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Algebra Dr. Stefan K¨ uhnlein Institut f¨ ur Algebra und Geometrie, KIT 2011 1 Dieses Skriptum unterliegt dem Urheberrecht. Vervielf¨ altigungen jeder Art, auch nur auszugsweise, sind nur mit Erlaubnis des Autors gestattet. 1 Stand vom 12.10.2011

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Algebra

Dr. Stefan Kuhnlein

Institut fur Algebra und Geometrie, KIT 20111

Dieses Skriptum unterliegt dem Urheberrecht. Vervielfaltigungen jeder Art, auchnur auszugsweise, sind nur mit Erlaubnis des Autors gestattet.

1Stand vom 12.10.2011

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Die Vorlesung”Algebra“ schließt an die Vorlesung

”Einfuhrung in die Algebra

und Zahlentheorie“ an.

Wir werden verschiedentlich auf diese verweisen, was im Skript mit”EAZ...“

geschieht.

Dabei greifen wir im ersten Kapitel noch einmal elementare Fragen der Gruppen-und Ringtheorie auf, die der Kurze des Sommersemesters zum Opfer gefallen wa-ren, und wenden uns dann im zweiten Kapitel der Galoistheorie zu. Dies warfruher typischer Weise das Ende der Vorlesung

”Algebra I“. Dabei wurden An-

wendungen der Galoistheorie oft etwas in den Hintergrund gedrangt, da das Seme-sterende nahe bevorstand. Dies konnte jetzt durch die fruhere Lage im Semesteretwas befriedigender werden.

Im dritten Kapitel lernen wir noch einmal neue Facetten der Ringtheorie ken-nen, die in der kommutativen Algebra eine systematischere und weiter reichen-de Behandlung erfahren. Als spezielle Klasse von Ringen lernen wir dann nochDedekindringe kennen, die in Zahlentheorie und Algebraischer Geometrie einefundamentale Rolle spielen. Eng damit verknupft ist der Begriff einer diskretenBewertung auf einem Korper.

Karlsruhe im Oktober 2011

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Inhaltsverzeichnis

1 Mehr von Gruppen und Ringen 5

1.1 Einfache Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.2 Auflosbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.3 Einfache Moduln – maximale Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2 Korpererweiterungen 15

2.1 Algebraizitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2 Irreduzibles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.3 Der Hauptsatz der Galoistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.4 Beispiele und Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3 Noch mehr Ringtheorie 53

3.1 Noethersche Ringe und Moduln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.2 Bilineares . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

3.3 Ordnung und Ganzheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

4 Dedekindringe 75

4.1 Auf dem Weg zur Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

4.2 Die Klassengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

4.3 Diskrete Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

4.4 Betrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

3

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4 INHALTSVERZEICHNIS

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Kapitel 1

Mehr von Gruppen und Ringen

1.1 Einfache Gruppen

Definition 1.1.1 Total banal

Wir erinnern uns zunachst daran, dass eine Gruppe einfach heißt, wenn sie nicht-trivial ist und außer der trivialen Gruppe und sich selbst keine weiteren Normal-teiler besitzt.

Um einmal ein nichtabelsches Beispiel zu sehen, beweisen wir einen Hilfssatz.

Hilfssatz 1.1.2 An ist meistens einfach

Es sei n ≥ 5 eine naturliche Zahl.

Dann ist die alternierende Gruppe An einfach.

Beweis. Wir machen vollstandige Induktion nach n . Fur n = 5 haben wir dieAussage in EAZ, 3.5.6, als Konsequenz der Sylowsatze gesehen.

Sei nun n ≥ 6 und An−1 einfach. Weiter sei N CAn ein Normalteiler, der nichtnur die Identitat enthalt. Wie immer identifizieren wir An−1 mit dem Stabilisatorvon n in An.

Wir wahlen ein σ ∈ N , das nicht die Identitat ist, und ein a ∈ {1, . . . , n}, mitb := σ(a) 6= a . Weiter seien c, d ∈ {1, . . . , n} von a und b verschieden. Dannliegt der Dreizykel ζ = (b c d) in An, und

(ζσζ−1)(a) = c.

Da N ein Normalteiler ist und c fast beliebig war, operiert N also transitiv auf{1, . . . n}.

5

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6 KAPITEL 1. MEHR VON GRUPPEN UND RINGEN

Nun sei τ ∈ N ein Element mit τ(n) = 1. Da τ zu An gehort, ist es keineTransposition, es gibt also ein a mit 1 < a < n und b = τ(a) 6= a. Wir wahlen1 < c, d < n von a verschieden und setzen ζ = (a c d) ∈ An. Dann gilt

(ζ−1τζ)(n) = 1 und (ζ−1τζ)(d) = b,

also ist τ := (ζ−1τζ) ∈ N ein von τ verschiedenes Element (das Urbild vonb ist ein anderes), und τ−1τ ∈ H := N ∩ An−1 ist nichttrivial. Wegen derInduktionsvoraussetzung ist H als nichttrivialer Normalteiler von An−1 die ganzeGruppe An−1, und da N transitiv auf {1, . . . , n} operiert, gibt es fur jedesπ ∈ An ein ν ∈ N mit πν−1(n) = n, also

πν−1 ∈ An−1 ⊆ N, also π ∈ An−1ν ⊆ N.

Es folgt An ⊆ N wie gewunscht. ©

Definition 1.1.3 Kompositionsreihe

Es sei G eine Gruppe.

Eine Normalreihe der Lange k fur G ist eine Folge von Untergruppen

{eG} =: G0 CG1 CG2 · · ·CGk−1 CGk := G,

sodass jedes Gi−1 im darauffolgenden Gi normal ist.

Vorsicht: Das heißt noch lange nicht, dass G1 zum Beispiel in G normal seinmusste!

Eine Normalreihe wie eben heißt eine Kompositionsreihe, wenn die Faktorgruppen

Gi/Gi−1, 1 ≤ i ≤ k,

alle einfach sind.

Beispiel 1.1.4 und Nichtbeispiel

Wenn G abelsch ist, dann ist jede aufsteigende Folge von Untergruppen, die bei{eG} anfangt und bei G aufhort, eine Normalreihe.

Eine Gruppe mit pq Elementen (p < q Primzahlen) hat immer eine q -Sylowgrup-pe Q als Normalteiler. Diese ist einfach und die Faktorgruppe (mit p Elementen)ist auch einfach, also erhalten wir die Kompositionsreihe

{eG}CQCG

der Lange 2.

Z besitzt keine Kompositionsreihe, denn das G1 darin musste einfach sein, undes gibt keine einfache Untergruppe von Z .

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1.1. EINFACHE GRUPPEN 7

Aber jede endliche Gruppe hat eine Kompositionsreihe. Fur Gruppen der Ord-nung 1 ist das klar (Lange 0). Wenn G großere Ordnung hat, dann ist G entwedereinfach (und wir erhalten eine Kompositionsreihe der Lange 1) oder G hat nicht-triviale Normalteiler. Von diesen gibt es dann aber auch einen maximalen, undman sieht leicht ein, dass die entsprechende Faktorgruppe einfach ist. Dann greiftein Induktionsargument.

Eine Kompositionsreihe fur die symmetrische Gruppe S4 zum Beispiel sieht soaus:

{e}C {e, (12)(34)}C V4 C A4 C S4

Dabei ist V4 = {e, (12)(34), (13)(24), (14)(23)} die Klein1sche Vierergruppe. DieFaktorgruppen sind jeweils zyklische Gruppen der Ordnungen 2,2,3, und 2.

Es gibt nun einen interessanten Satz uber Kompositionsreihen.

Satz 1.1.5 von Jordan2-Holder3

Es sei G eine Gruppe mit zwei Kompositionsreihen:

{eG} =: G0 CG1 CG2 · · ·CGk−1 CGk := G,

{eG} =: H0 CH1 CH2 · · ·CHl−1 CHl := G,

Dann gilt k = l , und bis auf die Reihenfolge und Isomorphie stimmen die einfa-chen Faktorgruppen Gi/Gi−1 und Hj/Hj−1 uberein.

Beweis. Der Beweis ist klar, wenn k = 0 oder k = 1 gilt, denn im ersten Fall istG = {eG}, und im zweiten Fall ist G einfach.

Um gleich das allgemeine Induktionsprinzip zu verstehen, machen wir den Fallk = 2 individuell. Hier ist G nicht einfach, und damit auch l ≥ 2.

Wenn hier Hl−1 = G1 gilt, dann sind wir fertig.

Ansonsten ist Hl−1 ∩ G1 ein Normalteiler in G1, denn Hl−1 ist normal in G.Da G1 einfach ist, ist Hl−1 nicht darin enthalten (sonst ware das ja trivial, daG1 6= Hl−1 , und damit G einfach).

Aber auch G1 ist nicht in Hl−1 enthalten, denn es ist ein maximaler Normalteilerund von Hl−1 verschieden. Es folgt

1Christian Felix Klein, 1848-19252Camille Marie Ennemond Jordan, 1838-19223Ludwig Otto Holder, 1859-1937

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8 KAPITEL 1. MEHR VON GRUPPEN UND RINGEN

Hl−1 ∩G1 = {eG}.

Daher ist Hl−1 · G1 ein großerer Normalteiler in G als G1, und folglich gleichG.

Wir erhalten nach dem Homomorphiesatz

G/G1∼= (G1Hl−1)/G1

∼= Hl−1,

also ist diese Gruppe einfach, und damit l = 2 sowie (aus Analogiegrunden)

G1∼= G/H1, G/G1

∼= H1.

Damit ist der Fall k = 2 erschlagen.

Im Weiteren sei k ≥ 3 und die Behauptung wahr fur alle kleineren Werte fur k .Insbesondere ist dann auch l ≥ k , sonst mache ich schnell aus dem l ein k undwende die Induktionsvoraussetzung an.

Ich fasse N := Gk−1 ∩ Hl−1 fest ins Auge. Als Durchschnitt zweier Normaltei-ler ist das eine normale Untergruppe. Hierfur treten in grober Naherung zweiMoglichkeiten auf:

Fall 1: N = {eG}.In diesem Fall ist Gk−1 6= Hl−1, da sonst beide trivial waren, obwohl

k ≥ 3. Es folgt wie eben Gk−1Hl−1 = G und mit dem HomomorphiesatzG/Hl−1

∼= Gk−1.

Demnach ist Gk−1 einfach und daher k = 2, was nicht stimmt. Damit lege ichden Fall ad acta.

Fall 2: N 6= {eG}.Hier enthalt die Folge

{eG}CG1 ∩N CG2 ∩N C · · ·CGk−1 ∩N = N

nach Wegstreichen der Doppelungen eine Kompositionsreihe von N , genauso wieauch

{eG}CH1 ∩N CH2 ∩N C · · ·CHl−1 ∩N = N

Da die Lange offensichtlich kurzer ist als k folgt mit der Induktionsvorausset-zung, dass die beiden Kompositionsreihen von N dieselbe Lange und (bis auf dieReihenfolge) dieselben Faktorgruppen besitzen.

Die naheliegende Folge von N nach G ist

N CG1N CG2N C . . . GkN CG

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1.1. EINFACHE GRUPPEN 9

Faktorbildung nach N liefert

{eG/N}CG1/(N ∩G1)CG2/(N ∩G2)C · · ·CG/N,

und das enthalt wieder eine Kompositionsreihe fur G/N. Sie ist kurzer als dievon G , und wir konnen wieder per Induktionsvoraussetzung sehen, dass sie unddie entsprechende Folge fur die Hj dieselbe Lange und dieselben Faktorgruppenbesitzen.

Um am Ende noch buchhalterisch einzusehen, dass das auch wirklich etwas furdie ursprunglichen Kompositionsreihen liefert, halten wir noch das folgende fest:

Eine”Doppelung“ in der ersten, per Durchschnitt entstandenen, Kompositions-

reihe von N tritt da auf, wo Gi−1∩N = Gi∩N gilt. Aber dann ist Gi−1/(N∩Gi)ein echter Normalteiler in Gi/(N ∩Gi), und ich sehe(

Gi/(N ∩Gi))/(Gi−1/(N ∩Gi)

) ∼= Gi/Gi−1

Also entsprechen die Doppelungen der einen Reihe echten Schritten in der ande-ren, und dies gilt auch umgekehrt. Daher haben die zwei Kompositionsreihen vonG tatsachlich dieselbe Lange, und die Quotienten stimmen bis auf die Reihenfolgeuberein. ©

Folgerung 1.1.6 Fundamentalsatz der Arithmetik

Es sei n ∈ N gegeben. Die Gruppe G = Z/nZ hat eine Kompositionsreihe. Dieauftretenden Faktorgruppen sind abelsch und daher als einfache abelsche Grup-pen von Primzahlordnung. Das impliziert, dass n ein Produkt von Primzahlenist, und dass die hier auftretenden Primfaktoren nebst der Haufigkeit ihres Er-scheinens eindeutig sind.

Bemerkung 1.1.7 Moduln

Auch fur Moduln uber einem Ring R gibt es den Begriff des einfachen Moduls;das ist ein nichttrivialer Modul M , der außer {0} und M keine Untermodulnhat.

Wieder kann man definieren, was eine Kompositionsreihe ist; und wieder gilt derSatz von Jordan-Holder uber die Eindeutigkeit der in Kompositionsreihen einesfesten Moduls M auftretenden Kompositionsfaktoren. Der Beweis ist sogar etwaseinfacher, weil man nicht so darauf aufpassen muss, was worin normal ist und soweiter. Man kann nach jedem Untermodul den Faktormodul bilden.

Bemerkung 1.1.8 Der große Satz

Die Suche nach einem Uberblick uber die Gesamtheit aller endlichen einfachenGruppen kulminierte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer

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10 KAPITEL 1. MEHR VON GRUPPEN UND RINGEN

(sehr sicher) endgultigen Liste, in der es einige”Serien“ solcher Gruppen gibt

und daruber hinaus noch endlich viele sogenannte sporadische Gruppen.

Der Beweis der Vollstandigkeit dieser Liste ist sehr aufwendig, und es gibt immernoch Bestrebungen, diesen Beweis kurzer zu machen.

1.2 Auflosbarkeit

Definition 1.2.1 Auflosbar

Es sei G eine Gruppe.

Dann heißt G auflosbar, wenn eine Normalreihe

{eG} =: G0 CG1 CG2 · · ·CGk−1 CGk := G,

existiert, fur die alle Quotienten Gi/Gi−1 abelsch sind.

Diese Klasse von Gruppen verallgemeinert also die Klasse der abelschen Gruppen.

Man muss hier ubrigens sehr aufpassen, die Gi sind nicht als in G normal vor-ausgesetzt. Wenn sogar dies moglich ist und zusatzlich Gi/Gi−1 im Zentrum vonG/Gi−1 liegt, dann heißt G nilpotent.

Die Klasse der nilpotenten Gruppen umfasst immer noch die abelschen Gruppen,ist aber viel kleiner als die der auflosbaren Gruppen.

Beispiel 1.2.2 Matrizengruppen

Es sei K ein Korper und G = GLn(K) die Gruppe der invertierbaren n × n -Matrizen mit Eintragen aus K .

Außerdem sei n ≥ 2.

Dann ist die Gruppe der invertierbaren oberen Dreiecksmatrizen auflosbar, abernicht nilpotent. Die Gruppe der unipotenten oberen Dreiecksmatrizen (das heißt:nur Einsen auf der Diagonale) ist nilpotent.

Hilfssatz 1.2.3 Divide et impera

Es sei G eine Gruppe. Dann sind aquivalent:

i) G ist auflosbar.

ii) Jede Untergruppe und jede Faktorgruppe von G ist auflosbar.

iii) G besitzt einen Normalteiler N , sodass N und G/N auflosbar sind.

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1.3. EINFACHE MODULN – MAXIMALE IDEALE 11

Bemerkung 1.2.4 p -Gruppen

Es sei p eine Primzahl und P eine p -Gruppe, also eine Gruppe, deren Kardina-litat eine Potenz von p ist.

Wie immer operiert P auf sich selbst durch Konjugation:

• : P × P → P, (g, x) 7→ gxg−1.

Die Bahnen dieser Operation haben als Lange eine Potenz von p , und die Bahndes neutralen Elements hat Lange 1. Da insgesamt die Summe der Bahnlangendie Ordnung von P ist, muss im Fall P 6= {1} die Anzahl der Fixpunkte derOperation durch p teilbar sein. Diese Fixpunkte bilden aber gerade das Zentrumvon P, und das zeigt:

P 6= {1} ⇒ Z(P ) 6= {1}.

Insbesondere hat P einen nichttrivialen abelschen Normalteiler.

P hat eine Kompositionsreihe, und die Kompositionsfaktoren sind einfache p -Gruppen; diese sind wegen des eben gesehenen Arguments abelsch und damitzyklisch von Ordnung p . Somit ist P auflosbar, und es gibt eine normale Unter-gruppe von Index p , wenn P 6= {1}.Diese Aussagen werden wir fur p = 2 spater bei den Anwendungen der Ga-loistheorie (Fundamentalsatz der Algebra sowie Konstruierbarkeit regelmaßigern -Ecke mit Zirkel und Lineal) verwenden.

1.3 Einfache Moduln – maximale Ideale

Definition 1.3.1 Einfacher Modul

Es seien R ein Ring und M ein R -Modul.

Dann heißt M einfach, wenn M 6= {0} gilt und jeder Untermodul U ⊂ Mentweder {0} ist oder M .

Beispiel 1.3.2 Vektorraume

a) Der Z -Modul Q ist nicht einfach und enthalt auch nicht einmal einen einfachenUntermodul. Auch kein Quotient von Q ist einfach. Denn einfache Z -Modulnsind genau die einfachen abelschen Gruppen, also die Gruppen von Primzahlord-nung.

b) Ist R = K ein Korper, so ist ein einfacher K -Modul ein K -Vektorraum V ,der außer {0} und V keine Untervektorraume besitzt, selbst aber nichttrivialist. Das sind also genau die eindimensionalen Vektorraume. Insbesondere sind jezwei einfache K -Moduln hier isomorph.

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12 KAPITEL 1. MEHR VON GRUPPEN UND RINGEN

Bemerkung 1.3.3 einfach ⇒ einfach erzeugt

Es sei M ein einfacher R -Modul. Dann gibt es ein Element m ∈ M , das nicht0 ist. Die Abbildung

λ : R→M, λ(r) := λ ·m,ist ein Modulhomomorphismus, und daher ist R·m = Bild(λ) ein R -Untermodulvon M . Da er m = λ(1) enthalt, ist er nicht 0, und wegen der Einfachheit vonM folgt R ·m = M.

M ist also einfach erzeugt.

Die Umkehrung ist offensichtlich nicht der Fall, es gibt einfach erzeugte Moduln,die nicht einfach sind.

Aber wir konnen M wegen des Homomorphiesatzes schreiben als

M ∼= R/Kern(λ),

wobei Kern(λ) = {r ∈ R | rm = 0} der Annulator von m in R ist. (Das definiertman unabhangig von der Einfachheit von M so.)

Das ist ein Linksideal von R .

Ist nun Kern(λ) ⊂ I ⊂ R fur ein weiteres Linksideal I, so folgt I/Kern(λ) ∼=λ(I) ⊂M, und da M einfach ist, folgt I = Kern(λ) oder I = R.

Definition 1.3.4 Maximale Ideale

Es sei R ein Ring. Ein Ideal I ⊂ R heißt maximales Ideal, wenn I 6= R gilt undzwischen I und R kein Ideal 6= I, 6= R liegt.

Analog definiert man maximale Links- bzw. maximale Rechtsideale.

Beispiel 1.3.5 Hauptidealringe, einfache Moduln

a) Wenn R ein Hauptidealring ist, dann sind die maximalen Ideale genau die,die von irreduziblen Elementen erzeugt werden.

b) I ⊂ R ist genau dann ein maximales Linksideal, wenn R/I ein einfacherR -Modul ist.

Eine großere Klasse von Idealen findet sich in der folgenden Definition:

Definition 1.3.6 Primideale

Es seien R ein kommutativer Ring und I ein Ideal in R .

Dann heißt I ein Primideal, wenn I 6= R gilt und zusatzlich fur alle a, b ∈ R :

ab ∈ I ⇒ a ∈ I oder b ∈ I.

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1.3. EINFACHE MODULN – MAXIMALE IDEALE 13

Hilfssatz 1.3.7 maximale Ideal sind prim

Es seien R ein kommutativer Ring und I ⊂ R ein Ideal.

Dann gelten:

a) I ist genau dann ein Primideal, wenn R/I nullteilerfrei ist.

b) I ist genau dann maximal, wenn R/I ein Korper ist.

Beweis. Ubungsaufgabe. ©Interessant ist nun die Frage, ob es immer maximale Ideale gibt. Tatsachlich gilt:

Hilfssatz 1.3.8 maximale Ideale existieren (meistens)

Es seien R ein kommutativer Ring und a ∈ R keine Einheit.

Dann gibt es ein maximales Ideal I ⊂ R , das a enthalt.

Beweis. Wir betrachten die Menge S aller Ideale 6= R , die a enthalten.

S ist nicht leer, denn das von a erzeugte Hauptideal liegt darin. Hierbei benutzenwir, dass a keine EInheit ist und R kommutativ.

Wir ordnen S durch Inklusion.

Nun sei (Ik)k∈K eine Familie in S, sodass fur je zwei Elemente k, l ∈ K einm ∈ K mit der Eigenschaft

Ik ⊆ Im und Il ⊆ Im

existiert, zum Beispiel eine aufsteigende Folge.

Die Vereinigung

J :=⋃k∈K

Ik

ist dann auch ein Ideal, denn es ist eine Untergruppe, und jedes x ∈ J liegtschon in einem Ik, und darin liegen dann auch alle rx, r ∈ R, die damit auch inJ liegen.

Aber J ist nicht der ganze Ring R, denn sonst lage 1 ∈ J , und das musste dannauch schon in einem Ik liegen, das damit ganz R ware. . . ein Widerspruch!

Also gehort J zu S , und wir sehen, dass jedes induktiv geordnete System inS eine obere Schranke in S besitzt. Das erlaubt uns, das Lemma von Zorn zuverwenden, das da sagt: Es gibt ein maximales Element M in S.Wir mussen noch zeigen, dass M in R ein maximales Ideal ist, nicht nur maxi-males Element von S . Das ist aber klar, denn jedes M umfassende Ideal enthalta , ist also entweder ein Element von S oder ist schon ganz R . ©Der Satz zeigt insbesondere, dass in jedem Ring 6= {0} maximale Ideale existie-ren, denn wir konnen a = 0 verwenden.

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14 KAPITEL 1. MEHR VON GRUPPEN UND RINGEN

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Kapitel 2

Korpererweiterungen

In diesem Kapitel geht es darum, Fragen nach Erweiterungen von Korpern zudiskutieren. Was ein Korper ist, wissen wir schon.

2.1 Algebraizitat

Definition 2.1.1 Algebraisch und transzendent

Es sei K ein Korper und L ein Korper, der K umfasst. Wir nennen dann K ⊆ Leine Korpererweiterung.

a) Ein Element α ∈ L heißt algebraisch uber K , falls es ein Polynom f ∈K[X], f 6= 0, gibt, sodass f(α) = 0.

b) Ein Element α ∈ L, das nicht uber K algebraisch ist, heißt transzendentuber K .

c) L heißt algebraisch uber K , wenn jedes Element von L uber K algebraischist.

d) Es sei α ∈ L uber K algebraisch. Dann ist das Verschwindungsideal

V (α) := {f ∈ K[X] | f(α) = 0}

nicht das Nullideal im Polynomring. Der normierte Erzeuger von V (α)heißt das Minimalpolynom von α.

Den kleinsten Teilkorper von L, der K und ein gegebenes Element α von Lenthalt, bezeichnen wir mit K(α). Man sagt, dass er durch Adjunktion von α zuK entsteht.

Genauso gibt es fur jede Teilmenge A von L den kleinsten Teilkorper, der Kund A umfasst. Er wird naturlich mit K(A) notiert.

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16 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Beispiel 2.1.2 Beides kommt vor

C ist ein Erweiterungskorper von Q . Da es nur abzahlbar viele von 0 verschiede-ne Polynome in Q[X] gibt und jedes davon nur endlich viele Nullstellen in C hat,gibt es in C auch nur abzahlbar viele algebraische Elemente. Zum Beispiel istQ(√

2) eine algebraische Korpererweiterung. Da andererseits C uberabzahlbarist, muss es dort auch transzendente Elemente geben, im Sinne des Lebesgue-Maßes sind diese sogar weit in der Uberzahl, denn abzahlbare Mengen sind Null-mengen.

Konkret sind zum Beispiel die Eulersche Zahl e 1 oder die Kreiszahl π transzen-dent, wie ein Satz von Lindemann2 sagt, mit dem gegen Ende des 19. Jahrhun-derts gezeigt wurde, dass die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal nichtmoglich ist.

Es ist zumeist sehr schwer, von einer gegebenen Zahl zu entscheiden, ob sie alge-braisch oder transzendent ist. Die Transzendenztheorie ist eine Teildisziplin derZahlentheorie, die genau hierfur Werkzeuge entwickelt.

Bemerkung 2.1.3 Zur Notation

Es hat sich eingeburgert, fur einen Erweiterungskorper L von K zu sagen, Luber K sei eine Korpererweiterung. Oft findet sich hier auch die Notation L/K,die ich insofern gerade auch fur den Neuling fur missverstandlich halte, als das mitdem Bilden der Faktorgruppe verwechselt werden kann. Ich bevorzuge hier dieweniger missverstandliche Notation K ⊆ L, wenngleich die andere heute aus derLiteratur in diesem und vielen ahnlich gelagerten Kontexten nicht wegzudenkenist.

Ein Erweiterungskorper K ⊆ L ist insbesondere eine K -Algebra. Wie in EAZ2.3.8 bezeichnen wir mit Aut(L|K) die Gruppe aller K -linearen Automorphis-men des Korpers L . Ist σ ∈ Aut(L|K) und α ∈ L algebraisch uber K , so istσ(α) ebenfalls eine Nullstelle des Minimalpolynoms von α uber K . Das schranktdie Moglichkeiten von Automorphismen drastisch ein, wir werden das spater nocheingehend ausnutzen.

Hilfssatz 2.1.4 Algebraische Erweiterung

Es sei K ⊆ L eine Korpererweiterung. Dann gelten:

a) Ein α ∈ L ist genau dann uber K algebraisch, wenn die Dimension vonK(α) als K -Vektorraum endlich ist.

b) Die Menge aller uber K algebraischen α ∈ L ist ein Teilkorper von L .

1Charles Hermite, 1822-19012Carl Louis Ferdinand von Lindemann, 1852-1939

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2.1. ALGEBRAIZITAT 17

c) Sind K ⊆ L und L ⊆ M algebraische Korpererweiterungen, so ist auchdie Erweiterung K ⊆M algebraisch.

Beweis.

a) Wenn α uber K algebraisch ist, dann ist die Auswertungsabbildung

K[X] 3 f 7→ f(α) ∈ L

nicht injektiv, und ihr Kern ist ein nichttriviales Primideal in K[X]. Es wirdvom Minimalpolynom M von α erzeugt, und wir wissen, dass die K -Dimensionvon K[X]/MK[X] gleich dem Grad von M ist, also endlich. Andererseits istnach dem Homomorphiesatz das Bild der Auswertungsabbildung isomorph zuK[X]/MK[X] und hat daher auch dieselbe Dimension uber K . Da die nicht-trivialen Primideale im Hauptidealring K[X] gleichzeitig die maximalen Idealesind, ist dieses Bild also ein Korper und muss gleich K(α) sein.

Ist umgekehrt die K -Dimension von K(α) endlich, so kann die Auswertungs-abbildung K[X] 3 f 7→ f(α) ∈ L nicht injektiv sein, und ihr Kern enthalt einnichttriviales Element, was gerade die Definition der Algebraizitat von α ist.

Alternativ sind 1, α, α2, . . . , αd mit d = dimK(K(α)) nicht linear unabhangig, esgibt also eine nichttriviale Relation zwischen ihnen. Diese entspricht einem vonNull verschiedenen Polynom, das α als Nullstelle hat.

b) Wir mussen zeigen, dass mit zwei algebraischen Elementen α, β ∈ L auch−α, α + β, α · β und gegebenenfalls α−1 uber K algebraisch sind.

