ALL HIGHER ADMINISTRATIVE COURTS ARE EQUAL? Eine vergleichende Untersuchung zur unterschiedlichen Wahrnehmung oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung innerhalb des deutschen Rechtssystems Von Christoph Knill,Ansgar Schäfer und Daniela Winkler, KonstanzjTübingen I. Einleitung Ein fiktives Ranking der obersten verwaltungsgerichtlichen Entschei- dungsorgane durch die deutschen Staatsrechtslehrer im Hinblick auf die Frage, welche Gerichte sie als besonders bedeutsam wahrnehmen, würde mit großer Wahrscheirilichkeit den Verwaltungsgerichtshöfen Bayerns und Baden-Württembergs einen der vorderen Plätze einräumen, das Oberverwal- tungsgericht Mecklenburg-Vorpommerns hingegen nachrangig einordnen. Eine derartige Fiktion spiegelt die verbreitete Annahme wider, es bestünden Unterschiede in der Wirkung der höchsten Verwaltungsgerichte der Länder innerhalb des deutschen Rechtssystems. Auch in einem nicht dem case law verpflichteten Rechtssystem sind derartige rechtsprechungsbezogene Diffe- renzen nicht zu unterschätzen, insbesondere soweit man ihre Rechtsetzungs- und Rechtskonkretisierungsfunktion in Augenschein nimmt!, welche in Form der Gesetzesauslegung2 oder RechtsfortbildungS sog. Richterrecht 4 1 Vgl. die These vom sog. "Richterstaat", welcher den "Gesetzgebungsstaat" ab- gelöst hat; vgl. Rohloff, Die Beziehung zwischen der gesetzgebenden und rechtspre- chenden Gewalt, DRiZ 1970, S. 284; ZUlll "Richterstaat" auch Werner, Das Problem des Richterstaates: Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 4. November 1959,1960. 2 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auf!.. 1991, S. 312. Allerdings ist streitig, ob bereits der Vorgang der Auslegung als Rechtsfortbildung begriffen werden kann; bejahend Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsetzung, NJW 1972, S. 409 (411); verneinend Hirsch, Richterrecht und Gesetzes- recht, JR 1965, S. 334. 3 Vgl. hierzu Larenz (FN 2), S. 366; Larenz, Richterliche Rechtsfortbildung als methodisches Problem, NJW 1965, S. 1; vgl. auch die Fallgruppen "richterlicher Ge- setzesabweichung" bei Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, Rn. 936 ff. Zur Rechts- fortbildung sind maßgeblich die (Bundes-)Obergerichte berufen; siehe Horn, Einfüh- rung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2007, Rn. 189 f.; BVerfGE 34, 269 (287 ff.); BGHZ 3, 308 (315); BGH, NJW 2003, S. 1588 (1592). 4 Aufgrund der notwendigen Abstraktion (z. B. Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe) sowie der Dynamik der tatsächlichen Lebensumstände wird die Ent-
Text of ALL HIGHER ADMINISTRATIVE COURTS ARE EQUAL?
All higher administrative courts are equal? : Eine vergleichende
Untersuchung zur unterschiedlichen Wahrnehmung
oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung innerhalb des deutschen
RechtssystemsRechtsprechung innerhalb des deutschen
Rechtssystems
Von Christoph Knill,Ansgar Schäfer und Daniela Winkler,
KonstanzjTübingen
I. Einleitung
Ein fiktives Ranking der obersten verwaltungsgerichtlichen
Entschei dungsorgane durch die deutschen Staatsrechtslehrer im
Hinblick auf die Frage, welche Gerichte sie als besonders bedeutsam
wahrnehmen, würde mit großer Wahrscheirilichkeit den
Verwaltungsgerichtshöfen Bayerns und Baden-Württembergs einen der
vorderen Plätze einräumen, das Oberverwal tungsgericht
Mecklenburg-Vorpommerns hingegen nachrangig einordnen. Eine
derartige Fiktion spiegelt die verbreitete Annahme wider, es
bestünden Unterschiede in der Wirkung der höchsten
Verwaltungsgerichte der Länder innerhalb des deutschen
Rechtssystems. Auch in einem nicht dem case law verpflichteten
Rechtssystem sind derartige rechtsprechungsbezogene Diffe renzen
nicht zu unterschätzen, insbesondere soweit man ihre Rechtsetzungs
und Rechtskonkretisierungsfunktion in Augenschein nimmt!, welche in
Form der Gesetzesauslegung2 oder RechtsfortbildungS sog.
Richterrecht4
1 Vgl. die These vom sog. "Richterstaat", welcher den
"Gesetzgebungsstaat" ab gelöst hat; vgl. Rohloff, Die Beziehung
zwischen der gesetzgebenden und rechtspre chenden Gewalt, DRiZ
1970, S. 284; ZUlll "Richterstaat" auch Werner, Das Problem des
Richterstaates: Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen
Gesellschaft am 4. November 1959,1960.
2 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.
Auf!.. 1991, S. 312. Allerdings ist streitig, ob bereits der
Vorgang der Auslegung als Rechtsfortbildung begriffen werden kann;
bejahend Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher
Rechtsetzung, NJW 1972, S. 409 (411); verneinend Hirsch,
Richterrecht und Gesetzes recht, JR 1965, S. 334.
3 Vgl. hierzu Larenz (FN 2), S. 366; Larenz, Richterliche
Rechtsfortbildung als methodisches Problem, NJW 1965, S. 1; vgl.
auch die Fallgruppen "richterlicher Ge setzesabweichung" bei
Rüthers, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2005, Rn. 936 ff. Zur Rechts
fortbildung sind maßgeblich die (Bundes-)Obergerichte berufen;
siehe Horn, Einfüh rung in die Rechtswissenschaft und
Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2007, Rn. 189 f.; BVerfGE 34, 269 (287
ff.); BGHZ 3, 308 (315); BGH, NJW 2003, S. 1588 (1592).
4 Aufgrund der notwendigen Abstraktion (z. B. Generalklauseln,
unbestimmte Rechtsbegriffe) sowie der Dynamik der tatsächlichen
Lebensumstände wird die Ent-
herbeiführen. Zwar kommt der Rechtsprechung eines VGH oder OVG
keine rechtlich bindende Wirkung zu5
, dennoch "nimmt (jedes Gericht) für seine Entscheidung in
Anspruch, dass sie dem geltenden Recht entspricht" , worin zugleich
"die Behauptung eingeschlossen (ist), dass nach der damit auf
gestelltenMaxime künftig jeder gleichartige Fall zu entscheiden sei
,,6.
Durch die hierin liegende Vorbildfunktion kann der Rechtsprechung
eine faktisch bindende7 Wirkung zukommen8
• Dies entspricht der Feststellung, dass die unteren Gerichte sich
in weitem Umfang an Beispiel gebenden Entscheidungen der obersten
Gerichte orientieren und auch das oberste Gericht selbst nur selten
von einer einmal angenommenen Rechtsauffas sung abweicht9
• In ähnlicher Weise gehen die Überlegungen zur Amts- und
Anwaltshaftung bei Unkenntnis der Rechtsprechung von einer
Bindungs wirkung der Rechtsprechung aus10
• Ihre Legitimation soll diese Bindungs wirkung in der Zuordnung
staatlicher Gewalt an die Judikative erhalten. So führt Redeker
aus: "Die rechtsprechende Gewalt ist eine der Emanatio nen
staatlicher Tätigkeit überhaupt, die hoheitlichen Inhalt hat. Neben
dem Prinzip der Rechtskraft, der unmittelbaren Bindung inter
partes, gehört zu ihr auch die Geltungskraft, die mittelbare
Verbindlichkeit für Dritte. Rechtsprechung beinhaltet auch
richterliche Rechtsetzung, solange und soweit sie sich in den ihr
gesteckten Grenzen häIt"ll. Dieser Richtigkeits-
stehung von Richterrecht als mit dem Gewaltenteilungsprinzip
vereinbar angesehen (vgl. nur BVerfGE 84, 212 (226 f.); Herzog,
Rechtsetzung durch Rechtsprechung? - Ein Problem der
Gewaltenteilung, 1994, S. 23 ff.; Söllner, Z= Eingriff der Recht
sprechung in die Gesetzgebung, ZG 1996, S. 241 (244 ff.);
relativierend Schmidt-Aß mann, Der Rechtsstaat, in:
Isensee/Kirchhof (Hrsg.) , Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3.
Aufl. 2004, § 26 Rn. 66; a.A. Hirsch (FN 2».
5 Anders stellt sich die Rechtspraxis nach der angloamerikanischen
Tradition des case law dar.
6 Larenz (FN 2), S. 429. 7 Im Unterschied zur rechtlich bindenden
Wirkung, die sich auf Gedanken der
Gleichbehandlung und Rechtssicherheit gründen kann; zu Letzterer
Larenz, Über die Bindungswirkung von Präjudizien, in: FS Schima,
1969, S. 247 ff.; Picker, Rich terrecht oder Rechtsdogmatik -
Alternativen der Rechtsgewinnung? - Teil 2, JZ 1988, S. 62 (72);
Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl. 2006, S. 8I.
8 Eine solche faktische Bindung wird weitgehend anerkannt; vgl. nur
Hirte, Mit teilung und Publikation von Gerichtsentscheidungen - Z=
Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsschutz und Interessen der
Öffentlichkeit, NJW 1988, S. 1698 (1700); Larenz (FN 7), S. 248
("Case Law im kontinentalen Rechtssystem"). Sogar darüber
hinausgehend Redeker (FN 2), S. 411: "verbindlich im Sinne einer
Geltungs kraft, die der einer Rechtsnorm nicht nachsteht". Zur
"gesetzesähnlichen" Verwen dung von Präjudizien Lautmann, Justiz,
die stille Gewalt: teilnehmende Beobach tung und
entscheidungssoziologische Analyse, 1972, S. 97.
