen und solche Investitionen zu ermöglichen. Denn im Ergebnis würde ein gestiegenes Angebot an Silokapazitäten zu sinkenden Gebühren für die Lagerung und höheren Getreideauszahlungspreisen für die Erzeuger führen.

Ein Problem in der Ukraine liegt allerdings darin, daß ‘Schlüsseldienstleistungen’ in der Vermarktungskette, wie die Lagerung, auch das Transportwesen und die Häfen, nach wie vor direkt oder indirekt von staatlichen Unternehmen wie Khlib Ukrainy (s. unten) kontrolliert werden. Somit ist der Staat in der Ukraine direkt für einen Teil der überhöhten Vermarktungskosten - und damit die niedrigen Erzeugerpreise - verantwortlich und profitiert sogar davon. Durch einen verschärften Wettbewerb unter den Getreidevermarktungsunternehmen würde der Staat also hauptsächlich seine eigene Monopolstellung schwächen.

Der Staat weigerte sich bisher nicht nur die vorhandenen physischen ‘Flaschenhals-Monopole’ zu beseitigen, er ist in den letzten Jahren sogar aktiv an der Schaffung von zusätzlichen künstlichen Monopolen beteiligt gewesen. Dies spiegelt sich vor allem in der Entwicklung der Außenhandelsregelungen für Getreide wider. Bis 1996 galten Exportquoten und -lizenzen für ‘strategische’ Produkte wie Getreide. Eine Exportlizenz ist im Prinzip ebenfalls eine Art ‘Flaschenhals’, denn ohne Lizenz ist der Export genauso unmöglich wie beispielsweise ohne Zugang zu einem Hafen. Der monopolistische Anbieter auf dem ‘Markt’ für Lizenzen ist der Staat, der hohe Preise für Lizenzen verlangen und damit Renten von den Produzenten abschöpfen kann. Ende 1995 konnten internationale Geberorganisationen die Aufgabe von Exportquoten und -lizenzen für Getreide in der Ukraine durchsetzen. Die Behörden bzw. Individuen im Staatsapparat, die bisher vom Lizenzenmonopol profitiert hatten, suchten nach Alternativen. So wurde z.B. mit sog. Indikativpreisen (Mindestexportpreisen) versucht, den Getreideexport weiter unter administrativer Kontrolle zu halten. Obwohl die Indikativpreise für Getreide nicht bindend waren, sollen regionale Zollbehörden trotzdem auf ihrer Einhaltung bestanden haben. Somit mußten Händler nach wie vor die Dienstleistung ‘Exportgenehmigung’ von dem monopolistischen Anbieter ‘Staat’ erwerben.6 So gab es selbst Ende 1998 noch Berichte von Zollbehörden, die auf der

6 Das Ausmaß dieses Problems kann wie folgt umschrieben werden: “Right now it costs $6.000 for a

Ukrainian to get a job in the Customs Office. ... The problem ... is regulations that can be ‘loosely interpreted’. The resulting discretionary powers are the basis for corruption at the bureaucratic level, and the whole system is created on purpose in every ministry” (KAPLAN & GOLDEN (1997). S. auch die Anmerkungen Havrylyshyn’s zur politischen Ökonomie des Handels in der Ukraine (HAVRYLYSHYN 1994).

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Einhaltung der Indikativpreise bestanden, obwohl diese angeblich nur zu Orientierungszwecken veröffentlicht werden.

Mit der Ernte 1996 wurde ein weiteres künstliches Vermarktungsmonopol erfunden. Mehrere Oblastverwaltungen verhängten - ohne gesetzliche Grundlage - Getreideexportverbote, um die Erfüllung des Staatsauftrags zu sichern (d.h. die Produzenten zu zwingen, ihr Getreide zu niedrigen Preisen an den Staat zu liefern). Genau wie Lizenzen oder Indikativpreise stellen diese Exportverbote administrative Flaschenhälse dar, die vom Staat überwacht werden und mit denen Renten gesichert werden können. Die Reaktion der Regierung in Kiew auf diese Exportverbote war höchst zweideutig: Präsident Kutschma teilte den Regionalverwaltungen zwar mit, daß sie ihre Kompetenzen überschritten hätten, aber Händler berichteten, daß die regionalen Exportverbote nach wie vor in Kraft seien. Im Mai 1997 verabschiedete das Ministerkabinett eine Resolution mit einem zweideutigen rechtlichen Vorwand, die die Oblastverwaltungen erneut zur Verhängung der regionalen Exportverbote ermächtigte. Ende Juli machten einige Oblaste hiervon Gebrauch, wobei die Anwendung in einer ad hoc Manier erfolgte, nach der einige kommerzielle Getreidegeschäfte genehmigt wurden, andere aber nicht. Auch nach der Ernte 1998 kam es zu von der Regierung in Kiew zumindest geduldeten, regional verhängten Verboten kommerzieller Transaktionen von Getreide.

Aufgrund dieser Verbote der letzten drei Jahre waren viele Händler nicht in der Lage, Getreide, das ihnen als Zahlung für im Frühjahr gelieferte Vorleistungsgüter versprochen worden war, zu sichern. Hierdurch entstanden z.B. für ausländische Chemieunternehmen Verluste in Höhe von mehr als 100 Mio. USD im Jahr 1998. Verständlicherweise sind diese Firmen zunehmend vorsichtig geworden und liefern inzwischen fast ausschließlich gegen Vorauszahlung. Da die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine aber aus Gründen der Liquidität keine Vorauszahlungen leisten können, haben die regionalen Handelsverbote letztlich dazu geführt, daß die Betriebe Jahr für Jahr noch schlechter mit Inputs und Technik ausgestattet werden als sie es ohnehin waren. Der Staat nimmt dies zum Anlaß, sich noch stärker in die Versorgung der Betriebe mit Inputs einzumischen. Das hat wiederum zur Folge, daß der Staat im Herbst noch größere Mengen Getreide in Zahlung nehmen möchte, begünstigt, wenn es sein muß, durch die Verhängung oder Duldung von regionalen Exportverboten. Somit ist die Landwirtschaft systematisch in einen Teufelskreis geleitet worden: Staatliche Eingriffe verdrängen private Vorleistungslieferanten und Händler, und das Fehlen dieser privaten Lieferanten und Händler dient wiederum als Rechtfertigung für weitere staatliche Eingriffe. Leidtragende sind letztlich die Betriebe und die Getreideproduktion, denn die Geschichte zeigt deutlich, daß der Staat nicht in der Lage ist, die richtigen Inputs zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Betriebe zu liefern.

Im August 1996 wurde mit dem Erlaß Nr. 1000 des Ministerkabinetts das Staatsunternehmen Khlib Ukrainy gegründet. Dieses Unternehmen sollte als Staatsholding bedeutende Anteile an 550 Getreidevermarktungsunternehmen in der Ukraine bekommen. Zunächst sollte Khlib Ukrainy die Verantwortung für den Staatsauftrag tragen; Ende 1997 kündigte die ukrainische Regierung jedoch das Ende der Staatsauftrag an. Dennoch beansprucht der Staat weiterhin den Löwenanteil der ukrainischen Getreideernte als Rückzahlung für gelieferte Vorleistungsgüter und technische Ausrüstung. Nach einer Schätzung erhob der Staat 1998 Ansprüche auf 10 Mio. t der Getreideernte, was rund 75% des

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insgesamt vermarktbaren Getreides (die Ernte abzüglich Eigenverbrauch auf den Betrieben) im Erntejahr 1998 darstellt. D.h., trotz angekündigter Aufgabe des Staatsauftrags übertraf dieser den des Vorjahres um den Faktor 1,7.7 Offiziell hat der Staat also seine Staatsaufträge eingestellt, tatsächlich haben sich die Praktiken nicht geändert, und Khlib Ukrainy spielt nach wie vor die dominante Rolle in der ukrainischen Getreidevermarktung. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß Khlib Ukrainy 1998 durch das Anti-Monopol-Komitee der Ukraine Strafzahlungen aufgrund ihres monopolistischen Verhaltens auferlegt bekam.8

Eigentlich sollte bereits ein Großteil der Getreidevermarktungsunternehmen, die zu der Staatsholding Khlib Ukrainy gehören, privatisiert werden. Aber diese Privatisierung hat bisher viel Zeit in Anspruch genommen und liegt hinter dem ursprünglichen Fahrplan zurück. Ferner stellt diese Privatisierung keine Garantie für eine Wettbewerbsankurbelung dar. Die bestehende Gesetzgebung sieht vor, daß landwirtschaftliche Produzenten 51% der Anteile in den privatisierten Unternehmen erhalten sollen. Ferner wird Khlib Ukrainy weiterhin die staatlichen Anteile der privatisierten Unternehmen kontrollieren (in der Regel 25%, oft mehr, insbesondere in den strategisch bedeutendsten Betrieben). D.h., es ist für potentielle Investoren kaum möglich, die effektive Kontrolle über Unternehmen der Getreidevermarktung in der Ukraine zu bekommen. Unrentable Betriebszweige können demnach nicht geschlossen werden, überflüssige Arbeitskräfte können nicht entlassen werden, und das Unternehmen kann seine Zulieferer und Kunden nicht frei aussuchen. Schließlich betrifft die bisherige Privatisierung nicht die anderen Schlüsselbereiche in der Vermarktungskette, wie den Transportsektor, die Umschlagmöglichkeiten in den Häfen und die unangefochtene Macht der Zollbehörden. Folglich werden die Getreidehändler weiterhin mit physischen und administrativen Monopolen zu kämpfen haben und daher weiterhin die hieraus entstehenden überhöhten Vermarktungskosten auf die Erzeuger zu überwälzen versuchen.

Insgesamt sind Getreidegeschäfte ohne die aktive Beteiligung des Staates in der Ukraine undenkbar, und die Gründung von Khlib Ukrainy läßt keine Änderung dieser Situation erwarten. Internationale Händler, die ukrainisches Getreide exportieren möchten, müssen sich die Unterstützung mehrerer Behörden - darunter der Regionalverwaltungen, des staatlichen Transportwesens, der Hafenverwaltungen und der Zollbehörden - sichern. Diese versuchen, physische und administrative Monopolstellungen durchzusetzen, um Renten abzuschöpfen, die sonst bei den Erzeugern ankommen würden. So gesehen hat die politische Ökonomie des Getreidemarktes in der Ukraine einen gefährlichen Charakter. Gegenwärtig genießen wenige Monopolisten bei der Vermarktung einer geringen Getreideexportmenge große Vorteile, die - konzentriert in wenigen Händen - sehr lukrativ erscheinen. Die Abschaffung dieser Monopole würde zu erhöhten Produktionsanreizen und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu wesentlich höheren Gewinne führen, die aber auch viel breiter verteilt werden würden. Diejenigen, die von der gegenwärtigen Lage profitieren, haben wenig

7 Siehe CPER (1998). 8 Khlib Ukrainy „ ... adopted a monopoly position in 1997 in the regional services market in grain

procurement, processing and storage in Dnipropetrowsk, Luhansk, Lviv, Mykolaiv, Kharkiv, Kherson und Cherkassy oblasts ...“ und wurde deshalb vom Anti-Monopol-Komitee zu einer Strafzahlung in Höhe von UAH 30.000 verurteilt (UNIAN, 1998).

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Interesse an einer solchen Reform und konnten diese bisher mit Erfolg abwehren bzw. waren äußerst einfallsreich bei der Erfindung neuer Eingriffe, wenn alte weichen mußten.

Zusätzlich zu den bereits angesprochenen Problemen leidet die Getreideproduktion auch an mangelnder Transparenz. Zuverlässige Informationen über Preise sowohl für das Endprodukt als auch für Vorleistungsgüter und Vermarktungsdienstleistungen sind schwer zu erhalten. Die Agrarbörsen, die für Transparenz sorgen sollten, haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen können. Anfangs konnten recht hohe Handelsvolumina an den Börsen vermerkt werden (Abbildung 6-5), weil auf den Börsen gehandelte Getreidepartien von den Genehmigungspflichten für Exporte befreit wurden. Als 1996 diese Befreiung jedoch abgeschafft wurde, entfiel der Anreiz zur Nutzung dieser Börsen, und das Handelsvolumen war dementsprechend stark rückläufig. 1997 wurde nur noch 1% des gesamten in der Ukraine vermarkteten Getreides an den Agrarbörsen gehandelt, und 1998 gab es keine wesentliche Erhöhung dieses Handelsvolumens. Wenn man diese Verkäufe auf das gesamte Jahr gleichmäßig verteilt, entspricht dieses einem Handelsvolumen von rund 350.000 - 400.000 USD pro Woche. D.h., daß ähnlich unbedeutende Mengen, wie sie in Abbildung 6-5 Ende 1996 zu sehen sind, auch 1997 und 1998 an den Börsen gehandelt wurden. Nachdem die Einstellung des Staatsauftrags ab Ende 1997 angekündigt wurde, versprach die Regierung, zukünftig ihren Getreidebedarf über den Ankauf an den Börsen zu decken (Beschluß des Ministerkabinetts Nr. 1417). Bis heute hat sie allerdings dieses Versprechen nicht eingelöst. Statt dessen sichert der Staat weiterhin seine Getreideversorgung über den Austausch für Vorleistungsgüter und technische Ausrüstung (s. oben).

Händler berichten, daß die Agrarbörsen für die Getreidepreisbildung in der Ukraine belanglos seien. Es wird auch über Scheinangebote, Irregularitäten bei der Durchführung von Geschäften (Diskrepanzen zwischen angekündigten und tatsächlichen Qualitäten sowie den Lieferbedingungen) und eine starke Einflußnahme des Staates berichtet. Dabei klagen gleichzeitig Käufer über zu hohe und Verkäufer über zu niedrige Preise. Dies deutet auf überhöhte Transaktionskosten bei der Nutzung dieser Börsen hin. Um dem Zugriff der Steuerbehörden zu entkommen werden, offizielle - d.h. sichtbare - Transaktionen an den Börsen vermieden und erst nach den Handelszeiten an der Börse abgeschlossen, wenn sich die anwesenden Händler inoffiziell treffen. Diese Entwicklungen sind bedenklich, denn ohne funktionierende Börsen ist die Preisfindung für Agrarprodukte in der Ukraine wenig transparent.

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Abbildung 6-5: Das wöchentliche Handelsvolumen an der Agrarbörse in Kiew, 1995-1996

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

35.000

27.01

.95

21.04

.95

14.07

.95

06.10

.95

26.12

.95

20.03

.96

12.06

.96

04.09

.96

27.11

.96

Datum

in 1

.000

USD

Trend

Quelle: UKRAINIAN AGRARIAN EXCHANGE (wöchentliche Auktionsergebnisse).

4 Schlußfolgerungen Die Annahme, daß Produktionsrückgänge und die damit entgangenen Exporterlöse

vornehmlich auf die Kapitalknappheit zurückzuführen seien, ist irreführend. Kapitalknappheit und fehlende Technik sind ernstzunehmende Probleme, stellen aber nur Symptome dar, die auf schleppende oder unterlassene Reformen zurückzuführen sind. Um die Getreideproduktion und den Export zum wirtschaftlichen Vorteil der gesamten Ukraine anzukurbeln, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Der Bodenmarkt muß liberalisiert werden. Wenn der politische Widerstand gegen den Kauf und Verkauf von Boden nicht überwunden werden kann, dann müssen zumindest langfristige Pachtverträge und die Beleihbarkeit von Boden ermöglicht werden. Die Gesundung der Landwirtschaft in der Ukraine steht in engem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Effekten eines funktionierenden Bodenmarkts (Zugang zu Krediten und der Wanderung der knappen Ressourcen zu besten Betriebsleitern). Das Inkrafttreten des neuen Pachtgesetzes am 1.1.1999 zeigt bereits erste Wirkung und stellt einen positiven Schritt dar.

2. Die Vermarktungsstrukturen für Getreide müssen dringend entmonopolisiert werden. Staatsunternehmen, die Vermarktungsdienstleistungen (wie z.B. Lagerung und Transport) anbieten und immer noch nicht privatisiert sind, sollten so schnell wie

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möglich privatisiert werden. Darüber hinaus sollte sich der Staat unbedingt von seinen Anteilen in den bereits privatisierten Unternehmen trennen, damit privatwirtschaftliche Entscheidungsstrukturen entstehen können, die durch Umstrukturierung die Effizienz der Getreidevermarktung erhöhen. Weiterhin sollte die Konkurrenz auf den Märkten für Dienstleistungen verschärft werden, d.h. die schnelle und unbürokratische Zulassung von Unternehmen, die beispielsweise Getreide per Schiff entlang des Dnipro als Alternative zum Schienentransport anbieten oder von Unternehmen, die Lagerhäuser für Getreide errichten wollen.

3. Das Staatsunternehmen Khlib Ukrainy muß privatisiert werden. Mit der Gründung von Khlib Ukrainy erfuhren die direkten und indirekten staatlichen Eingriffe in der Getreidevermarktung in der Ukraine ihre Fortsetzung. Die weitere Existenz von Khlib Ukrainy steht im Widerspruch zum gesetzten Ziel, die ausländischen Investitionen in der Getreidewirtschaft zu erhöhen. Um die Effizienz der ukrainischen Getreidevermarktung signifikant zu erhöhen, muß Khlib Ukrainy allerdings nicht einfach nur formal, sondern wirklich privatisiert werden. D.h., privaten Investoren muß die Möglichkeit eingeräumt werden, die Mehrheitsverhältnisse in den Unternehmen, die noch immer Khlib Ukrainy gehören, sicherzustellen und diese Unternehmen vollständig umzustrukturieren.

4. Künstliche, administrative Monopole in der Vermarktungskette für Getreide müssen beseitigt werden. Diese Monopole, die ihre Macht z.B. ausspielen, indem sie die Verteilung von Transportkapazitäten steuern, sorgen für niedrige Ab-Hof-Preise und wirken deshalb wie eine versteckte Steuer für die Landwirte in der Ukraine. Offiziell sind die ukrainischen Außenhandelsregelungen für Getreide bereits liberalisiert. Ohne Transparenz und Rechtsstaatlichkeit ist eine formale Liberalisierung aber nur von geringer praktischer Bedeutung. Rechtsfreie Räume, die von Zollbehörden und Oblastverwaltungen zum eigenen Vorteil mißbraucht werden, müssen beseitigt werden.

5. Die Transparenz auf dem inländischen Getreidemarkt muß erhöht werden. Die Agrarbörsen sind z.Zt. kaum funktionsfähig. Die Zulassung zur Börsenteilnahme sowie Auktionspraktiken und Vertragsbedingungen müssen transparenter werden und von einer unabhängigen, nichtstaatlichen Institution verwaltet werden. Der Staat soll zukünftig seine Getreideaufkäufe im Wettbewerb mit privaten Nachfragern an den Agrarbörsen erledigen. Dies würde die Liquidität der Börsen und die Erzeugerpreise erhöhen. Steuersätze und -praktiken, die jede Teilnahme an den Börsenhandel in der Ukraine zum Verlustgeschäft machen, müssen reformiert werden.

6. Der Staatsauftrag für Getreide muß endlich nicht nur formal, sondern faktisch abgeschafft werden. Ende 1997 wurde dieser Schritt angekündigt. In Wirklichkeit jedoch beanspruchte der Staat von der Getreideernte 1998 einen noch größeren Anteil als 1997. Viele Politiker in der Ukraine sind der Meinung, daß der Staat eine Aufgabe als Anbieter von Vorleistungsgütern für die Landwirtschaft zu erfüllen hat und sich deshalb in die Vermarktung der Ernte einmischen darf und muß. Hierdurch entsteht allerdings ein Heer von frustrierten privaten Anbietern von Vorleistungsgütern, eine erhöhte Abhängigkeit der Betriebe von staatlichen Lieferungen von Vorleistungsgütern und verstärkte staatliche Eingriffe in die Getreidevermarktung.

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Politiker müßten den Mut aufbringen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Langfristig können nur private Anbieter von Vorleistungsgütern und private Vermarktungsstrukturen gewährleisten, daß die Ukraine zu einem 'Global Player' auf den Weltgetreidemärkten wird.

5 Literatur BICKERT, C. (1997): Getreide: Wohin die Ernte fließt. DLG-Mitteilungen, Nr. 7.

BMELF (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten) (1996): Agrarbericht, Bonn.

CPER (Centre for Privatisation and Economic Reform) (1998): How Much Grain Has the Ukrainian Government Claimed? CPER Staff Analyses, No. 32, Kiew.

DEUTSCH-UKRAINISCHER KOOPERATIONSRAT (1996): Protokoll: Tagung der Arbeitsgruppe 'Landwirtschaft-Ernährungsindustrie', 17. September.

FAO (1999): Agricultural Statistics, Internet Site ‘www.fao.org’, am 15. Juni.

HAWRYLYSHYN O. (1994): On the political economy of trade in Ukraine. Comment on ‘Ukraine: A Trade and Exchange System Still Seeking Direction’. In: Michalopolous, C. & Tarr, D. (eds.): Trade in the New Independent States. The World Bank, Washington, D.C.

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7 Der Markt für Zucker in der Ukraine: Gestern, Heute und Morgen

Stephan von Cramon-Taubadel, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung Die Ukraine blickt auf eine lange Tradition als Zuckerproduzent und Zuckerexporteur

zurück. Daher ist es für weite Kreise in der Ukraine selbstverständlich, daß die Zuckerproduktion weiterhin eine Schlüsselrolle in der ukrainischen Landwirtschaft spielen muß. Seit Beginn des Transformationsprozesses ist die Zuckerproduktion aber stark zurückgegangen. Die Zuckerfabriken schreiben Verluste, und die Zuckerexporterlöse schrumpfen. In der ersten Hälfte des Jahres 1997 hat die Regierung der Ukraine Pläne für eine Neuregelung des Zuckermarktes entworfen. Diese Pläne, die auf die Implementierung eines Quotensystems nach EU-Muster zielen, sollen der Zuckerproduktion in der Ukraine zum alten Glanz verhelfen. Bisher hat die Regierung der Ukraine es nicht geschafft, diese Pläne in die Realität umzusetzen, aber Entwicklungen Mitte 1999 deuten darauf hin, daß ein erneuter Anlauf gelingen könnte.

Im folgenden wird die Lage auf dem Zuckermarkt der Ukraine analysiert. Zunächst erfolgt in Abschnitt 2 eine Bestandsaufnahme der zwei wesentlichen Komponenten der Zuckerindustrie in der Ukraine, die Zuckerrübenproduktion und die Zuckerrübenverarbeitung. Anschließend (Abschnitt 3) wird die gegenwärtige und zu erwartende Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Zuckerproduktion analysiert. In Abschnitt 4 wird untersucht, ob das vorgeschlagene Quotensystem eine geeignete Lösung der gegenwärtigen Probleme darstellt. Das Papier schließt mit Empfehlungen für die zukünftige Zuckerpolitik der Ukraine.

2 Die Zuckerproduktion in der Ukraine: Eine Bestandsaufnahme

2.1 Die Produktion von Zuckerrüben

Die Zuckerrübenproduktion in der Ukraine ist von durchschnittlich 43,8 Mio. t im Zeitraum 1986-1990 auf 31,3 Mio. t im Zeitraum 1991-95 gefallen (Abbildung 7-1). Gleichzeitig sanken die Erträge von durchschnittlich 26,7 t/ha auf 20,9 t/ha. Daß die Produktionsmengen relativ stärker zurückgingen als die Erträge, spiegelt den gleichzeitigen Rückgang der Flächen (11,5% von 1,65 auf 1,46 Mio. ha) wider. 1996 lagen Produktion und Erträge bei lediglich 23 Mio. t bzw. 19,9 dt/ha. 1997 und 1998 ist die Produktion auf 17,7 bzw. 15,5 Mio. t zusammengebrochen.

Der Vergleich der gegenwärtigen Situation mit den Jahren 1986-90 erweckt vielleicht den Eindruck, daß der Transformationsprozeß einen sehr produktiven Sektor getroffen hat. Dabei wird übersehen, daß die aus technischer Sicht besten Ergebnisse in der ukrainischen Zuckerrübenproduktion bereits 1971-75 erreicht wurden (vgl. Abbildung 7-1). In den zwei Jahrzehnten vor Beginn des Transformationsprozesses waren die Erträge insgesamt leicht rückläufig. In Europa insgesamt dagegen stiegen die durchschnittlichen Zuckerrübenerträge zwischen 1971-75 und 1986-90 um 25% von 36,3 auf 44,5 t/ha; weltweit stiegen die Erträge

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um 16% von 29,8 auf 34,6 t/ha. Mit anderen Worten, die ukrainische Zuckerrübenproduktion zeigte bereits vor Beginn des Transformationsprozesses deutliche Schwächen, denn die Erträge lagen unter dem europäischen bzw. internationalen Durchschnitt und stagnierten im Zeitablauf statt zu steigen.

Abbildung 7-1: Zuckerrübenproduktion und Erträge in der Ukraine: 1971-1998

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Prod

uktio

n (M

io. t

)

Ertrag Produktion

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge).

Erträge von 40-50 t/ha und darüber hinaus könnten in der Ukraine anbautechnisch ohne Probleme erzielt werden und würden auf einer Fläche von ca. 1,4 Mio. ha eine Zuckerrübenernte von 60-75 Mio. t zur Folge haben. Allerdings würden die hierzu erforderlichen variablen Kosten (Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz usw.) ca. 450 USD/ha betragen - d.h., es bestünde ein Bedarf an kurzfristigen Krediten von ca. 650 Mio. USD /Jahr. Mittel- und langfristige Investitionen in einer ähnlichen Größenordnung (für Landmaschinen usw.) kämen hinzu. Der Staat ist nicht in der Lage, solche Summen aus seinem Budget zur Verfügung zu stellen. Folglich hängt der Wiederaufbau der ukrainischen Zuckerrübenproduktion von privaten Investitionen aus dem In- und Ausland ab. Unter den jetzigen Bedingungen in der Ukraine verhalten sich private Investoren verständlicherweise sehr zurückhaltend. Eine notwendige Bedingung für eine Erhöhung der Zuckerrübenproduktion in der Ukraine ist daher, daß der Staat die Rahmenbedingungen für Investitionen verbessert.

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2.2 Die Zuckerrübenverarbeitung

Die ukrainische Zuckerproduktion insgesamt hängt nicht nur von der Rübenproduktion, sondern auch von der Rübenverarbeitung ab. Die Ukraine hat 192 Zuckerfabriken. Bis zum 1.1.1997 wurden 165 dieser Fabriken privatisiert, und diese Zahl ist seitdem weiter gestiegen. Die bisherige Privatisierung ist aber vorwiegend formaler Natur und bedeutet lediglich, daß Eigentumsanteile an die Führung und die Belegschaft der Betriebe verteilt worden sind. Da die Zuckerindustrie als ‘strategisch’ gilt, hat der Staat erhebliche Anteile an vielen Fabriken behalten (oft über 50%). Daher hat bisher so gut wie keine Umstrukturierung und Unternehmisierung nach marktwirtschaftlichen Prinzipien in der Zuckerverarbeitung stattgefunden. Obwohl viele Zuckerfabriken seit Jahren Verluste schreiben und sich kontinuierlich verschuldet haben, ist bisher kein Konkursverfahren eingeleitet worden.

Die durchschnittliche Zuckerfabrik in der Ukraine hat eine Kapazität von 2.670 t/Tag, d.h. ein Drittel des EU-Durchschnitts von ca. 7.500 t/Tag. Nur 19 von 192 Fabriken in der Ukraine haben eine Kapazität von über 5.000 t/Tag (Tabelle 7-1). Die ukrainischen Zuckerfabriken sind z.T. extrem überaltert; 58 von 192 wurden vor 1860 erbaut, weitere 66 vor der Jahrhundertwende. Die Fabriken verbrauchen durchschnittlich ca. zweimal so viel Energie pro Kilogramm Weißzucker wie Fabriken in der EU und extrahieren nur 80% des in der Rübe vorhandenen Zuckers (in Deutschland werden 85%, in den modernsten Fabriken 90% extrahiert). Zusammen mit dem niedrigen Zuckergehalt der in der Ukraine geernteten Rüben bedeutet dies, daß die Zuckerextraktion mit insgesamt etwa 12% des Rübengewichtes 10-20% unter dem Niveau der EU liegt. Das Endprodukt entspricht i.d.R. nicht den internationalen Standards (Asche, Farbe, Körnung) und kann daher nur mit Preisabschlägen auf dem Weltmarkt abgesetzt werden.

Ca. ein Drittel der ukrainischen Zuckerfabriken kann importierten Rohzucker verarbeiten. Von insgesamt 2,8 Mio. t Zuckerproduktion 1996 wurden ca. 0,6 Mio. t aus importiertem Rohzucker gewonnen; 1986-90 waren es im Durchschnitt 1,8 von 6,8 Mio. t.

Tabelle 7-1: Zuckerfabriken und Verarbeitungskapazität in der Ukraine

Anzahl der Fabriken in % Kapazität (t/Tag)

161 83,9 <3.000

8 4,0 3.000-4.500

4 2,0 4.500-5.000

18 9,4 5.000-6.000

1 0,5 >6.000

192 (Summe) 100,0 2.670 (Durchschnitt)

Quelle: NZW (1996, S.13).

Die Kapazität der ukrainischen Zuckerverarbeitungsindustrie beträgt 0,51 Mio. t Zuckerrüben/Tag bzw. ca. 55.000 Tonnen Weißzucker/Tag. Die Verarbeitung der sehr hohen Ernte von 51 Mio. t 1989 hätte folglich ca. 100 Tage in Anspruch nehmen müssen; die Ernten der letzten Jahre hätten theoretisch innerhalb von ca. 60 Tage verarbeitet werden können. Aufgrund erheblicher Probleme mit der Logistik und Versorgung - vor allem mit Energie -

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dauerte die ‘Kampagne’ aber erheblich länger. Es werden oft große Mengen stark verschmutzter oder bereits gefrorener Rüben angeliefert, was die Zuckerausbeute reduziert und die Verarbeitungskosten erhöht. Mitte Dezember 1996 hatten nur 100 Zuckerfabriken die Kampagne abgeschlossen, und lediglich 20 von 26 Mio. t Zuckerrüben waren verarbeitet worden. Somit lag die Kapazitätsauslastung der Industrie insgesamt bei ungefähr 50%. Mit zunehmender Überalterung der Fabriken wächst die Lücke zwischen der theoretischen, der möglichen und der tatsächlichen Kapazitätsauslastung.

Bei einer Kampagne von 80 Tagen würden ca. 45 moderne Fabriken mit 10.000-12.000 t/Tag Kapazität1 ausreichen, um eine Zuckerrübenernte von 40 Mio. t zu verarbeiten. Eine Fabrik dieser Größe kostet ca. 250 Mio. USD, so daß Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe getätigt werden müßten, um eine moderne Zuckerverarbeitung in der Ukraine aufzubauen. Auch wenn bereits vorhandene Fabriken mit geringerem Kapitaleinsatz modernisiert werden könnten, ist nicht zu erwarten, daß der Staat in der Lage sein wird, die fälligen Investitionen zu finanzieren. Wie bei der Zuckerrübenproduktion, ist bei der Zuckerrübenverarbeitung keine nachhaltige Besserung der gegenwärtigen Situation ohne private Investitionen zu erwarten.

3 Die Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Zuckerproduktion Ob private Investoren zukünftig bereit sein werden, der ukrainischen Zuckerindustrie

Kapital zur Verfügung zu stellen, hängt zunächst vom Investitionsklima in der Ukraine ab. Hierzu hat die Deutsche Beratergruppe bereits mehrmals ausführlich Stellung genommen.2 Unter den gegenwärtigen Bedingungen (Rechtsunsicherheit, häufige und rückwirkende Poli-tikänderungen, Überregulierung und Korruption) ist es wenig erstaunlich, daß Investitionen in der ukrainischen Landwirtschaft bisher nur im sehr begrenzten Umfang stattgefunden haben. In der Zuckerindustrie speziell hat z.B. die Kontroverse um das Joint Venture zwischen der britischen Firma Tate & Lyle und der Zuckerfabrik Odessa (Odesski sacharorafinadny sawod) eine sehr negative Stimmung bei potentiellen ausländischen Investoren erzeugt.3

Natürlich ist ein gutes Investitionsklima allein kein Garant für eine rege Investitions-tätigkeit in der ukrainischen Zuckerindustrie. Private investieren nur dann, wenn sie eine ausreichende Rentabilität erwarten. Dies wiederum hängt von der Wettbewerbsfähigkeit der Zuckerproduktion in der Ukraine ab.

1 Zum Vergleich: Fabriken, die in den neuen Bundesländern Deutschlands seit der Wende gebaut

wurden, haben folgende Kapazitäten (in t/Tag): Könnern 16.500; Kleinwanzleben 9.000; Anklam 10.000.

2 Siehe hierzu Kapitel 3: Können sie nicht oder wollen sie nicht? Ausländische Investoren und die ukrainische Landwirtschaft.

3 Tate & Lyle hat Anfang 1996 3 Mio. USD in Anlagen für die Verarbeitung von importiertem Rohzucker in der Zuckerfabrik in Odessa investiert. Da das Endprodukt für den Weiterexport nach Rußland bestimmt war, wurde dem Joint Venture zunächst der zollfreie Import von Rohzucker erlaubt. In November 1996 hat das Ministerium für Außenwirtschaftsbeziehungen diese Zollbefreiung aber gestrichen und durch einen 30%igen Zoll ersetzt. In Gesprächen Mitte 1997 zeigten sich Vertreter von Zuckerfirmen im Vereinigten Königreich, Deutschland und Frankreich (potentielle Investoren!) über diese Ereignisse bestens informiert.

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3.1 Zum Konzept der Wettbewerbsfähigkeit

Viele Ressourcen, die zum Aufbau der ukrainischen Zuckerproduktion benötigt werden, sind äußerst knapp. Hierzu zählen vor allem Kapital und Energie. Jeder Dollar bzw. jede Einheit Energie, die in die Zuckerproduktion fließen, verursachen Kosten für die Ukraine und stehen anderen Branchen und Sektoren nicht mehr zur Verfügung. Ob es von Vorteil für die Ukraine ist, wenn knappe Ressourcen ausgerechnet in die Zuckerproduktion fließen, hängt davon ab, ob diese Produktion wettbewerbsfähig ist.

Wettbewerbsfähigkeit läßt sich nicht automatisch aus der traditionellen Bedeutung eines Sektors ableiten. In der Vergangenheit war die Produktion von Zucker (und anderen landwirtschaftlichen Produkten) in der Ukraine planwirtschaftlich bestimmt und daher aus marktwirtschaftlicher Sicht erheblich verzerrt. Aus der Tatsache, daß die Ukraine traditionell viel Zucker produziert und exportiert hat, folgt daher nicht, daß die ukrainische Zuckerproduktion heute und in der Zukunft wettbewerbsfähig sein muß.

Wettbewerbsfähigkeit leitet sich auch nicht automatisch aus guten agro-klimatischen Bedingungen ab. Zum einen sind hohe Zuckerrübenerträge allein keine hinreichende Bedingung für eine wettbewerbsfähige Zuckerproduktion, denn das Endprodukt Zucker besteht aus den Teilprodukten Zuckerrüben und Zuckerrübenverarbeitung. Ohne eine effiziente Verarbeitung kann es trotz der höchsten Rübenerträge keine wettbewerbsfähige Zuckerproduktion geben. Zum anderen stellen die guten Böden der Ukraine auch eine knappe Ressource dar, für die es alternative Verwendungen gibt. Dort wo 80-90 t Zuckerrüben pro Hektar theoretisch produziert werden könnten, sind auch 80-90 dt Weizen pro Hektar möglich. Die Entscheidung, einen Hektar Zuckerrüben anzubauen, bedeutet den Verzicht auf einen Hektar Weizenertrag und stellt eine Fehlentscheidung dar, wenn der Gewinn aus dem Weizenanbau größer ist als der Gewinn aus dem Zuckerrübenanbau.

Die ukrainische Zuckerproduktion ist nur dann wettbewerbsfähig, wenn die Erlöse aus dem Verkauf von Zucker zu Weltmarktpreisen die Kosten überwiegen, die beim Kauf der benötigten Inputs (Boden, Saatgut, Energie, Verarbeitung usw.) zu Weltmarktpreisen entstehen. Die Bewertung des Zuckers und einiger der notwendigen Inputs (z.B. Energie) zu Weltmarktpreisen ist relativ einfach, da diese Produkte homogen sind und international gehandelt werden. Dagegen ist die Bewertung eines Inputs, wie z.B. Boden, für den es keinen Weltmarkt gibt, schwieriger. In diesem Fall muß man sich an sog. Opportunitätskosten orientieren, d.h. der Wert eines Inputs in der bestmöglichen alternativen Verwendung (z.B. im Falle des Faktors Boden stellt der Getreideanbau eine mögliche Alternative dar).

Es ist wichtig, deutlich zwischen der betriebswirtschaftlichen Rentabilität einerseits und Wettbewerbsfähigkeit andererseits zu unterscheiden. Wettbewerbsfähigkeit wurde oben als gesamtwirtschaftliches Konzept definiert, das angibt, ob ein Land durch eine Produktionsaktivität insgesamt reicher wird. Wenn der Staat den Preis eines Produktes durch Politikmaßnahmen, wie z.B. Zölle künstlich erhöht, kann die Produktion dieses Produktes aus betriebswirtschaftlicher Sicht rentabel erscheinen, obwohl sie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Verluste verursacht. Als Folge der künstlichen Rentabilität werden private Investitionen in dem betroffenen Sektor vielleicht erhöht, das Land wird trotzdem insgesamt ärmer.

Um ein zugegebenermaßen überzogenes, aber dennoch illustratives Beispiel zu nennen: Der ukrainische Staat könnte mit gezielten Maßnahmen (z.B. durch ein Importverbot

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gekoppelt mit Energieverbilligungen für Gewächshausbetreiber) sogar die einheimische Bananenproduktion aus betriebswirtschaftlicher Sicht rentabel erscheinen lassen. Investoren würden Gewächshäuser bauen, Bananen anbauen und Gewinne erzielen. Die Ukraine wäre aber trotz dieser Gewinne insgesamt ärmer, da die ukrainische Bananenproduktion mit Sicherheit nicht wettbewerbsfähig ist; zu Weltmarktpreisen übersteigen die Kosten der inländischen Bananenproduktion den Wert dieser Produktion erheblich.

Die Rentabilität eines Produktionsprozesses kann vom Staat beeinflußt werden, die Wettbewerbsfähigkeit des Prozesses dagegen ist ein Faktum, das vergleichsweise wenig beeinflußt werden kann.4 Wenn der Staat Rentabilitäten derart verzerrt, daß knappe Ressourcen in Produktionsrichtungen gelenkt werden, die nicht wettbewerbsfähig sind, dann wird das Land insgesamt ärmer, auch wenn bestimmte Gruppen (die Bananenproduzenten im obigen Beispiel) profitieren. Dies wäre eine Entwicklung, die sich ein armes Land, wie z.Zt. die Ukraine, nicht leisten kann.

3.2 Die Wettbewerbsfähigkeit der Zuckerproduktion in der Ukraine

Oben wurde erläutert, daß die Wettbewerbsfähigkeit von den Kosten und Erlösen zu Weltmarktpreisen abhängt. Die Produktionskosten für Zucker in der Ukraine variieren erheblich und werden von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich eingeschätzt. Nach Angaben von B. A. Melentiev (stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der ukrainischen Vereinigung der Zuckerindustrie ‘Ukrzukor’) lagen die durchschnittlichen Produktionskosten für Weißzucker in der Ukraine 1995 bei 390 USD/t. Dabei betrugen die niedrigsten Kosten 193 USD/t und die höchsten 790 USD/t (MELENTIEV 1996).

Es kann davon ausgegangen werden, daß diese Produktionskosten seit 1995 angewachsen sind. Erstens sind die Preise für Energie gestiegen: Bis 1995 hatte der Anteil der Energieträger an den gesamten Produktionskosten für Zucker von ca. 6% Anfang der 90er Jahre auf bis zu 15% zugenommen. Die Abwertung der Hryvnia Ende 1998 wird zu einer weiteren Verteuerung des Faktors Energie beigetragen haben. Zweitens ist die Kapazitätsauslastung der Zuckerfabriken aufgrund der stetig abnehmenden Ernten gefallen, so daß die Fixkosten auf eine geringere Produktionsmenge verteilt werden müssen. Drittens muß davon ausgegangen werden, daß die meisten Zuckerfabriken seit Beginn des Transformationsprozesses kaum bzw. überhaupt nicht reinvestiert haben und somit von der Substanz leben. Die tatsächlichen Produktionskosten unter Berücksichtigung von Abschreibungen müßten demnach höher liegen als die berichteten. Auch die Tatsache, daß die gezahlten Energiepreise in der Ukraine zwar gestiegen sind, aber weiterhin unter dem Weltmarktniveau liegen, führt dazu, daß die Produktionskosten höher eingeschätzt werden müssen als berichtet. In einer Studie (LMC INTERNATIONAL 1997) wird die Ukraine in einer Gruppe von Rübenzuckerproduzenten mit hohen Kosten von 36-55 cts/lb geführt (zusammen mit Bulgarien, Japan, Kasachstan, Moldawien und Rußland). Insgesamt kann davon

4 Gelegentlich wird argumentiert, daß der Staat durch gezielte Schutzmaßnahmen bestimmten

Industrien zu Wettbewerbsfähigkeit verhelfen kann (z.B. das sog. ‘Infant Industry’ Argument). Klare empirische Beweise hierfür sind allerdings selten. Siehe Kapitel 2: Protektion der ukrainischen Agrarwirtschaft: Ein Rezept zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit?

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ausgegangen werden, daß ukrainische Zuckerfabriken zu Kosten von mindestens 400 bis 500 USD/t (18-23 cts/lb5) produzieren, in vielen Fällen sogar 750-850 USD/t (35-40 cts/lb).6

Liegen diese Kosten höher oder niedriger als der Weltmarktpreis? ‘Der’ Weltmarktpreis für Zucker als solcher existiert nicht, sondern es gibt mehrere Preise im internationalen Zuckerhandel, die sich je nach Qualität und Verarbeitungsstufe des Produktes (Rohzucker, Weißzucker, Farbe, Asche, Feuchtigkeit) und Lieferbedingungen (Datum, Verpackung, cif oder fob) unterscheiden. Obwohl diese Preise - ob z.B. Rohzucker, lose fob Brasilien oder Weißzucker, verpackt cif Schwarzmeer - sich im Niveau unterscheiden, stehen sie in enger Beziehung zueinander, denn Arbitrageure sorgen dafür, daß Preisänderungen von einem Teilmarkt schnell auf andere Teilmärkte übertragen werden und so zum Ausdruck kommen.

Am häufigsten wird der sog. ISA-Preis als Indikator des Weltmarktpreises zitiert. Der ISA-Preis ist ein Durchschnitt verschiedener Preise für Rohzucker.7 Der internationale Handel mit Rohzucker ist wesentlich intensiver als mit Weißzucker, da Weißzucker ein relativ empfindliches Nahrungsmittel ist, das gegen Verunreinigung und Feuchtigkeit geschützt werden muß und daher für den Transport über längere Strecken weniger geeignet ist. Der ISA-Preis liegt gegenwärtig (1. Quartal 1999) bei unter 8 cts/lb (175 USD/t). Die Entwicklung dieses Preises seit 1970 wird in Abbildung 7-2 dargestellt. Der ISA-Preis liegt unterhalb entsprechender Spot-Preise für Weißzucker, die z.B. in London und New York notiert werden und z.Zt. 200-240 USD/t (9-11 cts/lb) betragen. Aufgrund seiner niedrigeren Qualität kann ukrainischer Weißzucker nur mit Abschlägen von diesen internationalen Weißzuckerpreisen abgesetzt werden. Insgesamt stellt der ISA-Preis eine Untergrenze für die Bewertung des ukrainischen Weißzuckers dar, und die Weißzucker Spot-Preise, die i.d.R. ca. 3-4 cts/lb höher liegen, eine Obergrenze. Folglich ist der ukrainische Zucker gegenwärtig (1. Quartal 1999) mit einem Preis zwischen ca. 175 und vielleicht 225 USD/t (ca. 8-10 cts/lb) zu bewerten; als Anhaltspunkt können vielleicht 200 USD/t (9 cts/lb) dienen.

5 Zuckerpreise werden international sowohl in USD/t als auch in cts/lb (‘cents’ pro ‘pound’) notiert.

Ein Dollar enthält 100 ‘cents’, und eine Tonne 2.200 ‘pounds’. Angaben in USD/t werden folglich in cts/lb umgerechnet, in dem sie durch 22 geteilt werden.

6 Experten der Vereinigung Ukrzukor behaupten, daß ukrainische Fabriken einen Preis von 625 USD/t erzielen müssen, um eine Gewinnmarge von 10% zu sichern (vgl. INTERFAX-UKRAINE 1997a). 625 USD/t abzüglich 20% Mehrwertsteuer und 10% Gewinnmarge ergibt 450 USD/t an Produktionskosten. Vertreter ausländischer Zuckerunternehmen berichten, daß unter günstigen Bedingungen in wenigen Zuckerfabriken ab einem Zuckerpreis von 300 USD/t gewinnbringend produziert werden kann. Hierbei werden aber keine Investitionen in den Zuckerfabriken berücksichtigt, d.h., es werden nur die variablen Kosten gedeckt.

7 Die Abkürzung ISA steht für ‘International Sugar Agreement’.

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Abbildung 7-2: Der Weltmarktpreis* für Weißzucker, und Produktionskosten in der Ukraine

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Prei

s (ce

nts/

lb)

Weltmarktpreis (ISA)

Produktionskosten in der Ukraine

Minimum = 20 USў/lb

Maximum = 40 USў/lb

Hinweis: * ISA-Preis (siehe Text). Angaben für 1999 beziehen sich auf das erste Quartal. Quelle: ISA-Meldungen.

Abbildung 7-2 zeigt, daß von den zwei ‘Zuckerkrisen’ der 70er Jahre abgesehen sich der ISA-Preis stets unterhalb 13 cts/lb (290 USD/t) und über längere Zeiten sogar unterhalb 10 cts/lb (220 USD/t) gehalten hat. Experten bei der OECD (versch. Ausgaben) und anderer Institutionen, die die Weltzuckermärkte beobachten, erwarten keine wesentliche Steigerung der Weltmarktpreise in den kommenden Jahren, denn die Weltzuckerbestände befinden sich seit einigen Jahren auf einem hohen Niveau. In Abbildung 7-3 wird die starke negative Korrelation zwischen dem Umfang der weltweiten Zuckerbestände einerseits und dem Weltmarktpreisniveau andererseits dargestellt. Die gegenwärtige Überschußsituation auf den Weltmärkten würde sich noch verschärfen, wenn die Ukraine ihre Produktions- und Exportmengen erheblich ausdehnen würde, was die Preise noch stärker unter Druck setzten müßte.

Die Schlußfolgerung: Die Produktionskosten für Zucker in der Ukraine sind höher als die gegenwärtigen und zu erwartenden Weltmarktpreise. Somit ist die ukrainische Zuckerindustrie z.Zt. international nicht wettbewerbsfähig.

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Abbildung 7-3: Der Zusammenhang zwischen den Zuckerbeständen weltweit und dem Weltmarktpreis für Weißzucker

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)Weltmarktpreis Verhдltnis Bestдnde:Nachfrage

Quelle: F.O. LICHT (versch. Ausgaben).

Gegen die Aussage, daß die ukrainische Zuckerproduktion international nicht wettbewerbsfähig ist, könnten zwei Einwände erhoben werden. Zum einen scheint ukrainischer Zucker auf dem benachbarten russischen Markt doch immer wieder wettbewerbsfähig zu sein. Im Süden Rußlands werden Weißzuckerpreise von bis zu 600 USD/t notiert, und Rußland ist ein traditioneller Absatzmarkt für Zucker aus der Ukraine.8 Die Hauptgründe für diese hohen Preise auf dem russischen Zuckermarkt sind die Mehrwertsteuer- (10%) und - seit Mai 1997 - eine Zollbelastung (25%) für russische Zuckerimporte (Rußland ist Nettoimporteur von ca. 1,5 bis 2 Mio. t. Weißzucker jährlich). Ohne diese Nettobelastung von ca. 35% würden die Zuckerpreise in Rußland wesentlich niedriger liegen.9

Diese Ursachen für hohe Preise in Rußland sind aber gleichzeitig auch die Gründe dafür, daß die Ukraine nicht gut beraten wäre, große Hoffnungen in den Zuckerexport nach

8 1995 hat die Ukraine 1,4 Mio. t Weißzucker nach Rußland exportiert. Dabei lag der

durchschnittliche Exportpreis bei 472 USD/t. Entsprechende Zahlen für 1996 sind 1,2 Mio. t und 476 USD/t.

9 Äußerungen des Außenhandelsministers Osyka zufolge ist der Preis von ukrainischem Zucker auf dem russischen Markt zwischen 1997 und 1996 aufgrund von Zoll- und Steuerbestimmungen sogar um 57,65% gestiegen (vgl. INTERFAX-UKRAINE 1997b).

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Rußland zu setzen. Es muß damit gerechnet werden, daß die Transport- und Transaktionskosten im inner-russischen Handel mittel- bis langfristig sinken werden. Damit werden die Importparitätspreise für Zucker in Richtung Weltmarktniveau sinken und andere Zuckerexporteure zunehmend in der Lage sein, auf dem russischen Zuckermarkt gegen die Ukraine anzutreten. Ferner ist der russische Markt – wie die Erfahrung der letzten Jahre deutlich zeigt - ein sehr unsicherer Markt, der von willkürlichen politischen Entscheidungen der Regierung in Moskau bestimmt wird. Seit Einführung des 25%igen russischen Importzolls auf Zucker vor ca. 2 Jahren ist kein Monat vergangen, ohne daß hochrangige politische Verhandlungen über Zuckerlieferungen (d.h. über Mengen, Preise, Sonderbedingungen, Gegenlieferungen, bevorzugte Händler usw.) zwischen der Ukraine und Rußland stattgefunden haben. Die praktischen Ergebnisse dieser Verhandlungen waren aus Sicht der ukrainischen Zuckerindustrie insgesamt enttäuschend und stellen mit Sicherheit keine verläßliche Basis für unternehmerisches Planen dar. Aus diesen Gründen wäre es sehr riskant, die Entwicklung der ukrainischen Zuckerindustrie vom Absatz in Rußland abhängig zu machen.

Zum anderen könnte argumentiert werden, daß die ukrainische Zuckerindustrie zwar in ihrer gegenwärtigen Form international nicht wettbewerbsfähig ist, daß eine wettbewerbsfähige Industrie durch umfangreiche Investitionen aufgebaut werden könnte. Viele ukrainische Beobachter sind - vom Produktionspotential der ukrainischen Böden ausgehend - von dieser These überzeugt; aus ihrer Sicht war die ukrainische Zuckerindustrie früher wettbewerbsfähig und mit entsprechenden Investitionen kann sie es wieder werden.

In diesem Zusammenhang muß nochmals daran erinnert werden, daß die vergangene Bedeutung einer Industrie kein Garant für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ist. Es muß zumindest stark bezweifelt werden, ob eine wettbewerbsfähige Zuckerindustrie in der Ukraine selbst mit erheblichen Investitionen in der Rübenproduktion und -verarbeitung errichtet werden könnte. Die Weltmärkte für Zucker sind instabil, wie in den Abbildungen 7-2 und 7-3 deutlich zu sehen ist und sowohl hart umkämpft als auch äußerst politikabhängig. Es ist fraglich, ob die zweifelsohne vorhandenen agro-klimatischen Vorteile der Ukraine ausreichen, um der Konkurrenz sowohl der Billig-Produzenten (vor allem Rohrzuckerproduzenten in Zentral- und Lateinamerika sowie Asien) als auch der reichen subventionierenden Exportländern (z.B. die EU) standzuhalten. In der Vergangenheit lagen die Weltmarktpreise zeitweise sogar unter 8-9 cts/lb (175-200 USD/t) und es ist nicht ausgeschlossen, daß ähnliche ‘Durststrecken’ auch zukünftig bewältigt werden müßten. Eine solche Phase deutet sich z.Zt. an, und in solchen Phasen können auch die am billigsten, auf der Basis von Zuckerrohr produzierenden Länder (z.B. Brasilien) vielfach nur Verluste schreiben.

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Tabelle 7-2: Zuckerproduktionskosten in verschiedenen Ländern: Durchschnitt der Jahre 1989/90 bis 1994/95 in cts/lb.

Produkt Land Produktionskosten (cts/lb)

Rohrzucker, roh Billige Produktion* 8,0-9,9

Hauptexporteure** 11,2-15,1

Welt 14,5-16,5

Rohrzucker, weiß Billige Produktion* 11,7-13,7

Hauptexporteure** 15,1-19,4

Welt 18,7-20,9

Rübenzucker, raffiniert Billige Produktion*** 19,7-21,7

Hauptexporteure**** 25,7-32,3

Welt 27,8-33,5

High Fructose Corn Syrup Hauptproduzenten***** 12,5-13,6 Hinweis: * Brasilien, Kolumbien, Guatemala, Malawi und Sambia. ** Australien,

Brasilien, Kolumbien, Kuba, Guatemala, Mauritius, Südafrika und Thailand. *** Belgien, Chile, Niederlande, Türkei, Ver. Königreich und USA. **** EU, Türkei und Ukraine. ***** Argentinien, Belgien, Kanada, Finnland, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Japan, Niederlande, Südkorea, Spanien, Taiwan, Vereinigtes Königreich und USA.

Quelle: LMC INTERNATIONAL (1997).

In Tabelle 7-2 werden einige Informationen über Zuckerproduktionskosten in verschiedenen Ländern der Welt präsentiert. Der Tabelle ist zu entnehmen, daß die billigsten Rohrzuckerproduzenten zu Kosten um die 8-10 cts/lb produzieren können. Selbst wenn die Ukraine nach massiven Investitionen ihre Produktionskosten auf EU- oder US-Niveau absenken könnte (ca. 20 cts/lb im Durchschnitt), die Produktionskosten des ukrainischen Zuckers wären trotzdem höher als i) der Weltmarktpreis in fast allen Jahren (vgl. Abbildung 7-2) und ii) die Produktionskosten in den meisten Rohrzucker produzierenden und exportierenden Ländern der Welt. Die Zuckerproduktion auf Rübenbasis in der EU ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht nur rentabel aufgrund von großzügigen Subventionen.10 Subventionen in dieser Höhe kann sich die Ukraine keinesfalls leisten (s. Abschnitt 4).

Andererseits könnten ukrainische Zuckerfabriken in der Zukunft aufgrund der hohen Transportkosten für Weißzucker auf dem Inlandsmarkt Vorteile gegenüber Weißzuckerimporten genießen, auch wenn sie auf den internationalen Exportmärkten nicht mithalten können. Unklar ist dabei, ob diese Fabriken ukrainische Zuckerrüben oder importierten Rohzucker verarbeiten würden. In Hafennähe, z.B. in Odessa, könnte es insgesamt billiger sein, Weißzucker auf der Basis von importiertem Rohzucker herzustellen, als einheimische Zuckerrüben zu verarbeiten. Die Wahl eines Standorts für eine Zuckerfabrik ist eine komplizierte Frage; einerseits können Rohstoffbeschaffungskosten durch Standorte 10 Die Zuckerpolitik der EU ist sogar maßgeblich für das niedrige Niveau der

Weltmarktpreise verantwortlich. Ohne die gezahlten Subventionen würde die EU wesentlich weniger Zucker produzieren, was die Weltmärkte erheblich entlasten und die Weltmarktpreise ansteigen lassen würde.

