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Aktuelle Probleme der Gerontologie und Geriatrie H. Franke Medizinische Universit~tts-Poliklinik Wiirzburg Life expectancy has increased in all civilized countries and the resulting rise in the proportion of "senior citizens" means that the problems of gerontology and geriatrics are becoming more pressing. The author discusses the latest findings of experimental gerontology relating to cell aging, fibrous connective tissues, tissues, organs, and the body as a whole. The heart, vascular system, and kidneys undergo particularly complex changes with age. The bodily changes that accompany old age are expressed in infirmity and ill health; one might sometimes call it a polypathy, or generalized disease. The study of very aged persons, in particular centenarians, has made it possible to formulate criteria for longevity and to define the human potential for living longer. Die erh6hte Lebenserwartung des einzelnen und die Zunahme des Anteils der Betagten stellen unsere Gene- ration vor groBe medizinische und volkswirtschaft- liche Probleme; derzeit sind z.B. 12,5 % der west- deutschen Biirger ~ilter als 65 Jahre. In Europa und in den USA gibt es heute mehr alte Personen als je. fdberspitzt hat der Angloamerikaner Huxley [1] die moderne Gesellschaft als ,,Greisenfabrik" bezeiehnet. Deshalb ist jeder wahre Fortschritt auf dem Gebiete der Altersheilkunde (Geriatrie) nicht nur ffir die ~rzt- liche T~ttigkeit, sondern auch ffir das Wohl der ~tlteren Bev61kerung von groBer Bedeutung. Wegen der Wichtigkeit gerontologischer Fragen ftir den einzelnen und ftir alle V61ker sind in allen zivili- sierten L~ndern, so auch in Deutschland, im letzten Jahrzehnt geriatrische Gesellsohaften gegriindet wor- den. Sie verfolgen entsprechend dem Leitspruch: "To add life to years, not only years to live" das Ziel, die Lebenserwartung der Alten nicht nur zu erh6hen, sondern deren Dasein lebenswerter zu gestalten. Die Geriatrie hat heute die gleiche Bedeutung erlangt wie z. B. die P~diatrie, als sie um die Jahrhundertwende zum selbst~indigen Fach in der Medizin wurde. Das junge und noch unabgeschlossene Wissensgebiet der Alterns- und Altersforschung hat sich im letzten Jahrzehnt auf den Sektoren Biologie, Pathologie, klinische Medizin, Psychologie und Soziologie sprung- haft entwickelt. Es hat sich die Erkenntnis durchge- setzt, dab die anstehenden gerontologisehen und geriatrischen Probleme nur durch ein Zusammen- wirken vieler Teilgebiete der biologischen und sozio- logischen Wissenschaften, d.h. interdisziplin~ir gel6st werden k6nnen E2J. Die neueren Forschungsergebnisse in der Gerontologie betreffen die Orundlagenforschung der Alterung der Zellen, des Bindegewebes, der Organe und des gesamten Organismus. Ein spezielles geriatrisches Problem stellen Grad und Ausmal3 der Polypathie bzw. Multimorbidit~tt im h6heren Alter dar; dabei gewinnen die Wechselwir- kungen der Altersaffektionen auch in bezug auf die Behandlungsm6glichkeiten und -eigenarten zuneh- mend an Bedeutung. SchlieBlich besch~iftigt sich die moderne Altersforschung mit der Biologie der h6chsten menschlichen Altersstufen und besonders mit den Kriterien der Langlebigkeit. Dabei wird heute genauso wie vor mehr als 2000 Jahren die Frage diskutiert, ob es aufgrund der vorliegenden Kenntnisse m6glich ist, das menschliche Leben bis zu einer maximal erreich -~ baren Grenze zu verl~ingern I. Moderm A~cschauungen i~ber den Alterungsprozefl Liith [31 hat in einer lesenswerten Monographie iiber die Geschichte der Geriatrie aufgezeigt, welche Mtihen seit Jahrtausenden die Arzte aller Zeiten darauf ver- wendet haben, das Wesen des Alterns aufzukl~tren. Der Vorgang des Alterns ist sehr komplex; er ist trotz einer Vielzahl von Einzelkenntnissen in seiner Gesamt- heit noch nicht iiberschaubar. Jeder geriatrisch t~ttige Arzt weiB, dab das Altern nicht ausschlieBlich k6rper- liche Funktionen und Vorg~inge betrifft, sondern ebenso im seelisch-geistigen Bereich festzustellen ist E4--6]. Es ist Ierner das Verdienst des Psychologen Thomae [7] und seines Arbeitskreises [8~, die soziale ,,Bedingtheit" des Alterns hervorgehoben zu haben. Gegenw~irtig ist die Zeit fiir eine umfassende und ge- sieherte Alternstheorie, die imstande w~ire, alle wesent- I 200 v. Christi beschrieb der Chinese Weih-Po-Yang den ,,Stein der Weisen", mit dessen Hilfe es In6glich sein sollte, sowohl Gold aus Blei zu gewinnen als aueh Altersver~nderungen riiekg~ngig zu machen. 150 Naturwissenschaften 6t, 150--156 (1974) by Springer-Verlag t974