9 Larenz (FN 2), S. 429. In diesen Fällen pflegen die Gerichte
zudem zu begründen, WarUlll sie entgegen einer früheren
Leitentscheidung entscheiden; vgl. Hirte (FN 8), S.1700.
10 Zur Kenntnispflicht des Rechtsanwalts LG Darmstadt, NJW 2006, S.
519 (520); zur Amtshaftung OLG Koblenz, NVwZ-RR 2003, S. 168
f.
11 Redeker (FN 2), S. 412.
All Higher Administrative Courts are equa1? 57
anspruch ist Voraussetzung gerichtlichen Einflusses, welcher
insbesondere in der Übernahme einer Rechtsprechung durch andere
oberste Gerichte oder durch den wissenschaftlichen Diskurs
augenscheinlich werden kann.
Das Augenmerk des vorliegenden Beitrags richtet sich demgegenüber
auf die Wahrnehmung, die einem Gericht in der juristischen
Diskussion zu kommt, als Vorstufe des beschriebenen Einflusses. Im
Vordergrund steht damit die deskriptive Erfassung und Beschreibung
potentieller Differenzen in der Perzeption
oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung innerhalb des deutschen
Rechtssystems. Die weitergehende Frage, welche Gründe für mögliche
Unterschiede verantwortlich sind, kann im Rahmen der vorliegen den
Untersuchung jedoch allenfalls ansatzweise vermutet werden. Eine
sys tematische Beantwortung dieser Frage setzt umfassende weitere
Daten erhebungen zu möglichen unabhängigen Variablen voraus,
während die hier präsentierten Befunde ausschließlich auf der
ebenfalls sehr aufwän digen Analyse von Daten zur abhängigen
Variablen "Wahrnehmung ober verwaltungsgerichtlicher
Rechtsprechung" basieren. Zu betonen ist über dies, dass aus einer
deskriptiven Erfassung von Wahrnehmungsdifferenzen keine direkten
Schlüsse bezüglich entsprechender Einflussdifferenzen ober
verwaltungsgerichtlich~ Rechtsprechung gezogen werden können. Zwi
schen dem Ausmaß der Veröffentlichung und fachwissenschaftlicher
Zita tion einer Entscheidung und deren Einfluss auf die
Rechtsprechung besteht nur ein bedingter Zusammenhang: Die
Perzeption einer Rechtsprechung ist notwendige, nicht jedoch
hinreichende Bedingung ihrer Rezeption. Insofern ist die hier
vorliegende Analyse als ein erster Schritt zu betrachten, ein bis
lang vernachlässigtes Forschungsterrain zu erschließen und
Perspektiven für weitergehende Forschungsaktivitäten in diesem
Bereich zu eröffnen.
Der Fortgang der Untersuchung beginnt mit einer Darstellung des
aktu ellen Forschungsstandes (hierzu II.). Auf dessen Grundlage
werden geeig nete Indikatoren vorgestellt und auf ihre Nutzbarkeit
für die vorliegende Untersuchung überprüft (hierzu III.). Der
dritte Teil präsentiert die Ergeb nisse ihrer Anwendung auf die
sechzehn obersten Verwaltungsgerichte der Länder (hierzu rv.). Der
Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung sowie einem Ausblick auf
den weiteren Forschungsbedarf, der sich insbesondere als
Erklärungsbedarf darstellt (hierzu v.).
11. Forschungsstand
58 Christoph Knill, Ansgar Schäfer und Daniela Wmkler
von Wahrnehmungs- und Einflussunterschieden gerichtlicher
Entscheidun gen innerhalb des deutschen Rechtssystems bleibt
bislang weitgehend ver nachlässigt12. Deutlich wird dies
insbesondere an dem Umstand, dass die rechtssoziologische
Standardliteratur zwar Fragen des gerichtlichen Verfah rens (etwa
Zugangsbarrieren, Prozessdauer, Prozessflut) ansprechen, den hier
betroffenen Bereich unterschiedlicher Perzeption und Rezeption ge
richtlicher Entscheidungen jedoch nicht berühren. Scheinbar besteht
nur bei ausdrücklicher Rechtschöpfungs- und
Rechtfortbildungskompetenz der Gerichte ein entsprechendes
Forschungsinteresse. Tatsächlich besteht ein solcher
Forschungsbedarf jedoch auch vor dem Hintergrund primär par
lamentarischer Verortung von Rechtsetzungsbefugnissen, da nach der
oben beschriebenen Zuteilung von Rechtsetzungskompetenzen an die
Gerichte von einem im Hinblick auf die Rechtsetzung bestehenden
"Kooperationsver hältnis" zwischen Gesetzgeber und Gericht
gesprochen werden kann, wel ches die Unterschiede zwischen dem
angelsächsischen System des Common Law und dem
kontinental-europäischen Kodifikationssystem relativiert13.
Der Blick in den angloamerikanischen Rechtskreis bietet ein weites
For schungsfeld zur Thematik des gerichtlichen Einflusses und -
mittelbar hier mit verbunden - der Wahrnehmung gerichtlicher
Entscheidungen14. Im Vor dergrund steht hier zwar die Frage nach
dem politischen Einfluss höchs ter Gerichte15 sowie nach der
tatsächlichen Bindungswirkung von Präju dizien16. Daneben werden
jedoch auch potentielle Selektivitäten gericht licher17 und
insbesondere richterlicher18 Wahrnehmung innerhalb des
12 Lediglich eine (nicht vergleichende) Studie zum Einfluss des
BVerlG findet sich bei Luetjohann, Nicht-nonnative Wrrkungen des
Bundesverfassungsgerichts: ein Beitrag zur Rechtsprechungslehre,
1991.
13 Söllner (FN 5), S. 245 f. 14 Weitere Fragen inl Bereich der
Justizforschung betreffen die Einflussfaktoren
auf die Entscheidungsfindung (zur Zusammensetzung vgL Kearney /
Sheehan, Su preme Court Decision Making. The Impact of Court
Composition on State and Local Government Litigation, The Journal
of Politics 54 (1992), S. 1008).
15 Flemming / Bohte / Wood, One Voice Among Many: The Supreme
Court's Influ ence on Attentiveness to Issues in the United
States, American Journal of Political Science 41 (1997), S. 1224;
Wahlbeck, The Life of the Law: Judicial Politics and Legal Change,
The Journal of Politics 59 (1997), S. 778.
16 Songer; Case Selection in Judicial Impact Research, The West
Political Quarterly 41 (1988), S. 569.
17 So Friedman / Kagan / Cartwright / Wheeler; State Supreme
Courts: A Century of Style and Citation, Stanford Law Review 33
(1981), S. 773 (792 ff.). Zur richterlichen "Vorprägung" vgL auch
die Analyse der Abstimmungskoalitionen deutscher Verfas
sungsrichter bei Rottleuthner; Einführung in die Rechtssoziologie,
1987, S. 106 ff.
1S SO Bhattacharya/ Smyth, The determinants of Judicial Prestige
and Influence: Some Empirical Evidence from the High Court of
Australia, The Journal of Legal Studies 2001, S. 223; Lande /
Lessig / Solimine, Judicial Influence: A Citation Analy sis of
Federal Courts of Appeals Judges, Journal of Legal Studies XXVII
(1998), S. 271. Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass hier
üblicherweise die Meinungen der einzelnen Richter (also sozusagen
eine Reihe von Sondervoten) veröffentlicht' werden.
All Higher Administrative Courts are equa1? 59
Rechtssystems erörtert. Diese werden in erster Linie anhand der
Häufigkeit der Zitation innerhalb der Rechtsprechung und der
Sekundärliteratur ge messen 19, da hiermit zugleich die erhöhte
Chance der Entwicklung von Case Law verbunden iseo. Hierbei zeigte
sich insbesondere, dass eine vermehrte Aufmerksamkeit auf neuen
Argumentationswegen beruht, denen gegenüber Verweise auf die
hergebrachte Rechtsprechung zuriickstehen.21
ill. Indikatoren
Die Wahrnehmung der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
lässt sich nicht abstrakt oder rein theoretisch bestinunen. Um das
jeweilige Ausmaß der Perzeption beschreiben und bewerten zu können,
müssen ent sprechende Messgrößen (Indikatoren) definiert werden.