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möglichst in der Nähe von Häfen bzw. Rübenanbaugebieten minimiert werden, andererseits können Vermarktungskosten durch Standorte möglichst in der Nähe von Bevölkerungszentren bzw. Großabnehmer wie Konserven- oder Softdrinkhersteller minimiert werden. Moderne Zuckerfabriken können so ausgestattet werden, daß sie sowohl Rüben als auch importierten Rohzucker verarbeiten können. In einer solchen Fabrik kann nach Abschluß der Rübenkampagne auf Rohzuckerbasis weiter produziert werden, was die Kapazitätsauslastung erheblich verbessert und die Produktionskosten senkt. Wenn es möglich ist, eine international wettbewerbsfähige Zuckerindustrie in der Ukraine aufzubauen, könnte diese Technologie eine Schlüsselrolle spielen. Dies bedeutet, daß die Exportfähigkeit der ukrainischen Zuckerindustrie entscheidend von der ukrainischen Importpolitik abhängen könnte. Eine Politik, die Rohzuckerimporte verteuert (eine solche Politik wird gegenwärtig gefahren) und damit die Zuckerfabriken zwingt, ausschließlich auf der Basis von einheimischen Rüben zu produzieren, würde kurzfristige Vorteile für die Rübenproduzenten in der Ukraine bringen, könnte aber den langfristigen Aussichten der gesamten Industrie - inklusive Rübenproduzenten - schaden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die ukrainische Zuckerindustrie gegenwärtig nicht wettbewerbsfähig ist. Investitionen in die Zuckerproduktion würden die Zuckerausbeute erhöhen und Energiekosten senken, aber es ist zweifelhaft, ob die hieraus entstehende Industrie zu Weltmarktpreisen gewinnbringend produzieren könnte. Abgesehen davon, daß das Jahr 2000 inzwischen fast erreicht ist, beziehen sich Hochrechnungen,11 nach denen die Ukraine bis zum Jahre 2000 2,5 Mio. t Zucker exportierten könnte - und langfristig sogar 4,5-5 Mio. t - nur auf das technische Potential des Landes. Sie übersehen die entscheidende ökonomische Frage, wer diesen Zucker kaufen soll und zu welchem Preis. Eine ausschließlich auf einheimische Zuckerrüben ausgerichtete Industrie hätte mit Sicherheit weniger Chancen auf internationale Wettbewerbsfähigkeit als eine, die zumindest auch zum Teil importierten Rohzucker verarbeitet.

3.3 Ein Postskriptum zur Wettbewerbsfähigkeit

Zum Schluß sollte betont werden, daß Wettbewerbsfähigkeit weder am Schreibtisch eines Beraters noch in den Amtsstuben einer Regierung, sondern auf Märkten entschieden wird. Wieviel Zucker die Ukraine zukünftig produziert, mit welchen Technologien und für welche Märkte - das sind Entscheidungen, die nicht von einer Planungsbehörde getroffen werden können, ohne daß es zu großen und für die Allgemeinheit zu teuren Fehlinvestitionen kommt. Sicher ist nur, daß die Zukunft anders aussehen wird, als es noch so fachkundige Experten heute prognostizieren. In diesem Kapitel wurde aufgrund mehrerer Indizien die gegenwärtige und potentielle Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Zuckerindustrie in Frage gestellt. Andere Beobachter der Lage auf den Zuckermärkten in der Ukraine und weltweit werden vielleicht zu anderen, optimistischeren Schlußfolgerungen kommen. Dagegen ist nichts einzuwenden; diese Optimisten sollen die Möglichkeit erhalten, eigene Mittel in die ukrainische Zuckerindustrie zu investieren. Wenn sie mit ihrer optimistischen Einschätzung Recht haben, wird ihr frühzeitiges Engagement und ihre Risikobereitschaft belohnt, und andere Investoren werden folgen. Entscheidend ist, daß sich die Dynamik der privaten Investitionstätigkeit entfalten kann. Private genießen in der Regel gegenüber staatlichen und 11 Siehe z.B. BOGATYRENKO (1996).

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akademischen ‘Planern’ erhebliche Informationsvorsprünge. Da sie für Fehlentscheidungen mit ihrem eigenen Vermögen haften, sind sie weniger geneigt, ihr Kalkül durch politisches Wunschdenken verzerren zu lassen. Sie denken zukunftsgerichtet über neue Produkte, Technologien und Marktnischen, von denen Politiker, die sich i.d.R. aus politischen Gründen zurückblickend mit dem Erhalt von alten Strukturen beschäftigen, wenig wissen können oder wollen. Somit sind private Investoren in der Lage, die wesentlichen Charakteristiken einer wettbewerbsfähigen ukrainischen Zuckerindustrie am schnellsten und effizientesten herausfinden. Daher wären Maßnahmen, die das Investitionsklima verbessern, die beste Zuckerpolitik für die Ukraine.

4 Die Zuckerquote: Eine Option für die ukrainische Zuckerpolitik? Wie viele Industrien, die unter Druck geraten und sich als nicht wettbewerbsfähig

erweisen, sucht die ukrainische Zuckerindustrie unter der Führung der Vereinigung Ukrzukor nach staatlicher Unterstützung. 1995 und 1996 häuften sich die Pressemeldungen über die schlechte Gewinnsituation der Zuckerfabriken in der Ukraine.12 Mit der Aufgabe der Staatsaufträge für Zucker im Jahre 1995 hatten die Zuckerfabriken mit der Verarbeitung auf sog. ‘give and take’ Basis angefangen. Hiernach erhalten Zuckerrübenproduzenten 70% des aus der Rübe gewonnenen Zuckers, während die restlichen 30% bei der Fabrik verbleiben. Dies führte zu einer Aufspaltung des Zuckermarktes in der Ukraine. Um ihre Verarbeitungskosten zu decken, müssen die Fabriken angeblich einen Zuckerpreis auf 30% des Endproduktes erzielen, der ca. zweimal so hoch ist wie der Preis, den die Rübenproduzenten benötigten, um durch den Verkauf ihrer 70% der Ausbeute ihre Kosten zu decken. Im Laufe des Jahres 1996 wurden mehrere Vorschläge für eine Neuordnung des ukrainischen Zuckermarktes gemacht. Gemeinsamer Nenner bei diesen Vorschlägen war der Ruf nach stärkeren staatlichen Regulierungen, und nach erhöhter vertikaler Konzentration durch die Gründung von sog. Agro-Industriellen Konglomeraten, die die Produktion und Verarbeitung von Zuckerrüben koordinieren.

Am 6. September 1996 verabschiedete das Ministerkabinett die Resolution Nr. 1062, die u.a. die Errichtung von Agro-Industriellen Konglomeraten sowie die Gründung einer Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Regulierung des Zuckermarktes vorsieht. Die Arbeit dieser Kommission führte zu Plänen, die Anfang April 1997 allgemein bekannt wurden und die die Einführung einer Produktionsquote für Zucker vorsahen. Am 24. Mai 1997 wurde dann ein Dekret des Ministerkabinetts veröffentlicht, das eine Quote für den inländischen Zuckerabsatz zwischen September 1997 und September 1998 von 1,5 Mio. t festlegte. Laut Dekret sollte für diese 1,5 Mio. t ein Minimumpreis von 1.190 UAH/t (ca. 625 USD/t, inkl. 20% Mehrwertsteuer) gelten, während für die bei der Herstellung dieses Zuckers verwendeten Rüben ein Minimumpreis von 70 UAH/t (ca. 40 USD/t) vorgeschrieben wurde. Mengen, die über die Quote von 1,5 Mio. t hinaus produziert werden, sollten exportiert werden. Das vorgesehene System ist der Zuckermarktordnung der EU sehr ähnlich; in der EU wird die Produktion für den inländischen Verbrauch auch quotiert, und Mengen, die über

12 Angaben eines Experten von Ukrzukor zufolge betrugen die Verluste der ukrainischen

Zuckerfabriken 500 Mio. UAH im Jahre 1996 (vgl. INTERFAX-UKRAINE 1997b).

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diese Quote hinaus produziert werden, werden exportiert. Ein wesentlicher Unterschied zu dem vorgesehenen System für die Ukraine besteht darin, daß ein Teil des EU-Zuckerexports subventioniert wird.

Am 17. Juli 1997 hat das ukrainische Parlament ein Gesetz über die staatliche Regulierung des Imports landwirtschaftlicher Produkte verabschiedet, das u.a. die Implementierung von Minimumpreisen verbietet. Da hiermit auch Minimumpreise für Weißzucker und Zuckerrüben verboten wurden, konnte zumindest ein Teil der vorgesehenen Regulierung des Zuckermarkts nicht eingeführt werden. Daher wurde das Dekret vom 24. Mai insgesamt aufgehoben. 1997 und 1998 fand die Zuckerverarbeitung weiterhin auf ‘give and take’ Basis statt.

In Regierungskreisen wurde trotzdem weiterhin an Plänen zur Einführung einer Zuckerquote gearbeitet. Ende Juni 1999 wurde vom Parlament schließlich das Gesetz zur Regulierung des Zuckermarktes verabschiedet. Dieses Gesetz ist dem Dekret vom 24. Mai 1997 in allen wesentlichen Belangen sehr ähnlich. Danach werden drei verschiedene Quotenmengen vorgeschlagen: eine A-Quote von 1,5 Mio. t für den inländischen Konsum; eine B-Quote für Zucker, der im Rahmen von internationalen Verträgen produziert wird (z.B. für den staatlich geregelten Export nach Rußland); und eine C-Quote von Zucker, der ausschließlich für den Export auf den freien Markt vorgesehen ist. Das Gesetz sieht auch Mindestpreise für Zuckerrüben und – davon in alter planwirtschaftlicher Manier abgeleitet – Weißzucker vor. Sowohl der Großhandel von Zucker im Inland als auch der Zuckerexport sollen strikt reguliert werden und ausschließlich lizensierten Unternehmen vorbehalten sein. Zuckerimporte werden nur zum Zweck der Weiterverarbeitung und daran anschließenden Export zugelassen. Unsicher ist z.Zt. (Juni1999), ob dieses Gesetz vom Präsidenten unterschrieben wird bzw. ob es bereits für die Ernte 1999 umgesetzt und implementiert werden könnte.

Wie sind diese Pläne zur Einführung einer Zuckerquote im allgemeinen zu bewerten? Eine Bewertung ist stets etwas Normatives und hängt davon ab, welche Ziele von dem Bewertenden im Vordergrund gestellt werden. Aus Sicht der ukrainischen Zuckerfabriken z.B. ist ein Quotensystem durchaus positiv zu bewerten. Die Agrarpolitik eines Landes kann aber nicht nur auf die Interessen einzelner Gruppen ausgerichtet sein, sondern muß die Wohlfahrt der gesamten Bevölkerung berücksichtigen. Im folgenden werden einige aus gesamtwirtschaftlicher Sicht äußerst bedenkliche Auswirkungen eines Quotensystems diskutiert.

Zunächst würde das Quotensystem nichts an der grundlegenden mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Zuckerindustrie ändern. Das vorgesehene System würde eine betriebswirtschaftliche Rentabilität vortäuschen, weil es die inländischen Konsumenten in der Ukraine zwingen würde, mehr als das Zweifache des gegenwärtigen Weltmarktpreises für Zucker zu zahlen. Dies wäre eine aus verteilungspolitischer Sicht höchst degressive Maßnahme. Zucker ist ein wichtiges Nahrungsmittel. Ärmere Haushalte geben proportional mehr für lebensnotwendige Güter wie Nahrungsmittel aus als reichere Haushalte. Zucker spielt vor allem beim Einmachen von Konserven eine wichtige Rolle und ist daher gerade für Haushalte, die einen Großteil ihres Einkommens aus der eigenen Produktion aus den Hauswirtschaften beziehen, nur schwer zu substituieren. D.h., ärmere Haushalte würden die Hauptleidtragenden einer Quote sein; sie würden über erhöhte Zuckerpreise eine

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erhebliche, indirekte Steuerlast tragen. Ausgehend von einer Bevölkerung von 50 Mio. und einer Quote von 1,5 Mio. t Zucker würde der Konsum pro Kopf in der Ukraine 30 kg/Jahr betragen. Ein 4-Personen-Haushalt, der aufgrund des Quotensystems 0,60 statt 0,30 USD/kg für Zucker ausgeben muß, würde insgesamt 36 USD pro Jahr an indirekten Steuern bezahlen müssen. Die tatsächliche Last wäre eigentlich höher, da zu niedrigeren Preisen auch mehr nachgefragt werden würde.

Die vorgesehene Quote hätte auch erhebliche negative Allokationswirkungen. Die künstliche betriebswirtschaftliche Rentabilität würde Ressourcen in die Zuckerproduktion lenken, die insgesamt mehr kosten als der produzierte Zucker wert ist. Diese Effekte würden sich im Zeitablauf mit Sicherheit verschärfen, denn Quoten führen i.d.R. zur Erstarrung der Produktionsstruktur. So ist in einigen Plänen z.B. vorgesehen, daß die ukrainische Zuckerquote auf der Basis der Produktion der letzten drei Jahre regional verteilt werden soll. Da die vergangene Produktionsstruktur planwirtschaftlich bestimmt war, kann sie für die Zukunft nach marktwirtschaftlichen Kriterien nicht sinnvoll sein. In den nächsten Jahren müßte sich die regionale Verteilung sowohl der Rübenproduktion als auch der Verarbeitung erheblich verändern; eine Quote würde diesen Strukturwandel bremsen und verhindern, daß die Zuckerproduktion dorthin wandert, wo sie am effizientesten ist.13

Ferner zeigt die Erfahrung in der EU, daß Quotensysteme fortlaufend ausgedehnt werden müssen. Hohe Zuckerpreise als Folge einer Quote erhöhen die Nachfrage nach Zuckersubstituten, wie z.B. Isoglukose. Damit die Zuckerquote nicht unterlaufen wird, muß auch die Produktion dieser Substitute quotiert werden. So mußte das Zuckerquotensystem der EU zunächst auf Isoglukose und auf später Inulin ausgedehnt werden. Hiermit werden die Anreize, neue Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln, reduziert, denn es muß damit gerechnet werden, daß der Staat die Einführung von Innovationen, die das bestehende Quotensystem beeinträchtigen könnten, erschweren wird. Speziell für die Ukraine könnte das teure Folgen haben, denn die Ukraine hätte eventuell komparative Vorteile bei der Produktion von einigen Zuckersubstituten, wie z.B. das sog. High-Fructose-Corn-Syrup (HFCS). HFCS wird aus Mais gewonnen und hauptsächlich in der Softdrinkherstellung verwendet. In den USA hat HFCS (z.T. durch die Agrarpolitik begünstigt) einen Anteil von über 42% am gesamten Verbrauch von Zucker. HFCS erreicht in der EU, u.a. aufgrund des Quotensystems, nur einen Marktanteil von 2,2%. In Osteuropa konnte HFCS bisher lediglich einen Anteil von 0,4% erzielen.14 Mit der Zuckerquote würde sich die Ukraine langfristig auf Weißzucker fixieren und eventuell entwicklungsfähige Marktnischen verbauen.

Abgesehen von diesen Verteilungs- und Allokationswirkungen muß stark bezweifelt werden, ob die administrative Umsetzung eines Quotensystems für Zucker in der Ukraine überhaupt bewerkstelligt werden kann. Sollte es tatsächlich gelingen, die Preise für Weißzucker in der Ukraine signifikant anzuheben, würden die Anreize, Zucker aus

13 Dieser Effekt ist in der EU vielfach untersucht worden. Die Preise, die für Zuckerquoten

bezahlt werden, sind von Region zu Region in der EU sehr unterschiedlich, ein Indiz dafür, daß die Rentabilität der Zuckerproduktion regional stark variiert, und daß das Quotensystem, das die regionale Verteilung der Produktion auf dem Stand von vor 30 Jahren eingefroren hat, große Ineffizienzen verursacht.

14 Vgl. FRY (1992).

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benachbarten Ländern in die Ukraine zu importieren, stark steigen. Importzölle und –verbote würden diese Importe nicht effektiv eindämmen können, denn die Ukraine hat sehr lange Grenzen zu Polen, Weißrußland und Rußland, so daß mit Schmuggel gerechnet werden müßte. Die Anreize für einheimische Produzenten, über ihre Quote hinaus zu produzieren, wären auch hoch. Der Staat würde sich sowohl intern als auch an den Grenzen des Landes dazu gezwungen sehen, strikte und mit einer marktwirtschaftlichen Grundausrichtung kaum zu vereinbarende Kontrollmaßnahmen zu ergreifen. Die Zuckerquote müßte schließlich zu den vielen Maßnahmen gerechnet werden, die große Anreize für schattenwirtschaftliche und kriminelle Aktivitäten schaffen.

Schließlich kann die Tatsache, daß ein Quotensystem für Zucker in der EU angewandt wird, nicht als Argument für die Einführung einer Quote in der Ukraine akzeptiert werden. In der EU führt die Zuckerquote eindeutig zu den oben skizzierten, negativen Verteilungs- und Allokationseffekten. Nutznießer sind die Zuckerrübenproduzenten und die Zuckerindustrie, die auf Kosten der Wirtschaft insgesamt profitieren. In der reichen EU glaubt man sich die Milliarden leisten zu können, die die Zuckerpolitik aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kostet. In der Ukraine ist die Ausgangssituation eine völlig andere. Die Ukraine ist ein armes Land, daß sich verschwenderische verteilungspolitische Maßnahmen nicht leisten kann. In der Ukraine wird erwartet, daß die Landwirtschaft ein Motor des Wachstums für die gesamte Wirtschaft wird und kein Sektor, der auf Kosten anderer über Wasser gehalten werden muß.

5 Zusammenfassung und Empfehlungen Die Produktion der ukrainischen Zuckerindustrie ist seit Beginn des

Transformationsprozesses stark rückläufig. Im internationalen Vergleich zeigten aber sowohl der Zuckerrübenanbau als auch die Zuckerverarbeitung in der Ukraine bereits vor Beginn des Transformationsprozesses deutliche Schwächen. Die Zuckerrübenerträge in der Ukraine stagnierten in den 70er und 80er Jahre; die Zuckerfabriken waren bereits vor 1990 veraltet und ineffizient.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die ukrainische Zuckerindustrie mit Sicherheit international nicht wettbewerbsfähig. Ob eine wettbewerbsfähige Zuckerindustrie in der Ukraine mit Investitionen aufgebaut werden könnte, ist zumindest fraglich. Internationale Zuckermärkte sind instabil und äußerst politikabhängig. Die Konkurrenz von Billig-Produzenten, die i.d.R. auf der Basis von Zuckerrohr produzieren, und von reichen, subventionierenden Ländern, wie der EU, ist stark. Da die Transportkosten für Weißzucker relativ hoch sind, wird er i.d.R. in der Nähe der Absatzmärkte produziert. D.h., ukrainische Zuckerfabriken werden auf dem Inlandsmarkt voraussichtlich Wettbewerbsvorteile genießen. Auf jedem Fall hängt die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten, und vielleicht auch auf dem Inlandsmarkt, entscheidend von dem Zugang der Fabriken zu importiertem Rohzucker ab. Die ukrainischen Zuckerfabriken, wie auch die Zuckerrübenproduzenten, brauchen auf jeden Fall Zugang zu ausländischem Kapital und Know-How.

Das vorgesehene Zuckerquotensystem stellt keine geeignete Lösung für die gegenwärtigen Probleme dar. Dieses System würde vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten in der Ukraine durch höhere Zuckerpreise belasten. Es würde die grundlegende mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nicht verbessern, sondern

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bestehende, ineffiziente Strukturen erhalten. Fraglich ist auch, ob das System überhaupt unter ukrainischen Bedingungen administrativ bewältigt werden könnte, denn es würde erhebliche Anreize für Schmuggel und andere schattenwirtschaftliche Aktivitäten schaffen.

Aus diesen Gründen ist zu begrüßen, daß die Einführung des Quotensystems bisher nicht erfolgen konnte. Statt wiederholt neue Pläne für eine Quote zu lancieren, sollte die Regierung ein klares Bekenntnis gegen mengenmäßige Beschränkungen jeder Art und damit auch gegen eine Zuckerquote abgeben.

Die Modernisierung und Umstrukturierung der ukrainischen Zuckerindustrie wäre ein sehr teures Unterfangen, das nur mit Hilfe von privaten Investoren bewältigt werden könnte. Ob und wie Ressourcen zum Aufbau einer modernen Zuckerindustrie in der Ukraine genutzt werden sollten, können private Investoren am besten bestimmen. In einer Marktwirtschaft kann es nicht die Aufgabe des Staates bzw. sog. Experten oder Berater sein, solche Entscheidungen zu treffen. Bisher hat das Investitionsklima in der Ukraine die private Investitionstätigkeit erheblich gehemmt. Die beste Zuckerpolitik für die Ukraine wären Maßnahmen, die dieses Klima verbessern. Natürlich könnte auch argumentiert werden, daß nichts die Investitionsbedingungen im ukrainischen Zuckersektor mehr verbessern könnte als eine Zuckerquote. Vertreter der Zuckerindustrie betreiben diesbezüglich aktive Lobbyarbeit in der Ukraine.15 Es muß aber zwischen Verbesserungen des Investitionsklimas im allgemeinen einerseits und künstlichen Investitionsanreizen für einzelne Branchen andererseits unterschieden werden. Erstere schaffen Anreize für Investitionen in wertschöpfenden Aktivitäten, letztere führen lediglich zu Umverteilungen auf Kosten der Allgemeinheit.

6 Literatur AGRA EUROPE (1998): Russia to introduce sugar import taxes. July 3, 1998, p. M/8, London.

BOGATYRENKO, A.S. (1996): The Future Policy on the Ukrainian Sugar Industry. Con-sultative Meeting on Policy for the Ukrainian Sugar Beet Production and Processing Industry, 18.-20. Juni, Kiew.

F.O. LICHT (jährlich): Europäisches Zuckerjournal. Hamburg.

FRY, J. (1992): Alternative Sweeteners in Eastern Europe. In: International Sugar Organisation Seminar: Prospects for the Sugar Industry and Sugar Markets in Eastern Europe. International Sugar Organisation, London.

INTERFAX-UKRAINE (1997a): Business Weekly. 26. Mai, Kiew.

INTERFAX-UKRAINE (1997b): Repudiation of sugar market regulation in Ukraine may adversely affect white sugar producers. 21. Juli, Kiew.

LMC INTERNATIONAL (1997): A World Survey of Sugar and HFCS Field, Factory and Freight Costs: 1997 Report. Oxford.

15 Im Gespräch mit einem Regierungsvertreter bekam ein Mitglied der Deutschen

Beratergruppe Anfang 1997 folgendes zu hören: Jedes zivilisierte Land hat eine Zuckerquote; wenn die Ukraine zivilisiert sein wolle, dann brauche sie auch eine Zuckerquote.

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MELENTIEV, B.A. (1996): Sugar-beet growing and processing and sugar production in Ukraine. Consultative Meeting on Policy for the Ukrainian Sugar Beet Production and Processing Industry, 18.-20. Juni, Kiew.

NZW (1996): Bericht - Der ukrainische Zuckersektor. Bonn.

OECD (jährlich): The Agricultural Outlook. Paris.

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (jährlich): Agriculture in Ukraine, Statistical Yearbook. Kiew.

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8 Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten werden?

Derek Baker und Olena Protchenko, Center for Privatisation and Economic Reform, Kiew.1

1 Einleitung Der ukrainische Milchsektor hat seit Beginn der wirtschaftlichen Transformation einen

dramatischen Einbruch zu verzeichnen. Die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen haben der Milchindustrie die bisherigen Vermarktungskanäle abgeschnitten. Auch wurden im großen Stile Milchkühe vom kollektiven in privates Eigentum überführt, und der Großteil der Milch wird heutzutage an der Straße verkauft. Jeder weitere Versuch, diese Entwicklung durch zentralistische Kontrollmaßnahmen zu bremsen, verstärkt die Unsicherheit auf den Märkten, macht Bartergeschäfte noch attraktiver und läßt die Milchindustrie immer tiefer in die Krise abgleiten.

Einige Beobachter rufen deshalb nach Veränderungen z.B. in der Züchtung, da die niedrigen Milchleistungen von einigen Analysten auf das schlechte genetische Material zurückgeführt werden. Allerdings ist die Futterqualität bei den meisten Milcherzeugern auf einem solch niedrigen Niveau, daß selbst das vorhandene genetische Material bei weitem nicht ausgeschöpft werden kann. Die niedrigen Milchpreise haben unmittelbar Forderungen nach Subventionen der landwirtschaftlichen Vorleistungen für die Milcherzeuger ausgelöst. Allerdings würde den ohnehin verzerrten Preissignalen damit lediglich mit einer weiteren Verzerrung begegnet. Die sehr geringe Qualität ukrainischer Rohmilch wird auf ein Defizit an westlicher Technologie zurückgeführt. Bisher zeigen einheimische und ausländische Investoren jedoch ein äußerst geringes Interesse am ukrainischen Milchsektor.

In der Ukraine werden auch Rufe nach der Bereitstellung subventionierter Kredite laut, obwohl das System bereits überladen ist mit Schulden, die niemals zurückgezahlt werden können. Die niedrigen betrieblichen Einkommen haben überdies unmittelbar Forderungen nach einem ausgefeilten Preisstützungsmechanismus ausgelöst. Besonders in der Forderung nach einer Politik, wie sie beispielsweise in der EU angewandt wird, offenbart sich eine alarmierende Unkenntnis der Mechanismen, der Kosten und Nutzen solcher Systeme. So wird die Bedeutung, die Preise und der Wettbewerb in westlichen Ländern trotz Subventionierung spielen, völlig außer acht gelassen.

Anscheinend erkennen nur wenige Beobachter die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Milchindustrie an, die eine kommerzielle Kostenkontrolle und Preisanreize zur Entfaltung kommen lassen. Statt dessen wird Umstrukturierung als ein bürokratisch angeordneter Prozeß mit dem Ziel der Aufrechterhaltung sowjetischer Strukturen 1 Dieses Kapitel stellt die gekürzte Version eines Berichts dar, den die Autoren im Auftrag des

Institute for Policy Research in Washington D.C. und für das Centre for Privatisation and Economic Reform (CPER) in Kiew geschrieben haben. Das CPER wird vom USAID finanziert und von der Iowa State University geleitet. Der Originalbericht ist beim CPER in Kiew erhältlich. Die Meinungen, die in diesem Bericht geäußert werden, sind die der Autoren und nicht notwendigerweise die des CPER, des USAID oder des Institute for Policy Research.

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durch gelenkte Investitionen interpretiert. Obwohl private Investoren bereit sind, eine Umstrukturierung nach marktwirtschaftlichen Kriterien vorzunehmen, ist die Politik der Regierung nur allzu oft darauf ausgerichtet, diese zu verhindern. Auf kommunaler Ebene gibt es eine vehemente Opposition gegen jegliche Veränderung der industriellen Struktur. So wird befürchtet, daß den kommunalen Regierungen besonders die auf Lohnzahlungen basierenden Steuereinnahmen verlorengehen. Die Steuerbehörden haben jederzeit Zugriff auf die Konten der landwirtschaftlichen Primärerzeuger und Verarbeiter, was die Steuereintreibung erleichtern soll. Unter diesen Einflüssen ist eine Struktur entstanden, die auf Seiten der Wirtschaft auf Betrug und Hinterziehung und auf Seiten der Administration auf Zwang und Korruption basiert.

Dieser Bericht untersucht die aktuelle Situation (Abschnitte 2, 3, und 4) und arbeitet die Ursachen für die niedrige Milchproduktion, die hohen Verarbeitungskosten und den allgemeinen Niedergang des Sektors heraus. Insbesondere werden die Aktivitäten der verschiedenen staatlichen und nicht staatlichen Institutionen aufgezeigt. Abschnitt 5 identifiziert die gegenwärtigen Probleme der ukrainischen Milchindustrie und schildert die Ansicht der Autoren, daß es kaum eine Chance gibt, diese Industrie zu retten. In Abschnitt 6 werden Handlungsalternativen für die ukrainische Agrarpolitik genannt und ihre voraussichtlichen Folgen diskutiert. In Abschnitt 7 werden die Schlußfolgerungen präsentiert.

Dieser Bericht stellt den Versuch der Analyse des ukrainischen Milchsektors unter Auswertung der unterschiedlichen Quellen dar. Die wichtigste Informationsquelle für diesen Bericht ist eine Zusammenfassung von Informationen über die Milchwirtschaft, die das Institut für Agrarreformen zur Verfügung stellte.2 Informationen über Trends, Probleme und Praktiken der ukrainischen Milchwirtschaft konnten aus einer Reihe weiterer Quellen gewonnen werden. Aber auch Berichte aus der ‘rauhen Wirklichkeit’ wurden verwendet, vor allem dann, wenn es um die Konflikte zwischen politischen und kommerziellen Akteuren geht.

2 Beschreibung des ukrainischen Milchsektors

2.1 Milchproduktion

Die 6-7 Millionen Milchkühe3 der Ukraine produzieren jährlich rund 14 Mio. t Milch (was ca. 3% der Weltproduktion entspricht). Im Jahre 1997 erwirtschaftete die Milchindustrie einen Anteil von 3,7% am ukrainischen BIP und ca. 23% am BIP der Lebensmittelindustrie. Die Kollektivbetriebe erzielten mit der Milchproduktion 14% aller Betriebseinnahmen und 19% aller Betriebskosten. 450.000 Personen oder 28% aller in der Landwirtschaft Beschäftigten sind in der Milcherzeugung tätig. In der Milchverarbeitung sind in den 448 Fabriken derzeit nur noch 40.000 Personen und damit halb soviel wie 1990 beschäftigt. Die letzten Entwicklungen zeigen einen Abbau des gesamten Rinderbestands von 27 Mio. Tieren in 1985 auf rund 13 Mio. Tiere in 1997. Allerdings ist der Bestand an Milchkühen nur von 9 auf 6 Mio. Tiere und damit prozentual viel weniger stark abgebaut worden. Ein Großteil der Tiere wurde in Privateigentum überführt (siehe Abbildung 8-1). 2 INSTITUT FÜR AGRARREFORMEN (1998). Auf Nachfrage beim CPER erhältlich. 3 Die genaue Zahl der Milchkühe in der Ukraine kann lediglich geschätzt werden (siehe unten).

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Die Milcherzeuger erzielen Einkommen auch aus der Rindfleischproduktion (siehe Abschnitt 6), allerdings stellt die Milchproduktion die wesentlichen Einkommensquelle dar. Nur wenige Farmen besitzen Kühlmöglichkeiten, auch Kühltransporte sind selten. So ist die Qualität der ukrainischen Molkereiprodukte vor allem auch wegen der sehr geringen Güte der Rohmilch schlecht.4

Abbildung 8-1: Milchkuhbestand nach Eigentumsarten

20

40

60

80

100

120

140

1985 1990 1995 1996 1997

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5=10

0)

Milchkьhe, kollektive Betriebe Rinder, kollektive BetriebeMilchkьhe, private Betriebe Rinder, private Betriebe

Quelle: INSTITUT FÜR AGRARREFORMEN.

Die Produktpalette der ukrainischen Milchverarbeitungsindustrie ist der aus anderen Ländern nicht unähnlich. So war Butter mit einem Produktionsvolumen von 155.000 t im Jahre 1996 das wichtigste handelbare Produkt. Rund 6% der Milch wird für die Erzeugung von 45 verschiedenen Hart- und Weichkäsesorten eingesetzt. Bemerkenswert ist, daß bei der Butterherstellung kaum noch Milchpulver als Nebenprodukt erzeugt wird, was wahrscheinlich auf die gestiegenen Energiekosten zurückzuführen ist. Die Milchverarbeitung in den Privathaushalten konzentriert sich vorwiegend auf die Sahnegewinnung und die Herstellung von Sauermilchprodukten, wie Kefir und Joghurt. Allerdings stellen sowohl die Verpackung als auch die Präsentation wegen der hohen Kosten für das Verpackungsmaterial und des Fehlens der entsprechenden Technik ein großes Problem dar. Besonders die ukrainische Joghurt- und Käseproduktion ist so einer großen Konkurrenz durch Importprodukte ausgesetzt. Aber das äußere Erscheinungsbild ist nicht das einzige Qualitätskriterium, nach dem die ukrainischen Verbraucher entscheiden. So herrscht nach wie vor die Meinung, daß die heimischen Milchprodukte qualitativ hochwertiger sind.

4 Siehe Savello‘s (1997) Kommentar zur Qualität von Rohmilch.

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1131

Rund 40% der in der Ukraine produzierten Milch stammt von den 12.000 Betrieben des sog. öffentlichen Sektors. Hierunter sind frühere Kolchosen und Sowchosen sowie andere Großbetriebe sowjetischen Typs zusammengefaßt, die sich mittlerweile in sog. Kollektive Landwirtschaftsbetriebe (KLB) umorganisiert haben und die zumeist noch eine diversifizierte Produktionsstruktur besitzen. Die Aktien der Kollektivbetriebe sind in Händen der Beschäftigten, was aber wenig über die Möglichkeiten der Kontrolle des Managements aussagt.5 Der durchschnittliche Bestand an Milchkühen der KLB betrug 1996 257 Stück. Diese Zahl ist jedoch nicht besonders aussagekräftig, da einige Betriebe keine kommerziell genutzte Milchviehherde halten. Die Herdengröße liegt meist zwischen 600 und 2.500 Kühen (im Durchschnitt bei rund 1.200), deren Eigentum in Händen der gesamten KLB liegt, ohne daß eine genaue individuelle Zuordnung der Tiere entsprechend der ausgegebenen Aktien stattgefunden hat. Der große Rest der ukrainischen Milchproduktion entstammt der kleinbetrieblichen privaten Produktion. Fast die gesamte private Milchproduktion stammt aus den Hauswirtschaften, von denen es mehr als 10 Mio. in der Ukraine gibt. Diese halten typischerweise ein bis vier Milchkühe.

Die Verarbeitungskapazität der ukrainischen Milchindustrie liegt bei rund 24 Mio. t Rohmilch pro Jahr. Allerdings wurden 1997 nur 2,4 Mio. t verarbeitet, was einer Kapazitätsauslastung von 10% entspricht (siehe Abbildung 8-4). Fast alle Milchverarbeitungsunternehmen sind privatisiert worden,6 wobei die Aktien nicht allein den Beschäftigten, sondern auch den Milch anliefernden Landwirtschaftsbetrieben zugeteilt wurden. Typischerweise liegen 20-70% der Aktien in Händen der KLB. Das Management der Verarbeitungsunternehmen steht unter zunehmenden Einfluß der örtlichen Verwaltungen, die zwar selbst keine Aktien besitzen, aber immer noch einen erheblichen Einfluß auf viele Bereiche im ländlichen Raum ausüben. Es gibt weiterhin Berichte von Kollektivbetrieben, die im kleinen Stil eine eigene Milchverarbeitung aufbauen, vorwiegend zur Direktvermarktung von Käse und Milch. Allerdings ist über diese Aktivitäten wenig bekannt, da die KLB ihre Informationen wegen drohender Besteuerung und bereits bestehender Verträge mit den Molkereien kaum freiwillig preisgeben möchten.

Die zentrale Planung resultierte in einer bemerkenswert gleichmäßigen Verteilung der Milchproduktion und -verarbeitung auf dem gesamten Territorium der Ukraine. Die Produktionssysteme der KLB sind ebenfalls von der Planwirtschaft geprägt. So verursacht das System der ganzjährigen Stallhaltung sowohl hohe Arbeits- als auch Energiekosten. Die KLB haben zur Finanzierung ihrer Vorleistungen sehr begrenzte finanzielle Möglichkeiten. Allerdings ist das Ausmaß dieses Problems schwierig abzuschätzen, weil die Kontenstände der Betriebe bei den Banken wenig aussagekräftig sind7 und auch von Mitarbeitern der Betriebe, die ihre Produktionsaktivitäten vor den Steuerbehörden und den kommunalen

5 Siehe Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für

die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors. 6 Sechs Verarbeitungsbetriebe verbleiben in staatlichen Händen und drei weitere staatliche werden

durch private Firmen geleast. 7 KLB und die meisten anderen landwirtschaftlichen Betriebe vermeiden - wann immer nur möglich

- die Benutzung von Bankkonten, weil die Banken gezwungen werden, Steuerschulden im Namen der Steuerverwaltung abzuziehen (siehe Abschnitt 2.3).

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Verwaltungen verbergen wollen, selten Informationen über Vorleistungspreise und andere betriebliche Vorgänge zu erfahren sind. Die Beschäftigten erhalten ihre Lohnzahlung häufig in Form von Milch oder zunehmend auch in Form von Tieren aus der Nachzucht. Zusätzlich betreiben die Betriebe Bartergeschäfte und tauschen Tiere aus dem Bestand gegen Maschinen, Einzelteile, Treibstoff und andere Inputs. Besonders die wertvolle weibliche Nachzucht wird auf diesem Wege veräußert. Allerdings sind auch Informationen über die tatsächlichen Bestandszahlen der Kollektivbetriebe schwierig zu erfragen. Unterschiedliche Berichte und verschiedene Quellen aber lassen vermuten, daß die tatsächlichen Bestandszahlen weit unter den offiziellen liegen.8

Die vollständige Trennung von öffentlichen und privaten Vermarktungskanälen im Milchsektor erlaubt auch die getrennte Ausweisung von Informationen hierüber. Tabelle 8-1 zeigt die Herkunft und Verwendung der produzierten Milch. Auffällig ist der Unterschied in der Absatzstruktur der Milch aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor. In der Tabelle 8-2 sind die Gesamtangebots- und Verwendungsbilanzen aufgezeigt. Vor allem die Handelsdaten müssen mit viel Vorsicht betrachtet werden, da beim internationalen Handel insbesondere Bartergeschäfte unberücksichtigt bleiben. Flüssigmilchexporte in die Staaten der früheren Sowjetunion sind seit Beginn der 90er Jahre zusammengebrochen, und die gestiegenen Butter- und Milchexporte in den Rest der Welt konnten diesen Einbruch nicht vollständig kompensieren.

Tabelle 8-1: Verwendung der Milch aus dem öffentlichen und privaten Sektor, 1996

Betriebe des öffentlichen Sektors

Betriebe des privaten Sektors

Verwendung in 1.000 t % in 1.000 t %

Privater Verbrauch 496 6 5.808 71

Tierfutter 2.084 27 1.324 16

Verkäufe an der staatlichen Beschaffung 3.868 51 187 2

Verkäufe an den Märkten 788 10 738 9

Lohnzahlungen 237 3 - -

Bartergeschäfte 135 2 0 0

Verluste 6 0 149 2

Gesamtproduktion 7.614 100 8.207 100

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (1997); Eigene Berechnungen.

Preisanstiege für Vorleistungs- und Investitionsgüter in Richtung Weltmarktniveau haben alle Bereiche der Milchproduktion erfaßt. Insbesondere die Erträge und die Produktion

8 Auf einem Betrieb wurde den Mitarbeitern von CPER die Herdengröße mit “rund 1.200 Kühe”

angegeben. Allerdings ergab eine grobe Schätzung eine Zahl von lediglich 350 Tieren, worauf man auf Nachfrage die Antwort erhielt, die restlichen Tiere seien Bestandteil einer anderen Herde. Bei der Besichtigung dieser sah man jedoch nur 100, meist männliche Rinder.

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1151

sind seit Beginn der Transformation beachtlich gefallen, wobei die bemerkenswertesten Effekte auf den KLB entstanden.

Tabelle 8-2: Aggregierte Milchangebots- und Verwendungsbilanz der Jahre 1996 und 1997

Milchäquivalent in 1.000 Tonnen

1996 1997 (Schätzungen)

Anfangsbestand 459 257

Produktion 15.821 13.850

Importe 74 72

Verzehr und Verarbeitung 11.768 10.350

Tierfutter 3.592 2.710

Exporte 730 650

Verluste 7 6

Endbestand 257 463

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Ausgaben); Eigene Berechnungen.

Tabelle 8-3: Die Milchproduktion der Ukraine: 1986-1997

Milchproduktion (in Mio. t)

Ø 1986-1990

Ø 1991-1995

1990 1995 1996 1997 (vorläufig)

Milchproduktion, davon 24,1 19,0 24,5 17,3 15,8 13,7

Öffentlicher Sektor 18,2 12,3 18,6 9,4 7,6 5,4

Privater Sektor 5,2 6,7 5,9 7,9 8,2 8,3

Anteil des privaten Sektors 24,3% 35,3% 24,1% 45,7% 51,9% 60,6%

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Ausgaben); Eigene Berechnungen.

Die allgemeine Situation ist durch einen erheblichen Produktionsabfall gekennzeichnet (Tabelle 8-3). Im Durchschnitt sind die Milcherträge pro Kuh seit 1990 auf ca. zwei Drittel des ursprünglichen Niveaus gefallen. Dieser Effekt zeigt sich am deutlichsten auf den KLB, wo sich die Produktivität seit 1990 fast halbiert hat (Abbildung 8-2). Sehr auffällig ist, daß das Ausmaß des Produktionsrückgangs trotz der offensichtlichen Unterschiede in den agroklimatischen Bedingungen sehr gleichmäßig über das gesamte Gebiet der Ukraine verteilt ist.

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Abbildung 8-2: Milchleistungen in der Ukraine

1000

1500

2000

2500

3000

3500

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997

Jahr

Milc

hlei

stun

g (k

g/K

uh/J

ahr)

Alle Betriebe Kollektive Betriebe Private Betriebe

Quelle: INSTITUT FÜR AGRARREFORMEN (1998).

Abbildung 8-3: Futterverwendung in der ukrainischen Milchwirtschaft

50

70

90

110

130

1986-1990 1991-1995 1996

Jahr

Futte

rmitt

elve

rwen

dung

(198

6-19

90=1

00)

Alle Futtermittel, alle Betriebe Alle Futtermittel, kollektive BetriebeAlle Futtermittel, private Betriebe Kraftfutter, alle BetriebeKraftfutter, kollektive Betriebe Kraftfutter, private Betriebe

Quelle: UNIANAGENTUR.

Die größte Herausforderung für das Produktionssystem stellte die Fütterung dar. Während der Gesamtfutterverbrauch seit 1986 angestiegen ist, ist der Einsatz von

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hochwertigem Futter und Kraftfutter um ca. 30% reduziert worden (Abbildung 8-3). Beobachtungen auf den Betrieben zeigen, daß die Qualität des Futters für die Milchkühe stark zu wünschen übrig läßt, mit einem steigenden Anteil von Stroh in der Ration. Die Ursachen liegen vermutlich in gestiegenen Preisen für und im leichteren Absatz von Getreide (insbesondere über Bartertransaktionen), die die Tierproduktion zu einer unprofitablen Verwendung von Getreide gemacht haben. Der Produktionsrückgang in der lebensmittelverarbeitenden Industrie (insbesondere bei Zucker und Ölsaaten) hat zu einem Rückgang der Verfügbarkeit von hochwertigem Proteinfutter geführt. Im Gegensatz dazu werden die Kühe der Hauswirtschaften über längere Zeiten auf Weiden oder abgeernteten Getreidefeldern gehalten, was ein alternatives Produktionssystem darstellt, das den Kollektivbetrieben im allgemeinen in dieser Form nicht zur Verfügung steht.

Das Tierhaltungsmanagement der Kollektivbetriebe ist mit einem gewinnorientierten Betriebsmanagement in vieler Hinsicht inkompatibel. Beispielsweise werden die Kühe immer noch dreimal täglich gemolken, obwohl die Milchleistung kaum mehr als ein einmaliges Melken rechtfertigen würde. Allerdings werden die Melker nach wie vor in drei Schichten eingeteilt, die alle beschäftigt werden müssen. Ein anderes Beispiel stellen die Kühe dar, die nach Gruppen unabhängig von ihrer Milchleistung geordnet sind und daher nicht nach dem Stadium ihrer Laktation gefüttert werden. Solche Ineffizienzen treten auf, weil die Melker nach der ermolkenen Milchmenge bezahlt werden, so daß aus Gründen der Fairneß die Kühe in Gruppen aufgestallt werden müssen, die ungefähr dieselbe Milchmenge geben. Aus diesen Beispielen wird deutlich, wie unnötig hohe Kosten entstehen.

Abbildung 8-4: Umfang der Verarbeitung

0

20

40

60

80

100

120

1990 1995 1996

Jahr

Erze

ugun

g (1

990=

100)

Butter Fetthaltige Milchprodukte Kдse

Quelle: INSTITUT FÜR AGRARREFORMEN (1998).

Auch der Umfang der Milchverarbeitung ist bei allen wichtigen Erzeugnissen drastisch zurückgegangen (Abbildung 8-4). Während sich ein Teil dieses Rückgangs

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sicherlich durch eine gesunkene Gesamtmilchproduktion erklären läßt, liegt eine weitere wesentliche Ursache in Veränderungen der Produktflüsse durch die Absatzkanäle. Wie später in Abschnitt 3 noch erläutert wird, meiden die Milcherzeuger den Verkauf an die Verarbeitungsunternehmen tunlichst.

2.2 Der Verbrauch und die Vermarktung von Milchprodukten

Der Verbrauch von Milchprodukten ist in der Ukraine von 373 kg/Kopf im Jahre 1990 auf ungefähr 215 kg/Kopf in 1997 gefallen. Dieser Rückgang ist jedoch prozentual geringer als der fast 50%ige Einbruch des Verbrauchs von tierischen Produkten insgesamt (gemessen in Kalorien) seit 1990. Der Verbrauch schwankt z.T. erheblich in Abhängigkeit vom Einkommensniveau und der Region, wobei die Landbevölkerung im allgemeinen rund 2 bis 3 mal mehr Milchprodukte verzehrt als die Stadtbevölkerung.

Daten über den Verkauf von Milch nach Ursprung und Vermarktungskanal gehen aus der Tabelle 8-1 weiter oben hervor. Der stetige Rückgang des öffentlich Sektors spiegelt sich im zurückgehenden Anteil der Milchproduktion sowie dem stetig fallenden Anteil und Umfang der abgesetzten Milch an die Verarbeitungsunternehmen wider. Die am häufigsten zitierten Ursachen hierfür sind der niedrigere Preis, den die Verarbeiter anbieten, die Zahlungsverzögerungen sowie die Zahlung mittels Bankkonten. Weiterhin nähert sich die Produktion der Landbevölkerung immer mehr der reinen Subsistenzwirtschaft. So wird nur ein schrumpfender Anteil der insgesamt produzierten Milchmenge auf die ein oder andere Weise abgesetzt. Falls die Milchproduktion weiterhin abnehmen und der Verbrauch der Landbevölkerung weitestgehend konstant bleiben sollte, werden die vermarkteten Mengen auch in Zukunft drastisch sinken.

Die KLB schließen mit den Milchverarbeitern jährlich Verträge über die monatlichen und jährlichen Anlieferungsmengen, Preise, Qualitätsanforderungen und die Zahlungsmodalitäten ab. Diese Verträge werden als ‘unabhängig zwischen dem Erzeuger und dem Verarbeiter ausgehandelt’ bezeichnet. In Wirklichkeit spielen bei der Festlegung der Produktionsmenge, des Preises, sowie den Liefer- und Zahlungsbedingungen die Gebiets- und Bezirksverwaltungen eine aktive Rolle. In der Praxis werden die Betriebe (illegalerweise) genötigt, die gesamte Rohmilchmenge an die Verarbeiter zu verkaufen.9 Die Zahlung erfolgt - oft verspätet – in aller Regel mittels Bankkonten. Bartergeschäfte werden nur selten z.B. in Form von Butter vereinbart, aber nicht vertraglich vermerkt.

Die privaten Milchbauern verbrauchen den größten Teil ihrer Produktion im eigenen Haushalt oder liefern sie an Bekannte und Verwandte. Die überschüssigen Produkte werden an der Straße gegen Bargeld verkauft, ohne daß dies gegenüber der Steuerbehörde belegt wird. Allerdings gibt es hinsichtlich der hygienischen Bedingungen, unter denen die Milch produziert, behandelt, gelagert und abgepackt wird, große Bedenken. So ist es gesetzlich eigentlich verboten, nicht pasteurisierte Milch in den Verkauf zu bringen. Ferner gibt es Bestimmungen für die Behandlung und den Transport der zu verarbeitenden Milch. Viele Vorgaben dieses Gesetzes werden weitgehend ignoriert, insbesondere beim Straßenverkauf,

9 Siehe beispielsweise SILSKI VISTI (1999) vom 16. März 1999, in der davon berichtet wird, daß die

Oblastbehörden in Vinnitsa den Export von Milch über die Oblastgrenzen hinweg verbieten, um die Belieferung der lokalen Verarbeiter sicherzustellen.

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wo nicht pasteurisierte Produkte aller Art in den Verkauf gelangen. Außerdem werden auch viele verarbeitete Sauermilchprodukte auf den Straßenmärkten zum Verkauf angeboten.

Die Milchverarbeiter verkaufen ihre Produkte an verschiedenen Abnahmestellen, von denen die am häufigsten verwendete das betriebseigene Geschäft ist. Verträge mit den staatlichen Verkaufseinrichtungen (staatliche Geschäfte, Geschäfte der Armee, Schulen, Krankenhäuser usw.) werden jedes Jahr von neuem abgeschlossen, die Zahlung aber erfolgt in der Regel spät und muß über Bankkonten abgewickelt werden. Die Verarbeitungsunternehmen werden genötigt, Lieferverträge mit staatlichen Institutionen zu unterzeichnen, obwohl hierfür keine gesetzliche Grundlage existiert. Die Stadtverwaltungen sind die Hauptabnehmer von Milchprodukten, da sie für die Lebensmittellieferungen an Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und militärische Einrichtungen verantwortlich sind. Praktisch betrachtet sind Verträge unter ukrainischem Recht kaum einklagbar. Verspätete Zahlungen sind weit verbreitet, und andere Arten von Vertragsbruch stellen eher die Regel als die Ausnahme dar.

Offensichtlich bestehen für alle Unternehmen Anreize, das offizielle Vermarktungssystem zu umgehen. Dazu wurde ein ausgefeiltes System entwickelt: Ein Beispiel stellt die steigende Zahl privater Händler dar, die den KLB die Produkte gegen Bargeld abkaufen, den Molkereien Bargeld für die Verarbeitung zahlen und die verarbeiteten Produkte anschließend privat vermarkten. Das führt zu großen Beträgen an unversteuerten Bareinnahmen bei den landwirtschaftlichen Betrieben und den Verarbeitern. Auch wird die produzierte Milchmenge bei den Erzeugern zu niedrig ausgewiesen. Über diese Händler, die wahrscheinlich mit einer durch Bestechung gesicherten Billigung der lokalen Behörden operieren, und über ihre Strukturen ist darüber hinaus bisher allerdings sehr wenig bekannt.

Daß der Handel von Agrarprodukten zwischen den Oblasten immer wieder beschränkt oder ganz unterbunden wird, ist schon vielfach kritisiert worden. Diese (illegalen) Handelshemmnisse sollen den Verarbeitungsunternehmen Zugang zu ihrem Rohmaterial sichern. Damit wird deren Monopsonstellung gestärkt. Während andere Güter relativ leicht geschmuggelt werden können, gehört die Milch zu den Produkten mit hohem Transportvolumen, das schwierig zu verstecken ist.

Lagerung, Großhandel und Vertrieb von Milchprodukten werden von den Molkereien übernommen. Demgegenüber hat sich für importierte Waren eine privatwirtschaftliche Logistik entwickelt. Beim Export ist die Situation undurchsichtig, auch wenn es nur wenige offizielle Hürden zu geben scheint.

Viele Molkereien haben beträchtliche Schulden, insbesondere gegenüber den staatlichen Gas-, Strom- und Energielieferanten, die in der Vergangenheit die Begleichung dieser Schulden in Form von Milchprodukten akzeptiert haben. Natürlich verbleiben die Molkereien so ohne liquide Mittel zur Bezahlung der von den landwirtschaftlichen Betrieben gelieferten Milch. Viele Milchproduzenten werden dazu gezwungen, entweder die verspätete Zahlung oder eine Naturalentlohnung, z.B. in Butter, zu akzeptieren, was die landwirtschaftlichen Betriebe wiederum zwingt, ihre Löhne ebenfalls in Butter auszuzahlen. Das absurde Ergebnis brachte der Leiter eines milcherzeugenden Betriebes auf den Punkt:

„ ... verschiedene kommerzielle Einrichtungen, ein staatlicher Versorgungsbetrieb, mehrere Transportverbindungen, und enorm hohe Verwaltungs- und Transaktionskosten

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werden aufgewandt, um den Landarbeitern Butter zu liefern, die sie eigentlich ganz einfach zu Hause hätten erstellen können.“

2.3 Preisgestaltung und Zahlungsmodalitäten

Die drei wichtigsten Determinanten der Preisgestaltung für Milchprodukte sind die Preiskontrolle der lokalen Verwaltungen, die Berechnung angemessener Margen für die Verarbeitungsbetriebe und die bereits erwähnten Handelsbarrieren. Für solche Praktiken gibt es zwei mögliche Rechtfertigungen. So könnten sie einerseits eine akzeptierte Prozedur für Monopolbetriebe darstellen, oder aber die Verbraucher mit niedrigen Einkommen schützen. Sicher ist, daß das System den Verarbeitungsbetrieben die Fortsetzung ihrer Geschäftsaktivitäten erlaubt, obwohl sie in einer Konkurrenzsituation ihre Produktion bereits hätten einstellen müssen. Natürlich begrenzt es aber auch die Preise, die die Landwirte erzielen können. Daß das Verfahren der Aufschlagzahlungen allerdings nicht aufrechterhalten werden kann, spiegelt sich in den enormen Kosten wider, die durch die Kontrolle des interregionalen Handels mit Milch und Milchprodukten sowie die Subventionierung unrentabler Landwirtschafts- und Verarbeitungsbetriebe entstehen.

Die Abschottung der ukrainischen Milchwirtschaft vom Weltmarkt wurde besonders durch hohe Importzölle erreicht. Es wird oftmals berichtet, daß große Mengen ukrainischer Butter jedes Jahr auf informellem Weg exportiert werden. Die Anwendung von Importbarrieren für Produkte, die anscheinend profitabel exportiert werden können, ist ein weiterer Beweis für den chaotischen ukrainischen Preisgestaltungsmechanismus.

Alle Zahlungen innerhalb des offiziellen Systems müssen mittels Bankkonten abgewickelt werden. Dabei sind die Banken angehalten, jedweder Steuerverbindlichkeit Priorität einzuräumen und, sollten Mittel auf dem Konto eines Steuerschuldners erscheinen, diese sofort abzuführen. Weiterhin dürfen Firmen lediglich je ein Bankkonto besitzen. Unternehmen haben daher starke Anreize, den Verkauf ihrer Produkte über offizielle Kanäle zu vermeiden. Genauso wie in anderen Industriezweigen der Ukraine führt das zu dem Ergebnis, daß auch die Milchwirtschaft von der Schattenwirtschaft dominiert wird.

3 Intervention der Politik im Molkereisektor

3.1 Akteure

Für die Agrarpolitik der Ukraine sind insbesondere drei Organisationen zuständig:

• Die Abteilung für den Agro-Industriellen Komplex (AIK) und für Nahrungsmittel des Ministerkabinetts,

• Die Abteilung für Agrarpolitik des Wirtschaftsministeriums, und

• Das Ministerium für den Agro-Industriellen Komplex (MAIK).

Die Beziehung zwischen diesen drei Organisationen ist komplex und agrarpolitische Initiativen können von jeder ausgehen. In bezug auf die Milchwirtschaft besitzt das MAIK die folgenden expliziten Verantwortungsbereiche:

• Richtlinienkompetenz für die Entwicklung der Milcherzeugung und -verarbeitung,

• Die Bereitstellung von staatlicher Unterstützung für die Milchwirtschaft,

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1211

• Organisation des Milchvermarktungssystems,

• Kontrolle des genetischen Materials von ukrainischen Milchkühen, und

• Veterinär- und epidemiologische Kontrollen.

Es gibt spezielle Unterabteilungen innerhalb des MAIK, die besonders für die Probleme der Milcherzeugungs- und Milchverarbeitungsbetriebe zuständig sind. Obwohl diese weitestgehend privatisiert wurden, bleiben sie formal dem Ministerium untergeordnet. Theoretisch kontrolliert das Ministerium auch die landwirtschaftlichen Abteilungen auf Rayon- und Oblastebene. Diese Abteilungen sind aber auch der Exekutive auf Oblast- und Rayonebene unterstellt, so daß unklar ist, in welchem Maße die Kontrolle des MAIK greift.