Aktuelle Probleme der Gerontologie und Geriatrie

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Aktuelle Probleme der Gerontologie und Geriatrie

H. Franke

Medizinische Universit~tts-Poliklinik Wiirzburg

Life expectancy has increased in all civilized countries and the resulting rise in the proportion of "senior citizens" means that the problems of gerontology and geriatrics are becoming more pressing. The author discusses the latest findings of experimental gerontology relating to cell aging, fibrous connective tissues, tissues, organs, and the body as a whole. The heart, vascular system, and kidneys undergo particularly complex changes with age. The bodily changes that accompany old age are expressed in infirmity and ill health; one might sometimes call it a polypathy, or generalized disease. The study of very aged persons, in particular centenarians, has made it possible to formulate criteria for longevity and to define the human potential for living longer.

Die erh6hte Lebenserwartung des einzelnen und die Zunahme des Anteils der Betagten stellen unsere Gene- ration vor groBe medizinische und volkswirtschaft- liche Probleme; derzeit sind z.B. 12,5 % der west- deutschen Biirger ~ilter als 65 Jahre. In Europa und in den USA gibt es heute mehr alte Personen als je. fdberspitzt hat der Angloamerikaner Huxley [1] die moderne Gesellschaft als ,,Greisenfabrik" bezeiehnet. Deshalb ist jeder wahre Fortschritt auf dem Gebiete der Altersheilkunde (Geriatrie) nicht nur ffir die ~rzt- liche T~ttigkeit, sondern auch ffir das Wohl der ~tlteren Bev61kerung von groBer Bedeutung. Wegen der Wichtigkeit gerontologischer Fragen ftir den einzelnen und ftir alle V61ker sind in allen zivili- s ier ten L~ndern, so auch in Deutschland, im letzten Jahrzehnt geriatrische Gesellsohaften gegriindet wor- den. Sie verfolgen entsprechend dem Leitspruch: "To add life to years, not only years to live" das Ziel, die Lebenserwartung der Alten nicht nur zu erh6hen, sondern deren Dasein lebenswerter zu gestalten. Die Geriatrie hat heute die gleiche Bedeutung erlangt wie z. B. die P~diatrie, als sie um die Jahrhundertwende zum selbst~indigen Fach in der Medizin wurde. Das junge und noch unabgeschlossene Wissensgebiet der Alterns- und Altersforschung hat sich im letzten Jahrzehnt auf den Sektoren Biologie, Pathologie, klinische Medizin, Psychologie und Soziologie sprung- haft entwickelt. Es hat sich die Erkenntnis durchge- setzt, dab die anstehenden gerontologisehen und geriatrischen Probleme nur durch ein Zusammen- wirken vieler Teilgebiete der biologischen und sozio- logischen Wissenschaften, d.h. interdisziplin~ir gel6st werden k6nnen E2J. Die neueren Forschungsergebnisse in der Gerontologie betreffen die Orundlagenforschung der Alterung der Zellen, des Bindegewebes, der Organe und des gesamten Organismus.

Ein spezielles geriatrisches Problem stellen Grad und Ausmal3 der Polypathie bzw. Multimorbidit~tt im h6heren Alter dar; dabei gewinnen die Wechselwir- kungen der Altersaffektionen auch in bezug auf die Behandlungsm6glichkeiten und -eigenarten zuneh- mend an Bedeutung. SchlieBlich besch~iftigt sich die moderne Altersforschung mit der Biologie der h6chsten menschlichen Altersstufen und besonders mit den Kriterien der Langlebigkeit. Dabei wird heute genauso wie vor mehr als 2000 Jahren die Frage diskutiert, ob es aufgrund der vorliegenden Kenntnisse m6glich ist, das menschliche Leben bis zu einer maximal erreich -~ baren Grenze zu verl~ingern I.

Moderm A~cschauungen i~ber den Alterungsprozefl

Liith [31 hat in einer lesenswerten Monographie iiber die Geschichte der Geriatrie aufgezeigt, welche Mtihen seit Jahrtausenden die Arzte aller Zeiten darauf ver- wendet haben, das Wesen des Alterns aufzukl~tren. Der Vorgang des Alterns ist sehr komplex; er ist trotz einer Vielzahl von Einzelkenntnissen in seiner Gesamt- heit noch nicht iiberschaubar. Jeder geriatrisch t~ttige Arzt weiB, dab das Altern nicht ausschlieBlich k6rper- liche Funktionen und Vorg~inge betrifft, sondern ebenso im seelisch-geistigen Bereich festzustellen ist E4--6]. Es ist Ierner das Verdienst des Psychologen Thomae [7] und seines Arbeitskreises [8~, die soziale ,,Bedingtheit" des Alterns hervorgehoben zu haben. Gegenw~irtig ist die Zeit fiir eine umfassende und ge- sieherte Alternstheorie, die imstande w~ire, alle wesent-

I 200 v. Christi beschrieb der Chinese Weih-Po-Yang den ,,Stein der Weisen", mit dessen Hilfe es In6glich sein sollte, sowohl Gold aus Blei zu gewinnen als aueh Altersver~nderungen riiekg~ngig zu machen.

