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Dr. Sabine Gleich Dr. Sibylle Viehöver Dr. Bertrand Hirl Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München Infektionshygiene und Medizinalwesen Ärztliche Leichenschau Hinweise zum korrekten Ausfüllen von Todesbescheinigungen

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Dr. Sabine Gleich

Dr. Sibylle Viehöver

Dr. Bertrand Hirl

Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München

Infektionshygiene und Medizinalwesen

Ärztliche Leichenschau

Hinweise zum korrekten Ausfüllen von

Todesbescheinigungen

Ein altes Problem?

Meine Herren!

Ich habe…….Grund die Frage der Sterblichkeit vor ihr Forum zu bringen..

Das ist nämlich – ich darf es wohl sagen, ohne einen einzelnen zu

beleidigen – die große Nachlässigkeit, mit welcher auf den Totenscheinen

die Krankheiten von den Ärzten angegeben werden……….

Rudolf Virchow, 1863

Die Todesbescheinigung – kein bürokratischer Akt

Was kann sie bewirken?

• Forensik (1200-2400 übersehene Tötungsdelikte/Jahr)

• Qualität (Görlitzer Studie 47% Inkongruenz klinisch-autoptisch)

• Sozialmedizin (Versicherungen)

• Todesursachenstatistik

• Krebsregister

• Gesundheitspolitik (Forschungsgelder)

Warum sind wir heute hier?

Gründe der unzureichenden Qualität

• Fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung und Wirkung dieser Urkunde

• Mangelhafte rechtsmedizinische Ausbildung

• Unbeliebte Tätigkeit / Ärztliche Aufgabe?

• Schlechte Vergütung

• Interessenkonflikt ( Hausärzte / Altenheim bei ungeklärt )

• Hemmschwelle bei der Verständigung von Kriminalpolizei

Todesbescheinigung und Gesundheitsamt

Aufgaben der Gesundheitsämter Regelung in BestG und BestV

• Durchführung

• wenn kein anderer Arzt verfügbar

• Annahme nicht korrekter Durchführung: Staatsanwaltschaft/Polizei kann

Arzt des GA verpflichten

• Kontrolle

• Überprüfung der Todesbescheinigungen auf Vollständigkeit und

Plausibilität

• Veranlassung von Korrekturen und Ergänzungen

• Einschalten der Ermittlungsbehörden

• Auskunftserteilung (Angehörige, Versicherungen, Gerichte,

Staatanwaltschaft)

• Archivierung für 30 Jahre

Weg einer TB in der Bürokratie

Sehr geehrte Damen und Herren,

Meines Erachtens war es aufgrund der Liegezeit und der belastenden

Kreislaufsituation, die durch die Oberschenkelfraktur verursacht worden war,

zur Pneumonie und zum Nierenversagen gekommen. Sicherlich nicht der Bruch

an sich, sondern die damit verbundenen Folgen sind Ursache für die oben

genannten Komplikationen……………

Antwort eines Kollegen

Ca. 13.000 TBs pro Jahr oder 260 TBs pro Woche

64% Klinikarzt, 36% Niedergelassener Arzt

Qualität von Todesbescheinigungen 1

2010-2013 2014 2015 2016

Beanstandungsrate 8% (MW) 14% 12% 11%

Davon Fehler bei

Unterschrift 34% 24% 30% 24%

Ort/Zeitpunkt LS 8% 13% 12% 9%

Reanimation 15% 18% 13% 11%

Kausalkette 13% 18% 13% 11%

Sichere Todeszeichen 7% 7% 10% 10%

Todesart (Abklärung) 4% 4% 8% 6%Gleich S, Schweitzer S, Kraus S, Graw M

Ärztliche Leichenschau, Qualität ausgestellter Todesbescheinigungen aus Sicht eines Großstadtgesundheitsamtes

Rechtsmedizin 2015;25:523-530

Falsch bescheinigter natürlicher Tod 0,25% aller TBs

jeder 400. Todesfall

Drei Altersgipfel mit typischen Problemfeldern:

Klein- und Schulkinder: Ertrinken, Unfälle

Mittleres Lebensalter: Drogentod

Hochbetagte: Komplikationen Sturzereignis, Bolustod

75% der Tbs: Vermerk eines relevanten Unfallereignisses

>50% der Fälle: „Anhaltspunkte für nicht natürlichen Tod“ ausgefüllt

30% der Fälle: konkrete Angaben, keine Konsequenzen gezogen

Gleich S, Viehöver S, Stäbler P, Graw M, Kraus S

Falsch bescheinigter natürlicher Tod nach ärztlicher Leichenschau – ein immer aktuelles Thema

Rechtsmedizin 2017; 27:2-7

Qualität von Todesbescheinigungen 2

Woher bekommt der Arzt die Information für das Ausfüllen der TB?

