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[Ag(NH 3 ) 2 ]ClO 4 : Kristallstrukturen, Phasenumwandlung, Schwingungsspektren Peter Nockemann und Gerd Meyer* Köln, Institut für Anorganische Chemie der Universität Bei der Redaktion eingegangen am 15. März 2002. Professor Welf Bronger zum 70. Geburtstag gewidmet Inhaltsübersicht. [Ag(NH 3 ) 2 ](ClO 4 ) erhält man aus einer Lösung von AgClO 4 in konz. Ammoniak in Form farbloser Einkristalle (orthorhombisch, Pnmn, Z 4, a 795,2(1) pm, b 617,7(1) pm, c 1298,2(2) pm, R all 0,0494). Die Struktur besteht aus linearen Kationen, [Ag(NH 3 ) 2 ] , die längs [010] in gestaffelter Kon- formation gestapelt sind, und tetraedrischen (ClO 4 ) - -Anionen. Eine [Ag(NH 3 ) 2 ]ClO 4 : Crystal Structures, Phase Transition, and Vibrational Spectra Abstract. [Ag(NH 3 ) 2 ](ClO 4 ) is obtained from a solution of AgClO 4 in conc. ammonia as colourless single crystals (orthorhombic, Pnmn, Z 4, a 795.2(1) pm, b 617.7(1) pm, c 1298.2(2) pm, R all 0.0494). The structure consists of linearly coordinated cations, [Ag(NH 3 ) 2 ] , stacked in a staggered conformation and of tetrahedral (ClO 4 ) - anions. A first order phase transition was ob- served between 210 and 200 K and the crystal structure of the low- Einleitung Im Zusammenhang mit Untersuchungen an komplexen Ammoniumhalogeniden und ihren thermischen Abbaure- aktionen („Ammonolyse“) [1] sind auch die Amminkom- plexe der zweiwertigen Kationen der Gruppen 11 und 12 von Interesse. So ist [Zn(NH 3 ) 2 ]Cl 2 lange bekannt [2] und spielt eine wichtige Rolle im Leclanche ´-Element [3], die Kristallstrukturen von [Cd(NH 3 ) 6 ](ClO 4 ) 2 und [Hg(NH 3 ) 4 ](ClO 4 ) 2 haben wir aber erst kürzlich aufgeklärt [4]. Die Kupfer(II)-tetrammin- und Silber(I)-diammin- Komplexe gehören zum Stoff des ersten Studiensemesters und sind vielfältig untersucht worden. Für Feststoffe mö- gen als Beispiele das erst kürzlich beobachtete [Cu(NH 3 ) 4 ] 3 [ScF 6 ] 2 [5] ebenso dienen wie [Ag(NH 3 ) 2 ] 2 (SO 4 ) [6] und [Ag(NH 3 ) 2 ](NO 3 ) [7,8] sowie [Au(NH 3 ) 2 ]Br 2 [9]. Lineare Diamminkomplexe sind einerseits im Hinblick auf das Verständnis der Molekularbewegung der NH 3 -Li- ganden [10], andererseits für das Phänomen der d 10 -d 10 - Wechselwirkungen [11] von Interesse. Von [Ag(NH 3 ) 2 ]- * Prof. Dr. G. Meyer Institut für Anorganische Chemie Universität zu Köln Greinstraße 6 D-50939 Köln Fax: 0221 470 5083 E-Mail: [email protected] 1636 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 00442313/02/628/16361640 $ 20.00.50/0 Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 16361640 Phasenumwandlung erster Ordnung tritt zwischen 210 und 200 K auf; die Kristallstruktur der Tieftemperaturphase wurde ebenfalls bestimmt (monoklin, P2/m, Z 4, a 789,9(5) pm, b 604,1(5) pm, c 1290,4(5) pm, β 97,436(5)°,R all 0,0636). Infrarot- und Raman-Spektren wurden aufgenommen, die Zuordnung der Banden wird diskutiert. temperature modification (monoclinic, P2/m, Z 4, a 789.9(5) pm, b 604.1(5) pm, c 1290.4(5) pm, β 97.436(5)°, at 170 K, R all 0.0636) has also been solved. Spectroscopic investigations (IR/Raman) have been carried out and the assignment of the spec- tra is discussed. Keywords: Silver; Ammines; Perchlorates; Phase transition (ClO 4 ) haben wir nun erstmals Einkristalle erhalten und die Kristallstrukturen der Raumtemperatur- sowie einer Tief- temperaturform bestimmt [4]. Ergebnisse und Diskussion Farblose Einkristalle von [Ag(NH 3 ) 2 ](ClO 4 ) erhält man aus einer ammoniakalischen Lösung von Silberperchlorat. Die Kristallstruktur wurde bei Raumtemperatur sowie bei 170 K bestimmt (siehe unten). Hoch- und Tieftemperatur- form sind durch eine Phasenumwandlung erster Ordnung miteinander verknüpft. Bei der Phasenumwandlung tritt Verzwilligung ein; die Zwillingsindividuen konnten bei der Strukturaufklärung klar getrennt werden. Bei der Rückum- wandlung, also beim Aufheizen auf Raumtemperatur wurde der Einkristall ohne nennenswerten Schaden „restauriert“. Dieser glückliche Umstand hängt wohl damit zusammen, daß in diesem Falle lediglich die linearen [Ag(NH 3 ) 2 ] - Gruppen und die (ClO 4 ) - Tetraeder relativ zueinander so verschoben werden, daß nur eine Volumenverminderung von knapp 1% zwischen 200 und 210 K auftritt. Kristallstrukturen Die Kristallstrukturen beider Modifikation (1: 293 K; 2: 170 K) von [Ag(NH 3 ) 2 ](ClO 4 ) sind aus isolierten Kationen und Anionen, [Ag(NH 3 ) 2 ] und (ClO 4 ) - aufgebaut, vgl. Abb. 1 und 2. Die [Ag(NH 3 ) 2 ] -Hanteln (um die beiden