150 Naturwissenschaften 6t, 150--156 (1974) �9 by Springer-Verlag t974

lichen Kriterien der Alterung und des Alters zu er- kl/iren, noch nicht reif [9, 10]. Seit den Grundlagen- forschungen Verz~rs [ t t ] hat sich die experimentelle Gerontologie in vielen L/indern stark entwickelt; sie hat inzwischen wichtige Beitr~tge auf dem Gebiete der Alterung der Zelle, des Zellkerns, des Bindegewebes, des Stoffwechsels und des Nervensystems beigesteuert ['1_2]. Nach den jtingsten Ergebnissen der experimentellen Gerontologie [~3] spielt sich die physiologische Alte- rung weitgehend im molekularen Bereich ab.

Zellalterung

Im Alterungsprozel3 der Zellen verlieren die EiweiB- Makromolektile besonders im Zellkern an Funktions- f~thigkeit El4].

Selbst die Zellalterung yon kernlosen Zellen kann zu einer Produktionsminderung der Zellenzyme fiihren. So geht auch die Zellalterung von kernlosen Erythrozyten mi'c einer deut- lichen Abnahme yon Enzymaktivitgten einher, z.B. yon Glu- cose-6-phosphatdehydrogenase and Phosphoglyceraldehydro- genase [15]. Neben der Alterung von Enzymproteinen sind auch nichtenzymatische Faktoren, z.B. das ATP/ADP-Ver- hS~ltnis und die gestSrte Magnesiumkonzentration, ftir den verminderten Energiestoffwechsel im AlterungsprozeB der Erythrozyten verantwortlich zu machen.

Speziell das komplexe Molektil der Desoxyribonuklein- s~ture (DNS) des Zellkerns wird durch die Ausbildung yon Querverbindungen (,,Crosslinks") vernetzt [16]. Da auBerdem der Anteil der denaturierten Desoxyribo- nukleins~iuren steigt, leidet mit zunehmendem Alter die genetische Zellaktivit~tt; so wird nach Heller der genetische Code in der DNS der Zelle im Laufe des Lebens unleserlich (zit. nach Schrader Et7]). Orgel [18], einer der ftihrenden Molekularbiologen, sieht die Ursaehe der Zellalterung nicht allein im gest6rten genetischen Bauplan der DNS der Zellkerne, sondern m zellul~tren Autoimmunvorg/ingen: Sie gehen yon den funktionsgeschwfichten Produktionsst/itten ftir das Zelleiweil3, den alterierten Ribosomen, aus, und dabei entstehen anscheinend falsch programmierte EiweiBk6rper, die als Antigene spezifische Antik6rper erzeugen und eine Art ,,Altersaggression" ausl6sen [t9, 20]. So beruht auch die immunologische Theorie des Alterns E21] auf der Annahme einer mit den Jahren zunehmenden Autoimmunisierung des K6rpers.

Alterung der Bindegewebsfaser

Auch die Bindegewebsfaser altert in ihrer Makromole- ktilstruktur [t t, 14]. Nach Art eines ,,Verholzungsvor- ganges" nehmen die jtingeren, nicht kovalenten Wasser- stoffbrticken ab und die kovalenten Verkettungen zu; die Faserelastizit/it wird auf diese Weise verringert und die Affinit~tt zu Calcium-Einlagerungen gesteigert. Die am Kollagen beobachteten Verh~tltnisse k6nnen auch an anderen MakromolekMen des Elastins und der Gitterfasern, aber auch an s~imtlichen biologischen Polymeren, z.B. an DNS, RNS und Proteinen, fest- gestellt werden.

Nach Verz~ir [221 betrifft dieses Alterungsprestige alle nicht erneuerungsf/ihigen Makromolektile des K6rpers. Diesen Tatbestand hat Verz~r zur Grundlage einer molekularen ,,Vernetzungstheorie" des Alterns aus- gebaut [9].

Alterung der Gewebe und Organe

Verglichen mit den Ergebnissen der zytologischen und molekularbiologischen Alternsforschung ist tiber den Alterungsvorgang yon Geweben und Organen weniger Konkretes bekannt. Der AlterungsprozeB spezieller Gewebe und Organe verl~tuff je nach der Teilungs- und Regenerationsf~thigkeit der Parenchymzellen recht unterschiedlich: Organe mit zellkonstantem Paren- chym, z.B. das Gehirn, die Niere und das Herz, sind dem Alterungsvorgang eher unterworfen als solche, bei denen bis ins hohe Alter Zellregenerationen mSglich sind (z. B. Darm und Knochenmark). Im allgemeinen bildet sich beim sog. InvolutionsprozeB der Gewebe und Organe das Parenchym frtihzeitiger zurtick als das lebensf/ihigere interstitielle kollagen- haltige Bindegewebe. ,,Die Beobachtung, daB Gewebe alter Tiere gr6Bere Mengen yon Kollagen enthalten als die der jtingeren, ist jeder Hausfrau gel/iufig, die ein ares Beefsteak kauft" [23].