UkrMolProm, die nationale Vereinigung der Milcherzeuger der Ukraine, wird als eine freiwillige, nicht staatliche, nicht kommerzielle und unabhängige Organisation beschrieben und wurde von der Abteilung für Milchwirtschaft des MAIK ins Leben gerufen. Die vorrangigen Ziele von UkrMolProm bestehen in:

• Der Unterstützung der Entwicklung der Milchindustrie,

• Der Unterstützung bei der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Entwicklung funktionierender Märkte für Milchprodukte in der Ukraine,

• Der Weiterentwicklung und -bildung von Qualitätsstandards bzw. Inspektoren im Milchsektor,

• Der Sammlung, Entwicklung und Implementierung technischen Know-hows, und

• Der Interessenvertretung von Mitgliedern des UkrMolProm in Verhandlungen mit dem Staat, öffentlichen Institutionen, Organisationen und anderen Personen.

UkrMolProm wird durch Abgaben der Mitglieder, d.h. aller Milchverarbeitungsbetriebe, finanziert, wobei die genaue Abgabenhöhe in Gesprächen nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. Die Mitarbeiter von UkrMolProm sind vorwiegend in Kiew tätig und eng mit dem MAIK verbunden. Milchbetriebe und -verarbeiter, die im Rahmen dieser Studie gefragt wurden, konnten keine konkreten Dienstleistungen nennen, die sie von UkrMolProm in Anspruch nehmen. Sie wußten auch nichts über die Struktur, die Funktion oder den Status von UkrMolProm. Keiner der Befragten war wissentlich ein Mitglied von UkrMolProm, und einige wollten nicht einmal von dieser Organisation gehört haben.

3.2 Politikinstrumente

Das geteilte Marketingsystem (informelle Barter- und Bargeldgeschäfte und formelle Banktransfers) wurde bereits in Abschnitt 2 beschrieben und ist typisch für alle ukrainischen Agrarmärkte. Die Antwort der Kommunalverwaltungen auf diese wachsende Teilung besteht aus vermehrten Kontrollen der Produktion und Preisgestaltung im formellen Sektor. Die Entwicklung des informellen Sektors wird marktwirtschaftlichen Anreizen überlassen. Da Geld auf der betrieblichen Ebene nur eingeschränkt zur Verfügung steht und sich ein funktionierendes Kreditsystem bisher nicht entwickeln konnte, ist der beträchtliche ‘Abfluß’ von Gütern und Vermögen in die Schattenwirtschaft (siehe Abschnitt 2.2) wenig erstaunlich.

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Die ukrainische Milchwirtschaft mußte einen Mechanismus entwickeln, der die Produktion auch in Abwesenheit von Zahlungsströmen sicherstellt. Bartergeschäfte, Schuldenakkumulation und die de facto Machtübernahme der lokalen Verwaltungen in bedeutenden Bereichen sind wichtige Elemente dieses Mechanismus. Ein kompliziertes Netz an formellen (z.B. hohe Importzölle) und informellen Maßnahmen (z.B. Transportverbote, Tolerierung örtlicher Preiskontrollen) ist hierdurch entstanden. Die Kollektivbetriebe haben ihre diversifizierten Produktionsstrukturen unverändert beibehalten und sind nach wie vor von den Produktionsmittellieferungen der örtlichen Verwaltungen abhängig. Das ermöglicht den lokalen Behörden, glaubhaft Drohungen auszusprechen und eine entsprechend kooperative Haltung der Kollektivbetriebe zu sichern.

Der Verbraucherschutz genießt auf allen Ebenen der ukrainischen Regierung besondere Aufmerksamkeit und dient häufig als eine Rechtfertigung für die staatlichen Kontrollen und das Fehlen eines ernsthaften Versuchs zur Einführung marktwirtschaftlicher Reformen in der Milchindustrie. In dieser sozialen Komponente der Milchpolitik ist ein Wiedererwachen der Sowjetpolitik zu erkennen, bei der Einkommen von der Landwirtschaft in andere Sektoren transferiert wurde.

3.2.1 Internationale Handelsinterventionen

Seit Januar 1993 sind die ukrainischen Zölle für Milchprodukte stetig angestiegen (siehe Abbildung 8-5). Auf Butterimporte werden im Augenblick Zölle von 50%, auf andere Milchprodukte solche zwischen 20 und 30% erhoben. Darüber hinaus berichten Importeure von einer Vielzahl an Schwierigkeiten beim Import von Vorleistungen oder Milchprodukten in die Ukraine. Nicht klar ist, ob diese Hindernisse Teil einer informellen Politik sind, die den Import von Lebensmitteln erschweren soll, oder eher isolierte Vorkommnisse darstellen, die durch inoffizielle Zahlungen ‘gelöst’ werden können.

Abbildung 8-5: Importzölle

0

10

20

30

40

50

60

Jan93

Apr93

Jul93

Okt93

Jan94

Apr94

Jul94

Okt94

Jan95

Apr95

Jul95

Okt95

Jan96

Apr96

Jul96

Okt96

Jan97

Apr97

Jul97

Okt97

Jan98

Datum

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Milchprodukte ungesьЯt Milchprodukte gesьЯtKдse ButterMilchpulver

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1231

Quelle: Verschiedene Gesetzesblätter.

Verschiedene westliche Firmen haben bereits technische Ausrüstung an die ukrainischen Milchverarbeitungsbetriebe geliefert. Neue Technologien werden sowohl an die milcherzeugenden Betriebe, als auch an die Verarbeiter häufig auf Basis eines Ratenrückzahlungsprogramms geliefert. Beim Import der Technik wird formal dabei die Person Eigentümer, die die Freigabedokumente des Zolls unterzeichnet. Auf diese Art und Weise sind einige ausländische Firmen um ihre Forderungen gebracht worden.

3.2.2 Kontrolle über die Produktion und Lieferung der Produktionsmittel

Die KLB sehen sich bei der Wahl ihres Produktionsniveaus und dem gewinnmaximierenden Management ihrer Herden vielen Hindernissen ausgesetzt. So werden ihnen die Bedingungen für die Lieferverträge von den Verarbeitungsbetrieben und den örtlichen Behörden diktiert. Dadurch, daß die örtlichen Verwaltungen sowohl stark in die Belieferung der Produktionsmittel als auch in die Vermarktung der Produkte der KLB eingebunden sind, haben sie die Macht, sich intensiv in das Management der Betriebe einmischen zu können. In Interviews mit Vertretern der Rayone machten diese deutlich, daß sie von einer in Zukunft verstärkten Kontrolle der lokalen Verwaltungen in der Landwirtschaft im allgemeinen und im Milchsektor im besonderen ausgehen. So wird die Belieferung der KLB mit Produktionsmitteln, wie Zuchttieren, Treibstoffen und Pflanzenschutzmitteln als eine staatliche Aufgabe angesehen.

Den Leitern der KLB ist es untersagt, ihre Viehbestände zu verringern, wobei die Rayonverwaltungen die Bestandsgrößen der Betriebe sehr genau aufzeichnen. Darüber hinaus werden sowohl die Landwirtschafts- als auch die Verarbeitungsbetriebe von den örtlichen Verwaltungen davon abgehalten, ihre Mitarbeiter zu entlassen, da die Zahl der Angestellten die Basis der Steuerfestlegung darstellt. Außerdem erschwert auch die kollektive Struktur der beiden Betriebstypen eine Entlassung von Beschäftigten.

Die Milchverarbeiter sind bei der Preisgestaltung normalerweise gewissen Restriktionen unterworfen. Trinkmilch, Butter und bestimmte andere Produkte werden als Grundnahrungsmittel eingestuft und unterliegen damit der Produktionskontrolle. Dabei berufen sich die örtlichen Behörden auf den Verbraucherschutz. Tatsächlich stellt dies aber eine Rechtfertigung für die sehr niedrigen Milchauszahlungspreise an die Erzeuger dar und hält so die Verarbeitungsbetriebe weiter am Leben. Dabei führt besonders die geringe Kapazitätsauslastung der Verarbeitungsbetriebe zu sehr hohen Verarbeitungskosten. Diese treiben dann wiederum die Verbraucherpreise nach oben. Auch können die Verarbeiter die periodisch steigenden Verbraucherpreise nutzen, um ihre Verarbeitungsmargen zu erhöhen, in dem sie verspätet an die Landwirte auszahlen.

3.2.3 Steuerpolitik

Bezüglich der Steuerpolitik leidet der Milchsektor unter derselben 'Krankheit' wie der Rest der Landwirtschaft. Eine vollständige Überprüfung der Form, des Niveaus und der Effekte der Besteuerung würde den Rahmen dieses Berichts sprengen.10 Von Interesse sind

10 Siehe CPER (1998a).

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hier lediglich die Anreize, die durch das bestehende System entstehen. Diese Anreize berühren nicht nur die Steuerzahler, sondern auch die Steuerbehörden. So erhalten die örtlichen Behörden Steuereinnahmen, die nach Produktionsumfang und Beschäftigungsniveau der Verarbeitungsbetriebe in ihren Bezirken berechnet werden. Daher werden Betriebe unabhängig davon, ob sie Gewinne erzielen oder effizient sind, am Leben erhalten.

Eine Initiative von 1997 schloß die Milchverkäufe der Landwirtschaftsbetriebe an die Verarbeitungsbetriebe von der Mehrwertsteuerverpflichtung aus und kanalisierte die Mehrwertsteuereinnahmen aus der Vermarktung von Molkereiprodukten auf spezielle Konten, von denen wiederum Subventionen an die Landwirte gezahlt wurden.11 Diese Initiative war sowohl darauf ausgerichtet, die Rentabilität der Landwirtschaftsbetriebe zu erhöhen, als auch das Defizit an Rohmilch zu verringern, das an die Milchverarbeiter geliefert wurde. Die Subventionen wurden dabei von den Verarbeitern auf spezielle Konten überwiesen, die an die Milchverkäufe (und Fleischverkäufe) der Landwirte angelehnt waren (für Milch beispielsweise zu einem Satz von 25,8%).12 Kürzlich befreite ein Präsidialdekret die landwirtschaftlichen Erzeuger von der Zahlung der Mehrwertsteuer und der festen Bodensteuern für fünf bzw. zwei Jahre.

4 Betriebswirtschaftliche Aspekte der Milchproduktion und -verarbeitung: Einnahmen, Kosten und Gewinnaussichten Die in diesem Abschnitt verwendeten Informationen und Daten wurden u.a. bei

Betriebsbesuchen, aus der Sekundärliteratur und aus den Ergebnissen anderer Berechnungen zusammengetragen. Eine Finanzanalyse der Hauswirtschaften und der privaten landwirtschaftlichen Betriebe ginge über den Rahmen dieser Studie hinaus. Die Kosten und Umsätze sind besonders für Hauswirtschaften sehr schwierig zu berechnen und zuzuordnen, und es gibt zu wenige private Milchbauern, als daß sich eine Auswertung des entsprechenden Zahlenmaterials lohnen würde. Folglich bezieht sich das folgende Material ausschließlich auf die KLB und die Verarbeitungsbetriebe. Zur Abschätzung der Einnahmen und Kosten der Milchverarbeitung in der Ukraine wurden vor allem Besuche bei den Verarbeitungsunternehmen genutzt. Betont werden muß, daß die im folgenden präsentierten Ergebnisse lediglich grundsätzliche Beziehungen darstellen, die von Betrieb zu Betrieb stark variieren können.

4.1 Milchproduktion

4.1.1 Einnahmen und Kosten

Verkäufe von Fleisch und Schlachtvieh machen fast elf Kopeken pro produziertem Liter Milch aus, und damit beinahe ein Drittel der Gesamteinnahmen der KLB. Abbildung 8-6

11 Gesetz Nr. 770/97 BP Über die Einführung von Änderungen zum Gesetz der Ukraine ‘Über die

Mehrwertsteuer’ vom 23. Dezember 1997. Für eine detaillierte Berechnung dieser Steuer siehe CPER (1998b).

12 Die Subventionsraten und die Verwaltungsdetails werden vom Ministerkabinett festgelegt (Verordnung Nr. 145 ´On approval for evaluation and payment of subsidies to agricultural producers for milk and meat sales to processors` vom 16. Februar 1998).

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zeigt, daß die variablen Kosten 69% der Gesamtkosten ausmachen, wobei ein Großteil auf die Positionen Futter (35%) und Saisonarbeitskräfte (22%, einschließlich Steuern) entfällt. Fixe Kosten machen 31% der Gesamtkosten aus. In nicht kollektiven landwirtschaftlichen Betrieben werden vermutlich weniger Arbeitskosten in Form variabler Kosten entstehen.

Abbildung 8-6: Kostenanteile und -zusammensetzung in der Milchproduktion auf den Kollektivbetrieben

Sonst. Fixkosten20%

Energietrдger (FK)6%

Arbeit (FK)5%

Sonst. variablen Kosten

12%Arbeit (VK)22%

Futtermittel (VK)35%

Quelle: Eigene Schätzungen.

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126

Abbildung 8-7: Der saisonale Verlauf der Milchproduktion in der Ukraine

500

750

1000

1250

1500

1750

2000

2250

2500

Jan. Feb. Mдrz April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez.

Monat

Milc

hpro

dukt

ion

('000

dt)

Quelle: Eigene Schätzungen.

Weiterhin haben die privaten Landwirte und die Hauswirtschaften wahrscheinlich weitaus niedrigere Futterkosten als die KLB. Die Hauswirtschaften beziehen große Mengen Futtermittel von ihrer KLB, benutzen nach wie vor deren Weideland, und verfüttern ansonsten Hausabfälle. Vermutlich werden in gleicher Weise auch die Kosten für Treibstoff, Energie und Verwaltung bei den privaten Betrieben niedriger liegen.

Abbildung 8-7 zeigt den saisonalen Verlauf in der Milchproduktion der Ukraine. Die hohe saisonale Varianz der Milchlieferungen schlägt sich natürlich auch in den Einnahmen der KLB nieder. Wegen der hohen Fixkostenanteile in der Milchproduktion sind auf den KLB die saisonalen Unterschiede in den Kosten geringer als bei den Einnahmen. Daher erscheint die Milchproduktion von April bis August profitabler (oder weniger unprofitabel) als in den übrigen Monaten.

4.1.2 Rentabilität

Um die Gewinnsituation der Milchproduktion auf den Kollektivbetrieben verdeutlichen zu können, werden die folgenden Annahmen getroffen: Erstens werden nur Einnahmen aus Milchlieferungen an die Verarbeiter und 'normale' Verkäufe aus den Herden berücksichtigt. D.h. Verkäufe, die zu Netto-Bestandsverringerungen führen, werden nicht als Einnahmen betrachtet. Es wird zweitens davon ausgegangen, daß alle Vorleistungen in Geld und nicht über Bartertransaktionen finanziert werden. Schließlich wird ignoriert, daß die Zahlungen von oder an die Betriebe verspätet erfolgen.

Das entscheidende Ergebnis der auf dieser Grundlage angestellten Berechnungen ist der geringe Gewinn des so modellierten Betriebes von lediglich 15.000 UAH oder umgerechnet nur einer Kopeke pro kg Milch. Diese Ergebnisse sind, besonders in Verbindung

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mit den Produktionskosten (ungefähr 0,36 UAH/ Liter Milch nach unseren Berechnungen), von einigen ukrainischen Beobachtern, die Kosten von über 0,50 UAH/Liter nennen, stark angefochten worden. Allerdings stammen die Angaben von 0,50 UAH/Liter aus den Jahresberichten der KLB, denen vorwiegend Durchschnittswerte zugrunde liegen und in die viele intransparente Kostenstellen mit einfließen. Außerdem basieren die offiziellen Zahlen lediglich auf den an die Molkereien gelieferten Mengen, die nur einen Teil der gesamten Milchproduktion darstellen.

Um den Einfluß von Schwankungen des Milchpreises, der variablen, Futter- und fixen Kosten, sowie der Beschäftigtenzahl und der Milchleistung pro Kuh auf die Rentabilität zu untersuchen, wurde eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Diese Analyse (die Ergebnisse werden hier nicht vorgestellt, sind aber bei CPER erhältlich) zeigt, daß sowohl der Milchpreis als auch die Bestandsgröße viel bedeutendere Determinanten der Rentabilität pro Kuh und pro kg Milch sind als die Milchleistung pro Kuh. Das relativ hohe Niveau der Fixkosten und der hohe Futterkostenanteil im Betriebsbudget lassen bei einem Anstieg dieser Kostenkomponenten die Gewinne signifikant sinken. Sicherlich sind die Betriebe der Ukraine – wie überall auf der Welt – sehr heterogen und sehr stark von den Fähigkeiten der Betriebsführung abhängig, ein Faktor, der einen ähnlich hohen Einfluß wie technische Faktoren (z.B. die Herdengröße) hat.

4.2 Milchverarbeitung

4.2.1 Kosten und Einnahmen

Abbildung 8-8: Zusammensetzung der Einnahmen in Verarbeitungsunternehmen

Casein3.8%

Fetthaltige Produkte & Milch

29.4%

Nicht-fetthaltige Produkte

9.7%Kдse0.3%

Butter50.3%

Abfallprodukte6.6%

Quelle: Eigene Schätzungen.

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128

Abbildung 8-9: Kostenzusammensetzung in Verarbeitungsunternehmen

Energietrдger (FK)4%

Sonst. Fixkosten8%

Lцhne (FK)2%

Rohmilch (VK)70%

Sonst. variablen Kosten

16%

Quelle: Eigene Schätzungen.

Abbildung 8-8 zeigt die überragende Bedeutung der Milch- und Fettprodukte (meistens Kefir und Butter) bei den Einnahmen der Verarbeitungsunternehmen. Zusammen erzielen diese Produkte, die einer Preiskontrolle unterliegen, 79% der Gesamteinnahmen. Der Kauf der Rohmilch macht mit 70% an den Gesamtkosten den bei weitem größten Anteil aus. Arbeits- und Fixkosten sind mit 14% überraschend niedrig (Abbildung 8-9).

4.2.2 Rentabilität

Wenn angenommen wird (wie oben für die KLB), daß alle Zahlungen pünktlich und in Form von Bargeld erfolgen, erwirtschaftet ein ‘typisches’ Verarbeitungsunternehmen einen Gewinn von 408.000 UAH. Allerdings haben die von unseren Analysten besuchten Betriebe eine mit 46% überdurchschnittliche Kapazitätsauslastung, was einen entscheidenden Einfluß auf die Rentabilität hat. Die Sensitivitätsanalyse zeigt, daß ein 40%iger Anstieg der Kapazitätsauslastung (im vorgestellten Fall wäre das von 46 auf 64%) den Gewinn verdoppeln würde. Nach diesen Berechnungen fallen Verluste bei einer Kapazitätsauslastung von unter 30% an. Da die Milchanlieferung im Jahresverlauf stark schwankt, variiert natürlich auch die Kapazitätsauslastung über das Jahr hinweg stark.

4.3 Zusammenfassung

Die hier vorgestellten Betriebsbudgets zeigen, daß es sowohl auf Ebene der Primärerzeuger als auch auf Endverbraucherstufe möglich ist, auch unter den gegebenen kommerziellen und politischen Bedingungen der Ukraine Gewinne zu erzielen. Daß der Handel mit Milchprodukten rentabel ist, zeigt schon die Vielfalt der auf den Märkten angebotenen Milchprodukte sowie die Tatsache, daß auch verschiedene staatliche und halbstaatliche Agenturen bemüht sind, Milchprodukte mit dem Ziel zu erwerben, sie auf dem Schwarzmarkt wieder veräußern zu können. Das deutlichste Zeichen ist aber die Existenz von

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Händlern, die bereit sind, Rohmilch von den KLB zu kaufen und die Molkereien für die Weiterverarbeitung dieser Milch zu bezahlen. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, daß es Möglichkeiten zur Erzielung von Gewinnen in der Milchwirtschaft gibt.

Es ist aber auch evident, daß es viele KLB und Verarbeitungsbetriebe gibt, die wesentlich schlechtere Ergebnisse als die oben vorgestellten erzielen, wobei die Rentabilität vieler Betriebe nicht so schlecht ist, wie man aufgrund der Ertrags- und Aufwandsberechnungen schließen müßte. Unangemessene Buchführungspraktiken, bei denen z.B. Einnahmen aus Viehverkäufen nicht angerechnet oder Abschreibungen zu hoch eingeschätzt werden, sind u.a. für diese Fehleinschätzung verantwortlich. Entscheidend aber ist, daß die Betriebe bemüht sind, den Steuerbehörden Informationen über ihre tatsächliche Rentabilität vorzuenthalten.

Wie auch immer die finanzielle Situation auf den Milchviehbetrieben aussehen mag, so ist doch deutlich, daß neben den Fähigkeiten der Betriebsleitung der Milchpreis die entscheidende Determinante der Rentabilität darstellt. Offensichtlich bestehen auch Skaleneffekte, so daß die Vergrößerung des Kuhbestands ein gangbarer Weg zur Verbesserung der betrieblichen Gewinnsituation ist. Letzteres trifft insbesondere auch deshalb zu, weil der Fixkostenanteil der Milchviehbetriebe bei 31% der Gesamtkosten liegt. Somit wird deutlich, daß diese Faktoren wichtiger als die Milchleistung sind. Diese Erkenntnis überrascht allerdings wenig, denn die zusätzlichen Kosten der höheren Milcherträge werden unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht durch entsprechende Mehreinnahmen kompensiert.

Natürlich haben Preise den größten Einfluß auf die Gewinnsituation. Steigende Milchpreise würden einen Gewinntransfer von den Verarbeitern zu den landwirtschaftlichen Betrieben nach sich ziehen, wobei betont werden muß, daß die ukrainischen Landwirte bereits einen größeren Anteil am Einzelhandelspreis der Milch erhalten als Landwirte in den USA. Die Verarbeitungsunternehmen haben einen starken Anreiz, die Milchankaufspreise zu erhöhen, pünktlich an die Landwirte zu zahlen und Prämien für Milchlieferungen in den Wintermonaten zu gewähren, denn nur durch solche Maßnahmen könnte die Kapazitätsauslastung und damit auch den Gewinn signifikant erhöht werden. Zur Zeit aber haben die Landwirte viele Gründe, ihre Milch auf alternativem Wege abzusetzen. Bevor die bestehenden Probleme der Vertragserfüllung und der Einhaltung von Zahlungsverpflichtungen geklärt werden, können Preissteigerungen wenig Wirkung zeigen. Steigerungen der Kapazitätsauslastung sind ohne Betriebsschließungen nicht möglich, solange der Milchabsatz an die Verarbeitungsunternehmen kontinuierlich sinkt, v.a. in den Wintermonaten. Die geringe Kapazitätsauslastung wird in den kommenden Jahren zu einem immer größeren Problem, weil die Fixkosten der Betriebe durch notwendige Ersatzinvestitionen und der notwendigen Steigerung der Qualitätsstandards weiter steigen. Eine Erhöhung der Kapazitätsauslastung wird durch Maßnahmen auf lokaler Ebene verhindert. Solange diese Situation besteht, wird kaum ein Unternehmer in die ukrainische Milchindustrie investieren.

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5 Die Zukunft des ukrainischen Milchsektors: Eine Herausforderung für die Agrarpolitik Auch unter politischen Entscheidungsträgern muß akzeptiert werden, daß die KLB bei

der Milchproduktion in den nächsten Jahren entscheidend an Gewicht verlieren werden. Abzusehen ist diese Entwicklung vor allem daran, daß die Herden kaum noch Nachzucht aufweisen, nur noch wenig Geld für Futter vorhanden ist und immer weniger Ressourcen in die Gehälter und den Zukauf von Produktionsmitteln fließen. Der Kuhbestand und die durchschnittliche Milchleistung werden weiter sinken. Alle Versuche, diesen Trend umzukehren, müssen an den Ursachen ansetzen: Verspätete Zahlungen, niedrige Milchpreise, der Zugriff der Steuerbehörden auf Bankkonten und der Mangel an Bargeld auf den Betrieben, der die Bartergeschäfte attraktiv macht. Die lokalen Verwaltungen haben alles mögliche (und einiges hiervon war illegal) zum Erhalt ihrer Macht über den Teil des Milchsektors unternommen, der nach dem bisherigen Niedergang übrig geblieben ist.

Politikvorschläge, die sich allein auf eine technologische Lösung des Problems des ukrainischen Milchsektors beschränken, werden scheitern. Verbesserungen der Genetik und der Tiergesundheit werden ohne eine verbesserte Fütterung keinen positiven Effekt erzielen. Eine Subventionierung des Futters ist nicht umsetzbar, da (a) die Regierung kein Geld hat, (b) das Getreide nahezu zu Weltmarktpreisen gehandelt wird und daher eher weiterverkauft als verfüttert werden würde, und (c) es keinen angemessenen Mechanismus zur Selektion von Betrieben gibt, die Hilfe erhalten sollten. Politische Entscheidungsträger sollten daher akzeptieren, daß technologische Probleme von der Betriebsleitung selbst und nicht durch staatliche Anordnungen gelöst werden müssen.

Es gibt zu viele Molkereibetriebe in der Ukraine. Viele davon befinden sich in Regionen, die ihre Ressourcen nicht mit der Produktion von Milch verschwenden sollten. Ineffiziente Fabriken ziehen die effizienten mit nach unten, da die Milchlieferung auf regionaler Ebene rationiert wird. Daher fahren alle Betriebe weit unter ihrer Kapazitätsgrenze, was die Stückkosten in die Höhe treibt. Weiterhin werden potentielle Investoren aus nachvollziehbaren Gründen keine Firmen kaufen, deren Marktanteile durch staatliche Behörden begrenzt werden. Private Unternehmer sind zwar am ukrainischen Milchsektor interessiert, aber bisher auf das Wohlwollen der örtlichen Behörden angewiesen. Politische Entscheidungsträger müssen einsehen, daß das sowjetische Modell der regionalen Selbstversorgung nur funktionieren kann, wenn der Staat alle Bereiche der Produktionsmittel- und Produktverteilung kontrollieren kann. Die Transformation der Ukraine in Richtung Marktwirtschaft ist bereits zu weit fortgeschritten, als daß der Staat eine solche Kontrolle tatsächlich ausüben könnte.

Die bisher gelaufene, vorwiegend formale Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Betriebe hat den Molkereisektor kaum berührt. Die Leitungen der KLB können weder über ihre Bestandsgrößen noch über ihre Produktion und Vermarktung selbst entscheiden. Statt dessen haben sich die Milchviehbetriebe vielmehr inoffiziell ‘selbst umstrukturiert’, und zwar in private Hauswirtschaften. Und so stellt sich die Frage, welche neuen Strukturen im Bereich der Milchwirtschaft in der Ukraine entstehen werden. Schon jetzt werden einige spezielle Betriebsstrukturen von ukrainischen und ausländischen Beratern als ‘effizient’ oder ‘rational’ gelobt. Aber die politischen Entscheidungsträger sollten einsehen, daß Betriebsstrukturen in

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einer Marktwirtschaft das Ergebnis privatwirtschaftlichen Handelns sind und nicht aufgrund von Anweisungen und Verordnungen entstehen können.

5.1 Barrieren bei der Umstrukturierung des ukrainischen Molkereisektors

Wenn die Umstrukturierung der ukrainischen Betriebe nach marktwirtschaftlichen Kriterien verlaufen soll, dann wird die Milchproduktion in einigen Regionen erweitert, in anderen dagegen reduziert oder aufgegeben werden. Das wäre auf jeden Fall als positives Ergebnis zu deuten, da die Effizienz der Nutzung knapper Ressourcen in der ukrainischen Landwirtschaft gesteigert würde. Dieser Wandel wird aber Schließungen genauso nach sich ziehen müssen, wie massive Veränderungen in der Management- und Beschäftigtenstruktur in den Betrieben. Bisher hat die Politik der Regierung solche Änderungen bis zum fast vollständigen Zusammenbruch der Milchindustrie verzögert. Inzwischen ist das Vertrauen in die Zukunft dieser Industrie so stark geschädigt, daß bezweifelt werden muß, ob sie überhaupt wieder hergestellt werden kann. Für diese katastrophale Situation lassen sich natürlich viele Ursachen identifizieren. Im folgenden werden einige der wichtigsten Probleme kurz vorgestellt.

5.1.1 Zahlungen

Das grundsätzliche Problem, dem sich die Milchwirtschaft gegenüber sieht, besteht in den verspäteten oder gar nicht erfolgten Zahlungen bzw. in den alternativ dazu vorgenommenen Bartertransaktionen. Auch umgehen die Verarbeitungs- und Agrarbetriebe das offizielle Vermarktungssystem, um die Steuererhebung durch die Banken zu vermeiden. Welche Änderungen auch immer für die Molkereiwirtschaft denkbar sind, finanzielle Anreize sind ohne das Vertrauen in Zahlungsvorgänge wertlos.

Die Tolerierung der zwischenbetrieblichen Verschuldung innerhalb der Milchwirtschaft ist für die Verarbeitungsbetriebe ein falsches Signal. So werden die Verarbeiter davon abgehalten, Betriebe stillzulegen und die vorhandenen Überkapazitäten abzubauen. Kurzfristig werden die Verarbeitungsbetriebe ihr paralleles Absatzsystem beibehalten und sogar ausbauen. Eventuell werden alle Schulden in den öffentlichen Sektor fließen, alle Gewinne dagegen in den privaten. Die Vorstellung, die zwischenbetriebliche Verschuldung könne so jemals beglichen werden, ist eine gefährliche Illusion.

5.1.2 Privatisierung und die Entscheidungsfreiheit der Betriebsleitung

Die KLB und die Verarbeitungsbetriebe können – obwohl sie bereits privatisiert sind – kaum Kontrolle über ihre eigenen Geschäftsvorgänge - was sie produzieren und wohin sie es verkaufen - ausüben. So dürfen sie ihre Preise nicht nach marktwirtschaftlichen Kriterien mit anderen Marktteilnehmer verhandeln. Die KLB dürfen nicht einmal selbst bestimmen, wie viele Kühe sie halten. Die bisher nur formale und daher unvollständige Privatisierung hat zu einer Trennung zwischen Eigentum und Kontrolle auf jeder Ebene der Milchindustrie geführt. Besonders schwerwiegend ist, daß das Eigentum von Anlagevermögen nach wie vor nicht dazu berechtigt, dieses auch als Kreditsicherheit einzusetzen. Es erstaunt daher wenig, daß alle Betriebe große Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung haben. Dieses Problem resultiert im wesentlichen aus dem Versäumnis des Staates einen freien Bodenmarkt zuzulassen.

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5.1.3 Verträge

Verträge erfüllen in einer Marktwirtschaft drei Funktionen: Sie reduzieren die Unsicherheiten auf Seiten der Käufer und Verkäufer, sie garantieren die Begleichung der Verpflichtung, und sie stellen ein Mittel dar, den Bankrott und Verkauf unprofitabler Unternehmen zu erzwingen. Verträge in der Ukraine erfüllen keine dieser Funktionen. Auf der Suche nach verläßlichen Zahlungsmodalitäten befürworten viele ukrainische Beobachter daher Preisstützungen, den staatlichen Aufkauf durch Agenturen und sogar Milchquoten.

5.1.4 Besteuerung

Der bedeutendste Faktor, der eine Umstrukturierung des Milchsektors verhindert, ist das bestehende Steuersystem. Wie oben aufgezeigt wurde, haben die örtlichen Behörden ein reges Interesse daran, die Weiterführung auch unprofitabler Verarbeitungsbetriebe zu gewährleisten, um ihre Steuereinnahmen zu sichern.

5.1.5 Preisgestaltung:

Die Beobachtung der Groß- und Einzelhandelspreise für Milchprodukte in der Ukraine macht deutlich, daß die Preisgestaltung in der Milchindustrie nicht nach Kriterien des Wettbewerbs erfolgt. Regionale Handelsbeschränkungen sind ein Grund für dieses Problem. So ist es wenig erstaunlich, daß als Ergebnis hieraus die Preise in benachbarten Oblasten kaum eine Beziehung aufweisen. Sogar innerhalb eines einzelnen Oblasts stehen die Preise in verschiedenen Vermarktungskanälen (offizielle Geschäfte und informelle Märkte) bzw. auf verschiedenen Stufen der Vermarktungskette (Groß- und Einzelhandel) häufig in keinerlei Beziehung zueinander. Schließlich hat die Erhebung von Importzöllen in der Ukraine dazu geführt, daß die Großhandelspreise für Butter in den offiziellen Vermarktungskanälen weit über den Weltmarktpreisen liegen. Die Butterpreise auf den inoffiziellen Märkten dagegen liegen weit unter denen in den Geschäften. Diese Preisdifferenz ist ein Indiz für die Höhe der Kosten, die einige Konsumenten aufgrund der Zölle zu tragen haben.

Wie in Tabelle 8-4 gezeigt wird, hat das Eingreifen in die Preisgestaltung nach sowjetischem Muster eine Reihe kontraproduktiver Auswirkungen auf den Milchsektor. Auch wenn die Ziele dieser Eingriffe auf den ersten Blick vernünftig erscheinen, können sie häufig nicht erreicht werden, weil der Staat schon seit langem die Kontrolle über die Produktströme verloren hat und die Unternehmen Zugang zu den Märkten außerhalb des formalen Sektors haben.

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Tabelle 8-4: Das durch Preisinterventionen verzerrte Anreizsystem der Ukraine

Instrument Politikziel Tatsächliche Auswirkungen auf den Milchsektor

Kostendeckende Preise mit geregelten Gewinn-aufschlägen

Die Preise dürfen die Kosten um einen bestimmten Prozentsatz ‘X’ nicht übersteigen. Dies soll die ‘Gerechtigkeit’ der Preise sichern.

Es besteht kein Anreiz, die Verarbeitungskosten zu kontrollieren, weil alle Kosten umgewälzt werden können. Auch ineffiziente Verarbeiter bleiben tätig, Wettbewerb wird verhindert und die Verbraucher müssen mehr zahlen.

Behinderung des regionalen Handels

Durch den garantierten Zugang zum Rohprodukt für alle Betriebe werden Arbeitsplätze gesichert und die kommunale Steuerbasis erhalten.

Unrentable Verarbeitungsbetriebe bleiben in Betrieb. Effiziente Betriebe werden gezwungen, weit unterhalb ihrer Kapazitätsgrenze zu produzieren. Die Kosten und die Verbraucherpreise steigen. Unrentable Verarbeiter zahlen kaum Steuern und Löhne. Kein privater Investor wird in eine Branche investieren, in der die Märkte so streng kontrolliert werden. Folglich werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen.

Maßnahmen an der Grenze (vor allem Importzölle)

Durch die Verteuerung ausländischer Produkte, wird der Marktanteil ukrainischer Produkte erhöht und die ‘Warenproduktion’ angekurbelt.

Der mangelnde Wettbewerb schwächt die Notwendigkeit, Anstrengungen zur Qualitätssteigerung vorzunehmen. Die Verbraucher zahlen höhere Preise. Die Ukraine erhält im Ausland aufgrund der Interventionen ein schlechtes Image.

Quelle: Eigene Darstellung.

5.1.6 Institutionelle Aufgaben und Strukturen

Bei der Korrektur der oben angesprochenen Probleme hat der Staat ein institutionelles Problem. Seine Strukturen und Funktionen bleiben die einer staatlichen Planungsagentur, die nicht in der Lage ist, ökonomische Probleme und marktkonforme Lösungsansätze zu identifizieren. Agrarpolitische Handlungsalternativen werden nicht nach ökonomischen Kriterien bewertet, sondern nach zentralplanerischen Zielvorstellungen der Produktionssteigerung und des Überschußtransfers von der Landwirtschaft zur Industrie.

Will die ukrainische Regierung ihre Politikbewertungskriterien anpassen und sich auf eine marktwirtschaftliche Reform im Milchsektor einlassen, dann werden hierzu neue institutionelle Strukturen benötigt, ausgestattet mit entsprechend ausgebildeten Mitarbeitern. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter der bestehenden Institutionen, wie UkrMolProm, MAIK und örtliche Landwirtschaftsverwaltungen, sind aber vorrangig auf die Leitung der Betriebe in technischer und finanzieller Hinsicht ausgerichtet.

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6 Handlungsalternativen für politische Entscheidungsträger in der Ukraine

6.1 Konsequenzen der Fortführung der aktuellen Politik Bei Fortführung der gegenwärtigen Politik ist auch weiterhin von einer starken und vielleicht sogar wachsenden Kontrolle des Sektors durch die lokalen Behörden auszugehen. So wird der derzeitige Trend den Niedergang des Sektors fortsetzen, wobei sich einige vermutlich noch verstärken werden:

• Die Verkäufe an die Molkereien werden weiter abnehmen, da die KLB weiter Färsen verlieren und zunehmend Milch für andere Zwecke nutzen werden. In den offiziellen Statistiken wird das als weiterer Rückgang der Milchleistung interpretiert werden. Die Milchproduktion wird eine zunehmend unbedeutendere Aktivität auf den KLB werden, und in vielen Fällen vollkommen verschwinden. Der Verkauf von Kühen gegen Produktionsmittel bzw. als Gehaltszahlung wird diesen Prozeß noch beschleunigen. Hierdurch wird zunehmend mehr Milch im privaten Sektor erzeugt, die aber den Molkereien nicht zur Verfügung steht. Ohne die Einführung marktwirtschaftlicher Reformen können die Milchlieferungen der KLB an die Molkereien vielleicht noch max. 3 Jahre aufrechterhalten werden.

• Der fortschreitende Rückgang der Milchlieferungen wird die Kapazitätsauslastung der Verarbeitungsbetriebe weiter sinken lassen. Für die in dieser Studie analysierte Molkerei (Abschnitt 4) bedeutet eine Kapazitätsauslastung von 31% den minimalen Auslas-tungsgrad, bei dem überhaupt noch ein Gewinn erzielt werden kann.

• Die Verbraucherpreise werden durch die geringe Kapazitätsauslastung der Molkereien steigen müssen. Jedweder Versuch, diesem Prozeß mit einer Regulierung der Verbraucherpreise entgegenzutreten, wird die Abwanderung der Milchproduktion in den informellen Sektor aufgrund der dann niedrigeren Erzeugerpreise noch beschleunigen.

Folglich ist die Annahme illusorisch, daß eine Konservierung des Status Quo einen gangbaren Weg darstellt. Die aktuelle Lage in der ukrainischen Milchindustrie ist so nicht aufrechtzuerhalten, und die Fortführung der aktuellen Politik ist auf keinen Fall eine praktikable Option.

6.2 Eine alternative Politik

Im folgenden werden verschiedene Elemente einer Politik aufgelistet, die die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Milchsektors aus der derzeit chaotischen Lage ermöglichen würde. Diese Elemente sind Bestandteile eines marktwirtschaftlichen Reformprogramms, das nicht nur von Nutzen für den Milchsektor, sondern für die gesamte ukrainische Landwirtschaft wäre.

6.2.1 Festigung des privaten Eigentums

Den Leitern der landwirtschaftlichen und der Verarbeitungsbetriebe muß die vollständige Leitungskontrolle über ihre Unternehmen anvertraut werden. Das beinhaltet:

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• Den örtlichen Behörden muß es untersagt werden, die vertraglichen Bedingungen für Milchlieferungen vorzuschreiben oder sonstwie zu beeinflussen,

• Den örtlichen Behörden muß untersagt werden, in die Managemententscheidungen über Herdengröße und Absatzkanäle einzugreifen, und

• Die Mobilisierung des Unternehmenskapitals (einschließlich des Bodens) als Kreditsicherheit muß zugelassen und unterstützt werden.

Es gibt viele Möglichkeiten, Milchviehhaltern die Nutzung von Boden und Technik zu ermöglichen, und im Gegenzug den Eigentümern dieses Bodens und dieser Technik an dem Ertrag aus der Milchviehhaltung partizipieren zu lassen. Der Ansatz des ‘Anteils-Melkens’, wie er in Neuseeland und Kanada angewandt wird, bzw. des ‘Vertragsmelken’ in den USA sind Beispiele für mögliche Lösungen auf betrieblicher Ebene.13

6.2.2 Die Klärung der Rolle des Staates im Milchsektor

In einer Marktwirtschaft hat sich der Staat aus den kommerziellen Aktivitäten fernzuhalten und sollte sich lediglich auf solche Aufgaben konzentrieren, die von Einzelnen nicht erfüllt werden können. So liegt z.B. der Schutz der Bedürftigen in der Verantwortlichkeit des Staates. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist die Einführung von Preisobergrenzen jedoch ungeeignet. Einkommenstransfers, die sich gezielt an die ärmsten Mitglieder der Gesellschaft richten, sind sehr viel effizienter. Die Regierung sollte sich klar dazu bekennen, daß nicht eine einzelne Branche, und so eben auch nicht die Lebensmittelindustrie, die Kosten für die Unterstützung der Ärmsten übernehmen sollte. Notwendige Einkommenstransfers sollten aus Steuereinnahmen aller Sektoren der Volkswirtschaft finanziert werden, um die Last gleichmäßig zu verteilen.

6.2.3 Einführung und Verwendung von kommerziellen Verträgen

Eine besonders wichtige Aufgabe des Staates, nicht nur in der Milchindustrie, besteht darin, Vertrauen in kommerzielle Transaktionen zu schaffen. Die Etablierung von durchsetzbaren Verträgen ist dabei der hierfür einzig gangbare Weg. Vor allem sollten Verträge nur von den Personen auszuhandeln und zu unterzeichnen sein, die Eigentümer der betreffenden Güter sind. Dieses schließt in fast allen relevanten Fällen die örtlichen Verwaltungen aus. Verträge müssen außerdem durch eine Reihe juristischer Handhabungen unterstützt werden, die es einem Kläger im Falle eines Vertragsbruchs erlauben, schnell und kostengünstig entschädigt zu werden.

13 Das ‘Anteils-Melken’ beinhaltet für gewöhnlich einen Vertrag zwischen

Landeigentümern und dem Eigentümer der Kühe, wobei die Einnahmen, die Kosten und die Gewinne der Milcherzeugung geteilt werden. ‘Vertragsmelken’ beinhaltet einen Vertrag zwischen einem Landeigentümer, einem Eigentümer von Kühen und einer Arbeitskraft, wobei alle drei Parteien sich die Einnahmen, die Kosten und die Gewinne der Milcherzeugung nach einem bestimmten Schlüssel teilen.

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6.2.4 Formalisierung und Abschaffung von Preiskontrollen und Beschränkungen des regionalen Handels

Die Preiskontrollen der örtlichen Verwaltungen sollten entweder unmittelbar abgeschafft oder zumindest formalisiert und nach einem bestimmten Zeitplan abgebaut werden. Auch Einschränkungen des regionalen Handels, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehren und der Vorstellung eines gemeinsamen Marktes für Agrargüter in der Ukraine widersprechen, sollten beseitigt werden. Örtliche Behörden, die den interregionalen Handel in der Ukraine behindern, übertreten ihre Kompetenzen. Es ist also dringend angeraten, dieses Verhalten disziplinarisch zu ahnden.

6.2.5 Rationalisierung des Steuersystems

Um eine marktwirtschaftliche Reform und eine Rationalisierung des Milchsektors zu unterstützen, müßte die Regierung ihr Steuersystem reformieren. Ein Wechsel von der erlös- bzw. arbeitsbezogenen Besteuerung hin zu einer Besteuerung des Gewinns würde die bestehenden Anreize zur Erhaltung unprofitabler Betriebe abschwächen.

6.2.6 Die Erleichterung des Einstiegs und des Ausstiegs aus der Milchindustrie

Die Rationalisierung der Milchverarbeitungsindustrie muß so schnell wie möglich beginnen. Eine weitere Verzögerung wird die ohnehin schon enormen Probleme der zwischenbetrieblichen Verschuldung, der niedrigen betrieblichen Einkommen, der zunehmenden Alterung der Verarbeitungsanlagen, und der rückläufigen Kuhbestände weiter verschärfen. Wichtig aber ist, daß der Staat nicht die Auswahl darüber trifft, welche Betriebe weiterhin produzieren sollen. Das einzige Auswahlkriterium muß die finanzielle Überlebensfähigkeit sein. Der erste Schritt eines jeden Umstrukturierungsprozesses muß sicherstellen, daß die Verarbeitungsbetriebe in einem effektiven und fairen Wettbewerb um Rohmilch konkurrieren.

Es ist anzunehmen, daß die für die Führung von marktwirtschaftlich orientierten Verarbeitungsbetrieben notwendigen Fachkräfte, gegenwärtig bei UkrMolProm oder in anderen staatlichen Institutionen angestellt sind. Diese Personen könnten eine bedeutende Rolle als Investoren oder als Berater von Investoren spielen. Daher sollten die Angestellten dieser Organisationen einzeln angesprochen und über die Möglichkeiten, die sich in einer umstrukturierten Milchbranche bieten, informiert werden.

6.2.7 Beschaffung von Informationen

Alle Akteure einer marktwirtschaftlich orientierten Milchindustrie benötigen Zugang zu Marktinformationen, vor allem über Preise und Lieferbedingungen. Obwohl alle Marktteilnehmer von diesen Informationen profitieren, ist es in der Regel für das einzelne Unternehmen zu teuer, solche Daten zu sammeln und zu analysieren. Hier ist der Staat gefragt.

Verschiedene Ansätze für die Sammlung, Analyse und Veröffentlichung von Marktinformationen wurden bereits unternommen. Solche Systeme benötigen häufig eine finanzielle Unterstützung bzw. eine Anschubförderung seitens des Staats. Wichtig ist aber auch, daß die privaten Unternehmer die verfügbaren Informationen verstehen und ihr Glauben schenken können. Die Verarbeitungsbetriebe müssen deshalb dazu ermuntert werden, ihre

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An- und Verkaufspreise zu veröffentlichen und sogar mit diesen Preisen um Rohmilchlieferungen bzw. um Absatzmärkte zu werben. Hierdurch würde ein Mehr an Wettbewerb auf den Rohmilch- und Produktmärkten initiiert werden können. Breiter gestreute Preisinformationen, die von konkurrierenden Verarbeitungsbetrieben angeboten werden, würden ebenso den Druck auf die regionalen Verwaltungen erhöhen, die bestehenden interregionalen Handelsbarrieren zu beseitigen.

7 Schlußfolgerungen Die Milchproduktion in der Ukraine wird zunehmend von Hauswirtschaften mit nur

wenigen Kühen dominiert. Die hier produzierte Milch wird in der Regel nicht an die Verarbeitungsbetriebe weiterverkauft. Die Geschwindigkeit mit der die KLB ihren Marktanteil verlieren wird, besonders bei Aufrechterhaltung der aktuellen Politik, wahrscheinlich zunehmen. Tatsächlich haben diese Betriebe ihren Tierbestand bereits zu einem viel höheren Grad abgebaut als es die offiziellen Zahlen belegen. Dieser Trend führt zu einer immensen und weiter anwachsenden Überkapazität in der ukrainischen Milchverarbeitungsindustrie. Alle Versuche, diesem Prozeß mit einer Regulierung der Verbraucherpreise entgegenzutreten, werden bewirken, daß die Erzeugerpreise niedrig bleiben, wodurch eine weitere Abwanderung der Milchproduktion und des Tierbestands in den informellen Sektor begünstigt wird.

Die Verarbeitungsbetriebe werden in vielen Gegenden trotz finanzieller Verluste durch häufig illegale regionale Transportbehinderungen am Leben gehalten. Besonders kommunale Verwaltungen sind an der Errichtung dieser Handelsbeschränkungen beteiligt, um ihre Steuereinnahmen zu sichern. Der größte Schaden ist allerdings darin zu sehen, daß bisher nicht eine einzige Molkerei stillgelegt wurde und ein teures Kontroll- und Produktionsrationierungssystem jede Umstrukturierung verhindert hat.

Trotz formaler Privatisierung nehmen die landwirtschaftlichen Abteilungen der kommunalen Verwaltungen weiterhin Einfluß auf Schlüsselentscheidungen sowohl in den landwirtschaftlichen Betrieben als auch in den Verarbeitungsunternehmen. So werden die KLB wie unter planwirtschaftlichen Bedingungen gezwungen, ihre Milch an bestimmte, von der Verwaltung vorgegebene Verarbeitungsbetriebe zu liefern.

Private Milchbauern konnten sich aufgrund mangelnder finanzieller Attraktivität der Milchproduktion nicht entwickeln. Die Hauswirtschaften vermarkten ihre Milch nicht an die Verarbeitungsbetriebe, da die Preise hier vergleichsweise niedrig sind und Zahlungen spät erfolgen. Die Molkereien können ihre Milchrechnung nur mittels Bankkonten begleichen, die allerdings dem direkten Zugriff der Steuerbehörden unterliegen. Lieferverträge haben nicht die Funktion von Zahlungsgarantien, sonder werden als ein Instrument der staatlichen Kontrolle benutzt, das von privaten Marktteilnehmern möglichst vermieden wird.

Folglich ist die aktuelle Situation in der ukrainischen Milchindustrie nicht stabil und die Fortführung der eingeschlagenen Politik keine nachhaltige Option. Aus diesem Grund sind verschiedene marktwirtschaftliche Reformen zu ergreifen, die eine Entwicklung in Richtung wettbewerbsfähiger Milchproduktion und -verarbeitung in der Ukraine einleiten würden. Die Umstrukturierung, die durch diese Reformen ausgelöst wird, wird für einige Menschen schmerzvoll sein, insbesondere für die kommunalen Behörden und die Arbeiter in

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vielen Verarbeitungsbetrieben. Aber die Politik der letzten Jahre hat auch viele Schmerzen verursacht und keine Perspektiven eröffnet. Und schließlich wird der komplette Zusammenbruch, auf den die gesamte Industrie im Augenblick zusteuert, noch schmerzhafter für noch mehr Menschen in der Ukraine sein.

8 Literatur CPER (1998a): Agroindustrial taxes: case studies and analyses. Kiew.

CPER (1998b): The zero-rate VAT on meat and milk. Kiew.

INSTITUT FÜR AGRARREFORMEN (1998): Informationssammlung: Der Milchsektor der Ukraine. Kiew.

SAVELLO, P. (1997): Dairy processing: the leading factor in the health of the dairy industry. In: Ukraine - Reform in Agriculture. ‘Agricultural Land Share Project’, Kiew.

SILSKI VISTI (1999): Meldung über die Milchvermarktung. 16. März 1999

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (jährlich): Agriculture in Ukraine, Statistical Yearbook. Kiew.

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1391

9 Der Markt für Ölsaaten in der Ukraine: Erfolgsgeschichte oder Geschichte?1

Stephan von Cramon-Taubadel und Ludwig Striewe, Deutsche Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung, Institut für Agrarökonomie, Göttingen.

1 Einleitung Die Ukraine zählt zu den traditionellen Anbaugebieten von Ölsaaten der Welt.

Ölsaaten - allen voran die Sonnenblume - zählen neben Getreide und Zuckerrüben zu den Stützpfeilern des ukrainischen Ackerbaus. Ein Blick auf die Entwicklung der Produktionsmengen seit 1990 macht sogar deutlich, daß der Anbau von Ölsaaten im Verhältnis zum Getreide und den Zuckerrüben eine Art Erfolgsgeschichte darstellt (Abbildung 9-1). Während die Getreide- und Zuckerrübenproduktion in der Ukraine von 1990 bis 1998 um 48 bzw. 63% fielen, ging die Sonnenblumenproduktion ‚nur‘ um 17% zurück. Insbesondere die Rapserzeugung hat – wenn auch auf niedrigem Niveau - in den letzten Jahren im Vergleich zu den anderen Ackerkulturen stark zugenommen.

Abbildung 9-1: Die Produktionsentwicklung bei unterschiedlichen Ackerfrüchten in der Ukraine zwischen 1990 und 1998 (Indexzahlen, 1990=100*)

10

20

30

40

50

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70

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1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Jahr

Prod

uktio

n (1

990=

100)

Sonnenblumen

Zucker

Getreide

Raps

Hinweis: * 1991=100 für Raps. Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge).

1 Der Abschnitt 2 dieses Kapitels beruht auf einer Kurzzeitexpertise von GAUE (1998), Abschnitt 3

auf einer Kurzzeitexpertise von ISTA-MIELKE GmbH (1998), die beide im Auftrag der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung durchgeführt wurden.

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Hieran zeigt sich, daß die Produktion von Ölsaaten nicht so stark unter den negativen Einflüssen gelitten hat, die zu einem Zusammenbruch der Produktion von Getreide und insbesondere Zuckerrüben geführt haben.2 Die Landwirte der Ukraine haben sich offenbar dazu entschieden, knappe Ressourcen bevorzugt in die Ölsaatenproduktion zu lenken.

Im folgenden sollen die Gründe für die relativ günstige Entwicklung des Ölsaatenanbaus in der Ukraine untersucht werden. Warum ist die Produktion von Sonnenblumen verhältnismäßig stabil geblieben, und warum befindet sich der Rapsanbau im Aufwind? Diese Fragen interessieren aus zwei wichtigen Gründen. Zum einen ist denkbar, daß die Bedingungen, die zu der relativ günstigen Entwicklung der Ölsaatenproduktion geführt haben, auch für andere Ackerfrüchte, vielleicht sogar für die Agrarproduktion insgesamt hergestellt werden könnten. Zum anderen wird in der Ukraine seit ca. 2 Jahren - und in den letzten Monaten verstärkt - über die Besteuerung des Ölsaatenexports nachgedacht.3 Dies deutet darauf hin, daß die agrarpolitischen Entscheidungsträger in der Ukraine einen Handlungsbedarf sehen und mit der Entwicklung auf den Ölsaatenmärkten nicht zufrieden sind. Vor dem Hintergrund der in Abbildung 9-1 dargestellten relativ günstigen Entwicklung des Ölsaatenanbaus würde man aber zunächst erwarten, daß bei Ölsaaten vergleichsweise wenig agrarpolitischer Handlungsbedarf besteht. Ein bekanntes englisches Sprichwort lautet: ‚Was nicht kaputt ist, brauchst Du auch nicht zu reparieren‘. Es ist also zu untersuchen, ob die geplante Exportsteuer für Ölsaaten eventuell einen Versuch darstellt, etwas zu reparieren, was eigentlich gut funktioniert.

Dazu wird zunächst eine Bestandsaufnahme der Entwicklung und Wirtschaftlichkeit der Produktion und Verarbeitung von Ölsaaten in der Ukraine vorgenommen. Hieran schließt ein Überblick über die Weltmärkte für Ölsaaten sowie für pflanzliche Öle und Ölkuchen an. Vor diesem Hintergrund werden die Pläne, eine Exportsteuer für Ölsaaten in der Ukraine einzuführen, eingehend analysiert und Zukunftsperspektiven für die Entwicklung der ukrainischen Ölsaatenmärkte diskutiert.4

2 Die Produktion und Verarbeitung von Ölsaaten in der Ukraine

2.1 Zur Bedeutung des Ölsaatenanbaus

Die durchschnittliche mit Sonnenblumen bebaute Fläche war in den 70er und 80er Jahren bis 1993 mit 1,6 Mio. ha/Jahr relativ konstant. Danach wurde der Anbau aber kontinuierlich ausgedehnt bis auf ca. 2,8 Mio. ha im Jahre 1999 (Abbildung 9-2). Der Anteil der Sonnenblumen an der Gesamtackerfläche liegt damit bei 5-6%, wobei über 40% mit Getreide bebaut werden. Bemerkenswert ist allerdings der Rückgang der Erträge von 16,5 auf

2 Siehe hierzu Kapitel 6: Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender

Handlungsbedarf, und Kapitel 7: Der Markt für Zucker in der Ukraine: Gestern, Heute und Morgen.

3 Das Parlament hat am 7. Juli 1999 in letzter Lesung das Gesetz zur Einführung einer Exportsteuer auf Ölsaaten von 30% erlassen, daß bisher allerdings (Stand: 18. Juli 1999) vom Präsidenten noch nicht unterzeichnet wurde.

4 Hintergrundpapiere von GAUE (1998) und MIELKE (1998) dienten als Grundlagen und wichtige Informationsquellen bei der Vorbereitung vor allem der Abschnitte 2 bzw. 3 dieses Kapitels.