Dazu sei K(α, β) der kleinste Teilkorper von L , der K und α und β enthalt. Daβ uber K algebraisch ist, ist es auch uber K(α) algebraisch. {1, α, α2, . . . , αd−1}ist eine K -Basis von K(α) und {1, β, . . . , βe−1} eine K(α) -Basis von K(α, β).Dann ist offensichtlich

{αiβj | 0 ≤ i ≤ d− 1, 0 ≤ j ≤ e− 1}

eine K -Basis von K(α, β), und damit alle Elemente dieses Korpers in einemuber K endlichdimensionalen Korper enthalten. Daher sind sie algebraisch. Zudiesen Elementen gehoren auch αβ und α + β, −α und – falls α 6= 0 – auchα−1.

c) Es sei α ∈M. Wir mussen begrunden, dass α uber K algebraisch ist.

Dazu betrachten wir das Minimalpolynom von α uber L und schreiben es als

f =n∑

i=0

ciXi, ci ∈ L.

Da die Koeffizienten alle uber K algebraisch sind, ist wegen a) und b)

Z := K(c0, . . . , cn)

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18 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

eine endlichdimensionale K -Algebra. Da auch Z(α) endliche Dimension uber Zhat, hat insgesamt Z(α) endliche Dimension uber K . Da K(α) ⊆ Z(α) gilt,kann es uber K nicht unendliche Dimension haben, und damit ist α auch uberK algebraisch. ©

Definition 2.1.5 Korpergrad

Es sei K ⊆ L eine Korpererweiterung. Die Dimension von L als K -Vektorraumnennt man auch den Grad von L uber K . Man notiert diesen mit [L : K].

Es ist also α genau dann algebraisch, wenn [K(α) : K] <∞.Man sagt auch, L sei eine endliche Erweiterung von K, wenn der Grad endlichist. Sind K ⊆ L ⊆M endliche Korpererweiterungen, so gilt

[M : K] = [M : L] · [L : K].

Wenn B eine K -Basis von L ist und C eine L -Basis von M , dann ist {bc |b ∈ B, c ∈ C} eine K -Basis von M .

Der Grad von K(α) uber K ist gleich dem Grad des Minimalpolynoms von αuber K.

Definition 2.1.6 Algebraisch unabhangig

Wieder sei K ⊆ L eine Korpererweiterung. Eine Teilmenge A ⊆ L heißt uber Kalgebraisch unabhangig, wenn fur jede endliche Teilmenge {α1, . . . , αn} ⊆ A ausn Elementen (n ∈ N ) der K -Algebrenhomomorphismus

K[X1, . . . , Xn]→ L, f 7→ f(α1, . . . , αn)

injektiv ist.

Wenn A algebraisch unabhangig ist und L uber K(A) algebraisch, dann heißtA auch eine Transzendenzbasis von L uber K .

Bemerkung 2.1.7 Wieder einmal der Zorn

Eine einelementige Menge A = {α} ⊆ L ist algebraisch unabhangig genau dann,wenn α uber K transzendent ist.

Ist L also algebraisch uber K , so ist demnach jede algebraisch unabhangigeTeilmenge leer, und damit die leere Menge eine Transzendenzbasis.

{X} ist eine Transzendenzbasis des Korpers K(X) der rationalen Funktionenuber K .

Allgemein kann man mit dem Zornschen Lemma zeigen, dass es fur jede Korperer-weiterung eine Transzendenzbasis gibt und dass je zwei Transzendenzbasen die-selbe Kardinalitat haben.

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2.1. ALGEBRAIZITAT 19

Hilfssatz 2.1.8 Fundamentalkonstruktion

Es seien K Korper und f ∈ K[X] ein normiertes Polynom. Dann gibt es einenErweiterungskorper L von K , uber dem f in Linearfaktoren zerfallt.

Beweis. Wir fuhren den Beweis induktiv nach dem Grad von f, und zwar fur alleKorper gleichzeitig.

Fur deg(f) = 0 ist nichts zu zeigen, denn dann ist f = 1 schon ein leeresProdukt.

Auch fur Grad 1 ist die Behauptung klar.

Spaßes halber fuhren wir noch den Fall deg(f) = 2 explizit aus. Wenn f eineNullstelle α ∈ K hat, dann gilt

f = (X − α)(X − β),

wobei −(α + β) der Faktor vor X in f ist.

Hat f noch keine Nullstelle in K , so ist f irreduzibel, und L = K[X]/fK[X]ist wegen (EAZ, 3.2.14) ein Korper. Die Restklasse von X in diesem Korper isteine Nullstelle von f, und damit zerfallt f uber L in zwei Linearfaktoren.

Nun sei der Grad von f großer als 2.

Wenn f uber K nicht irreduzibel ist, dann ist es Produkt von zwei normiertenFaktoren f1, f2 kleineren Grades. Es gibt nach Induktionsvoraussetzung einenKorper L1 , uber dem f1 in Linearfaktoren zerfallt, und wieder nach Induktions-voraussetzung existiert ein Erweiterungskorper L2 von L1, uber dem auch f2 inLinearfaktoren zerfallt. Dieser tut, was wir wollten.

Wenn f hingegen irreduzibel ist, dann ist L1 := K[X]/fK[X] ein Korper (selberVerweis wie oben!), in dem die Restklasse α von X eine Nullstelle von f ist.(Diese Konstruktion heißt oft die Konstruktion von Kronecker3.)

Also konnen wir hier f zerlegen als

f = (X − α) · f2,

wobei der Grad von f2 kleiner ist als der von f . Es gibt also nach Induktionsvor-aussetzung einen Erweiterungskorper L2 von L1, in dem f2 in Linearfaktorenzerfallt, und dieser tut, was wir wollten. ©

Definition 2.1.9 Algebraischer Abschluss

Ein Korper K heißt algebraisch abgeschlossen, wenn er keine echten algebrai-schen Erweiterungskorper besitzt. Das ist aquivalent dazu, dass jedes normierte

3Leopold Kronecker, 1823-1891

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20 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Polynom in K[X] schon da in Linearfaktoren zerfallt, und auch dazu, dass jedesnichtkonstante Polynom in K[X] mindestens eine Nullstelle in K hat.

Ein algebraischer Erweiterungskorper von K , der algebraisch abgeschlossen ist,heißt ein algebraischer Abschluss von K. Wir werden spater sehen, dass er bis aufeinen K -Algebrenisomorphismus eindeutig bestimmt ist.

Satz 2.1.10 Existenz des algebraischen Abschlusses

Es sei K ein Korper. Dann existiert ein algebraischer Abschluss von K .

Beweis. Wir konstruieren als erstes einen Korper K1 , in dem jedes Polynom ausK[X] mindestens eine Nullstelle hat. Im Allgemeinen muss das noch nicht einalgebraischer Abschluss sein.

Um K1 zu konstruieren, betrachten wir den Polynomring R in den VariablenXp, wobei der Index p die Menge PK[X] der irreduziblen normierten Polynomein K[X] durchlauft. In R gibt es das Ideal I , das von den Elementen p(Xp), p ∈PK[X], erzeugt wird.

Dieses Ideal ist ein echtes Ideal. Ansonsten lage die 1 darin, und das hieße, dass1 sich schreiben lasst als

1 =n∑

i=1

gi · pi(Xpi), gi ∈ R geeignet.

Hierbei sind p1, . . . , pn ∈ PK[X] paarweise verschieden.

Nach 2.1.8 wissen wir, dass es einen Erweiterungskorper L von K gibt, uberdem p1 · . . . · pn in Linearfaktoren zerfallt. Fur jedes i zwischen 1 und n seiai ∈ L eine Nullstelle von pi . Dann gibt es einen K -AlgebrenhomomorphismusΦ von R nach L , der die Xpi

auf ai abbildet (1 ≤ i ≤ n ) und alle anderen Xp

auf 0. Hierbei nutzen wir die Arithmetik (universelle Abbildungseigenschaft) imPolynomring aus.

Es gilt dann

Φ(1) = Φ(n∑

i=1

gi · pi(Xpi)) =

n∑i=1

Φ(gi) · Φ(pi(Xpi)) =

n∑i=1

Φ(gi) · 0 = 0,

was ein Widerspruch ist. Daher gehort 1 nicht zu I .

Mit dem Argument aus 1.3.8 sieht man, dass in R ein maximales Ideal M exi-stiert, das I enthalt.

Wegen 1.3.7 ist K1 := R/M ein Korper, der auf naturliche Weise auch K enthalt,und in dem die Restklasse von Xp modulo M eine Nullstelle des Polynoms pist. Daher hat jedes irreduzible Polynom p ∈ PK[X] eine Nullstelle in K1, und

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2.2. IRREDUZIBLES 21

da nach (EAZ, 3.2.10) jedes nichtkonstante Polynom in K[X] zu einem Produktvon Elementen aus PK[X] assoziiert ist, hat es in K1 mindestens eine Nullstelle.

Ausgehend von K1 kann man dann einen Korper K2 finden, in dem jedes nicht-konstante Polynom in K1[X] eine Nullstelle hat, und so weiter: Wir finden einen

”Turm“

K ⊆ K1 ⊆ K2 ⊆ . . .

sodass jedes nichtkonstante Polynom mit Koeffizienten im Korper Ki eine Null-stelle in Ki+1 hat.

Die Vereinigung all dieser Korper ist dann wieder ein Korper K∞, und wennf ∈ K∞[X] ein nichtkonstantes Polynom ist, dann liegen seine Koeffizientenschon in einem Ki, also findet sich eine Nullstelle auch in Ki+1 ⊆ K∞. Daherist K∞ algebraisch abgeschlossen.

Die Menge aller uber K algebraischen Elemente in K∞ ist dann ein algebraischerAbschluss von K . ©

2.2 Irreduzibles

Hier wollen wir uns einiges uber irreduzible Polynome uberlegen. Wir fangen miteinem Hilfssatz an.

Hilfssatz 2.2.1 Eisensteinkriterium4

Es seien R ein kommutativer nullteilerfreier Ring und P ⊆ R ein Primideal.

Weiter sei f =∑d

i=0 riXi ∈ R[X] ein nichtkonstantes Polynom, dessen Leitko-

effizient rd nicht in P liegt, alle anderen Koeffizienten aber schon. Schließlichsei r0 kein Produkt von zwei Elementen aus P .

Dann ist f kein Produkt von zwei Faktoren in R[X], die kleineren Grad haben.

Beweis. Wir nehmen im Gegenteil an, f sei ein Produkt von zwei Faktoren gund h kleineren Grades. Insbesondere ist dann der Grad von f mindestens 2.Wir schreiben

g =∑

sjXj, h =

∑tkX

k.

Aus gh = f folgt s0t0 = r0 ∈ P. Da P ein Primideal ist, ist einer der Faktoren inP . Da r0 kein Produkt von zwei Faktoren aus P ist, ist genau einer der Faktorenin P . Ohne Einschrankung sei s0 ∈ P, t0 6∈ P.Als nachstes bekommen wir s0t1 + s1t0 = r1 ∈ P. Daher ist s1t0 ∈ P, und wegent0 6∈ P folgt s1 ∈ P.

4Ferdinand Gotthold Max Eisenstein, 1823-1852

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22 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Wir machen rekursiv so weiter und sehen, dass fur l < d mit

slt0 = rl − (s0tl + s1tl−1 + · · ·+ sl−1t1) ∈ P

stets folgt, dass auch sl ∈ P. Daher liegt der Leitkoeffizient von g in P , denn derGrad von g ist kleiner als d. Da der Leitkoeffizient von f das Produkt der Leit-koeffizienten von g und h ist, liegt auch dieser in P, was explizit ausgeschlossenwar.

Das fuhrt unsere Annahme zum Widerspruch. ©

Beispiel 2.2.2 Ganzzahliges

Insbesondere fur R = Z ist dieses Kriterium sehr hilfreich. Zum Beispiel fallenPolynome wie Xn − p, p ∈ P, darunter.

Man sieht jetzt sofort, dass es uber Z irreduzible Polynome beliebig hohen Gradesgibt.

Was uns noch fehlt ist die Erkenntnis, wann solche Polynome auch uber Q ir-reduzibel sind, denn dann konnen wir auch viele Korpererweiterungen von Qkonstruieren.

Dazu brauchen wir noch einmal den Begriff des Inhalts.

Definition 2.2.3 Noch einmal der Inhalt

Es sei R ein Hauptidealring. Der Inhalt Inh(f) eines Polynoms f ∈ R[X], f 6= 0,ist definiert als der Inhalt seiner Koeffizienten (EAZ, 3.4.5), also ein Erzeuger desIdeals, das von den Koeffizienten von f erzeugt wird. Wie schon fruher ist auchdiesmal der Inhalt nur bis auf Assoziiertheit definiert, also bis auf Multiplikationmit einer Einheit aus R.

Ein normiertes Polynom in R[X] hat zum Beispiel immer Inhalt 1.

Ist K der Quotientenkorper von R und f ∈ K[X] ein Polynom 6= 0, so gibt esein 0 6= r ∈ R mit rf ∈ R[X]. Wir definieren den Inhalt von f dann als

Inh(f) := r−1Inh(rf).

Das ist ein Erzeuger des R -Untermoduls von K , der von den Koeffizienten vonf erzeugt wird.

Fur R = Z ist der Inhalt von f = 37X2 + X − 5 genau 1

7, denn 3 und 7 sind

teilerfremd.

Bemerkung 2.2.4 Inhalt 1

Wenn f ∈ K[X] Inhalt 1 hat, dann liegt es schon in R[X].

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2.2. IRREDUZIBLES 23

Fur jedes f ∈ K[X], f 6= 0, ist

Inh(f)−1 · f ∈ R[X]

ein Polynom von Inhalt 1.

Hilfssatz 2.2.5 Lemma von Gauß

Es seien R ein Hauptidealring mit Quotientenkorper K und f, g ∈ K[X] vonNull verschieden. Dann gilt

Inh(fg) = Inh(f) · Inh(g).

Beweis. Wegen der eben gemachten Bemerkung konnen wir annehmen, dass f, gInhalt 1 haben, also Koeffizienten in R , die teilerfremd sind.

Sei f =∑riX

i, g =∑

j sjXj.

Wir mussen zeigen, dass kein irreduzibles Element von R alle Koeffizienten vonfg teilt. Sei p ∈ R irreduzibel. Dann existieren

m := min{i : p teilt nicht ri}, n := min{j : p teilt nicht sj}.

Dann teilt aber p auch nicht den Koeffizienten∑i+j=m+n

risj

von fg, denn alle Summanden außer rmsn sind durch p teilbar. ©Eine wichtige Folgerung hieraus ist der folgende Hilfssatz.

Hilfssatz 2.2.6 Ein Irreduzibilitatskriterium

Es sei R ein Hauptidealring mit Quotientenkorper K und f ∈ R[X] ein nicht-konstantes Polynom, das in R[X] kein Produkt von Faktoren kleineren Gradesist.

Dann ist f in K[X] irreduzibel.

Beweis. Es sei f = gh mit g, h ∈ K[X]. Dann gilt wegen 2.2.5

1

Inh(f)f =

1

Inh(gh)gh =

1

Inh(g)g · 1

Inh(h)h,

und das ist eine Zerlegung der linken Seite in zwei ganzzahlige Faktoren.

Daher ist auch

f =Inh(f)

Inh(g)g · 1

Inh(h)h

eine Zerlegung von f in zwei ganzzahlige Faktoren. Nach Voraussetzung erzwingtdies, dass g oder h denselben Grad hat wie f , und das andere Polynom istkonstant. ©

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24 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Beispiel 2.2.7 Wie versprochen sehen wir jetzt irreduzible rationale Polynomebeliebig hohen Grades, namlich solche der Gestalt

Xd + p · f(X),

wobei p ein Primzahl ist und f ∈ Z[X] ein Polynom vom Grad < d, dessenkonstanter Term nicht durch p teilbar ist.

Wegen 2.2.1 sind diese uber Z nicht in Faktoren vom Grad < d zerlegbar, unddaher auch uber Q irreduzibel.

Bemerkung 2.2.8 faktorielle Ringe – eine Skizze

Vieles von dem, was wir in diesem Abschnitt uber Hauptidealringe gelernt haben,geht ganz ahnlich fur so genannte faktorielle Ringe.

Das sind kommutative, nullteilerfreie Ringe R, in denen jedes Element 6= 0 zueinem Produkt von Primelementen assoziiert ist.

Dieses Produkt ist dann im Wesentlichen eindeutig, was wiederum die Definiti-on des großten gemeinsamen Teilers ermoglicht (anders als wir das in EAZ furHauptidealringe gemacht haben!). Mit diesem kann man dann Inhalte von Poly-nomen definieren und das Lemma von Gauß sowie sein Korollar zeigen.

Interessanter Weise ist der Polynomring in einer (und induktiv in endlich vielen)Variablen uber einem faktoriellen Ring wieder faktoriell.

Wir werden spater daran interessiert sein, wann ein irreduzibles Polynom in K[X]im algebraischen Abschluss von K nur einfache Nullstellen besitzt, wann es alsoin paarweise verschiedene Linearfaktoren zerfallt.

Wie in der Analysis kann man das mit der Ableitung uberprufen. Da uns aberhier kein Grenzwertprozess zur Verfugung steht, mussen wir die Ableitung vonPolynomen rein algebraisch definieren. Es liegt eigentlich auf der Hand, wie dasgeht.

Definition/Bemerkung 2.2.9 Die Ableitung

Es sei K ein Korper. Die Abbildung

D : K[X]→ K[X], D(d∑

i=0

ciXi) :=

d∑i=1

iciXi−1,

heißt die Ableitung. Statt D(f) werden wir auch in der Algebra haufig f ′ schrei-ben.

D ist derjenige Endomorphismus des K -Vektorraums K[X], der auf der Basis{X i | i ∈ N0} durch X i 7→ iX i−1 festgelegt wird.

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2.2. IRREDUZIBLES 25

Fur die Multiplikation gilt die Leibnizregel5:

D(fg) = D(f)g + fD(g).

Denn: Beide Seiten der Gleichung sind K -bilinear in (f, g) , und ausgewertet aufPaaren von Basisvektoren X i, Xj gilt

D(X i+j) = (i+ j)X i+j−1 = iX i−1Xj +X ijXj−1 = D(X i)Xj +X iD(Xj),

also stimmen linke und rechte Seite obiger Gleichung fur alle Paare von Basisvek-toren uberein, und das langt fur die Gleichheit zweier bilinearer Abbildungen.

Man kann die Ableitung zu einem Endomorphismus von K(X) fortsetzen durch

D(f

g) =

D(f)g −D(g)f

g2.

Diese Formel wird von der Quotientenregel der Analysis nahegelegt. D erfulltdann auf ganz K(X) die Leibnizregel.

Hilfssatz 2.2.10 mehrfache Nullstellen

Es seien f ∈ K[X] ein Polynom und α ∈ K eine Nullstelle davon. Dann ist fgenau dann ein Vielfaches von (X − α)2, wenn f ′(α) = 0 gilt.

Beweis. Wenn (X − α)2 ein Teiler von f ist, dann gilt mit f = (X − α)2h :

D(f) = D((X − α)2)h+ (X − α)2D(h)= 2(X − α)h+ (X − α)2D(h)= (X − α) · [2h+ (X − α)D(h)],

also ist α eine Nullstelle von f ′.

Ist umgekehrt α eine Nullstelle von f ′ und von f , so folgt mit f = (X − α)h

f ′ = (X − α)D(h) + h,

alsoh = f ′ − (X − α)D(h) ∈ (X − α)K[X].

Demnach ist X − α ein Teiler von h und damit (X − α)2 ein Teiler von f . ©

Folgerung 2.2.11 irreduzible Polynome ohne mehrfache Nullstellen

Es seien f ∈ K[X] irreduzibel und α eine Nullstelle von f in einem Erweite-rungskorper L von K.

Dann ist α genau dann eine einfache Nullstelle von f , wenn f ′ 6= 0.

5Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716

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26 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Beweis. Das irreduzible Polynom f sei ohne Einschrankung normiert. Es ist danndas Minimalpolynom von α uber K .

Die Nullstelle α von f ist genau dann einfach, wenn sie keine Nullstelle von f ′

ist. Da aber auch f ′ schon in K[X] liegt und kleineren Grad als f hat, kannf ′(α) = 0 nur fur f ′ = 0 gelten, denn kein anderes Polynom kleineren Gradesals f ist Vielfaches von f. ©

Definition/Bemerkung 2.2.12 Perfekte Korper

Ein Korper K heißt perfekt, wenn kein irreduzibles Polynom aus K[X] in einemErweiterungskorper mehrfache Nullstellen hat.

Das ist also aquivalent dazu, dass fur kein irreduzibles Polynom f ∈ K[X] dieAbleitung f ′ das Nullpolynom ist.

Zum Beispiel stimmt das fur Korper der Charakteristik 0, denn hier ist der Gradder Ableitung immer um 1 kleiner als der des hineingesteckten Polynoms.

Auch endliche Korper sind perfekt, denn eine Nullstelle eines irreduziblen Po-lynoms f ∈ F [X] liegt in einem etwas großeren endlichen Korper mit (z.B.) qElementen. Jedes Element dieses Korpers ist eine Nullstelle von Xq − X, unddamit zerfallt dieses in paarweise verschiedene Faktoren. Das muss dann auch furseinen Faktor f gelten.

Im Gegensatz dazu ist zum Beispiel der Korper K(T ) der rationalen Funktionenin einer Variablen T uber einem Korper K nicht perfekt, wenn die Charakteristikvon K ungleich 0 ist. Ist diese namlich p 6= 0, so ist das Polynom

Xp − T ∈ K(T )[X]

nach Eisenstein und Gauß irreduzibel, aber seine Ableitung bezuglich X ist 0.

Allgemein ist uber einem Korper der Charakteristik p die Ableitung eines Poly-noms genau dann 0, wenn an ihm nur Potenzen von Xp beteiligt sind.

2.3 Der Hauptsatz der Galoistheorie

Wir werden hier Ringhomomorphismen zwischen algebraischen Erweiterungskor-pern eines Korpers K ansehen, die K -linear sind.

Hilfssatz 2.3.1 Surjektivitat

Es sei K ⊆ L eine algebraische Korpererweiterung und σ : L → L ein K -Algebrenendomorphismus.

Dann ist σ sogar ein Automorphismus.

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 27

Beweis. Da der Kern von σ ein Ideal in L ist, das nicht die 1 enthalt, ist er {0},und damit σ injektiv. Zu zeigen ist noch die Surjektivitat.

Dazu sei α ∈ L und f ∈ K[X] das Minimalpolynom von α. Der Endomorphis-mus σ permutiert die Nullstellen von f in L , denn das Bild einer Nullstelle isteine Nullstelle, σ ist injektiv, und es gibt nur endlich viele Nullstellen. Daherliegt in L eine Nullstelle β von f , die unter σ auf α abgebildet wird. ©Um nun die algebraischen Erweiterungen von K besser sortieren zu konnen, istes hilfreich zu wissen, dass es ein großes Auffangbecken dafur gibt. Dieses kennenwir schon: Es ist der algebraische Abschluss von K .

Hilfssatz 2.3.2 Eindeutigkeit des algebraischen Abschlusses

a) Es sei F alg ein algebraisch abgeschlossener Korper.

Wenn K ⊆ L eine algebraische Korpererweiterung ist, und ϕ0 : K → F alg

ein Ringhomomorphismus, dann lasst ϕ0 sich zu einem Ringhomomorphis-mus von L nach F alg fortsetzen.

b) Je zwei algebraische Abschlusse eines Korpers K sind zueinander isomorph.

Beweis.

a) Es sei S die Menge aller Paare (E,ϕ), wobei E ein Korper zwischen K und List und ϕ : E → F alg eine Fortsetzung von ϕ0 zu einem Ringhomomorphismus.

Die Menge S ist nicht leer, denn das Paar (K,ϕ0) gehort dazu.

Auf S definieren wir eine Ordnungsrelation durch

(E,ϕ) ≤ (E, ϕ) ⇐⇒ E ⊆ E und ϕ|E = ϕ.

Bezuglich dieser Ordnungsrelation besitzt S ein maximales Element.

Ist namlich((Ei, ϕi))i∈I ,

eine Familie von Elementen in S, die mit je zweien auch ein gemeinsames großeresenthalt, so ist auch die Vereinigung E∞ der Ei ein Teilkorper von L, und durch

ψ : E∞ → F alg, ψ(x) = ϕi(x) wenn x ∈ Ei

wird eine wohldefinierte Abbildung auf E∞ mit Werten in F alg gegeben, dieϕ0 fortsetzt. Daher ist (E∞, ψ) eine obere Schranke unserer Folge. Wir durfendamit das Lemma von Zorn verwenden, welches uns die Existenz eines maximalenElements zusichert.

Es sei (E,ϕ) ∈ S maximal. Dann gilt E = L.

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28 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Denn: Es sei α ∈ L und f das Minimalpolynom von α uber E . Der KorperE ′ = E(α) ist isomorph zu E[X]/(f).

Wir setzen ϕ fort zu einem Ringhomomorphismus Φ : E[X]→ F alg[X] mit derEigenschaft Φ(X) = X.

Wenn dann β eine Nullstelle von Φ(f) in F alg ist, so ist

E[X] 3 h 7→ Φ(h)(β) ∈ F alg

ein Ringhomomorphismus, in dessen Kern das irreduzible Polynom f liegt. Alsoist der Kern das von f erzeugte Hauptideal, und damit ist das Bild zu E[X]/(f)isomorph. Damit lasst sich ϕ nach E(α) fortsetzen, und wegen der Maximalitatvon (E,ϕ) ist E(α) = E, also α ∈ E.Das zeigt E = L.

b) Es seien K und Kalg zwei algebraische Abschlusse von K . Wegen a) gibt esK -Algebrenhomomorphismen ϕ : K → Kalg und ψ : Kalg → K.

ϕ ◦ ψ ist also ein Endomorphismus von Kalg und damit wegen unseres letztenHilfssatzes surjektiv. Damit ist auch ϕ surjektiv. Da es sowieso injektiv ist, istes ein Isomorphismus. ©

Folgerung 2.3.3 Viele Automorphismen

Es sei K ⊆ Kalg ein algebraischer Abschluss des Korpers K.

a) Jeder Automorphismus von K lasst sich zu einem von Kalg fortsetzen.

b) Sind α ∈ Kalg, f ∈ K[X] sein Minimalpolynom und β ∈ Kalg eine weitereNullstelle von f, so gibt es einen K -Automorphismus von Kalg, der αnach β abbildet.

Beweis.

a) Das folgt fur L = Kalg = F alg sofort aus 2.3.2a).

b) Hier sei L = K(α). Dieser Korper ist vermoge der Auswertung von Polynomenbei α und des Homomorphiesatzes isomorph zu K[X]/(f).

Dasselbe gilt auch fur K(β) ∼= K[X]/(f) . Daher gibt es einen K -Isomorphismusϕ0 von K(α) nach K(β) ⊆ Kalg, der α auf β abbildet. Dieser lasst sich wiedermit 2.3.2a) fortsetzen zu einem Automorphismus von Kalg. ©

Folgerung 2.3.4 Endliche Korper

Es sei p eine Primzahl. Dann gibt es fur jede naturliche Zahl d einen Korpermit q = pd Elementen. Je zwei dieser Korper sind zueinander isomorph.

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 29

Beweis. Es sei L ein algebraischer Abschluss von Fp .

Die Abbildungϕ : L→ L, x 7→ xp,

ist ein Automorphismus von L 6. Ihre d -te Potenz ist

ϕd : L→ L, x 7→ xq, q = pd.

Die Menge aller Fixpunkte dieser Abbildung ist ein Teilkorper von L .

Diese Fixpunktmenge ist

F := {x ∈ L | xq − x = 0}.

Sie hat hochstens q Elemente, da das die Nullstellen eines Polynoms vom Gradq sind.

Da die Ableitung von Xq − X gerade pdXq−1 − 1 = −1 ist, hat die Ableitungkeine Nullstelle mit Xq − X gemeinsam, und damit hat dieses Polynom wegen2.2.10 tatsachlich in L q paarweise verschiedene Nullstellen. Daher hat F genauq Elemente.