[Ag(NH3)2]ClO4: Kristallstrukturen, Phasenumwandlung, Schwingungsspektren

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[Ag(NH3)2]ClO4: Kristallstrukturen, Phasenumwandlung, Schwingungsspektren

Peter Nockemann und Gerd Meyer*

Köln, Institut für Anorganische Chemie der Universität

Bei der Redaktion eingegangen am 15. März 2002.

Professor Welf Bronger zum 70. Geburtstag gewidmet

Inhaltsübersicht. [Ag(NH3)2](ClO4) erhält man aus einer Lösungvon AgClO4 in konz. Ammoniak in Form farbloser Einkristalle(orthorhombisch, Pnmn, Z � 4, a � 795,2(1) pm, b � 617,7(1)pm, c � 1298,2(2) pm, Rall � 0,0494). Die Struktur besteht auslinearen Kationen, [Ag(NH3)2]�, die längs [010] in gestaffelter Kon-formation gestapelt sind, und tetraedrischen (ClO4)--Anionen. Eine

[Ag(NH3)2]ClO4: Crystal Structures, Phase Transition, and Vibrational Spectra

Abstract. [Ag(NH3)2](ClO4) is obtained from a solution of AgClO4

in conc. ammonia as colourless single crystals (orthorhombic,Pnmn, Z � 4, a � 795.2(1) pm, b � 617.7(1) pm, c � 1298.2(2)pm, Rall � 0.0494). The structure consists of linearly coordinatedcations, [Ag(NH3)2]�, stacked in a staggered conformation and oftetrahedral (ClO4)- anions. A first order phase transition was ob-served between 210 and 200 K and the crystal structure of the low-