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1411

10 dt/ha (Abbildung 9-2), oder, anders dargestellt, von 17,3 dt/ha im Durchschnitt der Jahre 1986 bis 1990 auf nur 12,1 dt/ha im Durchschnitt Jahre 1993 bis 1997. Im gleichen Zeitraum sind die Durchschnittserträge in den USA und Argentinien von 14,5 auf 17,1 dt/ha gestiegen.

Flächenausweitung und Ertragsrückgang haben sich bei Sonnenblumen in der Ukraine somit gegenseitig mehr oder minder ausgeglichen, so daß die Produktion insgesamt, wie oben bereits erläutert, relativ konstant geblieben ist. Der Anteil der Ukraine an der Gesamtproduktion von Sonnenblumen in der ehemaligen Sowjetunion und auch in den heutigen GUS - Staaten beträgt ca. 42%.

Raps spielt heute in der Ukraine eine im Vergleich zur Sonnenblume geringe Rolle. Nachdem von 1990, als 89.000 ha angebaut wurden, bis 1994 sogar eine Abnahme der Fläche bis auf ca. 20.000 ha verzeichnet wurde, wuchs die Bedeutung in den darauffolgenden Jahren wieder an (Abbildung 9-3). Auswinterungen von Winterraps in den Jahren 1994 und 1996 führten zu einem Rückgang der Anbaufläche bis auf 12.200 ha. Demgegenüber erhöhte sich die mit Sommerraps bebaute Fläche von 5.500 ha im Jahre 1993 auf 14.700 ha im Jahre 1995. 1998 wurden insgesamt ca. 89.000 ha Raps angebaut, davon ca. 30.000 ha Sommerraps, und 1999 ist die Anbaufläche gar auf 277.000 ha gestiegen (54.000 ha Winterraps und 223.000 ha Sommerraps). Da die Rapserträge seit 1990 im Trend nur leicht gefallen sind (Abbildung 9-3), ist die in der Einleitung dargestellte Entwicklung der Produktion in erster Linie durch Änderungen der Anbauflächen bestimmt worden. Die Erträge bei Winterraps erreichen gegenwärtig im Durchschnitt 12,0–15,0 dt/ha und liegen damit im Bereich der durchschnittlichen Welterträge. In Spitzenbetrieben werden wesentliche höhere Erträge realisiert, die dann dem europäisches Ertragsniveau von 26–40 dt/ha entsprechen. Die Sommerrapserträge liegen im betrachteten Zeitabschnitt von 1990-1998 um 4 dt/ha niedriger als die des Winterrapses.

Abbildung 9-2: Anbaufläche und Ertrag von Sonnenblumen in der Ukraine, 1990-98

1500

1750

2000

2250

2500

2750

3000

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Jahr

Anb

auflд

che

('000

ha)

9

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18Er

trag

(dt/h

a)

Anbauflдche Ertrag

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Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge); UKRAGROCONSULT (1999b).

In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts zählte Raps zu den wichtigsten Ölpflanzen in der Ukraine. Während die Bedeutung des Rapses in der Ukraine abgenommen hat, ist sie im Laufe der 60er bis 80er Jahre weltweit und besonders in der EU stark gestiegen. Die steigende internationale Bedeutung des Rapses ist vor allem auf züchterische Entwicklungen zurückzuführen. So ist es gelungen, sog. 00-Rapsorten zu züchten, die einen sehr geringen Anteil an bestimmten Säuren aufweisen. Durch diese züchterischen Fortschritte ist das Rapsöl nun auch für die menschliche Ernährung gut geeignet und aus ernährunsphysiologischer Sicht sogar dem Sonnenblumenöl und auch dem Olivenöl vorzuziehen. Der Rapskuchen kann überdies verstärkt in der Veredlungswirtschaft als Tierfutter eingesetzt werden.

Abbildung 9-3: Anbaufläche und Ertrag von Raps in der Ukraine, 1990-98

0

50

100

150

200

250

300

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Jahr

Anb

auflд

che

('000

ha)

6

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9

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Ertra

g (d

t/ha)

Anbauflдche

Ertrag

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge), GAUE

(1998); UKRAGROCONSULT (1999b).

2.2 Agroklimatische Bedingungen, technische Voraussetzungen und Betriebsmitteleinsatz zum Anbau von Ölsaaten

Die Ukraine verfügt über günstige natürliche Bedingungen zur Produktion von Sonnenblumen. Diese wird mit einem Temperaturanspruch von über 1.800°C und einem Niederschlagsbedarf von mindestens 280 mm zu über 75% in der Steppenzone angebaut

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(Tabelle 9-1).5 Die Hauptanbaugebiete lagen 1998 in den Gebieten Saporishshja (211.400 ha), Dnipropetrowsk (210.100 ha) und Donezk (180.300 ha).6 Die Waldsteppe ist die zweite bedeutende Anbauregion von Sonnenblumen. In dieser Region befinden sich knapp 25% der Sonnenblumenanbaufläche der Ukraine mit Schwerpunkt im Gebiet Charkiw (178.500 ha).

Tabelle 9-1: Der Anbau von Sonnenblumen nach Agrarzonen in %

Region 1994 1995 1996 1997 1998*

Steppe 79,2 78,8 77,4 75,3 77,4

Waldsteppe 20,6 21,0 22,2 24,3 22,1

Waldzone - - 0,04 0,01 0,5 Hinweis: * Voraussichtlich. Quelle: GAUE (1998).

Entscheidend für den Anbau von Winterraps ist das Temperaturregime vor und nach Beendigung der Vegetationsruhe, in dem Raps schon bei mäßigen Minusgraden Schaden nehmen kann. In der Vegetationsruhe kann der Raps Temperaturen bis zu minus 20°C tolerieren, unter einer geschlossenen Schneedecke auch bis zu minus 30°C. Für ein befriedigendes Ertragsniveau erfordert der Winterraps Jahresniederschläge von 500–800 mm. Hohe Luftfeuchtigkeit kann Perioden mit geringen Niederschlägen überbrücken. Zum Rapsanbau eignen sich die in der Ukraine vorhandenen Bodentypen sehr gut. Besonders geeignet sind Lehmböden und die Schwarzerdeböden mit ihrem ausgezeichneten Wasser- und Nährstoffspeichervermögen. Die Winterrapsanbaugebiete befinden sich vorrangig in der Waldzone in den Oblasten Wolynska, Lwiw, Riwne und Shytomyr, in der Waldsteppenzone in den Gebieten Ternopil, Chmelnyzky und Winnyzja sowie im Gebiet Iwano-Frankiwsk. In der Steppe wird Winterraps traditionell auf der Krim aber auch in den Oblasten Cherson und Saporishshja angebaut.

Die notwendige Agrartechnik zum Anbau und zur Ernte von Sonnenblumen ist in den landwirtschaftlichen Betrieben der Ukraine vorhanden. Allerdings verhindert der Zustand dieser Technik zunehmend ein Arbeiten nach modernen agro-technischen Maßstäben. Bei Raps stellt vor allem die geringe Ausstattung mit moderner Feinsaat- und Erntetechnik ein Hindernis dar. Pro ha müssen nur 3-6 kg Raps ausgesät werden; mit in der Ukraine vorhandener Technik wird zu viel und/oder sehr ungleichmäßig gesät. Die Verluste bei der Rapsernte mit einheimischen Mähdreschern betragen etwa 5 dt/ha. Dies entspricht einem (Welt-) Marktwert von ca. 90 USD, was wiederum fast den gesamten Druschkosten entspricht, inkl. Diesel und Arbeitslohn. Folglich müßte sich die Investition in ein modernes Rapsschneidewerk für einen Betrieb mit über 100 ha Raps innerhalb eines Jahres bezahlt machen. Da die Mehrheit der Agrarbetriebe nicht in der Lage ist, selbst die lohnendste Investitionen zu tätigen, wird die Aussaat und die Ernte, wenn möglich, durch kommerzielle landwirtschaftliche Lohnunternehmer mit westlicher Landtechnik realisiert. 5 Es handelt sich hierbei um die Temperatur- und Niederschlagsansprüche während der

Vegetationszeit. Wie bei allen Pflanzen ist nicht nur die Summe, sondern auch die Verteilung von Bedeutung.

6 Zur Orientierung siehe auch das Kartenmaterial in Anhang 2.

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Seit der Unabhängigkeit ist es zu enormen Einschränkungen des Betriebsmitteleinsatzes, insbesondere von Pflanzenschutzmitteln, Saatgut und Düngemitteln gekommen.7 Die Verringerung der Mineraldüngung zu Sonnenblumen im Zeitabschnitt von 1990–1996 um 110 kg/ha ist besonders gravierend, obwohl auch bei allen anderen Kulturarten zu beobachten (Tabelle 9-2). Zur Mineraldüngung bei Raps sind keine Angaben verfügbar. Eigenen Befragungen zufolge liegt der Stickstoffeinsatz bei 30 kg/ha Reinnährstoff und damit deutlich unter dem westeuropäischen Niveau von 200 kg/ha. Neben dem niedrigen Niveau ist besonders die Form der Applikation ein Manko, da in fast allen Agrarbetrieben in der Arbeitsfolge die Düngung der Rapsflächen erst nach der Düngung der Getreideflächen und damit zu spät erfolgt.

Tabelle 9-2: Entwicklung der Mineraldüngung von 1975–1996 bei wichtigen landwirtschaftlichen Kulturarten in der Ukraine, in kg Reinnährstoff/ha

Kulturart 1975 1980 1985 1990 1993 1996

Sonnenblume 64 72 104 117 38 7

Weizen 92 96 141 149 99 33

Körnermais 170 196 182 250 107 37

Kartoffeln 232 234 258 236 179 67

Zuckerrüben 443 462 488 424 282 112

Futtergräser - 44 61 69 30 5

Quelle: GAUE (1998).

Sowohl Sonnenblumen als auch Raps üben durch ihre tiefe Durchwurzelung und ihre starke Beschattung einen positiven Einfluß auf die Bodenstruktur aus. Unterschiedlich zu bewerten ist aber der sog. Vorfruchteffekt der beiden Kulturen, d.h. inwieweit die auf einer Fläche nachfolgenden Kultur (z.B. Weizen) von der Wirkung des Rapses bzw. der Sonnenblume auf die Bodenstruktur und den Nährstoffgehalt sowie Schädlinge positiv oder negativ beeinflußt wird. Die intensive Durchwurzelung der Sonnenblume ermöglicht der Pflanze einen sehr guten Stickstoff- und Wasseraufschluß, der aber zu einer Minimierung der Bodenwasser- und Bodenstickstoffvorräte führt. Findet bei der nachfolgenden Kultur keine Düngung statt, sind Ertragsdepressionen von bis zu 30% möglich. Raps ist demgegenüber eine optimale Vorfrucht für Weizen; Mehrerträge nach Raps von 15–30 % sind unter ukrainischen Bedingungen realistisch. Bei einem durchschnittlichen Getreideertrag in der

7 Diese Einschränkungen werden oft der geringen Liquidität der ukrainischen Agrarbetriebe

zugeschrieben. Die geringe Liquidität ist aber nur ein Symptom und nicht die eigentliche Krankheit der ukrainischen Landwirtschaft. Würde lediglich ein Liquiditätsengpaß vorliegen, so könnte eine einfache einmalige Finanzspritze (z.B. durch ein Bankdarlehen) alle Probleme lösen. Viele Politiker in der Ukraine versprechen einen solchen Finanzspritze und verkennen dabei, daß aufgrund der agrarpolitisch verursachten mangelnden Rentabilität der ukrainischen Landwirtschaft ein solcher Zuschuß nur kurzfristig einige Symptome überdecken würde. Vgl. hierzu z.B. die Einleitung zu Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors.

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Ukraine von 35 dt/ha, entspricht das einem Mehrertrag von 5–10 dt/ha bzw. einem zusätzlichen Erlös von 30 bis 60 USD/ha, wenn von einem Getreidepreis von 60 USD/t ausgegangen wird.

2.3 Wirtschaftlichkeit

Die oben skizzierte Ausdehnung des Sonnenblumen- und des Rapsanbaus in der Ukraine seit 1993 hat in erster Linie ökonomische Gründe. Ein Hauptgrund ist die vergleichsweise hohe Rentabilität des Ölsaatenanbaus, die vor allem auf die sehr niedrige Rentabilität anderer Kulturarten zurückzuführen ist. So ist z.B. die Rentabilität des Getreideanbaus vor allem aufgrund agrar- und wirtschaftspolitischer Versäumnisse stark zurückgegangen.8 Denn:

• Die Versorgung der Betriebe mit essentiellen Vorleistungsgütern ist aufgrund der staatlichen Eingriffe der vergangenen Jahre (Stichwort regionale Exportverbote, Zahlungsrückstände der agrochemischen Industrie) nahezu zusammengebrochen, und

• Die Vermarktung dieses von der Politik als ‚strategisch‘ eingestuften Produkts wird durch das Festhalten an staatlichen und halb-staatlichen Monopolstrukturen z.B. in der Lagerung und im Transport erheblich verteuert, mit der Folge, daß die Ab-Hof-Preise für Getreide auf einem künstlich niedrigen Niveau gehalten werden.

Etwas anders ist die Situation bei der in der Vergangenheit wettbewerbsstarken Kulturart Zuckerrübe. Hier deutet vieles darauf hin, daß nicht nur staatliche Eingriffe, sondern auch die fehlende internationale Wettbewerbsfähigkeit zu einer sinkenden Rentabilität geführt haben.9

Demgegenüber sind in der Ukraine produzierte Ölsaaten international sehr wettbewerbsfähig und Probleme bei der Vermarktung gab es – zumindest bisher – wenige (siehe Abschnitt 3 in diesem Kapitel). Landwirtschaftliche Betriebe in der Ukraine waren bisher nicht nur in der Lage, einen Teil ihrer Sonnenblumenernte als Pfand für die Lieferung von dringend benötigten Inputs, wie z.B. Brennstoffen und Düngemitteln einzusetzen, sondern auch die versprochenen Sonnenblumenkerne (SBK) tatsächlich an private Vorleistungslieferanten (die im Vergleich zu den staatlichen Strukturen die benötigten Inputs auch wirklich liefern können) zu zahlen. Ferner konnten die Vorleistungsanbieter anders als bei Getreide – zumindest bisher – davon ausgehen, daß sie die SBK, die sie von den landwirtschaftlichen Betrieben erhalten haben, auch exportieren können. Auch bei Getreide versuchen die Betriebe ihre Ernte zu verpfänden. Die Vorleistungsanbieter wissen aber aus der bitteren Erfahrung, daß der Staat die Ernte über direkte oder indirekte Wege beschlagnahmt und ziehen sich deshalb aus diesem Geschäft zurück. Insgesamt war der Sonnenblumenanbau in den letzten Jahren für die landwirtschaftlichen Betriebe im Vergleich zu den Alternativen sehr rentabel.

Entscheidend ist darüber hinaus aber auch, daß Sonnenblumen in der Ukraine mit einem relativ geringem Dünge- und Pflanzenschutzmittelaufwand produziert werden können.

8 Siehe Kapitel 6: Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender

Handlungsbedarf. 9 Siehe Kapitel 7: Der Markt für Zucker in der Ukraine: Gestern, Heute und Morgen.

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Somit beschränkt sich der Einsatz von Vorleistungen weitestgehend auf den Zukauf von Saatgut. Die Produktion von Sonnenblumen erlaubt diese Produktionsweise, andere Kulturarten wie Zuckerrüben und Weizen erfordern wesentlich höhere Aufwendungen an produktionssteigernden Vorleistungen. Ferner ordnet sich Raps gut in den Arbeitsablauf der Betriebe ein und trägt durch die frühe Aussaat und Ernte zur Glättung von Arbeitsspitzen bei. Vorhandene teure Technik wird durch den Anbau von Raps effizienter genutzt. Hervorzuheben ist auch der oben bereits erwähnte Vorfruchteffekt des Rapses. Winterrapserträge von 25 dt/ha und mehr sind in der Ukraine durchaus realistisch. Einen Überblick über Kosten und mögliches Ertragspotential beim Einsatz westlicher Technik ist aus der Tabelle 9-3 ersichtlich. Deutlich wird, daß der Einsatz westlicher Technik sich nur bei hohen Erträgen rentiert. Bei einem Ertrag von 25 dt/ha übersteigt der Deckungsbeitrag im Winterrapsanbau den in der Ukraine üblichen Deckungsbeitrag im Weizenanbau deutlich. Läßt sich der produzierte Weizen nur als Futterweizen vermarkten, erhöht sich die relative Vorzüglichkeit des Rapsanbaus um ein Vielfaches. Ein Vergleich zwischen Sonnenblumen und Weizen führt zu ähnlichen Ergebnissen, wobei bei der Sonnenblume der positive Vorfruchtwert entfällt und Restriktionen im Zusammenhang mit der Fruchtfolge auch ertragsmindernd wirken (Sonnenblumen sollten nur alle 7-8 Jahre auf der gleichen Fläche angebaut werden). Insgesamt ist daher vorstellbar, daß unter marktwirtschaftlichen Bedingungen und ohne staatliche Eingriffe der Rapsanbau im Vergleich zum Sonnenblumenanbau zunehmen würde.

Tabelle 9-3: Betriebswirtschaftlicher Vergleich von Sommer- und Winterraps in der Ukraine unter Einsatz westeuropäischer Produktionstechnik und Produktionsmittel

Winterraps Sommerraps

Ertrag dt/ha 35 25

Variable Spezialkosten, davon 315 284 Saatgut 20 20 Mineraldünger 42 21 Pflanzenschutz 56 46 Maschinenkosten 197 197

Ertrag (170 USD/t) 595 425

Ertrag – Kosten (USD/ha) 280 141

Quelle: GAUE (1998).

2.4 Verarbeitung

In der Ukraine existieren 16 größere Verarbeitungsanlagen für SBK. In diesen Anlagen findet ca. 80% der ukrainischen Produktion von pflanzlichen Ölen statt. Weitere 20% werden in ca. 230 kleineren Anlagen hergestellt. Die Verarbeitung von SBK findet zu ca. 80% auf sogenannter ‚give and take‘ Basis statt. Im Rahmen der ‚give and take‘ Vereinbarungen behält die Ölmühle 20% des produzierten Öls als Entgelt für die Verarbeitung (der sogenannte Schlaglohn). Die Ölmühlen kaufen weitere 16% der verarbeiteten SBK gegen Bargeld. Die restlichen 4% werden über Barterverträge (z.B. gegen Brennstoffe oder Düngemittel) gesichert.

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1471

Informationen über die größten Ölmühlen sind in Tabelle 9-4 dargestellt. Insgesamt verarbeiten diese Mühlen nur ca. ein Drittel der gesamten Sonnenblumenproduktion der Ukraine unter einer sehr geringen Kapazitätsauslastung. Ersteres ist darauf zurückzuführen, daß ein Großteil der ukrainischen SBK-Produktion exportiert wird, und letzteres führt zu gesteigerten Produktionskosten für das verarbeitete Öl. Eine erhöhte Kapazitätsauslastung könnte durch die Verarbeitung von importiertem Rohöl ermöglicht werden, wurde aber bisher mit wenigen Ausnahmen durch hohe Importzölle verhindert. Die leichte Erholung der Produktionsmengen 1998 geht z.B. im wesentlichen darauf zurück, daß ein Präsidialdekret im Mai 1998 den zollfreien Import von 135.000 t Rohöl ermöglichte.

Nur 8 der 16 Ölmühlen der Ukraine sind in der Lage raffiniertes Speiseöl zu produzieren.10 Unraffiniertes Öl ist weniger lange haltbar und aufgrund verschiedener sensorischer Unterschiede (Geschmack, Klarheit, Geruch) nur mit Preisabschlägen zu verkaufen. In den meisten Ölmühlen fehlt es auch an entsprechenden Abfüllanlagen, so daß ca. 70% des Öls in großen Kanistern statt in Glas- oder Plastikflaschen vermarktet wird. Die Ausrüstung der Ölmühlen ist i.d.R. französischer oder ostdeutscher Provenienz (der Firmen Olier bzw. SKET), oft 30 Jahre und mehr alt. Die Ölgewinnung findet auf der Basis des Lösungsmittels nifra statt und nicht wie im Westen üblich n-hexan. Dies hat höhere Energiekosten sowie höhere Lösungsmittelverluste (5,5 kg/t SBK im Vergleich zu 2,8 kg/t) zufolge. Diese Faktoren tragen dazu bei, daß die Verarbeitungskosten in der Ukraine mit zwischen 29 und 60 USD/t SBK geschätzt werden. Im Westen liegen diese Kosten üblicherweise bei ca. 27 USD/t (TACIS 1996). Insgesamt produzieren die Ölmühlen der Ukraine mit wenigen Ausnahmen im internationalen Vergleich ein minderwertiges Produkt zu hohen Kosten.

10 Vgl. ZORIA (1998). Die Raffiniation beinhaltet die sog. Entschleimung (Entfernung von

Schleimstoffe, in erster Linie Phospholipide), die Entsäurung, die Bleichung, die Desodorisierung (Entfernung unangenehmer Geschmacks- und Geruchsstoffe) sowie im Falle von Pflanzenölen mit hohen Gehalt an Wachsen (z.B. Sonnenblumenöl) die Winterisierung (eine langsame Abkühlung bei dem sich die Wachse herauskristallisieren) (KTBL 1999).

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148

Tabelle 9-4: Die 10 größten Ölmühlen der Ukraine, Kapazität und Auslastung

Ölmühle Verarbeitung von Sonnenblumen (′000 t) Ölproduktion 1997

Kapazitätsauslastung

1995 1996 1997 1998 (′000 t) (%)

Dnipropetrowsk 209 217 141 162 64,5 25,1

Wolynska 62 61 80 84 35,9 25,3

Saporishshja 105 137 61 66 26,6 10,6

Pologiw 185 193 131 118 59,6 17,6

Odessa 104 52 60 97 25,8 11,2

Winnyzja 73 75 51 21 17,9 10,7

Poltawa 77 106 64 84 16,7 11,8

Prykolotnyans 34 52 52 68 23,0 29,8

Kirowohrad 60 78 41 49 17,0 7,5

Slavyansk 108 116 28 4 12,2 5,0

Summe 1.133 1.201 822 864 299,2* 18,1 Hinweis: * In der Ukraine wurde 1997 und 1998 insgesamt ca. 500.000 t Sonnenblumenöl

produziert. Quelle: ALFA CAPITAL UKRAINE (1998); UEPLAC (1999); eigene Berechnungen.

Die Ölmühle in Dnipropetrowsk ist zu 61% im Besitz des französischen Unternehmens Cereol und stellt die in der Ukraine bekannte Marke Oleina her. Die EBRD besitzt 7% der Aktien an dieser Mühle und stellte zunächst ein Kredit von 20 Mio. USD für Modernisierungen und den Kauf von SBK zur Verfügung. U.a. verfügt diese Ölmühle über eine moderne Abfüllanlage. Im Mai 1999 hat die EBRD der Mühle in Dnipropetrowsk einen weiteren Kredit von 43,5 Mio. USD für den Kauf von SBK und Rohöl bereitgestellt (UEPLAC 1999, S.2). Die US-Firma Cargill baut mit Hilfe eines EBRD-Kredits in Höhe von 56 Mio. USD seit August 1998 eine neue Ölmühle im Oblast Donezk. Geplant ist die Fertigstellung einer Mühle mit einer Verarbeitungskapazität von ca. 300.000 t SBK/Jahr.

Durch diesen Neubau und eine vorgesehene Ausweitung der Verarbeitungskapazität der Ölmühle in Dnipropetrowsk auf ebenfalls ca. 300.000 t SBK könnte sich das Problem der Unterauslastung vieler Betriebe verschärfen. Bereits 1994 kamen Experten zum Ergebnis, daß höchstens die Hälfte der großen Ölmühlen in der Ukraine überlebensfähig sind (GFA 1994). Heute sind es wahrscheinlich noch weniger. Dennoch, vor dem Hintergrund der sonst sehr zögerlichen Haltung von Investoren in bezug auf die ukrainische Lebensmittelindustrie ist die Bereitschaft, ausländischer Investoren in Ölmühlen zu investieren ein Indiz sowohl für die potentielle Wettbewerbsfähigkeit des ukrainischen Ölsaatensektors, als auch für die Tatsache, daß Maßnahmen der Regierung, die Investoren abschrecken, wie sie z.B. im Getreidesektor wiederholt eingeführt wurden, bisher größtenteils ausgeblieben sind.

3 Die Weltmärkte für Ölsaaten, pflanzliche Öle und Ölkuchen Nach der Diskussion der Produktionsstruktur und damit der Angebotsseite im vorigen

Abschnitt wird im folgenden die Nachfrageseite der Ölsaatenmärkte und der Handel usw.

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1491

untersucht. In diesem Zusammenhang sollen vor allem die Weltmärkte für das Exportprodukt Ölsaaten bzw. seine Verarbeitungsprodukte pflanzliche Öle und Ölkuchen betrachtet werden.

3.1 Der Handel der Ukraine mit Ölsaaten, pflanzlichen Ölen und Ölkuchen

Betrachtet man die weltweite Gesamtproduktion von Ölsaaten, dann stellt sich die Ukraine mit einem Produktionsanteil von in den letzten fünf Jahren nur knapp einem Prozent nicht unbedingt als großer Spieler dar. Der Anteil an der Weltproduktion von SBK dagegen schwankte zwischen 7 und 11%. Oben wurde bereits erläutert, daß die Produktion von Sonnenblumen in der Ukraine im Verhältnis zu den alternativen Kulturen sehr rentabel ist. Folglich liegen in der Ukraine günstige Voraussetzungen für den Export von Sonnenblumen (Kerne, Öl, bzw. Kuchen) vor.

In der Tat hat der Export von SBK aus der Ukraine in den Jahren nach der Unabhängigkeit rasch zugenommen (Tabelle 9-5). Aber auch Sonnenblumenöl (SBÖ) bzw. -schrot werden in nennenswerten Mengen exportiert. Raps spielte im Handel bisher nur eine geringe Rolle. Wie bei fast allen Außenhandelsdaten der Ukraine ist bei der Interpretation der Zahlen in Tabelle 9-5 Vorsicht geboten. Verschiedene Quellen widersprechen einander oft, und es ist nicht immer klar, ob in Wirtschafts- oder Kalenderjahren gerechnet wird. Gerade bei Produkten wie den SBK, mit denen Devisen erwirtschaftet werden, ist davon auszugehen, daß ein signifikanter Teil des Handels nicht oder nur unvollständig erfaßt wird.

Da die Produktion von SBK im Trend der letzten fünf Jahre zurückgegangen ist (Abbildung 9-1), mußte die Ausdehnung der Exporte von SBK sowie Sonnenblumenöl und -schrot zu Lasten des Inlandsverbrauchs gehen. Sowohl die inländische Verarbeitung von SBK als auch der Verbrauch von Sonnenblumenöl und -schrot ist im Betrachtungszeitraum 92/93-97/98 erheblich zurückgegangen. Die attraktiven Exportpreise, das Bestreben ausländische Devisen zu erwirtschaften und die abnehmende inländische Kaufkraft haben zu dieser Entwicklung geführt. Die Exportpreise für Ölsaaten, Öle und Ölkuchen haben sich aber in den letzten Jahren als alles andere als stabil erwiesen und befinden sich seit ca. einem Jahr auf Talfahrt. Kann es sein, daß die ‚fetten Jahre‘ des ukrainischen Ölsaatenexports zu Ende sind? Warum schwanken die Weltmarktpreise beispielsweise für SBK und SBÖ, und welche Faktoren werden die zukünftige Entwicklung dieser Preise bestimmen?

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Tabelle 9-5: Der Handel der Ukraine mit verschiedenen Ölsaaten und deren Verarbeitungsprodukte 1997 und 1998 in Tsd.

Sonnenblumenkerne Sonnenblumenöl Sonnenblumen- schrot*

Rapssaat*

Import Export Import Export Import Export Import Export

1993/94 41 400 5 219 - - - -

1994/95 30 100 1 183 - - - -

1995/96 4 660 4 269 - 269 - -

1996/97 3 1.000 8 164 - 232 - 29

1997/98 2 800 4 198 - 193 - 27 Hinweis: * Einige Daten nicht verfügbar. Quelle: APAU (1999); MIELKE (1998); UKRAGROCONSULT (1999a);

URKAGROCONSULT (1999c); eigene Berechnungen.

3.2 Die Bestimmungsgründe der Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt

Die Preise landwirtschaftlicher Produkte auf dem Weltmarkt unterliegen häufig großen Schwankungen. Diese sind zum einen auf Faktoren, die das Angebot beeinflussen - wie z.B. das Wetter, technischer Fortschritt oder die Preiserwartungen der Landwirte - zurückzuführen. Zum anderen können sie durch Veränderungen der Nachfrage – z.B. durch Änderungen des Einkommens oder der Präferenzen in einem wichtigen Importland – hervorgerufen werden. Auch Änderungen der Rahmenbedingungen – wie z.B. der Abschluß einer WTO-Runde (Welthandelsorganisation) oder Wechselkursschwankungen können zu Verschiebungen der Preise auf den Weltmärkten führen.

Bei der Fülle der verschiedenen Ölsaaten stellt sich die Frage danach, ob die Preisbildung der Ölsaaten insgesamt besonders von einigen wenigen beeinflußt wird, welche Ölsaaten also die sogenannte Preisführerschaft innehaben. Auch wenn sich dieser Einfluß nicht immer einwandfrei nachweisen läßt, ist doch zu beobachten, daß die Sojabohne Preisführer bei den Ölsaaten und Sojaschrot bei den Ölkuchen ist. Im Sektor der pflanzlichen und tierischen Öle und Fette wird diese Rolle gemeinsam von Palm-, Soja-, Raps- und Sonnenblumenöl eingenommen. In Abbildung 9-4 ist die Entwicklung der Preise für Sojaschrot sowie für die aus ukrainischer Sicht besonders bedeutenden Produkte SBK und SBÖ seit 1983 dargestellt. Zunächst ist ersichtlich, daß diese Preise, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, im allgemeinen ähnlichen Trends folgen. Daß eine solch enge Beziehung besteht, ist zu erwarten, denn wie im folgenden noch näher erläutert wird, bestehen zwischen den verschiedenen Produkten viele wechselseitige Beziehungen sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite.11

In den vergangenen Jahren ergab sich bei den Preisen für Ölsaaten eine sehr rasante Entwicklung. So notierten die Preise für SBK, SBÖ und Sojaschrot in den Jahren 1997 und 11 Preise für andere Produkte, wie z.B. Palmöl oder Rapsschrot, hätten ebenfalls in die

Abbildung 9-4 aufgenommen werden können. Da diese Preise aber eng mit den Preisen für SBÖ bzw. Sojaschrot korreliert sind, hätte dies in erster Linie zu einer Überlastung der Abbildung geführt und kaum neue Erkenntnisse geliefert.

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1998 auf einem 14-Jahre-Hoch von über 350, 850 bzw. 300 USD/t. Diese kräftigen Preissteigerungen bei SBK und SBÖ waren z.T. auf das geringe Angebot aus der EU und der in diesem Zusammenhang gesunkenen Verarbeitung zurückzuführen, z.T. aber auch auf das rückläufige Weltmarktangebot und die relativ preisunelastische Nachfrage in der EU. Seit Mitte 1998 sind sowohl die Preise für Ölsaaten wie für Verarbeitungsprodukte aber wieder gefallen, die Preise für Ölkuchen sogar schon ab Mitte 1997. Wie ist es zu diesen starken Schwankungen gekommen und welche Bedeutung haben sie für die Ukraine? Die Preise für Ölsaaten leiten sich aus den Preisen für pflanzliche Öle einerseits und Ölkuchen bzw. –schrot andererseits ab. Im folgenden werden zunächst die Märkte für Öle und Fette und anschließend die Märkte für Ölkuchen näher untersucht.

Abbildung 9-4: Weltmarktpreise für SBK (cif Niederrhein), SBÖ (fob EU) und Sojaschrot (cif Rotterdam) seit 1984 in USD/t12

0

200

400

600

800

1000

1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999Jahr

Prei

s (U

SD/t)

Sonnenblumenцl Sonnenblumenkerne Sojaschrot

Quelle: MIELKE (1998); ISTA-MIELKE (versch. Ausgaben).

3.2.1 Öle und Fette

Der Weltverbrauch für die wichtigsten 17 Öle und Fette hat sich von 63 Mio. t in der Saison 83/84 auf inzwischen ca. 100 Mio. t erhöht, d.h. um ca. 2,7 Mio. t jährlich.13 Details

12 Die Abkürzung cif steht für cost, insurance and freight, und bezeichnet den Preis, der im

Importhafen gezahlt wird und der alle Kosten inklusive der Fracht und der Versicherung bis zum Ort der Anlandung umfaßt. Die Abkürzung fob steht für free on board, und bezeichnet den Preis am Exporthafen, der die Kosten des Transports bis zum Schiff und die Kosten der Verladung umfaßt. Der fob-Preis liegt folglich um die Kosten für den Seetransport (inkl. Versicherungen) unter dem cif-Preis des gleichen Produkts.

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über die Struktur des Ölverbrauchs sind allerdings kaum erhältlich, und allgemein läßt sich lediglich konstatieren, daß der Verbauch in sogenannten ‚non food‘ Verwendungen in den letzten Jahren stärker als der für Nahrungsmittelzwecke gestiegen ist. Dies trifft besonders auf die USA und West Europa zu, wo diese Öle und Fette in der chemischen Industrie, im Mischfutter und als Biodiesel Verwendung finden. Für alle 17 Öle und Fette wird der ‚non-food‘ Anteil am Gesamtverbrauch auf ca. 20-23%, im Fall von Sonnenblumenöl auf 3-5% geschätzt.

Der Weltmarkt für Öle und Fette war in den Jahren 1997 und 1998 von einer besonderen Knappheit gekennzeichnet. Die Weltproduktion war im Vergleich zum Verbrauch nur langsam gewachsen, weshalb die Reserven in zwei aufeinanderfolgenden Jahren abgebaut wurden. Vor allem Palmöl, dessen Produktion aufgrund klimatischer Erfordernisse auf einige Länder in der Nähe des Äquators begrenzt ist (hier sind insbesondere Indonesien und Malaysia zu nennen, die heute ca. 80% der Weltproduktion erzielen), war in dieser Zeit auf den Weltmärkten äußerst knapp. In den Ländern Südostasiens hat die extreme Trockenheit von Anfang 1997 bis April 1998 (das sog. El Niño Wetterphänomen) zu außergewöhnlich großen Schäden an den Ölpalmen geführt, was zu einem Rückgang der Erträge pro Hektar, insbesondere bei den beiden größten Produktionsländern Malaysia und Indonesien geführt hat. Das Angebot an Palmöl ging im Kalenderjahr 1998 weltweit um schätzungsweise 0,5 Mio. t zurück, im Vergleich zu einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von ca. 1,1 Mio. t innerhalb der zehn Jahre zuvor. Warum diese Entwicklung von großer Bedeutung für den Weltmarkt und die Preisentwicklung war, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß in den Jahren 1987 bis 1997 allein Palmöl im Durchschnitt 34% des jährlichen Bedarfszuwachses aller Öle und Fette abdeckte. Der Angebotsrückgang 1997 und 1998 trug daher wesentlich zur Knappheit an Ölen und Fetten und damit zu den hohen Preisen bei.

3.2.2 Ölkuchen bzw. Ölschrot

Das Koppelprodukt der Ölgewinnung aus Ölsaaten ist Ölkuchen bzw. -schrot. Ölkuchen wird vornehmlich als Futtermittel eingesetzt. Mit einer geeigneten Mischung z.B. aus eiweißhaltigem Sojaschrot einerseits und energiereichem Tapioka andererseits kann Getreide in Futterrationen ersetzt werden (bei Schweinen und Geflügel fast vollständig, bei Rindern dagegen nur zum Teil). Daher besteht auf der Nachfrageseite ein enger Zusammenhang zwischen den Weltmarktpreisen für Getreide und Ölkuchen. Ist Getreide knapp und teuer sind Futtermittelhersteller bemüht, Getreide durch Alternativen wie Ölkuchen zu ersetzen. Die Folge sind steigende Preise für Ölkuchen. So übten beispielsweise die hohen Getreidepreise auf den Weltmärkten 1995-96 einen positiven Effekt auf die Preise für Ölkuchen aus.

Aber nicht nur auf der Nachfrageseite, sondern auch auf der Angebotsseite besteht ein wichtiger Zusammenhang zwischen Getreide und Ölsaaten, und zwar weil diese beiden Kulturen weltweit um den knappen Produktionsfaktor Boden konkurrieren. Eine der größten Herausforderungen für die Landwirtschaft wie auch für die Industrie, die Forschung und die

13 In diese Betrachtung eingeschlossen sind die 13 pflanzlichen Öle (Sojaöl,

Baumwollsaatöl, Erdnußöl, Sonnenblumenöl, Rapsöl, Sesamöl, Maisöl, Olivenöl, Palmöl, Palmkernöl, Kokosöl, Leinöl und Rizinusöl) und die 4 tierischen Öle und Fette (Butter, Schmalz, Talg und Fischöl).

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Politik wird in den nächsten Jahren in der Versorgungssicherung der weiter schnell wachsenden Weltbevölkerung liegen. Bis zum Jahr 2020 wird sich die Anzahl der Menschen weltweit von momentan 5,9 auf prognostizierte 7,7 Mrd. erhöht haben, wobei bereits eine Abschwächung der jährlichen Zuwachsrate von gegenwärtig 1,5% auf 1,1% unterstellt ist. Momentan wird das Wachstum des Weltverbrauchs von Ölen und Fetten und von Ölkuchen durch die Wirtschaftskrise in Asien abgeschwächt. Sollten aber die asiatischen ‚Tiger-Staaten‘ in einigen Jahren wirtschaftlich gesundet sein und die notwendigen strukturellen und wirtschaftlichen Anpassungen durchgeführt haben, dann wird aller Voraussicht nach ein zusätzlicher Nachfrageschub bei Nahrungsmitteln eintreten. Wenn man darüber hinaus bedenkt, daß ein großer Teil des jährlichen Zuwachses der Weltbevölkerung von ca. 90 Mio. Menschen in den asiatischen Ländern zu verzeichnen ist, könnte es bei weiter wachsendem Pro-Kopf-Verbrauch schwer werden, eine angemessene Versorgung mit Nahrungsmitteln bei heutigen Preisen zu erreichen.

Als limitierender Faktor für die Produktion ist vor allem die weltweite Knappheit an Produktionsressourcen, und hier vor allem der landwirtschaftlichen Nutzfläche zu nennen. Die nutzbaren Landreserven betragen weltweit schätzungsweise 140-150 Mio. ha, die meisten hiervon in Südamerika. Aber auch in der Ukraine und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie in den USA und einigen asiatischen Ländern sind noch Landreserven verfügbar, die im Moment nicht oder nur sehr extensiv kultiviert werden. Im Gegensatz hierzu ist die landwirtschaftliche Nutzfläche in China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, kaum noch erweiterbar. Eher im Gegenteil führen die kräftig wachsende Bevölkerung und die zunehmende Industrialisierung und Motorisierung dort jährlich zu einem Nettoverlust landwirtschaftlicher Fläche. In Australien und Kanada ist die im Augenblick genutzte Fläche, selbst bei höheren Preisen, kaum noch ausdehnbar.

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt eine stagnierende Weltanbaufläche für alle landwirtschaftlichen Produkte von ca. 1,40 bis 1,45 Mrd. ha auch in den drei Hochpreisperioden 1983/84, 1988/89 und 1995/96 (FAO, versch. Ausgaben). Getreide und Ölsaaten ‚konkurrieren‘ folglich weltweit miteinander um den knappen Faktor Boden. Zwischen 1981/82 und 1997/98 hat sich die Anbaufläche für die zehn wichtigsten Ölsaaten weltweit um ca. 45 Mio. ha erhöht (Abbildung 9-5).

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Abbildung 9-5: Änderungen der weltweiten Getreide- und Ölsaatenanbauflächen – kumulierte Änderungen seit 1981/82 in Mio. ha.

-60

-40

-20

0

20

40

60

1982/83 1984/85 1986/87 1988/89 1990/91 1992/93 1994/95 1996/97

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Getreide Цlsaaten

Quelle: Eigene Berechnungen nach MIELKE (1998, S.26).

Das entspricht einem jährlichen Anstieg von 2,8 Mio. ha im Durchschnitt dieser sechzehn Jahre. Von dem kumulativen Zuwachs bei den Ölsaaten entfielen auf Palmkerne weltweit 4,0 Mio. ha, hauptsächlich in Malaysia, Indonesien und Zentralamerika, z.T. durch das Abholzen von Regenwald und z.T. durch die Nutzung früherer Gummiplantagen. Nach Abzug der Flächenausdehnung von Palmkernen verbleibt für die anderen neun Ölsaaten ein kumulativer Anstieg von ca. 40,6 Mio. ha bis zum Jahr 97/98. Der weitaus größte Teil dieser Ausdehnung seit Anfang der achtziger Jahre ging zu Lasten von Getreide, bei dem die Anbaufläche zwischen 1981/82 und 1997/98 weltweit um ca. 35 Mio. ha gesunken ist.

In Abbildung 9-5 ist auch zu sehen, daß die Getreideanbaufläche 1996/97 weltweit um fast 20 Mio. ha zunahm. Dies wurde z.T. durch die Wiederaufnahme der Produktion auf ehemals stillgelegten Flächen, z.B. in den USA und der EU, ermöglicht, geschah aber auch, wie der Abbildung zu entnehmen ist, auf Kosten der Ölsaatenfläche. Die Ausdehnung der Ölsaatenfläche, die in den Jahren zuvor stattgefunden hatte, kehrte sich daher 1996/97 in eine Abnahme um ca. 5 Mio. ha um. Zusammen mit den anderen oben genannten Faktoren hat dies zu der Verknappung und den hohen Preisen für Ölsaaten und Ölsaatenprodukte 1997/98 geführt.

Die Zunahme der Getreideproduktion hat ab 1997 aber wieder zu abnehmenden Preisen für Getreide und Futtermittel im allgemeinen – darunter Ölkuchen - geführt. Während aber die Preise für Ölkuchen fielen sind die Preise für Öle und Fette – in Abbildung 9-4 am Beispiel des Sonnenblumenöls zu sehen – bis Mitte 1998 weiter gestiegen. Die Erklärung für dieses Phänomen liegt darin, daß die oben beschriebene angespannte Versorgungslage für Öle und Fette vor allem eine Ausdehnung der Produktion von Ölsaaten mit einem höheren Ölanteil erfordert hätte. Hierzu zählen z.B. SBK und Rapssaat mit einem Ölgehalt von jeweils

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ca. 42-44%. Mit einem Ölanteil von 18-19% sind Sojabohnen nur bedingt geeignet, eine Angebotsknappheit bei Ölen und Fetten zu beseitigen. Trotzdem ist die weltweite Produktion und Verarbeitung in der Saison 97/98 ausgerechnet von Sojabohnen außerordentlich stark ausgedehnt worden. Das Angebot an pflanzlichen Ölen stieg daher nur mäßig, das Angebot an Ölkuchen dagegen stark. Die Futtermittelpreise kamen unter zusätzlichem Druck, während die weltweite Knappheit an Fetten und Ölen, und damit an Ölsaaten mit hohem Ölgehalt (z.B. SBK und Rapssaat) noch andauerte. Erst im laufenden Wirtschaftsjahr sind auch die Preise für Öle und Fette, bedingt durch eine stagnierende Nachfrage (Asienkrise) und ein erhöhtes Angebot (Palmöl und z.B. Sonnenblumen aus Argentinien), gesunken. In der Ukraine wurden diese Preissenkungen der letzten Monate durch die Abwertung der Hryvnia zum großen Teil ausgeglichen.

Die obigen Ausführungen sollen nicht nur ein Einblick in das Geschehen auf den für die Ukraine wichtigen Weltmärkten für Ölsaaten gewähren, sondern auch vermitteln, wie komplex und unvorhersehbar die Zusammenhänge und ihre Auswirkungen auf diesen Märkten sind. Im nachhinein ist es fast immer möglich die Geschehnisse auf diesen Märkten zu erklären. Aber im voraus arbeiten selbst ‚Insider‘ stets mit unvollständigen Informationen.

3.2.3 Die Konkurrenten auf dem Weltmarkt

In den 15 Jahren von 1983 bis 1997 ist die Produktion von Sonnenblumen- und anderen Ölsaaten in der Ukraine, in Rußland und in anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion insgesamt nicht gestiegen. Im Gegensatz dazu ist die Ölsaatenproduktion in anderen Ländern erheblich ausgedehnt worden.

• In den USA ist die Ölsaatenanbaufläche von 30 Mio. ha im Jahr 1983 auf 35,7 Mio. ha im Jahr 1997 ausgedehnt worden. Überproportionale Ertragssteigerungen bei Sojabohnen und anderen Ölsaaten führten zu einer Steigerung der US Produktion von 50 Mio. t im Jahr 1983 auf 82,7 Mio. t im Jahr 1997.

• Auch in Kanada hat es eine außergewöhnlich starke Expansion der Ölsaatenproduktion gegeben, die sich von 3,8 Mio. t in 1983 auf 10 Mio. t 1997 mehr als verdoppelt hat.

• In Argentinien und Brasilien hat die Landwirtschaft sehr flexibel auf die Signale des Weltmarktes reagiert und die Ölsaatenproduktion um zusammengenommen 28 Mio. t innerhalb der letzten 15 Jahre erhöht. Betrachten wir Argentinien und Brasilien zusammen, so ist ersichtlich, daß der größte Teil der Produktionsausdehnung in der Betrachtungsperiode auf die Steigerung der Erträge zurückzuführen ist. Innerhalb dieser 15 Jahre sind die durchschnittlichen Ölsaatenerträge in Brasilien von 1,3 auf 2,2 t/ha und in Argentinien von 1,7 auf 2,1 t/ha gesteigert worden.

• Australien ist als ‚Newcomer‘ anzusehen. Seit 1994 ist dort eine kräftige Expansion des Ölsaatenanbaus zu verzeichnen. Die Landwirte haben zu Lasten von Getreide insbesondere den Anbau von Raps ausgedehnt und zwar von nur 173.000 ha im Jahr 1993 auf 420.000 ha in 1996 und 1,1 Mio. ha in 1998. Die Landwirtschaft in Australien hat somit flexibel auf die Signale des Weltmarktes reagiert und hat gerade innerhalb der letzten zwei Jahre die Produktion von Ölsaaten mit einem hohen Ölanteil erhöht. Diese Flexibilität der Landwirtschaft steht im Gegensatz zu eher relativ schwerfälligen Strukturen in anderen Ländern wie der Ukraine.

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3.3 Zukunftsaussichten

Gegenwärtig beträgt der durchschnittliche Verbrauch an Ölen und Fetten weltweit ca. 17,3 kg/Kopf/Jahr. Trotz einer kräftigen jährlichen Expansion des Inlandsverbrauchs in China von etwa 1,1 Mio. t im Durchschnitt der letzten fünf Jahre und einem Anstieg des Verbrauchs um 0,8 kg/Kopf/Jahr ist dieser mit 12,5 Kilogramm immer noch relativ gering. Auch der indische Verbrauch beträgt im Schnitt nur 9,7 kg/Kopf/Jahr. Dies sind die beiden mit Abstand bevölkerungsreichsten Länder, und weitere jährliche Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes zwischen 6 und 8% in diesen Ländern sollten zu einem weiteren Anstieg des Verbrauchs an Ölen und Fetten beitragen. Bedenkt man das hohe Verbrauchsniveau in vielen Industrieländern und das Nachfragepotential sowohl im ehemaligen Ostblock als auch in vielen Regionen Afrikas, Zentral- und Südamerikas und Asiens, so ist davon auszugehen, daß für die nächsten Jahre ein weiterhin hohes Nachfragepotential nach Ölen und Fetten besteht. Selbst bei stagnierendem Durchschnittsverbrauch pro Kopf weltweit würden die prognostizierten zusätzlichen 90 Mio. Menschen pro Jahr zusätzlich 1,5-1,6 Mio. t Öle und Fette benötigen.

Um den weiteren Zuwachs des Weltverbrauchs von Ölen und Fetten decken zu können, wird es nötig sein, zusätzliche Flächen zu kultivieren, um die dafür erforderlichen Mengen an Ölsaaten zu produzieren. Davon ausgehend, daß ca. 1,0 bis 1,1 Mio. t des prognostizierten Bedarfszuwachses pro Jahr von Palmöl gedeckt werden können, verbleibt für die anderen Öle und Fette ein Zusatzbedarf von etwa 1,5 bis 1,6 Mio. t pro Jahr. Man muß bedenken, daß für 300.000 t Öl z.B. 1,6 Mio. t Sojabohnen oder 0,7 Mio. t Rapssaat oder SBK verarbeitet werden müssen. Vermutlich können die starken Wachstumsraten des Ölsaatenanbaus in den letzten 10-15 Jahren in dem Maße nicht fortgeführt werden. Somit wird der Zuwachs der Weltproduktion von Ölsaaten und folglich auch der von SBK, SBÖ und Ölkuchen weltweit in den nächsten Jahren abnehmen, wenn nicht in erheblichem Umfang neue landwirtschaftliche Flächen erschlossen werden oder inzwischen brachliegende Flächen erneut in die Produktion aufgenommen werden oder ein Durchbruch bei der Produktivität pro Hektar erreicht wird. Insgesamt ist zu erwarten, daß die Konkurrenz zwischen Getreide und Ölsaaten in den nächsten Jahren zunehmen wird.

Diese Entwicklung auf den Weltmärkten sollte der Ukraine als flächenreichem Land mit einem großen brachliegenden Produktionspotential hervorragende Exportchancen ermöglichen. Dies gilt sowohl bei SBK- und Rapssaat als auch bei den entsprechenden Ölen und Ölkuchen. Bei einer Anbaufläche von Sonnenblumen zwischen 2,7 und 3,0 Mio. ha und einer um 20-30% erhöhten Produktivität pro Hektar könnten sich sehr attraktive Gewinne für die Produzenten, die Verarbeitungsindustrie und schließlich hohe Deviseneinkünfte im Exportmarkt für die Ukraine ergeben. Eine Sonnenblumenernte in der Größenordnung von 3,5 bis 3,9 Mio. Tonnen sollte im Inland und im Ausland absetzbar sein, ohne auf dem Weltmarkt einen beträchtlichen Preisdruck hervorzurufen.

In diesem Zusammenhang muß aber betont werden, daß die Produktion und der Export einer solchen Sonnenblumenernte nicht sofort und mit Sicherheit nicht bei einer Fortführung des bisherigen agrar- und wirtschaftspolitischen Kurses möglich sein wird. Es reicht nicht, nur immer wieder auf das große landwirtschaftliche Potential der Ukraine hinzuweisen. Dieses Potential muß auch endlich in Mehrproduktion umgesetzt werden. Einige Experten behaupten sogar, daß die Beschäftigung mit dem großen Potential der ukrainischen

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Landwirtschaft bisher nur schädliche Folgen hatte, weil es von der Notwendigkeit, umfassende Reformen durchzuführen, abgelenkt hat. Gute Böden sind bei weitem keine hinreichende Bedingung für eine produktive Landwirtschaft, sie sind nicht einmal eine notwendige Bedingung.

Um ein ‚global player‘ auf den Weltmärkten für Ölsaaten und Ölprodukte zu werden, müssen viele Engpässe, z.B. bei der Produktion, der Verarbeitung, dem Transport und der Exportlogistik beseitigen werden. In fast allen Bereichen stellt die bisherige Politik keine Lösung, sondern einen wesentlichen Teil der vorhandenen Engpässe dar. Denn sie hat aktiv verhindert, daß sich die Dynamik des Marktes, die sich aus privaten Initiativen und Investitionen ergibt, entfalten konnte. Die Probleme, die hiermit angesprochen werden, gelten für die landwirtschaftliche Produktion der Ukraine insgesamt und sind nicht produktspezifisch. Da sie bereits an anderer Stelle ausführlich behandelt wurden, sollen sie an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden.14 Aber eine Maßnahme, von der die agrarpolitischen Entscheidungsträger offenbar eine Verbesserung der Lage auf den Märkten für Ölsaaten und Ölprodukte in der Ukraine versprechen, sollte dennoch näher untersucht werden. Es handelt sich hierbei um die Exportsteuer für Ölsaaten.

4 Eine kritische Analyse der geplanten Exportsteuer für Ölsaaten

4.1 Hintergrund

Seit über einem Jahr wird in der Ukraine über die Errichtung von Exportbarrieren für SBK nachgedacht. Im Juli 1998 wurde vom Präsidenten mit dem Erlaß Nr. 755 z.B. die Hinterlegung einer Kaution beim SBK-Export angeordnet. Dieser Erlaß wurde jedoch wegen massiver Proteste von Seiten der Exporteure, den landwirtschaftlichen Betrieben und ausländischen Geberorganisationen noch vor Inkrafttreten gekippt. Weitere Vorschläge zur Beschränkung des Exports folgten, wobei seit einigen Monaten intensiv über die Einführung einer Exportsteuer für SBK diskutiert wird. Konkrete Pläne liegen nun in Form des vom Parlament am 12. Juli verabschiedeten Gesetzes vor. Letzteres sieht ein Steuersatz von 30% vor, wobei die in den letzten Monaten diskutierten Vorschläge von 8 bis 30% reichen.

4.2 Analyse

Warum wird so hartnäckig an der Einführung von Exportbarrieren für SBK gearbeitet? Im folgenden werden die drei wichtigsten von der ukrainischen Seite vorgetragenen Argumente für die Einführung einer Exportsteuer kurz aufgeführt und analysiert.

Argument 1: Die Verarbeitung ukrainischer SBK findet überwiegend im Ausland statt, während die Ukraine Sonnenblumenöl (SBÖ) importiert. Die Ukraine wäre aber

14 S. z.B. Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat

tun?, Kapitel 3: Wollen sie nicht, oder können sie nicht? Investoren und die Landwirtschaft der Ukraine, Kapitel 6: Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender Handlungsbedarf und Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors.

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insgesamt reicher, wenn die Verarbeitung von SBK zu SBÖ - und somit die entsprechende Wertschöpfung - im Inland stattfinden würde.

Abbildung 9-6: Die Wertschöpfung der ukrainischen Wirtschaft vor Einführung einer Exportsteuer für Sonnenblumenkerne

Sonst.Wirtschaftsbereiche

LandwirtschaftlicheBetriebe

Staat

Ц lmьhlen im Ausland

InlдndischeЦ lmьhlen

Quelle: Eigene Darstellung.

Dieses vielleicht am häufigsten angeführte Argument klingt sehr vernünftig und ist in der Abbildung 9-6 dargestellt. Dort markiert der große Kreis die gesamte Wertschöpfung der ukrainischen Wirtschaft. Diese Wertschöpfung findet in der Landwirtschaft, in der Ölmühlenindustrie und in sonstigen Bereichen der Wirtschaft statt. Über seine Steuereinnahmen und andere Aktivitäten sichert sich der Staat einen Teil dieser Wertschöpfung. Bei der Betrachtung der Abbildung 9-6 muß beachtet werden, daß die Anteile der einzelnen Wirtschaftsbereiche nicht deren tatsächliche Wertschöpfung wiedergeben, sondern lediglich schematisch veranschaulichen, welche Effekte durch die Exportsteuer zu erwarten sind.

Diese Vorstellung - und damit das Argument 1 - ist aber vom wissenschaftlichen Standpunkt nicht haltbar. Entscheidend ist, daß die tatsächlichen ökonomischen Kosten der SBK-Verarbeitung in der Ukraine höher sind als im Ausland. Wäre dies nicht der Fall, dann müßten die ukrainischen Ölmühlen in der Lage sein, ausländische Konkurrenten im Wettbewerb um die Sonnenblumenernte der Ukraine bzw. um den Markt für SBÖ in der Ukraine zu verdrängen. Dann aber würde die Ölmühlenindustrie keine Hilfe in Form einer Exportsteuer bzw. sonstiger Exporthemmnisse benötigen. Da die Kosten der SBK-Verarbeitung in der Ukraine höher sind, findet bei der Verarbeitung in der Ukraine weniger Wertschöpfung statt als bei der Verarbeitung im Ausland. Grund hierfür ist, daß bei der Produktion eines Liters SBÖ in der Ukraine mehr Ressourcen (v.a. Energie, aber auch SBK) eingesetzt werden müssen als bei der Produktion im Ausland (s. Abschnitt 2.4). Es stimmt

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daher nicht, daß die Exportsteuer zu einer Verlagerung der Wertschöpfung aus dem Ausland in die Ukraine führt. Statt dessen wird die Wertschöpfung der SBK-Verarbeitung durch eine Verzerrung der ökonomischen Anreize in die Ukraine erzwungen und dabei reduziert.

