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Allah hat viele Namen (2. Auflage 2000) - ezw-berlin.de · 2 EZW-TEXTE Nr. 147 und zu internalisieren. Dies führt in vie-len Fällen zu um so stärkeren, trauma-tisch bedingten Abwehrreaktionen,

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Einleitung 1

I. Quellen zum Islam 21. Der Koran 22. Hadith-Sammlungen 3

II. In welchem Umfeld ist der Islamentstanden? 3

1. Zur Übernahme alttestament-licher Traditionen 3

III. Das Leben Mohammeds bis zur Hijra 5

IV. Geschichte des Islam 8

V. Schwerpunktthemen in Lehreund Ethik 12

1. Monotheismus – Die EinzigkeitGottes 12

2. Der gnädige Gott 143. Der Gott des Gerichts 154. Die Stellung zu anderen

Religionen 155. Die umma (Gemeinde) 176. Der Imam 18

VI. Ethische Einzelprobleme 181. Zur Ethik der Familie –

Die Stellung der Frau 192. Religionsfreiheit 203. Die Schari’a –

Das islamische Recht 214. Staat und Wirtschaft 22

VII. Islam in der Gegenwart 221. Drei Länderbeispiele 221.1. Islam in der Türkei 221.2. Bosnien-Herzegowina 241.3. Pakistan 26

2. Islam in Deutschland 272.1. Islamische Organisationen in

Deutschland und ihre Anliegen 272.2. Zusammenleben in Deutschland 283. Islamischer Fundamentalismus

(Islamismus) 314. Dialog mit dem Christentum

Themen im Dialog zwischenChristen und Moslems 32

4.1. Glaubensfreiheit 324.2. Jesus Christus, die Trinität,

der gleiche Gott hier und da? 334.3. Abraham 34

Schlußbemerkungen 35

Literatur 36

INHALT

IMPRESSUM

Evangelische Zentralstellefür Weltanschauungsfragen

Auguststraße 8010117 BerlinTelefon 030/28395-2 11Fax-Nr. 030/28395-2 12Internet: http://www.ezw-berlin.deE-Mail: [email protected]

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EZW-TEXTE Nr. 147

„Unter allen Religionen und Kulturen istder Islam diejenige, die im Abendlandam wenigsten verstanden und am mei-sten gefürchtet wird.“ Nur allzu wahr istdiese an verschiedenen Stellen geäußer-te Einsicht Annemarie Schimmels. Keineaußerchristliche Religion ist uns in denletzten Jahrzehnten so nahe gerückt wieder Islam, keine Religion ist so massivmit Freindbildern beladen und mußgleichzeitig, und vielleicht deshalb, dar-unter leiden, daß niemand wirklich vielüber sie weiß. Es gibt zahlreiche grundle-gende Gemeinsamkeiten zwischen Islamund Christentum und zugleich wichtigeUnterschiede, und gerade die letzterensollten uns zum fruchtbaren und freund-schaftlichen Dialog führen. Kein Gerin-gerer als Goethe wußte bereits vor 180Jahren im west-östlichen Divan zu dich-ten:„Gottes ist der Orient!Gottes ist der Occident!Nord- und südliches GeländeRuht im Frieden seiner Hände.Er, der einzige Gerechte,Will für jedermann das Rechte.Sey, von seinen hundert Namen,Dieser hochgelobet! Amen.“Vorurteile sollen wenn möglich abge-baut werden, die in Kirche und Gesell-schaft über den Islam herrschen und dasZusammenleben mit muslimischen Mit-bürgern erschweren: Ein Anliegen dieserIslam-Information ist die „strategischeAufwertung“ des Islam, ein Ausdruck,den der katholische Theologe Karl-JosefKuschel im Zusammenhang seiner Les-sing-Studien benutzt hat. Er charakteri-siert damit die Art und Weise, wie Les-sing mit seiner Ring-Parabel gegenüberVorurteilen und Kampfesrufen um dasVerständnis einer anderen Religion

warb. Dabei soll nicht etwas weißgewa-schen werden, was eigentlich schmutzigsei. Es geht darum, positive Seiten her-auszustellen, ohne zu leugnen, daß esdie negativen auch gibt, d. h. es gehtnicht um Idealisierung. Ebensowenigsoll Identifikation betrieben werden; dasandere ist als anderes wahrzunehmenund so gerecht wie möglich zu beurtei-len. Der Begriff der „strategischen Auf-wertung“ klingt ein wenig nach paterna-listischer Protektion. Es muß immer mit-bedacht werden, daß der, der „strate-gisch aufwertet“, selbst einer Tradition(etwa dem Christentum) entstammenmag, die selbst unter bestimmten Um-ständen einer solchen strategischen Auf-wertung bedürftig sein kann. So ist aucheine kontextgerechte und kompatibleBeurteilung notwendig, nicht zum Bei-spiel eine solche, die das in der Gegen-wart vorfindliche moderne Christentumkonfrontiert mit Aussagen des Koranzum Umgang mit Andersgläubigen, an-statt etwa den Koran und das (ebensostrenge!) Alte Testament miteinander insGespräch zu bringen.Bei einem Bevölkerungsanteil von ca.2,7 Millionen Muslimen in Deutschlandist von uns zunehmend die Fähigkeitzum interreligiösen und interkulturellenZusammenleben gefordert. Dazu gehört,die anderen zu akzeptieren und kennen-lernen zu wollen und über die Klischees,die in den Massenmedien vermittelt wer-den, hinauszukommen. Die anderensind ein Teil von uns, in mehrfacher Hin-sicht und in einem vielfachen Sinne desWortes. Längst haben auch die inDeutschland lebenden Muslime damitbegonnen, die Begegnung und Ausein-andersetzung mit ihrem Umfeld, sei eschristlich oder anders, zu reflektieren

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Einleitung

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2 EZW-TEXTE Nr. 147

und zu internalisieren. Dies führt in vie-len Fällen zu um so stärkeren, trauma-tisch bedingten Abwehrreaktionen, esführt aber auch zu Annäherungs- undGesprächsbereitschaft. Viele Orte desGesprächs beweisen dies.Vom Lebensweg Mohammeds ausge-hend soll es hier zunächst um die Entste-hungsgeschichte des Islam und Grund-züge seiner Entwicklung zur zweitgröß-ten Weltreligion gehen. Hier werden dieGrundlagen ersichtlich, die seine späterewichtige Rolle als kulturell und politisch

gestaltende Kraft von Nordafrika bis Süd-ostasien verständlich machen.In den ersten Schritten dieser Einführungmachen wir uns vertraut mit den Quel-len, dem Umfeld Mohammeds, seinemLeben und der Geschichte des Islam.In diesem Heft werden immer wieder Ko-ranstellen zitiert, aber für ein umfassen-deres Verständnis des Geistes des Koransist es sinnvoll, sich eine gut lesbare Ko-ranausgabe anzuschaffen. Die Zitate fol-gen der Übersetzung von A.Th. Khoury(vgl. Literaturangaben am Ende).

1. Der Koran

Der Koran (arab. qur’an) ist nach islami-schem Glauben das Wort Gottes, demPropheten Mohammed offenbart unddurch ihn aufgeschrieben. Er ist inHocharabisch geschrieben und in Reim-prosa abgefaßt: Mehrere Verse endenauf einen bestimmten Reim und sindauch in stark rhythmischer Sprache vor-zutragen.Er darf von Muslimen nur in der heiligenSprache Arabisch gelesen, memoriertund rezitiert werden, ist aber inzwischenin die meisten Sprachen der Welt über-setzt. Er besteht aus 114 Suren, die in derRegel der Länge nach angeordnet sindund (außer der 9. Sure) alle mit der Ein-gangsdoxologie (basmala) „Im NamenGottes, des Gnädigen, des Barmherzi-gen“ beginnen. Durch die quantitativeAnordnung ist eine fortlaufende Lektüreund eine chronologische Erfassung derLehre und des Lebens des Propheten sehrschwierig. Die Suren sind meist redaktio-nell mit Vermerken auf die beidengroßen Phasen im Leben Mohammeds

versehen: „vor der Hijra/zu Mekka“ bzw.„nach der Hijra/zu Medina“, d. h. voroder nach 622 n. Chr., dem Jahr des Aus-zugs von Mekka nach Medina. Diemekkanische Phase wird in der westli-chen Islamwissenschaft meist in drei Pe-rioden unterteilt: 610–615, 615–620 und620–622. Ein direkter Vergleich zwi-schen Bibel und Koran wird aus theologi-schen Gründen meist abgelehnt; auf-grund der Offenbarungsqualität des Ko-ran wird gelegentlich die Parallele Chri-stus – Koran gezogen, aber auch sie istumstritten.

Sure 1: Die Eröffnung:»1 Im Namen Gottes, des Erbarmers,

des Barmherzigen.2 Lob sei Gott, dem Herrn der Welten(oder: Weltenbewohner), 3 dem Erbar-mer, dem Barmherzigen, 4 der Verfü-gungsgewalt besitzt über den Tag desGerichtes! 5 Dir dienen wir, und Dichbitten wir um Hilfe. 6 Führe uns den ge-raden Weg, 7 den Weg derer, die Dubegnadet hast, die nicht dem Zorn ver-fallen und nicht irregehen.

I. Quellen zum Islam

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3EZW-TEXTE Nr. 147

Zum Selbstverständnis Mohammeds:»Sprich: Ich bin nur ein Mensch wie ihr;

mir wird offenbart, daß euer Gott eineinziger Gott ist. (41,6)Ich sage euch nicht, ich hätte die Vor-ratskammern Gottes, und ich kenneauch nicht das Unsichtbare. Und ichsage euch nicht, ich sei ein Engel. Ichfolge nur dem, was mir offenbart wird.(6,50)

Zur Beauftragung Mohammeds:»Lies im Namen deines Herrn, der er-

schaffen hat, den Menschen erschaffenhat aus einem Embryo. Lies. Dein Herrist der Edelmütigste, der durch das

Schreibrohr gelehrt hat, den Menschengelehrt hat, was er nicht wußte. (96,1–5)

2. Hadith-Sammlungen

Der Hadith enthält folgende Überliefe-rungen:1. Aussprüche Mohammeds, Anweisun-gen, Anordnungen usw.,2. sein Verhalten, seine Handlungs-weise, seine religiöse Praxis usw.,3. seine Haltung gegenüber dem Verhal-ten der Gemeinde.Die Hadith-Sammlungen sind nur aus-wahlweise auf Deutsch zugänglich.

Die Predigt des Mohammed und die Ent-stehung des Islam sind nicht zu verstehenohne den Hintergrund der altarabischenpolytheistischen Religiosität und die Ein-flüsse von Christentum und Diaspora-Ju-dentum in Medina.Die Umwelt Mohammeds, der 570n. Chr. in Mekka geboren wurde, war diealtarabische Religiosität mit der Kaaba inMekka als ihrem Zentrum. Stammeszu-gehörige Götter und Göttinnen, die je-weils an bestimmten Orten oder in Na-turgegenständen ihren Sitz hatten, wur-den verehrt, so etwa die drei GöttinnenLat, Uzza und Manat in der Kaaba (vgl.Sure 53,19f) sowie wahrscheinlich Ge-stirne (Sonne, Mond, Venus) und etwa,bis heute, der schwarze Stein, der in eineAußenwand der Kaaba eingelassen ist.Stadt- und Stammesgott Mekkas war Hu-bal. Die Kaaba wurde nach der Erobe-rung Mekkas durch Mohammed (630) fürden neuen Glauben „umfunktioniert“(s. u. Abrahamlegende). In Medina war

Mohammed mit einer starken Gemeindevon Diaspora-Juden konfrontiert, von de-nen er Unterstützung und Verständnis fürseine Botschaft mit ihrer Nähe zum mo-notheistischen Judentum erhofft hatte.Der Koran zeigt, daß er sich eine erhebli-che, vermutlich mündlich vermittelte,Kenntnis der alttestamentlichen Überlie-ferungen angeeignet hatte. Offenbar lagder Monotheismus zu dieser Zeit auf-grund des jüdisch-christlichen Einflussesin der arabischen Welt wohl auch in derLuft. Trotz dieser Nähe lehnten die JudenMohammeds neue Lehre ab und versag-ten sich seinen Missionsbemühungen,wobei die Fronten sich immer mehr ver-härteten.

1. Zur Übernahme alttestamentlicherTraditionen

Mohammed hat die mündlichen Über-lieferungen der jüdischen und christli-chen Tradition aus seiner Umgebung mit

II. In welchem Umfeld ist der Islam entstanden?

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großem Fleiß aufgenommen, denn esging ihm ja wesentlich darum, den di-rekten Zusammenhang der an ihn ergan-genen Offenbarungen mit den jüdisch-christlichen aufzuzeigen. Gerade in Zei-ten schwerer Krisen, als ihm, etwa in sei-ner zweiten und dritten mekkanischenPhase, gar keine größeren Missionser-folge zuteil wurden, setzte er sich inten-siv mit Noah und der Sintflut, mit Abra-ham und seinem angeblichen Kampf ge-gen den zeitgenössischen Götzendienst,dem Untergang von Sodom und Go-morrha sowie mit Moses’ Begegnung mitdem Pharao auseinander. Die Mekkanerbezweifelten umgekehrt, daß Moham-med hier wirklich authentische Offenba-rungen zugrundelegte, sondern unter-stellten ihm, diese Überlieferungen von„irdischen“ Gewährsleuten übernom-men zu haben.

Sure 12 (Josephsgeschichte)Kain und Abel:»Und verlies ihnen den Bericht über die

zwei Söhne Adams der Wahrheit ent-sprechend. Als sie ein Opfer darbrach-ten. Es wurde von dem einen angenom-men und von dem anderen nicht ange-nommen. Der sagte: „Ich schlage dichtot“. Er sagte: „Gott nimmt es nur an vonden Gottesfürchtigen. Auch wenn dudeine Hand nach mir ausstreckst, ummich zu töten, so werde ich meine Handnicht nach dir ausstrecken, um dich zutöten. Ich fürchte Gott, den Herrn derWelten. Ich will, daß du meine Sündeund deine Sünde auf dich lädst und sozu den Gefährten des Feuers gehörst.Das ist die Vergeltung für die, die Un-recht tun“. Seine Seele machte ihn wil-lig, seinen Bruder zu töten. Er tötete ihnund wurde einer der Verlierer. Gottschickte einen Raben, der in der Erdescharrte, um ihm zu zeigen, wie er dieLeiche seines Bruders bedecken könne.