Einleitung

Im Zusammenhang mit Untersuchungen an komplexenAmmoniumhalogeniden und ihren thermischen Abbaure-aktionen („Ammonolyse“) [1] sind auch die Amminkom-plexe der zweiwertigen Kationen der Gruppen 11 und 12von Interesse. So ist [Zn(NH3)2]Cl2 lange bekannt [2]und spielt eine wichtige Rolle im Leclanche-Element [3],die Kristallstrukturen von [Cd(NH3)6](ClO4)2 und[Hg(NH3)4](ClO4)2 haben wir aber erst kürzlich aufgeklärt[4]. Die Kupfer(II)-tetrammin- und Silber(I)-diammin-Komplexe gehören zum Stoff des ersten Studiensemestersund sind vielfältig untersucht worden. Für Feststoffe mö-gen als Beispiele das erst kürzlich beobachtete[Cu(NH3)4]3[ScF6]2 [5] ebenso dienen wie [Ag(NH3)2]2(SO4)[6] und [Ag(NH3)2](NO3) [7,8] sowie [Au(NH3)2]Br2 [9].

Lineare Diamminkomplexe sind einerseits im Hinblickauf das Verständnis der Molekularbewegung der NH3-Li-ganden [10], andererseits für das Phänomen der d10-d10-Wechselwirkungen [11] von Interesse. Von [Ag(NH3)2]-

* Prof. Dr. G. MeyerInstitut für Anorganische ChemieUniversität zu KölnGreinstraße 6D-50939 KölnFax: 0221 470 5083E-Mail: [email protected]

1636 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044�2313/02/628/1636�1640 $ 20.00�.50/0 Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 1636�1640

Phasenumwandlung erster Ordnung tritt zwischen 210 und 200 Kauf; die Kristallstruktur der Tieftemperaturphase wurde ebenfallsbestimmt (monoklin, P2/m, Z � 4, a � 789,9(5) pm, b � 604,1(5)pm, c � 1290,4(5) pm, β � 97,436(5)°, Rall � 0,0636). Infrarot-und Raman-Spektren wurden aufgenommen, die Zuordnung derBanden wird diskutiert.

temperature modification (monoclinic, P2/m, Z � 4, a � 789.9(5)pm, b � 604.1(5) pm, c � 1290.4(5) pm, β � 97.436(5)°, at 170 K,Rall � 0.0636) has also been solved. Spectroscopic investigations(IR/Raman) have been carried out and the assignment of the spec-tra is discussed.

Keywords: Silver; Ammines; Perchlorates; Phase transition

(ClO4) haben wir nun erstmals Einkristalle erhalten und dieKristallstrukturen der Raumtemperatur- sowie einer Tief-temperaturform bestimmt [4].

Ergebnisse und Diskussion

Farblose Einkristalle von [Ag(NH3)2](ClO4) erhält man auseiner ammoniakalischen Lösung von Silberperchlorat. DieKristallstruktur wurde bei Raumtemperatur sowie bei170 K bestimmt (siehe unten). Hoch- und Tieftemperatur-form sind durch eine Phasenumwandlung erster Ordnungmiteinander verknüpft. Bei der Phasenumwandlung trittVerzwilligung ein; die Zwillingsindividuen konnten bei derStrukturaufklärung klar getrennt werden. Bei der Rückum-wandlung, also beim Aufheizen auf Raumtemperatur wurdeder Einkristall ohne nennenswerten Schaden „restauriert“.Dieser glückliche Umstand hängt wohl damit zusammen,daß in diesem Falle lediglich die linearen [Ag(NH3)2]�-Gruppen und die (ClO4)�- Tetraeder relativ zueinander soverschoben werden, daß nur eine Volumenverminderungvon knapp 1% zwischen 200 und 210 K auftritt.

Kristallstrukturen

Die Kristallstrukturen beider Modifikation (1: 293 K; 2:170 K) von [Ag(NH3)2](ClO4) sind aus isolierten Kationenund Anionen, [Ag(NH3)2]� und (ClO4)- aufgebaut, vgl.Abb. 1 und 2. Die [Ag(NH3)2]�-Hanteln (um die beiden

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[Ag(NH3)2]ClO4

Abb. 1 Perspektivische Darstellung eines Ausschnittes aus derKristallstruktur der Modifikation 1 von [Ag(NH3)2](ClO4) (293 K)