Wenn K irgendein Korper mit q Elementen ist, dann sind alle Elemente von KNullstellen von Xq−X (wegen Lagrange fur die Einheitengruppe), und das Bildder Einbettung von K nach L , die es wegen des eben gezeigten Satzes gibt, istder eingangs konstruierte Korper mit q Elementen. ©

Bemerkung 2.3.5 mehr dazu

Es sei q = pd > 1 eine Potenz der Primzahl p . Der bis auf Isomorphismus ein-deutig bestimmte Korper mit q Elementen heißt dann Fq. Er ist der Faktorringvon Fp[X] nach einem irreduziblen Polynom vom Grad d, das sich sicher unterden Teilern von Xq −X findet.

Es ist klar, dass Fpd ⊆ Fpe genau dann gilt, wenn d ein Teiler von e ist.

Man kann jetzt umgekehrt diese endlichen Korper nehmen und den algebraischenAbschluss von Fp konstruieren. Dazu sei fur n ∈ N der Korper Fn := Fpn!

gegeben. Dann giltF1 ⊆ F2 ⊆ F3 ⊆ . . .

und wir erhalten den Abschluss von Fp als Vereinigung dieser endlichen Korper.Dass das ein Korper ist, ist klar. Da jedes Element α , das uber der Vereinigungalgebraisch ist, auch uber Fp algebraisch ist, ist Fp(α) ein endlicher Korper, derdamit schon in einem der Fn liegen muss.

Man erhalt also grob gesagt den algebraischen Abschluss von Fp, indem manEinheitswurzeln von immer hoherer Ordnung dazunimmt.

6Man nennt ihn oft den Frobenius-Automorphismus

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30 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Hilfssatz 2.3.6 Anzahl der Automorphismen

Es sei K ⊆ L eine endliche Korpererweiterung, n := [L : K].

Dann gilt #Aut(L|K) ≤ n.

Beweis. Es sei L = K(α1, . . . , αd) . Weiter sei σ ∈ Aut(L|K). Fur 1 ≤ i ≤ nsetzen wir

Ki := K(α1, . . . , αi) = Ki−1(αi),

wobei wir auch K0 := K definieren.

Schließlich sei mi ∈ Ki−1[X] das jeweilige Minimalpolynom von αi. Wenn diesesGrad γi hat, so folgt aus der Multiplikativitat der Korpergrade

n = γ1 · γ2 · . . . · γd.

Da σ(α1) eine Nullstelle von m1 ∈ K[X] ist, gibt es hierfur hochstens γ1

Moglichkeiten. Wenn eine davon fixiert ist, dann liegt σ auf K1 fest. Dann istσ(α2) eine Nullstelle von σ(m2), was auch Grad γ2 hat, und damit gibt es furσ(α2) noch hochstens γ2 Moglichkeiten.

Man verfahrt sukzessive so weiter und findet fur σ(αi) hochstens γi Moglichkei-ten, wenn σ(α1), . . . , σ(αi−1) schon festgelegt sind.

Da σ durch die Bilder der Erzeuger festgenagelt wird, gibt es fur σ insgesamtnicht mehr als

γ1 · γ2 · . . . · γd = n

Moglichkeiten, wie behauptet. ©

Satz 2.3.7 mehr als ein Hilfssatz

Es sei L := K(α1, . . . , αd) ein Erweiterungskorper von K vom Grad n.

Weiter sei fi fur 1 ≤ i ≤ d das Minimalpolynom von αi uber K.

Dann sind aquivalent:

i) #Aut(L|K) = n

ii) Jedes fi zerfallt uber L in paarweise verschiedene normierte Linearfakto-ren.

iii) Fur jedes α ∈ L zerfallt das Minimalpolynom f ∈ K[X] von α in L[X]in paarweise verschiedene normierte Linearfaktoren.

Beweis.

Wir zeigen zunachst die Aquivalenz von i) und ii).

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 31

i) ⇒ ii)

Im Beweis von 2.3.6 sieht man, dass sicher dann die Anzahl der Automorphismenvon L uber K kleiner als n ist, wenn das Minimalpolynom von α1 in L wenigerals γ1 Nullstellen hat – egal, ob dies an hoherer Vielfachheit liegt oder einfachan mangelnder Existenz.

Wenn also i) erfullt ist, dann hat f1 genau γ1 paarweise verschiedene Nullstellenund zerfallt damit in paarweise verschiedene normierte Linearfaktoren.

Da man hier auch die Reihenfolge von α1, . . . , αd vertauschen kann, gilt die Be-hauptung fur alle fi.

ii) ⇒ i)

Wie im Beweis des letzten Satzes sei Ki := K(α1, . . . , αi).

Es sei σ : Ki → L eine K -lineare Einbettung, i < d . Dann lasst σ sich zu einerEinbettung von Ki+1 nach L fortsetzen.

Denn: Das Minimalpolynom mi+1 von αi+1 uber Ki teilt fi+1 (da selbiges auchin Ki[X] liegt und αi+1 als Nullstelle hat). Auch σ(mi+1) (hierbei wird σ aufdie Koeffizienten von mi+1 angewandt) teilt fi+1, denn aus fi+1 = mi+1 · hi+1

folgt fi+1 = σ(fi+1) = σ(mi+1) · σ(hi+1).

Daher hat auch σ(mi+1) in L γi+1 paarweise verschiedene Nullstellen. Wenn βeine davon ist, dann wird durch

τ : Ki[X]→ L, h 7→ σ(h)(β)

ein Ringhomomorphismus gegeben, der auf Ki dasselbe macht wie σ, und indessen Kern fi+1 liegt. Daher definiert τ eine Fortsetzung von σ nach Ki+1

∼=Ki[X]/(fi+1).

Da wir hierfur also γi+1 Moglichkeiten haben, folgt die Behauptung i) durchsukzessives Fortsetzen der Inklusion von K0 = K nach L auf K1, K2, . . . , Kd.

Die Aquivalenz von ii) und iii) ist nun klar, denn unter Voraussetzung von iii)hat man ja auch die Minimalpolynome f1, . . . , fn mit abgedeckt, und unter Vor-aussetzung von ii) auch das von irgendeinem α, denn das kann man zum Erzeu-gendensystem dazunehmen, ohne den Korpergrad oder die Anzahl der Automor-phismen zu verandern. Wir gehen also vom alten ii) zu i) und dann zuruck zu ii)fur die Erzeuger α, α1, . . . , αd. ©

Definition 2.3.8 Galoiserweiterung

Es sei K ⊆ L eine algebraische Korpererweiterung.

a) Es sei f ∈ K[X] ein Polynom. Dann heißt L ein Zerfallungskorper vonf , wenn f in L[X] in Linearfaktoren zerfallt und L uber K von derenNullstellen erzeugt wird.

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32 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Das ist also der kleinste Erweiterungskorper von K , uber dem f in Line-arfaktoren zerfallt.

Analog kann man den Zerfallungskorper einer Familie von Polynomen de-finieren.

b) Die Erweiterung K ⊆ L heißt normal, wenn fur jedes α ∈ L das Minimal-polynom aus K[X] uber L in Linearfaktoren zerfallt.

c) Ein Element α ∈ L heißt separabel uber K , wenn sein Minimalpolynomkeine mehrfache Nullstelle in L besitzt. Anders gesagt (siehe 2.2.11): DieAbleitung des Minimalpolynoms ist nicht 0.

d) Die Erweiterung K ⊆ L heißt separabel, wenn alle α ∈ L uber K separabelsind.

e) Die Erweiterung K ⊆ L heißt galoissch, wenn sie separabel und normal ist.

Wenn K ⊆ L galoissch ist, dann heißt die Gruppe Aut(L|K) auch die Ga-loisgruppe von L uber K , und wir schreiben dafur in der Regel Gal(L|K).

Bemerkung 2.3.9 Permutationen

Es sei K ⊆ L eine endliche Korpererweiterung vom Grad [L : K] = n.

Nach 2.3.7 ist K ⊆ L genau dann galoissch, wenn die Automorphismengruppegenau n Elemente enthalt.

Wenn in dieser Situation f ∈ K[X] ein Polynom mit Zerfallungskorper L ist,dann permutiert Gal(L|K) die Nullstellen von f . Ist f irreduzibel, so werdendie Nullstellen sogar transitiv permutiert, denn wir konnen eine beliebige davonnehmen und als α1 im Beweis von 2.3.7 wahlen. Im Allgemeinen wird das Bildder Galoisgruppe aber nicht die volle symmetrische Gruppe der Nullstellen sein.

Beispiel: Es sei f = Xa − 1 ∈ Q[X], a ∈ N. Ist

ζ = cos2π

a+ i sin

a∈ C

eine (geeignete) Nullstelle davon, so ist L := Q(ζ) der Zerfallungskorper von f ,denn alle Nullstellen von f sind Potenzen von ζ.

Das Polynom f ist zwar fur a > 1 niemals irreduzibel (es gibt die Nullstelle 1),jedoch ist der Grad des Minimalpolynoms von ζ uber Q gleich ϕ(a) (Eulerscheϕ -Funktion) und kann damit beliebig groß werden.

Andererseits liefert ein Automorphismus von L uber Q einen Gruppenautomor-phismus von 〈ζ〉, was eine zyklische Gruppe der Ordnung a ist, und das ist einePermutation, die durch Potenzieren mit einer Einheit in Z/aZ kommt. Daher istdie Automorphismengruppe Gal(Q(ζ)|Q) isomorph zu einer Untergruppe von

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 33

(Z/aZ)×, also sicher abelsch, die symmetrische Gruppe auf den a -ten Einheits-wurzeln aber meistens nicht.

Ein Satz von Kronecker und Weber7 sagt, dass jeder galoissche Erweiterungskorpervon Q mit abelscher Galoisgruppe in einem solchen Kreisteilungskorper Q(ζ) ent-halten ist. Das kann man mit Methoden der algebraischen Zahlentheorie beweisenund ist ein Ausgangspunkt fur die sogenannte Klassenkorpertheorie.

Hilfssatz 2.3.10 Der Fixkorper

Es sei K ⊆ L eine endliche Galoiserweiterung und G = Gal(L|K).

Dann giltK = LG := {x ∈ L|∀σ ∈ G : σ(x) = x}.

Beweis. Es ist klar, dass LG ein Korper ist, der K enthalt. Laut Definition vonLG gilt dann aber auch G ⊆ Aut(L|LG).

Daher muss der Grad von L uber LG mindestens #G sein, aber das ist wegen2.3.7 schon der Grad von L uber K , was K = LG erzwingt. ©

Hilfssatz 2.3.11 Kriterium fur die Normalitat

Es sei K ⊆ L eine algebraische Korpererweiterung. Dann sind aquivalent:

i) L ist normal uber K .

ii) L ist der Zerfallungskorper einer Familie von Polynomen.

iii) Fur jede algebraische Erweiterung L ⊆ M und jedes σ ∈ Aut(M |K) giltσ(L) ⊆ L.

Beweis. i)⇒ ii)

Wenn L normal ist und von A ⊆ L erzeugt wird, dann ist es der Zerfallungskor-per der Familie in K[X], die aus den Minimalpolynomen der Elemente von Abesteht.

ii)⇒ iii)

Es sei L der Zerfallungskorper von F ⊆ K[X]. Dann ist L = K(A), wobei Adie Menge der Nullstellen der Polynome in F ist.

Weiter seien L ⊆ M und σ wie in iii). Dann gilt fur α ∈ A, dass σ(α) eineNullstelle des Minimalpolynoms von α uber K ist. Da dieses aber ein Teilereines Elements von F ist, zerfallt es schon uber L in Linearfaktoren, und dahergilt auch σ(α) ∈ A. Da L von A erzeugt wird, folgt σ(L) ⊆ L.

7Heinrich Weber, 1842-1913

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34 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

iii)⇒ i)

Wie benutzen die Voraussetung aus iii) fur den algebraischen Abschluss Lalg vonL. Weiter seien α ∈ L und β ∈ Lalg eine Nullstelle des Minimalpolynoms von αuber K .

Wegen 2.3.3 gibt es einen K -Automorphismus von Lalg, der α auf β abbildet.Nach Voraussetzung liegt also auch β in L , und damit zerfallen alle Minimalpo-lynome der Elemente aus L schon uber L . ©

Bemerkung 2.3.12 normale Hulle

a) Es sei K ⊆ L eine algebraische Erweiterung. Im algebraischen Abschluss gibtes dann den Korper, der von allen Nullstellen der Minimalpolynome aller α ∈ Lerzeugt wird. Dieser ist der kleinste uber K normale Erweiterungskorper von Lund heißt die normale Hulle von L uber K .

b) Ist K ⊆ L schon normal und K ⊆ E ⊆ L ein Korper zwischen K und L , soist auch E ⊆ L normal, denn L ist immer noch ein Zerfallungskorper. K ⊆ Emuss naturlich nicht normal sein.

Auch wenn L ⊆ M eine normale Erweiterung von L ist, muss K ⊆ M nichtnormal sein.

Ist zum Beispiel K = Q, α =√

2 ∈ R und β =√α ∈ R , so sind zwar

K ⊆ K(α) und K(α) ⊆ K(α, β) normal, da es quadratische Erweiterungensind, aber K ⊆ K(α, β) = K(β) ist nicht normal, da nur die reellen Nullstellendes Minimalpolynoms X4− 2 von β in diesem Korper liegen. Die normale Hulleuber Q ist Q(β, i).

Hilfssatz 2.3.13 Separabilitat

Es sei K ⊆ L eine algebraische Erweiterung, L = K(α1, . . . , αn).

Dann ist K ⊆ L genau dann separabel, wenn die Minimalpolynome f1, . . . , fn

von α1, . . . , αn keine mehrfachen Nullstellen haben.

Beweis. Dass die Minimalpolynome bei einer separablen Erweiterung keine mehr-fachen Nullstellen haben ist klar. Wir mussen umgekehrt zeigen, dass es genugt,diese Aussage nur fur die Minimalpolynome f1, . . . , fn zu testen.

Weiter sei L ⊆ Z ein Zerfallungkorper der Minimalpolynome f1, . . . , fn . Dieserhat einen endlichen Grad d uber K , und wegen 2.3.7 und laut Voraussetzunghat er genau d Automorphismen uber K . Also ist Z uber K galoissch, unddamit jedes α darin separabel. ©

Definition 2.3.14 primitives Element

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 35

Es sei K ⊆ L eine endliche Korpererweiterung.

Ein Element α ∈ L heißt ein primitives Element der Erweiterung, wenn L =K(α).

Wenn solch ein primitives Element existiert, dann ist das sehr angenehm. Wirsehen gleich, dass es gar nicht so selten vorkommt.

Hilfssatz 2.3.15 Satz vom primitiven Element

Es sei K ⊆ L eine endliche Korpererweiterung.

a) Genau dann gibt es ein primitives Element fur K ⊆ L , wenn es nur endlichviele Korper E zwischen K und L gibt.

b) Wenn K ⊆ L galoissch ist, so gibt es ein primitives Element.

c) Wenn K ⊆ L separabel ist, so gibt es ein primitives Element.

Beweis.

a) Wenn L = K(α) gilt, so ist zu zeigen, dass es nur endlich viele Korper zwischenK und L gibt. Dazu sei f ∈ K[X] das Minimalpolynom von α und S die Mengealler normierten Teiler von f in L[X].

Die Menge S ist endlich. Fur einen Korper E zwischen K und L sei g ∈E[X] das Minimalpolynom von α uber E . Dies ist naturlich ein Element vonS. Wenn e0, e1, . . . die Koeffizienten von g sind, so ist K(e0, e1, . . . ) ⊆ E einTeilkorper, uber dem α dasselbe Minimalpolynom besitzt, wie uber E. Also hatL = K(α) = E(α) uber beiden Korpern denselben Grad, und damit stimmendiese uberein, da der eine im anderen enthalten ist.

Die Zuordnung von E zu g ist also injektiv, und damit gibt es nur endlich vieleKandidaten fur E .

Fur die andere Richtung ist es bequem, K als unendlich vorauszusetzen. Der Fallendlicher Korper wurde in EAZ 4.2.1 und 4.2.2.

Wenn nun E1, . . . , Er alle echten Teilkorper von L sind, die K enthalten, dannkann die Vereinigung der Ei nicht ganz L sein8. Es gibt also ein

α ∈ Lr (E1 ∪ E2 ∪ · · · ∪ Er),

und dieses liegt in keinem echten Teilkorper von L , also ist L = K(α).

b) Wenn E ein Korper zwischen K und L ist, dann ist auch E ⊆ L galoissch,und H := Gal(L|E) ⊆ Gal(L|K) hat genau [L : E] Elemente. Wegen 2.3.10

8Das ist ein Vektorraumargument, oder eher noch eines uber affine Raume.

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36 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

gilt dann E = LH , man kann also E aus H zuruckgewinnen, und damit ist dieZuordnung von E zu H injektiv.

Da es nur endlich viele Untergruppen von Gal(L|K) gibt, gibt es auch nur endlichviele Zwischenkorper, und damit nach a) ein primitives Element.

c) Wenn K ⊆ L separabel ist, dann ist die normale Hulle von L galoisschuber K und besitzt wegen a) und b) nur endlich viele Zwischenkorper. Die Zwi-schenkorper zwischen K und L sind davon wieder nur eine Teilmenge, also gibtes auch hier nur endlich viele, und damit haben wir wegen a) auch in L einprimitives Element. ©Wir sind nun in der Lage, den Hauptsatz der Galoistheorie zu beweisen.

Satz 2.3.16 Hauptsatz der Galoisteorie

Es sei K ⊆ L eine endliche Galoiserweiterung, G := Gal(L|K) . Weiter seien

Z := {E | K ⊆ E ⊆ L, E ist Korper}

die Menge der Zwischenkorper der Erweiterung und

U := {H | H ≤ G ist Untergruppe}

die Menge der Untergruppen von G .

a) Die ZuordnungenF : U → Z, F(H) := LH ,

undA : Z → U , A(E) := Aut(L|E),

sind zueinander invers.

b) H ⊆ G ist genau dann eine normale Untergruppe, wenn K ⊆ LH einenormale Erweiterung ist.

In diesem Fall gilt Aut(LH |K) ∼= G/H.

Beweis.

a) Da fur jeden Korper E ∈ Z die Erweiterung E ⊆ L galoissch ist, folgt aus2.3.10 die Beziehung F ◦ A = IdZ .

Wir zeigen nun fur H ∈ U auch noch

H = A(F(H)).

Sei dazu E = F(H) = LH der Fixkorper von H . Zu zeigen ist H = Aut(L|E).Wir setzen d := #H. Da H ⊆ Aut(L|E) gilt wegen 2.3.6

d ≤ Aut(L|E) ≤ [L : E].

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2.3. DER HAUPTSATZ DER GALOISTHEORIE 37

Wegen des Satzes vom primitiven Element gibt es ein π ∈ L, sodass L = K(π).Naturlich ist dann auch L = E(π). Wir betrachten nun das Polynom

f :=∏h∈H

(X − h(π)) ∈ L[X].

Wir schreiben es als

f =d∑

i=0

ciXi, ci ∈ L.

Fur g ∈ H gilt dann

d∑i=0

g(ci)Xi =

∏h∈H

(X − gh(π)) = f,

denn hier stehen dieselben Faktoren wie in f . Daher andert sich kein Koeffizientvon f , egal welches g ∈ H man darauf anwendet, also liegen alle ci in E = LH .Das zeigt, dass f ∈ E[X] gilt. Sein Grad ist d , und da es π als Nullstelle hat,ist der Grad des Minimalpolynoms von π uber E ≤ d .

Damit folgt auch [L : E] ≤ d und mit der obigen Ungleichung also

[L : E] = d = #H.

Daher finden wirH = Aut(L|LH).

b) Wenn E ∈ Z normal uber K ist, dann gilt wegen 2.3.11 fur alle g ∈ G undalle x ∈ E : g(x) ∈ E.Daraus folgt fur alle h ∈ Aut(L|E) :

ghg−1(x) = g(g−1(x)) = x,

denn h lasst g−1(x) ∈ E fest. Das zeigt

ghg−1 ∈ Aut(L|E),

also ist dies ein Normalteiler.

Ist andererseits H ∈ U normal in G , so ist sein Fixkorper E = LH normal uberK .

Denn: Ist β ∈ E, g ∈ G und h ∈ H, so folgt wegen g−1hg ∈ H, dass

g−1hg(β) = β, also hg(β) = g(β),

und das zeigt g(β) ∈ LH . Da aber G transitiv auf den Nullstellen des Mini-malpolynoms von β uber K operiert (siehe 2.3.9), liegen alle Nullstellen dieses

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38 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Minimalpolynoms in E, und damit ist E der Zerfallungskorper der Minimalpo-lynome seiner Elemente.

Zu guter Letzt sei H normal und E = LH sein Fixkorper. Dann liefert dieEinschrankung nach E einen Homomorphismus

ρ : Gal(L|K)→ Gal(E|K),

denn G bewegt die Elemente von E nicht aus E heraus.

Der Kern von ρ ist gerade H , und aus

#G = [L : K] = [L : E] · [E : K] = #H · [E : K]

folgt dann, dass das Bild von ρ Ordnung [E : K] hat und damit die ganzeGaloisgruppe Gal(E|K) ist. Das zeigt die Surjektivitat von ρ , und der Homo-morphiesatz vermittelt den gewunschten Isomorphismus. ©

Satz 2.3.17 Der Satz von Artin

Es seien L ein Korper und G ⊆ Aut(L) eine endliche Gruppe von Automor-phismen von L . Weiter sei

K := LG = {α ∈ L | ∀σ ∈ G : σ(α) = α}

der Fixkorper von G .

Dann ist LG ⊆ L galoissch vom Grad #G.

Beweis. Es sei α ∈ L beliebig. Weiter sei

H := {σ ∈ G | σ(α) = α}

der Stabilisator von α in G. Dieser habe in G Index d, und g1H, . . . , gdH seiendie Nebenklassen.

Dann ist

f :=d∏

j=1

(X − gj(α)) ∈ L[X]

ein Polynom, das α als Nullstelle hat. Es hat in L die d einfachen Nullstellengj(α), 1 ≤ j ≤ d. Diese bilden den G -Orbit von α .

Nun zeigen wir, dass f ∈ K[X] gilt. Dazu schreiben wir uns

f =d∑

i=0

ciXi, ci ∈ L

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 39

hin. Wir mussen ci ∈ K nachweisen. Es sei σ ∈ G. Dann ist

{g1(α), . . . , gd(α)} = {σg1(α), . . . , σgd(α)},

aber σgj(α) ist Nullstelle von∑

(σci)Xi, da

∑(σ(ci))(σ(gj(α)))i = σ(

d∑i=0

ci(gj(α))i = σ(f(gj(α))) = 0.

Die beiden normierten Polynome f und∑σ(ci)X

i vom Grad d haben also dieselben d Nullstellen, und stimmen daher uberein.

Da dies fur alle σ ∈ G gilt, sind die Koeffizienten von f alle in K .

Es folgt, dass K ⊆ L galoissch ist, denn alle Minimalpolynome zerfallen uber Lin Linearfaktoren und haben keine mehrfachen Nullstellen.

Zudem zeigt es, dass K ⊆ L eine endliche Erweiterung ist, denn ansonsten gabees – wegen der Algebraizitat – endliche Galoiserweiterungen von K in L , dieuber K beliebig hohen Grad besitzen. Da diese jeweils von einem primitivenElement erzeugt werden, widerspricht das der Tatsache, dass der Grad dessenMinimalpolynoms nicht großer als #G sein kann.

Ware nun G 6= Gal(L|K), so ware es eine echte Untergruppe der Galoisgruppe,und damit der Fixkorper – nach dem Hauptsatz – eine echte Erweiterung vonK . Das widerspricht der Definition von K und zeigt

G = Gal(L|K).

Damit ist #G der Grad von K ⊆ L. ©

2.4 Beispiele und Anwendungen

Da wir nachher mehrfach auf die folgende Situation stoßen, fangen wir mit einemHilfssatz an.

Hilfssatz 2.4.1 Ein Korperturm

Es sei K ⊆ L eine Galoiserweiterung vom Grad pd , wobei p eine Primzahl ist.

Dann gibt es eine Folge von Korpererweiterungen

K := K0 ⊂ K1 ⊂ . . . ⊂ Kd−1 ⊂ Kd = L,

wobei Ki ⊆ Ki+1 jeweils Grad p hat.

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40 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Beweis. Die Galoisgruppe G von K ⊆ L ist eine p -Gruppe. Es gibt daher eineKompositionsreihe, deren Kompositionsfaktoren einfache p -Gruppen sind. Diesesind wegen 1.2.4 zyklische Gruppen der Ordnung p . Sei

{e} = Gd ≤ Gd−1 ≤ . . . ≤ G1 ≤ G0 = G

solch eine Kompositionsreihe. Dann hat Gi genau pd−i Elemente.

Dann ist der Fixkorper Ki := LGi ein Teilkorper von L , und fur den Korpergradgilt, da Ki ⊆ L galoissch ist und Gi die Galoisgruppe:

[L : Ki] = pd−i, also [Ki : K] = pi.

Das zeigt die Behauptung.

Es gilt sogar jeweils, dass Ki ⊆ Ki+1 normal ist. ©

Satz 2.4.2 Fundamentalsatz der Algebra

Der Korper C ist algebraisch abgeschlossen.

Beweis. Es sei C ⊆ K eine endliche Korpererweiterung. Wir mussen zeigen, dassK = C gilt.

Dazu sei L die normale Hulle von K uber R (auch von R ist K eine endlicheErweiterung). Es sei G die Galoisgruppe von L uber R. Diese ist endlich. Dahergibt es in G eine 2-Sylowgruppe S .

Dann ist der Korpergrad von L uber LS die maximale Zweierpotenz in [L : R],also ist R ⊆ LS eine Erweiterung von ungeradem Grad. Wenn α ∈ LS einprimitives Element dieser Erweiterung bezeichnet, so hat sein Minimalpolynomuber R ungeraden Grad.

Nach dem Zwischenwertsatz hat dieses Polynom also eine reelle Nullstelle, undkann daher nur irreduzibel sein, wenn α ∈ R. Es folgt R = LS, und damit hatL uber C eine Zweierpotenz als Grad.

Ware nun C 6= L, so lage nach dem Hilfssatz 2.4.1 eine quadratische Erweiterungvon C in L . Solch eine Erweiterung aber gibt es nicht, denn jede komplexe Zahlbesitzt eine komplexe Quadratwurzel.

Das zeigt L = C, und damit auch K = C. ©

Folgerung 2.4.3 Der algebraische Abschluss von QEine mogliche Wahl fur den ursprunglich so muhsam konstruierten algebraischenAbschluss von Q lasst sich nun besser greifbar angeben:

Qalg = {α ∈ C | α algebraisch uber Q}.

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 41

Bemerkung 2.4.4 Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Schon seit Urzeiten interessiert man sich fur Konstruktionen ebener geometrischerObjekte mit Zirkel und Lineal. Um dies algebraisch fassen zu konnen interpretiertman die Ebene als C. Nun normiert man weiter einen Punkt als 0 und einen als1. Dann kann man alle rationalen Zahlen mit Zirkel und Lineal konstruieren. Furdie ganzen ist das klar, und den Rest erledigt der Strahlensatz.

Sind zu 0 und 1 noch weitere Punkte gegeben, so lasst sich deren Summe konstru-ieren (Konstruktion eines Parallelogramms) und auch deren Produkt (Abtrageneines Winkels und zentrische Streckung). Auch die Division ist durchfuhrbar, alsoist die Menge aller Punkte, die man so konstruieren kann, ein Teilkorper von C.Andererseits lost nach dem Satz von Pythagoras jeder Konstruktionsschritt mitZirkel und Lineal eine Polynomgleichung von Grad 2. Das motiviert hoffentlichdie folgende Definition.

Definition 2.4.5 Konstruierbarkeit

Es sei K ⊆ C ein Teilkorper. Eine komplexe Zahl z heißt uber K konstruierbar,wenn K(z) aus K durch sukzessives Adjungieren von Quadratwurzeln entsteht,wenn es also Zwischenkorper

K = K0 ⊆ K1 ⊆ K2 ⊆ . . . ⊆ Kr = K(z)

gibt, sodass Ki ⊆ Ki+1 fur alle 0 ≤ i ≤ r − 1 Grad 2 hat.

Hilfssatz 2.4.6 Ein galoistheoretisches Kriterium

Es sei K ⊆ C ein Teilkorper und z ∈ C. Dann ist z genau dann uber Kkonstruierbar, wenn es uber K algebraisch ist und der Zerfallungskorper seinesMinimalpolynoms uber K eine Zweierpotenz als Grad hat.