Diese Zusammenhänge werden in Abbildung 9-7 dargestellt. Die Exportsteuer führt zu einer Senkung der inländischen SBK-Preise in der Ukraine. Darunter leiden natürlich die Produzenten von SBK, also die Landwirte.15 Die künstlich gesenkten SBK-Preise führen bei unveränderten SBÖ-Preisen zu einer erhöhten Rentabilität der SBK-Verarbeitung. Natürlich profitieren infolgedessen die Ölmühlen und die Wertschöpfung in der Verarbeitung in der Ukraine steigt. Diese Erhöhung der Wertschöpfung geht aber zu Lasten der Wertschöpfung der Sonnenblumenproduktion und somit der Landwirte. Es findet daher keine Verlagerung der Wertschöpfung aus dem Ausland in die Ukraine statt, sondern eine Verlagerung von den Landwirten zu den Ölmühlen. In Abbildung 9-7 kommt dies dadurch zum Ausdruck, daß die Wertschöpfung der Ölmühlen zwar wächst, die der Landwirte aber gleichzeitig schrumpft. In Abbildung 9-7 ist auch zu sehen, daß die Landwirte Wertschöpfung in Form von Exportsteuerzahlungen an den Staat abgeben. Die ausländischen Ölmühlen verarbeiten zwar weniger ukrainische SBK, man kann aber davon ausgehen, daß sie genügend SBK oder auch andere Ölsaaten aus anderen Quellen beziehen können und daher höchstens vorübergehende Einbußen erleiden.

Nach Einführung der Exportsteuer findet die Verarbeitung in den weniger effizienten ukrainischen Ölmühlen statt. Daher wird, wie oben erläutert, auch insgesamt weniger Wertschöpfung bei der Verarbeitung erzielt. Somit findet nicht nur die soeben genannte Verschiebung innerhalb der Ukraine statt, sondern auch ein Netto-Verlust aus Sicht der Ukraine insgesamt. Mit anderen Worten, das was die Landwirte nach Einführung der Steuer verlieren, kommt nicht vollständig bei den Ölmühlen oder dem Staat an. Der Transfer ist nicht perfekt, sondern mit ‚Reibungsverlusten‘ verbunden.16 Durch die Exportsteuer wird in Abbildung 9-7 daher die gesamte Wertschöpfung der Ukraine um die mit ‚Wohlfahrtsverlust‘ gekennzeichnete Fläche reduziert.

15 Das Institute for Agrarian Economics argumentiert in der oben bereits erwähnten

Stellungnahme (BIZNES 1999), daß die landwirtschaftlichen Betriebe an Händler (genannt „Spekulanten“) verkaufen müssen, die sowohl die gegenwärtig sehr hohen Zinsen als auch zusätzliche Risikoprämien in ihre Preisgestaltung einfließen lassen würden. Die Landwirte seien aber aufgrund ihres Geldmangels gezwungen, diese schlechten Konditionen zu akzeptieren. Bei einer solchen Argumentation läßt das Institut völlig unberücksichtigt, daß sowohl die hohen Zinsen als auch die Risikoprämien, die die Händler verlangen müssen, durch Mängel in der allgemeinen Wirtschaftspolitik bzw. der Agrarpolitik der Regierung begründet sind, und daß die Konditionen, die der Staat den landwirtschaftlichen für Getreide und Ölsaaten bietet, häufig sogar sehr viel schlechter sind, als die der privaten Händler.

16 Siehe hierzu die Erläuterung in Kapitel 1: Agrarpolitisches Leitbild für die Ukraine: Was kann und soll der Staat tun?, insbesondere Box 1-7.

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Abbildung 9-7: Veränderung und Umverteilung der Wertschöpfung in der ukraini-schen Wirtschaft durch die Exportsteuer für Sonnenblumenkerne

Staat

Sonst.Wirtschaftsbereiche

InlдndischeЦlmьhlen

Цlmьhlen im Ausland

Land

wirt

scha

ftl.

Betri

ebe

Wohlfahrts-verlust

Quelle: Eigene Darstellung.

Die verschiedenen in Abbildung 9-7 dargestellten Verschiebungen und Verluste können anhand von ökonomischen Modellen quantifiziert werden. Eine neue Studie des Center for Privatization and Economic Reform (CPER 1999) hat eine solche Quantifizierung vorgenommen und kommt u.a. zum Ergebnis, daß die Landwirtschaft nach Einführung einer Exportsteuer in Höhe von 23% ca. 77 Mio. USD verlieren, während die Ölmühlen ca. 36 Mio. USD gewinnen und die Steuereinnahmen des Staates ca. 40 Mio. USD betragen würden. Werden unterschiedliche Zeithorizonte bei der Betrachtung angelegt, beziffert sich der jährliche Netto-Wohlfahrtsverlust der Ukraine auf geschätzte 1,2 bis 9,4 Mio. USD. Natürlich müssen zu einer solchen Berechnung viele vereinfachende Annahmen getroffen werden, so daß die absolute Höhe der Ergebnisse mit großer Vorsicht interpretiert werden muß. Dennoch geben sie einen Hinweis auf die Größenordnung der Effekte, die von einer Exportsteuer ausgelöst werden können.

Argument 2: Die Landwirte werden unter der Exportsteuer nicht leiden, da die aus der Steuer resultierenden Einnahmen vom Staat zurück in die Landwirtschaft gelenkt werden sollen. Die Steuer wird also der Ölmühlenindustrie helfen, aber sonst keiner anderen Gruppe schaden.

Hinter einem solchen Argument verbirgt sich die Vorstellung, der Staat könne die Einnahmen aus der Exportsteuer dazu verwenden, die Landwirte so zu kompensieren, daß sie nach Einführung der Steuer nicht schlechter dastehen als vorher. Letztendlich würde sich eine Situation einstellen, in der sowohl die Landwirte als auch der Staat gleich-, die Ölmühlen aber insgesamt besser bessergestellt wären.

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Daß dieses Argument nicht stichhaltig ist, läßt sich leicht demonstrieren. Zum einen wird der oben diskutierte Netto-Wohlfahrtsverlust übersehen. Aufgrund dieses Verlustes muß es mindestens einer Gruppe nach Einführung der Steuer schlechter gehen als vorher. Dagegen könnte argumentiert werden, daß die Netto-Wohlfahrtsverluste insgesamt - wie z.B. die oben zitierte CPER-Studie scheinbar belegt - relativ klein sind. Dabei wird jedoch übersehen, daß die Steuereinnahmen des Staats insgesamt wesentlich geringer ausfallen als die Verluste der Landwirte. Dies muß so sein, denn die Steuer wird nur auf exportierte SBK erhoben, die Landwirte erleiden aber Erlöseinbußen in Höhe des Steuersatzes auf ihre gesamte Produktionsmenge. D.h. selbst wenn der Staat die Einnahmen aus der Exportsteuer voll und ganz in die Landwirtschaft zurücklenken könnte - was aufgrund der anfallenden administrativen Kosten der Steuer- und Ausgabenverwaltung nicht möglich ist -, würden diese Einnahmen die Verluste der Landwirte nur zu einem Teil kompensieren. So stehen nach den Berechnungen des CPER Verlusten der Landwirte in Höhe von 77 Mio. USD Steuereinnahmen in Höhe von lediglich 40 Mio. USD gegenüber.

Schließlich ist das Argument, die durch die Exportsteuer verursachten Wohlfahrtsverluste wären relativ klein und daher erträglich, zumindest suspekt. Einige Millionen USD sind in der Tat im Vergleich zur gesamten Wertschöpfung der ukrainischen Wirtschaft keine große Summe. Es handelt sich bei diesen Schätzungen aber lediglich um eine auf ein Jahr bezogene Betrachtung. Wird der Zeithorizont der Betrachtung erweitert, so muß berücksichtigt werden, daß diese Millionen jährlich anfallen - Geld, das gewinnbringend investiert werden könnte.

Auffallend ist vor allem auch, daß die Ölmühlenindustrie nicht die einzige Branche in der Ukraine ist, die besondere Schutzmaßnahmen fordert. Ein solches Ansinnen hat neben der Landwirtschaft selbst auch die chemische Industrie, die Landmaschinenindustrie, die Zuckerfabriken, die Getreidemühlen, die Düngemittelhersteller usw. Alle fordern Subventionen, jeder möchte auf Kosten anderer Gruppen in der Wirtschaft bessergestellt werden. Es ist einleuchtend, daß die Vorteile, die eine bestimmte Gruppe aufgrund ihrer eigenen Subventionierung genießt, gleichzeitig zumindest teilweise durch die Kosten der Subventionierung anderer Gruppen wettgemacht werden. Mit anderen Worten, nachdem allen geholfen worden ist und jeder dazu beigetragen hat, daß die anderen Hilfe bekommen, ist keiner wirklich bessergestellt. Im Gegenteil, jede einzelne Subventionierung verursacht ein Netto-Wohlfahrtsverlust, der allein genommen relativ klein und unbedeutend erscheinen mag (s. oben). Insgesamt entstehen aber zusammen mit anderen Subventionierungen Verluste, die sich zu einem die Wirtschaft schwer belastenden Betrag summieren können. Eine Politik, die ausschließlich auf der Befriedigung zahlreicher partialwirtschaftlicher Interessen basiert, wird zwangsweise zu hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten führen.

Argument 3: Aus Sicht der ‚guten‘ landwirtschaftlichen Praxis werden in der Ukraine zu viele Sonnenblumen angebaut. Die Exportsteuer würde zu einer notwendigen Eindämmung der Sonnenblumenproduktion beitragen.

Die Exportsteuer wird in öffentlichen Verlautbarungen von Politikern auch damit begründet, daß Landwirte davon abgehalten werden müßten, Sonnenblumen zu häufig auf der gleichen Fläche anzubauen. Aber auch wenn eine zu enge Fruchtfolge zu Ertragseinbußen führen kann, steht dieses Argument auf sehr wackligen Füßen. Soll tatsächlich behauptet

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werden, daß die Bürokraten in Kiew bessere produktionstechnische Kenntnisse besitzen als die Praktiker auf dem Lande in der Ukraine? Sind die Landwirte der Ukraine so schlecht ausgebildet oder so wenig erfahren, daß ‚Vater‘ Staat sie davon abhalten muß, sich selbst Schaden zuzufügen?

Mit Sicherheit nicht. Die Landwirte vor Ort wissen sehr wohl, mit welchen Risiken der Anbau von Sonnenblumen verbunden ist. Daß sie bereit sind, die Risiken einer kurzen Fruchtfolge einzugehen, ist kein Argument für noch stärkere staatliche Eingriffe, sondern ist vielmehr ein Beweis für die schädliche Wirkung der bisherigen agrarpolitischen Fehlentwicklungen auf anderen Märkten. Denn Landwirte werden die hohen Risiken eines produktionstechnisch gewagten Sonnenblumenanbaus nur eingehen, wenn die Gewinnerwartungen bei alternativen Ackerfrüchten, z.B. Getreide, noch schlechter sind. Und die Gewinnerwartungen bei den wichtigsten Alternativfrüchten Getreide und Zucker sind, wie in Abschnitt 1.3 erläutert wurde, inzwischen sehr niedrig.

D.h. die Landwirte der Ukraine gehen große Risiken ein und produzieren Sonnenblumen z.T. am Rande des Empfehlenswerten, weil die Produktion alternativer Früchte aufgrund der agrarpolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahre noch risikoreicher und weniger rentabel erscheint. Diese Versäumnisse sollten als solche erkannt und korrigiert werden, und nicht auf andere, bisher funktionsfähige Märkte ausgebreitet werden.

4.3 Die wahren Gründe?

Die treibende Kraft hinter den Bestrebungen, Exportbarrieren für SBK einzuführen, ist die Ölmühlenindustrie, die eine intensive Lobbyarbeit in Kiew betreibt. Dies ist zwar rechtens, denn in einer Demokratie steht es jedem zu, seine Argumente vorzutragen und seine Interessen zu verfolgen. Eine auf Dauer erfolgreiche Wirtschaftspolitik kann aber nicht ausschließlich in der Befriedigung der partialwirtschaftlichen Interessen einzelner Gruppen bestehen. Der Versuch, die Binnenwirtschaft durch die gesonderte Subventionierung vieler einzelner Industrien anzukurbeln, wird zu einer der Wirtschaft erstickende Subventionslast führen und schließlich zu nicht mehr, sondern insgesamt weniger binnenwirtschaftlicher Aktivitäten.

Im vorliegenden Fall der Exportsteuer für SBK liegt die Vermutung nahe, daß die wirtschaftlichen Interessen, die verfolgt werden sollen, besonders partiell sind. Denn ein Blick auf Tabelle 9-4 zeigt, daß nur wenige Ölmühlen für den Großteil der Ölsaatenverarbeitung verantwortlich sind. Nur wenige Ölmühlen verfügen über die zum Kauf von SBK notwendigen Mittel, viele andere werden auch bei niedrigeren SBK-Preisen nicht in der Lage sein, ihre Kapazitätsauslastung zu erhöhen. Die Gewinne aus der Exportsteuer werden sich folglich auf einige wenige Ölmühlen konzentrieren. Von Experten werden in diesem Zusammenhang die Ölmühlen in Dnipropetrowsk, Poltawa und Pologiw sowie die sich im Bau befindende Ölmühle in Donezk (UEPLAC 1999, S.6) genannt.

Das grundlegende Problem der meisten ukrainischen Ölmühlen - wie auch vieler anderer landwirtschaftlicher Verarbeitungsunternehmen in der Ukraine – ist, daß sie international nicht wettbewerbsfähig sind. Eine vorausschauende Politik muß bestrebt sein, diese mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zu korrigieren und nicht lediglich auf Kosten anderer (in vorliegendem Fall der Landwirte) zu vertuschen. Die Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen Ölmühlen kann nur mit Investitionen und moderner Technik verbessert werden.

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Das Haupthindernis für solche Investitionen liegt nicht in zu hohen Preisen für die SBK. Im Gegenteil, Ölmühlen in anderen Ländern produzieren erfolgreich auf der Basis von SBK-Preisen, die höher liegen als in der Ukraine. Das Haupthindernis ist viel eher ein Problem, das nicht nur die Ölmühlen, sondern fast alle Bereiche der ukrainischen Wirtschaft schwer belastet, und zwar das nach wie vor schlechte Investitionsklima. Pläne zur Modernisierung bzw. Neubau von Ölmühlen in der Ukraine liegen in Schubladen von finanzkräftigen und fachkundigen Firmen in der ganzen Welt. Diese Pläne werden aber in den Schubladen bleiben, wenn die Bedingungen für inländische und ausländische Investoren nicht verbessert werden.17 Die geplante Exportsteuer für SBK ist ein teures Medikament, das lediglich die Symptome einer tief liegenden Krankheit überdecken würde. Andere Transformationsländer, wie zum Beispiel Polen und Ungarn, haben diese Krankheit wesentlich erfolgreicher als die Ukraine bekämpft, indem sie nicht an Symptomen laboriert, sondern die Ursachen beseitigt haben.18

5 Zukunftsperspektiven und Schlußfolgerungen Für die Landwirtschaft der Ukraine eröffnen sich gute Chancen, durch verstärkte

Exporte an dem voraussichtlichen Anstieg des Weltverbrauchs landwirtschaftlicher Produkte zu partizipieren. Dabei gibt es gerade für Ölsaaten – und hier insbesondere für Sonnenblumen und Rapssaat – große Wachstumspotentiale. Aufgrund der zu erwartenden weltweiten Nachfrage, der in absehbarer Zeit hohen Preise auf dem Weltmarkt für SBK und SBÖ wie auch für Rapssaat und –öl und der komparativen Kostenvorteile ergibt sich für die Ukraine ein attraktiver Exportmarkt.

Ölsaaten haben bisher davon profitiert, von den agrarpolitischen Entscheidungsträgern in der Ukraine vergessen worden zu sein. Während auf den sog. ‚strategischen‘ Märkten für Zucker und Getreide agrarpolitische Fehleingriffe zu drastischen Produktionsrückgängen geführt haben, konnte sich die Produktion von Sonnenblumen und Raps ohne staatliche Eingriffe vergleichsweise positiv entwickeln. Die hieraus zu ziehende Lehre liegt auf der Hand: Die Ausdehnung der staatlichen Intervention – z.B. in Form einer Exportsteuer – auf die Märkte für Ölsaaten in der Ukraine würde heißen, die Medizin, die sich bei den anderen Patienten als gesundheitsschädlich erwiesen hat, auch noch einem der letzten gesunden Patienten zu verabreichen. Die bisherige Entwicklung der Ölsaatenproduktion in der Ukraine zeigt, welches Potential z.B. in der privaten Versorgung mit Vorleistungsgütern steckt.

1994 schrieb ein Beratungsteam in der Ukraine: „Vor zwei Jahren ist ein Beratungs-team der Weltbank zum Schluß gekommen, daß die Ukraine komparative Vorteile in der Sonnenblumenproduktion besitzt. ... Der einzige Weg”, so die Autoren, „über den die Ukraine diesen komparativen Vorteil verlieren könnte, wäre aufgrund politischer Entscheidungen” (eigene Übersetzung). Die geplante Exportsteuer für Ölsaaten stellt eine solche, den komparativen Vorteil der Ukraine bedrohende politische Maßnahme dar.

17 Siehe hierzu Kapitel 3: Wollen sie nicht, oder können sie nicht? Investoren und die

Landwirtschaft der Ukraine. 18 Die Ölmühlen der Ukraine würden auch von einem erleichterten Zugang zu importiertem

SBK und Rohöl profitieren (Stichwort Abbau der Zollschranken), damit sie ihre Kapazitätsauslastung vor allem in den Sommermonaten vor der Ernte erhöhen könnten.

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6 Literatur ALFA CAPITAL UKRAINE (1998): Sector Overview: Food Processing. Kiew.

APAU (Agricultural Policy Analysis Unit) (1999): Effects of Imposing Export Restraints on Ukrainian Sunflower Seeds. Presentation to the American Chamber of Commerce in Ukraine’s Agricultural Committee, Kiew.

BIZNES (wöchentlich): Plain as plain: The 20% export duty on sunseeds will benefit on vegetable oil manufacturers, while the rest will lose. Biznes Nr. 25, 21. Juni 1999.

CPER (Center for Privatization and Economic Reform) (1998): The Economic Effect of Export Duties for Ukrainian Sunflower Seeds, CPER Occasional Paper, Nr. 17, Kiew.

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GAUE, O. (1998): Die Produktion von Ölsaaten in der Ukraine. Kurzzeitexpertise im Auftrag der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung, Kiew.

GFA (Gesellschaft für Agrarprojekte m.b.H.) (1994): Ukraine Edible Oilseed Processing Project. Final Report, Hamburg.

KTBL (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft) (1999): Dezentrale Ölsaatenverarbeitung. Arbeitspapier Nr. 267, Darmstadt.

MIELKE, T. / ISTA-MIELKE GmbH (1998): Die Weltmärkte für Ölsaaten, pflanzliche Öle und Ölkuchen. Kurzzeitexpertise im Auftrag der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der Ukrainischen Regierung, Kiew.

ISTA-MIELKE GmbH (wöchentlich): Oil World – The Weekly Forecasting and Information Service for Oilseeds, Oils, Fats and Oilmeals. Hamburg.

TACIS (1996): Procurement, Processing and Distribution of Sunflower Seed and Oil. Projektbericht, Kiew.

UEPLAC (Ukrainian-European Policy and Legal Advice Centre) (1999): A Comment on the planned introduction of export duty on sunflower seeds. UEPLAC Policy Paper.

UKRAGROCONSULT (1999a): UkrAgroConsult Weekly #5, Kiew.

UKRAGROCONSULT (1999b): UkrAgroConsult Weekly #28, Kiew.

UKRAGROCONSULT (1999b): UkrAgroConsult Statistical Agridigest #1, Kiew.

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (jährlich): Agriculture in Ukraine, Statistical Yearbook. Kiew.

ZORIA, S. (1998): Food Processing Equipment. Bericht für das U.S. & Foreign Commercial Service und das U.S. Department of State. Kiew.

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Teil III: Betriebswirtschaftliche Aspekte der

Transformation der ukrainischen Landwirtschaft

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10 Die Wirtschaftliche Lage landwirtschaftlicher Unternehmen in der Ukraine, dargestellt am Beispiel des Oblasts Shytomyr

Peter Tillack und Olena Dolud, Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa, Halle/Saale

1 Einleitung Seit der Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung am 16.7.1990 und des

Gesetzes über die Unabhängigkeit der Ukraine am 24.8.1991 durch das ukrainische Parlament befindet sich die Ukraine auf dem Weg in die Marktwirtschaft. Allerdings verläuft dieser Transformationsprozeß im Vergleich zu vielen anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sehr schleppend. Seit 1990 steckt die ukrainische Wirtschaft in einer schweren Krise, und es sind kaum positive Veränderungen zu beobachten.

Wegen seines hohen Anteils am Bruttosozialprodukt und seiner Funktion für den Arbeitsmarkt im ländlichen Raum ist der Agrarsektor von erheblicher Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität des Landes. Aufgrund der hohen Bodenfruchtbarkeit (die Ukraine verfügt über ca. 40% sämtlicher Schwarzerdevorräte der Welt), der natürlichen Bedingungen und der geographischen Lage hat die Ukraine komparative Vorteile für landwirtschaftliche Produktion. Trotz dieser Vorteile ist die wirtschaftliche Situation in der ukrainischen Landwirtschaft katastrophal. Nach Mitteilungen von SABLUK (1998) waren im Jahre 1996 69% und im Jahre 1997 87% aller landwirtschaftlichen Betriebe des Landes unrentabel. Die gesamten Verluste der Landwirtschaft betrugen 1996 1,4 Mrd. Hryvnia. Die Kostenrentabilität (Gewinn in % der Kosten) belief sich in den beiden Jahren auf -12,4% und -24,5%. Im Vergleich zu 1990 ist das Volumen der landwirtschaftlichen Produktion bis 1997 um 41% gesunken.

Mit der folgenden Analyse der wirtschaftlichen Ergebnisse ausgewählter landwirtschaftlicher Unternehmen im Oblast Shytomyr wird versucht, das Ausmaß der krisenhaften Entwicklung zu verdeutlichen und gleichzeitig Wege zur Verbesserung der Situation aufzuzeigen.

2 Ziele, Material und Methode Im Rahmen eines Forschungsprojektes 'Privatisierung und Umstrukturierung

landwirtschaftlicher Unternehmen in der Ukraine, dargestellt am Beispiel des Bezirkes Shytomyr (DOLUD 1998) wurde von November 1997 bis Januar 1998 eine Befragung von Managern und Mitarbeitern landwirtschaftlicher Großbetriebe sowie von Farmern durchgeführt. Grundlage der Befragung bildeten drei von SCHULZE, TILLACK & EPSTEIN (1997) ausgearbeitete Fragebögen zur Analyse der wirtschaftlichen Situation und der Eigentumsverhältnisse in Großbetrieben, in privaten Hauswirtschaften der Mitarbeiter und in Bauernwirtschaften. Die Untersuchung zielt darauf ab, die Situation in den landwirtschaftlichen Unternehmen in der Ukraine darzustellen, die Ursachen für das Zustandekommen der Situation zu analysieren sowie die Haupteinflußgrößen zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln.

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Der Arbeit liegen Methoden der empirischen Sozialforschung zugrunde. Gegenstand der Untersuchung sind 25 landwirtschaftliche Großbetriebe im Oblast Shytomyr, die von der Agrarverwaltung des Oblast empfohlen wurden. Ursprünglich legte die Agrarverwaltung zwei Großbetriebe je Rayon fest, die analysiert werden sollten. Der Oblast Shytomyr umfaßt 23 Rayons, dementsprechend betrug die Anzahl der empfohlenen Betriebe 46. Da die finanziellen Mittel und die Untersuchungszeit begrenzt waren, wurden aus den 46 empfohlenen Betrieben 25 ausgewählt. Die Befragung umfaßte 17 Rayons. Folglich ist keine systematische Zufallsauswahl der Großbetriebe getroffen worden.

Mittels strukturierter und standardisierter Interviews mit 25 Managern landwirtschaftlicher Großbetriebe und 100 Mitarbeitern dieser Unternehmen (4 Mitarbeiter je Betrieb) wurden die wirtschaftliche Situation und die bereits eingeleiteten Umstrukturierungsmaßnahmen landwirtschaftlicher Unternehmen erfaßt. Die Mitarbeiter der Großbetriebe wurden entweder auf Empfehlung der Manager oder zufällig ausgewählt. Es wurden sowohl geschlossene Fragen mit einer Reihe von Antwortmöglichkeiten, aus denen die Befragten die für sie zutreffenden Alternativen auswählen mußten, als auch offene Fragen gestellt sowie eine einfache Ja-Nein-Dichotomie verwendet. Da die Fragen schriftlich vorgelegt, anschließend in einem ausführlichen Gespräch den Respondenten erklärt und die Antworten in den Fragebögen eingetragen sowie einige Betriebsdaten von der Interviewerin selbständig aus den Jahresberichten der untersuchten Betriebe erfaßt wurden, sind die erhaltenen Daten als relativ zuverlässig einzustufen. Auf diese Weise konnte außerdem ein vollständiger Rücklauf der Fragebögen gewährleistet werden. Was die Repräsentativität betrifft, ist es schwer zu beurteilen, ob die 25 untersuchten Betriebe für die 664 großen Landwirtschaftsbetriebe im Oblast Shytomyr mit einem Auswahlsatz von 3,8% repräsentativ sind. Die Anzahl erscheint aber als ausreichend, um eine Tendenz für den Oblast zu erkennen.

Der Fragebogen für den Manager besteht aus 65 Fragen und 21 Seiten und ist in vier Sektionen unterteilt:

1. Produktionsgrundlagen und Produktionsergebnisse,

2. Finanzen des Unternehmens,

3. Organisation und Rechtsform des Unternehmens, und

4. Eigentumsverhältnisse.

In diesem Beitrag werden die Befragungsergebnisse über Produktionskennzahlen, Ressourcen und finanzielle Ergebnisse aus dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte dargestellt. Einige Kennzahlen sind aus den vorhandenen Daten selbständig berechnet worden.

3 Informationen zum Oblast Shytomyr Der Oblast Shytomyr liegt im nordwestlichen Teil der Ukraine in zwei

Vegetationszonen: der Waldzone (81%) und der Waldsteppenzone (19%). Das Fläche des Oblasts von 2.982.700 ha entspricht 5% der Fläche der Ukraine. Die landwirtschaftliche Fläche umfaßt 1.524.700 ha bzw. 51% der gesamten Bodenfläche (Stand 31.12.1996). Über 30% des Territoriums sind bewaldet. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt 550-660 mm.

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Zum Oblast Shytomyr gehören 23 Rayons, 9 Städte, 46 Siedlungen des Stadttyps und 579 Gemeinden (Stand 01.01.1997). 23% des Oblasts weisen Schäden durch die Katastrophe von Tschernobyl auf, weshalb die landwirtschaftliche Produktion in einigen Rayons eingeschränkt ist.

Im Oblast Shytomyr leben ca. 1,5 Mio. Einwohner mit einer Bevölkerungsdichte von 49 Einwohnern pro km2. Wie aus Tabelle 10-1 hervorgeht, ist tendenziell ein Bevölkerungsrückgang zu beobachten. Der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter betrug 1997 45,5%. Davon sind wiederum 48,7% in der Landwirtschaft beschäftigt.

Die landwirtschaftliche Produktion im Oblast Shytomyr ist in den letzten Jahren stark gesunken. So betrug die Bruttoproduktion der Landwirtschaft im Jahre 1996 nur noch 65,4% des Niveaus von 1990. Der Rückgang fiel in der Tierproduktion mit 42,3% deutlich stärker aus als in der Pflanzenproduktion mit 24,7%.1

Tabelle 10-1: Bevölkerungsentwicklung im Oblast Shytomyr 1992-97 in Tsd. Einwohner

1992 1993 1994 1995 1996 1997

Bevölkerung insgesamt 1495,9 1503,0 1498,1 1485,3 1472,8 1467,9

darunter im erwerbsfähigen Alter 789,3 792,7 791,0 785,8 780,7 774,4

Ländliche Bevölkerung 679,9 676,7 670,6 662,3 654,7 648,8

darunter im erwerbsfähigen Alter 313,9 310,7 307,3 303,1 299,5 295,0

darunter Beschäftigte in der LWS 179,9 178,2 176,6 155,2 150,7 143,8

Quelle: BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

Die Verteilung des Produktionsvolumens auf die einzelnen Unternehmensformen zeigt, daß 1991 50,3% der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion in den Kolchosen, 13,7% in den Sowchosen und 36% in den Hauswirtschaften erzeugt wurden (Abbildung 10-1). 1996 ist der Anteil der kollektiven landwirtschaftlichen Betriebe (ehemalige Kolchosen) an der Bruttoproduktion der Landwirtschaft auf 40,1% und der der Sowchosen auf 2% gesunken, während der Anteil der Hauswirtschaften auf 57,7% anstieg. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß die Hauswirtschaften gegenwärtig eine wichtige Rolle für die Landwirtschaft insgesamt und bei der Selbstversorgung der Bevölkerung spielen, wobei ihre Bedeutung mittelfristig wahrscheinlich noch zunehmen wird. Obwohl die von den Hauswirtschaften genutzte Ackerfläche von 116.000 auf 170.000 ha anstieg, werden von ihnen nur 14,3% der gesamten Ackerfläche direkt genutzt. Das Produktionsvolumen der Hauswirtschaften beruht zu einem erheblichen Teil auf Naturalentlohnung aus den Großbetrieben.

1 BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997)

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1691

Abbildung 10-1: Struktur der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion nach Rechtsformen 1991 und 1996 im Oblast Shytomyr

50,3%40,1%

13,7%

36,0%

2,0%

57,7%

0,20%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

1991 1996

Ant

eile

in P

roze

nt

Private Bauern

Hauswirtschaften

Sowchosen

Kolchosen/Kollektivbetriebe

Quelle: BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

Die wirtschaftliche Bedeutung der bäuerlichen Betriebe im Oblast ist gering. Ihr Anteil an der Bruttoproduktion betrug im Jahr 1996 nur 0,2% (Tabelle 10-2). Die durchschnittliche Betriebsfläche ist seit 1992 deutlich gestiegen, jedoch ist sie mit 19 ha kleiner als im Durchschnitt der Ukraine (25 ha).

Tabelle 10-2: Entwicklung der bäuerlichen Betriebe im Oblast Shytomyr 1992-1997

1992 1993 1994 1995 1996 1.1.97 1.10.97

Zahl der bäuerlichen Betriebe 26 150 245 291 310 329 354

Landwirtschaftliche Fläche, ha 197 2.936 4.705 5.316 5.948 6.221 6.722

darunter Ackerland, ha 137 2.685 4.176 4.815 5.400 5.739 6.124

Lws. Fläche pro Betrieb, ha 7,5 19,5 19,2 18,3 19,2 18,9 19,0

darunter Ackerland, ha 5,3 17,9 17,0 16,5 17,4 17,4 17,0

Quelle: BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

Von den 664 landwirtschaftlichen Großbetrieben im Oblast2 haben 633 Betriebe (95,3%) die staatlichen Urkunden über das kollektive Eigentumsrecht am Boden erhalten. In 548 Betrieben (86,6%) wurde die Aufteilung des Bodens durchgeführt, darunter wurden in 536 Betrieben Zertifikate über das Recht am Bodenanteil an die Mitglieder ausgegeben 2 Außer bäuerliche Betriebe.

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(Stand: 01.07.1997). Das Recht an einem Bodenanteil ist nicht gleichzusetzen mit dem Recht, über eine abgegrenzte Landfläche zu verfügen. Bisher hat nur eine Zuordnung von Anteilen, aber keine Verteilung von physischen Parzellen stattgefunden.

4 Wirtschaftliche Lage landwirtschaftlicher Unternehmen - Befragungsergebnisse

4.1 Rechtsform

Bevor auf die Struktur der Unternehmen nach Rechtsformen eingegangen wird, sollen diese kurz genannt werden.

Der kollektive landwirtschaftliche Betrieb (KLB) ist mit einer eingetragenen Genossenschaft in Deutschland zu vergleichen. Laut Gesetz der Ukraine 'Über den kollektiven landwirtschaftlichen Betrieb' vom 14.02.1992 ist der KLB eine freiwillige Bürgervereinigung, die sich zu einem selbständigen Unternehmen mit dem Ziel der gemeinsamen Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zusammenschließt. Der KLB ist eine juristische Person und funktioniert nach den Grundsätzen der Unternehmung und Selbstverwaltung. Die Mitglieder des KLB haften mit ihrem Vermögensanteil. Die Vollversammlung wählt den Vorstand, zu dem in der Regel die Hauptspezialisten des KLB gehören. Der Aufsichtsrat kontrolliert die finanzielle und wirtschaftliche Tätigkeit des Betriebes. Festangestellte Mitarbeiter sind meistens auch Mitglieder des KLB.3

Laut Artikel 13 des Gesetzes 'Über den kollektiven landwirtschaftlichen Betrieb' bestimmt der Betrieb selbständig Richtungen, Struktur und Volumen der landwirtschaftlichen Produktion und übt sonstige Tätigkeiten aus.4 Er hat weiterhin das Recht, mit industriellen Betrieben und Einrichtungen zu kooperieren, mit dem Ziel der Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, der Herstellung industrieller und sonstiger Waren sowie der Gewährung von sozialen und kommunalen Dienstleistungen für die Landbevölkerung. Die großen kollektiven landwirtschaftlichen Betriebe üben wie früher neben Produktivfunktionen zahlreiche Sozialfunktionen aus und sind somit polyfunktionelle Betriebe. Diese Sozialfunktionen sind keine festgeschriebenen Verpflichtungen für Großbetriebe, sondern sind eher aus der Tradition begründet und verbreitet. In die Untersuchung wurden 19 KLB einbezogen.

Laut Gesetz der Ukraine 'Über die wirtschaftlichen Gesellschaften' vom 19.09.1991 sind folgende Rechtsformen der wirtschaftlichen Gesellschaften in der Ukraine vorgesehen: Landwirtschaftliche geschlossene bzw. offene Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Gesellschaft mit erweiterter Haftung und die Kommanditgesellschaft.

Das Risiko der Beteiligten der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist relativ gering. Die Gesellschafter haften nur mit ihrer Einlage zum Stammkapital. Laut Gesetz

3 Zu Organisation und Führung der KLB siehe Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur

landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors. 4 In Kapitel 8: Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten werden? wurde aber

zumindest für die Milchproduktion deutlich, daß die KLB in der Praxis über Produktion und Vermarktung nicht selbständig entscheiden können.

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1711

'Über die wirtschaftlichen Gesellschaften' entspricht das Stammkapital der GmbH in der Ukraine einem Äquivalent von 625 minimalen Arbeitslöhnen. Die Gesellschafterversammlung wählt die Direktion (bzw. den Direktor), der (dem) die Vertretung der GmbH obliegt. Der Aufsichtsrat kontrolliert die finanzielle und wirtschaftliche Tätigkeit. Die Nutzung des Bodens erfolgt durch Abschluß von Pachtverträgen mit den Inhabern der Bodenanteile. Die Arbeitsverhältnisse werden im Unterschied zum KLB durch einen Arbeitsvertrag mit der GmbH definiert. Am 01.07.1997 waren im Oblast Shytomyr 13 GmbH registriert, davon wurden 3 GmbH in die Untersuchung einbezogen.

In den letzten Jahren wurde in der Ukraine der Begriff Agrarfirma eingeführt. Dieser Begriff wurde als Element des Namens von Kolchosen verwendet, die sich mit landwirtschaftlicher Produktion, Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, Produktion von Nahrungsmitteln und Absatz der Produkte in eigenen Geschäften, Gaststätten usw. beschäftigen. Bei den 3 untersuchten Agrarfirmen im Oblast Shytomyr handelt es sich um KLB, die sich als Agrarfirmen bezeichnen.

4.2 Flächenstruktur

Die Betriebs- und Ackerfläche der untersuchten Betriebe ist in Anhang 10-1 dargestellt. Die durchschnittliche Betriebsfläche der Unternehmen beträgt 2504 ha und ist damit etwas geringer als der Landesdurchschnitt.5 Die durchschnittliche Ackerfläche der untersuchten Unternehmen beläuft sich auf 1.882 ha.

Tabelle 10-3: Flächenstruktur der untersuchten Betriebe im Oblast Shytomyr und in der Ukraine in %

1990 1996

Acker-land

Grün-land Wald Sonst. Acker-land

Grün-land Wald Sonst.

Ukraine 69,4 14,6 k.A. k.A. 70,3 14,5 k.A. k.A.

Stichprobe

x 71,1 11,3 5,0 12,6 75,1 11,4 6,0 7,5

Max 86,4 31,4 13,8 24,8 91,5 33,2 18,1 16,5

Min 31,1 1,7 0,0 2,6 32,2 0,5 0,2 1,1

VK 0,16 0,58 0,78 0,46 0,16 0,68 0,83 0,51 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung und STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997).

Im Vergleich zu 1990 ist die Betriebsfläche durchschnittlich um 15% und die Ackerfläche um 9% gesunken. Die wichtigsten Ursachen dafür sind die Teilung großer Unternehmen sowie die Zuordnung landwirtschaftlicher Flächen der Betriebe zum Reservefonds für die weitere Umverteilung und zweckgebundene Verwendung des Bodens

5 Die Betriebsfläche der nicht-staatlichen landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine beträgt nach

Mitteilungen des Staatlichen Komitees für Landressourcen durchschnittlich ca. 3100 ha.

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172

(z.B. für die Übergabe des Bodens in privates Eigentum mit dem Ziel der Gründung eines bäuerlichen Betriebes).6

Tabelle 10-3 zeigt die Flächenstruktur der untersuchten Betriebe. Der Anteil der Ackerfläche hat 1996 (75,1%) im Vergleich zu 1990 (71,1%) zugenommen. Der durchschnittliche Anteil sonstiger Fläche der untersuchten Betriebe ist zwischen 1990 und 1996 von 12,6% auf 7,5% gesunken. Zu den sonstigen Flächen gehören Gärten, Dauerkulturen, Gewässer u.a. Diese Veränderung in der Flächenstruktur der Betriebe ist vermutlich mit der Reduzierung der Bodenfläche in Zusammenhang mit der Schaffung eines Fonds zur Bodenneuordnung verbunden, da die Betriebe in der Regel vorwiegend ihre sonstigen Fläche reduziert haben, wodurch der Ackeranteil an der gesamten Fläche anstieg. Der Anteil von Grünland hat sich im Durchschnitt nicht verändert, jedoch streuen die einzelnen Werte stark um den Mittelwert.

4.3 Arbeitskräfte und Arbeitslöhne

Die Anzahl der Arbeitskräfte ist in allen untersuchten Betrieben sehr hoch. Der Arbeitskräftebesatz je 100 ha Fläche betrug durchschnittlich 10,8 AK/ha im Jahr 1990 bzw. 10,2 AK/100 ha für 1996 und hat sich damit kaum verändert. Die Streuung der einzelnen Beobachtungswerte um die jeweiligen Mittelwerte ist relativ gering, d.h. diese Mittelwerte sind typisch für die Gesamtreihe. Gleichzeitig nahmen die Zahl der Beschäftigten in Leitung und Verwaltung sowohl relativ (von 11,2% auf 12,8%) als auch absolut (von 1,2 auf 1,3 je 100 ha) zu. Diese Tatsache bestätigt, daß die Betriebe kaum irgendwelchen Strukturveränderungen unterworfen wurden.

Tabelle 10-4: Arbeitskräfte der untersuchten Betriebe

AK/100 ha 1990

dar. Beschäftigte in Leitung

und Verwaltung/ 100 ha 1990

Anteil der Beschäftigten

in Leitung und

Verwaltung

AK/100 ha 1996

Dar. Beschäftigte in Leitung

und Verwaltung/ 100 ha 1996

Anteil der Beschäftigten

in Leitung und

Verwaltung

x 10,8 1,2 11,2 10,2 1,3 12,8

Max 15,5 1,9 21,8 16,8 2,0 22,2

Min 6,3 0,2 3,4 5,9 0,2 3,0

VK 0,27 0,33 0,38 0,28 0,39 0,37 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

In Tabelle 10-5 sind die Arbeitslöhne der Mitarbeiter dargestellt. Der Arbeitslohn eines Managers beträgt im Durchschnitt 152 Hryvnia. Jedoch variieren die einzelnen Werte dieser Stichprobe relativ stark um den Mittelwert. Rund 68% der Arbeitslöhne der Manager

6 Seit 1992 ist es den Dorfsowjets erlaubt, auf ihrem Territorium einen Bodenreservefonds von bis

zu 15% aller landwirtschaftlichen Nutzfläche zu bilden. Der Reservefonds befindet sich im Staatseigentum.

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1731

liegen im Bereich von 93 bis 211 Hryvnia. Allerdings ist die Streuung der beobachteten Arbeitslöhne von Traktoristen um den Stichprobenmittelwert mit 110 Hryvnia am größten. Relativ gering ist die Streuung der Arbeitslöhne des Dienstpersonals um den Mittelwert von 52 Hryvnia, d.h. er ist relativ typisch für die Gesamtreihe.7 Aus Tabelle 10-5 geht auch hervor, daß die Arbeitslöhne des Dienstpersonals, der Autofahrer und der sonstigen Mitarbeiter der Tierproduktion im Vergleich zum Arbeitslohn des Managers relativ niedrig sind. Die Arbeitslöhne von Traktoristen sind dagegen in einigen Betrieben fast zweimal so hoch wie die der Manager; der Mittelwert dieser Stichprobe liegt bei 77,6%. Die relativ hohen Löhne der Traktoristen sind damit zu erklären, daß diese während der Erntezeit einen großen Umfang an Überstunden leisten. Der durchschnittliche Wert des Arbeitslohnes der Melkerinnen in Relation zu dem der Manager beträgt 59,1% bei einer Differenzierung zwischen 19,4% und 101,1%. Wesentlich geringer ist der Streuung der Arbeitslöhne der sog. Hauptspezialisten.

Tabelle 10-5: Monatliche Arbeitslöhne in den untersuchten Betrieben Ende 1996, in Hryvnia und in % des Arbeitslohns der Manager (Durchschnitt aller Betriebe in Klammern)

Manager Hauptspe-

zialisten

Spezialisten der mittleren

Ebene

Dienst-personal

Trakto-risten

Auto-fahrer

Melke-rinnen

sonstige Arbeiter der Tierprodukti

on

x 152 107 75 52 110 68 83 66 (100) (72,6) (51,7) (36,9) (77,6) (48,5) (59,1) (46,7)

Max 284 200 150 75 220 121 140 120 (100) (87,5) (70,0) (51,3) (194,7) (75,0) (101,1) (85,0)

Min 42 29 20 32 11 22 33 28 (100) (33,1) (21,1) (12,3) (11,7) (14,1) (19,4) (15,8)

VK 0,39 0,36 0,35 0,27 0,49 0,35 0,35 0,38 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

Bei der Beurteilung der Höhe der Arbeitslöhne ist zu berücksichtigen, daß diese für einige Beschäftigungsgruppen unterhalb der Armutsgrenze liegen. Laut Erlaß des ukrainischen Parlaments betrug die Armutsgrenze ('Grenze der unteren Versorgung') zum 1.01.1997 70,9 Hryvnia (ab 1.01.1999 90,7 Hryvnia).

Insgesamt läßt die Analyse des Einkommens erkennen, daß in einem großen Teil der Betriebe die aus dem Arbeitsverhältnis stammende Entlohnung nicht für den Lebensunterhalt ausreicht. Das Problem der Menschen auf dem Lande sind aber nicht nur die niedrigen Löhne, sondern häufig werden diese mit einer wesentlichen Verspätung (bis zu einem Jahr und mehr)

7 In der Ukraine betrug der durchschnittliche Arbeitslohn in der Landwirtschaft im Jahr 1996 67

Hryvnia und im Oblast Shytomyr 66 Hryvnia (UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK 1997).

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174

bzw. überhaupt nicht ausgezahlt. Die Menschen arbeiten ohne materielle Motivation, aus Gewohnheit und aus der Angst vor Arbeitslosigkeit. Deshalb spielen die Hauswirtschaften zur Zeit in der Ukraine eine große Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung. In den untersuchten Betrieben wurden 100 Mitarbeiter (4 Mitarbeiter je Betrieb) über das Einkommen aus der Hauswirtschaft befragt. Die Befragungsergebnisse sind in Abbildung 10-2 dargestellt. Bei 24% der Befragten beträgt das Einkommen (einschließlich bewerteter Eigenverbrauch) aus der Hauswirtschaft 50-75% des gesamten Einkommens, und bei 13% liegt er sogar über 75%.

Abbildung 10-2: Anteil des Einkommens aus der Hauswirtschaft am Gesamteinkommen der befragten Mitarbeiter großer Landwirtschaftsbetriebe

26%

37%

24%

13%

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

bis 25% 25-50% 50-75% mehr als 75%

Anteil des Einkommens aus der Hauswirtschaft am Gesamteinkommen

Ant

eil d

er B

efra

gten

Quelle: Eigene Erhebung.

Im Sommer sind die befragten Personen durchschnittlich 7,6 Stunden pro Tag, darunter bei Frauen 8,1 und Männern 7 Stunden, in ihren Nebenwirtschaften beschäftigt. Im Winter beträgt die Arbeitszeit durchschnittlich 4,8 Stunden pro Tag, darunter bei Frauen 5 und Männern 4,5 Stunden. Aus diesen Angaben ist zugleich abzuleiten, daß die im Großbetrieb geleisteten Stunden in vielen Fällen unter 8 Stunden täglicher Arbeitszeit liegen dürften. Die Fläche der Hauswirtschaft schwankt zwischen 0,15 und 2,3 ha und beträgt durchschnittlich 0,75 ha, darunter 0,45 ha bewirtschaftete Ackerfläche. Es werden Kartoffeln, Weizen, Gerste, Hafer, Mais, Gemüse und Obst angebaut. 87% der Befragten halten in ihren Nebenwirtschaften Kühe (in Durchschnitt 1,3 Stück), und 85% halten Schweine (2,5 Stück). In 92% der Nebenwirtschaften gibt es Geflügel (24 Stück), in 30% Kaninchen (10,1 Stück) und in 17% Pferde (1,5 Pferde). 47% der Befragten möchten ihre Nebenwirtschaft vergrößern. Die Befragten verkaufen die erzeugten landwirtschaftlichen Produkte zumeist auf Märkten ('Basar' - 55% der Befragten) und direkt an private Abnehmer (59%). An staatliche

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1751

Ankaufsorganisationen verkaufen nur 10% der Befragten ihre Produkte, an kommerzielle Organisationen und Erfassungsstellen 7% und an Verbraucherkooperationen 4%.

Die meisten Befragten schätzen, daß sich ihre materielle Lage in den letzten 5 Jahren etwas (40%) bzw. wesentlich (31%) verschlechtert hat, und nur 9% geben an, daß sich die materielle Lage etwas verbessert hat (Abbildung 10-3).

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176

Abbildung 10-3: Meinungen der Befragten über die Änderung ihrer materiellen Lage in den letzten 5 Jahren

9%

16%

40%

31%

4%

0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45%

hat sich etwasverbessert

ist auf gleichem Niveau

hat sich etwasverschlechtert

hat sich wesentlichverschlechtert

schwer zu beantworten

Anteil der Befragten

Quelle: Eigene Erhebung.

Abbildung 10-4: Meinungen der Befragten über die Änderung ihrer materiellen Lage in den nächsten 2-3 Jahren

4%

34%

18%

6%

13%

25%

0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%

wird sich wesentlichverbessern

wird sich etwasverbessern

wird auf gleichemNiveau bleiben

wird sich etwasverschlechtern

wird sich wesentlichverschlechtern

schwer zu beantworten

Anteile der Befragten

Quelle: Eigene Erhebung.

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1771

Trotz der allgemeinen Verschlechterung der materiellen Lage hoffen die meisten befragten Personen auf eine Besserung (38%). 18% erwarten keine Veränderung, 6% erwarten eine geringe und 13% eine wesentliche Verschlechterung ihrer materiellen Lage (Abbildung 10-4).

4.4 Anbauflächen und Erträge

In Tabelle 10-6 ist die Anbaufläche der landwirtschaftlichen Kulturen im absoluten Umfang dargestellt, die Tabellen 10-7 und 10-8 informieren über das Ackerflächenverhältnis. In allen untersuchten Betrieben wird Getreide, vorwiegend Weizen, Gerste, Roggen und Hafer angebaut. Im Vergleich zu 1990 nahm der Anbau von Buchweizen in einigen Betrieben zu. Außerdem wurde 1996 in 3 Betrieben Hirse auf Flächen mit einer Größe von 5 bis 10 ha produziert.

Tabelle 10-6: Anbaufläche landwirtschaftlicher Kulturen in den untersuchten Betrieben 1996 in ha je Betrieb

Getreide &

Hülsenfrüchte

Lein Kartoffeln Zuckerrüben

Feld-gemüse

Futterhack-früchte

Silomais Feldfutter-pflanzen

1990 1996 1990 1996 1990 1996 1990 1996 1990 1996 1990 1996 1990 1996 1990 1996

Anzahl Betriebe

25 25 12 9 24 22 10 16 19 11 22 20 21 20 23 24

x 848 751 135 58 101 28 263 128 17 5 38 33 244 147 551 670

Max 2288 2041 410 106 420 82 590 300 56 25 100 84 710 390 1616 1717

Min 390 193 40 20 12 1 160 5 3 1 15 8 100 11 115 88

VK 0,50 0,50 0,73 0,66 0,97 0,86 0,48 0,75 0,77 1,40 0,50 0,64 0,64 0,68 0,64 0,51Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

Tendenziell fällt in beiden Stichproben der Rückgang des Getreideanteils an der Ackerfläche (Tabellen 10-7 und 10-8) auf, wobei in Shytomyr deutlich geringere Anteile mit Getreide bestellt werden als im Durchschnitt der Ukraine. Die relativ hohen Variationskoeffizienten der einzelnen Getreidearten lassen ebenso wie die großen Schwankungsbreiten der Extremwerte erkennen, daß eine ‘typische’ Struktur des Getreidebaues für das Gebiet Shytomyr offenbar nicht besteht.

Die Anzahl der Betriebe mit Zuckerrübenproduktion ist von 10 auf 16 gestiegen. Daraus erklärt sich die im Jahr 1996 weit über dem Landesdurchschnitt liegende Erhöhung des Anteils der Zuckerrübenfläche an der Ackerfläche. Dagegen stellten 8 Betriebe den Anbau von Feldgemüse ein. In den verbliebenen Betrieben ging die Feldgemüsefläche stark zurück und betrug 1996 im Durchschnitt nur 5 ha pro Betrieb, jedoch mit einer großen Spannweite (24 ha) und einer hohen Variation einzelner Werte um den Mittelwert.

In der Stichprobe fällt der starke Rückgang des Kartoffelanbaus auf. 1996 betrug die durchschnittliche Kartoffelanbaufläche in den untersuchten Betrieben 28 ha (gegenüber 101 ha 1990). Allerdings charakterisiert dieser Mittelwert die Grundgesamtheit nicht genau, weil

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178

der Variationskoeffizient mit einer Größe von 0,857 sehr hoch ist. Während der Anteil des Kartoffelanbaues an der Ackerfläche in der Ukraine von 1990 bis 1996 leicht anstieg, wurde er in den Betrieben der Stichprobe auf weniger als ein Drittel reduziert. Diese Verschiebung ist Ausdruck der Verlagerung der Kartoffelproduktion aus den Großbetrieben in die Hauswirtschaften. Im Jahr 1996 wurden in der Ukraine 96% der Kartoffeln in den Hauswirtschaften produziert (STATISTISCHES JAHRBUCH GUS 1997).

Widersprüchlich erscheint die Ausdehnung der Anbaufläche für ein- und mehrjährige Futterpflanzen bei gleichzeitiger Reduzierung der Maisanbaufläche. In fast allen Betrieben werden ein- und mehrjährige Feldfutterpflanzen angebaut, und ihre durchschnittliche Fläche pro Betrieb ist von 551 ha im Jahr 1990 auf 670 ha im Jahr 1996 gestiegen (obwohl die Tierbestände zurückgingen). Ein Erklärungsansatz für diese Erscheinung könnte darin bestehen, daß diese Futterpflanzen geringere Faktoransprüche als Mais stellen und die Betriebe auf diese Weise auf Faktorknappheiten reagieren. Die Betriebe versuchen, mehr Futter zu produzieren, um einen Zukauf von Futtermitteln aufgrund der hohen Preise zu vermeiden.

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1791

Tabelle 10-7: Anteile landwirtschaftlicher Kulturen an der gesamten Ackerfläche in den untersuchten Betrieben 1990 und in der Ukraine (1991) in %8

Rog-gen

Wei-zen

Gerste Hafer Mais Hülsen-früchte

Getreide &

Hülsen-früchte

Kartof-feln

Zucker-rüben

Lein Futter-hack-früchte

Silo-mais

Feldfutterpflan

zen

Ukraine 1,5 21,9 10,0 1,6 4,6 4,3 45,8 4,8 4,9 k.A. 36,1

Stichprobe

x 7,0 18,4 9,6 2,8 0,3 2,6 41,0 4,4 5,2 3,0 1,7 9,7 25,0

Max 31,7 35,7 25,2 13,7 3,8 8,3 52,5 11,8 18,0 10,6 3,6 21,6 44,2

Min 0 0 0 0 0 0 32,4 0 0 0 0 0 0

VK 1,33 0,44 0,66 1,21 3,00 0,96 0,20 0,71 1,29 1,27 0,59 0,58 0,44Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung sowie STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997).

Tabelle 10-8: Anteile landwirtschaftlicher Kulturen an der gesamten Ackerfläche in den untersuchten Betrieben und in der Ukraine 1996 in %

Rog-gen

Wei-zen

Gerste Hafer Mais Hülsen-früchte

Getreide &

Hülsen-früchte

Kartof-feln

Zucker-rüben

Lein Futter-hack-früchte

Silo-mais

Feldfutterpflan

zen

Ukraine 2,1 20,6 12,2 1,7 2,3 2,9 44,1 5,1 4,5 k.A. 36,7

Stichprobe

x 7,2 18,2 9,5 3,4 0,3 1,6 40,2 1,5 7,4 1,2 1,3 6,2 37,8

Max 36,5 31,6 21,2 20,0 5,0 6,5 51,6 5,2 15,7 7,5 4,3 16,0 68,0

Min 0 0 0 0 0 0 26,2 0,1 0,5 0 0 0 4,8

VK 1,36 0,47 0,59 1,44 3,33 1,13 0,18 0,87 0,70 1,83 0,77 0,82 0,35Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung sowie STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997).

In Tabelle 10-9 sind die durchschnittlichen Hektarerträge der landwirtschaftlichen Kulturen in den untersuchten Betrieben, im Oblast Shytomyr und in der Ukraine insgesamt dargestellt. Aus dieser Tabelle geht hervor, daß die Erträge von Getreide und Zuckerrüben in den 25 untersuchten Betrieben im Durchschnitt höher als im Oblast Shytomyr und in der Ukraine waren. Wesentlich geringer war dagegen der durchschnittliche Kartoffelertrag in den Betrieben der Stichprobe mit 109,2 dt/ha - eine mögliche Erklärung für die starke Reduzierung der Kartoffelanbaufläche.

8 Da in den Tabellen 10-8 und 10-9 nicht alle landwirtschaftlichen Kulturen erfaßt sind, ergibt die

Summe der Anteile in der Struktur nicht 100%.