Abb. 2 Perspektivische Darstellung eines Ausschnittes aus derKristallstruktur der Modifikation 2 von [Ag(NH3)2](ClO4) (170 K)

Tabelle 1 Atomlagen und äquivalente Auslenkungsparameter fürdie Raumtemperaturform von [Ag(NH3)2](ClO4) (1); Raum-gruppe Pnmn

Atom Lage x/a y/b z/c Ueq

Ag1 2a 0 0 0 57,2(5)Ag2 2b 0 0,5 0 53,8(5)N1 4g 0,2691(11) 0,5 � 0,0016(6) 69(3)N2 4g � 0,4464(12) 0,5 0,3405(6) 71(2)Cl 4g 0,0382(3) 0,5 0,3281(2) 57,1(7)O1 8h � 0,0462(12) 0,6910(15) 0,3502(10) 140(3)O2 4g 0,117(2) 0,5 0,2333(7) 165(6)O3 4g 0,1675(15) 0,5 0,3971(14) 244(9)

kristallographisch unabhängigen Silberatome Ag1 undAg2) sind auf Lücke jeweils in Richtung [010] gestapelt; in1 sind sie um 71,7° gegeneinander verkippt; in 2 treten zwei„Sets“ von Ag-Atomen (also Ag1 � Ag4) auf, die jeweilsum 79,4° (parallel [010]) bzw. 87,3° (parallel [1/211/2]) ge-geneinander verkippt sind. Die äquidistanten Abstände

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 1636�1640 1637

Tabelle 2 Atomlagen und äquivalente Auslenkungsparameter fürdie Tieftemperaturform von [Ag(NH3)2](ClO4) (2); RaumgruppeP2/m

Atom Lage x/a y/b z/c Ueq

Ag1 1g 0,5 0 0,5 44,0(5)Ag2 1h 0,5 0,5 0,5 45,2(5)Ag3 1a 0 0 0 44,2(5)Ag4 1b 0 0,5 0 47,4(6)N1 2m 0,7522(14) 0 0,4583(12) 56(3)N2 2n 0,4220(15) 0,5 0,3351(11) 45(3)N3 2m � 0,0428(14) 0 0,1608(10) 41(3)N4 2n 0,2723(15) 0,5 � 0,0052(8) 54(5)Cl1 2m 0,4733(5) 0 0,1710(3) 45,7(11)Cl2 2n 0,9696(4) 0,5 0,3353(3) 43,6(10)O1 4o 0,5752(10) 0,1906(15) 0,1737(7) 81(3)O2 2m 0,3699(11) 0 0,2575(8) 56(3)O3 2m 0,3575(13) 0 0,0752(10) 91(4)O4 2n 0,9325(13) 0,5 0,2225(8) 64(3)O5 4o 0,0655(8) 0,3062(12) 0,3691(6) 57,2(18)O6 2n 0,8125(13) 0,5 0,3783(9) 67(3)

Tabelle 3 Ausgewählte Abstände/pm und Winkel/grd für[Ag(NH3)2](ClO4)

1 2 2

Ag1-Ag2 308,85(5) Ag1-Ag2 302,0(2) Ag3-Ag4 302,0(2)Ag1-N1 213,9(9) Ag1-N1 212,9(11) Ag3-N3 214,5(13)Ag2-N2 211,5(8) Ag2-N2 213,8(14) Ag4-N4 216,0(12)Cl-O1 138,4(8) Cl-O1 140,3(8) Cl-O4 144,7(11)Cl-O2 138,1(9) Cl-O2 146,6(10) Cl-O5 143,1(7)Cl-O3 138,7(13) Cl-O3 143,9(12) Cl-O6 142,3(7)N1-Ag1-N1 180 N1-Ag1-N1 180 N3-Ag3-N3 180N2-Ag2-N2 180 N2-Ag2-N2 180 N4-Ag4-N4 180O1-Cl-O1 116,8(10) O1-Cl-O1 110,3(8) O5-Cl-O5 109,7(4)O1-Cl-O2 114,6(5) O1-Cl-O2 110,8(4) O4-Cl-O5 109,7(3)O1-Cl-O3 102,2(7) O1-Cl-O3 108,7(5) O4-Cl-O6 108,6(6)O2-Cl-O3 103,4(11) O2-Cl-O3 107,4(6) O5-Cl-O6 109,6(3)