Klinikärzte: schriftliche Befunde wie Klinikberichte, -akten,

Diagnostik

Niedergelassene: <30% Vorliegen schriftlicher Befunde, 30% Gespräch

mit Dritten

Problematisch: stationäre Pflegeeinrichtung, häufig keine Doku-

mentation, keine Klinikberichte

Gleich S, Viehöver S, Peschel O, Graw M

Woher stammen die Informationen zum Verstorbenen bei der ärztlichen Leichenschau? Auswirkungen von Rahmenbedingungen

Rechtsmedizin 2018; 28:10-18

Qualität von Todesbescheinigungen 3

Management des Formulars: Vertraulichen Teil einlegen und zukleben

grünes

Arztdoppel

verbleibt beim

+ Leichen-

schauer

Rosa Obduktionsschein+ rosa Durchschlag

- Bei ungeklärter oder nicht-natürlicher Todesart

- Bei gewünschter/geplanter Obduktion

- In rosa Umschlag einlegen, verbleibt bei der

Leiche

- Falls keine Obduktion gewünscht: vernichten.

Häufige formale Fehler I

Sterbezeitpunkt: Falls unbekannt, Auffindezeitpunkt plus handschriftlicher

Eintrag „zuletzt gesehen“, um ein Sterbeintervall zu generieren

(Wichtig für die Beurkundung im Standesamt, Ausstellung Sterbeurkunde)

Häufige formale Fehler II

Häufige formale Fehler III

Ankreuzen des Feldes „Infektionsgefahr“ im nichtvertraulichen Teil der

TB

Konsequenz?

Sarg bleibt zu

Häufige formale Fehler III

Ankreuzen des Feldes „Infektionsgefahr“ im nichtvertraulichen Teil der

TB

Ärztliche Schweigepflicht: Kein Nennen von Diagnosen!!

Nur Angabe erforderlicher Schutzmaßnahmen wie Tragen von

Handschuhen, MNS, FFP 2- oder FFP3-Maske

Ankreuzen bei hochkontagiösen Erkrankungen

• Viral hämorrhagische Fieber

• Pest, Pocken, Milzbrand, Cholera, Typhus, Diphterie

• Offene LungenTBC

• spongiforme Enzephalopathie (ohne hereditäre Formen)

• Polio

• Scabies crustosa

Häufige formale Fehler III

Ankreuzen des Feldes „Infektionsgefahr“ im nichtvertraulichen Teil der

TB

Nichtankreuzen bei MRE

MRSA, 3 oder MRGN, 2 MRGN NeoPäd, VRE, C. difficile

Nichtankreuzen bei folgenden Infektionskrankheiten

Influenza, Botulismus, HUS, Pertussis, Masern, Mumps,

Meningokokkenmeningitis, Tollwut

In der Regel Nichtankreuzen bei

blutübertragbaren Viruserkrankungen ( Hep. B, Hep. C, HIV), nur bei konkreten

Hinweisen auf eine erhöhte Infektiosität

Identifikation nicht vergessen!

Ort : M wird akzeptiert

Datum: beachte Datumsgrenze bei LS nach 00:00

Zeitpunkt der LS: maßgeblich sind die sicheren Todeszeichen

Unterschrift : der Arzt, der die sicheren Todeszeichen feststellt, muss

unterschreiben

lesbar unterschreiben oder Name in Druckbuchstaben

keine Änderungen durch Dritte, ggf. durch Aussteller

abzeichnen

Häufige formale Fehler IV

Reanimation

• Gemeint ist die Reanimation unmittelbar vor Todeseintritt

• Kann ausgelassen werden bei Fäulnis, Verletzungen, die nicht mit dem Leben

vereinbar sind

• Kann ausgelassen werden, wenn in Kausalkette erwähnt

Obduktion

• Ja bezieht sich auf den Wunsch des Arztes, keine Einwilligung der Angehörigen

oder Kostenübernahme des Arztes

• Bei Todesart ungeklärt und nicht natürlich: Immer ja ankreuzen

• Entscheidung Staatsanwalt

Häufige formale Fehler V

Sichere Todeszeichen

• Totenflecken

• Totenstarre (Zeitraum!)

• Fäulnis

• Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind

• Hirntod (Richtlinien BÄK)

Häufige formale Fehler VI

Hinweis auf nicht beigefügte Dokumente, diese bitte beifügen

Alternativmöglichkeit:

Todesbescheinigung Vertraulicher Teil 2

Weitere ausführliche Angaben zur Epikrise

Formular muss extra bestellt werden

Möglichkeit der Informationsübermittlung KRIPO

Häufige formale Fehler VII

Zuletzt behandelnder Arzt

• Minimalforderung Klinikstempel, besser Namen oder Station, Hausarzt!

• Immer Eintrag bei bescheinigtem natürlichem Tod!

Häufige formale Fehler VIII

Die drei häufigsten formalen Fehler bewirken zusammen über 60%

unserer Anschreiben!

Keine Angaben zur Reanimation

Keine Angaben zur Obduktion

Unterschrift nicht leserlich

Häufige formale Fehler - Fazit

Kausalkette

• Sinnhaftigkeit?