Er sagte: „Wehe mir! Bin ich nicht fähig,wie dieser Rabe zu sein und die Leichemeines Bruders zu bedecken?“ Sowurde er einer von denen, die bereuen.(5,27–31)

Saul, David und Goliath:»Hast du nicht auf die Vornehmen unter

den Kindern Israels nach Mose ge-schaut, als sie zu einem ihrer Prophetensagten: „Setz uns einen König ein, da-mit wir auf dem Weg Gottes kämpfen“.Er sagte: „Kann es aber möglich sein,daß ihr, wenn euch vorgeschriebenwird zu kämpfen, doch nicht kämpft?“Sie sagten: „Warum sollten wir dennnicht auf dem Weg Gottes kämpfen, wowir doch aus unseren Wohnstätten undvon unseren Söhnen vertrieben wordensind?“ (2,246) (…) Und ihr Prophetsagte zu ihnen: „Gott hat euch Tâlût[Saul] zum König eingesetzt“. Sie sag-ten: „Wie sollte er die Königsherrschaftüber uns erhalten, wo wir doch eherRecht auf die Königsherrschaft habenals er und ihm kein beachtliches Ver-mögen zuteil wurde?“ Er sagte: „Gotthat ihn vor euch auserwählt und ihmdarüber hinaus ein größeres Maß anWissen und Körperstatur gegeben“.(2,247) – Vgl. auch 2,248–251.

Auch christliche endzeitliche Vorstellun-gen von der Auferstehung und dem Jüng-sten Gericht haben die frühesten Surensehr stark beeinflußt:»Die Vergeltung für diejenigen unter

euch, die dies [gegenseitiges Mordenund Vertreiben] tun, ist nichts alsSchande im diesseitigen Leben, undam Tag der Auferstehung werden sieder härtesten Pein zugeführt werden.(2,85)Die Juden sagen: „Die Christen habenkeine Grundlage.“ Und die Christen sa-gen: „Die Juden haben keine Grund-

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lage.“ Dabei lesen sie (alle) das Buch.Auch diejenigen, die unwissend sind,äußern sich in der gleichen Weise. Gottwird am Tage der Auferstehung zwi-schen ihnen über das urteilen, worübersie uneins waren. (2,113)Diejenigen, die verschweigen, was Gottvom Buch herabgesandt hat, und es füreinen geringen Preis verkaufen, werdenin ihrem Bauch nichts als Feuer verzeh-ren. Gott wird sie am Tag der Auferste-hung nicht ansprechen und nicht fürrein erklären. Und für sie ist eineschmerzhafte Pein bestimmt. (2,174)Das diesseitige Leben ist denen, dieungläubig sind, verlockend gemachtworden, und sie verhöhnen diejenigen,die glauben. Aber diejenigen, die got-tesfürchtig sind, stehen am Tag der

Auferstehung über ihnen. Und Gott be-schert den Lebensunterhalt, wem erwill, ohne (viel) zu rechnen. (2,212)Wer sich dann abwendet, wird am Tagder Auferstehung eine Last tragen.Darin werden sie ewig weilen. Schlimmwird für sie am Tag der Auferstehungdas sein, was sie tragen. Am Tag, da indie Trompete geblasen wird. An jenemTag versammeln Wir die Übeltäter wieLeute mit blauen [= blinden] Augen.(20,100–102)Und Wir stellen die gerechten Waagenfür den Tag der Auferstehung auf. Sowird keiner Seele in irgend etwas Un-recht getan. Und wäre es auch das Ge-wicht eines Senfkornes, Wir bringen esbei. Und Wir genügen für die Abrech-nung. (21,47)

570 aus dem Geschlecht der Hasim inMekka geboren, wurde Mohammed mit6 Jahren Vollwaise. Auch sein Großvater,der ihn adoptierte, starb zwei Jahre spä-ter. Sein nächster Adoptivvater, ein On-kel (Abu Talib), umsorgte ihn treu bis zuseinem Tode 619. Mohammed ging alserwachsener Mann in die Dienste derwohlhabenden Kaufmannswitwe Kha-dija, die er später (ca. 595) heiratete, ob-wohl sie angeblich 20 Jahre älter war alser. Er übernahm den Handel und denWohlstand Khadijas. Mohammed undKhadija hatten drei Söhne und vier Töch-ter, aber die Söhne starben schon im Kin-desalter; auch von den Töchtern über-lebte nur Fatima ihren Vater und heira-tete Ali, den Sohn des Pflegevaters AbuTalib. Nach der Überlieferung traf Mo-hammed in Bosra den Mönch Bahira undließ sich von ihm im monotheistischen

Glauben unterweisen sowie als der künf-tige Prophet der Araber erkennen. Derreale Kern dieser Tradition ist vermutlich,daß die christlichen Einflüsse auf Mo-hammed sehr stark waren.Wahrscheinlich erfolgte seine Berufungim Alter von 40 Jahren (610) oder etwasspäter. Eine Berufungsvision finden wir in53,1–18. Die Aussendungsworte werdenin folgenden Versen reflektiert. Sie sindvergleichbar dem, was uns aus der pro-phetischen Literatur des Alten Testamentsbekannt ist.

»Wir sandten dich mit der Wahrheit alsFreudenboten und Warner. Und du hastdich nicht für die Gefährten der Hölle zuverantworten. Weder die Juden nochdie Christen werden mit dir zufriedensein, bis du ihrer Glaubensrichtungfolgst. (2,119f)

III. Das Leben Mohammeds bis zur Hijra

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der Buddha bedarf eines „Auszugs“ ausseinem Elternhaus, um seiner geistlichenBerufung gerecht zu werden.Im Koran sind die Suren jeweils als vor(zu Mekka) oder nach (zu Medina) derHijra bezeichnet. Die Suren vor der Hijrahaben einen mehr prophetisch-theologi-schen Charakter, die Suren nach der Hijrasind stärker rechtlich – im Sinne einer Ge-meindeordnung (für Medina) – geprägt.Seitdem sich Mohammeds Verhältnis zuden Juden verschlechtert hatte, be-stimmte er die Gebetsrichtung (qibla)nach Jerusalem, die bisher in Medina ge-golten hatte, 624 auf Mekka um. Im Zu-sammenhang damit entstand die Abra-hamlegende, nach der Abraham dieKaaba gegründet und erbaut haben soll.Die Kaaba, ein massiver, würfelförmigerQuaderstein (12 x 10 x 16 Meter), ver-hüllt von einem schwarzen Tuch mit ein-gestickten Koranversen, ist seither fürden Islam von zentraler Bedeutung. IhreWichtigkeit als zentrales Heiligtum be-gründet auch die Pflicht zur Pilgerfahrt(arab. hajj) nach Mekka als eine der sog.fünf Säulen des Islam.

»Das erste Haus, das für die Menschenerrichtet wurde, ist gewiß dasjenige inBakka (Mekka); voller Segen ist es undRechtleitung für die Weltenbewohner(…) Und Gott hat den Menschen diePflicht zur Wallfahrt nach dem Hausauferlegt, allen, die dazu eine Möglich-keit finden. (2,96f) – Weitere Stellen zur Abrahamlegende in 2,125–129;22,26–29; 3,95–97; 14,35–41.

Die fünf Säulen des Islam sind:1. Das Glaubenszeugnis (shahada)2. Das rituelle Pflichtgebet (salat)3. Das Fasten im Monat Ramadan

(saum)4. Die Pflichtabgabe (zakat)5. Die Pilgerfahrt nach Mekka (hajj)

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Im Jahre 622 findet die Hijra statt. Wört-lich meint das Wort die Aufgabe derBande zur eigenen Familie bzw. zu Ver-bündeten. Nachdem im Jahre 619 Mo-hammeds Onkel und Adoptivvater AbuTalib gestorben war, war er in Mekka iso-liert, da er mit seinem Werben um An-hänger weitgehend erfolglos gebliebenwar. Er nahm Verhandlungen mit denführenden Familien Medinas auf, nach-dem vorherige Verhandlungen mit derStadt Taif gescheitert waren. Er schloßaus Anlaß der Pilgerfahrt von 622 mit Pil-gern aus Medina das sogenannte Aqaba-Abkommen, das die Mediner verpflich-tete, ihn gegebenenfalls auch mit derWaffe zu verteidigen. Er wurde angegan-gen als Schiedsrichter im Streit zwischenverfeindeten Stämmen und Gruppen. Ca.70 Anhänger Mohammeds zogen nochim selben Jahr in Gruppen nach Medina,während Mohammed zusammen mitAbu Bakr, dem Vater seiner zweiten FrauAisha, später auf Schleichwegen und mitdreitägigem Zwischenaufenthalt in einerHöhle nach Medina gelangte. Bereits615 waren 89 Männer und 18 Frauenmuslimischen Glaubens unter erhebli-chem Druck von Mekka in das christli-che Abessinien ausgewandert. Die Hijrawar also keine Flucht, sondern eine Emi-gration mit heimlichen Elementen. Mitihr beginnt die gestaltende Phase in derGeschichte des jungen Islam: Moham-med ist nicht mehr verfolgter Führer ei-ner kleinen Minderheit, sondern Ober-haupt einer Stadt. Hier (622 n. Chr.) be-ginnt deshalb die islamische Zeitrech-nung.Das Motiv des Auszugs begegnet unsvielfach in den Religionen. Mohammedselbst zieht den Vergleich mit dem Aus-zug Abrahams aus Haran. Vergleichbarist das Verhältnis Jesu zu seiner Heimat-stadt Nazareth. Lk 4,24b: Kein Prophetwird in seiner Heimat anerkannt. Auch

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7EZW-TEXTE Nr. 147

Die Trennung vom Judentum, das Mo-hammed, wie oben geschildert, lange alsmöglichen Verbündeten gesehen hatte,wurde nun endgültig vollzogen, nach-dem alle Missionsbemühungen kaum aufResonanz gestoßen waren. Mohammedmachte im Koran seiner Enttäuschungüber die Ablehnung durch die Juden mitgroßer Bitterkeit Luft.

Er schreibt über die steinharten Herzender Juden:»Nach diesem Geschehen verhärteten

sich eure Herzen, so daß sie wie Steinewaren oder noch härter. Denn unter denSteinen gibt es welche, aus denen dieBäche hervorbrechen; und es gibt wel-che, die sich spalten, so daß das Was-ser aus ihnen hervorkommt; und es gibtwelche, die vor Ehrfurcht vor Gott her-unterfallen. Und Gott läßt nicht unbe-achtet, was ihr tut. (2,74)Ihre Herzen sind verstockt, und sie sindvertragsbrüchig, aber es soll ihnen ver-ziehen werden:Weil sie aber ihre Verpflichtung bra-chen, haben Wir sie verflucht und ihreHerzen verstockt gemacht. Sie entstel-len den Sinn der Worte. Und sie ver-gaßen einen Teil von dem, womit sie er-mahnt worden waren. Und du wirst im-mer wieder Verrat von ihrer Seite erfah-ren – bis auf wenige von ihnen. Aberverzeih ihnen und laß es ihnen nach.Gott liebt die Rechtschaffenen. (5,13)

Sie brechen den Bund Gottes und brin-gen ihre eigenen Propheten um:»(Verflucht wurden sie,) weil sie ihre Ver-

pflichtung brachen, die Zeichen Gottesverleugneten, die Propheten zu Unrechttöteten und sagten: „Unsere Herzensind unbeschnitten“ – vielmehr hat Gottsie wegen ihres Unglaubens versiegelt,so daß sie nur wenig glauben (…).(4,155)

Sie ziehen sich den Zorn Gottes zu.Und Elend überdeckt sie. Dies dafür,daß sie immer wieder die Zeichen Got-tes verleugneten und die Propheten zuUnrecht töteten; dies dafür, daß sie un-gehorsam waren und immer wiederÜbertretungen begingen. (3,112)

Ungeachtet dessen bleiben aber Judenund Christen als „Leute des Buches“ ge-achtet und genießen in der Geschichtedes Islam den Status von dhimmi(Schutzbefohlenen, s. u.). Als Resultatvon Konflikten wurde ein Teil der Judenaus Medina vertrieben, ein Teil fiel einemMassaker zum Opfer, das Mohammedzumindest duldete.Gleichzeitig mit der inneren Konsolidie-rung in Medina wurde die Auseinander-setzung mit Mekka gesucht mit dem Ziel,das neue „islamische Jerusalem“ zurück-zugewinnen. Nach mehreren Gefechten,einer erfolglosen Belagerung und demWaffenstillstand von al-Hudaibiya ergabMekka sich 630 kampflos dem Islam, alsMohammed und seine Truppen in Verlet-zung des Waffenstillstands einen Überra-schungsfeldzug führten. Der Prophet zer-störte eigenhändig die Götzenbilder inder Kaaba und stellte den laut Legendevon Abraham eingeführten monotheisti-schen Kult wieder her.Bereits jetzt war schon fast die ganze ara-bische Halbinsel für den Islam einge-nommen, und noch zu Lebzeiten Mo-hammeds expandierte der neue Glaubeüber die Nordgrenzen hinaus. Moham-med starb 632 und hinterließ Streitigkei-ten über seine Nachfolge. Von seinenKindern hatte nur die Tochter Fatimaüberlebt, und einen eindeutigen charis-matischen Führer, der ihn hätte ablösenkönnen, gab es nicht.