Beweis. Zunachst sei vorausgesetzt, dass z uber K konstruierbar ist.

Wir zeigen scheinbar allgemeiner: Es sei K ⊆ L eine galoissche Korpererweite-rung vom Grad 2n und f ∈ L[X] ein irreduzibles quadratisches Polynom. Weitersei α eine Nullstelle von f und M die normale Hulle von L(α) uber K . Dannist der Grad von M uber K eine Zweierpotenz.

Denn: M entsteht aus L durch die Hinzunahme der Wurzeln der Polynome σ(f),wobei σ die Galoisgruppe von L uber K durchlauft. Da diese jedes Mal eineErweiterung vom Grad 1 oder 2 ist, erhalt man insgesamt wegen der Multiplika-tivitat der Korpergrade eine Zweierpotenz als Erweiterungsgrad.

Dies zeigt, dass die normale Hulle von K(z) uber K eine Zweierpotenz als Gradhat.

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42 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Umgekehrt sei nun die normale Hulle von L = K(z) uber K eine Erweiterungvom Zweierpotenzgrad. Dann liefert 2.4.1 genau das, was wir brauchen, dennes impliziert, dass jedes Element der normalen Hulle sich mit Zirkel und Linealkonstruieren lasst. ©

Beispiel 2.4.7 Kreisteilungspolynome

Wir erinnern an die Kreisteilungspolynome Φn(X) ∈ Z[X], die wir in EAZ, 4.2.5,eingefuhrt haben. Sie werden rekursiv durch die folgende Vorgabe definiert:

Φ1 := X − 1, Φn :=Xn − 1∏

d|n, d6=n

Φd

.

Die Nullstellen von Φn in C sind die Einheiten von Ordnung n. Das ist auch derGrund, weshalb die Φd alle paarweise teilerfremde Teiler von Xn − 1 sind. DiePolynomdivision geht wegen des Gauß-Lemmas in Z[X] auf, da die Nullstellendes Nenners passen und dieser normiert und ganzzahlig ist.

Wir finden

Φ2 = X + 1, Φ3 = X2 +X + 1, Φ4 = X2 + 1, Φ5 = X4 +X3 +X2 +X + 1 . . .

Aus der Ubung kennen wir schon die Polynome

Φp =Xp − 1

X − 1

fur Primzahlen p und wissen, dass sie irreduzibel sind. Das wollen wir jetzt furalle Kreisteilungspolynome zeigen.

Dazu sei ζ ∈ C eine Nullstelle von Φn. Das Minimalpolynom von ζ sei f ∈ Q[X].Dann sagt uns das Gauß-Lemma 2.2.5, dass f in Wirklichkeit schon in Z[X] liegt.Denn:

Xn − 1 = f · h =f

Inh(f)· Inh(f)h

ist eine Zerlegung in zwei ganzzahlige Faktoren, und der Leitkoeffizient von Xn−1ist das Produkt von deren Leitkoeffizienten. Also sind diese ganzzahligen Faktoren(bis aufs Vorzeichen) normiert.

Weiter sei nun p eine Primzahl, die n nicht teilt. Dann ist auch ζp eine Nullstellevon Φn. Es sei g ∈ Z[X] das Minimalpolynom von ζp.

Wir zeigen nun f = g.

Annahme: f 6= g.

Da beide Polynome irreduzible, ganzzahlige, normierte Teiler von Xn − 1 sind,gibt es (wieder mit Gauß) ein normiertes Polynom h ∈ Z[X] mit

Xn − 1 = fgh.

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 43

Wir betrachten die Koeffizienten modulo p und erhalten so Polynome f , g, h ∈Fp[X] mit

Xn − 1 = f gh.

Da g(ζp) = 0 gilt, teilt f das Polynom g(Xp). Dies geht wieder ganzzahlig undstimmt daher auch nach Reduktion modulo p :

f |g(Xp) = (g(X))p.

Das heißt aber auch, dass Xn−1 im algebraischen Abschluss von Fp eine doppelteNullstelle hat. Die Ableitung jedoch ist nXn−1 und hat (da n 6∈ pZ ) nur dieNullstelle 0, die keine Nullstelle von Xn − 1 ist. Also gibt es diese doppelteNullstelle nicht und bringt somit unsere Annahme zu Fall.

Das zeigt, dass f = g gilt.

Wenn nun ξ irgendeine Nullstelle von Φn ist, so gilt ξ = ζk, k ∈ N geeignet,denn ζ erzeugt die Gruppe der n -ten Einheitswurzeln in C. Da auch ξ Ordnungn hat, ist k zu n teilerfremd.

Wir schreiben k = p1 · p2 · . . . · pr mit Primzahlen pi.

Dann ist aber f das Minimalpolynom von ζp1 , also auch das von (ζp1)p2 = ζp1p2 ,also auch das von . . . ζk.

Daher hat f Grad #((Z/nZ)×) = deg(Φn), und es folgt, dass dieses Polynomirreduzibel ist.

Das zeigt uns, dass L := Q(ζ) eine Erweiterung von Q vom Grad ϕ(n) ist, undalle Nullstellen von Φn liegen schon in L . Das ist also eine normale Erweiterungund damit (Q ist ja perfekt) auch galoissch. Die Galoisgruppe ist wegen 2.3.9 iso-morph zu einer Untergruppe von (Z/nZ)×. Da sie dieselbe endliche Kardinalitathat, ist sie zur ganzen Einheitengruppe von Z/nZ isomorph.

Insbesondere sagt nun 2.4.6, dass das regelmaßige n -Eck genau dann (uber Q )mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, wenn ϕ(n) eine Zweierpotenz ist. Diesist (wie man sich noch uberlegen musste) genau dann der Fall, wenn n von derGestalt

n = 2e · p1 · . . . · pr,

wobei p1, . . . , pr paarweise verschiedene Primzahlen der Gestalt 2f +1 sind. Sol-che Primzahlen heißen Fermatzahlen. Es ist bis heute ungeklart, ob es unendlichviele davon gibt. Aber einige kennt man:

3, 5, 17, 257, 65537, . . .

Beispiel 2.4.8 Gallien. . .

Eine der klassischen Fragen der Geometrie ist, ob man jeden gegebenen Winkelmit Zirkel und Lineal dreiteilen kann. Die Antwort hierauf ist nun klar: das gehtnicht.

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44 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Als Beispiel nehmen wir den Winkel 120◦ = 2π/3, den man naturlich konstru-ieren kann, da er zum regelmaßigen Dreieck gehort. Wenn man ihn dreiteilenkonnte, dann hatte man ein regelmaßiges Neuneck mit Zirkel und Lineal konstru-iert, aber das geht nicht, da ϕ(9) = 6 keine Zweierpotenz ist.

Leider lassen sich immer noch nicht alle potentiellen Trisektierer von diesemBeispiel abschrecken, und es gibt immer wieder ernstgemeinte Losungsversuchefur die Dreiteilung eines gegebenen Winkels mit Zirkel und Lineal.

Beispiel 2.4.9 Die Quadratur des Kreises

Es ist nicht moglich, ausgehend von Q mit Zirkel und Lineal ein Quadrat zukonstruieren, dessen Flacheninhalt π ist.

Dazu muss man wissen, dass π nicht die Nullstelle eines rationalen Polynomsmit einer Zweierpotenz als Grad ist.

Es langt also insbesondere auch zu zeigen, dass π transzendent ist, was wir schoneinmal in 2.1.2 als Faktum festgehalten hatten.

Nach diesem Zwischenspiel verlassen wir die Geometrie wieder.

Definition 2.4.10 Radikalerweiterungen

Es sei K ein Korper der Charakteristik 0. Eine endliche Korpererweiterung K ⊆L heißt eine Radikalerweiterung, wenn ein α ∈ L und ein n ∈ N existieren,sodass

L = K(α), αn ∈ K.

Die Erweiterung heißt durch Radikale auflosbar, wenn es Zwischenkorper

K = K0 ⊆ K1 ⊆ K2 ⊆ · · · ⊆ Kr = L

gibt, sodass jeweils Ki ⊆ Ki+1 eine Radikalerweiterung ist.

Ein Polynom f ∈ K[X] ist durch Radikale losbar, wenn sein Zerfallungskorperuber K durch Radikale auflosbar ist.

NB: Wenn man das in Charakteristik ungleich 0 machen will, so muss mannoch Artin-Schreier9 Erweiterungen zulassen und erhalt dann ein ganz ahnlichesResultat wie das folgende.

Bemerkung 2.4.11 Losungsformeln

Es ist das Ausgangsproblem der Algebra, fur ein gegebenes Polynom f ∈ K[X]eine Formel fur die Nullstellen zu finden. Diese Formel soll algebraisch funktio-nieren, womit man meint, dass fur eine Nullstelle α von f stets gilt: K ⊆ K(α)ist eine Radikalerweiterung.

9Otto Schreier, 1901-1929

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 45

Das heißt konkret: α lasst sich ausgehend von den Koeffizienten von f durchsukzessives Ziehen von n -ten Wurzeln und Auswerten von rationalen Funktionenangeben.

Zum Beispiel ist fur f = aX2 + bX + c die bekannte Formel

x1/2 =−b±

√b2 − 4ac

2a

solch eine Vorschrift, denn man bildet erst den Ausdruck b2 − 4ac, das ist einerationale Funktion, zieht daraus die Quadratwurzel und bildet dann nochmalseine rationale Funktion.

Fur kubische Polynome ist die bekannte Losungsformel auch von diesem Typ,und auch fur Polynome vom Gad 4 gibt es solch eine Formel.

Die naheliegende Frage war, ob es fur jedes Polynom solch eine Losungsformelgeben kann. In unserer jetzigen Terminologie heißt das:

Ist jede endliche Galoiserweiterung durch Radikale auflosbar?

Hilfssatz 2.4.12 Noch ein Galoistheoretisches Argument

Es sei K ⊆ L eine endliche Galoiserweiterung vom Grad n , die Charakteristikvon K sei 0.

Dann ist K ⊆ L genau dann durch Radikale auflosbar, wenn die GaloisgruppeG = Gal(L|K) auflosbar ist.

Beweis. Um gleich einfacher argumentieren zu konnen, machen wir erst einenReduktionsschritt.

Da n -te Einheitswurzeln immer durch Radikale erreichbar sind, ist die Frageeiner Losungsformel unabhangig davon, ob man erst zu K noch Einheitswurzelnhinzunimmt oder nicht.

Auf der anderen Seite sei M der Korper, der aus L durch Adjunktion einern -ten Einheitswurzel ζ entsteht. Dieser ist dann auch uber K normal. Es gilt

Gal(L|K) ∼= Gal(M |K)/Gal(M |L),

aber Gal(M |L) ist abelsch und daher sind die beiden anderen Gruppen wegen1.2.3 simultan auflosbar oder nicht.

Andererseits sind auch die Erweiterungen K ⊆ K(ζ) ⊆M alle galoissch und wie-der Gal(K(ζ)|K) abelsch, also Gal(M |K) und Gal(M |K(ζ)) simultan auflosbaroder nicht.

Zusammen genommen ist Gal(L|K) genau dann auflosbar, wenn Gal(M |K(ζ))dies ist.

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46 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Wir durfen also ohne Einschrankung annehmen, dass K ein n -te Einheitswurzelenthalt. Weder die Frage nach der Auflosbarkeit durch Radikale noch die Fragenach der Auflosbarkeit der Galoisgruppe wird davon beruhrt.

Wir nehmen zunachst an, die Galoisgruppe G sei auflosbar. Dann hat eine Kom-positionsreihe

{e} := Gr ⊂ Gr−1 ⊂ · · · ⊂ G1 ⊂ G0 = G

von G einfache abelsche Gruppen als Kompositionsfaktoren, und diese sind zy-klisch von Primzahlordnung. Fur die Fixkorper Ki := LGi gilt demnach, dassKi ⊂ Ki+1 eine Galoiserweiterung von Primzahlgrad p ist. Da diese Primzahl pein Teiler von n ist, liegt in K eine primitive p -te Einheitswurzel. Eine Ubungs-aufgabe zeigt dann, dass Ki+1 durch Adjunktion einer p -ten Wurzel eines Ele-ments aus Ki zu Ki erzeugt wird.

Daher ist K ⊆ L durch Radikale auflosbar.

Ist andererseits die Erweiterung durch Radikale auflosbar, so ist jede dieser Ra-dikalerweiterungen schon galoissch (da die richtigen Einheitswurzeln schon in Kliegen). Wie erhalten durch den Hauptsatz der Galoistheorie eine Normalreihe inG mit zyklischen Faktorgruppen, und damit ist G auflosbar. ©

Bemerkung 2.4.13 Nichtauflosbare Gleichungen

Jetzt ist es schon fast nicht mehr schwer, Polynome anzugeben, deren Zerfallungs-korper nicht durch Radikale auflosbar ist. Wir wissen ja, dass die alternierendeGruppe An fur n ≥ 5 einfach und nichtkommutativ ist, also ist Sn in diesem Fallnicht auflosbar. Es langt also, ein Polynom anzugeben, dessen Zerfallungskorperals Galoisgruppe eine Gruppe isomorph zu Sn, n ≥ 5, hat.

Das lasst sich n = 5 mit Q als Grundkorper in einer Ubungsaufgabe erledigen.

Eine andere, mehr geometrische Situation ist die, dass man fur einen Korper kden Polynomring R = k[T1, . . . , Tn] betrachtet oder besser noch dessen Quotien-tenkorper L = k(T1, . . . , Tn).

Auf diesem operiert die symmetrische Gruppe Sn durch Vertauschung der Va-riablen, und damit sitzt Sn in der Automorphismengruppe von L . Mit dem Satzvon Artin (2.3.17) ist dann Sn die Galoisgruppe von L uber dem FixkorperK := LSn . Daher ist das Minimalpolynom eines primitive Element fur diese Er-weiterung nicht durch Radikale auflosbar.

Das erklart, weshalb man sich umsonst die Zahne daran ausgebissen hat, Losungs-formeln fur Polynome vom Grad 5 und großer zu finden.

Um das ganze noch etwas substanzieller zu beschreiben ist es vielleicht nichtfalsch, den Fixkorper noch auszurechnen. Dazu betrachten wir das Minimalpoly-nom von T1 uber K . Das ist zwar kein primitives Element, aber wir kennen das

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 47

Minimalpolynom m , denn seine Nullstellen sind ja die Bahn von T1 unter derGaloisgruppe, also T1, . . . , Tn. Das Minimalpolynom ist also

m = (X − T1) · (X − T2) · . . . · (X − Tn).

Wenn man dies ausmultipliziert, so ergibt sich

m =n∑

i=0

(−1)iσi(T1, . . . , Tn)Xn−i.

Die Koeffizienten hierbei sind die elementarsymmetrischen Polynome, die durch

σi(T1, . . . , Tn) :=∑

1≤j1<j2<···<ji≤n

Tj1 · . . . · Tji

definiert sind. Speziell sind

σ0(T1, . . . , Tn) = 1,σ1(T1, . . . , Tn) = T1 + . . .+ Tn

σ2(T1, . . . , T4) = T1T2 + T1T3 + T1T4 + T2T3 + T2T4 + T3T4

σn(T1, . . . , Tn) = T1 · . . . · Tn.

Die elementarsymmetrischen Polynome erzeugen uber k einen Teilkorper vonL , uber dem T1, . . . , Tn algebraisch sind und ein gemeinsames Minimalpolynomvom Grad n haben. Damit ist der Erweiterungsgrad von L uber k(σ1, . . . , σn)hochstens n! , und da die σi alle im Fixkorper der Sn -Operation auf L liegen,ist

K = k(σ1, . . . , σn)

Insbesondere sind die elementarsymmetrischen Polynome eine Transzendenzbasisvon L uber k , denn der Transzendenzgrad ist ja n .

Beispiel 2.4.14 Rationales Beispiel

Uber Q sollte man naturlich auch ein Beispiel eines Polynoms mit nicht auflosba-rer Galoisgruppe finden.

Konkret seif = X5 + 5X4 + 4X + 1 ∈ Z[X].

Dieses Polynom ist uber F5 irreduzibel. Daher ist es auch uber Z nicht in Fakto-ren zerlegbar und somit wegen Gauß auch uber Q irreduzibel. Es hat drei reelleNullstellen, und zwei Nullstellen sind nicht reell. Die komplexe Konjugation ope-riert auf den Nullstellen also uber eine Transposition.

Nun betrachten wir die Galoisgruppe des Zerfallungskorpers von f als Unter-gruppe in der symmetrischen Gruppe auf den Nullstellen des Polynoms. Da sie

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48 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

transitiv auf den Nullstellen von f operiert, enthalt sie einen Funfzykel. EineTransposition liegt auch darin. Wegen EAZ 3.5.6 muss dann aber die Galoisgrup-pe schon die ganze symmetrische Gruppe sein.

Es ist noch immer nicht von allen endlichen Gruppen bekannt, ob sie Galois-gruppen fur eine Galoiserweiterung mit Grundkorper Q sind. Die Untersuchungdieser und ahnlich gelagerter Fragen nennt man inverse Galoistheorie.

Satz 2.4.15 Abelsche Galoisgruppen

Jede endliche abelsche Gruppe G ist isomorph zur Galoisgruppe einer Galoiser-weiterung Q ⊆ K.

Beweis. Es sei G eine endliche abelsche Gruppe.

Nach dem Hauptsatz uber endlich erzeugte abelsche Gruppen ist G also eindirektes Produkt von zyklischen Gruppen. Wir schreiben

G =r∏

i=1

Z/kiZ, 2 ≤ ki ∈ N.

Wegen EAZ, 4.2.7, gibt es Primzahlen

p1 < p2 < · · · < pr,

sodass jeweils ki ein Teiler von pi − 1 ist.

Nun setzen wir

n := p1 · . . . · pr, ζ = cos(2π/n) + i sin(2π/n).

Dann ist L := Q(ζ) eine Galoiserweiterung von Q mit Galoisgruppe

(Z/nZ)× ∼= F×p1× . . .× F×pr

,

wobei wir 2.4.7 und den Chinesischen Restsatz bemuhen. Nun ist F×piaber zy-

klisch von Ordnung pi− 1, also gibt es eine Untergruppe Hi ⊆ F×pivon Ordnung

(pi − 1)/ki, und es gilt

F×pi/Hi∼= Z/kiZ.

Dann ist aber wegen des Hauptsatzes der Galoistheorie

(Z/nZ)×/(H1 × . . .×Hr) ∼= G

die Galoisgruppe von K := L(H1×...×Hr) uber Q. ©

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 49

Bemerkung 2.4.16 Einbettungen

Es sei K ⊆ L separabel vom Grad n . Dann gibt es ein primitives Element αfur diese Erweiterung, L = K(α), und das Minimalpolynom von α hat in der

normalen Hulle L von L n paarweise verschiedene Nullstellen.

Dann gibt es aber auch genau n K -Algebrenhomomorphismen von L nach L,die durch

a0 + a1α + · · ·+ an−1αn−1 7→ a0 + a1β + · · ·+ an−1β

n−1

gegeben sind, wobei β die Nullstellen des Minimalpolynoms von α durchlauft.

Diese sind linear unabhangig uber L . Das sieht man aus dem folgenden Hilfssatz.

Hilfssatz 2.4.17 Lemma von Artin

Es seien Γ eine Gruppe und F ein Korper. Dann ist die Menge

HomGruppen(Γ, F×) ⊆ Abb(Γ, F )

linear unabhangig.

Beweis. Wenn nicht, dann gabe es eine kleinste naturliche Zahl n und n paar-weise verschiedene solche Homomorphismen

χi : Γ→ F×, 1 ≤ i ≤ n,

sodass fur ein von Null verschiedenes Tupel (f1, . . . , fn) ∈ F n die Gleichheit

f1χ1 + f2χ2 + · · ·+ fnχn = 0 (∗)

gilt. Da n kleinstmoglich ist, sind alle fi nicht 0.

Da die χi paarweise verschieden sind, gibt es ein γ ∈ Γ mit

χ1(γ) 6= χn(γ).

Dieses γ merken wir uns. Da die χi multiplikative Homomorphismen sind, giltfur alle g ∈ Γ :

χi(γg) = χi(γ)χi(g).

Wir werten (∗) bei γg aus und sehen dann (da g beliebig ist):

f1χ1(γ)χ1 + χ2(γ)f2χ2 + . . . χn(γ)fnχn = 0.

Andererseits konnen wir die Gleichung (∗) auch nehmen und mit χ1(γ) multi-plizieren:

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50 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

f1χ1(γ)χ1 + χ1(γ)f2χ2 + . . . χ1(γ)fnχn = 0.

Zieht man die so erhaltenen Gleichungen voneinander ab, so folgt

(χ2(γ)− χ1(γ))f2χ2 + · · ·+ (χn(γ)− χ1(γ))fnχ2.

Da hier die Anzahl der Summanden kleiner ist als n , mussen alle Vorfaktoren 0sein. Es folgt

(χn(γ)− χ1(γ))fn = 0,

aber das wiederum erzwingt wegen der Wahl von γ, dass fn = 0.

Ein Widerspruch. ©Mit diesem Lemma beweisen wir jetzt einen Fall des Satzes von der normalenBasis. Fur den anderen Fall brauchen wir ein anderes Argument.

Folgerung 2.4.18 Satz von der Normalbasis

Es sei K ⊆ L eine Galoiserweiterung mit Galoisgruppe G .

Dann gibt es ein β ∈ L, sodass {τ(β) | τ ∈ G} eine K -Basis von L ist.

Beweis. Wir unterscheiden zwei Falle, die nicht disjunkt sind, aber doch allesuberdecken.

Fall 1: G ist zyklisch. Es sei σ ∈ G ein Erzeuger, n sei der Grad der Erweiterung,und daher also auch die Ordnung von σ .

Die Abbildungenσi : L→ L, 0 ≤ i ≤ n− 1,

sind linear unabhangig uber L , denn ihre Einschrankungen auf L× sind dasnach dem Lemma 2.4.17 von Artin. Daher ist Xn − 1 das Minimalpolynom vonσ aufgefasst als K -Vektorraumendomorphismus von L .

Wir statten L mit einer Struktur als K[X] -Modul aus, indem wir definieren:

(K[X], L) 3 (f, l) 7→ (f(σ))(l) ∈ L.

Der Elementarteilersatz sagt uns, dass es normierte Polynome f1, . . . , fr ∈ K[X]gibt mit

f1 | f2 | · · · | fr und L ∼= K[X]/(f1)× · · · ×K[X]/(fr).

Da fr ein Vielfaches der anderen ist, ist fr das Minimalpolynom von σ, alsofr = Xn−1. Da dann aber schon K[X]/(fr) Dimension n hat, sind die anderenPolynome f1, . . . , fr−1 alle 1.

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2.4. BEISPIELE UND ANWENDUNGEN 51

Das heißt:L ∼= K[X]/(Xn − 1).

(Isomorphismus von K[X] -Moduln.)

Bezuglich der Basis {1, X,X2 . . . Xn−1}(mod Xn − 1) beschreibt sich die Multi-pikation mit X durch die Matrix

0 0 . . . 0 11 0 . . . 0 0

0 1. . .

......

.... . . . . . . . .

...0 . . . 0 1 0

.

Diese beschreibt dann aber auch die Multiplikation mit σ auf L bezuglich einergeeigneten Basis. Nennt man den ersten Basisvektor β, so tut der, was er soll.

Das beendet den ersten Fall. Insbesondere beinhaltet dieser den Fall endlicherKorper und wir haben alles gezeigt, wenn der folgende Fall 2 auch erfolgreichbehandelt ist.

Fall 2: K ist unendlich. Wieder sei n der Grad der Erweiterung. Nach dem Satz2.3.15 vom primitiven Element gibt es ein α ∈ L, sodass L = K(α).

Wir numerieren die Elemente aus G durch und nennen sie σ1, . . . σn. Dabei sollσ1 = IdL gelten.

Weiter setzen wirai := σi(α) ∈ L

und

gj :=∏i 6=j

X − ai

aj − ai

∈ L[X].

Dieses Polynom ist 0 bei x = ai, i 6= j, und 1 bei x = aj.

Da der Grad nicht großer ist als n− 1 , gilt

g1 + g2 + · · ·+ gn = 1. (∗)

Das ist ein Spezialfall der Interpolationsformel von Lagrange.

Jeder Automorphismus σ ∈ G wirkt auch auf den Polynomen in L[X], durchAnwendung auf die Koeffizienten. Hierbei gilt fur alle h ∈ L[X], x ∈ L :

(σ(h))(σ(x)) = σ(h(x)).

Insbesondere sieht man an den Werten bei den ai, dass

σj(g1) = gj.

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52 KAPITEL 2. KORPERERWEITERUNGEN

Es sei f :=∏n

i=1(X − ai).

Dann ist f das Produkt der verschiedenen Linearfaktoren von gigj, also einTeiler dieses Produkts. Daher ist f wegen (∗) auch ein Teiler von

g2i − gi = −

∑j 6=i

(gigj).

Fur die MatrixA := (σi(gj))i,j ∈ L[X]n×n

ergibt sich daher aus (∗) , dass

A · A> ≡ In (mod f).

Diese Kongruenzbedingung ist eintragsweise zu verstehen.

Insbesondere ist die Determinante von A ·A> modulo f gleich 1, also ein von 0verschiedenes Polynom, und damit auch die von A selbst.

Da K unendlich ist, gibt es ein u ∈ K, sodass

det((σi(gj(u)))i,j) 6= 0.

Mit gj(u) = σj(g1(u)) folgt fur β := g1(u), dass

det(σi(σj(β))) 6= 0.

Ist nun (λ1, . . . , λn)> ∈ Kn mit∑λjσj(β) = 0,

so gilt auch fur jedes i∑λjσiσj(β) = σi(

∑λjσj(β)) = 0,

also(σi(σj(β)))i,j · (λ1, . . . , λn)> = 0,

aber das erzwingt wegen der Regularitat der beteiligten Matrix λ1 = . . . = λn =0, und damit sind die Elemente σj(β), 1 ≤ j ≤ n, uber K linear unabhangig.

©

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Kapitel 3

Noch mehr Ringtheorie

3.1 Noethersche Ringe und Moduln

Hier lernen wir einen hilfreichen Endlichkeitsbegriff kennen.

Definition 3.1.1 Der Emmy-Award

a) Es seien R ein kommutativer Ring und M ein R -Modul. Dann heißt Mnoethersch1, falls jeder R -Untermodul von M endlich erzeugt ist.

Der Ring R selbst heißt noethersch, wenn jedes Ideal in R endlich erzeugt ist,wenn er also ein noetherscher R -Modul ist.

b) Wenn R nicht kommutativ ist, dann unterscheiden sich im Allgemeinen Links-R -Moduln (mit der Eigenschaft (rs)m = r(sm) ) und Rechts-R -Moduln (mit derEigenschaft (rs)m = s(rm) ). Entsprechend gibt es linksnoethersche Ringe undrechtsnoethersche Ringe, wir wollen das aber nicht ausfuhrlicher diskutieren.

Beispiel 3.1.2 alles sieht so noethersch aus!

a) Der Ring Z der ganzen Zahlen ist noethersch, wie uberhaupt jeder Haupt-idealring noethersch ist. Korper sowieso.

b) Ist R ein noetherscher Ring und Φ : R −→ S ein surjektiver Ringhomomor-phismus, so ist auch S noethersch. Denn fur jedes Ideal I in S ist Φ−1(I) einIdeal in R und somit endlich erzeugt. Die Bilder eines Erzeugendensystems vonΦ−1(I) unter Φ erzeugen aber Φ(Φ−1(I)) = I.

c) Jede endlichdimensionale K -Algebra A uber einem Korper K ist noethersch.Die Ideale in A sind ja insbesondere Untervektorraume, und als solche endlich-dimensional uber K. Also sind sie erst Recht als A -Moduln endlich erzeugt. Fur

1Amalie Emmy Noether, 1882-1935

53

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54 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

so eine Algebra ist auch jeder endlich erzeugte Modul ein noetherscher A -Modul,und zwar aus demselben Grund.

Aber auch der Polynomring uber einem Korper ist noethersch, er ist ja ein Haupt-idealring.

Definition 3.1.3 exakte Sequenzen

Es seien R ein Ring und Mi, i ∈ Z, ein paar R -Moduln. Weiterhin sei fur jedesi ∈ Z ein R -Modulhomomorphismus

Φi : Mi −→Mi+1

gegeben. Dann heißt die Sequenz

. . .Φi−1−→Mi

Φi−→Mi+1Φi+1−→Mi+2 . . .

eine exakte Sequenz von R -Moduln, wenn das Folgende fur alle i gilt:

Kern(Φi+1) = Bild(Φi).