Damit orientiert sich die Untersuchung an Techniken der empirischen
Sozialforschung und bewegt sich im Feld der
Rechtstatsachenforschung22
, welche methodisch kontrolliert wirklichkeitsbeschreibende Daten
erhebt und in diesem Sinne von der theoretischen Rechtssoziologie
abzugrenzen ist23
• Die Rechtstat sachenforschung will - juristisch orientiert - die
normative Rechtswissen schaft und - soziologisch orientiert - die
theoretische (reine) Rechtssozi ologie mit Tatsachenmaterial
versorgen24
• Als Rechtstatsachen, welche das Untersuchungsobjekt der
Rechtstatsachenforschung bilden, gelten "alle so zialen,
politischen und sonstigen Tatsachen, aufgrund derer einzelne recht
liche Regeln entstehen, sowie diejenigen sozialen, politischen und
weiteren Tatsachen, die aufgrund von Normen entstehen, d. h. alle
Tatsachen, die auf Recht ,genetisch' einwirken und die durch Recht
,operational' hervorgeru fen werden ,,25. Hierunter fallen zwar
keine Texte bzw. Dokumente26, jedoch stellt beispielsweise der
Umstand, dass die Entscheidung eines Gerichts
19 Vgl. Bhattacharya/ Smyth (FN 18), S. 226 ff. 20
Friedman/Kagan/Cartwright/Wheeler(FN 17), S. 804. 21 Friedman/
Kagan/Cartwright/Wheeler (FN 17), S. 817. 22 Zur Entstehung der
Rechtstatsachenforschung vgl. Falckenstein, Rechtstat
sachenforschung - Geschichte, Begriffe, Arbeitsweisen, in:
Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung -
Methodische Probleme und Beispiele aus dem S~huld- und
Wirtschaftsrecht, 1985, S. 78 ff.; Pieger; Rechtstatsachenforschung
- Zie le, Gegenstand, bisherige Erscheinungsformen, ebd., S. 127
(129 ff.). Als Begründer dieser Forschungsrichtung wird Arthur
Nußbaum betrachtet, da dieser in seiner Schrift "Die
Rechtstatsachenforschung - Ihre Bedeutung für Wissenschaft und
Unterricht" (1914) erstmals ein umfassendes System der
Rechtstatsachenforschung vorlegte. Die Rechtstatsachenforschung
bedient sich der Forschungslogik und Me thoden der empirischen
Sozialforschung.
23 Zu dieser Definition vgl. Rehbinder; Rechtssoziologie, 5. Aufl.
2003, Rn. 6. 24 Pieger (FN 22), S. 135. 25 Pieger (FN 22), S. 133.
26 Schneider; Rechtstatsachen und Juristisches lnformationssystem
"JURIS", in:
Chiotellis/Fikentscher (FN 22), S. 107 (113).
60 Christoph Knill, Ansgar Schäfer und Daniela Winkler
veröffentlicht bzw. in der öffentlichen Diskussion zitiert wurde,
eine Rechts tatsache dar.
1. Messbarkeit gerichtlichen Einflusses
Die hier verwendeten Indikatoren beziehen sich auf äußerlich
messbare Faktoren, welche die Wahrnehmung der gerichtlichen
Entscheidung inner halb des Rechtssystems widerspiegeln. Dabei ist
zu trennen zwischen den jenigen Faktoren, die von den
Gerichtsorganen selbst beeinflusst werden können (interne
Faktoren), und anderen, die sich einer solchen Einfluss nahme
entziehen (externe Faktoren). Zu den Ersteren zählen im Wesent
lichen Fragen der Veröffentlichung (unter 2.), unter Letztere
Zitationen - mit Ausnahme von Selbstzitationen - (unter 3.). Zu
beachten ist zudem, dass die Bedeutung der jeweiligen Indikatoren
von äußeren unbeeinfluss baren Umständen (wie etwa der
Einwohnerzahl des jeweiligen Bundeslan des und dementsprechend der
Anzahl der jeweils gesprochenen Entschei dungen) abhängig ist.
Daher unterscheidet die unter Iv. folgende Darstel lung zwischen
absoluter und relativer Perzeption.
2. Veröffentlichung
, gehört jedoch mit Einführung des elektronischen
Informationssystems JURIS partiell der Vergangenheit an28
. Die Voraussetzungen einer Veröffentlichung haben sich hierdurch
umfassend verändert, wie eine genauere Darlegung der
Veröffentlichungs praxis der JURIS-Rechtsprechungsdatenbank29
belegt. Nachgewiesen wer den hier zunächst alle Entscheidungen,
die von den Richtern der an der Dokumentation beteiligten Gerichte
bzw. über die jeweiligen Dokumen tationsstellen ausgesucht werden,
außerdem alle Entscheidungen, die die ' Richter und
Gerichtsverwaltungen aller Gerichtsbarkeiten und Instanzen an die
Dokumentationsstellen übersenden und alle in etwa fünfhundert
27 Hierzu Hirte (FN 8); Kramer, Informationskrise des Rechts und
Veröffent lichungspraxis, ZRP 1976, S. 84.
28 Solche Veröffentlichungsgrundsätze erlangen jedoch bei der
Arbeit der Doku mentationsstellen und im Rahmen der gerichtlichen
Auswahlentscheidungen weiter hin Bedeutung.
29 Folgend JURIS genannt.
ausgewerteten Fachzeitschriften publizierten Entscheidungen30 •
Eher nach
rangig von dem Gedanken an gesetzlich normierte
Veröffentlichungspflich ten und dem hiermit verbundenen Gedanken
der VeröffentlichungsWÜT digkeit getragen, denen noch die
"traditionellen" amtlichen Entscheidungs sammlungen zugrunde
liegen, sinnt die elektronische Veröffentlichungsform auf eine
umfassende Publikation und damit zusammenhängende Informa tion von
Wissenschaft und Rechtsprechung. '
Während die Publikation der Entscheidung "conditio sine qua non"
der gerichtlichen Wahrnehmung ist, beruht die Darstellung der
Entscheidung als Kurz- oder Langtext31 auf Zufälligkeiten. Nach
Angaben der JURIS Redaktion wird jede Entscheidung in möglichst
ausführlicher Form wieder gegeben. Aus Zeitschriften übernommene
Entscheidungen liegen jedoch partiell nur im Leitsatzformat
(Kurztext) vor. Die Darstellungsform wird vor diesem Hintergrund in
der weiteren Untersuchung keine Berücksich tigung finden.
b) Veröffentlichung in Zeitschriften. Überwiegend erfolgen
Veröffent lichungen in Fachzeitschriften aus eigener Initiative
beteiligter Richter oder im Rahmen einer Zusammenarbeit mit
bestimmten Verlagen32
• Rück schlüsse lassen sich jedoch aus der Häufigkeit der
Veröffentlichung einer Entscheidung ziehen. Im vorliegenden Beitrag
wird dieses Phänomen aus zwei Blickwinkeln beleuchtet. Er
berücksichtigt sowohl die Anzahl der Veröffentlichungen als auch
die Art der Zeitschriften, in denen die Ent scheidung abgedruckt
wurde. Unterschieden wird zwischen zwei Gruppen vom Rechtsanwender
stärker und schwächer frequentierter Zeitschriften. Zu den Ersteren
werden im Folgenden NJW, NVwZ, NVwZ-RR, DÖV, DVBI gezählt. Es
handelt sich hierbei sowohl um sämtliche Rechtsgebiete um fassende
Zeitschriften (NJW) als auch um Zeitschriften, welche sich auf das
öffentliche Recht spezialisiert haben, ohne hieraus einzelne
Rechtsgebiete (Umweltrecht, Gewerberecht etc.) gesondert
herauszugreifen. Als Abgren zungskriterien zu anderen
Zeitschriften wurden das Online-Angebot33
, die Erscheinungsregelmäßigkeit34
die Auflagenzahl37 sowie die Abonnentenzahl38 herangezogen. Zur
anderen
30 Walker, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen, 2000, S. 46.
31 Ein solcher umfasst nicht nur das Entscheidungsergebnis, sondern
auch den Be-
gründungsverlauf. 32 Walker (FN 30), S. 5I. 33 So bei NJW, NVwZ und
NVwZ-RR über http://www.beck-online.de. 34 NJW: wöchentlich; DÖV,
DVBl: zweiwöchentlich; NVwZ, NVwZ-RR: monatlich. 35 NJW: seit 1947;
NVwZ: seit 1982; DÖV: seit 1947; DVBl: seit 1950. 36 NJW: alle
Juristen/ Anwälte; NVwZ: Anwälte (insbesondere Fachanwälte
für
Verwaltungsrecht), Verwaltungsrichter, staatliche und kommunale
Behörden Geweils lt. Angabe des C.H. Beck Media Service).
37 NJW: 51000 Exemplare; NVwZ, NVwZ-RR: 5500 Exemplare; DÖV: 2400
Ex emplare; DVBl: 2500 Exemplare. Andere auflagenstarke
Zeitschriften wie die JuS
62 Christoph Knill, Ansgar Schäfer und Daruela Winkler
Gruppe zählen die nicht explizit benannten juristischen
Zeitschriften, wel che etwa aufgrund ihrer starken Spezialisierung
(GewArch, ZUR, Komm Jur usw.), ihrer überwiegend
wissenschaftlichen (Der Staat, AöR usw.) oder ausbildungsbezogenen
(JuS, JURA) Ausrichtung nicht in gleichem Umfang sowohl
Rechtsanwendern (in erster Linie: Anwälte und Richter) als auch
Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt und von diesen genutzt
werden.
Als weiterer Wahrnehmungsindikator lässt sich daher die Veröffent
lichung in Zeitschriften gestaffelt nach Häufigkeit und Art der
Zeitschrif ten festhalten. Dem steht auch nicht die Vermutung
entgegen, dass die Veröffentlichungsentscheidungen nicht nur auf
fachlichen, sondern auch auf kommerziellen Erwägungen beruhen. Da
sich Letztere in erster Linie von Kundenerwägungen leiten lassen,
differenzieren auch sie nach dem Bedeutungsgrad der
Entscheidung.