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Die Geschichte der Ausbreitung des Is-lam war immer schon eine politisch-reli-giöse Geschichte, so wie Mohammedvon Anfang an religiöser Führer undStadtoberhaupt von Medina war. Auchlag im Wüsten- und Beduinenmilieu derGriff zum Schwert als Mittel der Ausein-andersetzung und Durchsetzung nahe,wie bereits die mittellosen Emigrantenauf ihrem Weg von Mekka nach Medinasich durch Karawanenraubzüge (arab.razzia) ihren Lebensunterhalt verschaffthatten. In diesem, vom Kontext bedingt,völlig anderen Verhältnis zu politischerMacht und militärischer Gewalt liegt einwesentlicher Unterschied zur eherlangsamen und schwierigen Ausbreitungdes frühen Christentums, das ausschließ-lich auf die missionarische Predigt setzte.Nicht zu vergessen bleibt: Auch das Chri-stentum hat sich in seiner Geschichtevon der Kultur der „Ohnmacht alsMacht“ und des Gewaltverzichts ge-trennt und ist dem Islam an Gewaltan-wendung nichts schuldig geblieben. DieKreuzzüge sind ein Beispiel, das nochheute im Dialog eine Rolle spielt (s. u.).Auf den Tod Mohammeds folgte die Ein-richtung des „Kalifats“ (khalifa = Nach-folger) als Amt des jeweils legitimenNachfolgers des Propheten. Zunächstkam die knapp 30jährige Zeit der vier„Rechtgeleiteten Kalifen“ (632–661):1. Abu Bakr (632–634)2. Umar (634–644)3. Uthman (644–656)4. Ali (656–661).Das Kalifat ist ein geschichtlich gewach-senes und keineswegs genau definiertesAmt, zu dem es auch keine Bestimmun-gen im Koran gibt. Bereits unter den er-sten drei Kalifen sind die Auswahlme-chanismen sehr unterschiedlich, und seit

der Ermordung des Kalifen Uthmanwurde auch die Frage der Absetzbarkeitbei Vernachlässigung der Pflichten akut.Die Omaiyaden, in deren Händen seitMuawiya, dem Nachfolger Alis, das Kali-fat war, vertraten Auswahl- und Absetz-mechanismen gegenüber das dynasti-sche Prinzip. Während für sie die Ab-stammung von Muawiya und gleichzei-tig das „Erbe Mohammeds“ entschei-dend waren, war für die ihnen folgendeDynastie der Abbasiden die Zugehörig-keit zur Linie der Mohammed-TochterFatima ausschlaggebend. Die Abbasi-den-Kalifen bestimmten häufig ihrenNachfolger testamentarisch. Seine erstenund wichtigsten Funktionen waren mi-litärisch und gesetzgeberisch, umfaßtenaber auch die Verwaltung. Das Kalifatwurde unter Atatürk 1924 abgeschafft.Schon unter Abu Bakr, der ein getreuerAnhänger und Schwiegervater Moham-meds war, gelang dem Islam eine erheb-liche Expansion: Stämme, die nach Mo-hammeds Tod abgefallen waren, wurdenzurückgewonnen, im Irak wurde Hira,die Hauptstadt der Lakhmiden (persi-scher Vasallenstaat) erobert, in Syrienhatte es Erfolge gegeben und weite TeilePalästinas waren in islamischer Hand.Die Ermordung des Kalifen Uthman 656führte zur ersten großen Spaltung im Is-lam. Aus einer Wahl ging Ali als Nachfol-ger hervor, dem nach späterer schiiti-scher Auffassung das Kalifat bereits vonAnfang an gebührt hätte. Er mußte sichgegen seinen Rivalen Muawiya zur Wehrsetzen, den Anführer der Anhänger Uth-mans, die zur Blutrache für den ermorde-ten Kalifen aufgerufen hatten. Die RächerUthmans bildeten den Kern der späterenSunniten. Nach der Ermordung Alis 661wurde der Omaiyade Muawiya neuer

IV. Geschichte des Islam

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Herrscher und leitete eine neue arabisch-islamische Eroberungswelle ein.

Die Sunniten (von arab. sunna =Brauch, gewohnte Handlungsweise)stellen die Mehrheit aller Muslime,die die vier „Rechtgeleiteten Kalifen“anerkennen.Mit dem Sieg der ulama (= in der Tra-dition der „Gemäßigten“ lebende ge-lehrte Theologen und Juristen auf demBoden genuin arabisch-islamischerWissensinhalte) über die kuttab(Staatsschreiber iranischer Herkunftmit iranischer Staats- und Geistestra-dition) entsteht eine regelrechte sun-nitische Theologie und ein sunniti-sches Kalifat.Die Schiiten (von arab. schi’a = Partei,meint Partei Alis) berufen sich auf denvierten, einzig legitimen Kalifen; siestellen ca. 10 bis 15 Prozent der mus-limischen Weltbevölkerung.Ihre größte Gruppierung ist die Zwöl-ferschia. Sie sind heute im Süd-Irak,im Iran und in einzelnen Regionendes indisch-pakistanischen Subkonti-nents stark. Von einst bis zu 70 Grup-pierungen sind heute nach zahlrei-chen Fusionen nur noch wenigeübrig, von denen die größte und be-deutendste die Zwölferschia (Staats-religion im Iran) ist.

Muawiya (Regierungszeit 661–680) ver-legte das Zentrum seines arabischenGroßreichs von Medina, wo die vier Ka-lifen residiert hatten, nach Damaskus inSyrien, das er schon zuvor als Statthalterverwaltet hatte. Die arabische Halbinselgeriet wieder an den Rand des politi-schen Geschehens, wie zu Zeiten vordem Auftritt Mohammeds. Medinawurde zum „Schmollwinkel“ der Anhän-ger Alis, der späteren „Schiiten“ („Schi’aAli“ = Partei Alis). Noch galt die Glei-

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chung islamisch = arabisch und umge-kehrt. Selbst wenn neugeworbene Mus-lime sich notgedrungen einem arabi-schen Stammesverband anschlossen,waren nur die ethnisch echten Araberdas staatstragende Volk; diese interneDiskriminierung wurde zu einem Auslö-ser der späteren Erosion des Reichs, dassich unter Muawiya vom Atlantik bisnach Ostpersien erstreckte.Muawiya mußte einerseits zwischenStammesinteressen und einem zentralgelenkten Großreich vermitteln, anderer-seits war die Stabilisierung des Reichsdurch eine Dynastie erforderlich. SeinSohn Yazid trat die Nachfolge des ver-storbenen Vaters 680 an, wurde jedochschnell durch Thronprätendenten ausdem Lager des früheren Kalifen Ali ange-fochten. Der Ali-Sohn Husain starb inIrak, wohin er gezogen war, um seineAnsprüche geltend zu machen, in derSchlacht gegen die Omaiyaden. SeinBruder Hasan verzichtete auf alle An-sprüche und blieb in Medina. Von ande-rer Seite regte sich Abdallah ibn az-Zu-bair; er regierte unter Ausnutzung innererZwistigkeiten der Omaiyaden 12 Jahrelang von Mekka aus und gewann einengroßen Teil des arabischen Reichs fürsich. Erst unter dem Omaiyaden-KalifenAbd al-Malik (685–705) wurde das Reichwieder vereinigt, der Bürgerkrieg been-det und einige Verwaltungsreformendurchgeführt.Die Konsolidierung wurde unter seinemSohn Walid (705–715) fortgesetzt undmit neuen Eroberungen unterstrichen.Mit prächtigen Bauten, der Arabisierungund Islamisierung des Münzwesens undder Einführung von Arabisch als Verwal-tungssprache im ganzen Herrschaftsge-biet behaupteten die Omaiyaden unddie arabisch-islamische Kultur ihrenHerrschaftsanspruch im Großreich. 711fand die Überquerung der Meerenge von

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schen Obrigkeit für die Zahlung derKopfsteuer hafteten. Ihr Ausschlußvon staatlichen Ämtern wurde nichtimmer ganz konsequent gehandhabt.Die Religionsfreiheit, die grundsätz-lich durch Sure 2,256 („Es gibt keinenZwang in der Religion“) als gewähr-leistet gilt, bleibt ein Problem der isla-mischen Staatenwelt bis in die Gegen-wart hinein (s. u.).

Den Omaiyaden folgte die Herrschaftder Abbasiden, benannt nach Abbas ibnAbd al-Muttalib ibn Hashim, einem On-kel Mohammeds, für mehr als 500 Jahre(750–1258). Sie traten für das Kalifat inden Händen eines Verwandten von Mo-hammed ein. Die islamische Kultur er-lebte während dieser Epoche eine Hoch-blüte, aber der Vielvölkerstaat brach seitdem 9. Jahrhundert auseinander: DieHerrschaft über Syrien und Ägypten gingan die Tuluniden (868–905), Nordafrikaan die Aghlabiden (800–909) verloren.Der abbasidische Kalif wurde noch alsgeistliche Autorität anerkannt. Nur zweiGegenherrscher, das Omaiyaden-Kalifatvon Cordoba und das schiitische Gegen-kalifat der Fatimiden, stellten sich gegendie Oberhoheit des Abbasidenkalifs.Dieses fand ein Ende mit der EroberungBagdads durch die Mongolen im Jahre1258.In dieser Zeit endet die Geschichte desIslam als eines (arabisch-)islamischenGroßreichs, zugleich wird der Islam ge-rade durch die neue Internationalisie-rung zur Weltreligion im eigentlichenSinne.In seiner ursprünglichen arabisch-ethni-schen Bezogenheit, die sich bis heute inder Ausschließlichkeit des Arabischenals „unübersetzbarer Sprache“ des Koranniederschlägt, ähnelt der Islam demJudentum (Zusammenhang von Staat

Gibraltar und die Eroberung Spanienssowie der Vormarsch nach Frankreichstatt; dies wurde jedoch bald mit der„Reconquista“ beantwortet. WeitereVorstöße nach Südeuropa folgten, zeitig-ten aber keine dauernden Erfolge: 827Sizilien, 868 Malta. Im Osten reichtendie Eroberungen bis zum Industal undführten zur Gründung des Emirats vonMultan (711), von dem aus Indien isla-misiert wurde.Die Ausbreitung des islamischen Reichsvollzog sich zu einer Zeit, in der die bisdahin großen Reiche und Epochen derGeschichte zu verblassen begannen; sotreffen die Omaiyaden in Nordafrika undAsien auf ein Machtvakuum von kurzle-big auf- und niedergehenden Herr-schaftskonstellationen. In Nordafrika be-reiten sie der Herrschaft von Byzanz einEnde.Der Niedergang des Omaiyaden-Reichs(bis 750) hing mit der Benachteiligungder Nichtaraber und der Schiiten sowiemit separatistischen Bestrebungen ein-zelner Regionalherrscher zusammen.Auch mußte zunehmend mit der starkenPräsenz nichtmuslimischer Minderheitenumgegangen werden.

Dhimmi: Juden und Christen im isla-mischen Staat, sowie auch Zoroastrierim Iran, genossen mit Einschränkun-gen das Recht der freien Religions-ausübung. Sie durften jedoch keineeigenen Kultstätten errichten, dieChristen das Kreuz nicht in der Öffent-lichkeit zeigen und keine Glockenläuten. Sie waren vom Kriegsdienstausgeschlossen. Andererseits zahltensie eine Kopfsteuer (jizya). Die Nicht-muslime bildeten einen Staat imStaate und standen unter der Autoritätihrer eigenen religiösen Repräsentan-ten, die auch gegenüber der islami-

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Mamelucken waren weiße, meist tür-kische Militärsklaven; sie treten in derGeschichte Ägyptens und Syriens (13.bis 19. Jahrhundert) auf: Mamluk war,wer als Nichtmuslim in nicht-musli-mischem Gebiet aufgewachsen warund als Unfreier in den Dienst einesMamluks (Sultans oder Emirs) ge-langte, der für seine Ausbildung undKonversion sorgte und ihn unter demalten türkisch-heidnischen Namenfreiließ. Es handelte sich um eine Mi-litäraristokratie, die prinzipiell aufeine Generation beschränkt war;Nachkommen fielen aus dem Systemheraus, ein Grundsatz, der besondersbei Mameluckensultanen aufgeweichtwurde. Die ägyptisch-syrische Mame-luckenherrschaft war von Stabilitätund politischer Blüte geprägt. Die Ma-melucken geboten dem Mongolen-sturm in Syrien Einhalt

Die Osmanen, die letzte große islamischeMacht, nahmen 1516 Syrien, 1517 Palä-stina und Ägypten, 1534 Irak und 1538die Küstenränder der nördlichen Halbin-sel. Alle heiligen Stätten des Islam warennun in Händen der Türken; damit ging diemuslimische Schaltmacht an Nichtaraberüber, die von den Arabern als Fremdherr-schaft empfunden wurden. Die Verhält-nisse wirkten sich für 400 Jahre lähmendauf die Entwicklung arabischer Kultur undPolitik aus. Derweil erweiterten die Ara-ber ihren Einfluß an der ostafrikanischenKüste und im Sudan zwischen Sahara undRegenwald: Ausbreitung des Islam unddes Sklavenhandels aus Afrika.Das Osmanische Reich ging 1918 mi-litärisch und 1922 politisch unter undwich dem Experiment des türkischen Sä-kularstaats einer muslimischen Gesell-schaft unter Kemal Atatürk (Mustafa Ke-mal Pascha).

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Israel, Sprache Hebräisch/Iwrit undJudentum), während das Christentumsich bereits durch die Missionsreisen desPaulus innerhalb des römischen Reichsinternationalisierte.Die Einzelentwicklungen verschiedenerislamischer Staaten und Richtungen sindan dieser Stelle in der gebotenen Kürzenicht darstellbar; ich greife deshalb nurweniges heraus, um Begrifflichkeitenund Erscheinungen der Gegenwart ver-ständlicher zu machen. Ausgewählte re-präsentative Länderdarstellungen folgenin einem gesonderten Kapitel.Auf dem Hintergrund von Christenver-folgungen unter dem Fatimidenherr-scher al-Hakim und dem Vordringen derSeldschuken nach der Niederlage derByzantiner bei Malazgirt (1071) fandendie Kreuzzüge (1096–1270) statt. Siesind bis heute ein Thema der histori-schen Aufarbeitung zwischen Christenund Muslimen. Sie wurden unter der Pa-role der „Befreiung des Heiligen Landesvon den Muslimen“ geführt und der1. Kreuzzug durch den Hilferuf desbyzantinischen Kaisers an den Westenausgelöst. Er hatte allerdings nur an dieBereitstellung von Söldnern gedacht.Papst und Kreuzritter verfolgten jedocheigene Ziele und errichteten ihre Herr-schaftsgewalt in den vier Kreuzfahrer-staaten Edessa (1098–1144), Antiochia(1098–1275/87), Tripolis (1102–1228)und Jerusalem (1099/1100–1187, 1191–1244). Bis 1270 fanden unter wechseln-den politischen Umständen siebenKreuzzüge statt; die Kreuzfahrerstaaten(1098–1291) reichten zur Zeit ihrergrößten Ausdehnung über die gesamtesyrisch-palästinensische Küste vonAlexandrette bis nach Gaza mit Aus-buchtungen nach Syrien und nachEdessa und bis jenseits des Jordan. Sieunterlagen insbesondere dem Vordrin-gen der Mamelucken.

