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OlafKiihne Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie' Current evolutions of centrality in the federal state Saarland - first results of an empirical study Keywords: Saarland, Zentralitat, Zentrale Orte, Landesplanung, Strukturwandel Keywords: Saarland, centrality, central places, regional planning, structural change Kurzfassung Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse einer Untersuchung der Zentralen Orte im Saarland dar. Hierbei wird sowohl auf die Angebotszentralitat auf Grundlage des Disper- sionsfaktors als auch auf die Nachfragezentralitat aufgrund einer quantitativ-empirischen Untersuchung eingegangen. Gegeniiber einer Studie von 1977 haben sich deutliche Ver- anderungen der Zentralitat im Saarland ergeben. Auch gegeniiber dem aktuellen Landes- entwicklungsplan finden sich deutliche Abweichungen: Die Verflechtungsbereiche auf Ebe- ne der Mittelzentren sind undeutlich, Verflechtungsbereiche auf Ebene der Grundzentren lassen sich nur vereinzelt nachweisen, zahlreiche Grundzentren und Mittelzentren kom- men ihrer normativen Funktion nur unzureichend nach. Aufgrund der deutlichen Veran- derungen der Zentralitat zahlreicher Orte wird als Instrument der Politikberatung ein stan- diges Monitoring der Zentralitat vorgeschlagen. Abstract This article presents the results of an investigation of the central places in the federal state Saarland. With this, it is elaborated both on the centrality of offers on basis of the dispersion factor and on the centrality of demand due to a quantitative-empirical investigation. Com- pared to survey conducted in 1977 certain changes concerning centrality have been turned out in the Saarland. Those changes can also be found in the current regional development plan: The interlacing fields on tier of the secondary centres are indistinct, interlacing fields on tier of the basic centres let to prove, numerous basic centres and secondary centres follow their normative function only inadequately. Due to the clear modifications of the centrality of numerous places a continuous monitoring of the centrality is suggested as an instrument of the politics deliberation. 450 RuR5/2008

Aktuelle zentralörtliche Entwicklungen im Saarland — Erste Ergebnisse einer empirischen Studie

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OlafKiihne

Aktuelle zentralortliche Entwicklungen imSaarland - erste Ergebnisse einer empirischenStudie'

Current evolutions ofcentrality in the federalstate Saarland - first results ofan empiricalstudy

Keywords: Saarland, Zentralitat, Zentrale Orte, Landesplanung, Strukturwandel

Keywords: Saarland, centrality, central places, regional planning, structural change

Kurzfassung

Die vorliegende Arbeit stellt die Ergebnisse einer Untersuchung der Zentralen Orte imSaarland dar. Hierbei wird sowohl auf die Angebotszentralitat auf Grundlage des Disper­sionsfaktors als auch auf die Nachfragezentralitat aufgrund einer quantitativ-empirischenUntersuchung eingegangen. Gegeniiber einer Studie von 1977 haben sich deutliche Ver­anderungen der Zentralitat im Saarland ergeben. Auch gegeniiber dem aktuellen Landes­entwicklungsplan finden sich deutliche Abweichungen: Die Verflechtungsbereiche auf Ebe­ne der Mittelzentren sind undeutlich, Verflechtungsbereiche auf Ebene der Grundzentrenlassen sich nur vereinzelt nachweisen, zahlreiche Grundzentren und Mittelzentren kom­men ihrer normativen Funktion nur unzureichend nach. Aufgrund der deutlichen Veran­derungen der Zentralitat zahlreicher Orte wird als Instrument der Politikberatung ein stan­diges Monitoring der Zentralitat vorgeschlagen.

Abstract

This article presents the results of an investigation of the central places in the federal stateSaarland. With this, it is elaborated both on the centrality ofoffers on basis of the dispersionfactor and on the centrality ofdemand due to a quantitative-empirical investigation. Com­pared to survey conducted in 1977 certain changes concerning centrality have been turnedout in the Saarland. Those changes can also be found in the current regional developmentplan: The interlacing fields on tier of the secondary centres are indistinct, interlacing fieldson tier of the basic centres let to prove, numerous basic centres and secondary centres followtheir normative function only inadequately. Due to the clear modifications of the centralityof numerous places a continuous monitoring of the centrality is suggested as an instrumentof the politics deliberation.