zwischen den Ag�-Ionen sind mit d(Ag�Ag) � 308,9(1)pm (1) sowie 302,0(2) pm (2) etwas bzw. deutlich kürzer alsin [Ag(NH3)2](NO3) (313,4 pm). Die Abstände Ag�-(NH3)liegen zwischen 211 und 216 pm und entsprechen damitebenso wie die Abstände Cl7�-O2� in den (ClO4)�-Tetra-edern dem Bekannten (vgl. Tab. 3).

Die Ag�-Ionen sind außer von zwei NH3-Liganden inerster Koordinationssphäre noch von jeweils zwei einzähnigkoordinierenden (ClO4)�-Ionen umgeben (vgl. Abb. 3); dieAbstände sind allerdings groß (jeweils zwei gleiche Ab-stände zwischen 286 und 319 pm) und die O�Ag�O-Win-kel sehr verschieden und ohne Systematik. Auch die weitereUmgebung der NH3-Liganden durch (ClO4)�-Ionen ist un-systematisch, sie greifen ein- oder zweizähnig mit Abstän-den N�O zwischen 305 und 349 pm an. Hier kann man,wenn überhaupt, nur von schwachen N�H�O-Brücken-bindungen sprechen. Offenbar spielen lediglich Packungs-effekte eine Rolle; insgesamt wird das Volumen durchPackung der stabförmigen Kationen und der eher rundenAnionen jeweils minimiert. Warum dies zwischen 210 und200 K sprunghaft und unter Symmetrieverlust geschieht,ist unklar.

Die Kristallstruktur von [Ag(NH3)2](ClO4) weist Ähn-lichkeiten mit der Kristallstruktur von [Ag(NH3)2](NO3)

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P. Nockemann, G. Meyer

Abb. 3 Zwei Beispiele für die Umgebung der Ag�-Ionen in[Ag(NH3)2](ClO4); (a) um Ag1 in 1, (b) um Ag3 in 2

[7,8] auf, das ebenfalls in der Raumgruppe Pnnm kristalli-siert. Wohl bedingt durch die trigonal-planaren (NO3)�-Ionen ist die a-Achse um etwa 234 pm kleiner und die[Ag(NH3)2]�-Gruppen sind nur um 54,6° gegeneinanderverkippt.

Phasenumwandlung

Beim Abkühlen tritt zwischen 210 und 200 K eine Phasen-umwandlung auf, die von erster Ordnung ist: das Volumenverringert sich von 93,6 (210 K) auf 92,6 cm3/mol (200 K),also um knapp 1%, vgl. Abb. 4 und Tab. 4. Sie ist mit einem

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 1636�16401638

Abb. 4 Abhängigkeit des molaren Volumens von [Ag(NH3)2]-(ClO4) von der Temperatur

Tabelle 4 Gitterkonstanten und molare Volumina in Abhängig-keit von der Temperatur für [Ag(NH3)2](ClO4)