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Versuche, der islamischen Vielvölkerweltwieder eine einzige Stimme zu verlei-hen, fanden statt z. B. mit der Gründungder „Arabischen Liga“ (1945) und auf Re-gierungsebene mit der „Organisation derIslamischen Konferenz“ (OIC, arab. Ori-ginal Munazzamat al-mu’tamar al-isla-mi) Anfang der siebziger Jahre. Katalysa-tor war der Brand der Aqsa-Moschee inJerusalem am 21. 8. 1969 gewesen. Miteher religiöser Zielsetzung wurde 1962in Mekka die „Liga der Islamischen Welt“gegründet; sie entstand während einerinternationalen islamischen Konferenz,und prominente muslimische Gelehrtebildeten das Gründungskomitee.Wir haben den Islam zunächst unterhistorischen Aspekten kennengelernt. Es

handelt sich um eine Religion mit hohemAnspruch an die gesamte Lebensgestal-tung bis hin zur politischen Existenz. DieAusbreitung des Islam ging von Stifterzei-ten an bis ins hohe Mittelalter hinein mitpolitischer Eroberung einher und bis zurOmaiyaden-Herrschaft mit dem An-spruch, die islamische Welt in einem ein-zigen Reich zu vereinigen, auch wenndie Gleichung muslimisch = arabisch all-mählich fallengelassen werden mußte.Die Tendenz zur Islamisierung des öffent-lichen Lebens bis hin zur Gründung „isla-mischer Staaten“ war immer schon vor-handen und hat sich in letzter Zeit ver-stärkt. Das Stichwort „Reislamisierung“,ein Kunstbegriff der neueren Islamwis-senschaft, versucht dies anzudeuten.

V. Schwerpunktthemen in Lehre und Ethik

1. Monotheismus – Die EinzigkeitGottes

Das islamische Glaubensbekenntnis lau-tet:„Ich bezeuge: Es gibt keinen Gott außerGott, und Mohammed ist der GesandteGottes.“Dies wird in Sure 112 folgendermaßenausgeführt:„Er ist Gott, ein Einziger, Gott, der Un-durchdringliche. Er hat nicht gezeugt,und Er ist nicht gezeugt worden, und nie-mand ist Ihm ebenbürtig.“Das Wort allah, das hier verwendet wird,ist aus der Artikel-Silbe al und dem Wortfür Gott ilah (vgl. hebr. eloah oder elo-him) zusammengezogen. Auch arabi-sche Christen sagen allah für Gott.Der eine, wahre Gott des Islam kann inseiner Souveränität und Allmacht keineInkarnation in einem „Gottessohn“ dul-

den; deshalb werden an mehreren Stel-len des Koran christologische und trinita-rische Vorstellungen des Christentumskritisiert. Jesus gilt als Prophet, als Ge-sandter; er ist Mariensohn, nicht Gottes-sohn, und als solcher sind ihm auchzahlreiche Abschnitte des Koran gewid-met.

Jesus in der Reihe alttestamentlicher Ge-stalten:»Sprecht: Wir glauben an Gott und an

das, was zu uns herabgesandt wurde,und an das, was herabgesandt wurdezu Abraham, Ismael, Isaak, Jakob undden Stämmen, und an das, was Moseund Jesus zugekommen ist, und andas, was den (anderen) Propheten vonihrem Herrn zugekommen ist. Wir ma-chen bei keinem von ihnen einen Unter-schied. Und wir sind Ihm ergeben.(2,136)

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Jesus als Prophet:»Und Er wird ihn (Jesus) lehren das

Buch, die Weisheit, die Thora und dasEvangelium. Und (Er wird ihn) zu einemGesandten an die Kinder Israels (ma-chen): „Ich komme zu euch mit einemZeichen von eurem Herrn: Ich schaffeeuch aus Ton etwas wie eine Vogelge-stalt, dann blase ich hinein, und es wirdzu einem Vogel mit Gottes Erlaubnis;und ich heile Blinde und Aussätzigeund mache Tote wieder lebendig mitGottes Erlaubnis; und ich tue euchkund, was ihr eßt und in euren Häusernaufspeichert. Darin ist für euch ein Zei-chen, so ihr gläubig seid. (3,48f)

Die christliche Trinitätslehre ist ein ur-alter Streitgegenstand im muslimisch-christlichen Dialog. Die koranischen Ar-gumente beziehen sich jedoch nicht di-rekt auf eine Trinität im Sinne des nizäni-schen oder apostolischen Glaubensbe-kenntnisses (Vater, Sohn und HeiligerGeist), sondern auf einen „Tritheismus“der Formel „Vater – Mutter (Maria) –Sohn“, wie er seinerzeit unter den Chri-sten Arabiens verbreitet war, sowie aufdie Lehre der Monophysiten, wonach Je-sus nur ein Scheinbild der einen wahrenNatur Gottes war. Der Vorwurf lautet,daß das Christentum in Wirklichkeit vondrei Göttern ausgehe. Das sei faktischGötzendienst. Zentral zur koranischenTrinitätskritik ist folgende Stelle:

»Gott, es gibt keinen Gott außer Ihm,dem Lebendigen, dem Beständigen.Nicht überkommt ihn Schlummer undnicht Schlaf. Ihm gehört, was in denHimmeln und was auf der Erde ist. Werist es, der bei Ihm Fürsprache einlegenkann, es sei denn mit seiner Erlaubnis?Er weiß, was vor ihnen und was hinterihnen liegt, während sie nichts von sei-nem Wissen erfassen, außer was Er

will. Sein Thron umfaßt die Himmel unddie Erde, und es fällt Ihm nicht schwer,sie zu bewahren. Er ist der Erhabene,der Majestätische. (2,255)Ungläubig sind diejenigen, die sagen:„Gott ist Christus, der Sohn Marias“,wo doch Christus gesagt hat: „O ihrKinder Israels, dienet Gott, meinemHerrn und eurem Herrn.“ Wer Gott (an-dere) beigesellt, dem verwehrt Gott dasParadies. Seine Heimstätte ist dasFeuer. Und die, die Unrecht tun, wer-den keine Helfer haben. Ungläubig sinddiejenigen, die sagen: „Gott ist derdritte von dreien“, wo es doch keinenGott gibt außer einem einzigen Gott.(5,72f)

Von muslimischer Seite wird gelegent-lich das „Apokryphon des Johannes“ zi-tiert, das 1945 bei Nag‘Hammadi inÄgypten gefunden wurde und Jesus sichselbst in einer Offenbarungsformel an Jo-hannes, den Sohn des Zebedäus, so be-zeichnen läßt: „Denn ich bin der, der beieuch ist alle Zeit. Ich bin der Vater, ichbin die Mutter, ich bin der Sohn“. DerGeist erscheine hier in weiblicher Ver-sion als Mutter. Hintergrund ist die he-bräische Version des Geistes, das weibli-che ruah (arab. Ruh). Selbst wenn hiereine apokryph-christliche Annäherungan islamische Positionen gegeben zusein scheint, stehen koranische Aussagenund das nizänische und apostolische Be-kenntnis nahezu unversöhnlich zueinan-der.

Literaturhinweis: A. Ritter, Trinitarisches Denkenund Reden von Gott im Dialog mit Juden undMuslimen, in: CIBEDO 4/1995, S. 121–133; M. S.Abdullah, Islam für das Gespräch mit Christen,S. 142–146.

Die Transzendenz Gottes wird im Koransowie in der Tradition häufig betont:„Wie das Auge, das in die Sonne schaut,

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durch Finsternis an der Beobachtung ge-hindert wird, so der Verstand beim Ver-such, in die Natur Gottes einzudringen.“Gott als Schöpfer und sein umfassendesWesen werden auch folgendermaßenbeschrieben: „Gottes ist der Osten undder Westen. Wohin ihr euch auch wen-den möget, dort ist das Antlitz Gottes.Gott umfaßt und weiß alles (…). Ihmgehört doch, was in den Himmeln undauf der Erde ist. Alle sind ihm demütig er-geben. Er ist der Schöpfer des Himmelsund der Erde. Wenn Er eine Sache be-schlossen hat, sagt Er zu ihr nur: Sei!, undsie ist.“ (Sure 2,115–117) Zugleich wirdaber auch die Nähe Gottes betont: „Wirhaben doch den Menschen erschaffenund wissen, was ihm seine Seele ein-flüstert. Denn Wir sind ihm näher alsdie Halsschlagader“ (50,16, vgl. hierzuPs 139).Zentrale Figur ist Abraham, der als Vor-bild des monotheistischen Glaubens gilt.Auf ihn führt der Koran auch die beidenanderen „Religionen der Schrift“ Juden-tum und Christentum zurück, die des-halb, abgesehen von gelegentlicher Po-lemik aufgrund biographischer Erfahrun-gen Mohammeds, eine privilegierte Stel-lung vor anderen Religionen genießen(vgl. oben zum Begriff dhimmi = Schutz-befohlene).

2. Der gnädige Gott

Immer wieder ist im Koran vom gütigenSchöpfergott die Rede, der sich sorgt, derschützt, der Last abgenommen hat, derreichlich gegeben hat. Die Gläubigenvon Mekka werden aufgefordert, dafür zudanken. Die frühen mekkanischen Suren93, 94 und 108 legen davon Zeugnis ab.Auch der gnädige, vergebende Gott wirdbereits mit der basmala angerufen: „ImNamen Gottes, des Erbarmers, des Barm-herzigen“. Ehrliche Reue und Buß- und

Umkehrbereitschaft des Menschen wer-den zu Vergebung Gottes führen: „Friedeüber euch! Euer Herr hat sich selbst dieBarmherzigkeit vorgeschrieben: Wennnun einer von euch aus UnwissenheitBöses tut, aber danach umkehrt und Bes-serung zeigt, so ist Er voller Vergebungund barmherzig“ (6,54).

Ein Hadith lautet:»Gott streckt die Hände seiner Gnade in

der Nacht aus, damit diejenigen, die amTage sündigen, bei Nacht bereuen undsich ihm zuwenden mögen; und erstreckt die Hände seiner Gnade amTage aus, damit diejenigen, die in derNacht gesündigt haben, bei Tag be-reuen und sich ihm zuwenden mögen.(…) Der Mensch, der ernsthaft seineSünden bereut, ist wie einer, der nie-mals eine Sünde begangen hat.

Ein weiteres:»O meine Diener! Ihr sündigt in der

Nacht und tagsüber, und ich vergebealle Vergehen. So bittet mich um Verge-bung, dann werde ich euch vergeben.(Hadithensammlung Muslim, Sahih)

Das arabische Wort für Buße lautettawba, Umkehr, Rückkehr. Dies kann so-wohl den Rückweg des sündigen Men-schen zurück zum Weg des Heils und zuGott meinen, als auch die Neuzuwen-dung Gottes zurück zu dem, der sich vonihm in Sünde entfernt hatte. Gemeint istalso die Überbrückung einer Entfernung(= Sünde) aus beiden Richtungen.

»Wer Böses begeht oder sich selbst Un-recht tut und dann Gott um Vergebungbittet, der wird finden, daß Gott vollerVergebung und barmherzig ist. Und wereine Sünde erwirbt, erwirbt sie zu sei-nem eigenen Schaden. Und Gott weißBescheid und ist weise. (4,110f)

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Sprich: O meine Diener, die ihr gegeneuch selbst Übertretungen begangenhabt, gebt die Hoffnung auf die Barm-herzigkeit Gottes nicht auf. Gott vergibtdie Sünden alle. Er ist ja der, der vollerVergebung und barmherzig ist. (39,53f)

3. Der Gott des Gerichts

In der arabischen Umwelt lagen die Vor-stellungen von einem katastrophenähnli-chen Weltende, einer allgemeinen Aufer-stehung und einem Jüngsten Gericht kei-neswegs in der Luft. Mohammed mußsich mit dieser Gedankenwelt durch Ver-bindungen zum orientalischen Christen-tum vertraut gemacht haben, denn siesind in den frühen Suren allenthalbenpräsent.

»Die Katastrophe! Was ist die Katastro-phe? Und woher sollst du wissen, wasdie Katastrophe ist? Am Tag, da dieMenschen wie verstreute Motten seinwerden, und die Berge wie zerflocktebunte Wolle. Wer dann schwere Waag-schalen hat, der wird ein zufriedenesLeben haben. Und wer leichte Waag-schalen hat, der wird zur Mutter einenAbgrund haben. Und woher sollst duwissen, was das ist? Ein glühendesFeuer. (Sure 101)

Die Naturkatastrophe am Weltende wirdausgemalt:»Wenn die Sonne (von einer Hülle) um-

wunden wird, und wenn die Sterne her-abstürzen, und wenn die Berge versetztwerden, und wenn die im zehntenMonat stehenden Kamelstuten ver-nachlässigt werden, und wenn diewilden Tiere versammelt werden, undwenn die Meere angefüllt werden (…)und wenn der Himmel (wie ein Fell) ab-gezogen wird, und wenn die Hölle an-gefacht wird, und wenn das Paradies

herangebracht wird, dann wird jeder er-fahren, was er vorgebracht hat. (Sure81,1–7.11–14)

Die Naherwartung des kommenden Ge-richts in den frühen Suren schwächt sichim Laufe der Jahre ab.

Zahlreiche Koran-Stellen geben Auskunftüber Gericht und Vergeltung:»Wenn die Erde durch ihr heftiges Beben

erschüttert wird, und die Erde ihreschweren Lasten hervorbringt, und derMensch sagt: „Was ist mit ihr?“, an je-nem Tag erzählt sie ihre Nachrichten,weil dein Herr (es) ihr offenbart hat. Anjenem Tag kommen die Menschen inverschiedenen Gruppen hervor, damitihnen ihre Werke gezeigt werden. Wernun Gutes im Gewicht eines Stäub-chens tut, wird es sehen. Und wer Bö-ses im Gewicht eines Stäubchens tut,wird es sehen. (99)Ihr werdet bestimmt die Hölle sehen.Noch einmal: Ihr werdet sie mit völligerGewißheit sehen. Dann werdet ihr anjenem Tag euer angenehmes Leben zuverantworten haben. (102,6–8) – Eben-so die Stellen 3,9f.25.106f.162f.

Vergleiche mit apokalyptischen und Ge-richtstexten aus dem Alten und NeuenTestament und insbesondere mit der Bot-schaft Johannes des Täufers bieten sichan.Der Gnaden- und der Gerichtsgedankestehen im Koran nicht unbedingt im Wi-derspruch zueinander, da auch dieGnade Gottes meist mit der Bedingungder Reue/Umkehr verknüpft ist.