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Olaf Ktihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

Einleitung

Das Instrument der Zentralen Orte lasst sich in derRaumordnung als planungsrechtlich wie auch pla­nungspolitisch etabliert und prinzipiell akzeptiert be­schreiben (Blotevogel 2002). Trotz der in den 1980erund 1990er Jahren am Zentrale-Orte-Konzept geiib­ten Kritik der Uberholtheit, Starrheit und geringenWirksamkeit (vgl. GiiBefeldt 1997, Hahne/Rohr 1999,Blotevogel 2002) ist es in einer reformulierten und denveranderten gesellschaftlichen Verhaltnissen Rech­nung tragenden Form ein nahezu unsubstituierbarerBestandteil der raumordnerischen Praxis. Wird der An­spruch der Raumordnung ernst genommen, in einemrekursiven Prozess mit gesellschaftlichen Entwick­lungen zu stehen, erscheint es hier hinsichtlich desZentrale-Orte-Konzeptes notwendig, die analytischeGrundlage fur die Gliederung normativer zentralort­licher Strukturen - namlich die Untersuchung der fakti­schen Zentralitat einzelner Orte - auf einem zeitnahenAktualitatsstand zu halten. Dies wurde auch im Saar­land notig, nachdem zu erwarten war, dass der fort­geschrittene Strukturwandel van der Altindustrie- zurdiversifizierten Dienstleistungsregion (vgl, Bell 1973),aber auch der soziale Wertewandel (vgl. Inglehart 1977)und der damit sich im Saarland bereits vollziehendedemographische Wandel (vgl. Abb. 1), mit zentralortli­chen Nebenfolgen gefuhrt und somit die Untersuchungder Zentralen Orte im Saarland van 1977 als veraltetgelten konnte.

Dieser Arbeit liegt eine analytische Trennung zwi­schen normativer Zentralitat (im Sinne eines politisch­administrativ gesetzten Soll-Zustandes) und der ana­lytischen Zentralitat (im Sinne eines empirisch fest­gestellten bzw. feststellbaren Ist-Zustandes) zugrunde.Die vorliegende Untersuchung versteht sich dabei alsTeil einer analytischen Basis der zum Iahr 2013 vorge­sehenen Fortschreibung des Landesentwicklungsplansdes Saarlandes, wobei eine Zusammenfuhrung derbeiden Teilabschnitte .Siedlung" und .Umwelt" ge­plant ist. In diesem Landesentwicklungsplan SaarlandsolI dann aus den Ergebnissen der vorliegenden Ist­Zustandserhebung eine Formulierung des Sollzustan­des (als normative Zentralitat) erfolgen. In der Laufzeitdes aktuellen Landesentwicklungsplans, Teilabschnitt.Siedlung". wird hingegen politisch kein Anderungs­bedarf hinsichtlich der Anpassung der zentralortlichenGliederung in Form einer Teilfortschreibung gesehen.

Im Folgenden werden Uberlegungen zu einer Anwen­dung des reformulierten Zentrale-Orte-Konzeptes (imSinne van Blotevogel 2002) im Saarland vorgetragen.AnschlieBend werden die Methodik der Untersuchungzu Angebots- und Nachfragzentralitat sowie die Er­gebnisse der empirischen Untersuchung erlautert undeiner Diskussion unterzogen. AbschlieBend werdenin einem Fazit Schliisse fur die Bestimmung ZentralerOrte im Saarland fiir die Landesplanung gezogen.

Lepl-Siedlung: Zentrale Orte

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Mittelzentrum

• Unterzentrum

• Oberzentrum

Abbildung 1Normative zentrale Orte

gemaB dem giiltigenLandesentwicklungsplan,Teilabschnitt "Siedlung",

von 2006

Quelle: Ministerium furUmwelt 2006

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Olaf Kuhne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

Uberlegungen zu einer Anwendung desreformulierten Zentrale-Orte-Konzeptesim Saarland

Besonderheiten des Planungssystems des Saarlandesin Bezug aufdie Planung Zentraler Orte