T/K a/pm b/pm c/pm ß/° Vm/cm3mol�1

280 1292,9(5) 613,0(3) 794,6(3) 90 94,83(6)270 1292,0(6) 612,3(3) 794,3(3) 90 94,61(5)260 1290,7(5) 611,7(3) 793,8(4) 90 94,37(6)250 1290,6(5) 611,0(3) 794,4(3) 90 94,34(5)240 1289,5(7) 610,5(4) 794,3(4) 90 94,15(6)230 1289,1(6) 610,0(3) 794,8(4) 90 94,11(6)220 1288,1(5) 709,3(3) 794,7(4) 90 93,91(6)210 1286,6(7) 608,8(4) 793,8(5) 90 93,63(8)200 1291,3(21) 606,6(5) 789,8(14) 96,25(13) 92,60(17)190 1288,3(5) 606,5(3) 789,9(6) 96,37(6) 92,35(8)180 1288,6(6) 605,7(4) 789,8(5) 96,58(6) 92,21(6)170 1288,1(6) 605,3(3) 789,2(5) 96,64(5) 92,03(6)160 1287,7(8) 604,8(4) 788,8(6) 96,74(12) 91,85(9)140 1285,9(7) 603,8(5) 789,4(5) 97,05(7) 91,58(9)120 1286,0(9) 603,8(3) 788,9(3) 97,27(6) 91,50(8)100 1286,6(10) 603,1(4) 787,9(4) 97,40(8) 91,29(8)80 1286,5(6) 602,6(3) 787,7(3) 97,61(4) 91,16(5)60 1286,2(7) 602,0(3) 788,2(3) 97,73(4) 91,05(6)40 1285,4(8) 601,9(4) 787,9(4) 97,82(5) 90,95(6)20 1286,4(5) 601,7(2) 787,0(2) 97,73(3) 90,89(5)

Symmetrieabbau von P21/n2/m21/n nach P12/m1 verbun-den. Obwohl keine Präzisionsdaten vorliegen, kann mandoch den in Abhängigkeit von der Temperatur für den Be-reich 280 bis 20 K aufgenommenen und verfeinerten Pul-ver-Diffraktogrammen (vgl. Tab. 4 bez. der Gitterkon-stanten) entnehmen, daß bei sinkender Temperatur bei derPhasenumwandlung• die a-Achse sprunghaft größer wird,• die b-Achse im Trend nahezu unverändert bleibt,• die c-Achse bei den Formen 1 und 2 kaum von der Tem-

peratur abhängt, bei der Phasenumwandlung aber einedeutliche Verkürzung auftritt,

• der Winkel β von 90° (1) auf etwa 96° (2) sprunghaft„ansteigt“ und dann mit sinkender Temperatur größerwird.

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[Ag(NH3)2]ClO4

Abb. 5 Infrarot- und Ramanspektrum von [Ag(NH3)2](ClO4)(293 K)

Offenbar ist es also bei der kritischen Temperatur der Pha-senumwandlung möglich, die Kationen und Anionen dich-ter zu packen. Der Ag��Ag�-Abstand, der der halbenb-Achse entspricht, wird dabei kaum verändert (von 306,5bei 280 K auf 301 pm bei 20 K). Die Volumenverminderungwird demnach durch Stauchung der Elementarzelle, imwesentlichen initiiert durch die Verkippung eines Teils der[Ag(NH3)2]�-Hanteln erreicht, wie anschaulich aus demVergleich der Abb. 1 und 2 hervorgeht. Die relative Lageder (ClO4)�- Tetraeder ändert sich dabei kaum.

Schwingungsspektren

Im Bereich höherer Wellenzahlen (vgl. Abb. 5) beobachtetman die symmetrischen und asymmetrischen Valenzschwin-gungen der NH3-Liganden (νas(NH3) � 3285 cm�1,νs(NH3) � 3182 cm�1). Die Deformationsschwingungenliegen bei δas(NH3) � 1612 cm�1 und δs(NH3) � 1250cm�1. Die charakteristischen Banden (Zuordnung vgl. [12])für die Perchlorat-Anionen liegen bei ν1(ClO4

�) � 926cm�1 (RA) , ν2(ClO4

�) � 460 cm�1 (RA) , ν3(ClO4�) �

1084 cm�1(IR) und ν4(ClO4�) � 626 cm�1(IR). Die Silber-

Stickstoff-Schwingung liegt bei νs(Ag�N) � 372 cm�1

(RA) (Kraftkonstante f � 1,14 N/cm) [13]. Nach [14] erfolgteine Zuordnung nach: δ(N�Ag�N) � 255 cm�1 (IR) /240 cm�1 (RA). Aufgrund der Breite der Banden könnte essich hierbei jedoch auch um Gitterschwingungen handeln.Unserer Ansicht nach liegt δ(N�Ag�N) bei 161 cm�1 (vgl.Silberoxid: δ(O�Ag�O) � 80 cm�1). Zudem beobachtetman diverse Kombinationsschwingungen. Eine leichte Ver-breiterung der NH3�Banden weist auf eine dynamischeFehlordnung der Wasserstoffatome und eine Verschiebungzu niedrigeren Wellenzahlen von νs(NH3) � 3182 cm�1

(RA) gegenüber 3335 cm�1 (RA) [12] im freien gasförmigenAmmoniak deutet auf das Vorhandensein von Wasserstoff-brückenbindungen hin.