4. Die Stellung zu anderen Religionen

Wir müssen hier deutlich zwischen den(oft schillernden) Aussagen des Koranund dem gegenwärtigen Stand der inter-

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religiösen Beziehungen zum Islam unter-scheiden. Die ersteren spiegeln die un-terschiedlichen biographischen Erfah-rungen Mohammeds wider und sind mit-unter streng und theologisch abwertend,die letzteren stehen immer wieder auchunter bestimmten gegenwärtigen kultu-rellen und politischen Bedingungen unddürfen nicht direkt mit den religiösenGrundlagen des Islam selbst in Verbin-dung gebracht werden. Ähnlich trifft fürchristliche (und jüdische!) Gesprächsteil-nehmer zu, daß sich vom Alten Testa-ment her überwiegend kritische, wennnicht vernichtende Urteile über die Reli-gionen der Umwelt finden, trotzdem inder Gegenwart aber der Dialog sinnvol-lerweise stattfinden muß.Der Islam erkennt Judentum und Chri-stentum als Heilswege an und kennt Ver-haltensregeln, die Mohammed speziellfür das Verhalten zu Juden/Christen auf-gestellt hat. Es wird unterschieden zwi-schen Gläubigen, Andersgläubigen (= Ju-den und Christen als ahl al-kitab, „Leuteder Schrift“) und Nichtgläubigen/Un-gläubigen. Als es in Bahrein zur Begeg-nung mit Zoroastriern kam, wurden auchdiese der Kategorie der „Leute derSchrift“ zugeordnet. Die Grenze zwi-schen Gläubigen und Nichtgläubigenwird sehr scharf gezogen.

Zoroastrier sind die Anhänger des Par-sismus, der von Zarathustra (gräzisiertZoroaster) vermutlich im 7. Jahrhun-dert v. Chr. im östlichen Iran gegrün-deten Religion. Ihr heiliges Buch istdas Avesta, das die Gathas mit Hin-weisen auf Leben und Wirken Zara-thustras enthält. Der Weise HerrAhura Mazdah wird als Schöpfer undHerr der Welt angebetet. Auch po-lytheistische Vorstellungen aus derZeit vor Zarathustra sowie ein dualis-

tisches Weltbild sind im Avesta ent-halten. Im Iran gelten die Zoroastrierbis heute gemeinsam mit Juden undChristen als „schutzbefohlene“ Reli-gion, während z. B. die Baha’i, die re-ligionsgeschichtlich als Sonderge-meinschaft des schiitischen Islam be-trachtet werden können, benachteiligtund diskriminiert werden.

Wesentlich für Mohammed aber ist dieSchriftgebundenheit. So werden auchdie Juden und Christen ermahnt: „O ihrLeute des Buchs, ihr entbehrt jederGrundlage, bis ihr die Thora und dasEvangelium und das, was zu euch voneurem Herrn herabgesandt wurde, ein-haltet“ (5,67). Ungeachtet dieser durch-aus positiven theologischen Grundlagenfinden sich im Koran quantitativ betrach-tet überwiegend negative Aussagen überChristen und Juden mit Ankündigungenvon Höllenstrafen; sie stammen weitge-hend aus der Spätzeit des Propheten undhaben erhebliche Wirkung gehabt.

Zum Verhältnis zu den Schriftreligionen:»Sprecht: Wir glauben an Gott und an

das, was zu uns herabgesandt wurde,und an das, was herabgesandt wurdezu Abraham, Ismael, Isaak und Jakobund den Stämmen, und an das, wasMose und Jesus zugekommen ist, undan das, was den (anderen) Prophetenvon ihrem Herrn zugekommen ist. Wirmachen bei keinem von ihnen einenUnterschied. Und wir sind Ihm ergeben.(2,136) – Vgl. auch 5,5 und 5,48.

Zwischen Juden, Christen und Moslemssind laut Koran1. eine Dialoggemeinschaft,2. eine Tischgemeinschaft oder3. eine Wettbewerbsgemeinschaft möglich.

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In besonderer Weise wird die Wettbe-werbsgemeinschaft hervorgehoben.Im Koran heißt es: „Einem jeden voneuch haben wir eine klare Satzung undeinen deutlichen Weg vorgeschrieben.Und hätte Gott es gewollt, er hätte euchalle in einer einzigen Gemeinschaft zu-sammengeführt. Doch er wünschte euchauf die Probe zu stellen durch das, was ereuch anvertraut hat. Wetteifert darummiteinander in guten Werken. Zu Gott isteuer aller Heimkehr. Er wird euch auf-klären über das, worüber ihr uneinig ge-wesen seid.“ (5,48)

Fazit: Der Islam versteht sich alsstreng monotheistische Religion, diesich selbst als auf dem Judentum unddem Christentum aufbauend unddiese zugleich abschließend undüberbietend betrachtet. Gleichzeitigmußte der Monotheismus gegen denvorislamisch-arabischen Polytheis-mus („Götzendienst“) verteidigt wer-den. Das Angebot zur friedlichen Ge-meinschaft mit den beiden abrahami-tischen Geschwisterreligionen wirdim Koran immer wieder gemacht. Eswird in Geschichte und Gegenwarthäufig durch widrige politische Um-stände überdeckt.

5. Die umma (Gemeinde)

Als „beste Gemeinschaft“ ist die ummaim göttlichen Schöpfungs- und Heilsplanvorgesehen. Daran muß auch ihr diessei-tiges Abbild, die tatsächliche Gemein-schaft der Muslime, orientiert sein. ImKoran meint umma ursprünglich sprach-liche, ethnische oder religiöse Gemein-schaften. Aber auch auf andere Lebewe-sen wird das Wort angewandt. Theolo-gisch meint es schließlich die Gemein-schaft, die je einen „Warner“ oder „Pro-pheten“ von Gott erhalten hat. Im Laufe

der Geschichte des Islam wurde ummazur Bezeichnung der muslimischen„Ökumene“ aller Menschen des einenGlaubens an Gott und seinen ProphetenMohammed. Die umma gibt eine gei-stige und kulturelle Einheit vor, die zu-gleich ein Symbol für die Einheit Gottesist. Der Muslim ist als Mitglied der ummaAngehöriger der Dar al-Islam (Haus desIslam).

»Die Menschen waren eine einzige Ge-meinschaft. Dann ließ Gott die Prophe-ten als Freudenboten und Warner er-stehen. Er sandte mit ihnen das Buchmit der Wahrheit herab, damit es zwi-schen den Menschen über das urteile,worüber sie uneins waren. (2,213) – Vgl.auch 10,19!

Die Gemeinschaft der Muslime beruhtauf den Prinzipien Solidarität, Gerechtig-keit und Egalität. Ausgleich zwischenReichen und Armen und Vermeidunghierarchischer Strukturen waren dieIdeale der umma. Eine erste Form gabMohammed ihr mit der Gemeindeord-nung von Medina. Die muslimischeumma ist ursprünglich eine Laienge-meinde und kennt keinen ordiniertenKlerus. Erst allmählich bildet sich ingroßen Gemeinden das mit umfassendenAufgaben versehene und bezahlte Amtdes Imam heraus (s. u.). Die umma hatkeine Mitgliederstruktur im Unterschiedzu christlichen Gemeinden.

Geschwisterlichkeit in der umma:»Die gläubigen Männer und Frauen sind

untereinander Freunde. Sie gebietendas Rechte und verbieten das Verwerf-liche, verrichten das Gebet und entrich-ten die Abgabe und gehorchen Gottund seinem Gesandten. (9,71)Die Gläubigen sind ja Brüder. So stiftetFrieden zwischen euren beiden Brüdern

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und fürchtet Gott, auf daß ihr Erbarmenfindet. (49,10)

6. Der Imam

Imam heißt ursprünglich Karawanenfüh-rer, Anführer. In der von Mohammedbzw. der islamischen Tradition übernom-menen Bedeutung heißt es dann „Vorbe-ter“: Aus der Gruppe der Betenden wirdformlos ad hoc einer als Vorbeter ge-wählt, der die Aufgabe hat, den reibungs-losen Ablauf dieses einen Gebets zu ge-währleisten und in der Regel Arabischkönnen und körperlich geeignet sein soll.Eine Frau kommt nur im Falle einerFrauengemeinde in Frage. In großen Ge-meinden wurde diese Funktion zum Amtmit vielen Funktionen und Bezahlung. Soergibt sich neben der Bedeutung des Vor-beters die des Leiters der Gemeinde, derbei Zusammenfallen der muslimischenGemeinde und des politischen Gemein-wesens in der Tradition der Kalifen auchpolitischer Führer war/ist. Das histori-sche Amt des einen Imams für die ge-samte muslimische Welt wurde von Ke-mal Atatürk abgeschafft und bis heutenicht wiederbelebt. In der Zwölferschiawird der vierte Kalif Ali als erster Imamnach Mohammed anerkannt und mit ihminsgesamt 12 Imame, deren letzter seitdem 10. Jahrhundert entrückt sei und als

endzeitlicher Messias auf die Erdezurückkehren wird, um Gerechtigkeit zuverwirklichen und das Jüngste Gerichtvorzubereiten. Die Imame seien mitSündlosigkeit und Unfehlbarkeit ausge-stattet.Dort, wo Imame und Muezzins (Gebets-ausrufer) vom (türkischen) Staat bezahltwerden, kontrolliert er heutzutage weit-gehend ihre Ausbildung und Entsendungauch ins Ausland (s. u.). Im Falle finanzi-eller Bereitschaft der Zugehörigen einerGemeinschaftsmoschee können dieseihren Imam und Muezzin auch selbst er-nennen und bezahlen. Beim Imam liegtdie theologische und liturgische Verant-wortung der Aktivitäten einer Moschee.

Fazit: Im Verhältnis zur bekenntnis-strengen Lehre des Islam ist die Struk-tur seiner Gemeinde eher offen. So hatzum einen der Autor Salman Rushdiefür seine Satire auf den Propheten Mo-hammed (The Satanic Verses, 1988)ein Todesurteil erhalten und insbeson-dere im südasiatischen Islam, wo dieVerehrung Mohammeds besondersausgeprägt ist, Zorn geerntet. Zum an-deren ist die „Ortsgemeinde“ einerMoschee sehr stark auf die Anwohnerausgerichtet und ohne Mitgliederkar-tei o.ä.

VI. Ethische Einzelprobleme

Der ethische Zugriff des Islam auf das ge-samte Leben ist mindestens dem An-spruch nach erheblich, selbst wenn diesim Einzelfall in einer säkularisierten Ge-sellschaft abgeschwächt sein mag. Dagibt es das islamische Recht der Schari’a,das erheblich komplexer und differen-

zierter ist, als die öffentliche Debatte ver-muten läßt, es gibt an Koranstellen undHadithen angelehnte Vorstellungen überdie Familie, es gibt die Kopftuchdebatte,die im Spätsommer 1998 durch die Stutt-garter Vorgänge um Fereshta Ludin neuaufflammte, und es gibt viele oft ein-

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ander widersprüchliche islamische Vor-stellungen über die Gestaltung des politi-schen Gemeinwesens. Viele Dinge wer-den bis ins einzelne geregelt, die inanderen Religionen weithin einer Situa-tionsethik überlassen sind. Nichtsdesto-weniger sollen einige Schneisen geschla-gen werden.

1. Zur Ethik der Familie – Die Stellungder Frau

Die Familienethik des Koran setzt dasZusammenleben in der Großfamilie vor-aus. Das Lebensrecht der Alten wie derKinder wird betont, wobei Kinder wiekleine Erwachsene, nicht wie eine eigeneAltersstufe mit eigenen Dynamiken, be-handelt werden. Sehr früh wird auf eingeschlechtsspezifisches Rollenbild hinerzogen (24,59). Mädchen werden frühauf die Rolle als Ehefrau und Mutter, Jun-gen auf die als Hausherr und Vater vorbe-reitet. Das öffentliche Leben orientali-scher Gesellschaften wird rein visuelldurch Männer geprägt.Eine Rangordnung von Mann und Frauwird in den Versen Sure 4,34 („Die Män-ner haben Vollmacht und Verantwortunggegenüber den Frauen, weil Gott die ei-nen vor den anderen bevorzugt hat undweil sie von ihrem Vermögen [für dieFrauen] ausgeben“) und 2,228 („DieMänner stehen eine Stufe über ihnen[den Frauen]“) definiert.Die Verschleierung/das Kopftuch islami-scher Frauen werden oft als Resultat vonZwang und als Ausdruck einer islamischrepressiven Gesellschaft betrachtet. Oftsind hier aber das Bekenntnis zur kultu-rellen Identität und die bewußte Optionfür anonymisierende Kleidung im Spielsowie der Schutz vor geilen männlichenBlicken.In traditionell geprägten Regionen fälltdie Verschleierung/vollständige Be-

deckung der Frauen auf. Im Koran heißtes, Frauen mögen „ihre Blicke senkenund ihre Scham bewahren (= bedecken)(…) Sie sollen ihren Schleier auf den Klei-derausschnitt schlagen“. Der „Schmuck“(= Körperteile, an denen sie Schmuck tra-gen) soll nicht offen gezeigt werden(24,31). Dies alles soll zum Schutz derFrauen vor der Begehrlichkeit der Män-ner dienen. Diese und auch die Stelle33,59 sind auch liberal, ausschließlichzum Schutz der Frau interpretierbar undmüssen nicht unbedingt als Grundlagezum „Kopftuchzwang“ verstanden wer-den. Ähnlich war auch der „Harem“ alsAbsonderungs- und Schutzraum für dieFrau gemeint und hatte nicht die Konno-tationen, die er heute in der Umgangs-sprache besitzt.Die Gebetshallen in Moscheen sind inder Regel nach Geschlechtern getrennt.Im Zuge der „Reislamisierung“, der Rück-kehr zu islamischen Lebensvorschriften,ist die Akzeptanz islamischer Kleidungund Verschleierung wieder größer ge-worden. Immer mehr Frauen entschei-den sich bewußt für die Verhüllung, undauch ihre modische und verspielte Ge-staltbarkeit wird neu entdeckt.Die Frage der Polygamie/Polygynie stütztsich meist auf Sure 4,3: „Und wenn ihrfürchtet, gegenüber den Waisen nicht ge-recht zu sein, dann heiratet, was euch anFrauen beliebt, zwei, drei oder vier.Wenn ihr aber fürchtet, (sie) nicht gleichzu behandeln, dann nur eine, oder waseure rechte Hand (an Sklavinnen) besitzt.Das bewirkt es eher, daß ihr euch vorUngerechtigkeit bewahrt.“ Dieser Verswird von den einen als eine Eingrenzungder unbegrenzten Polygamie der arabi-schen Welt auf vier Frauen gelesen, vonanderen als Anweisung zur Monogamie,da eine Gleichbehandlung faktisch nichtmöglich sei. Das wirft die Frage auf,warum dann nicht gleich ausdrücklich

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zur Monogamie aufgefordert wird. In Tu-nesien ist Polygynie seit 1956 verboten,in den meisten anderen Ländern ist siemit erheblichen Hürden verbunden: dasEinverständnis der ersten Frau muß vor-liegen, angemessene Räumlichkeiten (ei-gener Haushalt) für jede weitere Fraumüssen vorhanden sein.Die Frau hat Anspruch auf die Hälfte desErbes eines männlichen Erben (4,11); alsBegründung gilt, daß der Mann, nichtsie, für den Lebensunterhalt einer Familieverantwortlich sei. Die Aussage einerFrau in Rechtssachen muß durch dieeiner zweiten Frau bestätigt werden,während die eines Mannes alleine gilt(2,282).