Alterungsvorggnge an Herz, Gef~il3en und Nieren

Bereits um die Jahrhundertwende prfigte der franz6si- sche Arzt A. Cazalis den Satz: ,,Der Mensch ist so alt wie seine Gef~iBe." B/irger [24] versuchte, am Vorgang der Physio- und Pathosklerose des Gefitl3systems die unterschiedliche Art der Alterung der Organe darzu- stellen. Dieses Unterfangen hat sich jedoch als prak- tisch undurchftihrbar erwiesen, da es bis heute nicht gelungen ist, die alternsbedingte Physiosklerose von der Krankheit Arteriosklerose abzugrenzen [9]. Da die kardiovaskul~tren und renalen Komplikationen im h6heren Alter, abgesehen yon den Geschwiilsten, die h~tufigsten Todesursachen sind, hat die geriatrische Forschung im letzten Jahrzehnt dem morphologischen und funktionellen Verhalten von Herz und Kreislauf [25--29] sowie des uropoetischen Systems [30] bei ~tlte- ten Menschen zunehmende Beachtung geschenkt. Nach den Forschungen der letzten Jahre ist die Alte- rung des Herzens und der Gef~il3e ein sehr komplexer Vorgang. Es ist ungemein schwierig, die normalen Alterswandlungen an Herz und GeKtl3en yon den Fol- gen krankhafter Vorgfinge abzugrenzen. Die nach Ausmag und Lokalisation unterschiedliche Arterio- sklerose kann geradezu als MaBstab ftir den Alterungs- grad des Gef~tl3systems angesehen werden. Im AlterungsprozeB des Herzens gesellen sich zu der physiologischen Zell- und Bindegewebsalterung spe- zielle krankhafte Affektionen. Nach Linzbach u. Mitarb. [31] trifft das Gesetz der Alterspolypathie nicht nur ftir den gesamten Organis- mus, sondern speziell ffir das alternde Herz zu. So finden sich bei tiber 70j/ihrigen Obduzierten im Durch- schnitt etwa drei bis vier Affektionen am Herzen, z.B. eine Koronarkrankheit, eine Hypertrophie des linken Ventrikels, eine Myokardfibrose, eine Verkalkung des Mitralsegels u.a.m. Daher sind ftir die morphologische Ausprfigung des Altersherzens die Alterungsvorg~tnge an den kleinen Verzweigungen der Herzkranzgef~tBe besonders bedeutungsvoll. Diese intramuskul~tre Arte- riosklerose korreliert mit dem zunehmenden Alter besser als die Koronarsklerose der graBeren Kranz- gef/ige [271. Der Pathologe Schwartz [32] hat auf die Bedeutung der kardiovaskul~ren Amyloid-Degeneration ftir den Alterungsprozess aufmerksam gemacht. Fig. I zeigt

Naturwissenschaften 61, 150--156 (1974) �9 by Springer-Verlag t974 151

Fig. t . Diffuse inters t i t ie l le Amyl o i d -E i n l age rung im H e r z m u s - kel u n d in der I n t i m a einer k le inen Kranza r t e r i e bei e inem t00j~ihrigen Pa t i en ten . KongorotfS.rbung. Die hellen, fleck- f6 rmigen Gebiete en t sp rechen dem Amylo id (I-Ierrn Prof. Dr. A l t m a n n , Di rek tor des Pa tho log i schen I n s t i t u t e s der Univ . Wii rzburg , danke ich herzl ich g~r f reundl iche l}ber lassung u n d Druekgenehmi gung . )

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Fig. 2. Abs inken der glomerulS~ren F i l t r a t ion m i t z u n e h m e n - d e m Alter (nach [10])

die diffuse interstitielle Amyloid-Einlagerung im Herz- muskel und das Altersamyloid in der Intima einer kleinen Kranzarterie bei einem t00j~ihrigen Patienten. Wahrscheinlich sind bestimmte im Alter einsetzende Autoimmunisierungsvorg~tnge ffir die Bildung des Amyloids verantwortlich. Die Summation dieser krank- haften Ver~nderungen ffihrt im h6heren Alter unter den verschiedenartigsten Belastungen zu einer erh6hten Versagensbereitschaft des sog. Altersherzens [28, 29], schlieglich zur latenten bis manifesten Herzinsuffizienz BI]. Von allen Organen sind besonders die Nieren dem AlterungsprozeB unterworfen. Nach Davies und Shock [30] vermindert sich das Glomerulus-Filtrat sowie der effektive renale Plasmastrom kontinuierlich mit zunehmendem Alter, erkennbar an der Inulin- und der PAH-Clearance. Gleichzeitig nehmen die Zahl der Glomeruli sowie die Dicke der Nierenrinde ab. Fig. 2 zeigt die Anderung der glomerul~ren Filtration mit zunehmendem Alter. So liegt ab dem 8. his 9. Jahr- zehnt die Nierenfunktion vielfach an der Grenze der manifesten Insuffizienz. Dies erkl~trt die !3berdosie- rungserscheinungen im h6heren Alter bei Gabe von Medikamenten, die vorwiegend fiber die Niere aus- geschieden werden, z.B. phenazetinhaltigen Schmerz- mitteln.

der Zei t" v e r s t a n d e n ; dabei geh t das z u n e h m e n d e Lebensal - ter - - m i t A u s n a h m e der pe r ina t a l en Lebensper iode - - s t e t s m i t e iner V e r m i n d e r u n g der Lebense rwar tung , d .h . m i t v e r m e h r - ter Mortali t&t e inher [9]. Die Abh~ngigke i t dieser Abs te rbe- ra te als F u n k t i o n der Zei t h a t berei ts 1825 Gomper t z [34] in eine Fo rme l gekleidet :

~, ~ r 0 . e a t ;

dabei b e d e u t e n r = endgi/lltige Mortal i t&tsrate, r 0 ~ ini t iale Mortal i tXtsrate, e = Basis des nat i i r l ichen L o g a r i t h m u s , a = }Richtungskoeffizient, t = Alter in J ah ren .