3. Zitation
• Hierin stellt sich ebenso der Präjudizcharakter einer
Entscheidung dar wie ihre Fähigkeit, nachfolgende Entscheidungen zu
beeinflussen. Ihr Vorteil ist die weitgehende Unbeeinflussbarkeit
durch das entscheidende Gericht. Während sich zudem die Wahrnehmung
einer Veröffentlichung auf einen physischen Vorgang beschränken
kann, setzt eine Zitation zudem die geistige Auseinandersetzung mit
dem Entscheidungsinhalt voraus. Durch eine große Anzahl
untersuchter Entscheidungen und zugehöriger Zitatio nen soll in
diesem Beitrag zudem der "Zufallsfaktor" gering gehalten wer den,
der darin besteht, dass etwa einzelne Fälle ein besonders großes
(wis senschafts-)öffentliches Interesse verursachen oder besonders
viele - zwei felhafte - Rechtsfragen aufwerfen. Solche
Fallgestaltungen werden bereits "aus der Natur der Sache" häufiger
zitiert als andere Entscheidungen.
a) Rechtsprechungszitation.Als Zitationen sind sowohl gerichtliche
als auch wissenschaftliche Zitationen denkbar. Die Maßgeblichkeit
Ersterer für die jeweilige Wahrnehmung innerhalb des Rechtssystems
ist jedoch von verschiedenen Einschränkungen abhängig. So müssen
zunächst Selbstzita tionen des entscheidenden Gerichts
unberücksichtigt bleiben. Auf eine wei tere bedeutsame
Einschränkung verweisen Landes, Lessig und Solimine in einem
Beitrag über richterlichen Einfluss: So ist das wechselseitige
Verhält nis von Einfluss und Zitation ungeklärt. Gemeint ist
hiermit, dass es aus
(19000 Exemplare) oder JURA (5300 Exemplare) blieben wegen ihrer
besonderen Ausbildungsbezogenheit unberücksichtigt.
38 NJW: 45 000 Abonnements; im Übrigen waren keine Informationen zu
erhalten. 39 VgL nur Bhattacharya/ Smyth (FN 18); Landes/ Lessig/
Solimine (FN 18).
All Higher Administrative Courts are equal? 63
Sicht der Gerichte nahe liegen könnte, vermeintlich
einflussreichere Ge richte zu zitieren. Ihre vermehrte Zitation
wäre dann nicht nur Maßstab, sondern auch Folge ihres Einflusses4o•
Beide Elemente unterfielen einer wechselseitigen Steigerung
(Reziprozität). In die gleiche Richtung geht die Erkenntnis, dass
eine (zustimmende) Zitation nicht notwendig für die intensive
Beschäftigung mit einer bestimmten Rechtsprechung und damit für die
Perzeption eines Gerichtes steht. Vielmehr kann die Bedeutung einer
Zitation auch rein legitimationsbegrülldenden Charakter
haben41
• Insbe sondere bei untergeordneten Instanzgerichten ist vielfach
ein derartiger Beweggrund zu vermuten.
Eine Untersuchung kann daher die Rechtsprechungszitation nur dann
als Wahrnehmungsindikator heranziehen, wenn sie jedenfalls die
Selbstzitatio nen des Gerichts "herausrechnet" . Auch ist
fraglich, inwieweit eine zusätz liche Bereinigung um Zitationen
durch die nachgeordneten Instanzgerichte erfolgen müsste. Solche
Zitationen könnten durchaus insofern verzerrende Wirkung entfalten,
als auf diese Weise Gerichte mit einer hohen Zahl nach geordneter
Instanzgerichte . strukturell begünstigt würden. Für eine Ein
beziehung dieser Zitationen spricht hingegen der Umstand, dass
allein schon die unterschiedliche Zahl nachgeordneter
Instanzgerichte das Aus maß der Wahrnehmung eines Gerichtes
beeinflussen könnte. Aufgrund dieser Überlegungen sind die
Verfasser übereingekommen, den problema tischen und keineswegs
eindeutigen Indikator Rechtsprechungszitation im Folgenden nicht zu
berücksichtigen.
b) Sekundärzitation (insbesondere: Entscheidungsanmerkung). Die
oben genannten Einschränkungen gelten demgegenüber nicht im
Hinblick auf wissenschaftliche Zitationen. Hierunter werden im
Folgenden die in JURIS zu den einzelnen Entscheidungen aufgeführten
Literaturnachweise gefasst. Letztere beziehen sich ausschließlich
auf Entscheidungsbesprechungen und Urteilsanmerkungen, die explizit
den Gehalt der gerichtlichen Entschei dungen diskutieren und
kommentieren. Sie weisen insofern keinen Legiti mationscharakter
auf, was umgekehrt für sonstige wissenschaftliche Ab handlungen,
die vielfach die "herrschende Meinung" zum Ausgangspunkt ihrer
Argumentation nehmen, der Fall sein kann. Zudem ist hier der oben
beschriebene wechselseitige Einfluss von Maßstab und Folge des
Einflusses zu negieren. Die hier alleine virulenten
Entscheidungsbesprechungen und Urteils anmerkungen suchen nicht die
einflussreiche, sondern die dogma tisch interessante
Meinung.
40 Vgl. Landes I Lessig I Solimine (FN 18), S. 272. 41 Vgl. hierzu
die amerikanische Untersuchung von Walsh, wonach die
Zitations
häufigkeit von dem Ansehen des zitierten Gerichts und der
Fraglichkeit öffentlicher Akzeptanz abhängig ist (Walsh, On the
Meaning and the Patterns of Legal Citations: Evidence from State
Wrongful Discharge Precedent Cases, Law & Society Review 31
(1997), S. 337 (357 f.)).
64 Christoph Knill, Ansgar Schäfer und Daniela Winkler
IV. Darstellung
Anhand der diskutierten Faktoren wird nun versucht, die eingangs
ge stellte Frage nach möglichen Unterschieden in der Perzeption
der oberver waltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu beantworten.
Grundlage dieser empirischen Bestandsaufnahme ist die
Rechtsprechung der sechzehn deut schen Oberverwaltungsgerichte und
Verwaltungsgerichtshöfe. Die jewei ligen Daten wurden über einen
Untersuchungszeitraum von zehn Jahren (1992-2002) für die
gerichtlichen Entscheidungen in jeweils sechs Mess jahren erhoben
(1992, 1994, 1996, 1998, 2000, 2002). Diese Vorgehensweise
ermöglichte es, den Aufwand für die Datenerhebung in vertretbarem
Um fang zu halten und gleichzeitig dennoch mögliche Trends über
einen länge ren Untersuchungszeitraum zu erfassen. Die Daten
basieren auf einer Aus wertung entsprechender Erhebungen des
Statistischen Bundesamtes sowie der JURIS-Datenbank42
• Einbezogen wurden alle Entscheidungen der Ge richte und deren
jeweilige Veröffentlichung und wissenschaftliche Zitation.
Die Datenerhebung wurde am 31. Oktober 2005 abgeschlossen. Nach
die sem Zeitpunkt erfolgte Referenzen zu den in der Untersuchung
betrachte ten Entscheidungen und Beschlüssen konnten daher nicht
berücksichtigt werden. Eine aktuelle Erhebung würde höhere
Veröffentlichungs- und Zita tionszahlen ergeben, da die
JURIS-Daten permanent aktualisiert werden. Da diese Entwicklung
jedoch alle untersuchten Gerichte in gleicher Weise betrifft,
ergeben sich daraus vermutlich keine wesentlichen Auswirkungen auf
das Untersuchungsergebnis;
1. Veröffentlichung von Entscheidungen
Wie im vorigen Abschnitt ausgeführt43 , spielt die Frage, ob eine
Entschei
dung überhaupt veröffentlicht wird, eine wichtige Rolle für ihre
potentielle Wahrnehmung in der Rechtsprechungspraxis und der
Rechtsfortbildung. Die Veröffentlichung ist dabei in starker Weise
von gerichtsinternen Fak toren beeinflusst.
a) Veröffentlichungen in der JURIS-Datenbank. Einen ersten Eindruck
von der Veröffentlichungspraxis der Gerichte liefert ein Vergleich
der je weils insgesamt pro Gericht und Jahr ergangenen
Entscheidungen mit der entsprechenden in JURIS veröffentlichten
Rechtsprechung (siehe Tabelle 1). Dabei zeigt sich erstens, dass
die Zahlen der ergangenen und auch der in JURIS veröffentlichten
Entscheidungen erheblich zwischen den Gerichten schwanken. Zweitens
unterscheiden sich die Gerichte sehr weitgehend, was
42 Der Zugang zur Datenbank ist lizenzpflichtig und kann in der
Regel elektro nisch über Universitätsbibliotheken und andere
Institutionen erfolgen: http://www. juris.de / jportal/
index.jsp.
43 Siehe oben ill.2.
All Higher Administrative Courts are equal? 65
ihre Veröffentlichungspraxis anbelangt. So gibt es Fälle, in denen
gut die Hälfte der Entscheidungen eines Gerichts in der Datenbank
veröffentlicht ist (z. B. OVG Bremen für das Jahr 1992), in anderen
Fällen sind dies nur wenige Prozent (z. B. OVG Münster für das Jahr
2002). Absolut betrachtet sind Entscheidungen der Gerichte in
Münster und Mannheim mit Abstand am häufigsten vertreten, gefolgt
von München, Kassel und Lüneburg. Rela tiv gesehen, d. h. im
Verhältnis zu den erledigten Verfahren eines Gerichts, liegen
jedoch die Gerichte der Stadtstaaten Berlin, Bremen, Hamburg sowie
Greifswald und Saarlouis in der Datenbank weit über dem
Durchschnitt. Die wenigsten Entscheidungen im Vergleich zum
Verfahrensaufkommen veröffentlichen das OVG Lüneburg und der VGH
München.