Fazit: Nach westlichen Standards ge-urteilt, sind die Ungleichberechtigungder Geschlechter und die Rollenfixie-rung insbesondere der Frau im Islamnicht zu leugnen. In vielen Fällen je-doch, so im Bereich der Polygynie,stellen die koranischen Anweisungenbereits einen Fortschritt gegenüberder vorislamischen Kultur dar. Zumanderen sind gegenwärtige Zuständein islamischen Ländern nicht unbe-dingt auf religiöse Grundlagen zu-rückzuführen, sondern eher auf sozio-politische Interessendynamiken. Isla-mische Ethik muß immer wieder vorihrem geschichtlichen Hintergrundund in ihrem gesellschaftlichen Kon-text gesehen werden!

2. Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist ein kontroversesThema im Islam und ein Dauerproblemin der internationalen Menschenrechts-diskussion. Koranische Vorgaben und dieWirklichkeit in den islamischen Ländernklaffen mitunter weit auseinander.Der Abfall vom Islam, die Apostasie, ist

mit scharfen Sanktionen, bis hin zur To-desstrafe, verbunden. In Sure 2,217 heißtes: „Diejenigen von euch, die sich nunvon ihrer Religion abwenden und als Un-gläubige sterben, deren Werke sind imDiesseits und Jenseits wertlos.“ So sindEhen islamischer Frauen mit „Schutzbe-fohlenen“ (Juden oder Christen) oder mitUngläubigen von vornherein verboten,weil die Versuchung zur Apostasie für siezu groß wäre, und muslimischen Män-nern wird eine solche Ehe wegen der un-vermeidlichen „Verunreinigung“ durchdie nichtmuslimische Ehefrau nicht an-geraten.

»Wer Gott verleugnet, nachdem er gläu-big war – außer dem, der gezwungenwird, während sein Herz im GlaubenRuhe gefunden hat –, nein, diejenigen,die ihre Brust dem Unglauben öffnen,über die kommt ein Zorn von Gott, undbestimmt ist für sie eine gewaltige Pein.Dies, weil sie das diesseitige Lebenmehr lieben als das Jenseits und weilGott die ungläubigen Leute nicht recht-leitet. (16,106f)

Für die Toleranz gegenüber anderen Reli-gionen gilt der Satz aus Sure 2,256: „Esgibt keinen Zwang in der Religion“. Erwird allgemein auch in der islamischenMenschenrechtsbewegung und in den is-lamischen Menschenrechtserklärungen(1981 und 1990) als Zugeständnis derReligionsfreiheit erachtet. Der Islamwis-senschaftler Rudi Paret deutete diesenSatz im historischen Kontext als Aus-druck von Mohammeds Resignation an-gesichts von Missionsmißerfolgen. Ähn-liche Deutungsprobleme gebe es mit109,6: „Ihr habt eure Religion, und ichhabe meine Religion“. Aber heutzutagewird Sure 2,256 meist als Grundaussageder Religionsfreiheit im Islam – gegen-über den „Schutzbefohlenen“ – behaup-

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können nicht getrennt werden. Rechteund Pflichten werden definiert, und dieswirkt sich auch auf das gemeinwesenbe-zogene Menschenrechtsverständnis desIslam aus.Da der Koran nicht in systematischerund umfassender Weise alle Fragen derLebensführung beantwortet, mußtediese Arbeit, das heißt die Entwicklungder religiösen Pflichtenlehre (schari’a),seit dem 8./9. Jahrhundert von Rechts-schulen (madhabib) geleistet werden,die im sunnitischen Islam entstanden.Das menschliche Handeln wurde in fünfKategorien unterschieden: geboten,empfohlen, zulässig, unerwünscht, ver-boten.Vier Rechtsschulen sind bis heute erhal-ten geblieben: 1. Hanafiten, 2. Maleki-ten, 3. Shafi’iten, 4. Hanbaliten. Davonwerden die Hanafiten als die liberalsteund die Hanbaliten als die strengste unddogmatischste betrachtet. Die Ausbil-dung des religiösen Rechts oblag denulama, den islamischen Theologen, alsden Hütern der Tradition. Auf der Basisdes Analogieschlusses (qiyas) und des„consensus doctorum“, der Übereinstim-mung der Gelehrten (idjma), kam göttli-ches Recht zustande, denn laut einemHadith hatte Mohammed gesagt: „Ihrwerdet nie in einer Irrlehre übereinstim-men.“

Die Fatwa: Spätestens seit der Verur-teilung Salman Rushdies wegen sei-nes Romans „The Satanic Verses“ istdas arabische Wort fatwa weltweit be-kannt und wird meist als „Todesurteil“mißverstanden. Es handelt sich umein religionsrechtliches Gutachten,das schriftlich von einem Mufti oderGelehrten auf Anfrage erstellt wird. Esaktualisiert die islamische Rechtsur-teilsfindung in Anbetracht von zeit-

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tet. Sie haben Religions- und Kultfreiheitund das Recht zur religiösen Unterwei-sung, solange damit das religiöse Empfin-den und die Rechte der islamischenMehrheit nicht verletzt werden. Komple-xer wird die Situation, wenn es um nicht-semitische Religionen geht; im Iranwurde den „schutzbefohlenen“ Reli-gionen der Zoroastrismus hinzugefügt.„Schutzbefohlene“ werden in islami-schen Staaten mit der gizya höher be-steuert als Muslime mit der zakat, wasschon aus finanziellen Gründen gele-gentlich zu Übertritten zum Islam führt.

Fazit: Die Toleranz gegenüber den„schutzbefohlenen“ Religionen Juden-tum und Christentum ist grundsätzlichgewährt. Sie wird allerdings durch diescharfen Restriktionen im umgekehr-ten Falle der Apostasie vom Islam wegzu einer anderen Religion wiederumstark relativiert. Dabei spielt das Ele-ment der Verletzung der religiösen Ge-meinschaft eine große Rolle, was ein-mal mehr zeigt, daß unterschiedlichegrundlegende Religionsverständnisseberücksichtigt werden müssen, bevorman punktuell Rechte miteinandervergleicht.

Literaturhinweis: A. T. Khoury, Toleranz im Islam,München/Mainz 1980

3. Die Schari’a – Das islamische Recht

Bei „islamischem Recht“ wird schnell andrakonische Strafen wie Gliederamputa-tion bei Diebstahl oder Todesstrafe fürApostaten gedacht. Tatsächlich jedochhandelt es sich um ein sensibles, ausdif-ferenziertes Rechtssystem. Das Recht,die Lebens- und Gemeinwesenordnung,ist integraler Bestandteil des islamischenGlaubens. Religion und Lebenswandel

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gemäßen Phänomenen, die in Koranund Hadithen noch nicht bedachtwurden. Im sunnitischen Islam ist dieAutorität und Verbindlichkeit des Gut-achtens von der Lebensführung undGelehrtheit des Mufti sowie seiner Be-ziehung zum Auftraggeber abhängig;es kann auch verworfen werden. Imschiitischen Islam ist die Fatwa einesMufti verbindlich, und es muß bei wei-teren Anfragen derselbe Mufti beauf-tragt werden; als Konsequenz entstandeine strenge religiöse Hierarchie.

Literaturhinweis: P. Heine, Schreckenswort Scha-ria, in: Herder Korrespondenz 12/1998, S. 636–640.

4. Staat und Wirtschaft

Garant für die Anwendung der Schari‘ain der islamischen Gesellschaft ist der

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Staat. Auch starke Eingriffe in das Wirt-schaftsleben zur Wahrung von Gerech-tigkeit, von Rechtmäßigkeit des Erwerbsund der Verwendung des Besitzes, ge-gen Bedrohungen des Allgemeinwohlssind möglich. Naturgemäß ist die Nähe zur Sozialis-musdiskussion groß; soziale Marktwirt-schaft ist in der Regel der Kern islami-scher Wirtschaftslehren. In diesem Zu-sammenhang ist auch das Zinsverbot zusehen (Sure 2,275: Aber Gott hat dasVerkaufen erlaubt und das Zinsnehmenverboten), das darüber debattieren läßt,ob hier jegliche Zinsen oder lediglichWucherzinsen gemeint sind. Seit Mitteder 1960er Jahre wurden u.a. in Ägyp-ten, in Dschidda, Dubai und Sudan Ex-perimente mit zinslosen Geldinstitutio-nen unternommen, häufig im Zusam-menhang mit Entwicklungshilfemaß-nahmen.

VII. Islam in der GegenwartDrei Länderbeispiele – Islam in Deutschland – Dialog mit demChristentum

1. Drei Länderbeispiele

Der Islam kann zum einen als die streng-ste und einheitlichste der Weltreligionenbetrachtet werden. Zum anderen hat er inseiner Ausdehnung von Nordwestafrikabis nach Südostasien jedoch auch eineerhebliche Variationsbreite aufzuweisen.Hinzu kommen die zahlreichen Länder,in denen er durch Einwanderung als Min-derheitsreligion präsent ist. Anhand vonBeispielen soll im folgenden dieses Spek-trum entfaltet werden: Als das fürDeutschland in mancher Hinsicht wich-tigste Land mit islamischer Bevölkerung

soll die Türkei behandelt werden. Durchden Krieg im ehemaligen Jugoslawien hatsich die Zahl der in Deutschland leben-den bosnischen Moslems, der größtenmuslimischen Gruppe Europas, zeitweiseerheblich vergrößert. Den vom Anspruchher säkular orientierten Ländern Türkeiund Bosnien soll die islamische RepublikPakistan gegenübergestellt werden.

1.1. Islam in der Türkei

98 Prozent, offiziell sogar 99,2 Prozentder türkischen Bevölkerung sind Mos-lems und überwiegend Sunniten der

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hanafitischen Rechtsschule. Diese Zahlenthält jedoch auch eine Minderheit von15 Prozent Alevi(ten), die eher schiitischorientiert sind.Dieser knapp hundertprozentige islami-sche Bevölkerungsdruck sorgt dafür, daßdie durch Atatürk betriebene Entflech-tung von Staat und Religion und dieÜberführung in einen „laizistischen“,d. h. nichtreligiösen Staat bis heute einschwelendes Problempotential darstellt.Durch das Erstarken der gemäßigt islami-stischen Refah-Partei bis hin zur Installie-rung ihres Vorsitzenden Erbakan als Mi-nisterpräsident (1996) sind einmal mehrdie Tendenzen zur Reislamisierung ver-stärkt worden.Mustafa Kemal Pascha (mit dem Ehren-titel Atatürk = „Vater der Türken“ ver-sehen) ging aus dem Befreiungskampf1919–1922 gegen die osmanische Herr-schaft als Sieger hervor. Er führte bis zuseinem Tode 1938 eine Reihe von laizi-stischen Reformen durch, die den Islamals Religion zu einer reinen Privatsache,abgetrennt vom öffentlichen und politi-schen Leben machten. 1924 wurde imZivilrecht die Schari’a durch ein Rechts-system nach dem Vorbild des schweize-rischen Bürgerlichen Gesetzbuches ab-gelöst, 1923 erlosch das Sultanat und1924 das Kalifat, 1923 wurde Ankaraneue Hauptstadt, die einzige Theologi-sche Fakultät des Landes in Istanbul(1924 gegründet) wurde 1933 aufgelöstund in ein Institut für Orientalistik an derPhilosophischen Fakultät umgewandelt.Moscheen, Konvente und Mausoleenwurden geschlossen, 1925 wurde die Po-lygamie verboten und im gleichen Jahrder westliche (gregorianische) Kalendereingeführt und der Sonntag zum Wo-chenfeiertag erklärt. Fes (männliche isla-mische Kopfbedeckung) und Schleierwurden verboten und 1928 die arabischedurch die lateinische Schrift ersetzt.

Der Artikel 2 der Verfassung von 1924hatte noch den Islam als Staatsreligionvorgesehen. 1928 wurde dieser Artikelgestrichen und 1937 durch neue laizisti-sche Normen ersetzt. Der Artikel 174 derVerfassung von 1982 enthält die wichtig-sten Reformmaßnahmen von Atatürk, diebis heute gültig sind.

Alevi(ten) (nicht mit den syrischenAlaviten zu verwechseln): Wederganz als Sunniten noch als Schiiteneinzuordnen, eher jedoch dem schiiti-schen Bereich zugehörig, beziehendie Alevis sich auf Ali, den Schwieger-sohn Mohammeds (Ehemann der ein-zigen überlebenden Mohammed-Tochter Fatima). Als Religionsgemein-schaft bis auf das 15. Jahrhundertzurückzuführen, sind sie seit dem 16.Jahrhundert eng mit dem mystischenOrden der Bektaschi verbunden undbetrachten sich als reine Abstam-mungsgemeinschaft (auf Ali bzw. aufHadschi Bektasch zurückgehend). DieAlevi berufen sich auf die in mehrerenFassungen vorliegende Schrift Buyruk(Gebot). Ihre Lehre ist eine durch einemystisch-islamische Grundstruktur ge-bündelte Zusammenführung vonschamanistischen, gnostischen, neu-platonischen und auch christlichenElementen. Bestimmte esoterischeMerkmale (Moment der Geheimhal-tung, Arkandisziplin) sind auch in derdeutschen Diasporasituation aufrech-terhalten worden. Die Aleviten wur-den im Laufe der Geschichte in unzu-gängliche Gebiete Anatoliens ge-drängt und sind bis heute Opfer vonPogromen (Verfolgungen). Sie fordernvergeblich ihre eigene Abteilung imPräsidium für Religionsangelegenhei-ten (DIB) und die Errichtung von eige-nen Kulthäusern (cemevleri) anstelle

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von Moscheen in ihren Dörfern. Siesind zu weiten Teilen Kurden. InDeutschland leben zwischen 400 000und 500 000 Aleviten (d. h. bis zu 30Prozent der in Deutschland lebendenTürken).