In funktioneller Hinsicht besteht das Wesen der Alterung des Gesamtorganismus in einer verringerten Anpassungsf~higkeit an die wechselnden Umweltbe- dingungen [35]; jedoch entwickelt nach jiingsten Untersuchungen russischer Gerontologen [36] der alternde Organismus auch zahlreiche Anpassungsme- chanismen, speziell zentral-nerv6ser und humoraler Natur, die dem Alterungsvorgang entgegenwirken. Auf den physiologischen AlterungsprozeB pfropfen sich Altersleiden und -krankheiten auf, wobei sich Altern und Krankheit gegenseitig in einem positiven Feedback-Mechanismus beeinflussen: Jeder der Fak- toren beschleunigt den anderen, mit fortschreitendem Alter werden Krankheiten h~iufiger und mit einsetzen- den Krankheiten wird der Alterungsproze8 beschleu- nigt [37, 38]. Fig. 3 versucht, in Anlehnung an die Gompertzsche Formel schematisch den EinfluB yon Gebrechen und Krankheiten auf die theoretiseh denk- baren Lebensabl~tufe einiger Menschengruppen mit unterschiedlicher genetischer Lebenserwartung darzu- stellen.

Polypathie und Multimorbiditiit im hSheren Alter

An den Gebrechen und Krankheiten des alternden Menschen sind meist mehrere Organe beteiligt. Ahnlich wie GseU [39] haben wir in unserem ambulanten und stationiiren Beobachtungsgut die Anzahl der verschie- denen Diagnosen bei den fiber 7@ihrigen Patienten denen bei jt~ngeren gegenfibergestellt [37, 40]. Dem- nach nehmen im Laufe des Lebens die bei einem Kran- ken festgestellten Affektionen (Leiden, Krankheiten) fast proportional den Dezennien zu (Fig. 4). Auch die Zahl der bei der Autopsie bei einem Verstorbenen gem fundenen L~isionen steigt fast proportional mit den Lebensjahrzehnten an (Tabelle t). Bei t5 bis t971 obduzierten t00jfihrigen und ~lteren Personen waren pro Proband 10 und mehr Einzell~tsio- nen vorhanden (Tabelle 2). t I Befunde haben wir der Literatur entnommen [42--49], 4 Sektionsergebnisse stammen aus eigenem Beobachtungsgut.

Tabelle t . Durchschn i t t l i che Zahl der Lgs ionen in [Beziehung z u m Alter. G e s a m t z a h l der aufgeschl i i sse l ten Au tops ien : 2221 (nach [41])

Al te r sg ruppe

65 - -69 7O--74 75 - -79 80 - -84

L&sionen ~Verstorbenen

5,71 6,39 7,57 8,42

Alterung des Gesamtorganismus

Die Alterung des Gesamtorganismus stellt die For- schung vor kompliziertere Probleme als das Modell der isolierten Zelle, der Gewebe oder Organe [33]. BUrger [24] h a t u n t e r Al te rn des G e s a m t o r g a n i s m u s , , jede irreversible V e r g n d e r u n g der Iebenden S ubs t anz als I~unktion

Tabel le 2. Zahl der Todesur sachen , Grund le iden und Neben- be funde bei t 5 obduz ie r ten t 00j&hrigen (7 M~inner u n d 8 Frauen)

K r a n k h e i t e n / P r o b a n d t 0,4 (M~nner u n d Frauen) K r a n k h e i t e n / F r a u t 0,0 K r a n k h e i t e n / M a n n 10, 86

152 N a t u r w i s s e n s c h a f t e n 6t, 150--156 (1974) �9 by Spr inger-Ver lag t974

Geburt

10 i,deale Lebenserwartung Ia

20 E

o~ ~ 30

40

X3

5o > a<

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g ..Q

7(2 - 2

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Tod 100

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i Carzinom " k ~ Einsetzen der I und Meta Id ~ \ ~__~,~ %%~-Altersmultimorbiditgt