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180

Tabelle 10-9: Erträge landwirtschaftlicher Kulturen 1996 in den untersuchten Betrieben im Oblast Shytomyr und in der Ukraine, dt/ha und Erträge 1996 in % zu 1990

Roggen Weizen Gerste Hülsen-früchte

Kartoffeln Zucker-rüben

Futter-hack-

früchte

Silomais

dt/ha % dt/ha % dt/ha % dt/ha % dt/ha % dt/ha % dt/ha % dt/ha %

Shytomyr 13,5 71 21,7 75 19,7 61 15,4 75 150 138 215 83 k.A. k.A. k.A. k.A.

Ukraine 17,4 72 23,0 57 16,7 50 13,4 59 119 102 181 66 k.A. k.A. k.A. k.A.

Stichprobe

x 17,3 76 25,3 77 20,9 72 16,0 67 109 104 251 101 273 62 197 80

Max 30,5 145 55,2 152 42,2 117 28,4 180 233 395 364 132 592 181 457 194

Min 5,9 23 5,6 21 4,4 16 4,1 0 20,1 0 153 74 100 0 88,1 0

VK 0,37 0,45 0,49 0,48 0,47 0,40 0,44 0,72 0,43 0,84 0,26 0,21 0,46 0,71 0,45 0,51Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung; STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997); BEHÖRDE FÜR

STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

Abbildung 10-5: Getreideerträge in den untersuchten Betrieben

0

10

20

30

40

50

60

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Betriebe

dt/h

a

1996

1990

Quelle: Eigene Erhebung.

In den Abbildungen 10-5 bis 10-7 sind die Erträge landwirtschaftlicher Kulturen in den 25 untersuchten Betrieben dargestellt. Wie die Abbildung 10-5 zeigt, sind die Getreideerträge in allen Betrieben außer Betrieb Nr. 1 und 7 im Vergleich zum Jahr 1990

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1811

stark gesunken bzw. unverändert geblieben. Im Jahre 1996 liegen ca. 68% der Werte in den Betrieben dieser Stichprobe in einem Intervall zwischen 13,5 dt/ha und 33,1 dt/ha.

Abbildung 10-6 zeigt die Kartoffelerträge der untersuchten Betriebe. Bei einem durchschnittlichen Kartoffelertrag 1996 von 109,1 dt/ha streuen die Einzelwerte relativ stark um den Mittelwert. Die große Schwankungsbreite der Kartoffelerträge läßt den Schluß zu, daß bei dieser Kultur die niedrigen Erträge sehr stark auf individuelle Gegebenheiten, vor allem hinsichtlich der Einhaltung anbautechnischer Normen, zurückzuführen sind.

Abbildung 10-6: Kartoffelerträge in den untersuchten Betrieben

0

50

100

150

200

250

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Betriebe

dt/h

a

1996

1990

Quelle: Eigene Erhebung.

Wie aus der Abbildung 10-7 hervorgeht, ist der Zuckerrübenertrag (bei Reduzierung in 6 Betrieben), im Durchschnitt auf dem Niveau von 1990 geblieben (vgl. Tabelle 10-9). Es wurden deutlich höhere Erträge als im Oblast Shytomyr und in der Ukraine insgesamt erreicht. Die Streuung der einzelnen Werte um den Mittelwert von 250,7 dt/ha im Jahr 1996 ist relativ gering.

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182

Abbildung 10-7: Erträge von Zuckerrüben in den untersuchten Betrieben

0

50

100

150

200

250

300

350

400

450

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Betriebe

dt/h

a

1996 Ertrдge1990

Quelle: Eigene Erhebung.

4.5 Tierbestände und Produktionskennzahlen der Tierproduktion In Tabelle 10-10 ist die relative Entwicklung der Tierbestände in den Betrieben der

Stichprobe, im Oblast Shytomyr und in der Ukraine insgesamt für das Jahr 1996 gegenüber 1990 dargestellt. Sie verdeutlicht den starken Rückgang der Bestände bei fast allen Tierarten gegenüber 1990 sowohl in den Betrieben der Stichprobe als auch im Oblast Shytomyr und in der Ukraine insgesamt. Lediglich die Kuhbestände im Oblast Shytomyr und die Schweinebestände in den Betrieben der Stichprobe überstiegen geringfügig das Ausgangsniveau. Besonders stark sind die Bestände von Schafen in den untersuchten Betrieben gesunken, da 8 von 10 Betrieben die Schafe abgeschafft haben. 23 Betriebe halten Pferde zur Verrichtung von landwirtschaftlichen Arbeiten, in einigen Betrieben ist ihre Anzahl sogar gestiegen. Aufgrund der geringen Streuung ist der Rückgang des Mittelwertes auf 90,2% relativ typisch für die Gesamtreihe der Werte. Unter den Bedingungen der mangelnden Versorgung mit Technik und angesichts des zunehmenden Verschleißes der vorhandenen Maschinen spielen Pferde eine wichtige Rolle bei der Durchführung verschiedener Feld- und Transportarbeiten.

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1831

Tabelle 10-10: Relative Entwicklung der Tierbestände in den untersuchten Betrieben im Oblast Shytomyr und in der Ukraine im Jahr 1996 gegenüber 1990 in %

Rinder insg.

Milch-kühe

Sauen Schweine insg.

Schafe Pferde Geflügel Bienen

Oblast Shytomyr 76,3 100,9 k.A. 92,9 31,9 k.A. 81,8 k.A.

Ukraine 69,7 88,6 k.A. 65,7 48,0 k.A. 59,0 k.A.

Stichprobe

Anzahl Betriebe 25 25 20 20 10 23 2 18

x 82,0 95,2 90,1 103,1 11,1 90,2 94,2 63,9

Min 44,6 45,7 46,7 39,6 0,0 40,8 88,3 0,0

Max 121,1 113,8 160,0 193,0 89,7 175,0 100,0 116,7

VK 0,20 0,17 0,33 0,46 2,51 0,29 0,09 0,60 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung; STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997); BEHÖRDE FÜR

STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

Tabelle 10-11 zeigt die Veränderung des Produktionsvolumens der Tierproduktion in den untersuchten Betrieben, im Oblast Shytomyr und in der Ukraine. Die Rind- und Schweinefleischproduktion ist von 1990 bis 1996 in der Ukraine fast um die Hälfte und die Wollproduktion um zwei Drittel gesunken. Die Milch- und Rindfleischproduktion der Betriebe dieser Stichprobe ist fast im gleichen Maß zurückgegangen wie im Oblast Shytomyr und in der Ukraine insgesamt. Nicht so stark wie in der Ukraine ist die Reduzierung der Schweineproduktion in den untersuchten Betrieben ausgeprägt (durchschnittlich nur um 17,1%), allerdings streuen die Einzelwerte sehr stark um den Mittelwert. Eine drastische Senkung der Produktion von Schaffleisch und Wolle ist aufgrund der Verminderung der Schafbestände in den untersuchten Betrieben zu beobachten. Der Produktionsrückgang bei Tierprodukten läßt sich sowohl auf den Bestandsabbau als auch auf die Reduzierung der Erträge je Tier zurückzuführen.

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184

Tabelle 10-11: Produktionskennzahlen der Tierproduktion im Jahr 1996 gegenüber 1990 in %

Milch Rindfleisch Schweinefleisch

Schaffleisch Wolle

Oblast Shytomyr 73,6 49,2 16,1

Ukraine 64,6 52,8 50,1 69,6 31,2

Stichprobe

x 68,4 56,5 82,9 14,3 10,3

Max 111,3 142,7 257,1 117,9 66,7

Min 42,6 15,6 3,5 0,0 0,0

VK 0,25 0,56 0,92 2,73 2,21 Hinweis: VK = Variationskoeffizient; * Fleisch aller Arten Quelle: Eigene Erhebung; STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997); BEHÖRDE FÜR

STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR (1997).

In Tab. 10-12 und Abbildung 10-8 ist die jährliche Milchleistung in den untersuchten Betrieben dargestellt. Der jährliche Milchertrag betrug 1996 im Durchschnitt 2.029 kg je Kuh und war damit um 28% niedriger als im Jahr 1990. Die Einzelwerte streuen nicht stark um den Mittelwert; 68% aller Werte 1996 lagen im Intervall von 1.417 kg bis 2.641 kg.

Tabelle 10-12: Jährliche Milchleistung in den untersuchten Betrieben in kg je Kuh

Mittelwert Standard-abweichung

Minimum Maximum VK

1990 2.805 696 1.094 4.192 0,25

1996 2.029 612 1.047 3.500 0,30 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

Eine der wichtigsten Ursachen der Senkung der Milchleistung ist die schlechte Versorgung der Kühe mit Futtermitteln.9 Der Futtereinsatz je GVE betrug 1996 28,96 dt Haferfuttereinheiten. Er war somit 15% niedriger als 1990, wodurch zwangsläufig der spezifische Futteraufwand je Erzeugniseinheit anstieg. Statistische Angaben für den Oblast insgesamt beziffern die Veränderung des spezifischen Futteraufwandes je dt Milch und je dt Zuwachs bei Rind und Schwein auf 11%, 37% bzw. 30% (BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR 1997). Eine nachträgliche Kalkulation ergab, daß die zwischen der Verschlechterung der Futterversorgung (-15%) und dem Ertragsrückgang je Kuh (-28%) bestehende Relation weitgehend den biologischen Normen entspricht und damit realistisch erscheint. Die Reduzierung der Futtermenge je Tier sowie die Verschlechterung der

9 Detaillierte Angaben über Ausmaß und Ursachen des Produktionsrückgangs in der ukrainischen

Milchproduktion werden in Kapitel 8: Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten werden? präsentiert.

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1851

Futterqualität und der hygienischen Bedingungen sind die wesentlichen produktionstechnischen Ursachen für den Rückgang der Naturalerträge in der Tierproduktion.

Abbildung 10-8: Jährliche Milchleistung in den untersuchten Betrieben

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

3500

4000

4500

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Betriebe

kg je

Kuh

19961990

Quelle: Eigene Erhebung.

4.6 Finanzielle Ergebnisse aus dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte Angaben über das wirtschaftliche Ergebnis der Betriebe der Stichprobe sind in den

Tabellen 10-13 und 10-14 enthalten. Daten für die einzelnen Betriebe sind in den Abbildungen 10-9 bis 10-12 dargestellt. Der Verkauf von industriellen Erzeugnissen sowie die Gewährung verschiedener Dienstleistungen durch die Betriebe dieser Stichprobe wird nicht einbezogen. Aufgrund der Inflation und der Währungsumstellung 1996 sind die Angaben aus den Jahren 1990 und 1996 nicht direkt miteinander vergleichbar. Ungeachtet dessen vermitteln sie Informationen über die Struktur des Absatzes aus Tier- und Pflanzenproduktion und dessen Veränderung. Aus der Gegenüberstellung der berechneten statistischen Kennzahlen geht darüber hinaus deutlich die Zunahme der Differenziertheit des wirtschaftlichen Ergebnisses zwischen den Betrieben im betrachteten Zeitraum hervor.

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186

Tabelle 10-13: Finanzielle Ergebnisse aus dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte in den untersuchten Betrieben im Jahr 1990 in Tsd. Karbowanez

Absatz von Pflanzenproduktion

Absatz von Tierproduktion Absatz von Pflanzen- und Tierproduktion insg.

Erlöse insg.

Erlöse Kosten Gewinn Erlöse Kosten Gewinn Erlöse Kosten Gewinn

x 728 511 217 1.457 1.134 323 2.185 1.645 540 2.332

Max 1.462 1.252 766 2.636 1.965 673 3.833 2.873 1.335 4.096

Min 269 147 2 681 529 5 1.039 676 7 1.093

VK 0,52 0,58 0,87 0,41 0,43 0,66 0,39 0,42 0,62 0,37Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

Im Durchschnitt wurden 1990 33% der gesamten Erlöse und 40% des gesamten Gewinns aus dem Absatz der Pflanzenproduktion bei einem Anteil von 31% an den Kosten der landwirtschaftlichen Produkte erzielt. Insgesamt lagen selbst die Minimalwerte des Gewinns sowohl in der Tier- als auch in der Pflanzenproduktion im positiven Bereich (siehe auch Abbildung 10-9). Der Anteil der Erlöse aus dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte am gesamten Umsatz in den Betrieben der Stichprobe betrug 1990 durchschnittlich 94%. Die Kennzahlen für 1996 lassen eine deutliche Verschiebung der Absatzstruktur zu Lasten der Tierproduktion erkennen, die sowohl beim Mittelwert als auch beim Maximum deutlich hinter der Pflanzenproduktion zurückbleibt, ohne daß die Kosten im gleichen Maße sinken. Auf diese Weise wird nur noch in einigen wenigen Unternehmen Tierproduktion mit Gewinn betrieben. Da sich auch die Wirtschaftlichkeit der Pflanzenproduktion verschlechterte, obwohl der Mittelwert des Gewinns noch im positiven Bereich liegt, schlägt das schlechte Ergebnis der Tierproduktion vollständig auf das Betriebsergebnis durch. Die zunehmende Unterschiede zwischen den einzelnen Betrieben wird aus der größeren Streuung der Einzelwerte 1996 um die jeweiligen Mittelwerte (Tabelle 10-14) ersichtlich.

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1871

Tabelle 10-14: Finanzielle Ergebnisse aus Absatz landwirtschaftlicher Produkte in den untersuchten Betrieben im Jahr 1996 in Tsd. Hryvnia

Absatz von Pflanzenproduktion

Absatz von Tierproduktion Absatz von Pflanzen- und Tierproduktion insg.

Erlöse insg.

Erlöse Kosten Gewinn Erlöse Kosten Gewinn Erlöse Kosten Gewinn

x 276 234 42 234 349 -115 511 583 -73 712

Max 957 678 279 524 967 11 1.297 1.290 143 1.997

Min 12 12 -105 69 69 -443 81 81 -525 85

VK 0,94 0,84 1,95 0,45 0,52 0,90 0,63 0,52 2,06 0,69 Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

Abbildung 10-9: Erlöse und Kosten der Pflanzenproduktion in den untersuchten Betrieben 1990

0

200

400

600

800

1000

1200

1400

1600

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25Betriebe

Tsd.

Kar

bow

anez

ErlцseKosten

Quelle: Eigene Erhebung (keine Angaben für Betriebe 5, 10, 14, 24 und 25).

Die entsprechende Tendenz ist in den Abbildungen 10 und 12 zu sehen. Außerdem ist der durchschnittliche Anteil der Erlöse aus dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte an den gesamten Betriebserlösen im Jahr 1996 auf 72% gesunken und lag damit wesentlich niedriger als 1990. Im Jahr 1996 überstiegen die Kosten der abgesetzten Pflanzenprodukte in 4 Betrieben die Erlöse, so daß diese Unternehmen keinen Gewinn aus der Pflanzenproduktion erzielten (Abbildung 10-10). In den übrigen Betrieben verblieb ausschließlich die Pflanzenproduktion als Quelle zur Erzielung von Gewinn und damit Existenzgrundlage der Betriebe.

Page 196: ‚Ein weites Feld: Die Transformation der Landwirtschaft in ... · ‚Ein weites Feld: Die Transformation der Landwirtschaft in der Ukraine‘ II ... Die Nachhaltigkeit solcher Beratungs-

188

Abbildung 10-10: Erlöse und Kosten der Pflanzenproduktion in den untersuchten Betrieben 1996

0

200

400

600

800

1000

1200

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25Betriebe

Tsd.

Hry

vnia

ErlцsKosten

Quelle: Eigene Erhebung (keine Angaben für Betriebe 4 und 6).

Abbildung 10-11: Erlöse und Kosten der Tierproduktion in den untersuchten Betrieben 1990

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25Betriebe

Tsd.

Kar

bow

anez

ErlцseKosten

Quelle: Eigene Erhebung (keine Angaben für Betriebe 5, 10, 14, 24 und 25).

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1891

Wie aus Abbildung 10-12 hervorgeht, führte der Absatz von tierischen Erzeugnissen 1996 in 87,0% der untersuchten Betriebe zu Verlusten. 1996 waren die Erlöse in fast allen untersuchten Betrieben geringer als die Kosten. Nur im Betrieb Nr. 15 überstiegen die Erlöse die Kosten, und in den Betrieben Nr. 16 und 21 wurden die Kosten von den Erlösen gerade gedeckt. Die ungünstige Relation zwischen Kosten und Erlösen der Tierproduktion wird hauptsächlich durch die außerordentlich niedrigen Naturalerträge verursacht (siehe Abschnitt 4.5). Darüber hinaus haben schlechte Arbeitsdisziplin und mangelndes Interesse der Beschäftigten zur relativen Erhöhung der Kosten in den Großbetrieben beigetragen.

Abbildung 10-12: Erlöse und Kosten der Tierproduktion in den untersuchten Betrieben 1996

0

200

400

600

800

1000

1200

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25Betriebe

Tsd.

Hry

vnia

ErlцseKosten

Quelle: Eigene Erhebung (keine Angaben für Betriebe 4 und 6).

4.7 Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion In Tabelle 10-15 ist die Rentabilität10 der landwirtschaftlichen Produktion, darunter

der Pflanzen- und der Tierproduktion, für 1990 und 1996 dargestellt. Die einzelnen Werte streuen sehr stark um die jeweiligen Mittelwerte, besonders in den Gruppen ‚Rentabilität der Pflanzenproduktion 1996‘ (Variationskoeffizient 2,68) und ‚Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion 1996‘ (Variationskoeffizient 1,61). Wie die Tabelle 10-15 zeigt, waren 1990 sowohl die landwirtschaftlichen Betriebe in der Ukraine als auch die untersuchten Betriebe im Oblast Shytomyr aus betriebswirtschaftlicher Sicht rentabel. Dabei war die durchschnittliche Rentabilität der Betriebe in der Stichprobe mit 35,7% fast so hoch wie in der Ukraine insgesamt (die Einzelwerte streuen um den Mittelwert relativ zu den anderen Verteilungen nicht stark). Für Jahr 1996 ergab sich ein völlig anderes Bild. Sowohl in

10 Die Rentabilität wurde als Gewinn im Verhältnis zu den Kosten in % ermittelt.

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190

der Ukraine insgesamt als auch in den untersuchten Betrieben sank die Rentabilität beträchtlich auf -11,2 bzw. -14%. Dabei täuscht diese Zahl noch über das Ausmaß der wirtschaftlichen Krise, in der sich die Unternehmen befinden. Zu niedrige Abschreibungen auf das (nicht entsprechend umbewertete) Anlagevermögen als Folge der Inflation und unterlassene Reparaturen sind nicht berücksichtigte Kostenpositionen, die bei korrekter Berechnung das ausgewiesene Ergebnis und damit die Rentabilität noch weiter schmälern.

Tabelle 10-15: Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion in den untersuchten Betrieben und in der Ukraine in %

1990 1996

Rentabilität der Pflanzenprodukt

ion

Rentabilität der

Tierproduktion

Rentabilität der landw. Produktion

Rentabilität der Pflanzenprodukt

ion

Rentabilität der

Tierproduktion

Rentabilität der landw. Produktion

Ukraine k.A. k.A. 39,5* 29,7 -39,7 -11,2

Stichprobe

x 53,3 30,4 35,7 11,5 -28,6 -14,0

Max 140,6 65,2 70,0 43,4 4,5 12,8

Min 0,2 0,3 0,2 -72,9 -59,1 -58,1

VK 0,78 0,63 0,55 2,68 0,66 1,61 Hinweis: VK = Variationskoeffizient; * Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion

in Kolchosen Quelle: Eigene Erhebung; STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1992, 1997).

Abbildung 10-13 zeigt, daß in 65,2% der untersuchten Betriebe die landwirtschaftliche Produktion unrentabel war. In der Ukraine betrug der Anteil unrentabler landwirtschaftlicher Betriebe im Jahr 1996 69,0%. 1997 ist dieser Anteil auf 87,4% gestiegen (SABLUK 1998). Unter Berücksichtigung der o.g. zusätzlich die Wirtschaftlichkeit belastenden Faktoren ist der Schluß zu ziehen, daß von wenigen Ausnahmen abgesehen die Gesamtheit der landwirtschaftlichen Unternehmen inzwischen de facto unrentabel wirtschaftet.

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1911

Abbildung 10-13: Anteil der unrentablen landwirtschaftlichen Betriebe in der Stichprobe und in der Ukraine im Jahr 1996

65,2%

17,4%

87,0%

69,0%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Anteil derunrentablen Betriebe

in der Stichprobe

dar. Anteil derBetriebe mitunrentabler

Pflanzenproduktion

dar. Anteil derBetriebe mitunrentabler

Tierproduktion

Anteil derunrentablen Betriebe

in der Ukraine

In P

roze

nt

Quelle: Eigene Erhebung; SABLUK (1998).

4.8 Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen durch ihre Manager

In den bisherigen Betrachtungen wurde versucht, anhand der verfügbaren Daten eine Einschätzung zur Wirtschaftlichkeit der analysierten landwirtschaftlichen Unternehmen zu geben. In der der Untersuchung zugrundeliegenden Befragung war auch erfaßt worden, wie die Manager die Situation ihrer Betriebe einschätzen (Tabelle 10-16). Obwohl die oben dargestellten Ergebnisse und Probleme zeigen, daß sich fast alle Unternehmen in einem sehr kritischen Zustand befinden, bewerteten nur 8 von 25 Managern die Unternehmenslage als schlecht und 4 als sehr schlecht.

Diese Einschätzung steht im krassen Gegensatz zu der Aussage der Manager, wegen hoher Preise keine Betriebsmittel kaufen zu können. Nicht beschafft werden konnten von

• 24 Betrieben (96%) neue Maschinen und Ausrüstungen,

• 21 Betrieben (84%) mineralische Düngemittel, Ersatzteile und Baumaterial,

• 20 Betrieben (80%) Pflanzenschutzmittel, Medikamente für die Behandlung der Tiere und Treibstoffe,

• 18 Betrieben (72%) Saat- und Pflanzengut,

• 3 Betrieben (12%) organische Düngemittel.

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192

Tabelle 10-16: Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der 25 untersuchten landwirtschaftlichen Großbetriebe durch ihre Manager

Wirtschaftliche Lage des Unternehmens Antworthäufigkeiten % von gesamter Zahl

Gut 1 4

Befriedigend 12 48

Schlecht 8 32

sehr schlecht (das Unternehmen ist faktisch bankrott) 4 16

Quelle: Eigene Erhebung.

Offenbar hat der bisherige wirtschaftliche Niedergang bei den Managern dazu geführt, die Erwartungen an einen Wiederaufschwung der Wirtschaftstätigkeit sehr stark zurückzuschrauben. Nur so lassen sich die Widersprüche zwischen der ökonomischen Realität und der subjektiven Beurteilung der Lage erklären.

Für die Verbesserung der Wirtschaftslage der Betriebe sehen die befragten Manager folgende Möglichkeiten:

• Änderung der Produktions- und Absatzstruktur (21 Manager bzw. 84% der Befragten);

• Erhöhung der Arbeitsdisziplin (23 Manager bzw. 92%);

• Reduzierung des Arbeitskräftebestandes (12 Manager, siehe Abbildung 10-14);

• Verpachtung des Bodens und Vermögens an Mitarbeiter und kleine Kollektive (5 Manager bzw. 20%);

• Änderung der Rechtsform (8 Manager bzw. 32%, darunter sind 2 Manager für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und 6 Manager für die Rechtsform einer GmbH), und

• Teilung des Betriebes in mehrere unabhängige Unternehmen (3 Manager).

Wie die durchgeführten Befragungen zeigen, wurden die landwirtschaftlichen Großbetriebe keinen Strukturveränderungen unterworfen. Die Anzahl der Mitarbeiter und des Verwaltungspersonals in den Unternehmen hat sich kaum verändert. Abbildung 10-14 zeigt die Meinung der Manager auf die Frage nach der Notwendigkeit der Reduzierung des Arbeitskräftebestandes. Aus den Antworten läßt sich ableiten, daß ein Nachdenken über effizientere Strukturen in den Unternehmen bisher kaum eingesetzt hat.

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1931

Abbildung 10-14: Verteilung der Meinungen von Managern der untersuchten Betriebe über die Reduzierung des Arbeitskräftebestandes in ihren Unternehmen

8

12

1

13

0

2

4

6

8

10

12

14

um 10% um 15% um 20% um 30% dagegen

Reduzierung des Arbeitskrдftebestands

Anz

ahl d

er M

anag

er

Quelle: Eigene Erhebung.

Trotz aller Probleme erwarten zwei Manager (8% der Befragten) eine merkliche Verbesserung der Wirtschaftslage ihres Betriebes in den nächsten zwei bis drei Jahren, 14 Manager (56%) hoffen auf eine gewisse Verbesserung, fünf Manager (20%) erwarten keine Veränderungen, ein Manager geht von einer deutlichen Verschlechterung aus und, drei Managern fiel es schwer zu antworten. Elf Manager (44%) wollen ihre Unternehmen reorganisieren, ohne daß sie dafür konkrete Konzepte vorlegen konnten.

5 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen11 Die Analysendaten und die Befragungsergebnisse zeigen, daß sich alle untersuchten

landwirtschaftlichen Großbetriebe zur Zeit in einer sehr schwierigen Situation befinden. Dabei bestand hinsichtlich der Kennzahl Kostenrentabilität weitgehende Übereinstimmung zwischen den Betrieben der Stichprobe und der Angaben für die landwirtschaftlichen Unternehmen der Ukraine insgesamt (65,2% bzw. 69% der Betriebe sind in 1996 unrentabel).

Die unbefriedigende wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Unternehmen in der Ukraine ist sowohl durch interne Probleme der Unternehmen selbst als auch durch exogene Faktoren verursacht. Als wesentliche exogene Ursachen müssen genannt werden:

• die Preisschere zwischen Industrie- und Agrarerzeugnissen;

11 In die zusammenfassende Einschätzung werden auch Befragungsergebnisse einbezogen,

die nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrages sind. Hierzu siehe DOLUD (1998).

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194

• die Monopolstellung der Verarbeitungsindustrie;

• fehlende harte Budgetschranken;

• fehlender Kapitalmarkt und ungenügende Kreditangebote;

• das unausgewogene Steuersystem;

• widersprüchliche, häufig und sogar rückwirkend geänderte bzw. fehlende rechtliche Grundlagen sowie mangelnde Rechtssicherheit, und

• nicht funktionierende Märkte und die damit eingehende Ausdehnung der Bartergeschäfte in der Landwirtschaft sowohl zwischen den Betrieben als auch zwischen Staat und Betrieb.

Die Überwindung dieser institutionellen Defizite und die Schaffung verläßlicher politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen bildet die Voraussetzung dafür, daß in den Unternehmen die notwendigen Entscheidungen für eine marktkonforme Wirtschaftstätigkeit getroffen und durchgesetzt werden können.

Innerhalb der Betriebe kommt es darauf an, daß das Management überkommene Denk- und Verhaltensweisen überwindet und Konsequenzen aus der Veränderung des politischen und ökonomischen Systems für die wirtschaftliche Neuorientierung zieht. Die o.a. Kennzahlen der geringen Wirtschaftlichkeit der Unternehmen zeugen auch vom niedrigen Niveau der Produktionsdisziplin und der Leitungstätigkeit. Obwohl sicher graduelle Unterschiede bestehen, hat ein großer Teil der Unternehmen mit folgenden Problemen zu kämpfen, wobei teilweise Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Einflußfaktoren bestehen:

• Orientierung der Führungskräfte auf Produktionsdurchführung und nicht auf wirtschaftlichen Erfolg, d.h. nicht auf die Erzielung von Gewinn (kein Anreiz für Überlegungen zur Gewinnmaximierung);

• Fehlen von Leistungsanreizsystemen;

• Vielstufiger Leitungsaufbau mit geringen Entscheidungsbefugnissen;

• Ungenügende Wahrnehmung der Kontrollfunktion durch das Management - Tolerierung von Verstößen gegen die technologische Disziplin und von Leistungszurückhaltung;

• Nutzung des Rechnungswesen vorwiegend zur Registratur wirtschaftlicher Vorgänge, nicht als Instrument für die Vorbereitung von ökonomisch begründeten Leitungsentscheidungen;

• Zögerliche bzw. formale Regelung der Eigentumsbeziehungen zum Boden und der Vermögenszuordnung und der Vermögensbeteiligung an den Unternehmen, und

• Belastung der Unternehmen durch Nebenbetriebe, Sozialbereiche und Bereiche der sozialen Infrastruktur, da die Kommunen nicht in der Lage sind, diese ihnen zustehenden Aufgaben zu übernehmen.

Die ungenügenden Rahmenbedingungen für den Agrarsektor und die aufgeführten Managementdefizite führten zur Destabilisierung der Produktionsabläufe und zu einer

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1951

bedrohlichen Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit in den landwirtschaftlichen Unternehmen. Einige Beispiele dafür sind:

• die Überschreitung agrotechnisch günstiger Termine bei der Durchführung der Feldarbeiten, die durch eine ungenügende Versorgung der Betriebe mit Treibstoffen verursacht wird;

• erheblicher Verschleiß bei Maschinen und Geräten;

• die Verwendung von nicht zertifiziertem Saatgut;

• die extreme Reduzierung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln; und,

• der Einsatz unausgewogener Futterrationen in der Tierproduktion.

Innerhalb der Unternehmen besteht ein wesentlicher Widerspruch darin, daß ungenügende Voraussetzungen dafür bestehen, Veränderungen aus eigener Kraft durchzuführen, aber gerade der Mut und die Durchsetzungsfähigkeit des Führungspersonals, unpopuläre Entscheidungen zur Rettung des Unternehmens zu treffen, als wesentliche Voraussetzung für tragfähige Sanierungskonzepte betrachtet werden müssen.12 Es bestehen nur zwei Alternativen: entweder weiterer Verzehr des Betriebsvermögens infolge Unentschlossenheit bei der Umstrukturierung oder einschneidende Maßnahmen, die für einen Teil der bisherigen Belegschaft mit sozialen Härten verbunden sind. Notwendige Veränderungen umfassen alle genannten internen Krisenursachen. Allein schon die Tatsache, daß eine große Anzahl der ausgewerteten Wirtschaftsdaten eine erhebliche Schwankungsbreite aufweist, läßt erkennen, daß in den Betrieben erhebliche Reserven bestehen, deren Erschließung keine oder nur geringe zusätzliche materielle Mittel erfordert.

In erster Linie muß es gelingen, die Beschäftigten aus ihrer Lethargie aufzurütteln und Vertrauen in die eigene Kraft zu wecken. Diese Aufgabe ist vor allem deshalb so schwierig, weil Maßnahmen wie die Verringerung des Arbeitskräftebestandes, Lohnkürzungen zur Verbesserung der Liquidität und Forderungen nach höherer Arbeits- und Produktionsdisziplin das soziale Klima unter den Mitarbeitern belasten. Nur wenn es den Führungskräften gelingt, die Mitarbeiter nicht nur von der Ernsthaftigkeit ihres Konzeptes, sondern auch von seinen Erfolgsaussichten zu überzeugen, werden sie die dringend notwendige Bereitschaft zu Veränderungen erreichen. Die Komplexität dieser Anforderungen läßt die Schwierigkeiten ahnen, das Umdenken von einem auf dem Prinzip der Zentralverwaltung beruhenden Wirtschaftsmechanismus auf ein völlig anders geartetes Wirtschaftssystem zu vollziehen und die für dieses marktwirtschaftliche System geltenden Gesetze und Regelungen in der Praxis umzusetzen. Um so notwendiger ist es, den Geschäftsführern und weiteren Führungskräften der oberen Ebene Kenntnisse und Einstellungen zu vermitteln, die sie befähigen, die Krise aus eigener Kraft zu überwinden.

6 Literatur BEHÖRDE FÜR STATISTIK DES OBLASTS SHYTOMYR BEIM UKRAINISCHEN STAATSKOMITEE FÜR

STATISTIK (1997): Statistisches Bulletin des Oblasts Shytomyr, Shytomyr.

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196

DOLUD, O. (1998): Privatisierung und Umstrukturierung landwirtschaftlicher Unternehmen in der Ukraine, dargestellt am Beispiel des Bezirkes Shytomyr, Masterarbeit, Martin-Luther-Universität und IAMO, Halle.

SABLUK, P. (1998): Agrarni peretvorennja v Ukraini na sucasnomu etapi, Ekonomika APK, Nr. 3, S.3-16.

SCHULZE, E., TILLACK, P., EPSTEIN, D. (1997): Fragebogen zur Untersuchung des Standes der Privatisierung und Umstrukturierung in den GUS-Staaten, IAMO, Halle (unveröffentlicht).

STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1992): Moskau.

STATISTISCHES JAHRBUCH GUS (1997): Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, Moskau.

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (1992): Statistisches Jahrbuch der Ukraine, Technika, Kiew.

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (1997): Statistisches Jahrbuch der Ukraine, Ukrainska enziklopedija, Kiew.

12 Siehe hierzu Kapitel 11: Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher

Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors.

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1971

Anhang 10-1: Fläche der untersuchten Betriebe in ha

1990 1996

Nr. des Betriebes

Betriebsfläc

he

Acker Wiese Weide Wald Sons-tige

Betriebsfläc

he

Acker Wiese Weide Wald Sons-tige

1 1.464 981 148 16 42 277 1.153 913 110 8 51 712 3.177 1.965 164 81 179 788 2.359 1.721 131 57 184 2663 3.540 2.663 118 76 114 570 3.078 2.583 62 74 107 2524 1.511 975 91 153 37 256 1.264 918 81 142 37 865 2.225 1.734 158 75 67 190 2.084 1.683 139 45 64 1536 1.580 1.364 24 3 1 188 1.445 1.251 7 0 7 1797 2.626 1.927 96 155 111 337 2.265 1.807 88 154 117 1018 2.582 1.798 160 88 315 221 2.176 1.492 120 150 327 879 4.435 2.998 344 96 288 709 3.652 2.692 153 121 325 36110 3.414 2.276 230 196 455 257 2.726 1.851 66 10 467 33211 2.768 2.316 40 69 46 297 2.325 1.696 102 413 45 7012 2.134 1.430 234 239 102 129 2.134 1.430 234 239 102 12913 3.984 2.772 273 101 49 788 3.271 2.677 172 116 54 25214 2.343 1.997 100 101 84 60 2.343 1.815 100 103 68 25715 2.308 1.766 61 80 82 319 1.810 1.656 8 48 78 2016 1.638 1.416 89 35 10 88 1.535 1.318 76 24 8 10917 2.334 1.559 6 331 110 328 2.168 1.616 31 298 108 11618 4.267 3.448 86 74 10 649 3.288 2.913 63 30 8 27419 2.157 1.685 121 121 65 165 1.941 1.619 139 20 48 11620 1.914 1.178 50 392 90 204 1.560 1.064 40 315 99 4121 3.275 1.020 551 478 452 774 2.592 835 440 421 469 42722 2.655 1.887 120 220 118 310 2.412 1.700 119 295 113 18523 3.754 3.025 201 84 327 117 3.114 2.324 100 152 334 20524 7.672 5.440 490 184 468 1.090 6.316 5.338 270 130 462 11625 4.051 2.318 267 413 434 619 3.601 2.129 236 341 426 469

x 2.952 2.077 169 155 162 389 2.504 1.882 123 148 164 187Max 7.672 5.440 551 478 468 1.090 6.316 5.338 440 421 469 469Min 1.464 975 6 3 1 60 1.153 835 7 0 7 20VK 0,45 0,47 0,80 0,82 0,96 0,71 0,42 0,49 0,76 0,88 0,98 0,64

Hinweis: VK = Variationskoeffizient Quelle: Eigene Erhebung.

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198

11 Die Bedeutung der Organisationsstruktur landwirtschaftlicher Unternehmen für die Entwicklung des ukrainischen Agrarsektors

Ulrich Koester, Institut für Agrarökonomie, Kiel

1 Einleitung Unter den Führungskräften in der Ukraine begegnet man der weitverbreiteten

Vorstellung, daß die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Landwirtschaft vornehmlich von der Ausstattung mit Ressourcen abhängt. Würde man der Landwirtschaft nur genügend Kredite oder aber auch direkt Maschinen, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stellen, so könne die Produktion erhöht und die landwirtschaftliche Produktion rentabel gemacht werden.

Es ist sicherlich richtig, daß die Landwirtschaft der Ukraine ihre Produktion steigern würde, wenn sie über mehr Produktionsfaktoren verfügen könnte. Dennoch ist es nicht entscheidend ohne Rücksicht auf Kosten und Nutzen einfach mehr zu produzieren. Für die Entwicklung einer Volkswirtschaft ist vielmehr ausschlaggebend, daß die vorhandenen Ressourcen möglichst effizient genutzt werden. Die effizientere Nutzung der vorhandenen Ressourcen führt nämlich nicht nur zu Produktions- und Einkommenssteigerungen, sondern auch zu einer erhöhten Ausstattung mit Ressourcen im Zeitablauf. Zum einen erhöht die Produktionssteigerung die inländische Kapitalbildung. Zum anderen ist die Effizienzsteigerung entscheidend dafür, daß die Unternehmen auch für in- wie ausländische Investitionen attraktiv werden.

Die Effizienz der Nutzung der vorhandenen Ressourcen ist insbesondere in der Ukraine von bestehenden Institutionen und Organisationen abhängig. Das Studium der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Länder über Jahrzehnte hinweg zeigt, daß nicht nur die Effizienz der Nutzung von Ressourcen, sondern der ökonomische Aufstieg oder Niedergang insgesamt vornehmlich von der Ausgestaltung der Institutionen und Organisationen bestimmt ist.1 Unter Institutionen werden hier in Anlehnung an NORTH (1990) Regeln verstanden, die das Verhalten der wirtschaftlichen Akteure (Individuen und Organisationen wie Firmen oder der Staat) bei den Austauschbeziehungen vorhersehbar machen. Institutionen haben somit die Aufgabe, die Unsicherheit bei Interaktionen zu verringern. Institutionen sind somit vergleichbar mit den Regeln eines Spiels. Diese Regeln können Gesetze sein, deren Einhaltung durchgesetzt wird, sie können aber auch auf kulturellen Übereinkünften beruhen.

Organisationen sind nach NORTH ein Zusammenschluß von Individuen zum Zweck der Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels. Wichtige Organisationen im Agrarsektor sind unterschiedliche Formen landwirtschaftlicher Betriebe, die Unternehmen der vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen, aber auch die auf den Agrarsektor einwirkenden Verwaltungen der Rayone, Oblaste und der Zentralregierung.

1 Besonders lesenswert in diesem Zusammenhang – auch für Nicht-Ökonomen – ist OLSON (1982).

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1991

In der vorliegenden Studie soll gezeigt werden, daß die Organisation der Landwirtschaft in den Kollektivbetrieben einerseits und Hauswirtschaften andererseits die Ausschöpfung des landwirtschaftlichen Produktionspotentials der Ukraine hemmt. Diese Nachteile der gegenwärtigen Organisation der Landwirtschaft werden durch bestimmte Politikmaßnahmen, die im folgenden diskutiert werden, noch verstärkt. Das Problem der ineffizienten Nutzung der Ressourcen in der ukrainischen Landwirtschaft kann nicht einfach durch Änderung einiger Gesetze (Institutionen) gelöst werden; es ist systemimmanent mit der Organisationsstruktur der landwirtschaftlichen Kollektivbetriebe und deren Verzahnung mit den Hauswirtschaften verbunden. Selbst wenn die politischen Rahmenbedingungen eindeutig in Richtung Stärkung marktwirtschaftlicher Kräfte gesetzt werden würden, könnte – nach den Ergebnissen dieser Studie - das Produktionspotential der Landwirtschaft wegen der strukturellen Mängel nicht ausgeschöpft werden.

Allerdings ergibt sich das Problem der ukrainischen Landwirtschaft nicht allein durch das Nebeneinander von Hauswirtschaften und Großbetrieben; eine dualistische Agrarstruktur gibt es auch in anderen Ländern, ohne daß vergleichbare negative Auswirkungen auf die Effizienz des Sektors sichtbar wären. Es ist die Rechtsform und die Organisationsform der Großbetriebe einerseits und die Verzahnung zwischen den Großbetrieben und den Hauswirtschaften andererseits, die zum Problem der ineffizienten Nutzung der Ressourcen beitragen. Selbst eine großzügige Förderung der Landwirtschaft, wie kürzlich durch verschiedene Steuerbefreiungen vorgenommen, wird die Effizienz der Ressourcennutzung in der Landwirtschaft nicht entscheidend erhöhen können. Durch solche Maßnahmen kann die Produktion theoretisch gesteigert werden, aber bei den gegebenen Organisationen und Institutionen in der Ukraine, wenn überhaupt, nur auf Kosten erhöhter Verschwendung und Ineffizienz.

2 Die Struktur der ukrainischen Landwirtschaft Die Eigentumsstruktur der ukrainischen Landwirtschaft hat sich seit 1992 grundlegend

geändert (siehe Tabelle 11-1). Nahezu 95% des Bodeneigentums wurde bis Ende 1998 vom Staat abgegeben. Allerdings dominiert das Kollektiveigentum. Das Staatseigentum wurde zunächst den Mitgliedern der ehemaligen Kolchos- oder Staatsbetriebe insgesamt übertragen. Als Mitglieder wurden die Beschäftigten und auch die Pensionäre definiert. In einer zweiten Phase wurde den Mitgliedern Bodenanteile und Anteile am Vermögen des Unternehmens zugeordnet. Die Mitglieder hatten auch die Möglichkeit, die Rechtsform des Unternehmens zu bestimmen. Fast ausnahmslos wurde die Form der ‚Neuen Kollektivbetriebe‘ gewählt. Die Statuten dieser Unternehmen entsprechen weitgehend denen von Genossenschaften in westlichen Ländern, unterscheiden sich aber in einigen wesentlichen Elementen von ihnen. Im folgenden werden diese Unternehmensformen als Kollektivbetriebe (KLB) bezeichnet.

Die Umverteilung des Bodens hat auch die Produktionsanteile der unterschiedlichen Typen von Betrieben verändert (siehe Tabelle 11-2). Obwohl die Hauswirtschaften und die privaten Betriebe 1993 nur 1,5% der Landfläche bewirtschafteten, lag ihr Produktionsanteil bei 39,9%. In 1996 betrug der Anteil dieser Betriebe an der bewirtschafteten Fläche 4,1% und der Produktionsanteil belief sich auf 52,8%. Die Diskrepanz zwischen den Flächenanteilen und Produktionsanteilen ist so erheblich, daß eine Erklärung notwendig ist. Es gibt zwar auch in Marktwirtschaften ein Nebeneinander von Groß- und Kleinbetrieben, doch ist die

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200

Diskrepanz zwischen Flächen- und Produktionsanteil nicht ausgeprägt. In vielen Ländern, wie z.B. auch der Bundesrepublik Deutschland, liegen die Flächenerträge und auch die Leistungen je Tier in Großbetrieben sogar über denen der Kleinbetriebe. Die Unterschiede zwischen den Kollektivbetrieben und den Hauswirtschaften in der Ukraine deuten auf eine mangelnde Effizienz der KLB hin. Der Grund hierfür könnte in den hohen betriebsinternen Transaktionskosten der KLB liegen. Erfahrungen in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland deuten aber darauf hin, daß die Transaktionskosten nicht eindeutig von der Betriebsgröße determiniert werden, sondern vielmehr von der Organisation der Betriebe abhängen.

Tabelle 11-1: Die Struktur der ukrainischen Agrarproduktion

1985 1990 1992 1994 1995 1996 1997 1998*

Zahl der Betriebe

Betriebe des öffentlichen Sektors, davon**

13.004 13.345 14.293 15.462 15.609 15.739 15.984 16.012

Kollektivbetriebe 7.363 8.820 9.575 9.977 10.356 11.299 12.019 12.401

Staatsbetriebe 2.237 4.525 4.718 5.485 5.253 4.440 3.965 3.525

Hauswirtschaften ('000) 3.400 9.206 10.679 11.057 11.249 11.433 11.547 11.560

Private Bauernbetriebe - 332 17.474 34.692 37.133 38.988 39.880 35.485

Landwirtschaftliche Nutzfläche ('000 ha)

Betriebe im öffentlichen Sektor, davon**

38.900 38.701 33.642 34.684 34.362 34.110 33.827 33.900

Kollektivbetriebe 29.300 28.774 25.069 26.323 27.246 29.726 31.126 31.250

Staatsbetriebe 9.600 9.927 8.574 8.361 7.116 4.384 2.701 2.302

Hauswirtschaften 3.400 2.669 4.607 5.357 5.589 5.694 5.789 5.890

Private Bauernbetriebe - 4 350 742 822 906 1.037 1.029

Hinweis: * Vorläufig. ** Die Zahl der Unternehmen im öffentlichen Sektor ist etwas größer als die Summe von kollektiven und Staatsbetrieben, da in der Gesamtzahl auch landwirtschaftliche Nebenbetriebe enthalten sind, die z.B. Mischfutter erstellen.

Quelle: Ukrainisches Staatskomitee für Statistik (versch. Jahrgänge).

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2011

Tabelle 11-2: Die Verteilung des Landeigentums in der Ukraine von 1992 bis 1997

Datum Gesamte Eigentümer

Landfläche Staat Eigentum von KLB Private Eigentümer

'000 ha '000 ha % '000 ha % '000 ha %

01.01.1992 60.355 60.355 100,0 - - - -

01.01.1993 60.355 60.199 99,7 142 0,2 14 0,02

01.01.1994 60.355 57.823 95,8 1.622 2,7 911 1,5

01.01.1995 60.355 55.149 91,4 3.718 6,2 1.489 2,4

01.01.1996 60.355 36.311 60,2 22.119 36,6 1.925 3,2

01.01.1997 60.355 33.142 54,9 24.767 41,0 2.447 4,1

Quelle: INSTITUTE OF AGRARIAN ECONOMICS (1998).

3 Gründe für den Rückgang der Produktion in der ukrainischen Landwirtschaft

3.1 Erste Hypothese

Es liegt im Interesse der Mitglieder, die Produktion von den KLB in die Hauswirtschaften zu verlagern. Die Rahmenbedingungen bieten die Möglichkeit hierzu.

3.1.1 Die Situation

Die landwirtschaftliche Produktion in der Ukraine ist seit 1990 erheblich gesunken (um mehr als 40 %, siehe Abbildung 11-1). Dieser Produktionsrückgang war besonders in den KLB zu verzeichnen, während die Hauswirtschaften ihre Produktion sogar steigern konnten.

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202

Abbildung 11-1: Bruttoagrarproduktion in unterschiedlichen landwirtschaftlichen Organisationsformen

0

20

40

60

80

100

120

140

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997

Jahr

Bru

ttoag

rarp

rodu

ktio

n (1

990=

100)

Hauswirtschaften und private Betriebe

Alle Betriebe

Kollektiv- und Staatsbetriebe

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge).

3.1.2 Begründung

Die Bedeutung der Umsatzsteuerregelung: Da die Verkaufserlöse der KLB im Gegensatz zu den Erlösen der Hauswirtschaften mit einer 20%igen Umsatzsteuer belastet werden, erwirtschaftet man insgesamt ein höheres Nettoeinkommen, wenn ein größerer Teil der Produktion in den Hauswirtschaften anfällt. Verschärft wurden die entsprechenden Anreize dadurch, daß bis Oktober 1998 die Umsatzsteuer bereits bei Übergabe der Waren fällig wurde, unabhängig vom Zeitpunkt der eigentlichen Bezahlung. Die große Zeitspanne zwischen Übergabe der Waren und Zahlungseingang, der häufig verspätet erfolgt, bedeutet insbesondere in Perioden hoher Inflation eine zusätzliche Besteuerung der KLB gegenüber den Hauswirtschaften. Dieser Sachverhalt kann durch folgende Kalkulation veranschaulicht werden:

Beträgt zum Beispiel der Netto-Warenwert 100 UAH und der Brutto-Warenwert dementsprechend 120 UAH, so sind bei Warenübergabe 20 UAH Umsatzsteuer zu zahlen. Zum Zeitpunkt der Bezahlung (z.B. 6 Monate später) erhält der Verkäufer 120 UAH. Diese sind aber aufgrund der inzwischen angefallenen Inflation (z.B. 15%) real vergleichbar mit nur 102 UAH zum Zeitpunkt der Warenübergabe. Es verbleibt somit ein realer Netto-Verkaufspreis von nur 82 UAH. Es muß betont werden, daß dieses Beispiel keinen Extremfall darstellt, denn vor allem zwischen 1993 und 1995 hat die Ukraine sehr hohe Inflationsraten erlebt. Ferner lagen und liegen Zahlungsverzögerungen nicht selten bei über 12 Monaten, wenn überhaupt gezahlt wird. Unter solchen Bedingungen tendiert der reale Netto-Verkaufspreis gegen Null. Es ist daher kein Wunder, daß die ‘Produktionsrückgänge’ in den KLB (in der Realität auch Verlagerungen der Produktion in die Hauswirtschaften) in diesen

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2031

Jahren besonders hoch waren. Die Befreiung der Landwirtschaft von der Umsatzsteuer Ende 1998 hat diesen Anreiz zur Verlagerung zwar eliminiert, der Schaden ist aber bereits entstanden.

Die Bedeutung der lohnabhängigen Abgaben: Da der Arbeitseinsatz in den KLB mit Verpflichtung zur Lohnzahlung und dadurch mit Abgaben in den Pensionsfonds (32%), in den Fonds für Arbeitslosenunterstützung (1%) und in den Tschernobyl-Fonds (5%) verbunden ist, ist aus Sicht des Kollektivs die Arbeit auf diesen Betrieben erheblich teurer als in den Hauswirtschaften, wo solche Abgaben entfallen. Hinzu kommt, daß die Arbeitnehmer für ihr Einkommen aus der Tätigkeit auf den KLB zur Zahlung von Einkommensteuer in Höhe von 10 bis 40% vom Einkommensbetrag über 17 UAH verpflichtet sind. Für Einkommen, die in den Hauswirtschaften erwirtschaftet werden, fällt dagegen keine Einkommensteuer an.

Die Bedeutung der Methoden der Berechnung von Preisen beim Verkauf von Produkten an Mitglieder der KLB: Die KLB können die Arbeitnehmer durch Naturalien oder durch Geldzahlung entlohnen. Außerdem können sie einen Teil ihrer Produktion direkt an die Mitglieder verkaufen. Durch Naturalentlohnung bzw. Verkauf ist es möglich, das Einkommen der Kollektivmitglieder insgesamt zu erhöhen und gleichzeitig die Produktion von den KLB in die Hauswirtschaften zu verlagern. Hierzu tragen die Regeln für die Berechnung der Verkaufspreise an Arbeitnehmer bei, denn die Waren werden den Mitgliedern zum Selbstkostenpreis verkauft. Die Vorschriften über die Berechnung der Selbstkosten führen zu einer impliziten Quersubventionierung der Hauswirtschaften, da in die Selbstkosten lediglich die Ausgaben der Betriebe für die Erstellung der Produkte sowie Abschreibungen vom Buchwert des Kapitals eingehen. Es wird weder eine Verzinsung des Eigenkapitals noch ein Ansatz für die Bodennutzung berücksichtigt. Die Abgabepreise liegen daher erheblich – zur Zeit etwa ein Drittel bei Getreide, 1995 sogar zwei Drittel – unter den Preisen, die für den Verkauf über andere Absatzwege erzielt werden (siehe Tabelle 11-3). Die verbilligte Abgabe von Getreide an die Arbeitnehmer und an das öffentliche Versorgungssystem hat z.B. 1996 für die Kollektivbetriebe zu einer durchschnittlichen Reduzierung des Getreidepreises von 17,4% geführt. Die Großbetriebe werden durch diese Regelung somit erheblich zugunsten der Hauswirtschaften besteuert.2

2 Besonders groß ist die Quersubventionierung für Produkte, bei denen die Kosten für Boden eine

große Rolle spielen. In Deutschland betragen die Opportunitätskosten der Bodennutzung bei der Produktion von Feldfutter 30 bis 50%. Da die Hauswirtschaften vor allem Futter und Getreide von den KLB kaufen oder als Naturalentlohnung erhalten, ist es ihnen möglich, tierische Produkte erheblich billiger zu produzieren als KLB.

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204

Tabelle 11-3: Von Kollektivbetrieben verkaufte Mengen und erzielte Preise bei Verkauf an das öffentliche Versorgungssystem und an Mitglieder in % der verkauften Mengen bzw. der über offizielle Absatzwege erzielten Preise

Produkt 1994 1995 1996 1997

Menge Preis Menge Preis Menge Preis Menge Preis

Getreide 25,8 22,4 34,9 33,5 30,2 42,5 25,6 62,4

Ölsaaten - - 26,8 56,1 23,9 64,5 11,7 82,1

Kartoffeln - - - - 36,5 85,1 31,6 80,4

Zuckerrüben - - 6,9 130,9 16,5 192,5 0,0 35,7

Gemüse - - - - 17,8 48,4 20,7 56,0

Obst - - - - 14,0 137,0 15,8 169,1

Rinder und Geflügel - - 18,5 83,8 22,3 94,9 28,7 109,8

Milch und Milchprodukte - - 3,1 101,7 4,3 107,3 6,9 115,0

Eier - - 5,0 80,4 4,6 90,9 4,0 97,4

Quelle: LANDWIRTSCHAFTSMINISTERIUM DER UKRAINE.

Bei der Einschätzung der Bedeutung dieser Regelung ist zu beachten, daß alle Mitglieder zum verbilligten Kauf berechtigt sind, unabhängig davon, ob sie auf den Betrieben arbeiten. Es kann daher für einzelne Mitglieder profitabel sein, sich unbezahlten Urlaub zu nehmen und die Produktion in den Hauswirtschaften auf der Basis verbilligten Futterzukaufs auszudehnen.

Bedeutung der Vorschriften über die Berechnung der Kosten für vermietete Maschinen und Geräte: Nach dem ukrainischen Gesetz über die Mietpreise von Staatseigentum dürfen diese Mietpreise pro Jahr nicht mehr als 5% der Anschaffungskosten betragen. Viele KLB halten sich an dieser Vorschrift bei der Festlegung der Kosten für Maschinenleistungen, die an Mitglieder erbracht werden. In der Regel liegen diese Kosten weit unter den Marktpreisen für Maschinenleistungen. Insbesondere war dies in den Jahren der Fall, in denen die Wiederbeschaffungspreise aufgrund hoher Inflationsraten erheblich über den Kaufpreisen der Vergangenheit lagen. Eine zusätzliche Quersubventionierung der Hauswirtschaften war die Folge.

Bedeutung hoher Transaktionskosten auf den Märkten: Die Transaktionskosten, die mit der Nutzung landwirtschaftlicher Märkte in der Ukraine verbunden sind, sind wesentlich höher als in entwickelten marktwirtschaftlichen Systemen. Gründe hierfür sind zum einen, daß die Märkte nicht ausreichend entwickelt sind (z.B. durch Mangel an Marktinformationssystemen, Monopolstrukturen usw.), zum anderen aber auch, daß der Staat nach wie vor massiv in die Marktprozesse eingreift. So hat der Staat z.B. direkten Zugriff auf die Bankkonten der Betriebe, um ausstehende Steuerzahlungen einzustreichen. Barzahlung und Barter sind für die Betriebe daher günstiger als der Verkauf an staatliche oder

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2051

halbstaatliche Unternehmen, die nur über Bankkonten zahlen.3 Die Folge vor allem des Barters sind relativ hohe Kosten für die Suche nach Tauschpartnern und hohe Kosten der Abwicklung der Transaktionen. Betriebsleiter berichteten, daß ihre Zeit vornehmlich für Einkauf und Verkauf von Waren benötigt wird. Die Tauschtransaktionen laufen dabei häufig über mehrere Tauschpartner (es wurde von bis zu elf berichtet, die von der Abgabe von Milch gegen Butter, Butter gegen Schuhe, Schuhe gegen Diesel usw. führen können). Es ist leicht vorstellbar, daß es schwierig sein wird, für jeden dieser Tauschakte bestmögliche Konditionen auszuhandeln.