Schon der Nachfolger Atatürks, IsmetInonu, öffnete potentiell durch die Ein-führung des Mehrparteiensystems aucheiner erneuten Islamisierung Tor und Tür,aber bis heute sind alle Parteien (durchArtikel 86–88 des Parteiengesetzes) aufden Laizismus verpflichtet, so auch dieehemalige (verbotene) Refah-Partei desNecmettin Erbakan und ihre Nachfolge-organisation. Seit Mitte der 1980er Jahreaber verschiebt sich das politische Ge-wicht deutlich zugunsten islamischerKräfte, die auch aus dem Ausland ge-stützt werden.

Die Förderung des Islam wird insbe-sondere durch drei Institutionen be-trieben: durch das Nationale Erzie-hungsministerium (MEB), das Präsi-dium für Religionsangelegenheiten(DIB) und die Direktion für das Stif-tungswesen (VGM).

Das Nationale Erziehungsministerium istauch für das Theologiestudium und denReligionsunterricht einschließlich derImam-Hatip-Schulen zuständig, die fürden Beruf des einfachen Imams und Pre-digers qualifizieren. Diese Schulen sindäußerst konservativ und völlig überfüllt,weil ihre Zahl von der Regierung bewußtbegrenzt gehalten wird. Das Kopftuch fürMädchen ist verpflichtend. Seit 1994 gibtes auch wieder über 20 TheologischeFakultäten. Die islamisch-theologischeAusbildung hat im laizistischen Staateine gewisse Eigendynamik angenom-men.

Das Präsidium für Religionsangelegen-heiten ist ebenfalls per verfassungsmäßi-gem Auftrag zur politischen Enthaltsam-keit verpflichtet. Es ist die wichtigste In-stitution zum Unterhalt und zur Betreu-ung des türkischen Islam im In- und Aus-land, zuständig für Propaganda, Betreu-ung und Besoldung des Moscheenperso-nals, Betreuung von Korankursen, Orga-nisation von Hajj (Mekka-Pilgerfahrt) etc.Es ist die Mutterorganisation des größtentürkisch-muslimischen Dachverbandesin Deutschland, der „Türkisch-Islami-schen Union der Anstalt für Religione.V.“ (DITIB, Sitz in Köln, weiteres s. u.).Neueren Tendenzen zufolge (seit 1993)soll DIB von der Regierung gelöst unddem Staatspräsidenten unterstellt undstärker demokratisiert werden. Die Stel-lung von DIB war durch den Aufstieg derRefah-Partei in die Regierung erheblichgestärkt worden.Die Direktion für das Stiftungswesen istals eine Art Rechnungshof für sämtlicheStiftungen zuständig, von denen ca. 3/4 re-ligiösen (islamischen) Zwecken dienen.Der laizistische Reformwille Atatürkswird nur noch vereinzelt ernsthaft vertre-ten, und immer wieder bricht sich dieTendenz zur Reislamisierung Bahn, zu-letzt im Wahlsieg der Refah-Partei 1996.In regelmäßigen Abständen hat das Mi-litär mit einer Intervention zum säkularenKurs zurückgeführt und war auch maß-geblich am Sturz der Erbakan-Regierungbeteiligt. Die Türkei bleibt ein interessan-tes Experiment der Balance zwischen is-lamischem Nationalstaat und laizisti-scher, säkularer Republik.

1.2. Bosnien-Herzegowina

Zum Hintergrund: Albanien ist das ein-zige Land Osteuropas und damit ganzEuropas, in dem Moslems mit 2,3 Millio-nen in der Mehrheit sind. In Bulgarien

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gibt es 1,5 Millionen, in Bosnien über4 Millionen, in Polen einige TausendMoslems. In Deutschland stellten diebosnischen Moslems eine durch denKrieg (1992–1995) vorübergehend er-heblich angewachsene Gruppe dar, diesich durch Rückführungen wieder ver-kleinert. In der Situation der Nachkriegs-phase läßt sich noch nichts Endgültigesüber die neue Lage des Islam in der Re-gion sagen. Es sollen hier jedenfalls ei-nige geschichtliche Fakten vergegenwär-tigt werden.Vor dem Krieg, der 1992 begann, waren43,7 Prozent der 4,5 Millionen Einwoh-ner der Republik Bosnien-HerzegowinaMoslems. Durch ca. 300 000 Kriegstoteund die „ethnischen Säuberungen“ durchdie Serben sind gegenwärtige Schätzun-gen schwierig. Unter osmanischem, tür-kischem und arabischem Schutz hatteder bosnische Islam geblüht; nach demAbzug der Osmanen aus Ungarn unddem Rückzug der Türken aus Serbienund aus Mazedonien verfiel er, und im-mer wieder gab es große muslimischeAuswanderungswellen nach Nordafrikaund an den Persischen Golf. Unter Titowurden 1946 die Scheriatsgerichte, d. h.das islamische Gerichtswesen aufgeho-ben und viele islamische Einrichtungenenteignet. Erst in den 1960er Jahrenlockerte sich die restriktive Haltung desStaates und erlaubte dem Islam einegleichberechtigte Existenz neben ortho-doxer und katholischer Kirche. Durchden Zerfall Jugoslawiens geriet der Islamjedoch erneut unter Druck. Das religiöseOberhaupt, der rais al-ulama, residiertein Sarajewo, dem Zentrum des Islam inJugoslawien. Seine Jurisdiktion ist heuteauf Bosnien-Herzegowina, Kroatien undSlowenien begrenzt. Die 1935 gegrün-dete Islamisch-Theologische Hoch-schule in Sarajewo, das Scheriatsgymna-sium (gegründet 1918), ein islamisches

Mädchengymnasium und einige andereSchulen waren nach dem 2. Weltkrieggeschlossen worden und wurden erst 30Jahre später wieder geöffnet: 1977 eineIslamisch-Theologische Fakultät, 1978eine Medrese (höhere Schule für reli-giöse Bildung) für Mädchen. Dem Krieg1992–1995 sind die meisten Moscheenund sonstigen Kulturdenkmäler des bos-nischen Islam zum Opfer gefallen. Sowurden zum Beispiel sämtliche 16 Mo-scheen von Banja Luka von Serben ge-sprengt. Seit dem Ende der öster-reichisch-ungarischen Herrschaft in Bos-nien 1918 lebten dort Christen und Mos-lems friedlich miteinander und die Mos-lems waren „europäisch“ ausgerichtet,d. h. sie hatten und haben keine Absich-ten, einen an der Schari’a ausgerichtetenislamischen Staat zu errichten. Seit Be-ginn des Krieges 1992 haben sich die ser-bisch-orthodoxe Kirche und Teile der ka-tholischen Kirche vom antiislamischenKurs der serbischen Staatsführung ver-einnahmen lassen. Als Gegenreaktionsind in Zukunft fundamentalistische Ver-härtungen im dortigen Islam nicht auszu-schließen.

„Euroislam“: Dies ist kein lexikalischfestgelegter Begriff, er meint aber inder Regel europäisierte Moslems, diedie aufklärerische Tradition Westeuro-pas und das „westliche“ Menschen-rechtsverständnis akzeptieren. Sie for-dern eine Abstreifung orientalischerElemente im Islam, das Akzeptiereneiner naturrechtlichen Begründungder Menschenrechte, Gleichberechti-gung der Frauen und allgemeine Libe-ralisierung des öffentlichen Lebens ineinem („westlichen“) rechtsstaatli-chen Rahmen. Prominenter Vertreterdieses Denkens ist der Göttinger Poli-tikwissenschaftler Bassam Tibi, der

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wiederholt gefordert hat, Islam nichtimmer nur als eine aus der Türkei oderanderen islamisch majorisierten Län-dern „importierte“ Religion zu be-trachten, sondern den „deutschen Is-lam“, den „europäischen Islam“ alsPhänomen sui generis anzuerkennen(in letzter Zeit auch wiederholt U.Steinbach).

1.3. Pakistan

Pakistan („Land der Reinen“), im Nord-westen Indiens gelegen, war von seinerLage her schon immer zahlreichen Ein-flüssen und Machtströmungen ausge-setzt: der Induskultur, Ariern, Persern,Makedonen/Griechen, Arabern, Mongo-len, Turkvölkern, zuletzt dem Moghul-reich von Delhi (1526). Die erste arabi-sche Eroberung erfolgte 711. Die Islami-sche Republik Pakistan ist in ihren heuti-gen Grenzen aus der Teilung des ehema-ligen britischen Kolonialreichs Indien imJahre 1947 hervorgegangen. Sie warzunächst der Westteil eines zweigeteil-ten muslimischen Landes im Nordwe-sten und Osten Indiens, dessen Ostteilsich in einem Abspaltungskrieg mit Inter-vention Indiens 1971 trennte und fortanBangladesh (östlich des indischen Bun-desstaates Westbengalen) nannte. DieTeilung ließ vorübergehend (1947/48)einen Krieg zwischen Hindus und Mos-lems aufflammen, der auf jahrhunder-tealten gegenseitigen, auch sozial be-dingten, Ressentiments beruhte. Es folg-ten weitere Konflikte, zum Beispiel umdie Einführung von Urdu, das nur inWestpakistan gesprochen wird, auch inOstpakistan. Nach der Abspaltung Ost-pakistans/Bangladeshs 1971 traten dieinneren Spannungen (West-)Pakistansum so offener hervor. Der historischeKonflikt mit den Hindus führte dazu, daß

die Moslems der Region bereit waren,jegliche Allianz gegen die hinduistischenGegenspieler einzugehen, auch mit derbritischen Kolonialmacht.Pakistan seit 1947 ist der erste Versucheines islamischen Staates außerhalb derarabischen Welt und der erste und bishereinzige islamische Staat, dessen Grenzennach der Religion seiner Bewohner ge-zogen wurden. Seine Väter sind derDenker und Dichter Mohammed Iqbal(1877–1938) und der Politiker und Ge-genspieler M. Gandhis, Mohammed AliJinnah (1876–1948).Der sunnitische Anteil der Bevölkerungbeträgt ca. 75 Prozent, die meisten da-von sind Anhänger der hanafitischenRechtsschule, der schiitische Anteilbeläuft sich auf etwas mehr als 15 Pro-zent. Stark sind die als heterodox angese-henen Gruppen der Memons und der Is-mailiten. Auch die Gruppe der Ahma-diyya, die 1974 von der Nationalver-sammlung „exkommuniziert“ wurde, istin Pakistan beheimatet und Verfolgungenausgesetzt.

Die Ismailiten erwarten den von ihnenals 7. Imam der schiitischen Gemein-schaft betrachteten Ismail (8. Jahr-hundert) als künftigen Mahdi (ähnlichdem jüdisch-christlichen Messias). Sieunterscheiden zwischen Zahir, demÄußeren, der offenbarten Bedeutungder Offenbarungsschriften der Buch-religionen, und Batin, dem Inneren,der darin enthaltenen unwandelbarenWahrheit; diese Unterscheidung wirdin der Botschaft des Mahdi aufgeho-ben werden. Es gibt sieben zyklischgedachte Zeitalter, die jeweils mit ei-nem Propheten beginnen. Es gibt Ge-heimlehren und Buchstaben- undZahlensymbolik. Die fünf täglichenGebete sind auf drei reduziert, und

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Frauen sollen unverschleiert sein.Auch Staatsgründer Jinnah war An-gehöriger des Bohra-Zweiges der Is-mailiten.

Die verstärkte Islamisierung Pakistanswurde seit der Machtübernahme desGenerals Ziya al-Haqq 1977 konsequentvorangetrieben. Die Einführung desHandabhackens als Strafe für Diebstahlund Straßenraub, die schrittweise Einset-zung von Scheriatsgerichtsbarkeit, dieEintreibung von zakat (Pflichtabgabe)und die Errichtung einer Schari’a-Fakul-tät und später islamischen Universität inIslamabad sind Hinweise dafür. SchonDhulfiqar Ali Bhutto (Präsident 1971–1977) war trotz des Versuchs einer links-gerichteten Politik dem starken Druckeiner islamistischen Opposition ausge-setzt. Seit seiner Ablösung (und 1981Hinrichtung) ist das Schwanken zwi-schen einem westlich-säkular orientier-ten islamischen Staat, wie er noch Iqbalvorgeschwebt hatte, und einem radika-len Traditionalismus charakteristisch, in-dem sich Bhuttos Pakistan People’s Party(nun unter seiner Tochter Benazir Bhutto)und die Islamisten bzw. Militärs an derMacht abwechseln.Die drei Länderstudien – Prinzip des Lai-zismus und Säkularismus in der Türkei,Euroislamismus in Bosnien, islamischeRepublik in Pakistan – haben gezeigt,wie stark im Islam die Tendenz ist, Glau-ben und Leben (in Gemeinwesen undStaat) „aus einem Guß“ zu gestalten. Derneu erstarkende Traditionalismus in vie-len islamischen Ländern, besonders insich sozial und politisch stetig desinte-grierenden Gesellschaften, verstärkt die-sen uralten Trend, der auch als „Reisla-misierung“ bezeichnet wird. Dieser Hin-tergrund mag helfen, das Leben der Mos-lems in Deutschland zu verstehen. In

einer Gesellschaft, die nicht-islamischbzw. säkular orientiert ist, entstehen fürgläubige Moslems unvermeidlich Rei-bungsflächen, die nur mit Sensibilitätvon beiden Seiten entschärft werdenkönnen.

2. Islam in Deutschland

Der Islam ist die zweitgrößte Religion inDeutschland: Etwa 2,7 Millionen Mos-lems leben in unserem Land und suchenauf ihre Weise nach Formen der Integra-tion.Wir wollen deshalb im folgenden aufwichtige islamische Institutionen in derBundesrepublik näher eingehen undeinige Facetten muslimischen Lebens inDeutschland darstellen. Dabei sollenauch Probleme und Konflikte angespro-chen werden, die sich dabei auftun, wieetwa die Kontroversen um den Muez-zin-Ruf zum täglich fünfmaligen Gebetoder der Wunsch nach islamischemReligionsunterricht an öffentlichen Schu-len.Die Notwendigkeit zum Dialog zwi-schen Christentum und Islam liegt somitauf der Hand. Im letzten Teil machen wiruns deshalb mit wichtigen Themen desDialogs und gegenseitigen Zeugnissesbekannt.