�9 t ~ ~ ~bioI.Tod an It ~O \ ' i ~ ~. %% % Altersschw~iche/

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Fig. 3. Ia Ideale Lebensbahn eines 3/ienschen mit h6chster Lebenserwartung. Ib Durch Arteriosklerose, Alterspolypathie und sp~Ltere Attersmultimorbidit/it verkfirzter Lebenslauf eines HundertjS~hrigen. Ic Verkfirzte Lebensdauer eines Menschen mit genetisch hoher Lebenserwartung, der durch frfih auftretende Leiden und Krankheiten, z.B. Emphysembronchitis ~, Gallellsteine/~, und schlief31ieh Herzinfarkt T bei Kardiosklerose, frt~hzeitig mit 60 Jahren stirbt. Id Lebensbahn eines N[enschen mit hoher Lebenserwartung, der z.B. an einem Carcinom mit Metastasen frfihzeitig stirbt. Ie Beeinflussung der Lebensbahn eines Probanden mit theoretisch hoher Lebenserwartung durch eine Infektionskrankheit. I I Verkflrzter Lebensweg eines Menschen mit genetisch reduzierter Lebenserwartung ohne exogene St6rfaktoren. I I I Erheblich verkt~rzte Lebenskurve bei einem Probanden mit genetisch maximal reduzierter Lebenserwartung, z.B. bei dem Progerie-Syndrom

Im Senium hat man es mit vielen Leiden, einer Poly- pathie [3 7, 3 9, 41 ], oder mit Vielfachkrankheiten, d.h. einer Multimorbidit~it [50] zu tun. Dieses Nebenein- ander mehrerer krankhafter Vorg~inge und Zust~tnde ist Itir das biologische Verhalten Betagter geradezu kennzeichnend: Die Alterspolypathien bzw. Multi- morbidit~iten k6nnen bei demselben Patienten w~ih- rend kurzer oder l~ingerer Zeitperioden in positive oder negative Wechselbeziehung treten. Ein Beispiel soll die enge Verkntipfung yon Leiden (Pathos) und Krankheit (Morbus) im h6heren Alter erl~iutern. Die Herdpneumonie als Krankheit bei Lungenemphysem (Pathos) kann die verminderte Koronarreserve des Altersherzens (Pathos) bis zu ausgesprochener Koronarinsuffizienz, ja Herzinfarkt (Krankheit), und kardiovaskul~irer Dekompensation belasten. Im Gefolge dieser Infekt-bedingten Kreis- laufschw~iche verschlimmert sich die bisher latente zerebrale Durchblutungsinsuffizienz bei Zerebralskle- rose bis zum t6dlichen zerebralen Koma. Daraus folgt, dab die ~irztliche Betreuung von hoch- betagten Patienten im allgemeinen nicht die Aufgabe von Organspezialisten ist. Sie sollte in die H~tnde yon erfahrenen Arzten gelegt werden, die nicht nur das AusmaB und die Art, sondern aueh die gegenseitige Beeinflussung der Polypathien bzw, Morbidit~iten bei ihren therapeutischen Bemtihungen berticksichtigen.

Die hdchste menschliche Lebensstu/e

Das Problem der Langlebigkeit geh6rt zu den an- ziehendsten der Gerontologie [43, 47, 48, 511. Meine Mitarbeiter und ich haben deshalb in den letzten zehn Jahren zun/ichst t48, jetzt 177 tiber Hundertj/ihrige Westdeutschlands untersucht und die Ergebnisse mit Hilfe eines speziellen Verfahrens mit entsprechenden Erhebungen bei 50-bis 75j~ihrigen verglichen [5t~. Es liegen auch bereits die ersten sog. L~tngsschnittunter- suchungen bei dieser Personengruppe vor.

Folgenden Fragen sind wir nachgegangen:

1. Welches k6rperliche und seelische Verhalten weist der Mensch an der obersten Schwelle der Lebensm6g- lichkeit auf ? [521

2. Welche Kriterien sind fiir eine tiberdurchschnittliche Lebenserwartung mal3gebend? [531

3. Wie lange kann ein Menseh tiberhaupt leben ? [541

4. Ist das Leben jenseits der Hundertjahresgrenze insgesamt noch lebenswert ? [551

5. Zeichnen sich aufgrund unserer Studien M6glich- keiten der Lebensverlfingerung und der Verjtingung ab ? [56] 6. Gibt es einen biologischen oder physiologischen Tod allein infolge Altersschw~iche ? [37]

Naturwissenschaften 61, 150--t 56 (1974) �9 by Springer-Verlag 1974 t 53

Die von uns erzielten Ergebnisse k6nnen im Rahmen dieser lJbersicht nur kurz skizziert werden. Im t~brigen sei der interessierte Leser auf die Spezialliteratur ver- wiesen [37, 51--56].

Wie lange lebt der Mensch ?