Es erscheint nahe liegend, dass die großen Unterschiede zwischen
den Gerichten im Hinblick auf die Menge sowohl der gesprochenen
Entschei dungen insgesamt als auch der in JURIS veröffentlichten
Entscheidungen in starkem Maße durch Differenzen in der
Bevölkerungszahl der Bundes länder bedingt sind44
• Dieser Zusammenhang wird in Tabelle 2 verdeut licht, welche die
Menge der in JURIS veröffentlichten Entscheidungen und die
Bevölkerungszahl zueinander in Beziehung setzt. Allerdings zeigt
diese Darstellung auch, dass es hierbei durchaus Gerichte gibt, die
- gemessen an der Bevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes -
überproportional viele Entscheidungen veröffentlichen. Dies gilt in
besonderem Maße für die Ge richte in Mannheim, Bremen, Hamburg,
Kassel, Koblenz, Saarlouis und Schleswig. Auf der anderen Seite
gibt es durchaus auch Ausreißer in die andere Richtung.
Insbesondere die Gerichte in den ostdeutschen Bundes ländern haben
im Untersuchungszeitraum in Relation zu ihrer Bevölke rungszahl
unterproportional veröffentlicht. Betrachtet man jedoch die Ent
wicklung im Zeitablauf, lässt sich ein deutlicher Aufholprozess
dieser Ge richte erkennen; sie haben sich gegen Ende der
Untersuchungsperiode mehr und mehr an das Durchschnittsniveau der
Veröffentlichungspraxis ange nähert. Insofern scheint das hier
betrachtete Gesamtbild im Hinblick auf die Gerichte in den
ostdeutschen Bundesländern durch die Konsolidie rungsentwicklung
bedingt zu sein, die insbesondere in den ersten Jahren nach der
deutschen Wiedervereinigung mit einer vergleichsweise unter
durchschnittlichen Veröffentlichungspraxis einher ging45
. Bemerkenswert scheint weiterhin, dass dieser Effekt auch bei der
Zahl der Verfahren pro Einwohner zu beobachten ist. Trotz eines
erheblichen Anstiegs der Verfah renszahlen in den 1990er Jahren
gibt es in Ostdeutschland eher weniger Verfahren vor den
Oberverwaltungsgerichten pro Einwohner. Extremer Ausreißer in die
andere Richtung ist hingegen das Saarland.
44 So könnte etwa der Anteil von weniger spektakulären
Routineverfahren in den größeren Ländern erheblich umfangreicher
sein, was den geringeren Anteil an Ver öffentlichungen im
Verhältnis zu den Verfahren insgesamt erklären würde.
45 Siehe dazu auch die Entwicklung der veröffentlichten
Entscheidungen in Ta belle 1.
Tabelle 1
Abgeschlossene Verfahren der Gerichte pro Jahr insgesamt und in
JURIS veröffentlichte Verfahren
Land Gericht
9,2
Grau unterlegt sind die Werte der Spitzengruppe.
~ t:El ~ ~ ~
b) Veröffentlichungen in Zeitschriften. Wenngleich die
Veröffentlichung von Entscheidungen in JURIS einen ersten Schritt
zur Erfassung von Un terschieden in der Perzeption
oberverwaltungsgerichtlicher Rechtspre chung darstellt, so wird
damit freilich nur eine potentielle Wahrnehm.ungs quelle erfasst.
Um zu einem aussagekräftigeren Bild zu gelangen, erscheint es
erforderlich, einen weiteren wichtigen Perzeptionskanal zu
betrachten: die Veröffentlichung der Rechtsprechung in juristischen
Fachzeitschriften. Erhebungsgrundlage ist hierbei die
JURIS-Datenbank, die für jede Ent scheidung Angaben zu den
Zeitschriften enthält, in denen diese ebenfalls veröffentlicht
wurde.
Die Untersuchung der Publikationen in Fachzeitschriften stützt sich
hierbei auf drei Indikatoren. Erstens wird für jedes Gericht die
Gesamtzahl der Zeitschriftenveröffentlichungen für alle in JURIS
enthaltenen Ent scheidungen erhoben. Dies ermöglicht die Erfassung
der generellen Zeit schriftenpräsenz der Gerichte im
Untersuchungszeitraum. Zweitens wird für jedes Gericht die Zahl
aller Entscheidungen erhoben, die in mindestens einer
Fachzeitschrift publiziert wurden. Dies vermittelt einen Eindruck
darüber, ob die Zeitschriftenpräsenz eines OVG oder VGH eher durch
ein zelne, in vielen Zeitschriften veröffentlichte Entscheidungen
zustande kommt oder eher breit über alle Entscheidungen des
jeweiligen Gerichts streut. Drittens wird untersucht, wie sich die
Entscheidungen mit den meis ten Zeitschriftenveröffentlichungen
auf die Gerichte verteilen. Wie im vori gen Abschnitt erläutert,
werden die Zeitschriften für alle drei Indikatoren in zwei Gruppen
unterteilt, die sich aus ihrer unterschiedlichen fachlichen
Relevanz und Frequentierung ergeben.
aa) Zahl der Veröffentlichungen. Tabelle 3 enthält die Anzahl der
Fund stellen in Zeitschriften pro Gericht für die in JURIS
veröffentlichten Ent scheidungen bezogen auf die untersuchten
Jahre. Die Daten zeigen, dass im Durchschnitt auf jede
veröffentlichte Entscheidung 2,46 Fundstellen in Zeitschriften
kommen. Differenziert man nach den oben beschriebenen
Zeitschriftenkategorien, ergeben sich ein durchschnittlicher Wert
von 0,45 Veröffentlichungen pro Entscheidung in der ersten
Zeitschriftengruppe und ein entsprechender Wert von 2,01 für die
zweite Zeitschriftengruppe.
Legt man die absoluten Zahlen der FundsteIlen zugrunde, so liegen
die Gerichte in Mannheim und Münster weit an der Spitze; gemeinsam
stellen sie über 44 %, zusammen mit Kassel, München und Lüneburg
gar 75 % aller FundsteIlen. Setzt man diese Werte jedoch zur Zahl
der Entscheidungen des jeweiligen Gerichtes ins Verhältnis, treten
deutliche Verschiebungen zutage. So weisen fünf Gerichte (Bremen,
Frankfurt / Oder, Madgeburg, Saarlouis, Schleswig) eine
FundsteIlenbilanz auf, die unabhängig von der jeweiligen
Zeitschriftenkategorie als deutlich unterdurchschnittlich
bezeichnet wer den kann. Eine zweite Gruppe von Gerichten
(Bautzen, Berlin, Hamburg,
Tabelle 3
Gericht Entsch. in JURIS
FundsteIlen nach
~ t!1.
Koblenz, Lüneburg, München, Münster) bewegt sich in etwa auf durch
schnittlichem Niveau, während vier Gerichte (Greifswald, Kassel,
Mann heim, Weimar) im Hinblick auf die
Zeitschriftenveröffentlichung ihrer Rechtsprechung deutlich
überdurchschnittliche Werte aufweisen. Beson dere Fälle sind
Lüneburg und Koblenz, da Letzteres überdurchschnittlich in der
Gruppe stärker frequentierter Zeitschriften, Ersteres überdurch
schnittlich in den anderen Zeitschriften rezipiert wird.
Offenkundig spielt die geographische Lage eines OVG oder VGH keine
Rolle für die Zahl der FundsteIlen pro Entscheidung. So finden sich
sowohl bei den über- als auch unterdurchschnittlich
veröffentlichenden Gerichten in gleicher Weise ost und
westdeutsche Vertreter. Die Größe eines Bundeslandes scheint nur
inso fern Einfluss zu haben, als die Zahl der Entscheidungen und
damit auch der möglichen Fundstellen mit zunehmender
Bevölkerungszahl steigt. Je doch bedeutet dies keineswegs
zwangsläufig, dass die Entscheidungen eines rein von der Menge der
Fundstellen her "wichtigen" Gerichtes eher eine Chance auf
Zeitschriftenveröffentlichung hätten, als die eines Gerichtes aus
einem kleineren Bundesland.
bb) Zahl der Entscheidungen mit mindestens einer Veröffentlichung.
Nun sagen diese Daten noch wenig darüber, wie breit die
Zeitschriftenfund stellen über die Rechtsprechung eines Gerichtes
streuen oder ob sie sich auf einzelne, besonders stark perzipierte
Entscheidungen stützen. Um diesen Aspekt zu berücksichtigen, werden
in Tabelle 4 die Entscheidungen mit mindestens einer
Zeitschriftenfundstelle zur Gesamtzahl der in JURIS ver
öffentlichten Entscheidungen ins Verhältnis gesetzt. Betrachtet man
die Zeitschriftenkategorien insgesamt, so zeigt sich, dass im
Durchschnitt etwa 80 % aller in JURIS veröffentlichten
Entscheidungen mindestens eine Fund stelle in irgendeiner
Zeitschrift aufweisen. Betrachtet man die Gruppe der häufiger
frequentierten Zeitschriften, so sinkt dieser Wert auf 31 %,
während er für Zeitschriften der zweiten Kategorie bei 76 %
liegt.
Ähnlich wie bei den Veröffentlichungen insgesamt zeigen sich auch
hier starke Schwankungen zwischen den Gerichten. So entfallen
gemessen an der absoluten Zahl der Entscheidungen mit Fundstellen
mehr als zwei Drit tel der Fälle auf die Gerichte der fünf großen
Länder Kassel, Lüneburg, Mannheim, München, Münster. Dieser Befund
erscheint jedoch in einem an deren Licht, wenn man betrachtet, wie
viele Entscheidungen des jeweiligen Gerichts FundsteIlen aufweisen:
Fast alle in JURIS verzeichneten Entschei dungen von Bautzen,
Greifswald, Magdeburg und Mannheim weisen Fund stellen auf,
wohingegen dies bei einem erheblichen Anteil der Entscheidun gen
von München und Münster nicht zutrifft. Anders formuliert: Die
Wahr scheinlichkeit, dass eine veröffentlichte Entscheidung
mindestens einmal in einer Fachzeitschrift publiziert wurde, ist am
höchsten für Bautzen, Greifs wald, Mannheim und Magdeburg und am
geringsten für Bremen und Saar louis. Im Falle Münchens und
Münsters geht eine überdurchschnittliche
Tabelle 4
Verteilung der Entscheidungen mit mindestens einer Fundstelle auf
die Gerichte
Gericht
Grau unterlegt sind die Werte der Spitzengruppe.