Anstelle von Z kann hier auch der Durchschnitt von Z mit einem reellen Intervallals Indexmenge dienen, wobei die Bedingung dann nur fur alle i zu prufen ist,fur die sowohl i als auch i+ 1 als Index vorkommen.

Eine exakte Sequenz der Gestalt

0 −→MΦ−→N Ψ−→Q −→ 0

heißt eine kurze exakte Sequenz (keS). Das ist gleichbedeutend damit, dass Φinjektiv ist, Kern(Ψ) = Bild(Φ) gilt, und Ψ surjektiv ist. Man konnte dann auchM durch den isomorphen Modul Φ(M) ersetzen, Φ durch die Einbettung, Qdurch N/Φ(M) und Ψ durch die kanonische Abbildung.

Zum Beispiel ist fur zwei Moduln M und Q die Sequenz

0 −→Mm7→(m,0)−→ M ×Q(m,q)7→q−→ Q −→ 0

eine kurze exakte Sequenz.

Hilfssatz 3.1.4 Sequenzen von noetherschen Moduln

Es seien R ein Ring und M,N,Q drei R -Moduln. Weiterhin sei

0 −→MΦ−→N Ψ−→Q −→ 0

eine kurze exakte Sequenz von R -Moduln.

Dann ist N genau dann noethersch, wenn sowohl M als auch Q noetherschsind.

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3.1. NOETHERSCHE RINGE UND MODULN 55

Beweis. Zunachst sei N noethersch. Wenn U ⊆M ein Untermodul ist, dann istU isomorph zu Φ(U), das ist ein Untermodul von N , also endlich erzeugt, unddamit ist auch U endlich erzeugt, also M noethersch.

Wenn V ein Untermodul von Q ist, dann ist V = Ψ(Ψ−1(V )), da Ψ sur-jektiv ist. Da N noethersch ist, wird Ψ−1(V ) von endlich vielen Elementenn1, . . . , nk erzeugt, aber dann ist V von Ψ(n1), . . . ,Ψ(nk) erzeugt, und damitauch Q noethersch.

Sind umgekehrt M und Q noethersch und U ein Untermodul von N , dann istΦ−1(U) ein Untermodul von M und damit endlich erzeugt. Es seien m1, . . . ,mr

endlich viele Erzeuger von Φ−1(U). Weiterhin ist Ψ(U) ein Untermodul von Qund damit endlich erzeugt. Es seien q1, . . . , qs Erzeuger von Ψ(U) und u1, . . . , us

Urbilder von ihnen unter Ψ.

Nun sei u ∈ U. Dann lasst sich Ψ(u) schreiben als

Ψ(u) =s∑

i=1

riqi,

und damit liegt

u−s∑

i=1

riui ∈ Kern(Ψ) ∩ U = Φ(Φ−1(U)).

Es gibt also a1, . . . , ar ∈ R, sodass

u−s∑

i=1

riui =r∑

j=1

ajΦ(mj).

Damit haben wir ein endliches Erzeugendensystem von U gefunden, namlich

{Φ(m1), . . . ,Φ(mr), u1, . . . , us}.

Da dies fur jeden Untermodul U von N geht, ist N noethersch. ©

Hilfssatz 3.1.5 Vererbungslehre

Es sei R ein linksnoetherscher Ring und M ein endlich erzeugter R -Linksmodul.Dann ist M noethersch.

Beweis. Es seien m1, . . . ,md Erzeuger von M . Dann ist die Abbildung

Φ : Rd −→M, Φ((ai)) := a1m1 + a2m2 + · · ·+ admd,

ein surjektiver Morphismus von Links-R -Moduln. Dann ist aber nach 3.1.4 Mnoethersch, wenn Rd dies ist, was wiederum induktiv aus 3.1.4 folgt, es gibt jaeine offensichtliche kurze exakte Sequenz

0 −→ R −→ Rd+1 −→ Rd −→ 0.

©

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56 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Satz 3.1.6 Hilberts2 Basissatz

Es sei R ein kommutativer noetherscher Ring. Dann ist auch der PolynomringR[X] noethersch.

Beweis. Es sei I ⊆ R[X] ein Ideal. Wir mussen zeigen, dass es endlich erzeugtist.

Fur n ∈ N0 definieren wir

Cn := {r ∈ R | ∃f ∈ I : f = rXn +n−1∑i=0

aiXi, ai ∈ R}.

Insbesondere ist Cn = {0}, wenn es kein Polynom vom Grad n in I gibt.

Die Multiplikation mit X fuhrt I in sich uber. Dies zeigt, dass

Cn ⊆ Cn+1.

Außerdem ist Cn fur jedes n ein Ideal in R .

Damit ist auch die (aufsteigende) Vereinigung C0 ∪ C1 ∪ C2 ∪ · · · =: C ein Idealin R. Da C als Ideal in R endlich erzeugt ist und diese endlich vielen Erzeugerschon in einem der Cn liegen mussen, gibt es ein N ∈ N, sodass gilt:

∀n ≥ 0 : CN = CN+1 = · · · = CN+n.

Wir wahlen ein großes K ∈ N , sodass fur 0 ≤ i ≤ N das Ideal Ci von Elementenαi,1, . . . , αi,K erzeugt wird. Weiter wahlen wir fur jedes solche i und 1 ≤ j ≤ Kein Polynom

fi,j ∈ I : fi,j = αi,jXi + niedrigere Terme.

Dann gilt: Die Menge {fi,j | 0 ≤ i ≤ N, 1 ≤ j ≤ K} ist ein Erzeugendensystemdes Ideals I .

Um das einzusehen machen wir vollstandige Induktion nach dem Grad von f ∈ I.Wenn f Grad ≤ 0 hat, dann ist es eine Konstante, liegt also in C0, das als R -Modul von den Elementen f0,j = α0,j, 1 ≤ j ≤ K, erzeugt wird.

Hat f Grad d > 0, so ist entweder d ≤ N, und f lasst sich durch Subtraktioneiner geeigneten R -Linearkombination der fd,j, 1 ≤ j ≤ K, zu einem Polynomkleineren Grades machen, das in I liegt und damit – nach Induktionsvorausset-zung – im R[X] -Modulerzeugnis der fi,j.

Oder f hat Grad d > N ; dann lasst sich f durch Subtraktion des Xd−N -facheneiner R -Linearkombination der fN,j, 1 ≤ j ≤ K, zu einem Polynom in I vonkleinerem Grad machen, und damit auch zu einer R[X] -Linearkombination derfi,j. ©

2David Hilbert, 1862-1943

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3.1. NOETHERSCHE RINGE UND MODULN 57

Folgerung 3.1.7 endlich erzeugte kommutative R -Algebren

Es sei R ein kommutativer noetherscher Ring und A eine (als Ring) endlicherzeugte kommutative R -Algebra. Dann ist auch A noethersch.

Beweis. Es sei{a1, . . . , ad} ⊆ A

ein Erzeugendensystem, das heißt

A = {∑

i1,...,id

ri1,...,idai11 · · · · · a

idd | ri1,...,id ∈ R, endliche Summe}.

Dann ist der Homomorphismus

Φ : R[X1, . . . Xd] −→ A, f(X1, . . . , Xd) 7→ f(a1, . . . ad),

ein surjektiver Ringhomomorphismus.

Da aber R noethersch ist, ist es (dank Hilbert) auch R[X1], und damit auchR[X1][X2] = R[X1, X2], und damit . . . auch R[X1, . . . Xd]. Wegen 3.1.2b) istauch A selbst noethersch. ©

Definition/Bemerkung 3.1.8 Kettenbedingung

Im Beweis von Hilberts Basissatz haben wir benutzt (und begrundet), dass ei-ne aufsteigende Kette von Idealen in einem noetherschen Ring stationar wird.Genauer:

a) Es sei R ein Ring und M ein R -Modul. Weiter sei

U1 ⊆ U2 ⊆ U3 ⊆ . . .

eine aufsteigende Folge von Untermoduln. Dann sagt man, diese Folge werdestationar, wenn es ein N ∈ N gibt mit:

∀k ≥ N : Uk = UN .

Der Modul erfullt die aufsteigende Kettenbedingung, wenn jede aufsteigende Folgevon Untermoduln stationar wird.

b) Analog gibt es die absteigende Kettenbedingung, die besagt, dass jede abstei-gende Folge von Untermoduln stationar wird.

c) Diese zwei Bedingungen lassen sich direkt auf beliebige geordnete Mengenubertragen. Statt zu sagen, sie erfullten die aufsteigende Kettenbedingung, sagtman auch: sie sind noethersch. Statt zu sagen, sie erfullten die absteigende Ket-tenbedingung, sagt man auch: sie sind artinsch3.

3 Emil Artin ist uns jetzt schon oft begegnet. Er war ein Schuler von Emmy Noether.

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58 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Eine geordnete Menge ist genau dann noethersch, wenn jede nichtleere Teilmengeein maximales Element enthalt.

Denn: Es sei (M,≤) noethersch und S ⊆ M nichtleer. Nehmen wir an, es gebein S kein maximales Element. Es sei s1 ∈ S irgendein Element. Wenn sukzessives1 < s2 < s3 < · · · < sn ∈ S gewahlt sind, dann ist auch sn in S nicht maximal,und es gibt ein sn+1 > sn. Auf diese Art konstruiert man eine unendliche, echtaufsteigende Kette in M , die es aber nach Voraussetzung nicht gibt. Also musses ein maximales Element in S geben.

Wenn umgekehrt jede nichtleere Menge in M ein maximales Element besitzt undm1 ≤ m2 ≤ . . . eine aufsteigende Folge ist, dann besitzt auch

S := {mi | i ∈ N}

ein maximales Element. Das muss aber schon ein mk sein (fur geeignetes k ∈ N ),und es folgt mk = mk+1 = mk+2 . . . Die Folge wird also stationar.

Analog ist eine geordnete Menge genau dann artinsch, wenn jede nichtleere Teil-menge ein minimales Element enthalt.

d) Insbesondere haben wir in a) eine neue Definition fur noethersche Moduln undRinge. Das ist aber nicht problematisch, denn die neue und die alte Definitionstimmen uberein, wie uns der folgende Hilfssatz lehrt.

Hilfssatz 3.1.9 noethersch ist noethersch

Es sei R ein Ring und M ein Links-R -Modul. Dann ist M genau dann links-noethersch, wenn M die aufsteigende Kettenbedingung fur Links-R -Untermodulnerfullt.

Beweis. Wenn M linksnoethersch ist und

U1 ⊆ U2 ⊆ U3 ⊆ . . .

eine aufsteigende Folge von Links-R -Untermoduln, dann ist die Vereinigung

U :=⋃i∈N

Ui

auch ein Links-R -Untermodul von M , also endlich erzeugt. Wenn S ⊆ U einendliches Erzeugendensystem ist, dann gibt es ein N ∈ N, sodass bereits S ⊆ UN

gilt. Dann ist aber UN = U und damit fur alle K ≥ N offensichtlich UN = UK .

Wenn umgekehrt M nicht noethersch ist, dann wahlen wir einen UntermodulU ⊆M , der nicht endlich erzeugt ist.

Mit seiner Hilfe konstruieren wir eine aufsteigende, nicht stationar werdende Folgevon (endlich erzeugten) Links-R -Untermoduln.

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3.2. BILINEARES 59

Wir wahlen ein u1 ∈ U und setzen U1 := R ·u1. Wenn Ui bereits definiert ist, soist es ungleich U, da Ui endlich erzeugt ist. Wir wahlen ein ui+1 ∈ U r Ui unddefinieren Ui+1 als den kleinsten Untermodul, der Ui und ui+1 enthalt. Dieserwird von {u1, . . . , ui+1} erzeugt und ist ungleich Ui. Die Folge

U1 ⊂ U2 ⊂ U3 . . .

lehrt, dass die aufsteigende Kettenbedingung in M verletzt ist. ©

Bemerkung 3.1.10 doch nicht alles noethersch!

Es gibt tatsachlich Ringe, die nicht noethersch sind. Wenn zum Beispiel K einKorper ist und X1, X2, . . . unendlich viele Unbestimmte uber K sind, so gibt esden Polynomring

K[X1, X2, . . . ].

Dieser ist nicht noethersch, denn wenn wir fur n ∈ N das Ideal In definieren alsdas von X1, . . . , Xn erzeugte, so ist Xn+1 nicht in In und damit

I1 ⊂ I2 ⊂ I3 ⊂ . . .

eine aufsteigende Folge von Iealen, die die aufsteigende Kettenbedingung verletzt.

3.2 Bilineares

In diesem Abschnitt sei R immer ein kommutativer Ring. Wir werden verschie-dene Grunde kennenlernen, bilineare Abbildungen zu untersuchen.

Definition/Bemerkung 3.2.1 Bilineare Abbildung

a) Es seien U, V,W drei R -Moduln. Eine bilineare Abbildung

β : U × V −→ W

ist (wie in der LA) dadurch definiert, dass fur alle r, s ∈ R, u1, u2 ∈ U, v1, v2 ∈ Vgilt:

β(ru1 + u2, sv1 + v2) = rsβ(u1, v1) + rβ(u1, v2) + sβ(u2, v1) + β(u2, v2).

b) An Beispielen kennen wir die aus der Linearen Algebra. In der Definition desBegriffs Algebra haben wir schon die Bilinearitat der Multiplikation in einer R -Algebra hingeschrieben. Fur einen R -Modul M und fur N := HomR−Mod(M,R)ist die Abbildung

〈·, ·〉 : N ×M −→ R, 〈Φ,m〉 := Φ(m),

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60 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

eine Bilinearform (das heißt: bilinear mit Werten im Grundring).

c) Wenn K ein Korper und A eine endlichdimensionale K -Algebra sind, dannist die Abbildung

A× A −→ K, (a, b) 7→ SpurA(a · b)

eine symmetrische Bilinearform auf A.

Dabei ist mit”Spur“ die Spur der Multiplikation mit dem Argument auf A ge-

meint.

Definition/Bemerkung 3.2.2 Tensorprodukt kategoriell

Wir bezeichnen mit Bil(M ×N, V ) die Menge aller bilinearen Abbildungen vonM ×N nach V.

Fur festes M,N ist dann durch B(V ) := Bil(M × N, V ) jedem R -Modul Veine Menge zugeordnet. Fur einen R -Modulhomomorphismus Φ : V −→ Wdefinieren wir die Abbildung B(Φ) : B(V )→ B(W ) durch

∀β ∈ B(V ) : B(Φ)(β) := Φ ◦ β.

Gesucht ist nun nach einem universellen Element fur diesen”Funktor“, das heißt

nach einem R -Modul T und einer bilinearen Abbildung

⊗ : M ×N −→ T, (m,n) 7→ m⊗ n ∈ T,

sodass fur jede bilineare Abbildung β : M ×N −→ V ein eindeutig bestimmterR -Modulhomomorphismus Φ : T −→ V existiert, fur den

β = Φ ◦ ⊗

gilt. Existenz und Eindeutigkeit von solch einem Φ nennt man die universelleAbbildungseigenschaft von ⊗.Wenn es so einen Modul T gibt, dann heißt er ein Tensorprodukt von M und N(uber dem Ring R ). Dieses Tensorprodukt ist dann bis auf einen Isomorphismuseindeutig bestimmt, und man schreibt dafur T =: M ⊗N. Genauer musste maneigentlich sogar M ⊗R N schreiben, was ich bisweilen tun werde.

Konstruktion 3.2.3 Es gibt ein Tensorprodukt

Wir werden nun ein Tensorprodukt fur zwei R -Moduln M und N konstruieren.Dazu sei erst einmal F der freie R -Modul mit Basis M × N, wir schreibenElemente von F als formale endliche Linearkombinationen

F = {∑(m,n)

a(m,n) · δ(m,n) | a(m,n) ∈ R, endliche Summe}.

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3.2. BILINEARES 61

Zwei solche formalen Linearkombinationen stimmen genau dann uberein, wenndie Koeffizienten a(m,n) fur alle (m,n) ∈M ×N ubereinstimmen. Addition undskalare Multiplikation werden komponentenweise vorgenommen.

Die AbbildungM ×N 3 (m,n) 7→ δ(m,n) ∈ F

ist naturlich nicht bilinear. Um sie bilinear zu machen, mussen wir in F geeigneteRelationen fordern. Dazu betrachten wir den Untermodul B von F, der von denAusdrucken

δ(rm1+m2,sn1+n2) − rsδ(m1,n1) − rδ(m1,n2) − sδ(m2,n2) − δ(m2,n2)

mit r, s ∈ R,m1,m2 ∈M,n1, n2 ∈ N erzeugt wird. Wir setzen

T := F/B, π : F −→ F/B die kanonische Projektion.

Dann ist⊗ : M ×N −→ T, (m,n) 7→ π(δ(m,n)),

eine bilineare Abbildung.

Wir mussen noch zeigen, dass T die universelle Abbildungseigenschaft hat. Dazuseien V ein R -Modul und β : M × N −→ V irgendeine bilineare Abbildung.Dazu gibt es einen Modulhomomorphismus

Φ : F −→ V,∑(m,n)

a(m,n) · δ(m,n) 7→∑(m,n)

a(m,n) · β(m,n).

Da β bilinear ist, liegt B im Kern von Φ, also faktorisiert Φ uber T = F/B.Wir erhalten damit einen eindeutig bestimmten Modulhomomorphismus

Φ : T −→ V, sodass Φ = Φ ◦ π.

Aber Φ ist nun gerade so gemacht, dass

β = Φ ◦ ⊗

gilt. Da die Werte der Abbildung Φ auf den Erzeugern m ⊗ n von T durchdie gewunschte Beziehung zu β vorgeschrieben sind, gibt es auch nicht mehr alsdiese eine Abbildung Φ mit der gewunschten Eigenschaft. ©

Beispiel 3.2.4 fur Tensorprodukte

a) Fur jeden R -Modul M gilt R⊗R M ∼= M.

b) Wenn M von {mi | i ∈ I} und N von {nj | j ∈ J} erzeugt werden,dann wird M ⊗R N von der Menge {mi ⊗ nj | i ∈ I, j ∈ J} erzeugt. Denn

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62 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

M = {∑

i∈I aimi | ai ∈ R, endliche Summe}, und N = {∑

j∈J bjnj | bj ∈R, endliche Summe}, und es gilt

m =∑i∈I

aimi, n =∑j∈J

bjnj ⇒ m⊗ n =∑

(i,j)∈I×J

aibj(mi ⊗ nj).

Aber diese”Elementartensoren“ erzeugen M ⊗N nach Konstruktion.

c) Wenn Φ : M −→ P und Ψ : N −→ Q zwei R -Modulhomomorphismen sind,dann ist die Abbildung

β : M ×N −→ P ⊗Q, (m,n) 7→ Φ(m)⊗Ψ(n),

bilinear. Sie induziert also einen Homomorphismus

Φ⊗Ψ : M ⊗N −→ P ⊗Q,m⊗ n 7→ Φ(m)⊗Ψ(n).

d) Wenn U ein Untermodul von M ist und ι die Einbettung von U nach M ,dann ist fur jeden R -Modul N

(M/U)⊗N ' (M ⊗N)/(ι⊗ IdN)(U ⊗N).

Wieso? Ubung!

Bemerkung 3.2.5 Ringwechsel – Ein Hochzeitsmarchen

Aus der linearen Algebra sieht man vielleicht ein, dass es manchmal sinnvoll ist,Aussagen uber rationale Matrizen zu begrunden, indem man sie als reelle Ma-trizen auffasst, oder gar als komplexe. Dabei macht man implizit den rationalenStandardvektorraum zu einer Teilmenge des reellen Standardvektorraums (oderdes komplexen). Wie man das ohne Basiswahl machen kann, lernt man durch dieallgemeine Konstruktion des Ringwechsels (Skalarerweiterung).

Dazu seien R ein kommutativer Ring, M ein R -Modul und A eine R -Algebra.Dann ist A⊗M erst einmal ein R -Modul.

Fur jedes a ∈ A ist die Abbildung

µa : A×M −→ A⊗M, (t,m) 7→ at⊗m,

bilinear. Also gibt es eine eindeutig bestimmte R -lineare Abbildung

µa : A⊗M −→ A⊗M,∑

ai ⊗mi 7→∑

(aai)⊗mi.

Wir erhalten also insgesamt eine Abbildung

µ : A× (A⊗M) −→ A⊗M,

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3.2. BILINEARES 63

und man rechnet leicht nach, dass diese Abbildung aus A ⊗M einen A -Modulmacht.

Wenn Φ : M −→ N eine R -lineare Abbildung ist, dann ist die Abbildung

Φ : A×M −→ A⊗N, Φ(a,m) := a⊗ Φ(m),

bilinear, definiert also einen Modulhomomorphismus

IdA ⊗ Φ : A⊗M −→ A⊗N.

Durch M MA := A⊗M und Φ IdA ⊗ Φ) wird ein”kovarianter Funktor“

von der Kategorie der R -Moduln in die Kategorie der A -Moduln definiert.

Man nennt diesen Vorgang die Skalarerweiterung (oder Ringerweiterung) von Rnach A.

Bemerkung 3.2.6 Algebren unter sich

Wenn A und B zwei R -Algebren sind, dann ergibt sich analog zu dem ebenGesehenen, dass fur feste a ∈ A, b ∈ B die Abbildung

νa,b : A×B −→ A⊗B, (x, y) 7→ ax⊗ by,

bilinear ist, also eine Abbildung νa,b von A⊗B in sich selbst induziert. Fur festest ∈ A⊗B ist aber auch

νt : A×B −→ A⊗B, (a, b) 7→ νa,b(t),

bilinear und definiert damit eine Abbildung νt von A⊗B nach A⊗B.Schließlich erhalten wir eine Abbildung

ν : (A⊗B)× (A⊗B) −→ A⊗B, (s, t) 7→ s · t := νt(s),

und man sieht, dass A⊗B damit eine R -Algebra ist.

Hilfssatz 3.2.7 Assoziativitat des Tensorprodukts

Es seien L,M,N drei R -Moduln. Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Iso-morphismus von R -Moduln

Φ : (L⊗M)⊗N −→ L⊗ (M ⊗N),

der fur alle l ∈ L,m ∈M,n ∈ N die Vorgabe

Φ((l ⊗m)⊗ n) = l ⊗ (m⊗ n)

erfullt.

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64 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Beweis. Fur festes n ∈ N ist die Abbildung

ψn : L×M −→ L⊗ (M ⊗N), ψn(l,m) := l ⊗ (m⊗ n),

bilinear. Also gibt es einen eindeutig bestimmten Modulhomomorphismus

Ψn : L⊗M −→ L⊗ (M ⊗N) mit Ψn(l ⊗m) = l ⊗ (m⊗ n).

Die Abbildung

ψ : (L⊗M)×N −→ L⊗ (M ⊗N), ψ(x, n) := Ψn(x),

ist bilinear, und deshalb gibt es einen eindeutig bestimmten R -Modulhomomor-phismus

Φ : (L⊗M)⊗N −→ L⊗ (M ⊗N) mit Φ((l ⊗m)⊗ n) = l ⊗ (m⊗ n).

Es ist klar, dass man analog einen Homomorphismus

Φ : L⊗ (M ⊗N) −→ (L⊗M)⊗N mit Φ(l ⊗ (m⊗ n)) = (l ⊗m)⊗ n

erhalt, und dass Φ und Φ zueinander invers sind.

Die Eindeutigkeit von Φ folgt daraus, dass (L ⊗M) ⊗ N von den Elementen(l ⊗m)⊗ n erzeugt wird. ©

Konstruktion 3.2.8 die Tensoralgebra

a) Fur einen R -Modul M definieren wir rekursiv M⊗n durch

M⊗0 := R,M⊗n+1 := M ⊗M⊗n.

Wir bilden die direkte Summe dieser R -Moduln:

T (M) :=∞⊕

n=0

M⊗n.

Ein typisches Element dieser Menge ist eine endliche Summe von Ausdrucken derGestalt r · (m1 ⊗m2 ⊗ · · · ⊗mn) mit r ∈ R und m1, . . . ,mn ∈M. Ahnlich wiein 3.2.7 zeigt man, dass die Abbildung

M⊗k ×M⊗l 3 (x, y) 7→ x⊗ y ∈M⊗(k+l)

fur alle k, l ∈ N0 wohldefiniert ist. Durch bilineare Fortsetzung erhalten wir eineAbbildung

T (M)× T (M) −→ T (M).

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3.2. BILINEARES 65

Diese Abbildung verwenden wir als Multiplikation auf T (M), das dadurch zueiner R -Algebra wird, der Tensoralgebra von M uber R . Die Assoziativitaterhalten wir wieder aus 3.2.7.

Wenn A irgendeine R -Algebra ist und ϕ : M −→ A eine R -lineare Abbil-dung, dann setzt sich diese auf eindeutig bestimmte Art zu einem R -AlgebrenHomomorphismus Φ : T (M) −→ A fort. Dies liefert eine Bijektion

ηM,A : HomR−Mod(M,A) −→ HomR−Alg(T (M), A),

denn T (M) wird als Algebra ja von M erzeugt.

b) Beispiel: Es sei M ein freier R -Modul vom Rang 1, das heißt: M hat eineBasis aus einem Element: {b}.Dann ist M⊗n = R · b⊗n auch jeweils frei, und die Definition des Produkts inT (M) =

⊕R · b⊗n ist gegeben durch∑

i

rib⊗i ·∑

j

sjb⊗j =

∑k

(∑

0≤i≤k

risk−i)b⊗k.

Wir erhalten ein neues Modell des Polynomrings in einer Variablen.

Wenn wir einen freien Modul von hoherem Rang verwenden, dann bekommen wireinen nichtkommutativen Ring, und nicht direkt den Polynomring in mehrerenVariablen. Wenn {b1, . . . , bn} =: B eine Basis von M ist, dann ist T (M) iso-morph zu Monoidring (siehe EAZ, 2.3.1) uber dem freien Monoid uber {b1, . . . , bn}(siehe EAZ, 1.4.6/1.4.7): Beide Algebren erfullen dieselbe universelle Abbildungs-eigenschaft.

Ahnlich wie der Polynomring fur kommutative Ringe lasst sich diese Tensoralge-bra benutzen, um beliebige (nicht nur endlich erzeugte) R -Algebren durch Quo-tientenbildung zu erhalten. Allerdings ist diese Tensoralgebra manchmals nichtsehr

”benutzerfreundlich“.

Beispiel 3.2.9 Clifford-Algebren und noch eine

a) Es seien K ein Korper mit Charakteristik 6= 2, V ein endlichdimensiona-ler Vektorraum und q eine quadratische Form auf V. Das heißt: Es gibt einesymmetrische Bilinearform β auf V mit q(v) = β(v, v) fur alle v ∈ V .

Weiter sei A eine K -Algebra und Φ : V −→ A eine K -lineare Abbildung,sodass fur alle v ∈ V gilt:

Φ(v)2 = β(v) · 1A.

Schließlich sei C(q) die K -Algebra, die sich ergibt, indem aus der TensoralgebraT (V ) das zweiseitige Ideal I herausgeteilt wird, das von den Ausdrucken v⊗v−

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66 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

q(v) erzeugt wird. Die offensichtliche Abbildung V 3 v 7→ v + I ∈ C(q) erfulltdann auch die Bedingung

(v + I)2 = q(v) · 1C(q).

Φ induziert einen Algebrenhomomorphismus T (V ) −→ A , und wegen der Be-dingung an Φ ist I im Kern von diesem Algebrenhomomorphismus enthalten.Also erhalten wir einen Algebrenhomomorphismus Ψ : C(q) −→ A, sodass furalle v ∈ V gilt:

Φ(v) = Ψ(v + I).

Die Algebra C(q) zusammen mit der Abbildung v 7→ v + I erfullt also eineuniverselle Eigenschaft. Sie heißt die Cliffordalgebra4 zur quadratischen Form q.

Wenn etwa V = K ist, d ∈ K und q(v) = dv2, dann ist C(V ) = K[X]/(X2−d),das sieht man direkt an der Konstruktion.

Wenn V = K2 gilt und die quadratische Form q durch q(v, w) := av2 + bw2

gegeben ist, dann gilt fur die Standardbasis I := e1, J := e2 in C(q) :

I2 = a, J2 = b, (I + J)2 = a+ b.