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 1636�1640 1639

Experimentelles

Farblose, teils mehrere Millimeter lange Einkristalle von [Ag(NH3)2]-(ClO4) erhält man durch Eindunsten einer Lösung von AgClO4

(hergestellt aus NaClO4 · H2O (Merck, 99%) und AgNO3 (Merck,99,8%) in Lösung), der im Überschuß 25%ige Ammoniaklösungzugesetzt worden war. Für die Infrarotspektroskopie (Bruker IFS66v/S) im MIR-Bereich wurde ein KBr-Pressling, für die FIR-Mes-sung ein PE-Pressling hergestellt; Raman-Spektroskopie (BrukerFRA 106/S) erfolgte am Feststoff bei Raumtemperatur. LängereBestrahlung mit dem Laserlicht des Raman-Gerätes führt zur Zer-setzung der Substanz.

Kristallographische Daten

[Ag(NH3)2]ClO4 kristallisiert bei Raumtemperatur in der ortho-rhombischen Raumgruppe Pnmn (Nr. 58) mit den Gitterkonstantena � 795,2(1) pm, b � 617,7(1) pm, c � 1298,2(2) pm, Z � 4,F(000) � 441, λ � 71,073 pm, IPDS (Stoe & Cie), T � 293 K, 6843gemessene Reflexe, davon 554 symmetrieunabhängig, Messbereich�14 � h � 14, �8 � k � 9, �7 � l � 7, 2θmax � 48°, 48 Parame-ter, wR2 � 0,1512 und R1 � 0,0422 für alle Daten, GooF � 1,081.Die Tieftemperaturmodifikation von [Ag(NH3)2]ClO4 kristallisiertin der monoklinen Raumgruppe P2/m (Nr. 10) mit a � 789,9(5)pm, b � 604,1(5) pm, c � 1290,4(5) pm, β � 97,436(5)°, Z � 4,F(000) � 441, λ � 71,073 pm, IPDS (Stoe & Cie), T � 170 K,10207 gemessene Reflexe, von denen 7232 für das ausgewählteZwillingsindividuum verwendet wurden, davon 690 symmetrieun-abhängig, Messbereich �8 � h � 8, �7 � k � 6, �15 � l � 14,2θmax � 51°, 90 Parameter, wR2 � 0,1388 und R1 � 0,0467 füralle Daten, GooF � 0,927. Absorptionskorrektur: ProgrammeX-SHAPE 1.01, X-RED 1.07 (Stoe & Cie, Darmstadt 1996), Struk-turlösung und �verfeinerung: Programme SHELXS-86 undSHELXL-93 (G.M. Sheldrick, Göttingen 1986, 1997). Einzelheitenzur Kristallstrukturbestimmung können unter Angabe der Hinter-legungsnummern (CSD 412420, 412419) beim Fachinformations-zentrum Karlsruhe, D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen (E-mail:[email protected]) unter Angabe der Autoren und desZeitschriftenzitats angefordert werden.Röntgen-Pulver-Diffraktogramme wurden mit Cu-Kα1-Strahlungmit einem Guinier-Diffraktometer (Huber G645) mit Zählrohr undclosed-cycle-Kryostat im Bereich von 2θ � 10 � 60° in Schrittenvon 0,02° und einer „Belichtungszeit“ von 5s aufgenommen; nachder Indizierung mit Hilfe der Einkristalldaten wurden die Gitter-konstanten mit dem Programm WinXPOW 1.07 (Stoe & Cie,Darmstadt, 2000) verfeinert.

Literatur

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