Entscheidungen mit Fundstellen nach Zeitschriftengruppe
Andere Zeitschriften
Zahl an Fundstellen einher mit einem relativ geringen Anteil an
Entschei dungen mit mindestens einer Fundstelle. Dies verweist
darauf, dass die star ke Zeitschriftenrezeption dieser Gerichte
sich eher auf bestimmte heraus gehobene Entscheidungen
konzentriert und nicht so breit über alle Entschei dungen streut.
Eine Koinzidenz hoher Fundstellenzahlen und vergleichs weise
breiter Streuung über die Entscheidungen und Zeitschriftenarten
findet sich hingegen für den VGH Mannheim und weniger ausgeprägt
für Kassel und Lüneburg. Mannheim und Greifswald haben gemeinsam,
dass ihre veröffentlichten Entscheidungen in beiden
Zeitschriftenkategorien ähnlich stark und weit überdurchschnittlich
zitiert werden. Deutlich unter dem Durchschnitt liegen durchweg
Bremen, Saarlouis und Schleswig.
Auffällig ist schließlich, dass bei einigen Gerichten deutliche
Unterschiede bezüglich der Perzeptionswahrscheinlichkeit ihrer
Entscheidungen in den jeweiligen Zeitschriftenkategorien bestehen.
Ein erstes Muster, das hierbei auffällt, ist eine vergleichsweise
hohe Rate der Publikationen in Zeitschrif ten der ersten
Kategorie, die im Verhältnis dazu mit eher niedrigen Werten für
Zeitschriften der zweiten Kategorie einhergeht. Besonders
ausgeprägt ist dies für Kassel, Koblenz und Weimar. In letzterem
Fall ist die Veröffent lichungsrate in Zeitschriften der ersten
Kategorie mit 49 % sogar bundes weit am höchsten. Exakt das
gegensätzliche Muster (hohe Raten in Zeit schriften der zweiten
Kategorie und niedrige für Zeitschriften der ersten Kategorie)
zeigt sich für Bautzen und Magdeburg. Diese Muster, insbeson dere
die geringe Rezeption in den Zeitschriften der ersten Kategorie,
könnten ein Hinweis auf verschiedene Phänomene sein. Es ist
denkbar, dass manche der jüngeren Gerichte in Ostdeutschland sich
erst etablieren und eine entsprechende Veröffentlichungspraxis
entwickeln mussten. Da es sich um Gerichte handelt, die erst seit
der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in größerem Umfang
Entscheidungen veröffentlichen, wäre es auch denkbar, dass die
Muster in einer veränderten Publikationspraxis wie etwa einer
stärkeren Ausdifferenzierung des Zeitschriftenangebots, begründet
liegen. Dies fiele dann bei den westdeutschen Gerichten wegen
entsprechend hoher Fallzahlen noch nicht so stark ins Gewicht. Für
alle anderen untersuchten Gerichte ist hingegen die Fundstellenrate
vergleichsweise stabil über die verschiedenen
Zeitschriftenkategorien hinweg. Ein weiterer Grund für die ses
Ergebnis könnte sein, dass einige Gerichte nur die Entscheidungen
veröffentlichen, die sie für besonders relevant halten - ein
Vorgehen, das sich dann auch in entsprechend höheren
Fundstellenzahlen niederschlagen könnte.
cc) Verteilung der meistveräffentlichten Entscheidungen auf die
Gerichte. Während der vorige Indikator die Streuung der
Zeitschriftenfundstellen über die Entscheidungen eines OVG oder VGH
erfasste, wird nun unter sucht, in welchem Umfang die Gerichte
Entscheidungen sprechen, die ver gleichsweise häufig in
Zeitschriften zitiert werden. Zu diesem Zweck wur-
All Higher Administrative Courts are equal? 73
den nur diejenigen Entscheidungen ausgewählt, die mindestens sechs
Ver öffentlichungen in Zeitschriften aufweisen46
• Tabelle 5 gibt an, wie sich die se Entscheidungen auf die
einzelnen Gerichte verteilen und wie sich diese Verteilung zur
Gesamtzahl der in JURIS veröffentlichten Entscheidungen
verhält.
Auch hier zeigt die Analyse teilweise ein schon vertrautes Bild.
Auf die Gerichte der fünf großen Länder entfallen bereits über 80 %
der Ent scheidungen mit den meisten Zeitschriftenfundstellen,
wobei Mannheim und Münster den mit Abstand größten Teil beitragen
(über 50 %). Betrachtet man hingegen den Anteil der meistzitierten
Entscheidungen an den ver öffentlichten Urteilen, eröffnet sich
eine differenziertere Perspektive. Nur Mannheim, Kassel und Weimar
haben offensichtlich einen weit höheren An teil an den
meistveröffentlichten Entscheidungen, als die Zahl ihrer Ent
scheidungen in JURIS oder der Bevölkerungsanteil ihres Bundeslandes
ver muten ließe. In einer mittleren Gruppe mit leicht über- bzw.
unterdurch schnittlichen Werten sind Bautzen, Berlin, Greifswald,
Hamburg, Koblenz, Lüneburg, München und Münster zu finden. Zur
Gruppe der Gerichte, die hingegen einen sehr niedrigen Anteil an
den meistveröffentlichten Ent scheidungen aufweisen, zählen
Bremen, Frankfurt I Oder, Magdeburg, Saar louis und
Schleswig.
2. Zahl der Entscheidungsanmerkungen
. Ein weiterer Indikator zur Messung der Perzeption
obervelWaltungs gerichtlicher Rechtsprechung ist das Ausmaß der
fachwissenschaftlichen Wahrnehmung der Entscheidungen, die in der
Zahl der Anmerkungen und Besprechungen zu einer Entscheidung in
juristischen Zeitschriften zum Ausdruck kommt. Tabelle 6 verwendet
in diesem Zusammenhang zwei Messgrößen. Zum einen wurde für jedes
Gericht und alle von ihm in JURIS veröffentlichten Entscheidungen
die Summe der Entscheidungsanmerkun gen in Zeitschriften erhoben.
Zum anderen wurden - analog zur Zahl der
Zeitschriftenveröffentlichungen - auch die Entscheidungen mit
mindestens einer Anmerkung erfasst. Tabelle 6 zeigt, dass im
Durchschnitt nur zu 6,4 % der in JURIS veröffentlichten
Entscheidungen mindestens eine Anmerkung publiziert wird.
46 Es wurde nach den 10% der am häufigsten veröffentlichten
Entscheidungen ge sucht. Die Grenze von 10% der Fälle lag bei
sechs Fundstellen; es wurden also alle Entscheidungen einbezogen,
die mindestens sechs Fundstellen aufweisen, wodurch sich die Zahl
auf 11,8 %, d. h. fast jede achte aller Entscheidungen,
erhöhte.
Gericht
Verteilung der Entscheidungen mit den meisten FundsteIlen auf die
Gerichte
Entscheidungen in JURIS
Grau unterlegt sind die Werte der Spitzengruppe.
-J ,j:.
Anmerkungen Einwohner Entscheidungen
g; 8:J
i ~ r ~ ~
76 Christoph Knill, Ansgar Schäfer und Daniela Winkler
Auch hier sind die absoluten Zahlen bei den Gerichten der
bevölkerungs reichen Länder am größten; etwa zwei Drittel der
Anmerkungen entfallen auf ein Drittel der Länder. Zur Spitzengruppe
schließt bei den Anmerkun gen auch das OVG Koblenz auf. Wie schon
bei den anderen Indikatoren schwanken jedoch auch hier die
relativen Werte für die einzelnen Gerichte sehr stark. Zu den
Gerichten, deren veröffentlichte Entscheidungen häu figer mit
Anmerkungen besprochen werden, zählen Bautzen, Greifswald,
Frankfurt/Oder, Koblenz, Mannheim und Münster, wobei Greifswald aus
dieser Gruppe mit noch einmal deutlich höheren Werten hervorsticht.
Wäh rend sich Berlin, Kassel, Lüneburg und Madgeburg auf etwa
durchschnitt lichem Niveau bewegen, fällt eine Gruppe von sechs
Gerichten deutlich ab (Bremen, Hamburg, München, Saarlouis,
Schleswig und Weimar), wobei insbesondere Saarlouis sehr niedrige
Werte aufweist.
Dieser Befund deckt sich zwar teilweise mit den generellen
Ergebnissen, die für die anderen Indikatoren ermittelt wurden;
weist allerdings auch einige Abweichungen von diesem Trend auf. So
ist etwa Weimar, das bislang oft zur Spitzengruppe zählte, bezogen
auf diesen Indikator deutlich anders einzustufen, während Koblenz
nun in der Spitzengruppe vertreten ist. Auf fallend ist überdies,
dass der VGH München bezogen auf diesen Indikator nur in der
hinteren Gruppe rangiert und damit deutlich hinter den Gerich ten
anderer bevölkerungsstarker Bundesländer liegt. Ungeachtet dieser
Verschiebungen zeigen sich jedoch gewisse Konstanten. Hierzu zählt
die Zugehörigkeit von Greifswald und Mannheim zur Spitzengruppe
ebenso wie die Präsenz von Saarlouis und Schleswig im hinteren
Feld.