Dies impliziert IJ = −JI, und fur dieses Element gilt

(IJ)2 = IJIJ = −(IIJJ) = −ab.

Da C(q) als Algebra von I und J erzeugt wird, und da sich jedes Wort in Iund J modulo der Relationen in C(q) auf eine Wort der Lange ≤ 2 reduzierenlasst, hat C(q) als K -Basis die Elemente 1, I, J, IJ. C(q) ist die zu a und bgehorige Quaternionenalgebra.

Jetzt konnen wir Quaternionenalgebren etwas flexibler definieren: eine Quater-nionenalgebra ist die Cliffordalgebra zu einer nicht ausgearteten quadratischenForm auf einem zweidimensionalen Vektorraum. Die Theorie der quadratischenFormen sagt (mittels eines leicht modifizierten E. Schmidt-Verfahrens), dass jedenicht ausgeartete quadratische Form zu einer

”Diagonalform“ aquivalent ist. Eine

feinere Klassifikation ist im Allgemeinen schwierig; fur viele interessante Korperkennt man das aber gut.

b) Nun sei M = Z2 und T (M) die Tensoralgebra davon. Sie wird frei erzeugtvon einer Basis {x, y} von M. Wir betrachten in T (M) das zweiseitige Ideal I ,das von {xy, yy} erzeugt wird. Dann ist der (nicht-kommutative!) Ring

T (M)/I ∼= Z[x]⊕ yZ[x].

Mit Multiplikation von rechts wird ist das ein endlich erzeugter Z[x] -Modul.

4William Kingdon Clifford, 1845-1879

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3.3. ORDNUNG UND GANZHEIT 67

Wenn J ein Rechtsideal hierin ist, dann ist es insbesondere auch ein Rechts-Z[x] -Untermodul, und damit als solcher endlich erzeugt, weil Z[x] noethersch ist. Alsoist T (M)/I rechtsnoethersch.

Hingegen ist die Kette

Zy ⊆ Zy ⊕ Zyx ⊆ Zy ⊕ Zyx⊕ Zyx2 ⊆ . . .

eine aufsteigende Folge von T (M)/I -Linksidealen, die nicht stationar wird. Alsoist T (M)/I nicht linksnoethersch.

3.3 Ordnung und Ganzheit

Ausgehend von Ordnungen in endlichdimensionalen Q -Algebren wollen wir diealgebraische Theorie der Ganzheit entwickeln. Dies liefert einen ersten Einblickin eine wichtige Begriffsbildung der algebraischen Zahlentheorie und der algebrai-schen Geometrie.

Definition 3.3.1 Ordnung

Es sei A eine endlichdimensionale Q -Algebra. Eine Ordnung in A ist ein TeilringO ⊆ A, der als Z -Modul endlich erzeugt ist und der eine Q -Basis von A enthalt.

Bemerkung 3.3.2 Matrizen und so weiter

a) Im Matrizenring Qd×d gibt es mindestens eine Ordnung, namlich Zd×d .

Da jede d -dimensionale Algebra A sich auffassen lasst als Teilalgebra von Qd×d,findet sich auch in A eine Ordnung, namlich

O := A ∩ Zd×d.

Es gibt also in jeder endlichdimensionalen Q -Algebra mindestens eine Ordnung.

b) Eine Ordnung O in einer Q -Algebra ist immer eine Untergruppe des Vektor-raums A , also torsionsfrei. Da O auch endlich erzeugt ist, greift der Struktursatzfur endlich erzeugte abelsche Gruppen (EAZ, 3.4.12): O ist eine freie abelscheGruppe.

Da O eine Basis von A enthalt, ist der Rang mindestens so groß wie die Di-mension d von A. Umgekehrt sind mehr als d Element aus A immer Q -linearabhangig, und diese Abhangigkeit lasst sich ganz machen durch Multiplikationmit einem gemeinsamen Nenner der Koeffizienten. Also ist der Rang von O genaugleich d und es gibt eine Basis {b1, . . . , bd} von A, sodass gilt:

O = Zb1 ⊕ · · · ⊕ Zbd.

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68 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Da dies ein Ring sein soll, muss das Produkt zweier Basisvektoren eine ganzzahligeLinearkombination von Basisvektoren sein:

∀i, j : ∃cijk ∈ Z : bi · bj =d∑

k=1

cijkbk.

c) Nun sei x ∈ O fur eine Ordnung O der d -dimensionalen Q -Algebra A.Beschreibt man die Multiplikation mit x bezuglich einer Basis der Ordnung,so erhalt man eine ganzzahlige Abbildungsmatrix. Dann sagen Hamilton5 undCayley6 unisono, dass x als Nullstelle des charakteristischen Polynoms dieserMatrix ein normiertes ganzzahliges Polynom als annullierendes Polynom hat.

Diese Eigenschaft werden wir in Kurze Ganzheit nennen.

d) Die einzige Ordnung in Q ist Z. Denn eine Ordnung muss ja die 1 enthalten,also sicherlich Z umfassen; und wenn ein echter Bruch p/q in der Ordnung liegt,dann auch alle Potenzen davon, aber deren Nenner waren dann unbeschrankt,und damit ware die Ordnung nicht endlich erzeugt als Z -Modul.

Alternativ: Wenn q ∈ Q eine Nullstelle eines normierten ganzzahligen Polynomsf ist, dann ist q selbst ganz.

e) Nun seien ζ ∈ C eine primitive n -te Einheitswurzel und K = Q(ζ) derzugehorige Kreisteilungskorper. Da ζ eine Nullstelle von Xn− 1 ist, ist Z[ζ] alsabelsche Gruppe von 1, ζ, . . . , ζn−1 erzeugt, worin eine Basis von K liegt. Daherist Z[ζ] eine Ordnung in K. Jede Ordnung von K ist darin enthalten, aber daszu zeigen ist etwas aufwendiger.

f) R⊗QA ist eine endlichdimensionale R -Algebra. Insbesondere ist das ein end-lichdimensionaler reeller Vektorraum, und darauf kann man Normen betrachten.All diese Normen induzieren dieselbe Topologie auf R⊗QA, und bezuglich dieserTopologie ist {1⊗ z | z ∈ O} eine diskrete Untergruppe von R⊗Q A. Auf dieseArt lassen sich geometrische Argumente ins Rechnen mit Algebren einbeziehen.Das ist der Ursprung der

”Geometrie der Zahlen“, die etwa in der algebraischen

Zahlentheorie Anwendung findet im Rahmen der Minkowski-Theorie.

Definition 3.3.3 Diskriminante, Maximalordnung

a) Auf jeder endlichdimensionalen Q -Algebra A gibt es die Spurform

A× A 3 (a, b) 7→ Spur(ab).

Diese Bilinearform ist symmetrisch. Wenn O ⊆ A eine Ordnung ist, so wahlen wireine Basis {b1, . . . , bn} von O, und betrachten die zugehorige Fundamentalmatrixder Spurform:

F := (Spur(bibj))1≤i,j.

5William Hamilton, 1788-18566Arthur Cayley, 1821-1895

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3.3. ORDNUNG UND GANZHEIT 69

Dies ist eine ganzzahlige Matrix, denn die Multiplikation mit bibj beschreibt sichdurch eine ganzzahlige Matrix bezuglich der gewahlten Basis. Die Determinantevon F heißt die Diskriminante von O. Sie ist wohldefiniert, da eine andereBasis von O aus der gewahlten durch eine ganzzahlige Basiswechselmatrix mitDeterminante ±1 hervorgeht.

Die Spurform heißt nicht ausgeartet, wenn die Diskriminante nicht 0 ist. Hierbeikonnte man auch die Fundamentalmatrix der Spurform bezuglich einer beliebigenanderen Basis nehmen. Aquivalent dazu ist auch, dass es zu jedem a ∈ A \ {0}ein b ∈ A gibt mit Spur(ab) 6= 0.

b) Eine Ordnung O von A heißt eine Maximalordnung von A , wenn sie in keinergroßeren Ordnung enthalten ist.

Beispiel 3.3.4 Matrizenring

Es sei A der Ring der rationalen d× d -Matrizen. Darin betrachten wir die Ord-nung O , die aus den ganzzahligen Matrizen besteht. Sie hat als Basis die MengeB der Elementarmatrizen Eij, 1 ≤ i, j ≤ d. Was ist hiervon die Diskriminante?

Fur zwei Elementarmatrizen Ei,j und Ek,l gilt:

Ei,j · Ek,l =

{Ei,l falls j = k,

0 sonst.

Die Spur von Ei,l (auf A ) wiederum ist d, wenn i = l ist, und sonst 0. Denn:Wenn i 6= l gilt, dann ist E2

i,l = 0, also die Multiplikation mit Ei,l nilpotent,und ansonsten ist die Multiplikation mit Ei,i eine Projektion auf den Raum allerMatrizen, die außerhalb der i -ten Zeile 0 sind.

Damit ist die Fundamentalmatrix der Spurform bezuglich B gegeben durch d ·P,wobei P die Matrix ist, die die Transposition als lineare Abbildung von A nachA beschreibt.

P ist diagonalisierbar, und die Eigenwerte sind 1 und −1. Die zugehorigen Ei-genraume sind die Raume der symmetrischen bzw. antisymmetrischen Matrizenund haben Dimension d(d+ 1)/2 bzw. d(d− 1)/2.

Das zeigt, dass die Diskriminante von O die Zahl

(−1)d(d−1)/2 · dd2

ist.

Hilfssatz 3.3.5 manchmals gibt es eine Maximalordnung

Es seien A eine endlichdimensionale Q -Ordnung, deren Spurform nicht ausge-artet ist, und O eine Ordnung in A . Dann ist O in einer Maximalordnung vonA enthalten.

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70 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Beweis. Wenn O noch nicht maximal ist, dann ist es enthalten in einer großerenOrdnung O, und hat darin endlichen Index m . Dann gilt fur die DiskriminantenD und D dieser Ordnungen:

D = D/m2,

denn aus einer Basis von O macht man eine Basis von O durch eine ganzzahligeBasiswechselmatrix mit Determinante ±m. (Hier darf man entweder geometrischargumentieren: Determinanten sind Volumina und Indizes irgendwie auch; oderalgebraisch: uber den Elementarteilersatz.)

Da aber alle Zahlen ganz und nicht Null sind (hier brauche ich, dass die Spurformnicht ausgeartet ist), kann man O nur endlich oft vergroßern und gelangt aufdiese Art schließlich zu einer Maximalordnung. ©

Beispiel 3.3.6 Maximalforderung

a) Wenn die Diskriminante einer Ordnung quadratfrei ist, dann ist die Ordnungmaximal, wie man am Beweis von 3.3.5 sieht.

b) Der Matrizenring Qd×d besitzt eine Maximalordnung. Zum Beispiel ist Zd×d

eine Maximalordnung. Wenn namlich O eine Maximalordnung ist, die die ganz-zahligen Matrizen umfasst, und wenn die Matrix M = (aij) ∈ O nicht ganzzahligware, dann kann man durch Multiplikation mit Permutationsmatrizen (die ganz-zahlig sind) erzwingen, dass zum Beispiel a11 nicht ganzzahlig ist. Dann ist aber

auch E11 · M · E11 = a11E11 ∈ O. Diese Matrix hat aber kein ganzzahligescharakteristisches Polynom, und ist damit nicht in einer Ordnung enthalten.

Fur jede invertierbare Matrix M ist MZd×dM−1 ebenfalls eine Maximalordnungin Qd×d, Maximalordnungen sind also meistens nicht eindeutig bestimmt.

c) Wenn K eine endliche Korpererweiterung von Q ist, dann ist die Spurformnicht ausgeartet: es gibt zu x ∈ K \ {0} ein y ∈ K, sodass xy von 0 verschie-dene Spur hat, zum Beispiel y = x−1. Daher gibt es in K eine Maximalord-nung. Wir werden spater sehen, dass diese eindeutig bestimmt ist. Sie heißt derGanzheitsring von K und spielt eine ubergeordnete Rolle in der algebraischenZahlentheorie.

d) Die Algebra A := {(

a b0 a

)| a, b ∈ Q} enthalt fur jedes q ∈ Q die Ordnung

Oq := {(a bq

0 a

)| a, b ∈ Z}.

Jede Ordnung von A ist in einer solchen enthalten. Daher besitzt A keineMaximalordnung. Tatsachlich ist die Spurform ausgeartet. Bezuglich der BasisB := {

(1 00 1

),(

0 10 0

)} ist ihre Fundamentalmatrix

F =

(2 0

0 0

).

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3.3. ORDNUNG UND GANZHEIT 71

Definition 3.3.7 Ganzheit

Es seien R ein kommutativer Ring und S eine R -Algebra.

a) Ein Element s ∈ S heißt ganz uber R , falls ein normiertes Polynom f ∈ R[X]existiert mit f(s) = 0.

b) Wenn S kommutativ ist, so heißt die Menge aller uber R ganzen Elementein S der ganze Abschluss von R in S.

c) Wenn R nullteilerfrei ist und S der Quotientenkorper von R , so heißt R ganzabgeschlossen, wenn der ganze Abschluss von R in S gleich R ist. BeispielsweiseHauptidealringe sind ganz abgeschlossen.

Algebraische Geometer reden hier eher von normalen Ringen, meinen aber auchganz abgeschlossene Ringe.

d) Eine Ringerweiterung R ⊆ S heißt ganz, wenn jedes Element von S ganzuber R ist.

Hilfssatz 3.3.8 Cayley-Hamilton

Es sei R ein beliebiger kommutativer Ring und M ∈ Rd×d eine quadratischeMatrix mit Eintragen in R . Weiter sei

F := det(XId −M)

das charakteristische Polynom.

Dann gilt F (M) = 0.

Beweis. Wir wissen, dass die Aussage fur nullteilerfreies R gilt, denn dann liegtR in seinem Quotientenkorper, und man kann das entsprechende Faktum aus derLinearen Algebra benutzen.

Nun sei R ein beliebiger kommutativer Ring. Weiter sei

S := Z[ti,j | 1 ≤ i, j ≤ d]

der Polynomring uber Z in d2 Unbekannten.

Die Vorschrift ti,j 7→ mi,j (der (i, j) -te Eintrag in M ) definiert per universellerAbbildungseigenschaft des Polynomrings einen Ringhomomorphismus ϕ : S → Rvermoge

ϕ(g(t1,1, . . . , td,d) := g(m1,1, . . . ,md,d).

Dieser liefert auch einen Ringhomomorphismus

ϕd×d : Sd×d → Rd×d, (gi,j) 7→ (ϕ(gi,j)).

Die Matrix T mit den Eintragen ti,j wird hierbei auf unsere alte Matrix Mabgebildet.

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72 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

Als nachstes liefert uns ϕ auch noch einen Ringhomomorphismus ϕ∗ : S[X] →R[X], ϕ∗(

∑giX

i) :=∑ϕ(gi)X

i.

Dieser bildet das charakteristische Polynom C von T auf das von M ab, dennbeide werden uber die Leibnizformel berechnet.

Es folgt insgesamt

F (M) = ϕ∗(C)(ϕd×d(T )) = ϕd×d(C(T )) = 0,

wobei wir am Ende ausnutzen, dass S nullteilerfrei ist. ©

Hilfssatz 3.3.9 Kriterium der Ganzheit

Es seien R ein kommutativer Ring und S eine R -Algebra. Dann sind fur s ∈ Saquivalent:

a) s ist ganz uber R.

b) Die Unteralgebra R[s] von S ist als R -Modul endlich erzeugt.

c) R[s] ist in einer Unteralgebra A von S enthalten, die als R -Modul endlicherzeugt ist.

Beweis:

a)⇒ b)

Es sei f(X) = Xd+∑d−1

i=0 riXi ein Polynom, wie es nach Voraussetzung existiert:

normiert mit f(s) = 0. Dann gilt:

R[s] = {d−1∑i=0

aisi | ai ∈ R}.

Die Inklusion ⊇ ist hierbei klar, die andere Inklusion folgt, da sd, sd+1, . . . sichinduktiv durch kleinere Potenzen von s ausdrucken lassen, die linker Hand ent-halten sind.

b)⇒ c) sollte klar sein.

c)⇒ a)

Es sei a1, . . . , ad ein endliches Erzeugendensystem des R -Moduls A. Die (R -lineare!) Multiplikation µ mit s (d.h. µ(x) = sx ) ist dann auf A gegeben durch

s · aj =d∑

i=0

mijaj, mij ∈ R.

Auf dem freien R -Modul Rd betrachten wir den Endomorphismus Φ, der durchMultiplikation mit der Matrix M := (mij) gegeben ist. Außerdem machen wir

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3.3. ORDNUNG UND GANZHEIT 73

A zu einem R[X] -Modul, indem wir X als Multiplikation mit s wirken lassen.Dann ist die Abbildung

π : Rd −→ A, (ri) 7→∑

i

riai

ein surjektiver Homomorphismus, und es gilt π◦Φ = µ◦π , da dies auf den jeweilsbetrachteten Erzeugern stimmt. Man sieht schnell ein, dass fur jedes PolynomF ∈ R[X] auch π ◦ F (Φ) = F (µ) ◦ π gilt.

Da das charakteristische Polynom F von M ausgewertet bei Φ die Nullabbil-dung ergibt, gilt F (µ) ◦ π = 0. Da π surjektiv ist, folgt F (µ) = 0, aber F (µ)ist die Multiplikation mit F (s), und daher ist

F (s) = F (µ)(1) = 0.

Daher ist s ganz uber R. ©

Folgerung 3.3.10 Der ganze Abschluss

Es seien R ein kommutativer Ring und S eine kommutative R -Algebra.

Dann ist der ganze Abschluss von R in S eine Teilalgebra von S.

Beweis. Es seien s, t ∈ S ganz uber R. Dann ist t auch ganz uber R[s], (andieser Stelle geht ein, dass S kommutativ ist). Also ist R[s, t] als R[s] -Modulendlich erzeugt, und damit auch als R -Modul, denn R[s] ist endlich erzeugterR -Modul. Damit liegen st und s + t in einem endlich erzeugten R -Modul, dereine Algebra ist, sind also ganz uber R. Das zeigt die Behauptung. ©

Folgerung 3.3.11 Der Ganzheitsring

Es sei K eine endliche Korpererweiterung von Q. Dann ist der ganze Abschlussvon Z in K die eindeutig bestimmte Maximalordnung O in K .

Beweis. Es seien R der ganze Abschluss von Z in K , und O eine Maximalord-nung. Dann ist O in R enthalten (wegen 3.3.2 c)). Jedes r ∈ R ist ganz uber Zund damit auch ganz uber O. Daher ist O[r] ein endlich erzeugter O -Modul und(da O endlich erzeugter Z -Modul ist) auch endlich erzeugter Z -Modul. Daherist O[r] eine Ordnung, folglich r ∈ O , da dies eine Maximalordnung ist.

Es folgt R = O. Daher kann es auch nur eine Maximalordnung geben. ©

Definition/Bemerkung 3.3.12 Quadratische Zahlkorper, Gauß-Lemma

Es sei Q ⊆ K eine endliche Korpererweiterung.

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74 KAPITEL 3. NOCH MEHR RINGTHEORIE

a) Ein Element s ∈ K ist genau dann ganz uber Z, wenn sein (wie immer:normiertes!) Minimalpolynom in Q[X] bereits ganzzahlige Koeffizienten hat.

Wenn dem so ist, ist s ganz, das ist klar.

Ist umgekehrt s ganz, so sei f ∈ Z[X] ein normiertes Polynom mit f(s) = 0.Dies ist ein Vielfaches des Minimalpolynoms m von s , also gibt es ein Polynomg ∈ Q[X], sodass f = m · g.Da f ganzzahlig mit Leitkoeffizient 1 ist, ist sein Inhalt 1. Das Gauß-Lemmasagt, dass das Produkt der Inhalte von m und g dann auch 1 ist. Es folgt

f =m

Inh(m)· gInh(g),

aber die beiden Faktoren rechter Hand sind ganzzahlige Polynome. Da ihr Pro-dukt normiert ist, sind sie beide (bis aufs Vorzeichen) normiert, das heißt aber,dass der Inhalt von m schon 1 ist, also liegt m in Z[X].

b) Es sei d ∈ Z eine quadratfreie Zahl und L = Q(√d). Dann ist naturlich

Z[√d] eine Ordnung in L, und ihre Diskriminante ist

det

(2 00 2d

)= 4d.

Da d als quadratfrei vorausgesetzt ist, kann es in der Maximalordnung hochstensIndex 2 haben (denn das Quadrat des Index teilt die Diskriminante!). Diese liegtalso in 1

2(Z[√d]).

Da 1/2 und√d/2 nicht ganzalgebraisch (d.h. ganz uber Z ) sind, ist Z[

√d]

genau dann die Maximalordnung, wenn√

d+12

nicht ganz ist. Dies ist genau dannder Fall, wenn d gerade oder ≡ 3 (mod 4) ist.

Im Fall d ≡ 1 (mod 4) ist die Maximalordnung eben Z[√

d+12

].

c) Der ganze Abschluss von Z in K heißt der Ganzheitsring von K und wirdmeistens mit OK notiert.

d) Die Kommutativitat von S ist in 3.3.10 nicht nur hilfreich sondern tatsachlichessentiell. Zum Beispiel sind die beiden folgenden Elemente der Z -Algebra Q2×2

zwar ganz, ihre Produkte aber nicht:(0 012

0

),

(0 10 0

).

Das Minimalpolynom des Produkts ist ja X(X− 12), und es gibt kein normiertes

ganzzahliges Vielfaches davon.

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Kapitel 4

Dedekindringe

4.1 Auf dem Weg zur Definition

Hilfssatz 4.1.1 Index

Es sei K eine endliche Korpererweiterung von Q und O eine Ordnung in K .

Dann hat jedes Ideal I 6= {0} von O in O endlichen Index, und jedes von Nullverschiedene Primideal ist maximal.

Beweis. Die Ordnung O ist ein endlich erzeugter freier Z -Modul, sein Rang istgleich dem Korpergrad von K uber Q.Es sei x ∈ I ein von Null verschiedenes Element. Die Determinante der Multipli-kation mit x auf K ist nicht 0, denn x ist invertierbar. Also hat xO denselbenRang wie O, und damit endlichen Index in O. Damit hat auch I, das zwischenxO und O liegt, endlichen Index in O.Ist I ein von Null verschiedenes Primideal, so ist O/I ein endlicher Integritats-bereich, also ein Korper, und damit I maximal. ©

Definition/Bemerkung 4.1.2 Norm

Wenn K ⊆ L eine Korpererweiterung ist, dann ist fur x ∈ L die Multiplikationmit x auf L ein K -Vektorraum-Homomorphismus. Die Determinante dieses Ho-momorphismus nennt man auch die Norm von x in der gegebenen Erweiterung:NL|K(x).

Im Zahlkorperfall gilt, dass die Norm (von L uber Q ) von x ∈ O betragsmaßiggleich dem Index von Ox in O ist. Das sieht man am Elementarteilersatz.

Man bezeichnet daher allgemeiner den Index eines Ideals 0 6= I ⊆ O auch als dieNorm N(I) dieses Ideals, oder noch genauer als die Absolutnorm.

75

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76 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Eine interessante Große des Ringes O ist seine Dedekindsche 1 Zetafunktion.Diese ist zunachst definiert fur s ∈ C, <(s) > 1, und zwar durch die Formel

ζ(O, s) :=∑

06=I≤O

N(I)−s,

wobei die Summe uber alle von 0 verschiedenen Ideale in O geht.

Es ist klar, dass es in O jeweils nur endliche viele Ideale von festem Index gebenkann. Fur K = Q ist ζZ(s) einfach die Riemannsche2 Zetafunktion. Dass diesefur <(s) > 1 lokal gleichmaßig konvergiert und dort holomorph ist, ist einfach zusehen, auch, dass sie einen Pol bei s = 1 haben muss. Sie lasst sich holomorphnach C r {1} fortsetzen, was schon deutlich schwieriger ist.

Man kann dies und andere Einsichten noch benutzen, um zu zeigen, dass dieDedekindsche Zetafunktion stets dieses Konvergenzverhalten hat.

In speziellen Werten der Dedekindschen Zetafunktion sind arithmetische Eigen-schaften von K codiert. Ihr Nullstellenverhalten gibt Aufschluss uber die Vertei-lung der Primideale in O , was am pragnantesten im Primzahlsatz dokumentiertwird: Aus der Tatsache, dass ζZ keine Nullstelle mit Realteil 1 hat, folgt fur dieFunktion π(x) = |{p ∈ P | p ≤ x}| die Aussage

limx→∞

π(x) ln(x)/x = 1.

Beispiel 4.1.3 Quadratisches

Es sei d ∈ Z kein Quadrat und K = Q(√d). Dann liegt in K die Ordnung

O := Z[√d]. Ist I ∈ O ein von Null verschiedenes Ideal, so gibt es darin ein

Element a + b√d, wobei a, b ∈ Z nicht beide Null sind. Dann liegt aber in I

auch das Element N := (a + b√d)(a − b

√d) = a2 − b2d 6= 0, und damit liegt

auch NO in I . Aber NO hat Index N2 in O, und damit ist der Index von Iin O ein Teiler von N2.

Bemerkung 4.1.4 Warnhinweis

Entgegen den ersten Reflexen sollte man sich einen Zahlkorper nicht von vorne-herein als einen Teilkorper von C vorstellen. Es ist vielmehr so, dass man ihnerst einmal als abstrakte Erweiterung von Q denken sollte, die sich auf mehrereArten in C oder andere Korper einbetten lasst. Es erweist sich oft als hilfreich,diese verschiedenen Einbettungen zu berucksichtigen.

Im Abschnitt uber Bewertungen werden wir dies noch flexibler gestalten.

1Richard Dedekind, 1831 - 19162Bernhard Riemann, 1826-1866

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4.2. DIE KLASSENGRUPPE 77

Definition 4.1.5 Dedekindring

Ein Dedekindring ist ein noetherscher Integritatsbereich, der in seinem Quotien-tenkorper ganz abgeschlossen ist und in dem jedes von Null verschiedene Prim-ideal maximal ist.

Bemerkung 4.1.6 Die Maximalordnung in einem Zahlkorper ist immer ein De-dekindring. Sie ist ja eine endlich erzeugte Algebra uber dem Hauptidealring Zund damit nach Hilberts Basissatz 3.1.6 noethersch. Die anderen Eigenschaftensind nach Definition und nach dem Hilfssatz 4.1.1 klar.

Wenn p eine Primzahl ist und K eine endliche Korpererweiterung von Fp(T ),dann ist der ganze Abschluss von Fp[T ] in K ein Dedekindring.

Dedekind hat Ganzheitsringe in Zahlkorpern systematisch untersucht und dabeieben die Eigenschaften ausgenutzt, die jetzt definierend fur seine Ringe sind.Noethersch konnte er anfangs ja kaum schreiben. . .

4.2 Die Klassengruppe

Ziel dieses Abschnitts ist es, den Fundamentalsatz der Arithmetik auf den Ganz-heitsring eines Zahlkorpers zu ubertragen. Da dies so nicht geht, betrachtet mananstelle der Zahlen die Ideale im Ganzheitsring, und weil das wieder allgemeinergeht, betrachtet man das Ganze fur Dedekindringe.

Es war ubrigens eine Idee von Kummer3, den Fundamentalsatz durch Einfuhrungidealer Zahlen zu retten, was dann nach und nach zum Konzept der Ideale gefuhrthat. Sein Interesse lag in erster Linie darin, den großen Satz von Fermat zu be-weisen, was mit seinen Methoden aber nur fur eine kleine Klasse von Primzahl-exponenten funktioniert, die vielleicht sogar endlich ist.

Definition 4.2.1 Produkt von (gebrochenen) Idealen

a) Es sei R ein kommutativer Ring. Das Produkt zweier Ideale I, J ≤ R ist danndefiniert als das kleinste Ideal von R , das alle Produkte ij, i ∈ I, j ∈ J, enthalt:

IJ := {i1j1 + · · ·+ injn | n ∈ N, ia ∈ I, ja ∈ J}.

Durch diese Verknupfung wird die Menge aller Ideale in R zu einer kommutativenHalbgruppe. Das neutrale Element ist das Ideal R selbst.

b) Wenn R nullteilerfrei ist, dann ist die Menge aller von Null verschiedenenIdeale eine Unterhalbgruppe der eben beschriebenen Halbgruppe.