Erstaunlich ist, daß den Betriebsleitern in der Ukraine die mit dem Barterhandel verbundenen Informationsprobleme und damit die Schwierigkeit, bestmögliche Tauschbedingungen auf der Basis ausreichender Marktinformationen auszuhandeln, nicht immer klar sind. So wurde in Gesprächen darauf hingewiesen, daß man sich bei der Vereinbarung der Tauschrelationen an den bekannten Preisrelationen auf dem Weltmarkt orientiert. Dabei wird aber offensichtlich übersehen, daß a) sich die Preisrelationen auf dem Weltmarkt nahezu täglich ändern, b) daß es den Weltmarktpreis nicht gibt, sondern daß die Preise je nach Ort der Lieferung, Menge und Qualität differieren.

3.2 Zweite Hypothese

Es liegt im Gesamtinteresse der Mitglieder der KLB, einen relativ hohen Anteil des erwirtschafteten Einkommens entweder für Konsumzwecke zu verwenden oder in der eigenen Hauswirtschaft zu investieren. Als Folge schrumpft die Produktion in den KLB und steigt in den Hauswirtschaften.

3.2.1 Die Situation

Investitionen in den KLB haben in den letzten Jahren noch nicht einmal die Abschreibungen gedeckt. Der Kapitalstock ist somit geschrumpft (siehe Tabelle 11-4 und Abbildung 11-2). Hinzu kommt, daß der Einsatz variabler Betriebsmittel wie Düngemittel und Pflanzenschutzmittel rückläufig war. Diese Entwicklung wird offiziell mit der schlechten Einkommenssituation der Betriebe erklärt. Dies ist aber ein Zirkelschluß. Die Einkommenssituation wäre besser, wenn zumindest mehr variable Betriebsmittel eingesetzt werden würden.

3 Die Folgen dieses Zugriffs sind besonders deutlich im Milchsektor zu beobachten (s. Kapitel 8:

Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten werden?)

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206

Tabelle 11-4: Die Einkommenssituation der Kollektivbetriebe in der Ukraine

Jahr Unternehmen insgesamt (Anzahl)

Unternehmen mit Verlusten (Anzahl)

Verluste ('000 USD) Unternehmen mit Verlusten in %

1992 13.667 115 1.578 0,8

1993 13.840 160 5.771 1,2

1994 13.810 808 270.199 5,9

1995 11.705 3.602 154.331 30,8

1996 11.640 8.170 957.094 70,2

1997 12.152 10.625 1.850.005 87,4

Quelle: LANDWIRTSCHAFTSMINISTERIUM DER UKRAINE.

Abbildung 11-2: Gewinn in Prozent des Vermögens der Kollektivunternehmen

-3,5

-1,5

3,0

23,1

25,9 24,6

-5

0

5

10

15

20

25

30

1992 1993 1994 1995 1996 1997

Jahr

Gew

inn

in %

des

Ver

mцg

ens

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Jahrgänge).

3.2.2 Begründung

Bedeutung von Steuern und Abgaben: Wie bereits oben geschildert, müssen (bzw. mußten bis Ende 1998) die KLB Umsatzsteuer zahlen und hohe Lohnnebenkosten leisten. Für Hauswirtschaften entfallen diese Steuern und Abgaben. Daraus folgt, daß sich Investitionen in die Hauswirtschaft mehr rentieren können als in den KLB. Offensichtlich ist dies für den Einsatz variabler Produktionsmittel. 1 kg Kraftfutter würde unter deutschen Verhältnissen zu einer Erhöhung der Milchleistung um ca. 2 kg Milch führen. Im Kollektivbetrieb war die Mehrproduktion von 2 kg Milch bis Ende 1998 mit einer 20%igen Mehrwertsteuer belastet. Außerdem wären Abgaben für die bei der zusätzlichen Milchproduktion entstehenden Arbeitskosten zu leisten. Da diese Steuern und Abgaben für Hauswirtschaften entfallen, ist

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2071

eine bessere Verwertung des Kraftfutters aus Sicht der Gesamtheit der Mitglieder in den Hauswirtschaften gegeben. Das gesamte zur Verfügung stehende Einkommen erhöht sich durch die Umlenkung der Produktionsfaktoren.

Bedeutung von Marktunsicherheit: In der derzeitigen Situation der Ukraine, d.h. gesamtwirtschaftlicher Instabilität, unvorhersehbaren Eingriffen des Staates und unzureichender Rechtsordnung, ist der erwartete Gewinn einer zukünftigen Investition mit großer Unsicherheit behaftet. Unter diesen Bedingungen ist es verständlich, daß kurzfristige Investitionen, bei denen der Ertrag schon nach kurzer Zeit anfällt, den langfristigen Investitionen bevorzugt werden. Ein Phänomen ist weiterhin auch, daß bei unsicheren Erwartungen insgesamt weniger investiert und damit mehr konsumiert wird. Da die Mitglieder der KLB die augenblickliche und zukünftige Situation in den eigenen Hauswirtschaften besser einschätzen können als in den KLB, wird das einzelne Mitglied Investitionen in die Hauswirtschaft im Vergleich zu Investitionen in den KLB vorziehen. Als Folge werden daher Entscheidungen gefällt und Strategien angestrebt, die zu einer Verlagerung der Investitionen zugunsten der Hauswirtschaften führen.

Bedeutung unterschiedlicher Diskontierungsraten: Den einzelnen Mitgliedern steht am erwarteten Einkommensstrom aus der Investition im KLB nur ein geringer Anteil zu. Somit kann es auch sein, daß viele Mitglieder den Ertrag aus langfristigen Investitionen in den KLB nicht hoch bewerten, weil sie z.B. schon pensioniert sind. Diese Gruppe wird in Abstimmungen folglich dafür plädieren, die Gewinne des Unternehmens eher auszuschütten als sie langfristig in die Großbetriebe zu investieren.

Bedeutung hoher Transaktionskosten auf den KLB: Das einzelne Mitglied vergleicht die Rentabilität der Investition im KLB (in Form von ausgeschütteten Gewinnen) mit den Anteilen, die er aus einer Investition in seiner Hauswirtschaft erzielen könnte. Es kann sein:

• daß der erwartete Anteil an den Gewinnausschüttungen des KLB aufgrund geringer Arbeitsdisziplin und Diebstahl geringer ist als der einer Investition in der eigenen Hauswirtschaft;

• daß Mißmanagement und Fehlentscheidungen seitens der Leitung des KLB ebenfalls zu verringerten erwarteten Renditen beitragen;

• daß der Effekt von unvorhergesehenen, aber in der Ukraine üblichen politischen Eingriffen die erwartete Rentabilität von Investitionen in den KLB im Vergleich zu den Hauswirtschaften reduziert. Solche Eingriffe treffen in der Regel KLB mehr als die Hauswirtschaften.4

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Rückgang der Produktion in den KLB und der Anstieg der Produktion in den Hauswirtschaften nicht vornehmlich auf eine ungenügende Ausstattung mit Kapital zurückzuführen ist, sondern weitgehend das Ergebnis des gegenwärtigen Anreizsystems für die Mitglieder der KLB darstellt.

4 Die geplante Exportsteuer für Sonnenblumenkerne ist ein Beispiel eines solchen Eingriffs. S.

Kapitel 9: Der Markt für Ölsaaten in der Ukraine: Erfolgsgeschichte oder Geschichte?

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208

3.3 Dritte Hypothese

Die Mitglieder verhalten sich rational, wenn sie unter den bisherigen Rahmenbedingungen in der Ukraine von der Substanz der KLB leben und darüber hinaus sogar die Verschuldung der KLB in Kauf nehmen.

3.3.1 Die Situation

Es ist zu beobachten, daß die Produktionskapazität der KLB im Zeitablauf geschrumpft ist. Die Mehrheit der Betriebe hat seit Jahren keine Nettoinvestitionen getätigt. Selbst Reinvestitionen sind unterlassen worden. Somit ist der Kapitalstock der Betriebe zur Zeit geringer als vor Beginn der Transformation. Weiterhin hat die Verschuldung der Betriebe stark zugenommen. Daraus folgt, daß die Mitglieder der KLB entweder dem Betrieb über Gewinnausschüttungen und Löhne mehr entzogen haben als erwirtschaftet wurde oder aber Produktionskapazitäten in die Hauswirtschaften verlagert haben. Der letzte Aspekt wurde bereits oben erläutert. Im folgenden ist zu begründen, warum die KLB durchaus Interesse an der Verschuldung der KLB haben können.

3.3.2 Begründung

Schuldenerlasse setzen falsche Anreize: Die KLB erwarten, daß ihnen von Zeit zu Zeit ihre Schulden, die sie bei Banken oder Staatsunternehmen haben, erlassen werden. In der Vergangenheit ist es regelmäßig zu solchen Schuldenerlassen gekommen. Schulden machen ist daher als sinnvolle Strategie anzusehen, das konsumfähige Einkommen der Kollektivmitglieder zu erhöhen oder in den Hauswirtschaften den Kapitalstock zu erhöhen.

Ein nicht adäquates Insolvenzrecht und dessen unterlassene Anwendung hemmen notwendige Anpassungen: Bisher brauchten KLB nicht zu befürchten, im Fall der Zahlungsunfähigkeit zur Bankrotterklärung gezwungen zu werden. Nach dem zur Zeit geltenden ukrainischen Konkursgesetz kann nicht allein der Gläubiger den Bankrott erzwingen, sondern es ist die Zustimmung des Schuldners notwendig. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß die Mitglieder eines KLB die Zustimmung für den Vollzug eines Bankrotts geben sollten, da dadurch die Möglichkeit der Quersubventionierung der Hauswirtschaften durch die KLB entfallen würde. Zur Zeit wird an der Verabschiedung eines neuen Konkursgesetzes gearbeitet. Die Gesetzesvorlage sieht aber unverändert vor, daß der Käufer eines insolventen Unternehmens, das im Ausschreibungsverfahren übernommen werden soll, 75% der Arbeitskräfte zu übernehmen hat. Die Erfahrungen in der ehemaligen DDR zeigen, daß die versteckte Arbeitslosigkeit unter den Bedingungen der Planwirtschaft bei über 30% lag. Es wäre daher sogar bei unveränderter Produktionsstruktur und Technologie eine Freisetzung von Arbeitskräften von über 25% notwendig gewesen. Eine Auflage, mehr Arbeitskräfte zu beschäftigen, als ökonomisch sinnvoll ist, verringert den Verkaufspreis und damit die Chance der Gläubiger, abgefunden zu werden.

Bedeutung der ineffizienten Durchsetzbarkeit privater Rechtsansprüche: Private Gläubiger, z.B. private Landhändler, haben es generell schwer, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Die Verfahren sind lang und der Ausgang, auch wegen der häufig beklagten Bestechlichkeit der Richter, ungewiß. Die KLB können daher selbst dann geneigt sein, Schulden zu machen, wenn sie nicht die Fähigkeit haben, diese zurückzuzahlen.

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2091

3.4 Vierte Hypothese

Die gegenwärtige Organisationsstruktur der Kollektivbetriebe und die Form und Intensität staatlicher Eingriffe hemmt die Anpassung der Produktionsstruktur in den Großbetrieben an die geänderten ökonomischen Rahmenbedingungen.

3.4.1 Situation:

Die Anpassung der Struktur der Produktion an die geänderten Rahmenbedingungen hinkt weit hinter den Anpassungsnotwendigkeiten her. Diese Notwendigkeiten ergeben sich aus folgenden Zusammenhängen:

• In der Ukraine war die Produktion nicht vornehmlich an den erzielten Preisen ausgerichtet, sondern an den Planvorgaben. Es hätte erwartet werden können, daß die Orientierung an Marktpreisen zu einer regional und betrieblich differenzierten Änderung der Produktionsstruktur führen würde. Diese Änderung ist bei den KLB nicht zu beobachten.

• In der Ukraine, wie in anderen planwirtschaftlichen Ländern, war die tierische Produktion stärker protektioniert als die pflanzliche Produktion. Der Übergang zur Marktwirtschaft führte daher zu einer Änderung der Preisrelationen zwischen den Produkten und erforderte somit eine Anpassung. Tatsächlich ist die tierische Produktion stark gesunken, allerdings nur in den KLB, während sie in den Hauswirtschaften anstieg. Insgesamt hat sich auf regionaler und betrieblicher Ebene nicht die erwartete differenzierte Anpassung gezeigt.

• Durch den Übergang zur Marktwirtschaft haben sich auch die Faktorpreisrelationen erheblich geändert. Für die Betriebe ist Kapital und insbesondere Energie erheblich teurer und Arbeit billiger geworden. Der Übergang vom Plan zum Markt hat zu erheblicher Arbeitslosigkeit geführt, teilweise durch Abbau der zuvor versteckten Arbeitslosigkeit. Die Anpassung der Betriebe hätte daher einen Übergang zu arbeitsintensiven Technologien erfordert. Es ist aber nicht beobachtbar, daß die KLB zu anderen Technologien übergangen sind. Die Verlagerung der Produktion von den KLB zu den Hauswirtschaften bedeutet zwar eine aus gesamtwirtschaftlicher Sicht positiv zu bewertende Anpassung in Richtung arbeitsintensiver Technologien; allerdings wird diese Anpassung stark durch die oben beschriebene Quersubventionierung durch die KLB gefördert.

• Die Anpassung der KLB ist vornehmlich durch eine Einschränkung der Produktion erfolgt, wobei der Kapitaleinsatz stärker eingeschränkt wurde als der offizielle Arbeitseinsatz. Zumindest wäre aber der Einsatz von ertragssteigernden Vorleistungen in der tierischen und pflanzlichen Produktion sowohl betriebswirtschaftlich als auch gesamtwirtschaftlich rentabel. Dennoch setzen die KLB heute kaum ertragssteigernde Betriebsmittel ein.

• In Marktwirtschaften westlichen Typs sind die landwirtschaftlichen Betriebe in der Regel als Familienbetriebe organisiert und sehr viel kleiner als die KLB in der Ukraine. Es wäre zu erwarten gewesen, daß sich die Betriebsgrößenstruktur mehr dem westlichen Muster anpaßt. So ist für die neuen Bundesländer der BRD festzustellen, daß die durchschnittliche Betriebsgröße insgesamt verringert wurde. Zu beobachten ist

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210

auch, daß die sich Anzahl der Nachfolgeunternehmen der ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften seit der Wende wesentlich verringert und die Spezialisierung der Betriebe erheblich geändert hat. Zu solchen Anpassungen ist es in der Ukraine bisher nicht gekommen.

3.4.2 Begründung:

Bedeutung der Zustimmung der Vollversammlung zu Änderungen der Betriebs-organisation: In den Statuten der KLB ist vorgesehen, daß die Vollversammlung einer Änderung der Organisationsstruktur der Betriebe zustimmen muß. In der Vollversammlung hat jedes Mitglied unabhängig von den Anteilen am Vermögen des Unternehmens und unabhängig vom eigenen Arbeitseinsatz eine Stimme. Dies gilt demnach auch für Pensionäre, die lediglich Anteile am Vermögen haben oder gelegentlich im Unternehmen arbeiten. Es ist verständlich, daß von der Umorganisation negativ betroffene Mitglieder einer diesbezüglichen Umorganisation kaum zustimmen werden. Dies wird um so weniger zu erwarten sein, wenn sie mit einem Fortbestehen der Betriebe trotz zunehmender Verschuldung rechnen können.

Bedeutung der Wahl der Betriebsleiter: Der Betriebserfolg der landwirtschaftlichen Betriebe wird in Marktwirtschaften immer mehr durch die Qualifikation der Betriebsleiter bestimmt. Der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft stellt besondere Anforderungen an die Betriebsleiter. Selbst in funktionierenden Marktwirtschaften ist festzustellen, daß nicht alle Betriebsleiter in der Lage sind - trotz günstiger ökonomischer Rahmenbedingungen und natürlicher Standortfaktoren - ihre Betriebe erfolgreich zu führen. Die Selektion der Betriebsleiter ist damit für den erfolgreichen Umstrukturierungsprozeß der landwirtschaftlichen Unternehmen in der Ukraine von entscheidender Bedeutung. Somit ist wichtig, wie die Betriebsleiter ausgewählt, motiviert und überprüft werden. Nach den Statuten der KLB wird die Betriebsleitung aus der Gruppe der Mitglieder von der Vollversammlung gewählt. Die Wahlmöglichkeiten sind somit beschränkt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich besser qualifizierte Betriebsleiter durch Ausschreibung der Stellen finden ließen. Eine erweiterte Wahlmöglichkeit hätte weitere Vorteile:

• Der größere Kreis der potentiellen Kandidaten würde es möglich machen, der Qualifikation der Bewerber eine größere Bedeutung beizumessen. Dadurch würden potentielle Betriebsleiter auch größere Anreize haben, sich eine zusätzliche Qualifikation zu verschaffen und auch jüngere Kandidaten würden eine verbesserte Chance erhalten.

• Es könnten Betriebsleiter mit Erfahrungen in anderen Betrieben gefunden werden. Somit stiege auch die Chance, daß neue Strukturen eingeführt werden.

• Betriebsleiter hätten eher die Chance, das langjährig aufgebaute, auf persönlichen Beziehungen beruhende Netzwerk der gegenseitigen Begünstigungen aufzulösen und eine an Leistung orientierte Entlohnung einzuführen.

Natürlich stellt sich die Frage, ob es überhaupt Bewerber von außerhalb der Betriebe geben würde und ob diese auch gewählt werden würden. Ersteres wird aber um so eher der Fall sein, je höher die finanziellen Anreize sind. Gegenwärtig wird das Einkommen der Betriebsleiter von der Vollversammlung festgelegt. In den Einkommensrelationen zwischen Betriebsleitern und Durchschnittseinkommen der Arbeiter hat es seit der Umstrukturierung der Unternehmen zu Kollektivbetrieben auf den befragten Betrieben keine Änderungen

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gegeben. Die häufig angegebene Einkommensrelation ist 3:1, und damit sehr viel enger als in Marktwirtschaften.5 Hinzu kommt, daß zwar alle Einkommen auch vom Erfolg des Unternehmens abhängig sein können, indem die Vollversammlung einen Teil des Gewinnes als Bonus ausschüttet, doch ist das Einkommen der Betriebsleitung nicht stärker vom Betriebserfolg abhängig als das Einkommen anderer Arbeiter. Diese Regelung mag weitgehend den Gerechtigkeitsvorstellungen der Mitglieder der KLB entsprechen, enthält aber nicht genügend Anreize für das Management.

Erfahrungen in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland zeigen, daß bei ausreichender Gewinnbeteiligung und Entscheidungsfreiheit der Unternehmensleitung, Betriebsleiter sogar bereit sind, Kredite aufzunehmen, die zumindest zum Teil durch persönliche Haftung abgesichert werden. So waren Banken und Händler unter diesen Bedingungen und bei Vorlage eines Wirtschaftsplans bereit, Unternehmenskredite zu vergeben. Es genügt den Banken offensichtlich als Sicherheit, daß der Betriebsleiter auch mit eigenen Vermögenswerten haftet und so erhebliche Anreize hat, die Investition zum Erfolg zu bringen, da ansonsten seine eigene Existenzgrundlage gefährdet wird. Hiermit konnte er bei den Banken und anderen Kreditgebern Vertrauen für die höchst wahrscheinliche Rückzahlung des Kredites schaffen. Es versteht sich von selbst, daß die Bereitschaft, solch riskante Positionen zu übernehmen, nur dann eingegangen wird, wenn der Betriebserfolg auch weitestgehend durch den Betriebsleiter beeinflußbar ist. Das setzt zum einen eine klar abgesteckte Entscheidungsfreiheit des Betriebsleiters voraus und zum anderen auch überschaubare Marktentwicklungen. Unvorhersehbare politische Eingriffe in die Märkte unterbinden eine solche Entwicklung.

Bedeutung des Insolvenzrechts: Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen würde eine Umorganisation der Betriebe zwangsläufig herbeigeführt werden. Unternehmen, die von Jahr zu Jahr Verluste erwirtschaften, würden zum Konkurs gezwungen werden. Die Transformation vom Plan zum Markt erfordert einen Selektionsprozeß, in dem die Betriebe in Konkurs gehen müssen, die sich nicht haben anpassen können.

Auch in Marktwirtschaften überleben nicht alle Unternehmen eines Sektors in Zeiten erheblicher ökonomischer Umbrüche. So zeigt sich z.B., daß in den neuen Bundesländern der BRD etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe trotz erheblicher staatlicher Förderung in der Gründungsphase bereits nach vier Jahren in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten geraten waren (siehe Tabelle 11-5). Eine Vielzahl anderer Unternehmen erzielte jedoch unter gleichen natürlichen Standortbedingungen zufriedenstellende oder gute Betriebsergebnisse.

5 Vgl. hierzu die Befragungsergebnisse in Kapitel 10: Die Struktur der ukrainischen Agrarproduktion

am Beispiel des Oblast Shytomyr.

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212

Tabelle 11-5: Anteil der Betriebe mit unter 20.000 DM oder über 50.000 DM Gewinn pro Familienarbeitskraft nach Unternehmensformen in den Neuen Bundesländern der BRD (%)

1992/93 1993/94 1994/95

< 20.000 DM Gewinn/ Familienarbeitskraft*

Familienbetriebe 38 30 36

Betriebsgemeinschaften 18 12 19

Juristische Personen 18 12 19

Zum Vergleich: Alte Bundesländer - 39 36

> 50.000 DM Gewinn/Familienarbeitskraft*

Familienbetriebe 33 34 32

Betriebsgemeinschaften 65 51 52

Juristische Personen** 15 23 33

Zum Vergleich: Alte Bundesländer - 16 19 Hinweis: * Gewinn/Familienarbeitskraft enthält auch die Löhne für Nicht-

Familienarbeitskräfte. Die Zahl der repräsentativen Unternehmen differiert von Jahr zu Jahr wegen Datenproblemen. ** Für juristische Personen beträgt die Gewinnabgrenzung DM 40.000.

Quelle: Eigene Berechnungen mit BMELF (versch. Jahrgänge).

Eine effiziente Umstrukturierung eines Sektors kann nur durch einen Selektionsprozeß zwischen den anpassungsfähigen und nicht anpassungsfähigen Unternehmen erfolgen. Die Anwendung eines wirksamen Insolvenzrechts ist eine notwendige Bedingung, um den Selektionsprozeß zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Unternehmen durchzusetzen. In der Landwirtschaft ist das Wachstum einzelner Betriebe eng daran gebunden, daß andere Betriebe ihre Produktion einschränken oder aufgeben, so daß andere Betriebe die Produktionsfaktoren, insbesondere Boden, nutzen können. Wird die Betriebsaufgabe durch ein inadäquates Insolvenzrecht oder durch Nichtanwendung des vorhandenen Rechts gehemmt, so wird gleichzeitig das Wachstum der besseren Betriebe und Unternehmensformen gehemmt. Eine strikte Anwendung eines adäquaten Insolvenzrechts würde darüber hinaus auch die Chance eröffnen, schneller nicht erfolgreiche Betriebsleiter zu ersetzen.

Bedeutung nicht funktionierender Bodenmärkte: In marktwirtschaftlichen Systemen wird der Selektionsprozeß zwischen den Betrieben auch über die Bodenmärkte gesteuert. Erfolgreiche Betriebe sind in der Lage, höhere Pacht- und Bodenpreise zu zahlen und somit den Boden von den weniger erfolgreichen Betrieben zu erwerben. In der Ukraine ist ein Pachtgesetz erst Anfang Oktober 1998 verabschiedet worden. Zwar war auch schon vorher die Verpachtung von Flächen möglich, doch war die Rechtsgrundlage unsicher. Die Verabschiedung des Pachtgesetzes kann als notwendige Bedingung für funktionierende Pachtmärkte angesehen werden, reicht allerdings allein nicht aus. Es wird abzuwarten sein, inwieweit andere formale und informelle Hemmnisse, die im folgenden kurz diskutiert werden, der Entwicklung der Bodenmärkte entgegenwirken.

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2131

• Als wichtiges formales Hemmnis wirkt z.B., daß die Mitglieder der KLB bei Entnahme von Teilen ihrer Vermögensanteile aus den Betrieben ihren Anspruch auf Beschäftigung in den Unternehmen verlieren. Der Anspruch der Mitglieder, beschäftigt zu werden und andere Rechte - wie z.B. Einkauf von verbilligten Futtermitteln - hat indirekte Effekte auf die Entwicklung der Pachtmärkte. Das Angebot von Pachtflächen der Mitglieder, die ihren Anteil dem Betrieb entnehmen könnten, wird sich deshalb verringern.

• Ein wichtiges formales Hemmnis besteht auch durch die nicht adäquate Bewertung des Vermögens der KLB. Die einzelnen Vermögensteile entsprechen lediglich Buchwerten, die sich an den ehemaligen Kaufwerten oder Selbstkosten orientieren und nach staatlichen Vorgaben proportional durch einen Inflationsindex angehoben wurden. Diese Buchwerte sind weder im Aggregat noch für einzelne Vermögenswerte mit den Marktwerten vergleichbar (siehe Tabelle 11-6). Die inadäquate Bewertung des Vermögens beeinflußt die Entscheidung der Mitglieder, aus dem KLB auszuscheiden. Da die Mitglieder zwar einen Anspruch auf Herausgabe ihrer Anteile am Boden und Vermögen des Betriebes haben, aber nicht auf monetäre Abfindung, kann der KLB Abfindungsansprüche durch Übergabe von Sachmitteln erfüllen. Dabei kann und muß sich der Betrieb an den Buchwerten der Vermögensanteile orientieren. Der Austritt aus dem KLB kann daher austrittswilligen Mitgliedern, die sich als Landwirt selbständig machen wollen und daher potentielle Pächter von Flächen anderer Mitglieder sind, durch ungünstige Abfindungsangebote erschwert werden. Hiermit wird die Existenz der KLB stabilisiert und die Nachfrage nach Pachtflächen reduziert. Die formalen Hemmnisse verringern somit sowohl das Angebot von als auch die Nachfrage nach Pachtflächen.

Tabelle 11-6: Buchwerte und Wiederbeschaffungswerte verschiedener landwirtschaftlicher Anlagen und Gebäude in der Ukraine

Art des Vermögens

Neubeschaf-fungswert

(UAH)

Verbleibende ökonomische Lebensdauer

(Jahre)

Abgeschrie-bener

Wiederbeschaffungswert (UAH)

Buchwert (UAH)

Buchwert in % des abgeschrie-

benen Wiederbeschaffun

gswerts

Getreidelager 240.000 16 85.333 172.576 202

Lagerhaus 174.000 16 61.866 6.187 10

Getreidelager 108.000 16 38.400 150.510 392

Außenlager 60.000 16 21.333 28.650 134

Melkanlage 50.000 22 44.000 625.440 1.421

Ahrap 133.000 16 47.288 669.690 1.416

Wägehaus 4.000 20 1.600 11.020 689

Getreidelager 81.200 16 28.871 787 3

Summe 876.800 338.151 1.664.860 492

Quelle: CARGILL TECHNICAL SERVICES LIMITED (1997, S.19).

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214

• Es mag verwundern, daß in der Ukraine nicht ganze KLB von Einzelpersonen gepachtet werden. Dies kann teilweise durch die unsicheren Perspektiven aufgrund vielfältiger staatlicher Eingriffe erklärt werden. Doch selbst wenn diese Gründe entfielen, würde das gegenwärtige Arbeitsrecht das Entstehen solcher Pachtbetriebe erschweren. Betriebsnachfolger von KLB haben offiziell die Mitglieder zu beschäftigen. Es gibt allerdings vereinzelt bereits Fälle, wo ganze Betriebe oder Betriebsteile von Nachfolgern übernommen wurden, ohne eine Beschäftigungsgarantie zu geben. Doch ist dieses Vorgehen nicht rechtmäßig und zumindest auf das Wohlwollen der Rayonverwaltung angewiesen. Das für die Mitglieder der KLB geltende Arbeitsrecht hemmt somit die Entwicklung funktionierender Bodenmärkte.

• Die Regierung hat auch Berechnungen über die Höhe der Bodenpreise vorgelegt und damit den Eindruck erweckt, daß man die Höhe der Bodenpreise einfach nach einer Formel berechnen kann. Die Erfahrung westlicher Marktwirtschaften zeigt jedoch, daß die regionale Struktur der Bodenpreise stark differenziert ist. Es ist nicht allein die Bodenqualität, die die Bodenpreise bestimmt, sondern u.a. auch die regionale Struktur der Produktpreise, die von der Lage zu den Verbrauchszentren bestimmt wird, die Besonderheiten der regionalen Betriebsstrukturen und vor allem auch die außerlandwirtschaftliche Nachfrage nach Boden. Die Vorgabe einheitlicher Bodenpreise hemmt die differenzierte Entwicklung regionaler Bodenmärkte.

• Die Entwicklung der Bodenmärkte kann auch durch die Administration gehemmt werden, wenn die Genehmigung und Registrierung zeitlich verzögert wird. Dieser Tatbestand ist in der Ukraine gegeben, und zwar nicht nur, weil die personelle Kapazität der Administration nicht ausreichend ist, sondern auch, weil die Rayonverwaltungen die Umstrukturierung der KLB verhindern möchten. Offiziell haben die Betriebe bei der Festlegung ihrer Produktionsstruktur und Vermarktung freie Hand. Tatsächlich gibt es aber erhebliche Eingriffe seitens der Rayonverwaltungen.6 In Interviews wurde dies auch durch Vertreter solcher Verwaltungen bestätigt. Für solche Produktionsauflagen gibt es keine gesetzliche Grundlage, dennoch haben die Rayonverwaltungen genügend Druckmittel, um ihre Wünsche durchzusetzen. So wird berichtet, daß die Rayonverwaltung sich gegebenenfalls intensiv in die Wahl der Betriebsleiter durch die Vollversammlung einmischt. Es wird z.B. verbreitet, daß die Zahlung von Pensionen nicht erfolgt sei, weil ein bestimmter Betriebsleiter zu schlecht gewirtschaftet habe. Andere Möglichkeiten der Einflußnahme auf betriebliche Entscheidungen entstehen durch die Aufgabe der Verwaltungen, staatlich bereitgestellte Betriebsmittel zu verteilen. So kann die Verwaltung Agrarbetriebe unter Druck setzen, indem sie die Zuteilung wichtiger Betriebsmittel verweigert. Die Betriebe werden auch in der Wahl ihrer Absatzwege durch die Administration beeinflußt. So haben sie auf Anordnung der Rayonverwaltung z.B. Krankenhäuser und Kindergärten zu Selbstkostenpreisen zu beliefern. Da diese Selbstkosten unter den ökonomischen Kosten, wie sie in Marktwirtschaften berechnet werden, liegen, ist dieses einerseits ein Grund für die schlechte Ertragslage der Unternehmen. Andererseits führt dies auch zu einem

6 Konkret hierzu vgl. Kapitel 8: Milchproduktion in der Ukraine: Kann das Tal durchschritten

werden?

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verstärkten Interesse der Administration an der weiteren Existenz der KLB. Da ein freier Bodenmarkt diese Existenz bedrohen könnte, sind die Rayonverwaltungen nicht an der Entwicklung eines solchen Marktes interessiert.

• Auch informelle Hindernisse haben die Entwicklung des Bodenmarktes in der Ukraine gehemmt. Hierzu gehört der Informationsstand der Mitglieder der KLB. Die Mitglieder sind über ihre Rechte bezüglich ihres Bodeneigentums nur unzureichend informiert. Einer Umfrage aus dem Jahr 1996 zufolge wußten nur 8% der befragten Mitglieder, daß sie ihre Landanteile verkaufen konnten (Csaki & Lerman 1997). Nur 22% wußten, daß sie ihren Landanteil auch verpachten durften. Selbst diejenigen, die aus den Kollektivbetrieben ausgeschieden waren und einen Anspruch auf Übergabe ihrer Vermögensanteile gehabt hätten, hatten zu 80% weder Land noch andere Vermögensanteile vom KLB erhalten. Diese Informationen verdeutlichen, daß es nicht unbedingt an den formalen Gesetzen liegt, wenn die Strukturen sich nicht ändern. Bedeutender scheint zu sein, daß die Akteure über ihre Rechte informiert und formale und informelle Barrieren bei der Durchsetzung der Rechte abgebaut werden. In diesem Bereich ist der ukrainische Staat wichtigen Aufgaben bisher nicht nachgekommen.

In Anbetracht der gegenwärtigen formalen und informellen Hemmnisse, die einer Entwicklung funktionierender Bodenmärkte entgegenstehen, ist zu bezweifeln, daß die Verabschiedung des Pachtgesetzes eine ausreichende Voraussetzung für die Änderung der Agrarstruktur darstellt.

Beschränkter Zugang zu kommerziellen Krediten: Die Restrukturierung der ukrainischen Landwirtschaft zieht einen hohen Kapitalbedarf nach sich. Allerdings sind die Betriebe nicht in der Lage, das benötigte Kapital aus Eigenmitteln zu finanzieren. Ein Grund hierfür ist vor allem, daß die Erzeugerpreise durch staatliche Maßnahmen niedriger sind als bei Freihandel. Eine Finanzierung durch Fremdkapital oder neue Anteilseigner ist daher notwendig. Die gegenwärtige Organisationsstruktur, das Insolvenzrecht und die Intensität staatlicher/administrativer Eingriffe erschweren den Zugang zum Kapitalmarkt. Wenn die Betriebsleitung weiterhin durch die Vollversammlung laut Satzung eingeschränkt wird, können auch von außen keine Kapitalzuflüsse erwartet werden. Zugang zu Bankkrediten ist ebenfalls begrenzt, weil die KLB nur begrenzt Sicherheit bieten können. Eine Beleihung des Bodens der KLB ist gegenwärtig nicht möglich, da die Betriebe nicht Eigentümer der Flächen sind und die einzelnen Mitglieder - selbst wenn eine Zuteilung der Landtitel erfolgt wäre - kaum bereit wären, ihr Bodenvermögen als Sicherheit für einen Kredit des KLB zu geben. Auch im Falle einer Insolvenz hat der Gläubiger keinen Zugriff auf den Boden. Werden die Betriebe aufgelöst, geht der Boden in einen Bodenfond.

4 Empfehlungen

4.1 Zur Identifikation individueller und gruppenbezogener Interessen

Es hat sicher nicht am Fehlen guter Empfehlungen gelegen, daß die Politik bisher nicht die richtigen Weichen gestellt hat, um die wirtschaftliche Lage der ukrainischen Landwirtschaft zu verbessern. Die oben dargestellte Problemanalyse macht aber deutlich, daß es keine Empfehlungen geben kann, bei der es kurzfristig keine Verlierer gibt. In der Regel gibt es Gewinner und Verlierer bei geänderten politischen Weichenstellungen. Oft haben

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Reformen auch den Charakter einer Investition, bei der in den ersten Jahren Kosten und erst später Gewinne anfallen. In der Ukraine scheint es so zu sein, daß die potentiellen Verlierer sich auf dem politischen Markt durchsetzen können; sie blockieren Änderungen, die zwar die gesamtwirtschaftliche Situation verbessern, ihre eigene aber verschlechtern würden. Daher scheint es sinnvoll zu sein, zunächst die Interessenlage der einzelnen politischen Akteure zu identifizieren. Welche Gruppen sind an einer schnellen Umstrukturierung der Landwirtschaft interessiert, welche Gruppen leisten den Reformbemühungen Widerstand, und wie kann der Widerstand verringert werden?

Die Interessenlage der Betriebsleiter der KLB: Viele Betriebsleiter der KLB dürften kaum an einer Umstrukturierung interessiert sein. Gegenwärtig werden sie weniger als Betriebsleiter in marktwirtschaftlichen Systemen kontrolliert. Da sie bessere Informationen als andere Mitglieder der Kollektive haben, können sie sich u.a. über intransparente Markttransaktionen Vorteile beschaffen. Es ist natürlich schwer nachzuweisen, in welchem Ausmaß eine solche Bereicherung stattfindet, aber es ist bekannt, daß auch in Gesellschaften mit einem etablierten Rechtssystem und allgemein ausgeprägtem Rechtsempfinden - wie z.B. der Bundesrepublik Deutschland - Korruption von Leitungspersonen bei entsprechenden Möglichkeiten einerseits und mangelnder Kontrolle andererseits keine Seltenheit ist. Aus Berichten aus der Ukraine ist zu entnehmen, daß zumindest Vorteilnahme durch Betriebsleiter bei Verkauf von Getreide und anderen Produkten nicht unüblich ist. Der Augenschein bei Besichtigungen deutet darauf hin, daß sich die Betriebsleiter trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage der Betriebe und trotz nicht gezahlter Gehälter einen beachtlichen Lebensstandard leisten können. Es ist fraglich, ob dieser Lebensstandard bei einer Reorganisation der Betriebe aufrecht erhalten werden könnte. Vielmehr kann vermutet werden, daß ein Teil der Betriebsleiter den Aufgaben in einem restrukturierten Betrieb nicht gewachsen wären. Auf jeden Fall würde eine Umorganisation den Wettbewerbsdruck für die Betriebsleiter erhöhen; es würden auch Bewerber von außen Berücksichtigung finden und damit die Beschäftigungschancen für die gegenwärtigen Betriebsleiter verringern; ein Teil der KLB würde durch Entnahme von Anteilen der Mitglieder schrumpfen oder sogar aufgelöst werden.

Die Interessenlage der übrigen Mitglieder der KLB: Bei den Mitgliedern ist die Interessenlage sicher stärker differenziert als bei den Betriebsleitern. Die Gruppe der Pensionäre, die über 50% der Mitglieder in den meisten KLB stellt, kann als relativ homogen in der Interessenlage angesehen werden. Pensionäre arbeiten gegenwärtig zumindest teilweise auf den KLB, erhalten die Möglichkeit zum verbilligten Einkauf und auch zum Erwerb von Produktionsmitteln. Zusätzlich erhalten sie von den KLB Leistungen, wie z.B. Brennmaterial und Transportmittel. Auf einigen Betrieben wird den Pensionären auch ihr Bodenanteil in Form einer Pachtzahlung entgolten. Bei Auflösung der KLB könnten die Pensionäre möglicherweise definitiv Pachtzahlungen erzielen. Durch das neue Gesetz über die ‘einheitliche Bodensteuer’ wird aber der Nettoertrag einer Verpachtung reduziert. Er kann sogar gegen Null tendieren, da die Regierung offiziell empfiehlt, die Höhe der Pachtzahlung an der Höhe der Bodensteuer zu orientieren. Daraus folgt, daß die Pensionäre als der größte homogene Kreis der Mitglieder der KLB nicht an einer baldigen Umstrukturierung interessiert sein können.

Unter den Mitgliedern gibt es eine Gruppe von Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft kaum von Nachfolgeunternehmen

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beschäftigt werden und auch außerhalb der Landwirtschaft kaum eine Beschäftigung finden würden. Diese Gruppe ist deshalb ebenfalls an einem Fortbestehen der KLB interessiert. Eine vergleichbare Interessenlage kann für die relativ wenig mobilen Arbeitskräfte, zu denen auch ältere Frauen gehören, vermutet werden. Die Auflösung der KLB würde wahrscheinlich zur Arbeitslosigkeit führen und zu einer Verschlechterung der realen Einkommenslage.

Es kann vermutet werden, daß es unter den Mitgliedern nur eine kleine Gruppe gibt, die an einer Auflösung der KLB interessiert ist. Dies sind relativ junge und gut ausgebildete Fachkräfte, die die Chance zu selbständiger Tätigkeit in der Landwirtschaft oder in dem sich entwickelnden landwirtschaftsnahen Sektor (z.B. Handel, Lohnunternehmen) besser wahrnehmen könnten, wenn die KLB aufgelöst werden würden. Die Größe dieser Gruppe schrumpft im Zeitablauf, weil qualifizierte Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abwandern. Weiterhin hängt die Größe dieser Gruppe von gesamtwirtschaftlichen und sektoralen Rahmenbedingungen ab. Der Aufbau einer selbständigen Existenz in der Landwirtschaft ist mit langfristigen Investitionen verbunden. Bei der gegenwärtigen schlechten Ertragslage, u.a. als Folge der impliziten Besteuerung der Landwirtschaft durch niedrige Produktpreise und durch die vor allem politisch verursachte Unsicherheit, ist das Risiko langfristiger Investitionen hoch. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Bereitschaft zur Gründung einer selbständigen landwirtschaftlichen Existenz unter den Mitgliedern der KLB begrenzt ist.

Insgesamt kann daher gefolgert werden, daß die Mehrheit der Mitglieder der KLB nicht an einer Auflösung dieser Betriebe interessiert sind. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn von der Mehrheit der Mitglieder, Bestrebungen einzelner Mitglieder aus dem KLB auszuscheiden, nicht positiv gesehen und möglichst unterbunden werden.

Die Interessenlage der Administration im Rayon, Oblast und auf Zentralebene: Das gegenwärtige System gibt den Administratoren auf allen Ebenen mehr Möglichkeiten der Einflußnahme und der Korruption, als marktwirtschaftliche Systeme bieten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Administration den Weg vom Plan zum Markt eher hemmen als beschleunigen.

4.2 Einige Folgerungen

Aus dieser kurzen Analyse der Interessenslage wichtiger Gruppen folgt, daß ökonomische Ratschläge, die zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage insgesamt führen könnten, kaum eine Chance auf politische Verwirklichung haben werden. Bei den Vorschlägen ist daher zu bedenken, wer der Adressat der Umsetzung sein soll und wie der Widerstand der direkt Betroffenen möglichst verhindert werden kann.

Die obige Analyse weist auf die Bedeutung des Informationsstands der Betroffenen hin. Allgemein kann angenommen werden, daß der Widerstand gegen Reformen um so größer sein wird, je weniger die Betroffenen über die positiven Wirkungen informiert sind. Mangelnde Information über zukünftige Entwicklungstendenzen verleiten dazu, den Status quo auf die Zukunft zu extrapolieren. Die zukünftige Wirkung von Reformen wird daher häufig mit der gegenwärtigen Situation verglichen, auch wenn die Zukunft ohne Reform nicht mit der Gegenwart vergleichbar sein kann. Dieses Verhalten hat für die Durchsetzung von Reformmaßnahmen in der Ukraine besondere Bedeutung. Es scheint noch nicht genügend bekannt zu sein, daß sich die Situation der Landwirtschaft ohne grundlegende Reform der Organisationsstruktur weiterhin verschlechtern wird. Die von der Reform Betroffenen müßten

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bei der Bestimmung ihrer Interessenlage die zukünftige Situation mit und ohne Reform vergleichen. Es kann angenommen werden, daß sich bei einem solchen Vergleich eine größere Gruppe für die Reform aussprechen würde. Die Verbesserung des Informationstands der von Reformmaßnahmen Betroffenen sollte höchste Priorität haben.

Die Analyse der gegenwärtigen Situation hat gezeigt, daß eine Änderung des Verhaltens der Betriebsleiter der KLB eine notwendige Bedingung für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ist. Es wurde gezeigt, daß die gegenwärtige Organisation der Betriebe und die Verzahnung mit den Hauswirtschaften für den Niedergang der ukrainischen Agrar- und Ernährungswirtschaft von großer Bedeutung sind. Hier muß mittel- und langfristig durch eine Änderung der Rechtsform der Unternehmen und durch Übergang zu marktwirtschaftlichen Austauschbeziehungen zwischen den KLB und den Hauswirtschaften eine Effizienzsteigerung erreicht werden. Detaillierte Vorschläge hierzu werden unten formuliert.

Es wurde in der Analyse aber auch gezeigt, daß die Schwächen der gegenwärtigen Organisationsstruktur der landwirtschaftlichen Betriebe durch zahlreiche administrative Eingriffe (z.B. durch den uneingeschränkte Zugriff der Finanzbehörden auf Bankkonten, durch die jährlich stattfindenden Eingriffe in die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte, usw.) verstärkt werden. Die für die ukrainische Landwirtschaft fatalen Folgen dieser Eingriffe sind oft dargestellt worden.7 Die in diesen Studien enthaltenen Empfehlungen sind unverändert zu unterstützen, da sie bisher nicht umgesetzt wurden. Im Gegenteil, die staatliche effektive Eingriffsintensität ist nach wie vor hoch, in einzelnen Bereichen sogar höher als in den ersten Jahren der Unabhängigkeit. Diese Aussage gilt, auch wenn offiziell eine Liberalisierung verkündet wurde.

4.3 Maßnahmen, die auf die Änderung der Verflechtung zwischen KLB und Hauswirtschaften hinwirken und den Strukturwandel fördern

Ohne Änderung des Druck- und Anreizsystems für die in der Landwirtschaft Tätigen kann das Grundproblem der Ineffizienz in der Landwirtschaft nicht gelöst werden. Die obige Analyse hat gezeigt, daß die Ineffizienz der ukrainischen Landwirtschaft erheblich durch die gegenwärtige Verflechtung zwischen KLB und Hauswirtschaften begründet ist. Es sind daher Maßnahmen zu ergreifen, die die Verflechtung auflösen, die Gründung neuer Betriebseinheiten fördern und die Entscheidungsfindung sowie die Durchsetzung von Entscheidungen auf den KLB ändern. Im folgenden wird auf diese Maßnahmen eingegangen

4.3.1 Veränderung der Rechtsstellung und der Ansprüche der Mitglieder der KLB

Damit auf den KLB die notwendige Transparenz hergestellt wird, sollten Mitglieder über ihre Rechte vollständig informiert werden, sollten Betriebsvergleiche veröffentlicht werden und Betriebsprüfungen durch vereidigte Wirtschaftsprüfer stattfinden. Interviews von Mitgliedern der KLB haben ergeben, daß Informationen über die Rechte der Mitglieder begrenzt sind. Die Leiter dieser Betriebe haben eine strenge Kontrolle durch die Mitglieder daher nicht zu befürchten. Ineffizienzen, Korruption und mangelnde Arbeitsdisziplin auf den KLB können leichter bekämpft werden, wenn Mitglieder der Betriebe sowie Gläubiger und

7 Darunter auch die Kapitel in Teil II dieses Buches.

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Schuldner verbesserte Informationen über ihre Rechte und die wirtschaftliche Lage auf den Betrieben erhalten. Eine Beurteilung der einzelbetrieblichen Information ist aber nur aussagefähig, wenn man diese Information mit der anderer Betriebe vergleichen kann. Es ist daher empfehlenswert, daß detaillierte Betriebsvergleiche veröffentlicht und auf den Vollversammlungen der Betriebe sowie unter den Betriebsleitern unter fachlicher Leitung von externen Sachverständigen diskutiert werden. In Deutschland gibt es in einigen Regionen Jahresversammlungen von Betrieben, die zu Beratungsringen gehören. Auf diesen Versammlungen werden die Unterschiede in den Betriebsergebnissen detailliert diskutiert und Schwachstellen einzelner Betriebe aufgezeigt. Solche Vergleiche könnten in der Ukraine sehr hilfreich sein, da sie den Betriebsleitern zeigen, wo im Vergleich zu anderen Betrieben positive Änderungen möglich sind. Ferner bekämen die Mitglieder somit eine bessere Grundlage für die Wahl der Betriebsleitung.

4.3.2 Änderung des passiven Wahlrechts und der Abstimmungsberechtigten

Oben wurde ausgeführt, daß der Betriebserfolg zu einem großen Teil durch die Qualifikation der Betriebsleiter bestimmt wird. Es ist daher zu wünschen, daß der Kreis der potentiellen Betriebsleiter, aus dem die Vollversammlung wählt, möglichst groß ist. Es ist demnach darauf hinzuwirken, daß die Statuten der KLB auch die Wahl von Nichtmitgliedern als Betriebsleiter zulassen.

Die Satzung der KLB sollte die Aufgaben der Vollversammlung ändern. Vom Prinzip ‘ein Mitglied gleich eine Stimme’ sollte für bestimmte Entscheidungen abgewichen werden. Vielmehr sollten bei Entscheidungen über Umstrukturierungen die Stimmen nach dem Vermögensanteil (einschließlich der Bodenanteile) gewichtet werden. Dies sollte aber auch für Entscheidungen bezüglich der Lohnhöhe gelten. Dadurch würde man den Kapitaleigentümern (wie z.B. den Pensionären und denen, die einen höheren Kapitalanteil haben, weil sie höhere Einkommen bezogen oder längere Zeit in den Betrieben gearbeitet haben) einen größeren Einfluß einräumen. Nur hierdurch könnte eine Änderung in der Verhaltensweise eintreten. Die Satzungen sollten vorsehen, daß jeder Bodeneigentümer auch eine Pachtzahlung erhält. Diese Änderung würde u.a. die Betriebsleiter veranlassen, den Faktor Boden bei den Kostenrechnungen zu berücksichtigen.

4.3.3 Aufhebung des Anspruchs auf Arbeit

Die Umorganisation der landwirtschaftlichen Betriebe ist erschwert oder nahezu unmöglich gemacht, wenn die Mitglieder zumindest offiziell das Recht auf Beschäftigung haben. Diese Regelung ist demnach durch Gesetzesänderung aufzuheben.

4.3.4 Änderung der Vorschriften über die Berechnung der Selbstkosten für die Ermittlung der Preise von Produkten, die an Mitglieder verkauft oder als Entlohnung gewählt werden

Die Quersubventionierung der Hauswirtschaften durch die KLB ist gegenwärtig legal möglich, weil die Regeln über die Ermittlung der Selbstkosten und über die Festlegung der Verkaufspreise an Mitglieder dieses erlauben. Marktwirtschaftliche Beziehungen zwischen KLB und Hauswirtschaften können nur entstehen, wenn die Vorschriften über die Ermittlung der Selbstkosten und Festlegung der Preise geändert werden. Mitglieder, die Produkte kaufen oder als Bezahlung für Arbeitsleistungen erhalten, sollten Marktpreise entrichten.

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4.3.5 Änderung der Regelung über die Entnahme von Vermögens- und/oder Boden-anteilen

Die Umstrukturierung der ukrainischen Landwirtschaft muß mit der Gründung neuer Betriebe und mit einem erhöhten Bodentransfer einhergehen. Es sollte im Zuge der Umstrukturierung auch möglich sein, daß die Mitglieder der KLB einen Teil ihres Boden/Vermögensanteils für selbständige Bewirtschaftung und damit Vergrößerung der Hauswirtschaften herausnehmen dürfen. Diese gesetzliche Möglichkeit ist insbesondere sinnvoll, wenn die Hauswirtschaften nicht mehr verbilligt Futtermittel und andere Produkte von den KLB kaufen dürfen. Wenn sie einen Teil ihrer Anteile aus den KLB herausnehmen dürfen, haben sie die Möglichkeit der graduellen Aufstockung ihrer Hauswirtschaften und Anpassung der Größe an die familiäre Arbeitskapazität.

4.3.6 Notwendigkeit der Neubewertung des Vermögens der KLB

Die Umstrukturierung der Landwirtschaft mit der Gründung von wettbewerbsfähigen Großbetrieben, Nebenerwerbswirtschaften oder Familienbetrieben setzt eine Vermögensauseinandersetzung zwischen den Mitgliedern der KLB voraus. Bevor eine Vermögensaufteilung vorgenommen wird, müssen Informationen über die Vermögenshöhe vorliegen. Die gegenwärtigen Buchwerte der KLB weichen von den Marktwerten des Vermögens erheblich ab. Sie basieren grundsätzlich auf den Beschaffungswerten oder Selbstkosten und sind lediglich durch staatliche Verordnung inflationsbedingt angehoben worden. Die Erfahrungen der Bundesrepublik bei der Neubewertung des Vermögens der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften könnten hier hilfreich sein.8 Demnach müßten die KLB gesetzlich verpflichtet werden, zu einem vorgegebenen Termin eine Eröffnungsbilanz mit Neubewertung des Vermögens zu erstellen.

4.4 Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die KLB

4.4.1 Änderung und Durchsetzung des Insolvenzrechts

Die Umstrukturierung der Landwirtschaft kann nur dann zügig erfolgen, wenn das Insolvenzrecht geändert und auch durchgesetzt wird. Insolvenzen sind notwendig, um zwischen den entwicklungsfähigen und nicht entwicklungsfähigen Betrieben zu selektieren. Aufschub von Insolvenzen bedeutet, daß bereits existierende entwicklungsfähige Betriebe oder neu entstehende Betriebe weniger Entwicklungschancen haben. Insgesamt wird dadurch das vorhandene Produktionspotential weniger ausgeschöpft. Darüber hinaus eröffnen Insolvenzen die Chance, externes Kapital vom In- oder Ausland in den Agrarsektor zu investieren. Die Anwendung des Insolvenzrechts soll bei der Gestaltung des Strukturwandels Druck im Hinblick auf notwendige Anpassungen ausüben.

4.4.2 Förderung des Zugangs zu den Kreditmärkten

Die ländlichen Kreditmärkte sind in der Ukraine, wie in anderen Transformationsländern auch, unterentwickelt. Dies gilt sowohl für die formalen als auch

8 Vgl. Kapitel 5: Die Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern

Deutschlands: Lehren für die Ukraine.

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informellen Kreditmärkte. Sofortige Maßnahmen sind notwendig, um die informellen Kreditmärkte zu entwickeln.

4.4.3 Förderung der Kreditgeschäfte in Form von Gegengeschäften (Barter)

Die wirtschaftliche Lage der ukrainischen Betriebe könnte bereits wesentlich verbessert werden, wenn die Betriebe leichter rentable kurzfristige Kredite erhalten würden, um Betriebsmittel zu kaufen. Der zusätzliche Einsatz von z.B. Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, Kraftfutter und Dieselkraftstoffen ist auf den Betrieben in der Regel hoch rentabel. In den letzten Jahren ist der Einsatz dieser Betriebsmittel zurückgegangen, weil den Betrieben die notwendige Liquidität fehlt und weil sie nicht im gewünschten Maß Kredite erhalten. Diese Entwicklung ist eingetreten, obwohl Firmen, die Betriebsmittel verkaufen, grundsätzlich bereit wären, den Kauf zu kreditieren. Wie oben dargestellt, haben staatliche Eingriffe zu dieser Entwicklung beigetragen. Es ist notwendig, daß der Staat alles unterläßt, was die Sicherheit der Kreditrückzahlung an Lieferanten von Betriebsmitteln verringert. Es darf nicht sein, daß der Staat als Gläubiger vorrangig vor anderen privaten Gläubigern bedient werden muß.

Die Entwicklung der informellen Kreditmärkte könnte durch die Beleihung von Privatvermögen zur Absicherung betrieblicher Kredite gefördert werden. Aus den neuen Bundesländern der Bundesrepublik gibt es (siehe oben) entsprechende Erfahrungen. Voraussetzung ist hierfür allerdings einerseits, daß die Betriebsleiter auch genügenden Einfluß auf die betrieblichen Entscheidungen haben und auch die Termine der Rückzahlung bestimmen und andererseits, daß die Gläubiger auch klar über die Vermögenslage informiert sind und auch leicht vollstrecken können, wenn der Kredit nicht zurückgezahlt wird. Die Rayonverwaltung könnte eine Registrierung aller beliehenen Vermögensteile vornehmen, damit die potentiellen Gläubiger leicht Informationen über die Vermögenslage der potentiellen Schuldner erhalten können.

Erfahrungen anderer Länder zeigen, daß Lieferantenkredite vornehmlich für Großbetriebe vergeben werden. Hier sind die Kosten der Koordinierung und Überwachung für die Gläubiger nicht so hoch wie bei Gegengeschäften mit Kleinkreditnehmern. Im Zuge des Umstrukturierungsprozesses wäre es aber wünschenswert, wenn auch die Hauswirtschaften und kleinere bäuerliche Betriebe Zugang zu Lieferantenkrediten erhalten würden. Dies könnte erreicht werden, wenn Gruppenkredite gefördert werden würden. Mehrere Hauswirtschaften könnten sich auf dörflicher Ebene zusammenschließen, gemeinsam die gewünschten Betriebsmittel kaufen und absichern. Positive Erfahrungen anderer Länder mit Gruppenkrediten liegen vor.

4.4.4 Förderung der Verpachtung

Der Strukturwandel ist notwendigerweise mit einem Transfer von Boden zwischen den Betrieben verbunden. Erfahrungen in marktwirtschaftlichen Ländern zeigen, daß wachsende Betriebe – insbesondere wenn große Unsicherheiten über die zukünftige Ertragslage und beschränkter Zugang zu Krediten vorliegt – vornehmlich über Zupacht die betriebliche Kapazität erweitern. Das neue Pachtgesetz könnte den Landtransfer positiv beeinflussen, wenn alle Akteure ausreichend über ihre Rechte informiert werden würden und der Staat auch dafür sorgt, daß die Rechtsansprüche durchgesetzt werden können.