• Zeile „c) als Folge von (Grundleiden)“ : Todesursachenstatistik

• Keine Endzustände (kein Kreislaufstillstand/Atemstillstand)

• Keine Pathophysiologie des Todeseintrittes

• Keine 3 Zeilen „aus den Fingern saugen“

• Keine Verdachtsdiagnosen bei Natürlichem Tod

• Muss nicht ausgefüllt werden bei ungeklärtem oder nicht natürlichem Tod

Endzustände

Krankheiten eintragen und keine Pathophysiologie!

Dauerbrenner

als alleinige Angabe unzureichend besser

Altersschwäche Erkrankungen angeben

Marasmus / Kachexie Grunderkrankung

Multiorganversagen Organsysteme, Ursache

V.a (unzulässig bei natürlich!) Angabe von Differentialdiagnosen

Multimorbider 101jähriger Patient mit Herzinsuffizienz, COPD, KHK,

chronische Niereninsuffizienz wird von der Nachtschwester tot im Bett

vorgefunden, Sterbevorgang nicht beobachtet.

Todesart? Kausalkette?

Natürlich, KHK DD Herzinsuffizienz DD COPD

Fallbeispiel

Todesart

Natürlich, ungeklärt, nicht natürlich?

• Fehler bei der Todesart können

zu Geldbußen i.R. eines

Ordnungswidrigkeiten-

verfahrens führen mit

Geldbußen bis 1.000 €

• Cave: Nach §258 StGB kann

eine versuchte Strafvereitlung

vorliegen, wenn fälschlich ein

NT statt eines NNT bescheinigt

wird und eine Straftat vorliegt

Natürlich – Ungeklärt - Nicht natürlich

Tod durch bekannte

Erkrankung erwartet

Kein sicherer Natürlicher Tod

und

kein Anhaltspunkt für

Nicht natürlicher Tod

Äußeres Ereignis, ohne

das der Patient nicht

verstorben wäre

Natürlicher Tod

Ungeklärt

Nicht natürlich

Polizei

Polizei

Fallbeispiele

Fall 1: Fahrradunfall ohne Fremdverschulden als 7 jähriger

Posttraumatische Epilepsie

Tod im Status mit 53 Jahren

Todesart??? Nicht natürlich

Fall 2: 33 jährige Frau, Raucherin, Pille, Sprunggelenksfraktur beim Skifahren

Lungenembolie nach einem Jahr

Todesart??? Zumindest ungeklärt

Fall 3: Patient mit schwerer KHK wird tot im Bett aufgefunden, Infarkt oder

maligne Rhythmusstörung

Todesart??? Natürlich, Todesursache HI DD Rhythmusstörung, bitte nicht

ungeklärt!

Dauerbrenner

Todesart Natürlich Nicht natürlich

Intrakranielle Hämatome spontan traumatisch

Lungenembolie Thrombophilie Immobilisation

Aspirationspneumonie Schluckstörung Intox, Unfall, Pflegefehler?

Bolusaspiration Schluckstörung Intox, Unfall, Pflegefehler?

Bolustod Reflektorisch!

Sturz Immer, unabh. Verschulden

Tod im Schockraum Ohne Info / Diagnostik

Besondere Situationen I

Gynäkologie/ Geburtshilfe

Ausstellen einer TB erforderlich

• Gewicht des Feten > 500g oder

• Aufweisen von Lebenszeichen nach der Geburt unabhängig vom Gewicht

(Pulsieren der Nabelschnur, Atemtätigkeit)

Intrauteriner Fruchttod

• Sterbedatum kann vor Geburtsdatum liegen

• Angaben zum Geburtsgewicht auf vertraulichem und nicht vertraulichem Teil

• Sichere Todeszeichen können, falls möglich, angegeben werden

Schwangerschaftsabbruch

Weder Leichenschau noch TB erforderlich

Besondere Situationen II

Tod nach Operation / medizinischen Maßnahmen / medizinischen

Umständen

nach rechtsmedizinischer Auffassung immer NNT

Allerdings Kommentar zu §159 StPO :

„Der Tod nach Operation fällt nur unter §159, wenn wenigstens entfernte

konkrete Anhaltspunkte für einen Kunstfehler oder für sonstiges Verschulden

des behandelnden Personals vorliegen“

Wer soll da die TB austellen - auf keine Fälle der Operateur!

Rechtlich bedeutsame Umstände ( z.B. Natürlicher Tod eines FG im Status,

Schwester nicht zeitnah erreichbar) Todesart zumindest ungeklärt

Bei Fragen zu Todesbescheinigungen

Örtlich zuständiges Gesundheitsamt

(in München: Referat für Gesundheit und Umwelt, Infektionshygiene und

Medizinalwesen, Sekretariat 089/23347850)

Internet google: rgu sterbewesen

Weitere Informationen

• Leichenschaukurs der Rechtsmedizin

• AWMF – Leitlinie Regeln zur Durchführung der Leichenschau

• KVB Forum Ärztliche Leichenschau

• Bestattungsgesetz

• Bestattungsverordnung