Wahrscheinlich liegt der Zeitpunkt, an dem das menschliche Leben bei vitalen Personen ausschlieglich aus Grtinden der Seneszenz wie eine ausbrennende Xerze erl6schen muB, bei einem Alter von fiber t l 0 Jahren. Der ~ilteste zur Zeit in Westdeutschland lebende und von uns klinisch erfagte Bfirger ist ur- kundlich belegt t10 Jahre alt. Er ist trotz nachweis- barer multipler Altersgebrechen noch relativ rtistig. Nach den begriindeten Vorstellungen der modernen Anthropologie ist die optimale Lebenserwartung des Menschen bei t t 2 bis h6chstens t15 Jahren anzu- setzen. Tats~tchlich liegt das h6chste bis jetzt urkund- lich beglaubigte Lebensalter eines Menschen bei un- gef~ihr t t 2 Jahren. Besonders treffend hat eine 6sterreichische Zeitung (,,Die Presse" vom 26. Juni 1971, Seite t9) die Proble- matik der Altersangaben von Hochbetagten mit fol- genden Worten gekennzeichnet: ,,Der Mangel an Dokumenten, die Leichtgl~tubigkeit der Mitbfirger, der Stolz der Heimatgemeinden, politische Opportuni- t~tt, die Sensationsgier von Nachrichtenmedien und die Gewinnsucht yon Verwandten und Managern, das scheinen die wahren Ursachen ftir alle Altersrekorde j enseits von 110 Jahre zu sein." Dr. Morris Ernest, der vor etwa 40 Jahren in England einen Klub der Hun- dertj~thrigen gegrtindet hatte, nannte als nachweisbar hSchstes Alter den Fall der Miss K. Lundket. Sie starb mit t t t Jahren und 327 Tagen. Nach den statistischen Berechnungen von Freuden- berg [57] ist die Wahrscheinlichkeit, 11t Jahre alt zu werden, nur halb so grol3 wie die, t t 0 Jahre zu errei- chen, nnd t20 Jahre alt zu werden, ist augenblicklich 1000real weniger wahrscheinlich, als 110 Jahre. Das wirkliche Alter des derzeit ~tltesten Menschen der Erde, des angeblich t66j~thrigen Stidrussen Sirali Mislimov, konnte uns auf eine schriftliche Anfrage von der gerontologischen Sektion der Akademie der medi- zinischen Wissenschaften der UdSSR (Prof. Dr. Chebotariov) nicht amtlich best~itigtwerden. Der Hoch- betagte ist in der Zwischenzeit mit angeblich 168 Jahren gestorben.

Gibt es einen nattirlichen Alterstod ?

Theoretiker haben immer wieder die Frage diskutiert, ob ohne Einwirkung von Krankheiten und sch/id- lichen exogenen Einfltissen der physiologische Tod beim Menschen allein durch Altersschw~iche mit etwa 1t5 bis t20 Jahren eintritt [45]. Nach den vorliegen- den Obduktionsbefunden gibt es keine Hinweise daftir, dab die HSchstbetagten allein infolge sog. Altersschw~tche sterben. Selbst die Obduktion eines der ~iltesten sezierten Menschen, eines t06j~ihrigen ungarischen Sch~ifers, ergab keine Anhaltspunkte ftir einen ,,biologischen oder physiologischen Tod" [58]. Immer sind es krankhafte Ver~inderungen, wie z.B. minimale Lungenentztindungen sowie Herz- und Kreis- laufaffektionen, die auf dem Boden multipler Alters- gebrechen den Tod dieser an der oberen Schwelle der LebensmSglichkeit stehenden Menschen herbeiftihren.

Hdufigkeit

9O

8O

70-

60-

50

4O

3O

2O

10

10-19 20-29 30-39/,0-49 50-59 60-69 7[3-79 80-89Atter [5381 [16161 [13501 [154B1 1146131 [10441 [296) l~k}

Zeichenerkidrung

D N N N @ N m @ II 1 2 3 /~ 5 6 7 8 9

Diegnosen Fig. 4. Anzahl der Diagnosen in den einzelnen Altersstufen (in Xl~mmern die Zahi tier untersachten ambulan• Pa~ienten)

Kriterien der Langlebigkeit

Wie kommt es nun, dab diese Individuen trotz einer Polypathie bzw. Multimorbidit~tt erheblichen Aus- mal3es ein so holies Alter erreicht haben ? Nach unseren klinisch-chemischen Untersuchungen an 41 Hundertj~thrigen mit Hilfe eines Zw61ffach- Autoanalyzers zeigen die rtistigen tiber Hundertj/ihri- gen im Vergleich zu jtingeren Alterstufen in bezug auf fast alle blutchemischen Werte ein biologisch jtingeres Verhalten, als nach ihrem kalendarischen Alter zu er- warten w~re [597. Wahrscheinlich stellen die hundert Jahre und noch/il teren Personen eine positive Selek- tion der GesamtbevSlkerung dar, eine spezielle bio- logische Kategorie, die das Gros der Mitmenschen tiberlebt hat [48, 531. Nach den jiingsten geriatrischen Forschungen h~ngt eine iiberdurchschnittliehe Lebenserwartung vom gtinstigen Zusammentreffen bestimmter endo- und exogener Faktoren ab [53]-

Hierzu geh6ren : zu 63 % die famili~tre Erbanlage; das Vermeiden bzw. Verschontbleiben von lebens- bedrohenden Risiken (z.B. Unf~ille) und das Nicht- betroffensein von lebensverkiirzenden Erkrankungen; bestimmte pathologisch-anatomisch erfaBbare Momen- te, wie der konstitutionell gesteuerte Grad der Organ- involution und die individuelle Gangart der Arterio- sklerose (z.B. geringere Auspr~tgung einer Zerebral- sklerose und die besondere Form der Kardiosklerose) ; bestimmte humorale und zentralnervSse Adaptions- mechanismen an den Altersvorgang [36] ; ErhaltenbleFoen der intellektuellen Leistungsffihigkeit. Wahrscheinlich l~Bt auch ein bis in das hSchste Alter t~itiger Geist den KSrper langsamer altern. Die Lang-

