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Albrecht Dürer als Mathematiker Der Nürnberger Maler, Grafiker, Zeichner und Kunsttheoretiker Albrecht Dürer (1471– 1528) zählt nicht nur zu den größten und viel- seitigsten Persönlichkeiten der europäischen Kunstgeschichte, sondern ist aus heutiger Sicht auch einer der bedeutendsten Mathe- matiker der Renaissance. Dürer, der in fundierten und systematischen Kenntnissen der Geometrie stets die un- abdingbare Voraussetzung für erfolgreiches künstlerisches Schaffen sah, hatte schon früh Euklids Elemente im Original studiert und verfasste mit der 1525 erschienenen vier- bändigen Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt in Linien ebnen unnd gantzen corporen das überhaupt erste Geometriebuch in deutscher Sprache. Darin beschreibt er perspektivische Konstruktionen unter Betonung ihrer geometrischen Grundla- gen, u.a. verschiedene Probleme der ebenen Geometrie und die Konstruktion von Kurven wie der archimedischen Spirale, der Schrau- benlinie, der ionischen Schneckenlinie, der Epizykloide und (erstmalig) der Konchoide, diskutiert diese Kurven im Zusammenhang mit der Konstruktion von Gewölbebögen und Wendeltreppen, erkennt und beschreibt erst- malig auf deutsch Ellipse, Parabel und Hyper- bel als Kegelschnitte, konstruiert bestimmte regelmäßige n-Ecke bis hin zum 28-Eck (und unterscheidet dabei streng zwischen exakten und approximativen Lösungen!), entwickelt Näherungslösungen für die drei klassischen Probleme der Antike (die Dreiteilung des Winkels, Quadratur des Kreises und Verdopp- lung des Würfels), beschreibt die fünf Plato- nischen und sieben der Archimedischen Kör- per in Grund- und Aufriss bzw. über Netz- abwicklungen und erörtert neue Techniken zur geometrischen Konstruktion von Sonnen- uhren, Ornamenten und Alphabeten. Seit 1508 arbeitete Dürer auch an einem Lehrwerk zur Malerei, das erst in seinem Todesjahr vollendet war und 1528 postum als Vier bücher von menschlicher proportion erschien. Hierin beschreibt er unter verschiedenen perspektivischen Gesichtspunkten neben Kopfformen und Bewegungsstudien die Proportionen von 13 unter- schiedlichen Typen männlicher und weiblicher Körper und erweist sich auch in diesem Werk als Meister und Weiterentwickler der darstellenden Geo- metrie. Am Beispiel des menschlichen Kopfes gibt Dürer hier beispielsweise eine vollständige Lösung des Problems, aus Grund- und Aufriss eines drei- dimensionalen Körpers in vorgegebener Lage die Projektionen dieses Körpers in irgendeiner anderen Lage herzuleiten. Exemplarisch für die Bedeutung der Mathematik in Dürers Œuvre ist sein hier abgebildeter Meisterstich Melencolia I aus dem Jahr 1514, in den Dürer auch viel von seinem eigenen Selbstverständnis als Künstler eingearbeitet zu haben scheint. Die Melencolia gilt als eines der rätselhaftesten Werke der ge- samten Kunstgeschichte, das sich bis heute jeder endgültigen Interpretation entzieht und Anlass zu immer neuen Deutungen gibt.

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Albrecht Dürer als

Mathematiker

Der Nürnberger Maler, Grafiker, Zeichnerund Kunsttheoretiker Albrecht Dürer (1471–1528) zählt nicht nur zu den größten und viel-seitigsten Persönlichkeiten der europäischenKunstgeschichte, sondern ist aus heutigerSicht auch einer der bedeutendsten Mathe-matiker der Renaissance.Dürer, der in fundierten und systematischenKenntnissen der Geometrie stets die un-abdingbare Voraussetzung für erfolgreicheskünstlerisches Schaffen sah, hatte schon frühEuklids Elemente im Original studiert undverfasste mit der 1525 erschienenen vier-bändigen Underweysung der messung mit

dem zirckel un richtscheyt in Linien ebnen

unnd gantzen corporen das überhaupt ersteGeometriebuch in deutscher Sprache. Darinbeschreibt er perspektivische Konstruktionenunter Betonung ihrer geometrischen Grundla-gen, u.a. verschiedene Probleme der ebenenGeometrie und die Konstruktion von Kurvenwie der archimedischen Spirale, der Schrau-benlinie, der ionischen Schneckenlinie, derEpizykloide und (erstmalig) der Konchoide,diskutiert diese Kurven im Zusammenhangmit der Konstruktion von Gewölbebögen undWendeltreppen, erkennt und beschreibt erst-malig auf deutsch Ellipse, Parabel und Hyper-bel als Kegelschnitte, konstruiert bestimmteregelmäßige n-Ecke bis hin zum 28-Eck (undunterscheidet dabei streng zwischen exaktenund approximativen Lösungen!), entwickeltNäherungslösungen für die drei klassischenProbleme der Antike (die Dreiteilung desWinkels, Quadratur des Kreises und Verdopp-lung des Würfels), beschreibt die fünf Plato-nischen und sieben der Archimedischen Kör-per in Grund- und Aufriss bzw. über Netz-abwicklungen und erörtert neue Technikenzur geometrischen Konstruktion von Sonnen-uhren, Ornamenten und Alphabeten.Seit 1508 arbeitete Dürer auch an einemLehrwerk zur Malerei, das erst in seinemTodesjahr vollendet war und 1528 postum alsVier bücher von menschlicher proportion

erschien.

Hierin beschreibt er unter verschiedenen perspektivischen Gesichtspunktenneben Kopfformen und Bewegungsstudien die Proportionen von 13 unter-schiedlichen Typen männlicher und weiblicher Körper und erweist sich auchin diesem Werk als Meister und Weiterentwickler der darstellenden Geo-metrie. Am Beispiel des menschlichen Kopfes gibt Dürer hier beispielsweiseeine vollständige Lösung des Problems, aus Grund- und Aufriss eines drei-dimensionalen Körpers in vorgegebener Lage die Projektionen dieses Körpersin irgendeiner anderen Lage herzuleiten.Exemplarisch für die Bedeutung der Mathematik in Dürers Œuvre ist seinhier abgebildeter Meisterstich Melencolia I aus dem Jahr 1514, in den Dürerauch viel von seinem eigenen Selbstverständnis als Künstler eingearbeitet zuhaben scheint. Die Melencolia gilt als eines der rätselhaftesten Werke der ge-samten Kunstgeschichte, das sich bis heute jeder endgültigen Interpretationentzieht und Anlass zu immer neuen Deutungen gibt.

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