Der Landesentwicklungsplan des Saarlandes glie­dert sich in zwei Teilabschnitte, den Landesentwick­lungsplan, Teilabschnitt "Umwelt (Vorsorge fur FIa­chennutzung, Umweltschutz und Infrastruktur)" vom13. Iuli 2004 und den Landesentwicklungsplan, Teilab­schnitt "Siedlung" (LEP "Siedlung") vom 14. Iuli 2006.Beide haben die Aufgabe, "die Flachenanspruche anden Raum und die raumliche Verteilung der einzelnensiedlungsrelevanten Raumnutzungen unter Abwagungiiberortlicher, raumrelevanter Gesichtspunkte und un­ter Berucksichtigung der zuvor genannten Rahmenbe­dingungen zu koordinieren und Vorsorge fur einzelneRaumnutzungen und -funktionen zu treffen" (Minis­terium fur Umwelt 2006). Gegentiber den Landent­wicklungsplanen anderer Flachenlander weist der Lan­desentwicklungsplan (hier: Teilabschnitt .Stedlung")einige Besonderheiten auf. Infolge einer (aufgrund dergeringen Landesflache) fehlenden eigenstandigen Re­gionalplanung umfasst der Landesentwicklungsplanauch regionalplanerische Aussagen. Somit legt der Lan­desentwicklungsplan, Teilabschnitt .Siedlung". auchGrundzentren fest und weist mit Oberzentrum (Saar­

bnicken), Mittel- und Grundzentren drei Zentralitats­stufen aus, deren Ausstattungsumfang exemplarischgefasst ist (vgl. Ministerium fur Umwelt 2006). EineBesonderheit des saarlandischen Landesentwicklungs­planes, Teilabschnitt .Siedlung", liegt darin, dass (mitder Ausnahme des Oberzentrums Saarbrucken) nichtganze Kommunen als Zentrale Orte definiert sind, son­dern dass innerhalb der Kommunen in der Regel einZentraler art bestimmt ist (Ministerium fur Umwelt2006; Abb. 1). Die analytische Basis der aktuellen nor­mativen zentralortlichen Gliederung fufst analytischauf der Untersuchung von Ageplan (1977) und wurdein den Folgejahren selektiv aktualisiert (zur Geschichteder Raumplanung im Saarland siehe Jost/Moll2007).

Grundziige der Anwendung des reformuliertenZentrale-Orte-Konzeptes im Saarland

Das Zentrale-Orte-Konzept lasst sich als Steuerungs­instrument zur Erreichung raumordnerischer, an demder Nachhaltigkeit ausgerichteter Ziele beschreiben,indem es als Element einer hoheitlichen und rechts­verbindlichen Rahmenplanung auch als kooperativeund diskursive Entwicklungsplanung verstanden wird(Blotevogel 2002). Neben diesem prozessual-partizi­pativen Verstandnis von Raumplanung werden von

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Blotevogel (2002) als den gegenwartigen gesellschaftli­chen Entwicklungen gerecht werdendes Zentrale-Orte­Konzept eine starkere Hinwendung zu Standortclus­tern anstelle einer Kommunenzentrierung sowie dieBeschrankung auf die Hierarchiestufen Metropolregi­on, Oberzentrum, Mittelzentrum und Grundzentrumbei gleichzeitiger Einhaltung von Tragfahigkeitsschwel­len gefordert. Aufgrund der bereits partizipativen Aus­richtung der saarlandischen Landesplanungspolitik(vgl. Hartz/Kuhne 2007) und der bereits bestehendenDreigliederung des zentralortlichen Systems im Saar­land, standen bei der hier vorgestellten Untersuchunginsbesondere die infolge der Ermittlung von Standort­clustern durch Erhebung der Angebotszentralitat aufOrtsebene und die Ermittlung der Tragfahigkeit durchErmittlung der Verflechtungsbereiche als Nachfrage­zentralitat vor dem Hintergrund des forcierten Struk­turwandels im Saarland im Vordergrund der Untersu­chungen.