Wie schon bei den anderen Indikatoren zeigt die Betrachtung der
Ent scheidungsanmerkungen eine auf den ersten Blick
unsystematische Varianz über die untersuchten Gerichte. So scheinen
insbesondere Faktoren wie Bevölkerungszahl, Größe oder
geographische Lage eines Bundeslandes kei nen hinreichenden
Erklärungshintergrund für die ermittelten Unterschiede zu bieten.
Offenkundig müssen diese Befunde auf andere Erklärungsur sachen
zurückgeführt werden.
3. Entwicklung der Indikatoren im Untersuchungszeitraum
Um Tendenzen und Veränderungen der untersuchten Faktoren im Zeit
verlauf aufzudecken, werden zum Abschluss der Darstellung
ausgewählte Werte im Zeitverlauf betrachtet. Augenfällig ist
zunächst, dass die ostdeut schen Gerichte nicht nur zunehmend
Entscheidungen veröffentlichen und entsprechend zitiert werden,
sondern auch die Gesamtzahl ihrer erledigten Verfahren seit 1992
stark zugenommen und sich Anfang des neuen Jahrhun derts dem
Niveau vergleichbarer westdeutscher Bundesländer angenähert hat.
Sie sind jedoch, wie fast alle Gerichte, 2002 von einem
deutlichen
All Higher Administrative Courts are equal? 77
Rückgang der erledigten Verfahren betroffen,47 was sich
interessanterweise aber kaum auf die Zahl der Veröffentlichungen in
JURIS auswirkt. Bei den meisten Gerichten verändern sich die
Veröffentlichungen parallel mit der Zahl der insgesamt erledigten
Verfahren, im Falle von Kassel jedoch ver mindern sie sich
deutlich bei steigenden Verfahrenszahlen in den späten 1990ern
(siehe Tabelle 1).
Tabelle 7 gibt Aufschluss über die Veröffentlichungszahl der
Gerichte in JURIS, die Anzahl der FundsteIlen und der
meistzitierten Urteile der Ge richte für die untersuchten Jahre -
jeweils in absoluten Zahlen und ihrem Prozentwert. Mit Hilfe dieser
Tabelle wird es möglich, Zu- oder Abnahmen von Anteilen an der
Veröffentlichung oder Zitation und damit "Verschie bungen"
zwischen den einzelnen Gerichten zu erkennen. Durch den be
schrieben Konsolidierungseffekt in Ostdeutschland ist es wenig
verwunder lich, dass einige Gerichte "Anteile" zugunsten - mit
Ausnahme von Berlin - der ostdeutschen Gerichte verlieren. Zu
erwarten wären hierbei jedoch allenfalls kleinere Anpassungen und
Verschiebungen im relativen Anteil einiger (westdeutscher) Gerichte
gewesen, nicht jedoch ein absoluter Rück gang der veröffentlichten
Entscheidungen, wie er für einige westdeutsche Gerichte
(insbesondere Mannheim und Kassel, abgeschwächt auch für München
und Saarlouis) zu konstatieren ist.
Veränderungen der AnZahl von Verfahren in JURIS gehen in der Regel
auch mit der Veränderung der Zitation einher. Bereits zuvor war
festzustel len, dass manche Merkmale zwischen den Gerichten sehr
unterschiedliche Werte annehmen und besonders stark ausfallen, legt
man Bevölkerungs zahlen, die Gesamtzahl der Verfahren oder
veröffentlichten Verfahren zu grunde. Besonders stark war dies
beispielsweise in einigen Werten für Greifswald und Weimar zu
sehen. Die Tabelle offenbart aber auch einige neue bemerkenswerte
Entwicklungen. Besonders auffällig ist die Entwick lung für Kassel
und Mannheim. Im Falle Kassels nehmen die veröffentlich ten und
meistzitierten Entscheidungen, wie auch die Fundstellen sehr stark
ab, teilweise um über 50 %. So liegt beispielsweise der Anteil der
meist zitierten Entscheidungen von Kassel 1992 mit 39
Entscheidungen bei knapp 16 %,2002 mit 16 nur noch bei 7,5 %. Im
Falle Mannheims ist die Abnahme der veröffentlichten Entscheidungen
und FundsteIlen weniger stark als bei Kassel und trifft gerade
nicht für den Anteil an den meistzitierten Entschei dungen zu, der
etwa auf gleichem Niveau (30 %) verbleibt. Bei den anderen
westdeutschen Gerichten vermindern oder vergrößern sich die
Anzahlen und Anteile je nach Indikator nur leicht. Ein steigender
Trend, auch für die Zahl der in JURIS veröffentlichten
Entscheidungen, lässt sich hingegen
47 Diese sind vermutlich auf die Änderungen des'6. VwGO-ÄndG vom
1.11.1996 (BGBI I, S. 1626) sowie des Gesetzes zur Bereinigung des
Rechtsmittelrechts im Ver waltungsprozess (RmBereinVpG) vom
20.12.2001 (BGBI I, S. 3987), welche die Be rufungsmöglichkeiten
einschränkten, zurückzuführen.
Tabelle 7
1992 1994 1996 1998 2000 2002 Summe Gericht indikator
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl
Prozent Anzahl Prozent Anzahl Trend
VGH Mannheim Verfahren in JURIS 522 21,7 533 22,7 415 18,7 305 14,6
252 13,2 276 14,3 2303 !! Fundstellen 1576 30,0 1735 30,0 1455 27,4
1137 21,9 1105 21,1 986 20,0 7994 !! meistzitierte Entscheidungen
80 32,1 104 35,6 79 34,3 76 30,8 86 28,8 65 30,4 490 =(1)
VGHMünchen Verfahren in JURIS 371 15,4 283 12,0 308 13,9 249 11,9
214 11,2 227 11,8 1652 ! Fundstellen 570 10,8 576 10,0 603 11,3 557
10,7 517 9,9 557 11,3 3380 meistzitierte Entscheidungen 24 9,6 14
4,8 13 5,7 20 8,1 18 6,0 21 9,8 110
OVGBerlin Verfahren in JURIS 94 3,9 68 2,9 71 3,2 84 4,0 59 3,1 81
4,2 457 Fundstellen 231 4,4 138 2,4 127 2,4 189 3,6 107 2,0 162 3,3
954 meistzitierte Entscheidungen 13 5,2 4 1,4 2 0,9 7 2,8 5 1,7 5
2,3 36
OVG Frankfurt / Oder Verfahren in JURIS 0 0,0 12 0,5 29 1,3 34 1,6
31 1,6 53 2,8 159 t t Fundstellen 0 0,0 14 0,2 47 0,9 65 1,3 57 1,1
105 2,1 288 tt meistzitierte Entscheidungen 0 0,0 0 0,0 1 0,4 2 0,8
1 0,3 2 0,9 6
OVGBremen Verfahren in JURIS 55 2,3 51 2,2 28 1,3 44 2,1 53 2,8 35
1,8 266 Fundstellen 54 1,0 54 0,9 36 0,7 55 1,1 79 1,5 58 1,2 336
meistzitierte Entscheidungen 0 0,0 2 0,7 1 0,4 1 0,4 2 0,7 0 0,0
6
OVGHamburg Verfahren in JURIS 107 4,4 84 3,6 83 3,7 77 3,7 66 3,5
76 3,9 493 Fundstellen 135 2,6 236 4,1 200 3,8 167 3,2 228 4,4 181
3,7 1147 meistzitierte Entscheidungen 5 2,0 6 2,1 3 1,3 5 2,0 9 3,0
2 0,9 30
VGHKassel Verfahren in JURIS 300 12,4 220 9,4 195 8,8 161 7,7 110
5,8 111 5,8 1097 !! Fundstellen 766 14,6 795 13,8 644 12,1 479 9,2
476 9,1 327 6,6 3487 !! meistzitierte Entscheidungen 39 15,7 50
17,1 40 17,4 29 11,7 40 13,4 16 7,5 214 ! !
OVG Greifswald Verfahren in JURIS 1 0,0 18 0,8 26 1,2 53 2,5 60 3,1
74 3,8 232 tt Fundstellen 4 0,1 72 1,2 98 1,8 169 3,3 194 3,7 164
3,3 701 tt meistzitierte Entscheidungen 0 0,0 6 2,1 8 3,5 6 2,4 9
3,0 3 1,4 32
OVG Lüneburg Verfahren in JURIS 179 7,4 181 7,7 196 8,8 FundsteIlen
336 6,4 470 8,1 477 9,0 meistzitierte Entscheidungen 15 6,0 22 7,5
16 7,0
OVGMünster Verfahren in JURIS 402 16,7 443 18,8 469 21,1
FundsteIlen 1078 20,5 1022 17,7 989 18,6 meistzitierte 25,3
Entscheidungen 63 66 22,6 47 20,4
OVGKoblenz Verfahren in JURIS 118 4,9 116 4,9 95 4,3 Fundstellen
214 4,1 245 4,2 172 3,2 meistzitierte Entscheidungen 6 2,4 9 3,1 5
2,2
OVG Saarlouis Verfahren in JURIS 119 4,9 100 4,3 67 3,0 Fundstellen
93 1,8 82 1,4 55 1,0 meistzitierte Entscheidungen ° 0,0 1 0,3 1
0,4
OVGBautzen Verfahren in JURIS 14 0,6 24 1,0 41 1,8 FundsteIlen 31
0,6 82 1,4 95 1,8 meistzitierte Entscheidungen 2 0,8 4 1,4 2
0,9
OVG Magdeburg Verfahren in JURIS 1 0,0 10 0;4 25 1,1 FundsteIlen 5
0,1 12 0,2 49 0,9 meistzitierte Entscheidungen ° 0,0 ° 0,0 °
0,0
OVG Schleswig Verfahren in JURIS 128 5,3 186 7,9 127 5,7
FundsteIlen 165 3,1 205 3,5 147 2,8 meistzitierte Entscheidungen 2
-0,8 2 0,7 3 1,3
OVGWeimar Verfahren in JURIS ° 0,0 23 1,0 45 2,0 FundsteIlen ° 0,0
41 0,7 119 2,2 meistzitierte Entscheidungen ° 0,0 2 0,7 9 3,9
Summe Verfahren in JURIS 2411 100,0 2352 100,0 2220 100,0
FundsteIlen 5258 100,0 5779 100,0 5313 100,0 meistzitierte
Entscheidungen 249 100,0 292 100,0 230 100,0
198 9,5 158 8,3 522 10,0 484 9,2
15 6,1 25 8,4
56 22,7 74 24,7
5 2,0 12 4,0
3 1,2 ° 0,0
6 2,4 2 0,7
4 1,6 2 0,7
5 2,0 3 1,0
7 2,8 11 3,7
247 100,0 299 100,0
184 9,5 553 11,2
für Koblenz zeigen. Die ostdeutschen Gerichte vergrößern zwar den
Anteil meistzitierter Entscheidungen, verharren aber wie Bremen,
Schleswig und Saarlouis auf niedrigem Niveau bis etwa 3 %.