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Fig. 5. Normales biochemisches Diagramm eines rflstigen 101 j &hrigen

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Fig. 6. Pathologisches biochemisches 3/~uster einer 100j~hrigen siechen E'rau

lebigen verm6gen sich relativ gut mit der jeweiligen Lebenssituation auseinanderzusetzen E7, 60]. Ein altersbedingter Abfall der intellektuellen F~ihigkeiten, entsprechend dem sog. ,,Defizit-Modell" der Psycho- logen [6t], scheint bei H6chstbetagten keineswegs gegeben zu sein. Auf diesem Gebiete sind weitere Un- tersuchungen dringend notwendig.

M6glichkeiten der Lebensverl~ingerung

Die Langlebigkeit in bestimmten Familien ist offenbar im Bauplan der DNS-Str~tnge der Erbtrfiger in allen Zellen programmiert. Das Ziel, diesen genetischen Bauplan eines Menschen durch ~iui3ere MaBnahmen umzubauen, ist nach dem Stand der heutigen Wissen- schaft noch nicht realisierbar. Ob die moderne Hypothese des Autoaggressions- geschehens ats Teilursache des Alterns zu praktischen Erfolgen auf dem Gebiet der sog. Verjtingung ftihren wird, ist nocla ungewil3. Wir sind nicht oder noch nicht in der Lage, unsere ~ilteren Patienten zu verjt~ngen oder zu revitalisieren [62].

Prinzipien der geriatrischen Therapie

Wesentlich in der Betreuung Hochbetagter ist auch heute noch die Empfehlung einer Geroprophylaxe [63] und die Beobachtung der medikament6sen Risiken in der Geriatrie. Wir werden die Alten vor allen Dingen vor jenen Faktoren warnen, die ihnen schaden k6nnen, wie Obergewicht, starkes Rauchen und zu wenig Be- wegung. Wir empfehlen als Geroprophylaxe im engeren Sinne eine ausgewogene Lebensweise mit leieht ani- mierender Arbeit und entsprechenden Ruhepausen sowie die sofortige und sorgf~iltige Behandlung inter- kurrenter Erkrankungen, z.B. einer fieberhaften Bronchitis bzw. einer Grippe. Als Geroprophylaxe im weiteren Sinne gelten Vorsorgeuntersuchungen zur Frt~herfassung von Geschwtilsten und Glaukom und die Ermittlung yon Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Hypertonie, Gicht, Hypercholesterin~imie). Zur raschen Beurteilung der ablichen Risikofaktoren im Blutserum yon Hochbetagten hat sich das Auto- analyzerverfahren mit Hilfe der Technicon-Ger~te be- w~hrt (SM-t2- und SM-6-Apparatur). Es gelingt in

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kurzer Zeit, in wenig Blutserum (5 ml) t2 bzw. t8 wesentliche Parameter in Form eines sog. biochemi- schen Musters zu bestimmen. Fig. S zeigt das bio- chemische Diagramm eines rtistigen t04j~thrigen mit normalen Werten fiir Cholesterin, Calcium, Phosphor, Bilirubin, Albumin, Totalprotein, Harns~ture, Harn- stoff-N, LDH, alk. Phosphatase und SGOT-Trans- aminase. Eine Therapie ertibrigte sich. Demgegeniiber weist das biochemische Muster ether 10@ihrigen siechen Frau bereits erhebliche St6rungen der Nieren- funktion und des Eiweigbestandes auf (Fig. 6). Nur eine gezielte Infusionstherapie konnte diese Krise zu- mindest voriibergehend iiberwinden. Im letzten Jahrzehnt hat sich unter Beriicksichtigung der Besonderheiten des morphologischen und physio- logischen Organverhaltens im Greisenalter eine spe- zielle Pharmakotherapie in der Geriatrie entwickelt [64]. Dabei haben sich folgende allgemein giiltige Richtlinien herausgescMlt :

t. Gebrauche keine Medikamente, solange eine andere Therapiem6glichkeit besteht [65]. 2. Die medikamentSse Therapie ist wegen der vermin- derten Vertr~tglic.hkeit im h6heren Alter mit Risiken verbunden [62]. Altere Patienten reagieren auf Arznei- mittel h~tufig anders, meistens empfindlicher als jiin- gere. 3. Eine notwendige medikament6se Behandlung in der Altersheilkunde soil immer auf die aktive Grund- krankheit und die Besonderheiten des Einzelfalles gerichtet sein; dabei verabreiche man sowenig Medi- kamente wie m6gIich; wenn diese jedoch erforderlich stud, strebe man eine exakte Individualisierung der zugemessenen Arzneimittelmenge an. 4. Eine ausgedehnte symptomatische Behandlung der Alterspolypathien ist im allgemeinen unzul~tssig. 5. Ist jedoch in Ausnahmef~llen eine Polypragmasie erforderlich, sollte man die wechselseitige Beein- flussung yon Medikamenten kennen und bet der The- rapie beriicksichtigen.

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