3Ernst Eduard Kummer, 1810 - 1893

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78 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

c) Wenn R nullteilerfrei und noethersch mit Quotientenkorper K ist, dann nenntman einen von Null verschiedenen Untermodul I ⊆ K ein gebrochenes Ideal,wenn es ein r ∈ R gibt, sodass rI ⊆ R ein Ideal ist. Das sind genau die endlicherzeugten R -Untermoduln von K .

Auch die gebrochenen Ideale bilden eine kommutative Halbgruppe bezuglich derMultiplikation, die wieder durch die Formel aus a) gegeben ist.

d) In der Halbgruppe der gebrochenen Ideale gibt es mindestens eine richtige Un-tergruppe, namlich die der gebrochenen Hauptideale. Das sind die Untermodulnvon K , die von einem von 0 verschiedenen Element aus K erzeugt werden. Die-se Gruppe ist isomorph zu K×/R×. Man nennt sie die Gruppe der Hauptideale,oft und auch hier wird sie mit Prin(R) bezeichnet. Das ist eine Abkurzung furprincipal ideal.

Beispiel 4.2.2 Hauptidealringe

Wenn R in der eben genannten Situation ein Hauptidealring ist, dann entspre-chen die Ideale bijektiv den Assoziiertenklassen der Elemente von R und diesfunktioniert auch mit dem Produkt.

Da in einem Hauptidealring jedes Element 6= 0 zu einem Produkt irreduziblerElemente assoziiert ist, erzeugen die von Null verschiedenen Primideale die Halb-gruppe aller von Null verschiedenen Ideale bezuglich der Multiplikation.

In diesem Fall ist die Halbgruppe der gebrochenen Ideale sogar eine Gruppe,namlich K×/R×. Diese Gruppe ist frei abelsch mit der Menge aller Primideale alsErzeuger. Hierfur steht der Fundamentalsatz der Arithmetik (EAZ, Satz 3.2.10)gerade.

Kann man ein ahnliches Verhalten fur eine großere Klasse von Ringen finden?

Definition 4.2.3 Inverses

Es sei R ein noetherscher nullteilerfreier Ring mit Quotientenkorper K undI ⊆ K ein gebrochenes Ideal. Dann heißt

I−1 := {x ∈ K | xI ⊆ R}

das zu I inverse Ideal.

Ob es diesen Namen verdient ist eine berechtigte Frage, im Allgemeinen wird dasnicht so sein.

Hilfssatz 4.2.4 Erste Miete

Es sei R ein noetherscher nullteilerfreier Ring mit Quotientenkorper K undI ⊆ K ein gebrochenes Ideal.

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4.2. DIE KLASSENGRUPPE 79

Dann gilt fur r ∈ K die Gleichung (rI)−1 = r−1I−1, und I−1 ist ein gebrochenesIdeal.

Ist J ein weiteres gebrochenes Ideal und gilt I ⊆ J, so gilt J−1 ⊆ I−1.

Beweis. Die erste Behauptung ist klar, wirklich, und auch die letzte.

Es ist auch klar, dass I−1 ein R -Modul ist. Wir mussen nur noch einsehen, dasser endlich erzeugt ist.

Dafur wahlen wir ein Element 0 6= a ∈ I . Dann ist fur x ∈ I−1 auch xa ∈ R,also

I−1 ⊆ a−1R,

und da R noethersch ist, ist I−1 endlich erzeugt.

Das ist also eigentlich auch klar. ©

Hilfssatz 4.2.5 Ganzheit

Es seien R ein ganzabgeschlossener noetherscher Ring mit Quotientenkorper Kund I ⊆ K ein gebrochenes Ideal.

Weiter sei x ∈ K ein Element mit xI ⊆ I.

Dann liegt x in R .

Beweis. Da I endlich erzeugt ist, lasst sich die Wirkung der Multiplikation mit xdurch eine quadratische Matrix mit Koeffizienten in R beschreiben (sogar durchsehr viele Matrizen). Nach dem Satz von Cayley-Hamilton ist also x die Nullstelleeines normierten Polynoms mit Koeffizienten in R , mithin ganz uber R . Da Rals ganz abgeschlossen vorausgesetzt ist, gehort x bereits zu R . ©

Hilfssatz 4.2.6 Kurzung

Es seien R ein kommutativer Ring, P ⊂ R ein Primideal und A,B ⊆ R Ideale.Wenn dann AB ⊆ P gilt, aber B 6⊆ P, dann folgt A ⊆ P.

Wenn weiter in der obigen Situation A maximal ist, dann gilt A = P.

Beweis. Ubung!

Hilfssatz 4.2.7 Induktiv und produktiv

Es seien R ein noetherscher Ring, der kein Korper ist, und I ⊆ R ein vonNull verschiedenes Ideal. Dann gibt es ein k ∈ N0 und von Null verschiedenePrimideale P1, . . . , Pk, sodass

P1 · . . . · Pk ⊆ I.

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80 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Beweis. Wir nehmen das Gegenteil an und bezeichnen mit A die dann nichtleereMenge aller von Null verschiedenen Ideale in R , in denen sich kein Produkt vonPrimidealen findet.

Da R noethersch ist, gibt es in A ein maximales Element J . Dieses ist nachDefinition von A kein Primideal. Es ist auch nicht R , da in R ein Primideal6= {0} liegt.

Folglich gibt es x, y ∈ R r J mit xy ∈ J. Die Ideale 〈J, x〉 und 〈J, y〉 sindecht großer als J und daher nicht in A , also enthalten sie Produkte P1 · . . . · Pk

beziehungsweise Q1 · . . . ·Ql von Primidealen. Es folgt

P1 · . . . ·Ql ⊆ 〈J, x〉 · 〈J, y〉 ⊆ 〈J2, xJ, yJ, xy〉 ⊆ J

im Widerspruch zu J ∈ A . ©

Hilfssatz 4.2.8 Existenz des Inversen

Es sei R ein Dedekindring und I ein gebrochenes Ideal.

Dann gilt I−1 · I = R.

Beweis. Wegen 4.2.4 ist klar, dass es genugt, die Behauptung fur echte Ideale inR zu zeigen.

Es sei also I ⊆ R ein Ideal, I 6= {0} .

Wenn I = R gilt, so folgt I−1 = R und auch I−1I = R.

Wenn I ein maximales Ideal ist, so gilt die Behauptung im Falle, dass I einHauptideal ist. Ansonsten sei x ∈ I, x 6= 0 beliebig. Mit unserem letzten Hilfssatzfinden wir in Rx ein Produkt P1 · . . . ·Pk von 0 verschiedener Primideale, das wirso einrichten, dass k minimal ist. Es folgt mit 4.2.6, dass ohne EinschrankungI = P1 angenommen werden darf (im Moment setzen wir I als maximal voraus!).Aufgrund der Minimalitat von k ist P2 · . . . · Pk nicht in Rx enthalten, und esgibt ein y ∈ P2 · . . . · Pk , sodass yx−1 6∈ R. Fur alle z ∈ I gilt dann aber immernoch

yx−1z ∈ x−1P2 · . . . · Pk · P1 ⊆ x−1Rx = R,

was in I−1 das Element yx−1 6∈ R zutage fordert.

Daher ist in diesem Fall I ⊂ I−1I ⊆ R, und wegen der Maximalitat finden wirI−1I = R.

Nun kommt der eigentlich Beweis. Wir nehmen an, die Behauptung des Satzessei nicht wahr. Dann ist die Menge aller ganzen Ideale I 6= 0 mit I−1I 6= R nichtleer. Da R noethersch ist, enthalt diese Menge ein maximales Element M.

M ist nicht prim, da sonst nach dem oben gesehenen M−1M = R im Wider-spruch zur Annahme. Es sei M ⊆ P ⊂ R ein Primideal, das M enthalt. Da Rein Dedekindring ist, ist P maximal.

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4.2. DIE KLASSENGRUPPE 81

Dann ist P−1 ⊆M−1 und daher P−1M ⊆ R. Da P−1 ein nicht ganzes Elemententhalt, ist wegen 4.2.5 das ganze Ideal N := P−1M echt großer als M undsomit gilt N−1N = R.

Es folgt M = PN und P−1N−1 ⊆M−1, also

R = P−1N−1PN ⊆M−1M ⊆ R

im Widerspruch zu unserer Annahme. ©

Beispiel 4.2.9 Quadratischer Fall

Es sei d ∈ Z quadratfrei und nicht 1 (mod 4) und K = Q(√d) die zugehorige

quadratische Erweiterung. Weiter sei O = Z[√d] der Ganzheitsring. Der nicht-

triviale Automorphismus σ von K liefert auch einen Automorphismus von O .

Weiter sei nun 0 6= I ⊆ O ein Ideal. Wir wollen zeigen, dass

1

N(I)σ(I) = I−1.

Dazu schreiben wir uns I mittels einer Z -Basis auf. Wir wahlen ein Elementb + c

√d mit minimalem positivem c . Weiter sei a der positive Erzeuger von

Z ∩ I. Es ist dann klar, dass I = Za⊕ Z(b+ c√d) . Die Norm von I ist ac .

Dabei haben wir zunachst nur die Untergruppeneigenschaft und den Rang aus-genutzt. Da I aber sogar ein Ideal ist, liegen auch a

√d und b

√d+ cd in I , und

die Koeffizienten vor√d mussen durch c teilbar sein. Also teilt c sowohl a als

auch b .

Da I−1 = c−1 · (I/c)−1 gilt, mussen wir die Behauptung nur fur c = 1 testen.Das nehmen wir im weiteren an.

Da zu I auch (b−√d)(b+

√d) = b2− d gehort, muss a ein Teiler hiervon sein.

Wir haben nun zu zeigen, dass Iσ(I) = aO gilt. Dazu schreiben wir uns dieProdukte der Erzeuger von I und σ(I) hin:

a2, a(b+√d), a(b−

√d), b2 − d.

Jedes dieser Elemente wird von a geteilt, also liegt sicher Iσ(I) ⊆ aO.Wir mussen noch zeigen, dass a ∈ Iσ(I). Dazu uberlegen wir uns, dass der ggTder Elemente a2, 2ab, b2 − d ∈ Iσ(I) ∩ Z gleich a ist. Wenn namlich fur einenPrimteiler p von a die Zahl ap sowohl 2ab als auch b2−d teilt, dann ist entwederp = 2 und damit 4 ein Teiler von b2 − d, was d ≡ 0, 1 (mod 4) erzwingt undsomit verboten ist. Oder p ist ein Teiler von b, und da ist p2 ein Teiler vonpa und damit von b2 − d ist, teilt es auch d , das aber quadratfrei sein soll. EinWiderspruch.

Das verifiziert unsere Formel fur I−1, die ubrigens auch fur den Fall d ≡ 1 (mod 4)gilt.

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82 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Folgerung 4.2.10 Eine Gruppe

Die Menge der gebrochenen Ideale eines Dedekindrings R bildet bezuglich derMultiplikation eine Gruppe. Sie ist frei abelsch uber der Menge der von Nullverschiedenen Primideale von R .

Beweis. Die Gruppeneigenschaft ist jetzt klar, es fehlte ja nur noch die Inversen-bildung.

Jedes von Null verschiedene Ideal in R ist ein Produkt von Primidealen. Dennsonst gabe es ein maximales Element in der Menge aller solcher Ideale M , diesich nicht als Produkt von Primidealen schreiben lassen. Dieses lage in einemPrimideal P , und nach den gesehen Argumenten ware P−1M ein großeres Ideal,also Produkt von Primidealen, und damit ware auch M = PP−1M ein Produktvon Primidealen.

Die Darstellung von M als Produkt von Primidealen ist eindeutig. Denn aus

P1P2 . . . Pk = Q1Q2 . . . Ql

fur Primideale P1, . . . , Ql folgt aus 4.2.6, dass eines der Primideale Q1, . . . , Ql

bereits P1 ist.

Wenn wir dann die Gleichung auf beiden Seiten mit P−11 multiplizieren und rekur-

siv fortfahren, sehen wir die Eindeutigkeit der Darstellung. (Formal: NoetherscheInduktion!)

Das zeigt, dass die Halbgruppe der von Null verschiedenen Ideale frei von denmaximalen Idealen erzeugt wird, und dies vererbt sich auf die Gruppe der gebro-chenen Ideale. ©

Definition/Bemerkung 4.2.11 Terminologischer Ubertrag

Es seien R ein Dedekindring und I, J ⊆ R Ideale. Dann heißt I ein Teiler vonJ , wenn ein Ideal G existiert, sodass GI = J.

Ein Blick auf Hauptideale legt diese Definition nahe.

Nach dem, was wir gerade gesehen haben, teilt I genau dann J , wenn I−1J ⊆ R,denn dies ist das einzige gebrochene Ideal, fur das die gewunschte Gleichheit gilt.Nach Definition ist das aquivalent zu I−1 ⊆ J−1, also zu J ⊆ I.

Zwei Ideale heißen teilerfremd wenn sie keinen echten gemeinsamen Teiler be-sitzen, also nicht beide in einem gemeinsamen maximalen Ideal liegen. Das istaquivalent zu I + J = R.

In diesem Fall gilt IJ = I ∩ J und auch der Chinesische Restsatz ist gultig:

R/(IJ) ∼= R/I ×R/J.

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4.2. DIE KLASSENGRUPPE 83

Definition/Bemerkung 4.2.12 Bewertung

Es sei K der Quotientenkorper des Dedekindrings R und I ⊂ K ein gebrochenesR -Ideal. Dann lasst sich I schreiben als

I =∏P⊂R

maximal

P vP (I)

mit ganzen Zahlen vP (I). Insbesondere kann man dies fur ein Hauptideal I = Ramachen und erhalt fur jedes Primideal P eine Abbildung

vP : K r {0} → Z, a 7→ vP (a) := vP (aR).

Formal setzt man dies durch vP (0) :=∞ nach ganz K fort.

Alternativ konnten wir fur a ∈ R auch vP (a) als das Supremum aller k ∈ Zdefinieren, fur die a ∈ P k gilt. Wieder formal ist hier sup(Z) = ∞. Dies setztsich dann von Rr {0} nach K× multiplikativ fort.

Diese Funktion heißt die P -adische Bewertung auf K . Der Buchstabe v kommtvom lateinischen

”valor“. Diese Abbildung hat die folgenden Eigenschaften:

vP (a+ b) ≥ min(vP (a), vP (b))vP (ab) = vP (a) + vP (b)

In der ersten Zeile gilt Gleichheit, wenn a und b verschiedene Bewertungenhaben. Das folgt bequem aus der alternativen Beschreibung von vP (a).

Diese Eigenschaften werden wir spater wieder aufgreifen, um aus der Bewertungeine Metrik auf K zu gewinnen. Das gibt uns dann fur jedes Primideal eineTopologie auf K , und man kann gerade im Zahlkorperfall manche arithmetischenPhanomene dann topologisch zum Ausdruck bringen oder auch beweisen.

Definition 4.2.13 Die Idealklassengruppe

Es sei R ein Dedekindring.

Die Gruppe der gebrochenen Ideale von R heißt die Divisorengruppe Div(R).

Darin ist die Gruppe Prin(R) der gebrochenen Hauptideale eine Untergruppe.

Die Faktorgruppe Cl(R) := Div(R)/Prin(R) heißt die Idealklassengruppe von R .Ihre Große misst, wie weit R davon entfernt ist, ein Hauptidealring zu sein.

R ist namlich genau dann ein Hauptidealring, wenn Cl(R) trivial ist.

Da die Gruppe der gebrochenen Ideale von den Primidealen erzeugt wird, ist diesauch aquivalent dazu, dass alle Primideale Hauptideale sind.

Ein wichtiges Hilfsmittel bei der Frage, wieviele Idealklassen es gibt, ist die Normder Ideale, wie wir sie in 4.1.2 eingefuhrt haben. Es gilt der folgende Satz:

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84 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Hilfssatz 4.2.14 Multiplikativitat der Absolutnorm

Es seien K ein Zahlkorper und I, J ⊆ OK zwei von Null verschiedene Ideale.

Dann gilt N(IJ) = N(I) ·N(J).

Beweis. Aus der Zerlegung von I und J als Produkte von Primidealen sieht manwegen des Chinesischen Restsatzes, dass es genugt, die Behauptung fur Potenzeneines festen Primideals P 6= {0} zu zeigen.

Das heißt: Wir zeigen fur alle n ∈ N0 die Gleichung N(P n+1) = N(P ) ·N(P n).

Dazu wahlen wir ein t ∈ P n r P n+1 und betrachten die Abbildung

Φ : OK → P n/P n+1, x 7→ xt+ P n+1.

Der Kern von Φ ist ein Ideal, das P enthalt, da tP ⊆ P n+1. Da jedoch 1 6∈Kern(Φ), gilt P = Kern(Φ) wegen der Maximalitat von P . Das Bild von Φ ist(OKt + P n+1)/P n+1. Da aber OKt + P n+1 ein Ideal ist, das zwischen P n undP n+1 liegt, muss es P n sein (da t 6∈ P n+1 ). Folglich vermittelt Φ eine Bijektionzwischen OK/P und P n/P n+1.

Das zeigt die behauptete Multiplikativitat. ©

Bemerkung 4.2.15 Ein Vektorraum

Wir sehen am Argument, dass P n/P n+1 jeweils ein eindimensionaler OK/P -Vektorraum ist. Das gilt – mit dem selben Argument – fur jeden Dedekindring.

Bemerkung 4.2.16 Eulers Produktformel

Wir erinnern an 4.1.2 und die dort gemachte Definition der Dedekindschen Zeta-funktion eines Zahlkorpers. Sie ist gegeben durch

ζK(s) =∑

I

1

N(I)s,

wobei sich die Summe uber alle Ideale I 6= {0} im Ganzheitsring erstreckt.

Wir hatten eingesehen, dass sie wenigstens fur großen Realteil von s konvergiert.Aus der Identitat

N(I) = N(∏P

P vP (I)) =∏P

N(P )vP (I)

und der Eindeutigkeit der Zerlegung von I als Produkt von Primidealen folgtwie fur die Riemannsche Zetafunktion eine Produktformel:

ζK(s) =∏P

1

1−N(P )−s, <(s) >> 0.

Das sieht man durch Entwicklung der Faktoren in eine geometrische Reihe undCauchy-Faltung der Faktoren.

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4.2. DIE KLASSENGRUPPE 85

Bemerkung 4.2.17 Ideale und Matrizen

Bevor wir uns genauer den Primidealen zuwenden soll hier noch ein kurzer Blickauf Aquivalenz von (gebrochenen) Idealen riskiert werden.

Es sei K ein Zahlkorper und O eine Ordnung in K . Zwei O -Ideale I , J heißenaquivalent, wenn es eine Einheit α ∈ K× gibt, mit I = αJ. Im Falle der Haupt-ordnung sind die Aquivalenzklassen gerade die Elemente der Klassengruppe.

Was ist so ein Ideal im Falle einer von einem Element γ erzeugten Ordnung? Seialso jetzt O = Z[γ]. Der Grad von K uber Q sei n .

Ein Ideal in O ist dann immer eine frei abelsche Gruppe vom Rang n , auf derein Endomorphismus ϕ definiert ist, der dasselbe Minimalpolynom wie γ hat:Die Multiplikation mit γ . Bezuglich einer Basiswahl ist dann ϕ durch eine n×nMatrix mit ganzzahligen Eintragen beschrieben. Bei Wahl einer anderen Z -Basisdes Ideals wird diese Matrix ersetzt durch eine unimodular aquivalente Matrix,also eine Matrix, die ahnlich ist, wo jedoch die Ahnlichkeit durch eine ganzzahligeMatrix mit ganzzahliger Inverser vermittelt wird.

Wenn umgekehrt A ∈ Zn×n eine Nullstelle des Minimalpolynoms von γ ist,dann ist Zn ein Z[A] ∼= Z[γ] -Modul, und Qn wird zu einem Q[A] ∼= Q(γ) = K -Modul, also ein K -Vektorraum, der – die Dimension uber Q kennen wir ja –uber K eindimensional ist. Wir konnen also Zn auffassen als Untergruppe eineseindimensionalen K -Vektorraums, die gleichzeitig ein O -Modul ist. Das ist alsoisomorph zu einem gebrochenen O -Ideal.

Wir erhalten damit eine Bijektion zwischen der Menge aller Aquivalenzklassenvon Idealen und der Menge aller unimodularen Aquivalenzklassen von Nullstellendes Minimalpolynoms von γ in Zn×n.

Bemerkung 4.2.18 Primideale

Es sei K ein Zahlkorper und O sein Ganzheitsring. Der Durchschnitt einesPrimideals P 6= {0} in O mit Z ist dann ein Primideal in Z, und damit voneiner Primzahl p erzeugt.

Umgekehrt sei p ∈ Z eine Primzahl. Dann ist pO ein echtes Ideal in O, dennsonst ware p−1 ganz. Also liegt pO in mindestens einem Primideal von O. Da pOendlichen Index in O hat, gibt es nur endlich viele Primideale, die p enthalten.

Dies sind genau die Primideale Pi , die an der Faktorisierung

pO = P e11 · · · · · P em

m

nichttrivial beteiligt sind. Denn p ∈ P ist aquivalent zu P−1 ⊆ (p)−1.

Man kennt also alle Primideale in O, wenn fur jede Primzahl p klar ist, wie (p)sich als Produkt von Primidealen schreiben lasst. Das muss man systematischuntersuchen.

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86 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Das kennen wir aus EAZ, 3.2.11, wo wir so etwas fur den Ring der ganzen Gauß-schen Zahlen gemacht haben.

Je nachdem, wie sich pOK in Primideale faktorisiert, schreibt man p ein Adjektivzu. Wenn pOK selbst prim ist, so nennt man p trage, wenn kein Primideal in derFaktorisierung mehrfach auftritt unverzweigt, und wenn alle Primfaktoren Indexp haben, heißt p voll zerlegt.

Dies sind Eigenschaften, die in der algebraischen Zahlentheorie eine große Rollespielen.

Beispiel 4.2.19 Quadratisch - praktisch - gut

Es sei 1 6= d ∈ Z quadratfrei und L = Q(√d) die zugehorige quadratische

Erweiterung von Q. Weiter sei ω ∈ OL der ubliche Erzeuger, also ω = 1+√

d2,

wenn d bei Division durch 4 Rest 1 lasst, und ω =√d sonst. Die Diskriminante

von OL = Z[ω] ist hier die Diskriminante des Minimalpolynoms M von ω.

Dann gilt fur die Primzahl p ∈ Z (bzw. fur das von ihr erzeugte Ideal in Z ):

• p ist genau dann trage, wenn das Minimalpolynom von ω keine Nullstellein Fp hat.

• p ist genau dann voll zerlegt, wenn das Minimalpolynom von ω zwei ein-fache Nullstellen in Fp hat.

• p ist genau dann verzweigt wenn es die Diskriminante von L teilt.

Denn:

Fur jede Primzahl p gilt

OL/(p) = Z[X]/(p,M) = Fp[X]/(M (mod p)).

Wenn p ein Teiler der Diskriminante ist, dann hat M eine doppelte Nullstellea+ pZ in Fp. Es folgt, dass p in genau einem Primideal von OL liegt, namlichdem, das von p und ω−a erzeugt wird. Dieses hat Norm p , und es ist das einzigePrimideal, das an der Primidealzerlegung von pOL beteiligt ist. Also muss

pOL = P 2

gelten.

Wenn p kein Teiler der Diskriminante ist, dann hat M entweder 2 einfacheNullstellen a+ pZ und b+ pZ in Fp, und p liegt in den zwei Primidealen P1 =(p, ω−a) und P2 = (p, ω− b) . Diese Primideale sind beide an der Primzerlegungvon pOL beteiligt, und aus Indexgrunden folgt pOL = P1 ·P2. Oder M hat keine

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4.3. DISKRETE BEWERTUNGEN 87

Nullstelle in Fp, ist also (da quadratisch) in Fp[X] irreduzibel, was zeigt, dasspOL ein Primideal ist.

Alles in allem sind damit alle Behauptungen gezeigt.

Hilfssatz 4.2.20 Es sei K ein algebraischer Zahlkorper von Grad n uber Qund

pOK = P e11 · . . . · P eg

g

die Zerlegung des von der Primzahl p erzeugten Ideals in OK .

Weiter sei OK/Pi = Fpfi .

Dann gilt∑g

i=1 eifi = n.

Beweis. Es ist pn die Norm des betrachteten Ideals, die andererseits auch∏N(Pi)

ei =∏

(pfi)ei = pP

fiei

ist. Das zeigt die Behauptung. ©

4.3 Diskrete Bewertungen

Definition 4.3.1 Diskrete Bewertung

Es sei K ein Korper. Eine diskrete Bewertung auf K ist eine Abbildung

v : K → R ∪ {∞}

mit folgenden Eigenschaften:

• v−1(∞) = {0}.

• v(K×) ⊂ R ist diskret.

• ∀x, y ∈ K : v(xy) = v(x) + v(y).

• ∀x, y ∈ K : v(xy) ≥ min{v(x), v(y)}.

Insbesondere ist v(K×) eine diskrete Untergruppe von (R,+) und damit zy-klisch. Die Bewertung v heißt trivial, wenn ∀x ∈ K× : v(x) = 0.

Beispiel 4.3.2 Zahlentheorie

Die Bewertungen aus 4.2.12 sind naturlich Beispiele fur Bewertungen.

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88 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Hilfssatz 4.3.3 Bewertungsring

Es sei v eine nichttriviale Bewertung auf dem Korper K .

Dann ist Ov := {x ∈ K | v(x) ≥ 0} ein Teilring von K . Er ist ein Hauptideal-ring mit nur einem Primideal P , und v ist (bis auf einen Faktor) die BewertungvP .

Beweis. Die Ringeigenschaften kann man sofort nachrechnen, man bemerke ins-besondere, dass v(1) = 0. Das zeigt insbesondere, dass die Einheiten in Ov genaudie Elemente mit Bewertung 0 sind.

Nun sei π ∈ Ov derart, dass v(K×) = Zv(π).

Weiter sei I ⊆ Ov ein von Null verschiedenes Ideal.

Dann ist auch v(I r {0}) ⊆ R diskret und enthalt damit ein kleinstes Elementw. Es sei a ∈ I ein Element mit Bewertung w und b ∈ I beliebig. Dann istv(b/a) ≥ 0 und damit b/a ∈ Ov, also I = Ov · a ein Hauptideal.

Da außerdem v(a/πn) = w− nv(π) = 0 ist fur eine geeignete naturliche Zahl n,ist a assoziiert zu einer Potenz von π.

Das zeigt, dass jedes Ideal 6= {0} in Ov von einer Potenz von π erzeugt wird.Damit ist Ov · π das einzige von Null verschiedene Primideal in Ov .

Die letzte Behauptung ist dann klar. ©

Definition 4.3.4 Bewertungsring

In der Situation des letzten Hilfssatzes heißt Ov der Bewertungsring von v unddas maximale Ideal darin heißt das Bewertungsideal.

Zwei Bewertungen heißen aquivalent, wenn sie denselben Bewertungsring besit-zen.

Der Bewertungsring hat folgende Eigenschaft: Fur alle x ∈ K× gilt x ∈ Ov

oder x−1 ∈ Ov. Diese Eigenschaft gehort zu den definierenden Eigenschaften desabstrakten Konzepts eines Bewertungsrings, der dann aber nicht unbedingt zueiner diskreten Bewertung gehoren muss.

Beispiel 4.3.5 Alle Bewertungen auf Q und einige auf C(T )

a) Es sei v eine nichttriviale, diskrete Bewertung auf Q. Der Bewertungsring vonv umfasst dann Z, und das Bewertungsideal von v hat mit Z ein Primideal alsDurchschnitt. Es gibt also genau eine Primzahl p im Bewertungsideal, und alleanderen Primzahlen sind Einheiten. Also ist der Bewertungsring der Ring

Z(p) = {ab| a, b ∈ Z, b 6∈ pZ}.

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4.4. BETRAGE 89

Damit ist jede nichttriviale Bewertung auf Q zu einer unserer altbekannten p -adischen Bewertungen aquivalent.

b) Es sei v eine nichttriviale Bewertung auf dem rationalen FunktionenkorperC(T ) in einer Variablen. Weiter sei v auf C trivial, also C im BewertungsringO enthalten.