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5 Literatur BMELF (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), (jährlich):

Agrarbericht der Bundesregierung, Bonn.

CARGILL TECHNICAL SERVICES LIMITED (1997): Large Farm Restructuring Project Ukraine, Kiew.

CSAKI, C. AND LERMAN, Z. (1997): Land Reform in Ukraine - The First Five Years. World Bank Discussion Papers No. 371, The World Bank, Washington, D.C.

INSTITUTE OF AGRARIAN ECONOMICS zitiert in o.V. (1998): Ukraine: Review of Recent Developments in Agricultural Policies, Markets and Trade. Expert Group on Agricultural Policies in Non-Member Countries, Paris.

NORTH, D.C. (1990): Institutions, Institutional Change and Economic Performance. Cambridge University Press, Cambridge.

OLSON, M. (1982): The Rise and Decline of Nations: Economic Growth, Stagflation, and Social Rigidities. Yale University Press, New Haven und London.

UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (jährlich): Agriculture in Ukraine, Statistical Yearbook. Kiew.

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12 Erfahrungen aus dem Engagement deutscher Agrarunternehmer in der Ukraine

Jörg Tumat, Deutsch-Ukrainischer Kooperationsrat, Bonn

1 Einleitung In den letzten Jahren hat sich eine Reihe deutscher Landwirte zu Engagements in der

Ukraine entschlossen. Wenn es sich hierbei auch um Einzelfälle handelt, so dürfte es seit etwa 1992 doch zur Gründung von 15-20 Joint Ventures (JV) gekommen sein, die zum großen Teil die landwirtschaftliche Primärproduktion zum Ziel haben.

Das oft zitierte Mißverhältnis zwischen dem großen Produktionspotential der Ukraine und der nur geringen Ausschöpfung aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen läßt als erstes die Frage aufkommen, welche Gründe deutsche Landwirte bewogen haben, in der Ukraine tätig zu werden. Hoffte man, als Ausländer auf geringere Schwierigkeiten zu stoßen als inländische Agrarunternehmer? Stand dahinter ausschließlich die Absicht, Gewinne zu erzielen, oder spielten andere, ‚weiche‘ Faktoren eine Rolle?

Diese Joint Ventures sind aus vielen Gründen von großem Interesse. Anhand der hier gemachten Erfahrungen können die Möglichkeiten und Grenzen unternehmerischen Engagements von Ausländern in der Ukraine besonders deutlich und unmittelbar aufgezeigt werden. Dies fällt bei umfangreicheren Projekten oder Großinvestitionen der Industrie oftmals schwer. Anhand der Planungen für die Zukunft lassen sich ebenfalls Rückschlüsse auf die Einschätzung der Situation durch ausländische mittelständische Unternehmen machen, und um solche handelt es sich ja bei den Investoren.

Die Landwirtschaft in der Ukraine ist in ihrer jetzigen wirtschaftlichen Situation vor allem gekennzeichnet durch Liquiditätsengpässe bzw. Verschuldung der Betriebe, durch zögerliche Privatisierungen, die bisher nur bescheidene Erfolge gebracht haben sowie durch eine Infrastruktur, die den Binnen- wie Außenhandel mit einer Vielzahl von Hindernissen konfrontiert. Ein Weg zur Überwindung der Krise müßte die Schaffung von Rahmenbedingungen sein, die vor allem folgendes bewirken sollten:

1. Die vorhandenen - ausländischen wie eigenen - unternehmerischen Kräfte werden zum Nutzen der Wirtschaft eingesetzt und werden nicht im Kampf gegen bürokratische Hindernisse verschwendet; und

2. Ausländisches sowie eigenes Kapital bleibt aufgrund guter Anlage- und Investitionsperspektiven im Land.

Diese beiden Gesichtspunkte haben unmittelbaren Einfluß auf die Entwicklung der Wirtschaft eines jeden Landes. Für eine Bewertung der wirtschaftlichen Lage ist deshalb der Grad der Verwirklichung beider Punkte ausschlaggebend. Wenn für eine solche Bewertung die Tätigkeit deutscher Unternehmer ausgewählt wird, so geschieht dies vor allem auch deshalb, weil Deutsche die Umgebung anders wahrnehmen und somit die Problematik mit anderen Augen sehen als die Ukrainer selbst, die sich seit Jahrzehnten mit bestimmten

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Schwierigkeiten konfrontiert sehen. Dieser Beitrag möchte - basierend auf den Erfahrungen der deutschen Landwirte - versuchen, das Bewußtsein für die Schlüsselprobleme - aus deutscher Sicht - und damit den Willen zum aktiven Mitwirken bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen stärken.

2 Die Entstehung der Joint Ventures Die deutschen Landwirte, die sich in die Ukraine begeben haben, stammen fast

ausschließlich aus der ehemaligen DDR. In vielen Fällen gingen in der ersten Hälfte der 90er Jahre Angebote zur Zusammenarbeit auf alte Verbindungen aus der Zeit der ‚deutsch-sowjetischen Freundschaft‘ zurück. Es hat sicherlich seine Berechtigung, wenn Vorsitzende ehemaliger LPG konstatieren, ihnen sei die Mentalität, das Denken der Ukrainer näher und damit auch die Art des Wirtschaftens vertrauter als westlichen Kollegen. Die Entwicklung dieser alten Verbindungen ist ein Grund für die Präsenz ostdeutscher Unternehmer in der Ukraine. Dieser Ansatzpunkt für eine Zusammenarbeit wurde seinerzeit übrigens auch aktiv vom Deutschen Bauernverband unterstützt, etwa durch Kontaktanbahnungen mit Hilfe organisierter Reisen in die Ukraine.

Auch die wirtschaftliche Realität in den neuen Bundesländern in den frühen 90er Jahren war Motor für ein Zusammenkommen der deutschen und ukrainischen Landwirtschaft. Die Unterkapitalisierung der ukrainischen Betriebe insbesondere im Bereich Maschinenausstattung traf zusammen mit technisch noch guter Landtechnik ostdeutscher Betriebe, die durch die Möglichkeit der Sonderabschreibungen teilweise innerhalb von zwei Jahren durch neue Maschinen ersetzt werden konnte. So ergab sich von beiden Seiten ein Interesse an gemeinsamen Aktivitäten. In den meisten Fällen wurde entsprechend von deutscher Seite Kapital vor allem in Form von Maschinen in die entstehenden Joint Ventures eingebracht (wie z.B. gebrauchte Mähdrescher oder Traktoren). Es gab aber auch Fälle, in denen solche Einlagen durch direkte finanzielle Transfers ergänzt wurden.

Am Anfang der Zusammenarbeit stand häufig das Angebot von Dienstleistungen als Lohnunternehmer an die ukrainischen Betriebe. Der Grund für diese erste Stufe gemeinsamer Produktion war, daß es Ausländern bis 1997 nicht erlaubt war, Land zu pachten, was sich erst durch einen Präsidialerlaß im Oktober 1998 in Form des neuen Pachtgesetzes änderte.

Trotzdem wurden auch schon ab 1992 Joint Ventures mit dem unmittelbaren Ziel der Primärproduktion gegründet. Neben Technik wurden von deutscher Seite auch Produktionsmittel wie Saatgut oder Pflanzenschutzmittel eingebracht, die in Deutschland gekauft und bezahlt wurden und – von den Anbieterfirmen – in die Ukraine geliefert wurden. Auch in diesem Bereich konnte durch die Zusammenarbeit ein konkretes Defizit, das Fehlen qualitativ hochwertiger Produktionsmittel in der Ukraine, gemindert werden. Somit schienen gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche gemeinsame Produktion geschaffen zu sein. Beabsichtigt war, durch höhere Ernteerträge die Investitionen zu erwirtschaften und von einem möglichen Gewinn auch einen Kapitalrückfluß nach Deutschland zu erreichen, der den langfristigen Effekt gehabt hätte, daß sich durch Vertrauensbildung und unternehmerische Erfolge das Engagement in der Ukraine und damit auch der Kapitalzufluß ausgeweitet hätte. Hier waren in vielen Fällen unmittelbare positive Wirkungen, wie das Entstehen qualifizierter Arbeitsplätze, bereits absehbar.

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Andere Unternehmen begannen, sich auf den Verkauf gebrauchter Landtechnik zu spezialisieren, dies auch in Kombination mit investiven Maßnahmen. So wurden deutsche Servicetechniker in der Ukraine stationiert, um für eine Betreuung der Maschinen zur Verfügung zu stehen. Diese Arbeit hätte längerfristig an ukrainische Fachkräfte übertragen werden sollen, die dann auch entsprechend ausgebildet worden wären. Der Geschäftsführer einer deutschen Firma sieht bei der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen nach wie vor gute Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne einer Wertschöpfung in der Ukraine. Sein Unternehmen, welches u.a. die technische Wartung gebrauchter Landtechnik in der Ukraine anbietet, wäre sofort bereit zu expandieren, wenn die Möglichkeiten der Bezahlung von Leistungen sich verbesserte.

3 Erfahrungen In der Produktion z.B. von Getreide oder Zuckerrüben wurden gute Erfolge erzielt.

Engpaß war und ist aber in fast allen Fällen die Absatzorganisation einschließlich der Bereiche Lagerung, Transport und Verkauf. Wer über keine oder unzureichende eigene Getreidelagerstätten verfügt (und dies ist der Regelfall), ist auf die staatlichen oder teilprivatisierten Elevatoren zur Lagerung angewiesen. Die Probleme in der Zusammenarbeit mit den Elevatoren sind so vielfältig, daß hier ein wesentlicher Grund für das Stocken vieler Engagements zu suchen ist:

• Der Staat hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf das eingelagerte Getreide der Betriebe – welches sich de iure im Privatbesitz befand - zurückgegriffen, um die eigene Reserve aufzufüllen. Gerechtfertigt wurden solche Eingriffe mit dem Argument, daß die Steuerschulden der Betriebe so – zwangsweise – beglichen wurden.

• Die Elevatoren unterscheiden nicht zwischen den JV und den ursprünglichen genuin ukrainischen Betrieben, die ja auch noch weiterwirtschaften. Dadurch sind auch die Einlagerungen der eigentlich schuldenfreien JV dieser regelmäßig wiederkehrenden Gefahr – staatlicher Getreideeinzüge - ebenfalls ausgesetzt.

• Die Qualität des eingelagerten Getreides wird offensichtlich von Elevatoren oft schlechter beurteilt als dies unabhängige Untersuchungsanstalten tun.

• Die Qualität der Lagerung läßt darüber hinaus zu wünschen übrig; es wird über Schädlingsbefall geklagt.

• Durch die Privatisierungen hat sich wenig geändert. Die erhofften positiven Folgen z. B. im Management-Bereich sind nicht eingetreten. Wenn, wie oft geschehen, ein hoher Anteil der Aktien an Mitarbeiter im Rahmen der Voucher-Privatisierung verteilt wurde, ein kleinerer Teil Eigentum der Führungsebene wurde und ein weiterer Teil beim Staat verblieb, dann brachte eine solche Privatisierung offensichtlich keine unmittelbaren positiven Folgen. Kein neues Kapital floß zu, und die Kontrolle über die Tätigkeit blieb bei denjenigen, die sie auch schon vorher innehatten. Die formale Privatisierung von Elevatoren ist kein adäquates, zumindest kein ausreichendes Mittel, um die Probleme zu lösen.

Als einzige Lösung bietet sich derzeit an, eigene Lagerstätten zu errichten – ein teures Unterfangen, welches nicht den Maßgaben der Kostenvorteile durch Arbeitsteilung entspricht und auch nur bei sehr langfristigem, sicherem Engagement überhaupt Sinn hat.

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Nichtsdestoweniger sind die geschilderten Probleme so gravierend, daß diese Lösung für die Zukunft eine immer größere Rolle in den Planungen spielt.

Ein weiteres entscheidendes Erfolgshemmnis ist der schwierige Verkauf der Produktion. Wiederum am Beispiel von Getreide geschildert, ergibt sich folgende Situation:

• Der Verkauf über große, internationale Handelshäuser ist preislich nicht attraktiv. Die großen Händler haben die erheblichen logistischen Risiken in ihre Preise einkalkuliert und bieten den Produzenten dementsprechend unattraktive Konditionen.1

• Auch die staatlichen Aufkäufe gegen Bezahlung halten sich in Grenzen. In Einzelfällen wurde von randvollen Lagern und unverkäuflichem Getreide berichtet, während gleichzeitig offiziell eine katastrophale Versorgungslage beschrieben wurde.

• Eine dritte Variante ist die Nutzung der Ware für Bartergeschäfte. Diese haben folgenden zusätzlichen Vorteil: Schlagen sich Geschäfte buchtechnisch nieder, und dies ist bei monetärer Bezahlung der Fall, wurde bisher die Mehrwertsteuer in Höhe von 20% fällig. Hierdurch wurden Bartergeschäfte zu einem attraktiven Modell, so daß z.B. Energielieferungen mit Getreide bezahlt wurden. Eine weitere Möglichkeit des Verkaufs ist die Lieferung ins Ausland - in die anderen GUS-Staaten wie auch in den Nahen Osten - die aber wiederum durch die logistischen Schwierigkeiten in ihrer Durchführbarkeit leiden.

Unklarheit über rechtliche, vor allem Eigentumsverhältnisse und den Wert von Besitztümern sind ein generelles Hemmnis für alle Unternehmer. In der ukrainischen Landwirtschaft findet dieses Niederschlag in der Frage des Grund und Bodens. Nach offiziellen Angaben befinden sich bereits der größte Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Privathand. Aus den Joint Ventures wird jedoch berichtet, daß oft unklar ist, wem das Land letztlich gehört. Über die Voucherprivatisierung scheint das Eigentum schwer nachvollziehbare Wege gegangen zu sein. Dasselbe wie für diese zentrale Frage gilt für die Beurteilung von Anlagevermögen. Hier was es oft nicht möglich, eine realitätsnahe Einschätzung des Wertes der vorliegenden Anlagevermögenswerte vorzunehmen, was bei der JV-Gründung – zusätzlich zu den komplizierten Registrierungsvorgängen – eine große Hürde war. Auch die gesamte Rechnungslegung vieler Betriebe wird sich noch lange auf dem Übergangswege zur Marktwirtschaft befinden.

Die Zusammenarbeit wird manchmal auch durch neue Regelungen erschwert, die eigentlich andere Mißstände beseitigen sollen. So wurde ausländischen Unternehmern mit dem Hinweis auf Autoschieberei gestattet, mit ihrem PKW nur noch bis zu 10 Tage in der Ukraine zu verbringen. Möglicherweise weitaus wichtiger als eventuelle Erfolge im Kampf gegen die Autoschieberei scheint die ungute Wirkung auf das Investitionsklima durch solche Regelungen, zusammen mit den sich oft ändernden Bestimmungen für Importe, den Zertifizierungsregelungen und der allgemeinen Steuergesetzgebung.

1 Vgl. hierzu Kapitel 6: Die Getreideproduktion der Ukraine: Verpaßte Chancen und dringender

Handlungsbedarf.

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4 Zukunftsperspektiven Die geschilderten Schwierigkeiten behindern in der Regel die ukrainischen

Unternehmer genau so wie die deutschen. Die Lösung der Probleme würde deshalb nicht etwa zu einem ‚Ausverkauf‘ des Landes führen, wie bestimmte Politiker glaubhaft machen wollen, sondern könnte eine Prosperität der Wirtschaft, die mit vereinten, in- und ausländischen Kräften sowie entsprechendem Kapital vonstatten gehen könnte, zur Folge haben. In Deutschland ist dies anhand des Beispiels zahlreicher Unternehmen ersichtlich. Holländisches oder amerikanisches Kapital und entsprechende Managementstrukturen haben häufig bei Unternehmensübernahmen in den neuen Bundesländern dazu geführt, daß diese Unternehmen gewinnbringender arbeiten, Steuern an den deutschen Staat entrichten und daß Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen wurden. Auch hier standen manche diesen Übernahmen zunächst sehr kritisch gegenüber.

Tatsache ist jedoch, daß die anfangs angesprochenen Faktoren, die Förderung unternehmerischer Kräfte und in- und ausländischen Kapitals, beide durch die jetzige Situation in der Ukraine nicht inspiriert werden. Erste Maßgabe muß es sein, Kapital im Lande zu behalten und ihm die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten. Wenn, um ein einfaches Beispiel anzuführen, ein gebrauchter Traktor, wie geschehen, importiert wird und nach der Entzollung nicht weiterveräußert werden darf, da nur der Entzoller selbst Eigentümer sein kann, so ist dies ein Hemmnis nicht nur für den Exporteur, sondern auch für den ukrainischen Importeur sowie für einen eventuellen späteren Nutzer oder eine Bank, für die der Traktor nicht mehr als Sicherheit dienen kann. In diesem Beispiel führt eine solche Regelung dazu, daß der Traktorimport nicht stattfindet. Im größeren Stil heißt dies, daß Kapital lieber ins Ausland verlagert wird als in die eigene Wirtschaft investiert zu werden.

Resultat dieser Gesamtentwicklung ist, wie ein Geschäftsführer eines sächsisch-ukrainischen Joint Ventures formuliert, daß die mittelständisch geprägten Investoren am Ende ihres finanziellen Durchhaltevermögens sind. Wenn die Ukraine nicht stärker Stellung für die Investoren bezieht und dies auch durch Taten unterstreicht, werden viele gezwungen sein, die Arbeit von Jahren fallen zu lassen. Die Neigung, weiter in eine sehr ungewisse Zukunft zu investieren, wird geringer. Als Ausweg versuchen die deutschen JV-Partner derzeit, sich zu einer Investitionsgesellschaft zu vereinigen, um mit kräftigerer Stimme auf ihre Anliegen hinzuweisen. Um das unternehmerische Risiko zu minimieren, wird nach öffentlichen Absicherungen, z.B. durch staatliche Garantien, gesucht.

Positive Erfahrungen wurden mit bestimmten Geschäftspartnern gemacht, die durch ihren persönlichen Einfluß die Hindernisse soweit zu überwinden wußten, daß Geschäftserfolge möglich wurden. Diese Abhängigkeit von Personen wird als generell sehr wichtig beschrieben, und hat man einmal den passenden Partner gefunden, so ist auch ein verläßliches Geschäft möglich. Einzelne JV weiten sich auf dieser Basis aus.

Die Ukraine hat anhand einzelner Großprojekte bewiesen, daß sie durchaus in der Lage ist, günstige Rahmenbedingungen für Unternehmen zu schaffen. Priorität muß nun im Interesse der Entwicklung des Landes die Schaffung rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen für die Allgemeinheit aller Unternehmer haben. Selbst kleine Schritte in diese Richtung haben in der Regel eine merklich positive Wirkung auf Direktinvestitionen aus dem Ausland.

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13 Förderung der Kooperation zwischen der ukrainischen und deutschen Agrarwirtschaft im Rahmen des TRANSFORM-Programms

Joachim Elsässer, Gesellschaft für Agrarprojekte mbH (GFA), Bonn

1 Einleitung Der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in der ukrainischen Agrarwirtschaft wird

seit 1991 im Rahmen des technischen Beratungsprogramms TRANSFORM der Bundesregierung unterstützt. Seit 1992 hat das deutsche Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) insgesamt 15 Projekte mit einem Gesamtvolumen von ca. 12,3 Mio. DM in der Ukraine gefördert. Hinzu kommen eine Reihe von Einzelveranstaltungen sowie Praktikantenprogramme zur Vermittlung ukrainischer Fachkräfte auf deutsche Agrarbetriebe. Zur Zeit werden in der Ukraine drei Förderprojekte und ein Praktikantenprogramm mit einem Jahresgesamtbetrag von 1,2 Mio. DM durchgeführt.

Das Ziel der Projektarbeit des BML ist es, den Transformationsprozeß in der ukrainischen Agrarwirtschaft durch Beratungsmaßnahmen auf politischer, intermediärer (Verbandsebene) und Unternehmensebene wirksam zu stärken. Um der Komplexität des Transformationsprozesses gerecht zu werden, entwickelte das BML zusammen mit seiner Mandatatorganisation GFA einen ganzheitlichen Projektansatz, der in Abbildung 13-1 dargestellt ist.

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Abbildung 13-1: Der Projektansatz des BMLs in der Ukraine

Schaffung gьnstigeragrarpolitischer

Rahmenbedingungen

Lokale Beratungs-leistungen:

- Unternehmensber.- Aus-, Weiterbildung- Informationsdienst- Geschдftsanbahn.

Aufbau eines landw. Bildungs-systems nach marktwirtsch.

Erfordernissen

Zielgruppe Ziele MaЯnahmen

Parlamente, Regierungen, цffentliche Verwaltung

Verbдnde,Unternehmen

undUnternehmens-kooperationen

Hochschulen,Fachschulen,

Lehr- undForschungs-einrichtungen

Beratung bei der Verbandsentwicklung,

Qualifizierunglokaler Fьhrungskrдfte,

logistische Unterstьtzung

Beratung und Informationpol. Entscheidung-strдger, z.B. bei

Gesetzesvorhaben

Entwicklung vonLehrplдnen in Fдchern wie

VWL, BWL, Agrar-und MarktpolitikAusbildung von

Lehrkrдften, usw.

StrategischeAnsatzpunkte

Politische Ebene

Verbandsebene

Bildungsbereich

Entwicklung vonBetrieben,

Fцrderung derKooperation

Landwirt-schaftlicheBetriebe

Aus- und Weiterbildungvon Fachkrдften in

techn.und wirtsch. Bereichen

Untern. -ebene

Quelle: Eigene Darstellung.

Vordringliches Ziel dieses strategischen Ansatzes ist es, die Wettbewerbskraft der ukrainischen Agrarwirtschaft sowohl auf dem heimischen als auch auf internationalen Märkten zu fördern. Im Mittelpunkt der Projektarbeit steht die Beratung von Agrarbetrieben in produktionstechnischen und betriebswirtschaftlichen Fragen sowie die Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften. Die Durchführung von Bildungs- und Informationsveranstaltungen (u.a. in Deutschland) für politische Entscheidungsträger soll einen Beitrag zur Ausgestaltung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen im Agrarbereich leisten. Im Sinne der Stärkung intermediären Wirtschaftsstrukturen hat der Aufbau von Agrarfachverbänden, die Beratung der öffentlichen Agrarverwaltung und die Entwicklung moderner landwirtschaftlicher Bildungsstrukturen ebenfalls einen hohen Stellenwert.

In den ersten Jahren der TRANSFORM-Beratungshilfe stand die Unterstützung staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen im Vordergrund. Die Projektergebnisse hinsichtlich der Neuausrichtung dieser Einrichtungen auf die neuen marktwirtschaftlichen Erfordernisse müssen aber eher verhalten beurteilt werden. Es hat sich gezeigt, daß das Beharrungsvermögen vorhandener Strukturen stärker als erwartet war. Insgesamt gesehen reichte bisher der externe Reformdruck nicht aus, um genügend Reformzwang auf intermediärer und Unternehmensebene auszulösen. Infolge des Mangels an notwendigen Eigenleistungen konnten einzelne Projektansätze nicht plangemäß umgesetzt werden.

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Aber auch auf Seiten der deutschen Partner- und Durchführungsorganisationen ist man häufig zu schematisch von der Übertragbarkeit von Strukturen aus westlichen Marktwirtschaften auf die ukrainischen Verhältnisse ausgegangen. Die Erfahrung aus der Umstrukturierung der Agrarwirtschaft in der ehemaligen DDR waren und sind sicherlich von großem Wert für die bilaterale Zusammenarbeit (die ostdeutsche Agrarwirtschaft hat binnen 10 Jahren nahezu das Produktivitätsniveau der westdeutschen erreicht), ihre Übertragbarkeit auf die ukrainischen Verhältnisse muß jedoch differenziert betrachtet werden.

Ein Vergleich zwischen den Transformationsländern bestätigt, daß der Erfolg von Beratungsprojekten dort um so größer war, wo einschneidende Reformschritte politisch durchgesetzt wurden und wo stabile marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen von Regierung und Parlament dauerhaft garantiert werden konnten (z.B. Estland und die Tschechien). Als Fazit bleibt festzuhalten, daß ohne eine klare Reformbereitschaft auf Parlaments- und Regierungsebene und ohne die notwendige politische Durchsetzbarkeit von Reform der externe TRANSFORM-Beratungshilfe nur begrenzt Wirkung zeigen kann.

2 Ein neuer Ansatz Aufgrund der Erfahrungen in der Ukraine, aber auch in anderen mittel- und

osteuropäischen Ländern wurde die Strategie des TRANSFORM-Programms ab 1997 neu überarbeitet. Folgende Aspekte spielten dabei eine Rolle:

• Der politische Reformwille der jeweiligen Regierungen, der häufig ein Spiegelbild der öffentlichen Meinung zum System der Marktwirtschaft ist, muß höher als bisher gewichtet werden und die Risiken für Schwankungen oder wirtschaftspolitischen Kehrtwendungen müssen stärker einkalkuliert werden.

• Der Mangel an leistungsfähigen intermediären Strukturen (berufsständische Interessensvertreter, Verbände, Kammern, Behörden Wirtschaftsfördereinrichtungen), der bisher eine nachhaltige Umsetzung der Projektergebnisse behindert hat, muß entschiedener beseitigt werden. Von Mitgliedern getragene, unabhängige Interessenorganisationen sind ein wirksames Instrument zur Förderung privatwirtschaftlicher Strukturen. Durch ihre Funktion des Interessensausgleichs zwischen Politik und Wirtschaft werden sie zu einem zentralen Baustein pluralistischer Gesellschaftsstrukturen und stellen das Rückgrat einer jeden Marktwirtschaft dar.

• Infolge des Mangels an Kapital (Eigenkapital, Bankkredite, ausländische Direktinvestitionen) konnte häufig die Umsetzung der Beratungsmaßnahmen nicht in der gewünschten Form erfolgen. Die Ingangsetzung lokaler Wirtschaftskreisläufe kann nur gelingen, wenn Beratungshilfe und Finanzierungshilfe zusammenwirken. Da über das TRANSFORM-Programm keine direkte Finanzhilfe geleistet werden kann, besteht die Notwendigkeit zur Kopplung der Beratungsprojekte mit lokalen Finanzierungshilfen, multilateralen Kreditprogrammen oder ausländischen Direktinvestitionen.

• Die Beratungstätigkeit ausschließlich durch entsandte westlichen Experte stand zu lange im Vordergrund der Projektarbeit. Folglich wurde das lokale Fachkraftpotential zu wenig in die Beratungsarbeit eingebunden. Die Qualifizierung und institutionelle

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Absicherung lokaler Experten durch die Projektarbeit ist eine wichtige Voraussetzung für den Projekterfolg.

• Ein letzter institutioneller Gesichtspunkt ergab sich aus der Notwendigkeit einer stärkeren inhaltlichen Abgrenzung gegenüber dem bis dato ähnlich ausgerichteten TACIS-Programm der EU, zu dessen Finanzierung Deutschland über seine EU-Haushaltszahlungen ohnehin ca. 30 % beiträgt.

Im Zuge der inhaltlichen Neuausrichtung des TRANSFORM-Progamms rückte die Förderung betrieblicher Kooperationen zwischen deutschen und Agrarunternehmen aus den Transformationsländern in den Mittelpunkt der Projektarbeit. Dieses Ziel soll im Rahmen eines ‚Private-Public-Partnership‘ Ansatzes (PPP-Modell) verfolgt werden, d.h. die öffentliche Förderung unterstützt flankierend das unternehmerische Engagement der Firmen. Wesentliche Leistungen (v.a. Investitionskapital) müssen von der Wirtschaft selbst erbracht werden. Mit der Durchführung der Projektvorhaben sollen die wirtschaftspolitischen Vertretungsorganisationen der Firmen, d.h. die Agrarfachverbände beauftragt werden.

Auf der Grundlage dieser Kriterien und aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen wurde vom BML eine neue Form der Projektzusammenarbeit entwickelt, die Verbandspartnerschaftsprojekte. Der Grundgedanke dieses neuen Projekttyps ist es, im Rahmen von Partnerschaften zwischen gleich gelagerten Interessensvertretern (Verbänden), deren Mitgliedsunternehmen bei Kooperationen mit Unternehmen aus dem Partnerland beratende Unterstützung zu leisten. Die Struktur der Verbandspartnerschaftsprojekte veranschaulicht das Kooperationsmodell in Abbildung 13-2.

Abbildung 13-2: Die Struktur der vorgesehenen Verbandspartnerschaftsprojekte

ggf. Zusammenarbeit mit Lehr-und Forschungseinrichtungen

Ukraine Deutschland

Agrarverband / --vereinigung

ggf. in Zusammenarbeit mit Beratungsunternehmen

UkrainischeAgrarunternehmen

DeutscheAgrarunternehmen

Fцrdertдtigkeit

Gegenstand derProjektfцrderung

Unternehmenskooperation

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sLandwirtschaftsministerium BML / GFA

Agrarfachverband

Projektvereinbarung

Verbandspartnerschaft

BeratungAusbildungInformation

Quelle: Eigene Darstellung.

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Der Vorteil dieses Ansatzes ist es, daß Fachverbände i.d.R. am besten über die Interessens- und Geschäftslage ihrer Mitgliedsunternehmen informiert sind und i.d.R. über eine hohe Akzeptanz für Beratungsdienstleistungen bei den Unternehmen verfügen. Dieses Potential wird für die Projektarbeit umgesetzt. Im Falle des erfolgreichen Aufbaus einer Partnerschaft kann das spezifische Branchenwissen und die Branchenerfahrung eines Verbandes auch nach Ablauf der Projektlaufzeit dem Partnerverband zur Verfügung gestellt werden.

Im Rahmen der Projektförderung wird vor Ort im Partnerverband ein Dienstleistungsangebot entwickelt, das den Beratungsansprüchen westlicher Unternehmen gerecht wird. Gemeinsam von westlichen und lokalen Fachkräften sollen Dienstleistungen in folgenden Bereichen entwickelt werden: Unternehmensberatung, juristische und steuerrechtliche Beratung, Personalqualifizierung, Marktinformation, Vermittlung von Geschäftskontakten sowie wirtschaftspolitische Interessenvertretung. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß Verbandspartnerschaften einen wertvollen Lösungsansatz zur Beseitigung der drei Engpässe darstellen, die bisher die TRANSFORM-Projektarbeit allgemein, aber auch speziell in der Ukraine bestimmt haben:

• Verfügbarkeit effizienter Dienstleistungsorganisationen mit qualifizierten lokalen Experten,

• Verfügbarkeit von Investitionskapital, v.a. in Form von Direktinvestitionen, und

• Schaffung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen zur Absicherung betrieblicher Kooperationen zwischen Agrarunternehmen beider Länder.

Unter Maßgabe des Verbandspartnerschaftskonzepts wurden in der Ukraine neue Projektvorhaben entwickelt bzw. laufende Projekte in der Weise modifiziert, daß sie den neuen Anforderungen gerecht wurden. Die beiden wichtigsten TRANSFORM-Projekte im Agrarbereich in der Ukraine sind im Jahre 1999 folgende:

• Förderung der genossenschaftlichen und überbetrieblicher Kooperation, durchgeführt vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV), und

• Förderung der Milch- und Fleischwirtschaft, durchgeführt von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter (ADT).

Im Mittelpunkt der Projektförderung beider Vorhaben steht die Steigerung der Leistungsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe und die Entwicklung vertikaler Integrationsstrukturen mit dem vor- und nachgelagerten Bereich.

Entscheidend für den Erfolg beider Vorhaben war der Aufbau einer unabhängigen landwirtschaftlichen Verbandsorganisation, die in der Lage ist, die Interessen privatisierter und umstrukturierter Betriebe wirksam zu vertreten. Der DGRV, als einer der bedeutendsten Verbandsorganisationen Deutschlands, initiierte im Rahmen der Projektarbeit zusammen mit ukrainischen Partnern die Gründung des Nationalverbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Ukraine im Oktober 1998 in Kiew.

Dieser Verband ist nun Träger der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit im Agrarbereich und unterstützt durch seine Organisationsstruktur die Umsetzung der bilateralen Beratungsmaßnahmen vor Ort. Als Verbandsorganisation unterstützt er die Interessen

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marktwirtschaftlich orientierter Betriebe in der Ukraine sowohl gegenüber westlichen Partnern als auch der staatlichen Seite.

Die Festigung der Partnerschaftsbeziehung zwischen dem deutschen und dem ukrainischen Genossenschaftsverband ist die Basis zur Begleitung des langfristigen Strukturaufbauprozesses in der ukrainischen Agrarwirtschaft. Die Erfahrung der TRANSFORM-Arbeit aus anderen Ländern hat gezeigt, daß Nichtregierungsorganisationen v.a. in Form freier Wirtschaftsverbände ein geeignetes Instrument zur Stabilisierung des Transformationsprozesses darstellen. In Estland und Ungarn hat der DGRV maßgeblich zum Aufbau eines genossenschaftlichen Prüfverbandes beigetragen und damit die Voraussetzungen für den Wiederaufbau einer nationalen Genossenschaftsorganisation und eines Agrarkreditwesens geleistet. In der Russischen Föderation sind durch die Verabschiedung des neuen Genossenschaftsgesetzes ebenfalls die Weichen für den Aufbau eines eigenständigen genossenschaftlichen Prüfverbandes gestellt worden.

Sowohl in der Ukraine als auch in der Russischen Föderation hat die Genossenschaftsorganisation eine lange Tradition. Um die Jahrhundertwende bestanden zwischen der ukrainischen bzw. der russischen und der deutschen Genossenschaftsbewegung enge Verbindungen. Damals war die Genossenschaftsbewegung überwiegend von Dienstleistungsgenossenschaften geprägt - ähnlich der deutschen Raiffeisenorganisation - und weniger von Produktivgenossenschaften (Produktionskollektiven). An diese Verbindungen soll mit der gegenwärtigen Projektarbeit wieder angeknüpft werden.

Heute wie damals ist für Agrarbetriebe der Zusammenschluß in genossenschaftlichen und überbetrieblichen Organisationen eine ökonomische Notwendigkeit, sowohl um Marktmacht gegenüber den immer größer werdenden Wirtschaftspartnern auf dem nationalen und den internationalen Agrarmärkten zu gewinnen als auch um Kooperationen mit dem Verarbeitungsbereich aufzubauen. Die Entwicklung von Geschäftsbeziehungen mit westlichen Partnern wird durch solche Organisationsformen ebenfalls erleichtert. Langfristig wird sich die ukrainische Agrarwirtschaft mit ihrem großen Produktionspotential dem Wettbewerb der globalisierten Agrarmärkte stellen und dafür die entsprechenden Strukturen aufgebaut haben müssen.

Der ukrainische Genossenschaftsverband wird in diesem Sinn die Plattform zur Entwicklung überbetrieblicher und genossenschaftlicher Organisationen. Letztlich entscheidend für den Projekterfolg wird die Qualität der zu entwickelnden Förder- und Beratungsdienstleistungen des Verbandes sein.

Die Betriebsberatung muß vor allem Wege aufzeigen können für eine (Re-) Kapitalisierung der Agrarbetriebe. Die ukrainische Landwirtschaft hat in den vergangenen zehn Jahren eine dramatische Vernichtung an Betriebskapital erlitten. Die Liquiditätslage der Betriebe ist so angespannt wie nie zuvor. Eine Kapitalisierung der Betriebe über Bankkredite scheidet zur Zeit wegen zu hoher Realzinsen fast aus. Abgesehen davon sind infolge des Mangels an bankfähigen Garantien Kredite für Agrarbetriebe kaum verfügbar. Die gegenwärtig vielversprechendste Alternative ist eine Kapitalisierung der Betriebe aus dem laufenden Umsatz, dies bedarf einer langen Erholungsphase und setzt einen kapitalkräftigen Geschäftspartner voraus. Kapitalreserven haben aber heute in der Ukraine vor allem westliche Firmen.

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Es war daher geboten, westliche Agrarunternehmen direkt in die TRANSFORM-Projektarbeit einzubinden. Im Rahmen der Projektarbeit finanzieren deutsche Genossenschafts- und Agrarunternehmen durch Liefer- oder Anbauverträge auf Bartergeschäftsbasis die Bereitstellung notwendiger Produktionsmittel (Pflanzenschutzmittel, Saatgut, Technik, Dünger etc.). Nach nun zwei Jahren Projektlaufzeit kann festgestellt werden, daß dieses Kooperationsmodell technisch umsetzbar ist und - wenn die notwendigen Rahmenbedingungen gegeben sind - zu einer Kapitalisierung der Betriebe beitragen kann.

Eine erfolgreiche weitere Umsetzung dieser neuen Projektstrategie ist jedoch durch die jüngsten Entwicklungen in der ukrainischen Agrarpolitik grundlegend gefährdet. Die Gründung einer staatlichen Getreidehandelsfirma - Khlib Ukrainy - mit monopolartiger Marktposition hat die Chance für einen erfolgreichen Aufbau marktwirtschaftlicher Agrarhandels- und Dienstleistungsstrukturen in der Ukraine sehr verschlechtert. Einzelne Willkürmaßnahmen im Bereich Zoll und Steuer sowie interne Handelsbeschränkungen, Stichwort regionale Exportverbote, haben zusätzlich zu Verunsicherungen geführt. Einzelne Unternehmen sehen sich aufgrund der zunehmend ungünstigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen genötigt, ihre Mitarbeit im Projekt zu beenden und ihre Geschäftstätigkeit in der Ukraine einzustellen. Wenn dieser Trend weiter anhalten sollte, wird er langfristig die Grundlage für eine erfolgreiche Durchführung nicht nur des neuen PPP-Projektansatzes gefährden.

Trotz dieser Entwicklungen wird die TRANSFORM-Beratungshilfe an der Realisierung der für 1999 geplanten Projektvorhaben so weit wie möglich festhalten. Für den Förderzeitraum 1999 ist die praktische Arbeit in den Projekten wie folgt geplant. Erstens wird die institutionelle Entwicklung des Genossenschaftsverbandes durch die Finanzierung von Dienstleistungsfunktionen im Bereich Betriebsberatung, Aus- und Weiterbildung von Betriebsleitern und Nachwuchsführungskräften, Kontakt- und Informationsvermittlung sowie Rechts-, Zoll- und Steuerberatung unterstützt. Zuschüsse zur Büroinfrastruktur in Kiew und den Regionalstandorten werden ebenfalls gegeben. Zweitens werden an drei regionalen Standorten sogenannte Kompetenzzentren für Betriebsberatung aufgebaut. In diesen Zentren wird jeweils ein mobiles Betriebsberaterteam tätig werden, das aus 2-3 ukrainischen und einem deutschen Spezialisten besteht. Diese Teams beraten gezielt Betriebe, die durch Kooperationen mit westlichen Unternehmen über Möglichkeiten zur Produktionsmittelbeschaffung und Produktvermarktung verfügen und damit eine schrittweise Kapitalakkumulation leisten können. Kompetenzzentren werden an folgenden Standorten aufgebaut:

1. Tscherkassy: Kompetenzzentrum für Tierzucht und Tierhaltung,

2. Winnyzja: Kompetenzzentrum für produktionstechnische Beratung in den Bereichen Getreide-, Ölsaaten- und Zuckerrübenproduktion und

3. Winnyzja: Kompetenzzentrum für Betriebswirtschaft und Betriebsoptimierung.

Die Kompetenzzentren agieren überregional, allerdings mit einem Schwerpunkt innerhalb des jeweiligen Gebietes. Die Arbeit der Beratungsteams dient auch dazu, Kooperationen mit deutschen bzw. westlichen Agrarunternehmen zu vermitteln. Im Kompetenzzentrums in Tscherkassy ist für 1999 der Aufbau eines Qualitätsfleisch- und Qualitätsmilcherzeugerprogramms geplant. Ziel dieser Programme ist es, in der Produktion

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einen Qualitätsstandard und eine Liefertreue zu erreichen, die eine Vermarktung zu westlichen Standards ermöglicht. Absatzchancen ergeben sich z.B. über die Belieferung der neuen Fast-Food Restaurants in Kiew, die zur Zeit noch überwiegend aus Polen beliefert werden, mit ukrainischem Qualitätsfleisch. Für westliche Molkereien erschließt sich z.B. die Möglichkeit zum Aufbau einer eigenen Herstellungslinie für Joghurt, da durch den gesicherten Bezug von Qualitätsmilch die Produktionsstandards und die Auslastung der Anlagen gesichert werden können.

Der regionale Schwerpunkt der Projektarbeit wird in 1999 am Standort Winnyzja liegen. Hier werden je ein produktionstechnisches und ein betriebswirtschaftliches Beratungsteam ihre Arbeit aufnehmen. Aufgrund des hohen landwirtschaftlichen Produktionspotentials dieser Region haben sich in der Vergangenheit eine Reihe westlicher Unternehmen aus den Bereichen Agrartechnik, Agrarchemie, Saatzucht, Getreide- und Ölsaatenhandel sowie des landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgeschäfts hier niedergelassen. Durch die Arbeit der Beratungsteams soll auf den Agrarbetrieben das Betriebsmanagement optimiert und neue Produktionsverfahren eingeführt werden. Das Projekt soll auch dafür Sorge tragen, daß Geschäftsbeziehungen zum beiderseitigen Nutzen und zu fairen Bedingungen für beide Seiten gestaltet und die gelieferten Produktionsmittel und Technik sachgerecht, sozial- und umweltverträglich eingesetzt werden.

Der Projektansatz in der Ukraine hat Pilotfunktion für das deutsche TRANSFORM-Programm insgesamt. In der Ukraine soll ein Modell geschaffen werden, wie öffentliche Fördermaßnahmen gemeinsam mit Privatinvestitionen der Agrarwirtschaft einen Entwicklungsbeitrag zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Agrarwirtschaft leisten können. Dieses Modell soll zu einem späteren Zeitpunkt an anderen Standorten in der Ukraine und in anderen Ländern multipliziert werden.

Ergänzend ist zu erwähnen, daß neben dem deutschen TRANSFORM-Programm die Europäische Union seit Sommer 1998 durch das TACIS-Programm ebenfalls den ukrainischen Genossenschaftsverband unterstützt. Schwerpunkt ist hier der Aufbau regionaler Mitgliedsorganisationen des Verbandes. Auch bilaterale Förderprogramme der USA, Kanada und der Niederlande wenden sich verstärkt an den Verband als Projektpartner. Dies ist wiederum ein Zeichen dafür, daß Nichtregierungsorganisationen unter den z.Zt. gegebenen Bedingungen in der Ukraine die besten Voraussetzungen für die Umsetzung von Förderprojekten bieten.

Abschließend soll nochmals betont werden, daß der oben beschriebene neue Projekt-ansatz nur dann erfolgreich verwirklicht werden kann, wenn sich ausländische Agrarunternehmen weiterhin in der Ukraine engagieren und dafür die notwendigen agrarpolitischen Rahmenbedingungen gesichert bleiben.

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Tabellenanhang1 Anhangtabelle 1: Die Produktion der wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte in der Ukraine aller Betriebstypen in ‛000 t

1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Pflanzliche Produkte Getreide und Bohnen (einschl. Mais), davon:

37.881 51.009 38.674 38.537 45.623 35.497 33.930 24.571 35.472 26.462

Weizen 18.095 30.374 21.155 19.507 21.831 13.857 16.273 13.547 18.404 14.919 Körnermais 6.510 4.737 4.747 2.851 3.786 1.539 3.392 1.837 5.340 2.298 Gerste 7.652 9.169 8.047 10.106 13.550 14.508 9.633 5.726 7.407 5.879 Zuckerrüben 38.976 44.265 36.168 28.783 33.717 28.138 29.650 23.009 17.663 15.333 Sonnenblumen 2.287 2.571 2.311 2.127 2.075 1.569 2.860 2.123 2.308 2.262 Kartoffeln 20.013 16.732 15.550 20.277 21.009 16.102 14.729 18.409 16.701 15.336 Gemüse 7.377 6.666 5.932 5.310 6.055 5.142 5.880 5.070 5.168 5.456 Früchte und Beeren - 2.902 1.537 2.122 2.798 1.153 1.897 1.924 2.794 - Tierische Produkte Fleisch gesamt, davon:

3.685 4.358 4.029 3.401 2.815 2.677 2.294 2.113 1.875 2.635

Rind- und Kalbfleisch 1.611 1.985 1.878 - - - 1.186 1.048 930 - Schwein 1.387 1.576 1.421 - - - 807 789 710 - Geflügel 586 708 654 - - - 235 218 186 - Milch 23.000 24.508 22.409 19.114 18.377 18.138 17.274 15.821 13.768 13.739 Eier in Tsd. Stück 16.645 16.287 15.188 13.496 11.794 10.154 9.404 8.763 8.242 8.270

Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Ausgaben).

1 Zusammengestellt von Serhiy Zoria, Institut für Agrarökonomie, Göttingen

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Anhangtabelle 2: Die Struktur des Agrarsektors

1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998** Anzahl der Betriebe Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

13.004 13.345 14.010 14.293 15.081 15.462 15.609 15.739 15.984 16.012

Kollektivbetriebe 7.363 8.820 9.351 9.575 9.722 9.977 10.356 11.299 12.019 12.401 Staatliche Betriebe 2.237 4.525 4.659 4.718 5.359 5.485 5.253 4.440 3.965 3.525 Hauswirtschaften in Tsd. 3.400 9.206 9.763 10.679 10.861 11.057 11.249 11.433 11.547 11.560 Private Betriebe - 332 2.687 17.474 30.344 34.692 37.133 38.988 39.880 35.485 Ackerland in Tsd. ha Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

38.900 38.701 36.235 33.642 34.795 34.684 34.362 34.110 33.827 33.900

Kollektivbetriebe 29.300 28.774 26.922 25.069 26.046 26.323 27.246 29.726 31.126 31.250 Staatliche Betriebe 9.600 9.927 9.313 8.574 8.749 8.361 7.116 4.384 2.701 2.302 Hauswirtschaften 3.400 2.669 3.864 4.607 5.011 5.357 5.589 5.694 5.789 5.890 Private Betriebe - 4 49 350 619 742 822 906 1.037 1.029 Anzahl der Rinder am Ende des Jahres in Tsd. Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

22.200 21.083 20.186 17.800 17.717 15.742 13.674 11.545 8.950 7.825

Kollektivbetriebe 17.200 16.211 15.583 14.518 13.701 12.387 11.260 10.364 7.968 7.025 Staatliche Betriebe 5.000 4.872 4.602 4.282 4.016 3.355 2.415 1.181 982 800 Hauswirtschaften 4.900 3.540 3.537 3.643 3.869 3.856 3.856 3.742 3.764 3.843 Private Betriebe - 0.2 5 14 22 27 27 25 28 28

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Anhangtabelle 2 (Forts.): Die Struktur des Agrarsektors

1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998** Anzahl der Kühe zum Ende des Jahres in Tsd. Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

6.500 6.192 5.986 5.623 5.439 5.005 4.579 4.039 3.322 2.883

Kollektivbetriebe 4.900 4.686 4.548 4.278 4.150 3.895 3.752 3.640 2.965 2.583 Staatliche Betriebe 1.600 1.506 1.438 1.345 1.289 1.109 826 400 357 300 Hauswirtschaften 2.250 2.187 2.275 2.429 2.628 2.799 2.936 2.917 2.921 2.927 Private Betriebe - 0.1 1.4 5.6 10.8 14.9 16.4 16.0 16.7 17.0 Anzahl der Schweine zum Ende des Jahres in Tsd. Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

14.200 14.071 12.557 10.913 9.724 8.044 7.112 5.496 3.979 4.216

Kollektivbetriebe 10.800 9.708 8.452 7.089 6.370 5.460 5.094 4.464 3.107 3.516 Staatliche Betriebe 3.400 4.363 4.105 3.824 3.354 2.584 2.019 1.032 872 700 Hauswirtschaften 5.720 5.356 5.276 5.245 5.549 5.864 5.992 5.699 5.456 5.651 Private Betriebe - 0.3 6.2 16.9 25.0 37.8 40.3 40.9 37.1 40.2 Anzahl des Geflügels zum Ende des Jahres in Tsd. Betriebe des öffentlichen Sektors*, davon:

- 133 128 105 84 65 54 34 30 30

Kollektivbetriebe - 32 26 16 13 13 21 27 23 23 Staatliche Betriebe - 101 102 89 71 52 33 7 7 7 Hauswirtschaften - 113 115 110 106 100 95 95 93 98 Private Betriebe - - - 0.1 0.2 0.2 0.2 0.3 0.3 0.6

Hinweis: * Die Anzahl der Betriebe des öffentlichen Sektors entspricht nicht der Summe der Kollektivbetriebe und der Staatsbetriebe, weil die Anzahl der Betriebe des öffentlichen Sektors auch die sogenannten Interbetriebe beinhaltet, die hier nicht gesondert aufgeführt sind.

** Die Zahlen für 1998 basieren auf vorläufigen Informationen des Ukrainischen Staatskomitees für Statistik. Quelle: UKRAINISCHES STAATSKOMITEE FÜR STATISTIK (versch. Ausgaben).

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Anhangtabelle 3: Makroökonomische Daten

1980 1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Bevölkerung3 50.070 50.986 51.690 51.802 51.989 51.860 51.473 51.079 50.639 50.245

Ländliche Bevölkerung3 19.078 17.958 16.895 16.796 16.809 16.750 16.645 16.537 16.408 16.264

Reales BIP in konstanten Rubeln von 19901

137,4 100,5 60,3 55,9 52,6 52,3 50,4

Veränderung des BIP in konstanten Preisen1

-26,9 -40,0 -7,3 -5,9 -0,6 -3,6

Veränderung der Bruttoagrarproduktion2

-13,0 -8,3 1,5 -16,5 -3,6 -9,5 -0,8 k.A.

Anteil der Landwirtschaft am BIP in Prozent3

24,4 24,5 20,8 18,4 14,3 13,2 11,8 10,5

Beschäftigte in der Landwirtschaft in Tsd.3

5.733 4.926 4.925 4.921 4.920 4.874 4.750 5.258 5.006 4.935

Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten in Prozent3

22,6 21,1 20,5 20,2 20,1 20,4 20,6 22,2 21.5 21,8

Quelle: 1 Tacis - UEPLAC, Ukrainian-European Policy and Legal Advice Centre (1999): Ukrainian Economic Trends, Monthly Update May 1999. 2 EBRD, European Bank for Reconstruction and Development (1998): Transition Report 1998.

3 OECD (1999): Agricultural Policies in Emerging and Transition Economies, Monitoring and Evaluation 1998, Paris.

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Kartenanhang

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Autorenverzeichnis

DEREK BAKER, Ph.D.: Ökonom bei der COWI Consulting Engineers and Planners AS in Kopenhagen. Von 1993 bis 1999 in 10 Ländern Mittel- und Osteuropas als Agrarökonom beratend tätig, u.a. im Auftrag von Weltbank, EBRD, USAID, EU (TACIS und PHARE) sowie dem British Know-How-Fund. B.Sc. in Agricultural Systems Management der Massey University, Neuseeland und Ph.D. in Agrarökonomie an der Pennsylvania State University mit Schwerpunkt Agrarpolitik, Marketing und Industrieorganisation.

STEPHAN VON CRAMON-TAUBADEL, Dr. sc.agr.: Professor für Agrarpolitik am Institut für Agrarökonomie der Georg-August-Universität Göttingen und Mitglied der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung in Kiew. Lehr- und Forschungstätigkeiten in den Bereichen Internationale Agrarpolitik und Agrarhandel, der polit-ökonomischen Analyse der Agrarpolitik sowie quantitativen Methoden der landwirtschaftlichen Markt- und Preisanalyse. Ausbildung und Studium an der McGill University, der University of Manitoba und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

OLENA DOLUD, M.Agr.Sc.: Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in der Abteilung Betriebs- und Strukturentwicklung im Ländlichen Raum. Forschungstätigkeiten über die ökonomischen Auswirkungen des Barters in der ukrainischen Landwirtschaft. Ausbildung und Studium an der Staatlichen Agrarökologischen Akademie der Ukraine in Shytomyr an der Fakultät für Ökonomie und Agrarbusiness sowie an der Universität Halle. Abschluß in der Fachrichtung Agrarmanagement.

JOACHIM ELSÄSSER: Leiter des Mandatarbüros der Gesellschaft für Agrarprojekte mbH (GFA), Generalbeauftragter des Bundesministeriums für Ernährung-, Landwirtschaft und Forsten für das TRANSFORM-Programm in den Ländern Mittel- und Osteuropas und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten.

ULRICH KOESTER, Dr. rer.pol.: Professor für Landwirtschaftliche Marktlehre und Agrarpolitik am Institut für Agrarökonomie und Dekan der Fakultät für Agrarwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Laufende Forschungsarbeiten über die Transformation der Landwirtschaft in Mittel- und Osteuropa. Ist in vielen MOE-Ländern beratend tätig gewesen, vorwiegend im Auftrag der Weltbank.

OLENA PROTSCHENKO: Mitarbeiterin beim Center for Privatization and Economic Reform in Agriculture (CPER) in Kiew. Forschungsaktivitäten im Molkereisektor, im ukrainischen Agrarpreisbildungssystem und der Agrarprotektion. Ausbildung in Kiew am Polytechnischen Institut sowie am Institut für das Transportwesen, Fachrichtung Marktwirtschaft und Management.

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LUDWIG STRIEWE: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Agrarökonomie der Georg-August-Universität Göttingen und Mitglied der Deutschen Beratergruppe Wirtschaft bei der ukrainischen Regierung in Kiew. Forschungsaktivitäten in der landwirtschaftlichen Marktlehre, den ländlichen Finanzmärkten in der Ukraine, sowie der EU Markt- und Strukturpolitik. Ausbildung und Studium in Kiel und Wageningen (Niederlanden), graduiert zum Dipl. Agr.-Ing. und zum European Master of Agricultural Economics.

HOLGER THIELE, Dr. sc.agr.: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Universität Gießen. Forschungsschwerpunkte in der Transformations-, Umwelt- und Regionalökonomie, in der Europäischen Agrarpolitik sowie in den empirischen Methoden der Politikanalyse. Mitarbeit an verschiedenen Forschungsberichten u.a. für die EU-Kommission, für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Sächsische Staatsministerium für Landwirtschaft und für die Landwirtschaftliche Rentenbank.

PETER TILLACK, Dr. Dr. h.c.: Professor und Leiter der Abteilung Betriebs- und Strukturentwicklung im Ländlichen Raum am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in Halle, Vorstandsvorsitzender des Instituts für Genossenschaftswesen an der Martin-Luther-Universität in Halle. Forschungsgebiete in der Analyse und dem Vergleich landwirtschaftlicher Betriebe, in Betriebsentwicklungsplänen, in der ökonomischen Beurteilung bzw. Bewertung naturwissenschaftlich-technischer Innovationen in der Tierproduktion sowie dem Strukturwandel landwirtschaftlicher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa.

JÖRG TUMAT, M.A.: Leiter des Sekretariats der Arbeitsgruppe Landwirtschaft/Ernährungsindustrie des Deutsch-Ukrainischen Kooperationsrats. Vorher Koordinator verschiedener Projekte des TACIS-Programms in der GUS und im Baltikum sowie Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung, Stiftungskolleg für internationale Aufgaben: „Studie des russischen Erdgasmarktes“. Tätigkeiten für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London und Moskau; Föderale Energiekommission Moskau. Studium der Slavistik und Wirtschaftspolitik in Münster, Wien und Sankt Petersburg.

SERGIY ZORYA: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Agrarökonomie der Georg-August-Universität Göttingen. Diplom im Fach Agrarökonomie an der Staatlichen Akademie für Landwirtschaft und Ökologie in Shytomyr. Frühere Tätigkeiten als Economic Analyst beim Center for Privatization and Economic Reform in Agriculture (CPER) in Kiew sowie als Commercial Specialist for Agribusiness beim US and Foreign Commercial Service des US Department of Commerce in Kiew.