Die Methodik der Untersuchung

Bei der Ermittlung der Angebotszentralitat wurde aufdie Methodik des vom Boustedt (1962) eingefuhrtenDispersionsfaktors zurtickgegriffen. Demgemals istdavon auszugehen, dass die Zentralitat einer Einrich­tung daran zu erkennen ist, wie deutlich sie auf einebestimmte Zahl von Orten konzentriert ist. Als MaB­zahl der Konzentration wird der Dispersionsfaktor be­rechnet, der die Zahl der Einrichtung im Verhaltnis zuallen betrachteten Orten angibt. Im Saarland existiertein internationaler Flughafen, dadurch ist der Disper­sionsfaktor 1, die Zahl der Amtsgerichtsstandorte liegtbei 11 (Dispersionsfaktor 0,0909) und der in den Gel­ben Seiten (Stand 2007) - bei privaten Einrichtungenwurde hierauf zurtickgegriffen - erfassten 733 Backe­reien (Dispersionsfaktor 0,0014). Insgesamt wurden furdie 352 Ortsteile (Ziel war es, die Zentralitat von Orten,nicht von ganzen Kommunen zu ermitteln) saarlan­discher Kommunen 154 Indikatoren in den GruppenHandel, Gesundheit, andere Dienstleistungen, Verkehr,Bildung, Administration und Politik und Freizeit in An­lehnung an Weichhart (1996) erhoben. Die Auswahl derIndikatoren erfolgte nach Prilfung von Relevanz fur dieaktuelle Entwicklung zentraler Orte und Verfugbarkeitvon Standortdaten, die Gewichtung der einzelnen Indi­katoren ergab sich aus der Haufigkeit ihres Auftretensgemafs ihren Dispersionsfaktoren. Weitere Gewichtun­gen wurden - aufgrund von mangelnden allgemein­gultigen und -verbildlichen methodisch nachvollzieh­baren quantifizierten Bedeutungskoeffizienten (auchwenn es als unbestritten gelten kann, dass ein ICE­Haltepunkt eine grofsere zentralortliche Bedeutung hatals ein Ktirschner) - nicht vorgenommen. Aufgrund der

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Olaf Ktihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

groBen Zahl der untersuchten Indikatoren ist jedochvon einer Nivellierung von Bedeutungsunterschiedender einzelnen Indikatoren tiber den jeweiligen Disper­sionsfaktor hinaus auszugehen.

Die Addition der Dispersionsfaktoren ergab ein dif­ferenziertes Bild der Verteilung der Angebotszentra­litat im Saarland mit dem Maximalwert von 17,83 furden Saarbrticker Stadtteil St. Iohann und 0,0 fur Wa­dern, Ortsteil Gehweiler, im nordlichen Saarland. DieSchwellen fur Grund-, Mittel- und Oberzentralitatwurden - in Ermangelung eines allgemein gtiltigenAusstattungskatalogs (vgl. Abschnitt .Besonderheitendes Planungssystems des Saarlandes in Bezug auf diePlanung zentraler Orte") - mittels Clusteranalyse vor­genommen. Zwar lasst sich nach Heinritz (1979) derDispersionsfaktor nicht in alIen Fallen als gtiltiges MaBfur Zentralitat heranziehen, doch ergibt sich aus dergroBen Zahl der Indikatoren - insbesondere bei Ortenmittlerer und hoher Zentralitat - eine hinreichend ge­ringe Fehleinschiitzungswahrscheinlichkeit. Lediglichin Orten mit geringer Zentralitat konnen aufgrund vonEinrichtungen mit hohem Faktor Verzerrungen auftre­ten, die sich in der Analyse mit Hilfe einer Plausibili­tatskontrolle jedoch identifizieren lassen.

Die Erhebung der Nachfragezentralitat erfolgt durchdie Befragung zufallig ausgewahlter saarlandischerHaushalte mittels standardisiertem Fragebogen perPostversand. Der Fragebogen enthielt neben Fragenzum zentralortlichen Verhalten auch Fragen zu sozio­demographischen Variablen, urn unter anderem - ins­besondere vor dem Hintergrund des demographischenWandels - Unterschiede im zentralortlichen Nachfra­gehandeln der Alterskohorten bestimmen zu konnen,Das zentralortliche Nachfragehandeln wurde durchdie Frage nach den bevorzugten Nachfrageorten furbestimmte Gtiter und Dienstleistungen (z.B. Brot, Bu­cher, Bankgeschafte) ermittelt. Insgesamt belief sichder Rticklauf auf 1 179 von 4 559 Fragebogen (= 25,9 %)

und stellt somit eine statistisch hinreichend gesicher­te Basis fur die Analyse von Verflechtungsbereichenvor dem Hintergrund von Tragfahigkeitstiberlegungendar. Die Auswertung der Pragebogen erfolgte mit Hilfeder Methoden der beschreibenden sowie der Test- undSchatzstatistik.