V. Ergebnis
1. Zusammenfassung
Betrachtet man insgesamt die empirischen Befunde zur Wahrnehmung
der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung innerhalb des
deutschen Rechtssystems, so fallen mehrere Aspekte auf, die für
alle hier verwendeten Indikatoren generelle Relevanz haben. Erstens
ist zwischen absoluter und relativer Perzeption der Gerichte zu
unterscheiden. Für die meisten Indi katoren ergeben die absoluten
Werte (etwa im Hinblick auf Zahl der Ver öffentlichungen von
Entscheidungen, Zahl der Zeitschriftenfundstellen, Zahl der
Entscheidungsanmerkungen) eine klare Dominanz der Gerichte aus den
bevölkerungsstarken Bundesländern. Dieser freilich wenig über
raschende Befund verschiebt sich allerdings deutlich, wenn diese
Werte relativiert werden. Sobald etwa Unterschiede in der
Bevölkerungszahl oder Unterschiede in der Anzahl der in JURIS
veröffentlichten Entscheidungen berücksichtigt werden, treten
deutliche Bedeutungsverschiebungen zu gunsten einiger Gerichte aus
kleineren Ländern auf.
Die zusammenfassende Darstellung in Tabelle 8 verdeutlicht
zweitens, dass insgesamt deutliche Trends erkennbar sind, die
ungeachtet der unter schiedlichen Indikatoren gelten. Dabei ist
zunächst die Bedeutung des VGH Mannheim herauszustreichen, der für
nahezu alle Indikatoren Spit zenwerte aufweist. Dies gilt
unabhängig von der Frage, ob absolute oder relative Werte zugrunde
gelegt werden. Gewissermaßen spiegelbildlich ent gegengesetzt
nehmen sich demgegenüber die durchweg unterdurchschnitt lichen
Resultate einiger Gerichte aus, die vorwiegend in den kleineren
Bun desländern zu verorten sind (Saarlouis, Schleswig, Berlin,
Frankfurt / Oder, Bremen, Hamburg, Koblenz, Magdeburg).
Hinter Mannheim liegt eine aus mehreren Gerichten bestehende Gruppe
(Kassel, Greifswald, Lüneburg, Münster), die für einen
beträchtlichen Teil der Indikatoren ebenfalls in der Spitzengruppe
rangieren. Alle anderen Gerichte weisen für die meisten Indikatoren
durchschnittliche oder unter durchschnittliche Werte auf.
Hervorzuheben sind darüber hinaus einige kleinere Gerichte (Weimar,
Bautzen), die insbesondere einzelnen Indikato ren (Fundstellen und
Anmerkungen) in der Spitzengruppe liegen.
Tabelle 8
Anteil JURIS FundsteIlen
2. Ausblick
(1) Welche Gründe können ausschlaggebend für das gefundene Ergebnis
sein? Entsprechende Untersuchungen im angloamerikanischen Rechts
kreis weisen dem Gründungszeitpunkt, der
Entscheidungsöffentlichkeit sowie der öffentlichen Zufriedenheit
(möglicherweise auch nur einer Minderheit) mit dem
Entscheidungsergebnis erheblichen Einfluss ZU
48 •
Welche Erklärungsmuster ergeben sich aber vor dem bundesstaatlichen
Hintergrund? Ohne eine vertiefende Ausführung hierzu vorwegzuneh
men, bieten sich .zur näheren Betrachtung inhaltliche,
institutionelle und personelle Gründe an. Erstere betreffen den
sachlichen Hintergrund der Entscheidung. Beispielhaft ist zu
vermuten, dass eine innovations freudige Rechtsprechung stärkere
Resonanz findet als die inhaltliche Wiederholung bekannter
Judikate49
. Unter der Kategorie "institutio nelle Gründe" wäre die Frage
aufzuwerfen, ob und gegebenenfalls wa rum einzelnen Gerichten per
se eine höhere Relevanz eingeräumt wird. Hier gehen Friedman u. a.
davon aus, dass es einen - von der Bevölke rungszahl des
Gerichtsbezirks unabhängigen - Prestigefaktor gibt50
• Zu fragen wäre allerdings noch, worin sich dieser in der
deutschen Rechts landschaft gründet. In Betracht kämen vermutlich
politische Ausrich tung51 und "Qualitätsstandards" der
Entscheidungsträger, welche wie derum auf die Entscheidungen
zurückwirken. Schließlich sei noch auf personelle Gründe
hinzuweisen. So vermögen etwa "publikationsfreu dige" Richter, die
Entscheidungen ihrer Gerichte stärker in das Licht der
Öffentlichkeit zu rucken. Dies kann sich entweder in der Veröffent
lichung der Entscheidung52 oder in der Veröffentlichung einer
zugehö rigen Entscheidungsbesprechung manifestieren.
(2) Lässt sich aus der differierenden Wahrnehmung auch
differierender Ein fluss der Gerichte ableiten, der sich als
Übernahme einer Rechtspre chung durch andere Gerichte,
insbesondere oberste Verwaltungsgerichte oder das BVerwG53
, sowie die Wissenschaft darstellen kann? Mit anderen
48 VgL Gibson/ Caldeira/ Baird, On the Legitimacy of National High
Courts, The American Political Science Review 92 (1998), S. 343
(356). Die Analyse der Effekte möglicher Kausalfaktoren stützt sich
hierbei auf die Methode der Umfrageforschung, die sich deutlich von
der hier verwendeten Methodik unterscheidet.
49 V gL in diese Richtung Friedman / Kagan / Cartwright / Wheeler
(FN 17), S. 806. 50 Dies stellt einen weiteren zu
berücksichtigenden Einflussfaktor dar; vgL Fried
man / Kagan / Cartwright / Wheeler (FN 17), S. 806. 51 Hierzu
Bhattacharya/ Smyth (FN 18). 52 Wie oben erörtert, werden sowohl
die gängigen Zeitschriften als auch die JURIS
Datenbank in wesentlichen Teilen von den entscheidenden Richtern
mit Urteilen und Beschlüssen versorgt. Der Anreiz hierzu ist nicht
zuletzt finanzieller Natur (vgL Wal ker (FN 30), S. 51).
All Higher Administrative Courts are equal? 83
Worten: Welche dogmatischen Auswirkungen zeitigen die dargestellten
Wahrnehmungsselektivitäten? Dieser Forschungsgegenstand bietet zu
gleich Gelegenheit, das durchaus umstrittene Verhältnis54 von
Rechts dogmatik und Rechtssoziologie näher zu beleuchten.
Die vorliegende Untersuchung bietet weder den Raum noch eine aus
reichende Datenbasis, um diese weiterführenden Fragen zu
beantworten. Ihr Anliegen war es daher, einen empirischen Befund
aufzuzeigen, p-essen Gründe und Auswirkungen zum Gegenstand
weiterführender Forschungs anstrengungen gemacht werden
müssen.
Abstract
This artic1e addresses the question if and to what extent there are
differ ences in the perception of rulings by higher administrative
courts within the German legal system. For this purpose, different
indicators are taken into account. They inc1ude not only the number
of published court decisions in the JURIS database and scholarly
journals, but also the amount of their citations in judicial and
scholarly discussion. Empirical findirigs reveal a rather
differentiated picture. While courts from the large states with
high population numbers dominate when absolute indicator values are
consid ered, we observe considerable shifts towards the courts
from the smaller states if differences in population numbers or
publications in the "JURIS" database are taken into account.
53 V gl. etwa die Übernahme der bayerischen Rechtsprechung (BayVGH,
NVwZ-RR 1992, S. 218; BayVBl. 1997, S. 594) durch das BVerwG
(BVerwGE 109, 203) in der Frage der Fristbindung bei der
Fortsetzungsfeststellungsklage.
54 Vgl. nur me, Über das Verhältnis von Rechtsdogmatik,
Rechtssoziologie und Rechtspolitik im Verwaltungsprozeßrecht,
BayVBl. 1981, S. 172.
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Text1: Zuerst ersch. in: Die Verwaltung 42 (2009), 1, S.
55-83
Text2: Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URN:
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-95484 URL:
http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/2009/9548