Nach der Bemerkung aus der letzten Definition gilt dann fur die Variable T , dassT ∈ Ov oder T−1 ∈ Ov.

Im ersten Fall liegt der Polynomring C[T ] im Bewertungsring, und das Bewer-tungsideal hat mit C[T ] ein Primideal als Durchschnitt. Da C algebraisch abge-schlossen ist, wird dieses Primideal von einem linearen Polynom (T − a), a ∈ C,erzeugt. Die Bewertung v ist dann einfach die zu T − a gehorende Bewertung,und

v(f) = ord(f, a)

ist die (Nullstellen-)Ordnung der rationalen Funktion f an der Stelle a .

Ist hingegen T 6∈ Ov, so umfasst der Bewertungsring den Polynomring C[T−1]und das Bewertungsideal liefert ein Primideal darin. Da v(T ) < 0 gilt, folgtv(T−1) > 0, und somit liegt das irreduzible Element T−1 im Bewertungsideal,also hat dieses mit C[T−1] gerade das von T−1 erzeugte Hauptideal als Durch-schnitt. Es ist also

v(f) = −grad(Zahler von f) + grad(Nenner von f).

Das ist die Nullstellenordnung von f bei unendlich!

Wir erhalten somit als Menge aller Aquivalenzklassen von Bewertungen die Men-ge

C ∪ {∞} = P1(C).

Diese Sichtweise auf Bewertungen sorgt (mit noch einigem Aufwand) dafur, dassman fur jeden Korper K, der uber einem Korper k Transzendenzgrad 1 hat (alsoeine algebraische Erweiterung eines rationalen Funktionenkorpers k(T ) ist), dieMenge der Aquivalenzklassen nichttrivialer Bewertungen, die auf k trivial sind,als geometrisches Objekt auffassen kann.

4.4 Betrage

Definition 4.4.1 Betragen gut

Es sei K ein Korper und | · | : K → R≥0 eine Abbildung mit den Eigenschaften

• ∀a ∈ K : |a| = 0 ⇐⇒ a = 0,

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90 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

• ∀a, b ∈ K : |ab| = |a| · |b|,

• ∀a, b ∈ K : |a+ b| ≤ |a|+ |b|.

Dann heißt | · | ein Betrag auf K .

Hierbei ist stets |1| = 1, da |1| = |1 · 1| = |1| · |1|.Aus |1| = | − 1| · | − 1| folgt dann, dass auch | − 1| = 1 gelten muss.

Die letzte Ungleichung in der Definition heißt wieder die Dreiecksungleichung. Kwird zu einem metrischen Raum, wenn wir

d(a, b) := |a− b|

setzen. Wegen | − 1| = 1 ist dies symmetrisch.

Der Betrag | · | heißt trivial, wenn er auf K r {0} konstant gleich 1 ist. Dies istgenau dann der Fall, wenn die zugehorige Metrik die diskrete Metrik auf K ist.

Beispiel 4.4.2 Der Betrag zu einer diskreten Bewertung

Es sei K ein Korper und v eine diskrete Bewertung auf K . Weiter sei b > 1 einereelle Zahl. Dann wird durch

|x|v := b−v(x)

ein Betrag auf K gegeben.

Bemerkung 4.4.3 Stetigkeit

Es sei K ein Korper mit einem gegebenen Betrag. Dann kann man wie in derAnalysis den Begriff der stetigen Funktion auf (Teilmengen von) K definieren.Fur D ⊆ K ist die Abbildung f : D → K stetig in x0 ∈ D , wenn fur alle δ > 0ein ε > 0 existiert, sodass

∀x ∈ D : |x− x0| < ε⇒ |f(x)− f(x0)| < δ.

Wegen der Dreiecksungleichung ist die Summe zweier in x0 stetiger Funktionenwieder in x0 stetig. Die Multiplikativitat des Betrags und ein Teleskopsummen-argument zeigen, dass auch das Produkt zweier in x0 stetiger Funktionen wiederin x0 stetig ist.

Die Abbildung f heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt aus D stetig ist. Dainsbesondere konstante Funktionen und die Identitat stetig sind, ist damit auchjede polynomiale Abbildung stetig.

In Wirklichkeit merkt die Definition der Stetigkeit gar nicht den Betrag, sondernnur die Topologie, die durch ihn geliefert wird. Eine Teilmenge von D heißt in

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4.4. BETRAGE 91

D offen, wenn sie mit jedem Punkt auch eine ganze r -Umgebung dieses Punktsin D enthalt (fur geeignetes r > 0).

Stetigkeit verlangt dann einfach, dass das Urbild einer offenen Menge in K stetsin D offen ist.

Beispiel 4.4.4 Rationale Zahlen

Auf K = Q betrachten wir die folgenden Betrage:

| · |∞ sei der ubliche Absolutbetrag. Diesen verzieren wir ab jetzt mit dem Index∞, um ihn von anderen Betragen unterscheiden zu konnen.

Fur eine Primzahl p wird durch |a|p = p−vp(a) der p -adische Absolutbetrag defi-niert. Dabei ist vp die p -adische Bewertung aus EAZ 3.2.5-3.2.7 .

Wie unterschiedlich sind diese Betrage?

Definition 4.4.5 Eine Aquivalenzrelation

Es seien K eine Korper und | · |1 und | · |2 zwei Betrage auf K . Dann nennen wirdiese Betrage aquivalent, wenn jede offene Kugel bezuglich des einen auch eineoffene Kugel bezuglich des anderen enthalt und umgekehrt.

Abstrakter gesagt heißt das, dass die beiden Betrage dieselbe Topologie auf Kliefern (siehe 4.4.3), also dieselben offenen Mengen.

Insbesondere muss dann fur x ∈ K die Folge (xn) bezuglich | · |1 gegen 0konvergieren genau dann, wenn sie dies bezuglich | · |2 tut. Das heißt aber wegender Multiplikativitat der Betrage, dass

|x|1 < 1 ⇐⇒ |x|2 < 1.

Hilfssatz 4.4.6 Eine Konkretisierung

Es seien | · |1 und | · |2 zwei nichttriviale Betrage auf dem Korper K .

Dann sind aquivalent:

i) | · |1 und | · |2 sind aquivalent.

ii) Es gibt eine positive reelle Zahl s mit | · |1 = | · |s2.

Beweis. Nur i)⇒ ii) ist bemerkenswert.

Zunachst sehen wir aufgrund der letzten Bemerkung in der Definition, dass furalle x, y ∈ K gilt:

|x|1 < |y|1 ⇐⇒ |x|2 < |y|2.

Da die Betrage nicht trivial sind, konnen wir ein a ∈ K wahlen mit |a|i > 1, i =1, 2.

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92 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Wir definieren s > 0 durch die Gleichung

|a|1 = |a|s2.

Nun sei 0 6= x ∈ K beliebig. Wir mussen zeigen, dass fur das eben definierte sauch |x|1 = |x|s2 richtig ist.

Dazu schreiben wir |x|1 = |a|e1, |x|2 = |a|f2 fur positive Zahlen e, f und weisenjetzt nach, dass e = f.

Dazu betrachten wir rationale Zahlen

k

n< e <

m

n, k,m, n ∈ N.

Dann gilt wegen k < ne < m und wegen der Multiplikativitat der Betrage

|ak|1 < |a|ne1 = |xn|1 < |am|1,

und dieselbe Ungleichungskette muss fur | · |2 gelten, wobei hier jedoch |xn|2 =|a|nf

2 gilt. Das zeigt durch Vergleich, dass auch

k

n< f <

m

n

stimmt, und das geht nur dann fur alle Wahlen von k, n,m, wenn e = f. ©

Folgerung 4.4.7 Verschiedenheit

Die in 4.4.4 angegebenen Betrage auf Q sind paarweise nicht aquivalent.

Denn: Es gibt fur je zwei verschiedene dieser Betrage immer eine rationale Zahl,deren einer Betrag < 1 ist und der andere ≥ 1.

Dafur kann man entweder eine der beteiligten Primzahlen nehmen, wenn beideBetrage p -adisch sind, oder die eine Primzahl, wenn ein Betrag p -adisch und derandere der reelle ist.

Hilfssatz 4.4.8 Heureka

Es sei K ein Korper, der Q enthalt und | · | ein nichttrivialer Betrag auf K .

Dann sind aquivalent:

i) |2| ≤ 1

ii) ∀n ∈ N : |n| ≤ 1.

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4.4. BETRAGE 93

Beweis.

Die eine Richtung ist klar, setzen wir also |2| ≤ 1 voraus. Es sei 1 < n ∈ N.Dann hat n eine Binarentwicklung:

n =

blog2(n)c∑i=0

ai2i, ai ∈ {0, 1}.

Aus |2i| = |2|i ≤ 1 und der Dreiecksungleichung folgt

|n| ≤ log2(n).

Andererseits ist fur e ∈ N

|n|e = |ne| ≤ e log2(n),

und da dies die Potenzfunktion durch eine lineare Funktion majorisiert, muss|n| ≤ 1 gelten. Also ist tatsachlich |n| ≤ 1 fur alle naturlichen Zahlen. ©

Definition 4.4.9 Archimedes4

Es sei | · | ein Betrag auf einem Korper K , der Q enthalt. Dieser heißt archime-disch, falls eine naturliche Zahl n existiert mit |n| > 1.

Wir haben eben gesehen, dass dies zu |2| > 1 gleichbedeutend ist. Ein zumArgument dort analoges Argument zeigt, dass dann tatsachlich fur alle n ∈ N>1

die Ungleichung |n| > 1 gilt.

Der Betrag heißt nicht archimedisch, falls fur alle n ∈ N die Ungleichung |n| ≤ 1gilt.

Zum Beispiel auf dem Korper K = Q ist | · |∞ archimedisch und | · |p nicht-archimedisch (fur jede Primzahl p ).

Satz 4.4.10 Satz von Ostrowski5

Es sei | · | ein nichttrivialer Betrag auf Q. Dann ist | · | aquivalent zu einem derBetrage | · |∞ oder | · |p, p ∈ P.

Beweis. Wir unterscheiden den archimedischen und den nicht archimedischenFall.

Fall 1: Es sei | · | nicht archimedisch, das heißt |n| ≤ 1 fur alle n ∈ N. Da | · | alsnicht trivial vorausgesetzt ist, gibt es eine Primzahl p mit |p| < 1. Sonst wareja stets |p| = 1 und der Betrag aufgrund seiner Multiplikativitat trivial.

4Archimedes, ca. 287 v.Chr. - 212 v.Chr.5Alexander Ostrowski, 1893 - 1986

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94 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Wenn es nun eine zweite Primzahl q gabe mit |q| < 1, so konnten wir einenaturliche Zahl N finden mit

|pN |, |qN | < 1

2.

Da andererseits p, q teilerfremd sind, konnen wir die 1 linear aus ihnen kombi-nieren:

∃a, b ∈ Z : 1 = apN + bqN .

Das erzwingt

|1| = |apN + bqN | < 1

2(|a|+ |b|) ≤ 1,

da ja auch |a|, |b| ≤ 1.

Das ist ein Widerspruch zu |1| = 1.

Also gibt es genau eine Primzahl p mit |p| < 1. Nun sei x ∈ Q× beliebig. Dannist

x = ±∏`∈P

`v`(x),

und aus der Multiplikativitat des Betrags folgt

|x| =∏`∈P

|`|v`(x) = |p|vp(x),

denn alle anderen Faktoren sind ja 1. Wenn wir hier die reelle Zahl s ≥ 1 durch

|p| = p−s

definieren (was geht, da |p| < 1), so folgt

|x| = p−svp(x) = |x|sp.

Da s von x nicht abhangt, sind | · | und | · |p aquivalent.

Fall 2: Es sei | · | archimedisch. Nach Hilfssatz 4.4.8 und der Dreiecksungleichungwissen wir 1 < |2| ≤ 2.

Sei 1 < a ∈ N eine weitere Zahl. Auch hier wissen wir 1 < |a| ≤ a.

Wir entwickeln 2n bezuglich der Grundzahl a :

2n =N∑

i=0

ciai, 0 ≤ ci < a.

Fur N haben wir die Abschatzung aN ≤ 2n, also

N ≤ n log 2/ log a.

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4.4. BETRAGE 95

Die Dreiecksungleichung sagt uns dann

|2|n ≤ a · (N + 1)|a|N ≤ a(n log 2/ log a+ 1)(|a|log 2/ log a)n.

Lasst man hier n gegen unendlich gehen, so folgt aus asymptotischen Grunden

log |2|/ log 2 ≤ log |a|/ log a.

Nun konnen aber die Rollen von a und 2 bei dieser Abschatzung vertauschtwerden, was die Gleichheit dieser beiden Quotienten zeigt.

Es folgt|a| = alog |2|/ log 2 = |a|log |2|/ log 2

fur beliebiges a ∈ N, und aus der Multiplikativitat des Betrags folgt dieselbeBeziehung fur alle a ∈ Q. ©

Bemerkung 4.4.11 Die ultrametrische Ungleichung

Es sei p eine Primzahl und | · |p der p -adische Betrag auf Q. Die Menge

Z(p) := {x ∈ Q | |x|p ≤ 1} = {mn| m,n ∈ Z, p/| n}

ist ein Teilring von Q. Die Einheiten darin sind genau die Zahlen mit Betrag 1,also

Z×(p) = {mn| p 6 | mn}.

Jede Zahl 0 6= x ∈ Q lasst sich auf eindeutige Art zerlegen als

x = pvp(x)u, u ∈ Z×(p).

Daran sieht man fur alle x, y :

|x+ y|p ≤ max{|x|p, |y|p},|x+ y|p = max{|x|p, |y|p}, falls |x|p 6= |y|p.

Wenn x oder y 0 sind, ist das klar. Ansonsten schreiben wir x = pvu, y = pfemit u, e ∈ Z×(p) und sehen mit m := min(v, f)

|x+ y|p = |pm(pv−mu+ pf−me)|p ≤ p−m.

Im Fall v 6= f ist der zweite Faktor zwangslaufig eine Einheit in Z(p).

Bemerkung 4.4.12 Komplettierung

Es sei | · | ein Betrag auf Q. Dann konnen wir Q bezuglich dieses Betragsvervollstandigen.

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96 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Das Ergebnis heißt im Fall des p -adischen Betrags Qp. In Analogie schreibenmanche Leute statt R in diesem Kontext auch Q∞.Ein Unterschied, der bei den Komplettierungen wesentlich ist, ist, dass bei ei-ner p -adischen Cauchy-Folge in Q der p -adische Betrag der Folgenglieder au-tomatisch fast konstant ist, wenn es sich nicht um eine Nullfolge handelt. Dieskann man benutzen, um die Metrik von Q nach Qp fortzusetzen. Die Norm ei-ner p -adischen Cauchy-Folge (xn) in Q ist 0, wenn es eine Nullfolge ist, oderlimn→∞ |xn|p, was ja schließlich konstant wird. Wenn es namlich keine Nullfol-ge ist, dann existiert ein ε > 0 und ein N ∈ N, sodass fur alle n ≥ N auch|xn|p ≥ ε. Wenn weiter – was man durch Wahl von N einrichten kann – fur allem,n ≥ N |xm − xn| ≤ ε/2 gilt, dann folgt aus 4.4.11 die Behauptung

|xn|p = |xm + (xn − xm)|p = |xm|p.

Diese Norm liefert einen Abstand auf dem Vektorraum Cauchy-Folgen/Nullfol-gen, und bezuglich dieses Abstands rechnet man die Vollstandigkeit desselbennach.

Bemerkung 4.4.13 Die ganzen p -adischen Zahlen

Ein ungewohntes Phanomen bei den p -adischen Zahlen ist, dass Z hier nichtdiskret liegt. Der Abschluss Zp von Z in Qp heißt auch Ring der ganzen p -adischen Zahlen.

Dieser Ring Zp lasst sich auf folgende Art besser vor Augen fuhren. Wir fangenan mit einer speziellen Klasse von Cauchy-Folgen in Z, namlich Folgen, die wirals

”Potenzreihen“ in p schreiben: Fur Zahlen ai ∈ Z, i = 0, 1, 2, . . . ist die Folge

der Zahlen

xn :=n∑

i=0

aipi ∈ Z

eine p -adische Cauchy-Folge. Denn: Fur m ≥ n gilt

|xm − xn|p = |m∑

i=n+1

aipi|p = p−n|

m∑i=n+1

aipi−n|p ≤ p−n.

Also hat jede solche Folge einen Grenzwert∑∞

i=0 ∈ Zp. Da diese Folgen einenRing bilden und der Grenzwert einen Ringhomomorphismus nach Zp vermittelt,sind die genannten Grenzwerte ein Teilring von Zp. Dieser Ring enthalt Z undist vollstandig, also ist dieser Ring genau Zp

Die Wahl der ai kann man nachtraglich noch einschranken. Es sei namlich suk-zessive bi ∈ {0, 1, . . . , p− 1} so gewahlt, dass

pn |n∑

i=0

(ai − bi)pi.

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4.4. BETRAGE 97

Dann gilt offensichtlich

limnxn =

∞∑i=0

bipi.

Wir konnen also Zp ahnlich wie die reellen Zahlen entwickeln, nur dass dort dieGrundzahl fur die Potenzreihe eben landlaufiger Weise 1

10ist.

Die Einheitengruppe in Zp ist die Menge

Z×p = {x ∈ Zp | |x|p = 1} = Zp r pZp.

Da jedes Element aus Zp r {0} zu einer Potenz von p assoziiert ist, ist jedesIdeal in Zp ein Hauptideal. Genauer: Wenn I ⊆ Zp ein von {0} verschiedenesIdeal ist, dann sei

v := min{vp(x) | 0 6= x ∈ I}.

Dann ist pv ein Erzeuger von I .

Der obigen Schreibweise der Elemente von Zp als Potenzreihen in p entnimmtman, dass der Restklassenring Zp/p

vZp durch die ganzen Zahlen 0, 1, . . . , pv − 1reprasentiert wird, dass also auch gilt:

Zp/pvZp∼= Z/pvZ.

Der Ring der ganzen p -adischen Zahlen ist intim verknupft mit den Restklassen-ringen Z/pvZ. Das ist der Gegenstand des folgenden Lemmas, das die Arithmetikin Zp diktiert:

Hilfssatz 4.4.14 Lemma von Hensel6

Es seien f ∈ Zp[X] ein Polynom, und a ∈ Zp ein Element, sodass f(a) ∈ pZp

und f ′(a) 6∈ pZp.

Dann gibt es ein a ∈ Zp mit p | a− a und f(a) = 0.

Beweis. Wir setzen a1 := a und konstruieren davon ausgehend eine Cauchy-Folgein Zp, die gegen eine Nullstelle von f konvergiert.

Im ersten Schritt suchen wir ein a2 ∈ a1 + pZp mit p2 | f(a2). Dazu machen wirden Ansatz

a2 = a1 + pt, t ∈ Zp

und evaluieren das Polynom f an der Stelle a2 . Die Binomischen Formeln, an-gewandt auf die Summanden von f, sagen dann

f(a1 + pt) = f(a1) + f ′(a1)pt+ p2 · Rest,

6Kurt Hensel, 1861 - 1941

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98 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

wobei der Rest auch in Zp liegt. Damit das durch p2 teilbar ist, muss also nurdie Summe f(a1) + f ′(a1)pt durch p2 teilbar sein. Nun ist aber f(a1) = ps furein s ∈ Zp. Wir mussen also dafur sorgen, dass

t = −s/f ′(a1)

gilt, was losbar ist, da f ′(a1) in Zp eine Einheit ist.

Damit finden wir

a2 = a1 −ps

f ′(a1)= a1 −

f(a1)

f ′(a1).

Wenn sukzessive ak konstruiert ist mit pk | f(ak) und p | (a1 − ak) , dann istimmer noch f ′(ak) ∈ Z×p , und wir konnen weitermachen wie im ersten Schritt.

ak+1 := ak −f(ak)

f ′(ak)

liefert einen Wert mit

f(ak+1) = f(ak −f(ak)

f ′(ak)) = f(ak)− f ′(ak)f(ak)/f ′(ak) + (

f(ak)

f ′(ak))2 · Rest,

wobei der Rest in Zp liegt und daher pk+1 sicher ein Teiler von f(ak+1) ist.

Die so konstruierte Folge ist offensichtlich eine Cauchy-Folge, und die Stetigkeitder durch f gegebenen Abbildung (siehe 4.4.3) zwingt den Grenzwert

a := limk→∞

ak

dazu, eine Nullstelle von f zu sein. ©

Bemerkung 4.4.15 Newtonverfahren7

a) Am Beweis sieht man insbesondere, dass unter den Bedingungen des Lemmasvon Hensel das Newton-Verfahren funktioniert, und zwar viel besser als man sichdas in der reellen Analysis jemals traumen lassen darf.

Wenn f rationale Koeffizienten hat und a ∈ Q gewahlt wird, kann es passie-ren, dass das Newton-Verfahren sowohl reell als auch p -adisch konvergiert. DieCauchy-Folgen sind dieselben, denn diese sehen nur das rationale Polynom undden rationalen Startwert und brauchen den drumherumliegenden vollstandigenKorper gar nicht fur ihre Definition.

Bei anderer Wahl des Startwerts kann es jedoch passieren, dass zum Beispieldie neue Folge gegen dieselbe p -adische Nullstelle lauft, aber gegen eine andere

7Isaac Newton, 1643-1727

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4.4. BETRAGE 99

reelle. Es gibt also keine naturliche Entsprechung zwischen reellen und p -adischenNullstellen, zumal die eine oder andere vielleicht gar nicht existiert.

b) Die Voraussetzungen lassen sich noch etwas abschwachen. Was man eigentlichbraucht ist, dass

vp(f(a)) > 2vp(f ′(a))

gilt. Im Fall unserer Version des Hensel-Lemmas ist vp(f ′(a)) = 0.

Beispiel 4.4.16 Quadrate

a) Es sei p eine ungerade Primzahl und b ∈ Z×p derart, dass die Restklasse vonb in F×p ein Quadrat ist. Das heißt:

∃a ∈ Zp : a2 − b ∈ pZp.

Wir benutzen das Polynom f(X) = X2 − b . Modulo p ist a eine Nullstelle vonf , und f ′(a) = 2a ist immer noch eine Einheit in Zp, da p 6= 2.

Also gibt es ein a ∈ a+ pZp mit a2 = b.

Konkreter sei p = 5 und b = −1. Eine Nullstelle von X2 + 1 modulo 5 ist zumBeispiel a1 = 2 mit f ′(a1) = 4.

Dann ist im Beweis des Lemmas von Hensel

a2 = a1 − f(a1)f ′(a1)

= 2− 54

= 34,

a3 = a2 − f(a2)f ′(a2)

= 34−

916

+1

2 34

= 34− 25

24= −7

24.

a4 = · · · = 527336,

a5 = 164833354144

,

a6 = −98248054847116749235904

und so weiter.

Hier kann man etwa testen, dass

a26 + 1 =

152587890625

125417972736= 516 · 1

125417972736,

also ist |a26 + 1|5 = 5−16, und a6 liegt in Z5 tatsachlich außerst nah an einer

Quadratwurzel aus −1 .

b) Jetzt machen wir das fur p = 2 und suchen zum Beispiel eine Quadratwurzelaus 17. Das zu verwendende Polynom ist X2−17, wir nehmen a1 = 1 und finden

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100 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

f(a1) = −16, f ′(a1) = 2.

a2 = a1 − f(a1)/f ′(a1) = 1− (−8) = 9,a3 = a2 − f(a2)/f ′(a2) = 9− 64/18 = 49/9,a4 = 1889/441,a5 = 3437249/833049,a6 = 11806090753409/2863396842201,

und so weiter. Tatsachlich ist zum Beispiel

a26 + 17 =

73786976294838206464

8199041475926658494524401= 266 1

8199041475926658494524401,

und wir sind in Z2 schon sehr nah an einer Quadratwurzel aus 17 dran.

Hier haben wir das Phanomen aus 4.4.15a) vorliegen. Tatsachlich ist auch reella6 schon sehr nah an einer Quadratwurzel aus 17:

a26 = 17.00000899946371920246652520 . . .

Wenn wir aber den Startwert durch a1 = −7 ersetzen, dann bekommen wirdieselbe 2-adische Nullstelle als Limes im Newtonverfahren, wahrend reell dieFolgenglieder alle negativ sind, also gegen die andere Wurzel von 17 konvergieren.

Bemerkung 4.4.17 Bedeutung

Die p -adischen Zahlen sind in der modernen Zahlentheorie von großer Bedeutung,was in dieser Vorlesung noch nicht so recht vermittelt werden kann.

Erst in der algebraischen Zahlentheorie oder in der arithmetischen Geometrie wirdklarer, was durch sie gewonnen wird. Fur den Ring Z sollte man Zp tatsachlichals eine Art universelles Instrument zur Behandlung von Kongruenzen modulop -Potenzen verstehen. Die endlichen Ringe Z/peZ werden auf einen Schlag durcheinen nullteilerfreien Ring ersetzt, der Z enthalt, das ist fur manche Untersuchun-gen nicht zu unterschatzen. Und man hat eine interessante Topologie, sodass sichsogar analytische Argumente als Hilfsmittel anbieten.

Der Mathematik wird ein Stuck Einheit zuruckgegeben, das durch die oft kunst-liche und starre Unterteilung in disjunkte Disziplinen verloren zu gehen droht.

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4.4. BETRAGE 101

INDEX

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102 KAPITEL 4. DEDEKINDRINGE

Ableitung 2.2.9Adjunktion 2.1.1algebraisch 2.1.1algebraisch abgeschlossen 2.1.9algebraischer Abschluss 2.1.9algebraisch unabhangig 2.1.6Aquivalenz von Betragen 4.4.5, 4.4.6artinsch 3.1.8auflosbar 1.2.1Auflosbarkeit durch Radikale 2.4.10Betrag 4.4.1

(nicht) archimedischer - 4.4.9Bewertungsring 4.3.4Bewertungsideal 4.3.4bilineare Abbildung 3.2.1Cliffordalgebra 3.2.9Dedekindring 4.1.5Dedekindsche Zetafunktion 4.1.2Diskriminante 3.3.3diskrete Bewertung 4.3.1Dreiteilung des Winkels 2.4.8einfache Gruppe 1.1.1einfacher Modul 1.3.1Eisensteinkriterium 2.2.1elementarsymm. Polynome 2.4.13exakte Sequenz 3.1.3faktorieller Ring 2.2.8Fundamentalsatz der Algebra 2.4.2

- der Arithmetik 1.1.6ganz 3.3.7

-er Abschluss 3.3.7, 3.3.10- abgeschlossen 3.3.7

Ganzheitsring 3.3.12Gaußlemma 2.2.5gebrochene Ideale 4.2.1Hauptsatz der Galoistheorie 2.3.16Hilberts Basissatz 3.1.6Idealklassengruppe 4.2.13Inhalt eines Polynoms 2.2.3inverses Ideal 4.2.3Kettenbedingung 3.1.8Kompositionsreihe 1.1.3, 1.1.7

konstruierbar 2.4.5Korpererweiterung 2.1.1

galoissche - 2.3.8Grad einer - 2.1.5normale - 2.3.8separable - 2.3.8

Kreisteilungskorper 2.2.9, 2.4.7Lemma von Artin 2.4.17

- von Hensel 4.4.14Losungsformels 2.4.11maximales Ideal 1.3.4Maximalordnung 3.3.3Minimalpolynom 2.1.1Newtonverfahren 4.4.15nilpotente Gruppe 1.2.1noethersch 3.1.1, 3.1.8Norm

eines Elements 4.1.2eines ideals 4.1.2

normale Hulle 2.2.12normaler Ring 3.3.7Normalreihe 1.1.3Ordnung 3.3.1P-adische Bewertung 4.2.12p-adische Zahlen 4.4.12, 4.4.13perfekter Korper 2.2.12Primideal 1.3.6primitives Element 2.3.14Produkt zweier Ideale 4.2.1Quadratur des Kreises 2.4.9Radikalerweiterung 2.4.10Satz von Artin 2.3.17

- von Jordan-Holder 1.1.5- von der Normalbasis 2.4.18- von Ostrowski 4.4.10- vom primitiven Element 2.3.15

Skalarerweiterung 3.2.5Tensoralgebra 3.2.8Tensorprodukt 3.2.2transzendent 2.1.1Transzendenzbasis 2.1.6Verschwindungsideal 2.1.1Zerfallungskorper 2.3.8