Die Untersuchung der zentralen Orteim Saarland

Angebotszen trali tat

Im Vergleich zur (normativ gesetzten) Verteilung zen­traler Orte gemaB dem aktuellen Landesentwicklungs­plan (LEP), Teilabschnitt .Stedlung", mit mindestens

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einem zentralen Ort pro Kommune (Ministerium ftirUmwelt 2006; Abb. 1), lassen sich in der aktuellen Un­tersuchung teilweise erhebliche Unterschiede zur ana­lytischen Zentralitat feststellen (Abb.2):

1. Nicht jede Kommune - insbesondere im wenigerdicht besiedelten Norden und Stidosten des Landes- weist analytisch einen Ort auf, der mindestensGrundzentrumsniveau erreicht. Abbildung 3 do­kumentiert die unterschiedlichen Einwohnerdich­ten im Saarland, Abbildung 4 zeigt die sich aus derunterschiedlichen Besiedlungsdichte ergebendeStrukturraumgliederung gemafs dem gtiltigen Lan­desentwicklungsplan, Teilabschnitt "Siedlung" ausdem Iahr 2006.

2. Insbesondere im Verdichtungsraum finden sichinnerhalb einer Kommune mehrere Orte mit min­des tens grundzentrumsaquivalenter Ausstattung,teilweise sogar mit unterschiedlichen Ausstattungs­niveaus.

3. Insbesondere in Saarbrticken finden sich Standort­cluster mit differenzierter Ausstattung. Der OrtsteilSt. Johann mit Handel, Gesundheit, andere Dienst­leistungen und Verkehr sowie der Ortsteil Alt-Saar­brticken mit Bildung, Administration und Politik.

4. Ahnlich den normativ gesetzten Grundzentren ge­maB LEP finden sich bei den normativ gesetztenMittelzentren gemafs LEP zahlreiche Orte, derenanalytisch ermittelte Zentralitat nicht an die nor­mativ gesetzte Zentralitat heranreicht. Bei diesenTitular-Mittelzentren handelt es sich entweder urnOrte im eher landlichen Kontext (Blieskastel, Wa­dern), Orte mit starkem Anpassungsdruck durchden Strukturwandel (Volklingen, Lebach) oder Ortein raumlicher und zeitlicher Nahe zu starken Zen­tren (Dillingen zu Saarlouis, teilweise auch Volklin­gen zu Saarbrticken und Saarlouis).

Nachfragezentralitdt

Prinzipiell lasst sich hinsichtlich der Nachfrage nachGtitern und Dienstleistungen eine Differenzierungnach zentralen Orten feststellen (Abb. 5). Dabei sindjedoch zwei Entwicklungen der raumlichen Nachfra­ge nach Gtitern und Dienstleistungen auffallig: Ers­tens, bei keinem der gewahlten Indikatoren tibertrifftdie Nachfrage nach Gtitern und Dienstleistungen inGrundzentren jene im Nahbereich (gemals LEp, alsoalle nichtzentralen Orte), zweitens, bei hochrangigenGtitern und Dienstleistungen (Bucher, Computer, Rei­sen) wird die Versorgung zu teilweise erheblichen An­teilen tiber das Internet abgewickelt. Die unterschiedli­che Reichweite der Gtiter und Dienstleistungen aulsertsich auch in der durchschnittlichen Entfernung zwi­schen Wohnung und der Einrichtung, in der Bedtirf-

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Zentrale Orte

• Oberzentrum

.. Mittelzentrum

• Unterzentrum

Einwohnerdichte

Einwohner prokm'_>1000

_ > 750bis1000

_ > 500bis 750

.. > 300bls 500

~ > 150bis 300

~< 150

Entwurf undKartographie: OlafKuhne

Datengrundlage: Saarlandisches LandesamtfOrStatistik

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Abbildung 2Analytische zentrale Ortegemals der Erhebung derAngebotszentralitiit aus demIahr 2007

Quelle: eigene Erhebungen

Abbildung 3Einwohnerdichtesaarliindischer Kommunen

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Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

Randzone desVerdlchtungsraumes

Raumkategorienl1li KemzonedesVerdichtungsraumes

Utndllcher Raurn

c=:J Landkreise

c::J Gemeinden

Quelle:Landesentwicklungsplan,

Teilabschnitt .Siedlung" vam4. Iuli 2006, Amtsblatt des

Saarlandes Nr. 29

Abbildung 4Strukturriiume gemiiB

Landesentwicklungsplan,Teilabschnitt "Siedlung",

van 2006

Abbildung 5Die Nachfrage nach

zentralen Orten undDienstleistungen, gegliedert

nach Zentralitiitsstufe desOrtes (nach dem giiltigen

LEP) der Einrichtung, in derdie Nachfrage stattfindet

Quelle: eigene Erhebungen

%100

80

60

40

20

o

o Keine Angabe

o Sonstiges

• Katalog

• Interneto nichtzentraler Ort

Grundzentrum

• Miltelzentrum

• Oberzentrum

nisse befriedigt werden (Abb. 6). Lediglich Brot, Apo­theke, Hausarzt, Friseur liegen als Nahbereichsgiiterdeutlich unter fiinf Kilometer Entfernung. Die grofstenEntfernungen werden zum Arbeitsplatz (durchschnitt­lich 18,5 km) und fur Bankgeschafte (im Durchschnitt23,7 km) zuriickgelegt (die Werte beziehen sich auf dieZahl der die Giiter und Dienstleistungen Nachfragen­den bzw. der Erwerbstatigen). Bei der Nutzung des In­ternets weist dabei die Alterskohorte iiber 65 Jahren imDurchschnitt keine signifikanten Unterschiede zu jiin-

geren Bevolkerungsteilen auf. Selektiv, bei Reisen, fin­det sich in dieser Alterkohorte sogar der groBte Anteilan Internet-Versorgern. So werden 22,1 % der Reisenbei der Kohorte der uber 65-Iahrigen im Internet ge­bucht, in der Kohorte der 46- bis 65- Iahrigen 21,5 %, inder der 31- bis 45- Iahrigen 20,9 % und der 30-jahrigenund jiingeren sogar lediglich 15,6 % (jeweils bezogenauf die Personenzahl, die angaben auch tatsachlich zureisen).

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25

22,5

20

17,5

15

12,5

10

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Entwurf: Olii KUhneKartog-aphie: Beate-MariaGrossOatengundage:eigeneErhebungen

Die Analyse der Verflechtungsbereiche auf Grund­lage der Versorgung mit den in Abbildung 5 dargestell­ten Giitern und Dienstleistungen bzw. dem Arbeits-/Ausbildungsplatz bestatigt die im Zusammenhang mitder Angebotszentralitat dargestellten Tendenzen: Einegrundzenrralortliche Ausrichtung findet lediglich instarken Grundzentren (gemaB Dispersionsfaktoranaly­se) wie Losheim am See oder zu den Titular-Mittelzen­trum, gemals LEp, wie Volklingen, Lebach, Blieskastel,Wadern und Dillingen statt (vg!. Abb. 7). Eine deutlicheAusrichtung derVersorgung mit Giitern aller Bedarfsstu-

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Abbildung6Die durchschnittlich zurBeschaffung von denangegebenen Giiternund Dienstleitungenzuriickgelegte Entfernungin km

Quelle: eigene Erhebungen

Abbildung 7Die Verflechtungs­beziehungen zum Erwerbvon Obst und Gemiiseim Saarland gemalsder Untersuchung derNachfragezentralitat

Die Pfeile stellen dieVerbindung von Wohnortzum bevorzugtenBeschaffungsort von Ost undGemiise dar.

fen (insbesondere des mittelfristigen und langfristigenBedarfs) findet sich dabei auf die aufgrund der Analyseder Angebotzentralitat ermittelten Mittelzentren unddas Oberzentrumscluster S1. Johann/Alt-Saarbrucken(vg!. Abb. 8). Eine Modifikation erhalt dieses Musterlediglich hinsichtlich der Verflechtungsbeziehungenvon Wohnort und Arbeits-/Ausbildungsplatz (Abb.B):Hier sind einige Orte mit hoher Arbeitsplatzdichte, wieDillingen aufgrund des dortigen Stahlwerks, aber auchOrte mit grundzentraler Ausstattung (z.B. Saarwellin­gen, Heusweiler), Ziel von Erwerbstatigen.

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Olaf Kilhne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

Abbildung 8Die Verflechtungs­

beziehungen zum Erwerbvon Biichern im SaarlandgemiiB der Untersuchung

der Nachfragezentralitat

Die Pfeile stellen dieVerbindung von Wohnort

zum bevorzugtenBeschaffungsort von

Biichern dar. DieVerflechtungsbereiche von

51. Wendel und insbesonderevon Homburg reichen

bis weit nach Rheinland­Pfalz hinein, wurden aber

aufgrund der Konzentrationder Analyse auf das Saarland

nicht erfasst. R,chtungspfeile

Entwurf: Ola KUhneKartogaphie: Beate-Maria GrossDatengrunclage: eigeneErhebungen

Der Verlust der grundzentralen Versorgungsstruktur,die Weichart (1996) in ahnlicher Weise bereits fur dasBundesland Salzburg festgestellt hat, aufserhalb dessaarlandischen Verdichtungsraumes ist im Wesentli­chen auf drei allgemein mitteleuropaisch-gesellschaft­liche Ursachen und eine Saarland-spezifische Ursachezuruckzufuhren (vgl. auch Weichart/Fassmann/Hesina2005):

1. Infolge der Pluralisierung der Lebensweisen und derVerbreitung technischer Haushaltsgerate werdenmonovalente, periodisch kurzfristige Handlungs­muster durch polyvalente, periodisch mittelfristigeersetzt. Dies bedeutet im Versorgungshandeln, dassdie auf Versorgung des traditionellen Haushaltesmit Giitern des kurzfristigen Bedarfs fur die Haus­frau durch die Kopplung der Versorgung von Gii­tern des kurzfristigen Bedarfs insbesondere an denArbeitsweg bzw. an den wochentlichen Einkauf inEinrichtungen des - in der Regel in Mittelzentrenlokalisierten - grofsflachigen Einzelhandels un­ter Nutzung des PKWs stattfindet. Fortschritte inder Haushaltstechnik (Kiihl- und Gefrierschranke)und verbesserte Konservierungsmethoden lassenLebensmittel langer haltbar sein, so dass auf einekurzperiodische Neubeschaffung verzichtet werdenkann.

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2. Die nahezu omniprasente Verbreitung von Lebens­mitteldiscountern mit einer Flachengrofse unter­halb der raumordnerischen, auf die Zentrenver­traglichkeit bezogenen Priifschwelle von 1 200 m­impliziert zumindest eine relative Schwachung derGrundzentren, da Giiter des kurzfristigen Bedarfsnahezu flachendeckend aulserhalb der Grundzen­tren angeboten werden.

3. Aufgrund des hohen Motorisierungsgrades (733 Kfzpro 1 000 Einwohner), dem dichten, auf die Landes­hauptstadt Saarbriicken ausgerichteten Autobahn­netz sowie der auch faktisch (nicht allein nach LEP)dichten Ausstattung mit Mittelzentren ist die Er­reichbarkeit mittelzentraler Orte (max. 20 Minutenmit dem Motorisierten Individualverkehr) und desOberzentrums Saarbriicken (bzw. im nordlichenSaarland Trier in maximal 40 Minuten) gewahrleis­tet, so dass die Versorgung grundzentraler Giiterentweder im Nahbereich oder in Kopplung mitder Versorgung mit Giitern des mittelfristigen bzw.langfristigen Bedarf im Mittel- oder Oberzentrumstattfindet.

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Olaf Kilhne: .. h S d.Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empmsc en tu le

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Fazit und Ausblick

Fur alle erhobenen Indikatoren der zentralortlichenVerflechtung lassen sich zwischen den (mittel- bzw.oberzentralen) Verflechtungsbereichen keine eindeu­tigen Grenzen ziehen. Die Verflechtungsbereiche sinddurch unterschiedlich breite minder von Mehrfachaus­richtungen und Verschrankungen, insbesondere auf­grund der Kopplung von Arbeitplatz- und Versorgungs­verkehr, gekennzeichnet. Eine eindeutige Abgrenzungvon Verflechtungsbereichen erscheint somit wenig dersozialen Realitat zu entsprechen.

Daneben erscheint eine Anpassung des Systems derZentralen Orte im Saarland aufgrund geanderter ge­sellschaftlicher Bedingungen im Sinne des reformulier­ten Zentrale-Orte-Konzeptes (Blotevogel et. al. 2002)erforderlich. Die gebotene Konzentration auf Zentrenmit Entwicklungspotenzial im Zusammenhang mitdem demographischen Wandel sowie der Energiepreis­verteuerung erfordert im Saarland eine Verringerungder Zahl der Mittelzentren, eine Starkung des oberzen­tralen Clusters Saarbrlicken sowie eine zentralortlicheDifferenzierung innerhalb der Landeshauptstadt undKommunen mit Ortsteilen unterschiedlicher zent­ralortlicher Ausstattung und Verflechtung (insbeson­dere dem EntwickIungspol Homburg) sowie eine Neu­bestimmung der Funktion der Grundzentren. Wie sicheine solche Neubestimmung der Funktion der Grund­zentren gestalten kann, obliegt einem fachlichen undpolitischen Diskurs. Mogliche Optionen einer solchenNeubestimmung sind:

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Abbildung9Die Verflechtungs­beziehungen von Wohnortund Arbeitsplatz

- eine Abschaffung der Kategorie der Grundzentren imSaarland, als Reaktion auf die empirisch kaum nochnachweisbare grundzentrale Ausrichtung der Be­volkerung, Wesentliche Einschnitte in die Daseins­vorsorge waren damit nicht verbunden, schlielslichweist das Saarland aufgrund seiner (auch im Zugedes demographischen Wandels) hohen Besiedlungs­dichte (gegenwartig 406 Einwohner/km-) eine hohemittel- und oberzentrale Erreichbarkeit auf;

- eine den zentralortlichen Gegebenheiten Rechnungtragenden Gebiets- und Verwaltungsreform, mitdem Ziel der starkeren Ubereinstimmung von admi­nistrativer und funktionaler Gliederung des Landes,beispielsweise durch die Angleichung der Gemein­degebietsstruktur an die mittelzentralen Verflech­tungsbereiche;

- eine normative Setzung von Grundzentren und de­ren konzentriert administrativ-politisch gefOrderteEntwicklung. Eine solche normative Setzung istdabei an den raumplanerischen Soll-Vorstellungeneiner zentralortlichen Gliederung der Grundversor­gung orientiert und nicht an analytischen Feststel­lungen des Ist-Zustandes. Allerdings erfordert einesolche Definition eines Soll-Zustandes eine kon­zertierte fachplanerische und vor allem politischeDurchsetzung.

AIs weiteres wesentliches Ergebnis der vorliegendenUntersuchung ist die Forderung nach einem dauerndenZentralitatsmonitoring zu formulieren. Insbesondere inRegionen, die einem beschleunigten und teilraumlich

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Olaf Kiihne:Aktuelle zentralortliche Entwicklungen im Saarland - erste Ergebnisse einer empirischen Studie

differenziert ablaufenden gesellschaftlichen Wandelunterworfen sind, wie das Saarland im Zuge der Post­industrialisierung oder die neuen Bundeslander imZuge des Transformationsprozesses, sind auch dieZentralen Orte einem raschen Bedeutungswandel un­terworfen. Im Sinne einer effektiven Raumbeobach­tung und der daraus resultierenden Politikberatungsind umfassende Kenntnisse uber die Entwicklung derZentralortlichkeit einzelner Orte von erheblicher Be­deutung.

Anmerkung(1)

Der Autor dankt insbesondere Gerd-Rainer Damm, lens Falk,Beate-Maria Grofs, Ulrich Grofs, Or. Tanja Helrnes, Svenja Herr­mann, Brigitte Iiilch-Schumann. Prof. Or. Annette Spellerbergund Florian Weber fur Ihre konzeptionelle Unterstiitzung undIhr Engagement bei der Durchfuhrung der vorliegenden Unter­suchung.

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Prof. Dr. Dr. Olaf KiihneMinisterium fur UmweltReferat C/2 - LandesplanungKeplerstralse 1866117 SaarbriickenE-Mail: [email protected]

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