2.1. Islamische Organisationen inDeutschland und ihre Anliegen

Moslems sind nach Deutschland gekom-men als Arbeiter, Studenten, Flüchtlinge,aus der Türkei, dem Iran, aus den Ma-ghrebstaaten, dem Vorderen Orient, Pa-kistan, Indonesien und Afrika. Die großeMehrheit stellen die Türken. Trotz An-werbestopp für „Gastarbeiter“ 1973 stiegdie Zahl der Moslems in Deutschlandweiter an und liegt heute bei ca. 2,7 Mil-lionen, einschließlich der deutschen

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Konvertiten. Moslems, insbesondere Tür-ken, gehören längst mit zu unserem Le-bensumfeld, sie prägen das Stadtbild,auch viele Deutsche kaufen gerne „beimTürken“ oder besuchen türkische Restau-rants. Glückwünsche der großen christli-chen Kirchen zum Fastenbrechen amEnde des Ramadan, die Präsenz andererReligionsgemeinschaften bei der Einwei-hung einer neuen Moschee, zahlreichechristlich-islamische Ausschüsse, Islam-beauftragte der Kirchen und viele andereFormen der Kommunikation sind zurfesten Einrichtung geworden.„Zur Ausbildung einer eigenen kulturel-len und religiösen Identität scheint dieGleichstellung [religiöser Minderheiten]mit den etablierten Religionsgemein-schaften unerläßlich.“ (H. Vöcking,CIBEDO) Was kann dies für uns und un-sere Umgebung bedeuten, und wie kön-nen und sollen wir als Christen damitumgehen?

Als religiöse Interessenvertretung derMuslime treten auf1. der Islamrat für die BundesrepublikDeutschland (1986), dem u. a. an-gehören die Islamische GemeinschaftMilli Görüs, die Nurculuk-Bewegungund mehrere „Islamische Föderatio-nen“;2. der Zentralrat der Muslime inDeutschland (1994), dem mehrereIslamische Zentren, der Verband derIslamischen Kulturzentren, der Bun-desverband für islamische Tätigkeitene.V., das „Treffen deutschsprachigerMuslime“ etc. angehören.

Als die drei wichtigsten türkisch-isla-mischen Organisationen sind zu nen-nen:1. der Verband Islamischer Kulturzen-

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tren (1973) mit ca. 300 Zentren inDeutschland, er vertritt ursprünglicheine traditionalistische Linie gegendie säkularistischen Reformen desAtatürk-Staates, betont aber in letzterZeit die Trennung von Staat und Reli-gion.2. die Islamische Gemeinschaft MilliGörüs (1995, bereits 1985 unter demNamen Avrupa Milli Görüs Teskilat-lari gegründet); sie vertrat früher einenkonservativen, gemäßigt fundamenta-listischen Kurs, orientiert an derWohlfahrtspartei (Refah Partisi) desNecmettin Erbakan, hat sich heute je-doch bewußt auf die Gesellschaft inder Diaspora eingestellt.3. die Türkisch-Islamische Union derAnstalt für Religion (DITIB) (s.o.); sieist direkt dem türkischen Amt für re-ligiöse Angelegenheiten unterstellt,vertritt die offizielle türkische Reli-gionspolitik in Deutschland und wurdeursprünglich 1984 als Alternative zuden antikemalistischen und antilaizi-stischen beiden anderen Organisatio-nen gegründet. Sie wird ausschließ-lich von aus der Türkei staatlich ent-sandten Imamen geführt.Trotz dieser zahlreichen Einrichtun-gen sind nur ca. 12 Prozent aller inDeutschland lebenden Moslems orga-nisiert.

2.2. Zusammenleben in Deutschland

Wichtiges Anliegen der Verbände ist es,den Muslimen hier religiöses Leben zuermöglichen. Dazu gehören:

1. die Einhaltung der islamischenFeiertageSie verschieben sich, da sie nach demMondjahr (354 Tage) ausgerichtet sind,gegenüber dem Sonnenjahr, so daß auch

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der Fastenmonat Ramadan jedes Jahr ineinem anderen Zeitraum liegt. Zu ihnenzählen:der Neujahrstag (Gedenken an die Hijra622),der Aschuratag (10. Tag des Jahres),der Geburtstag des Propheten,die Nacht der Himmelsreise des Prophe-ten (Miraj Kandili),die Nacht der Sündenvergebung,der Beginn des Fastenmonats (Ramadan,9. Monat des islamischen Jahres),die Nacht des göttlichen Ratschlus-ses / Nacht der Bestimmung (27. Rama-dan),das Fest des Fastenbrechens bzw. dasEnde des Fastenmonats unddas Opferfest (höchstes Fest des Islam).

2. der Rechtsstatus der umma inDeutschlandDazu würde zum Beispiel die Zuerken-nung des Charakters einer „Körperschaftdes öffentlichen Rechts“ gehören, wasbislang u. a. an der fehlenden Einigkeitder zahlreichen islamischen Organisatio-nen gescheitert ist.

3. die Einhaltung der täglichen Gebete(salat)Im Koran heißt es (4,103): „Das Gebet istfür die Gläubigen eine für bestimmte Zei-ten festgesetzte Vorschrift“. Daran müs-sen sich auch Muslime in der Diasporahalten. Zahlreiche Betriebe mit hohemislamischem Belegschaftsanteil sehenhierfür Möglichkeiten vor.In einigen Städten ist der Muezzinruf(türkisch: ezan) zum Gebet und speziellseine Lautsprecherverstärkung zum öf-fentlichen Streitfall geworden. EinigeKommunen haben zugestimmt und auchviele Kirchen haben sich positivgeäußert, einige kirchliche Gruppen ha-ben jedoch Kritik angemeldet wegen des,wie sie meinen, offensiv missionarischen

Charakters des Gebetsrufs, der allerdingsin arabischer Sprache stattfindet.

Der Ezan lautet in deutscher Überset-zung:1) Gott ist am größten (4x)2) Ich bezeuge, daß es keine Gottheit

gibt außer Gott (2x)3) Ich bezeuge, daß Mohammed Got-

tes Gesandter ist (2x)4) Auf zum Gebet!5) Auf zum Heil! (2x)

Das Gebet ist besser als der Schlaf(2x während des Morgengebets)

6) Gott ist am größten (2x)7) Es gibt keine Gottheit außer Gott

(1x)

Gerichtsurteile wie auch ein von derAusländerbeauftragten der Bundesregie-rung veröffentlichtes Gutachten habendarauf hingewiesen, daß der Ezan nichtgegen die geltenden Emissionsgesetzeverstößt. Vielfach ist der Vergleich zumGlockenläuten der Kirchen gezogenworden, und zwar sowohl um die völligeUnvergleichbarkeit zu betonen – Legiti-mität der Glocken und Illegitimität desEzan-Rufs – als auch positiv in bezug aufdie Ähnlichkeit der Funktion. Beidesstellt eine Einladung zur gottesdienstli-chen Versammlung dar, wenn auch mitverschiedenen Mitteln: auf der einenSeite ein ausformuliertes Glaubensbe-kenntnis, auf der anderen Seite einKlanggebilde. Da jedoch die wenigstender nicht-muslimischen Anwohner einerMoschee in Deutschland Arabisch ver-stehen, reduziert sich für sie auch derEzan-Ruf auf ein – fremdartiges – Klang-gebilde. Deshalb ist kaum von einem Rufmit missionarischer Absicht und Wir-kung zu sprechen. Die Frage nach derAkzeptanz bzw. Nichtakzeptanz desEzan in der Öffentlichkeit dürfte letztlichnur am Rande mit Gutachten und Urtei-

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len zu klären sein; sie hat wesentlich da-mit zu tun, wie weit wir bereit sind, zuverstehen, daß Religionsausübung in un-serem Lande nicht mehr nur durch dasChristliche definiert wird, sondern eineFrage des Miteinanders vieler Menschen,Kulturen und Religionen geworden ist.Häufig jedoch werden in der Diskussion„emotionale Grundstimmungen in bezugauf den Islam (…) nachträglich rationali-siert“ (R. Geisler).Liberale muslimische Stimmen, so etwadas Islam-Institut in Soest, haben dazuaufgefordert, schon aus ästhetischenGründen und mit Rücksicht auf dienicht-muslimische Umgebung auf dieLautsprecherverstärkung zu verzichten.Muslime sollten erkennen, „daß ihremverständlichen Anliegen eher gedient ist,wenn sie einen Fremdheitsabschlagberücksichtigen und die Praxis des Ge-betsrufs sozialverträglich gestalten“ (R.Geisler). Als Ruhestörung empfundenwerden kann beides, Ezan-Ruf undGlockenläuten, und allzu heftiger Protestgegen ersteres kann jederzeit auch dieKirchen treffen!

4. die Abhaltung islamischen Religions-unterrichts in den öffentlichen Schulen(nicht nur in Moscheen)Sie ist nicht vom Rechtsstatus der Mos-lems abhängig, sondern von ihrer Reprä-sentation. Anstelle einer Zersplitterung inviele Organisationen bedarf es einerauch innerislamisch anerkannten autori-tativen Instanz, die über Lehrpläne unddie in ihnen vermittelten Glaubensaussa-gen als Gegenüber zum Staat entschei-den könnte. Probleme vom Grundgesetzher gibt es nicht: Der in Art. 7,2 und 3festgelegte Religionsunterricht ist nichtals christlicher Unterricht definiert, son-dern könnte vom Wortlaut her als Rechtvon jeder Religionsgemeinschaft in An-spruch genommen werden. Das Urteil

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des Bundesverwaltungsgerichts vom Fe-bruar 2000, das der islamischen Födera-tion Berlin das Recht auf Islamunterrichtzugesteht, hat noch einmal einige Pro-zesse angestoßen und wird hoffentlichzu einem Erwachen der politischen Stel-len führen. Der in zahlreichen Moscheenund Gebetshallen durchgeführte Koran-unterricht für Kinder und Jugendlichevollzieht sich außerhalb der durch ver-fassungsmäßige Schulbehörden kontrol-lierbaren Sphären, und es kann allen ge-sellschaftlichen Kräften nur daran gele-gen sein, zum einen den Islamunterricht(auf Deutsch) in das transparente Umfeldder öffentlichen Schulen hereinzuholen,zum anderen den in Deutschland leben-den Muslimen zu einem im Grundgesetzverbürgten Recht zu verhelfen.

Fazit: Unsere Gesellschaft ist, wieviele andere Gesellschaften auch, im-mer stärker durch das Nebeneinanderund Miteinander vieler Völker, Kultu-ren, Sprachen und Religionen ge-prägt. Dies ist ein Erbe des Kolonialis-mus und läßt sich nicht rückgängigmachen. Unser Land aber ist auf einesolche Situation durch seine Ge-schichte schlecht vorbereitet und hatin manchem Nachholbedarf. Nochimmer geht das Schlagwort vom„christlichen Abendland“ um, das wirangeblich zu verlieren haben.Wir als Christen müssen lernen, denmuslimischen Mitbürgern die glei-chen Rechte zuzugestehen, die wirselbst in Anspruch nehmen. Muslimeihrerseits müssen in einem säkularenStaat lernen, daß nicht die Religiongesetzgebende und hoheitlich herr-schende Funktion hat. Sie müssensich den Rahmenbedingungen für re-ligiöse Praxis in unserer Gesellschafteinfügen. Zu den Spielregeln in einer

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insgesamt stellt ein ausdifferenziertesRechtskorpus dar, das zu weiten Teilenkompatibel mit westlichem Rechtsemp-finden ist. Der Unterschied zum westli-chen Rechtsverständnis besteht darin,dass Verstöße gegen die Schari’a Ver-stöße gegen Gottes Willen sind, nichtVergehen gegenüber den Setzungen ei-nes menschlichen Gesetzgebers. „Scha-ri’a“ scheint dabei oft eher als Chiffre fürKritik an der westlichen Zivilisation zustehen als für konkrete Vorstellungen ei-ner bestimmten Rechtsordnung. Demfundamentalistischen Koranverständnissteht das Verständnis eher modernistischorientierter Ausleger gegenüber, die sichweithin moderner Auslegungsmethodender Linguistik und auch der historischenund sozialen Textkritik bedienen sowieder Einbettung in die Biographie Mo-hammeds (dies nicht nur im Exil im west-lichen Ausland!). Sie stellen allerdingseine Minderheit dar.Vom Fundamentalismus zu unterschei-den ist der politische Islam („Islamis-mus“). Seine wichtigsten zeitgenössi-schen Theoretiker sind Sayyid Abul ’AlaMaududi (1903-1979), Sayyid Qutb(1906-1966) und Ayatollah Khomeini(1902-1989); sie stehen für einen moder-nen Versuch, den politischen Islam zufundieren, indem sie Demokratie und so-ziale Gerechtigkeit als ursprünglich isla-mische Anliegen herleiten. Die erste „is-lamische Republik“ im Iran seit 1979 un-ter Ayatollah Khomeini kombiniertewestliche und islamische Elemente. Indiesem Sinne einer politischen Ideologi-sierung, die nicht in jedem Falle religiösbegründet wird, ist der politische Islamnicht modernefeindlich, und es stellt fürihn auch keinen Widerspruch dar, sichder technischen Mittel der Moderne zubedienen – genauso wie es eher banalwirkt, islamisch orientierten Terroristenden Gebrauch moderner Technik als Wi-

solchen Situation gehört auch einemöglichst gründliche Informationüber die jeweils anderen.

Literaturhinweis: Eine gute Einführung bietet dasVELKD/EKD-Taschenbuch „Was jeder vom Islamwissen muß“ (5. Auflage 1996); ferner gibt fastjede Kommunalverwaltung Informationsmaterialzum Zusammenleben mit muslimischen Mitbür-gern heraus.

3. Islamischer Fundamentalismus(Islamismus)

Der Begriff des „Fundamentalismus“stammt aus dem Bereich amerikanischerchristlicher fundamentalistischer Grup-pen, aber die Wirkungsgeschichte derletzten Jahre hat die Verbindung mit demIslam erheblich stärker in das öffentlicheBewusstsein gerückt. Islamischer Funda-mentalismus zeichnet sich aus durch Kri-tik an der Moderne, insbesondere an mo-dernistischen Erscheinungen in mehr-heitlich islamischen Gesellschaften. Im20. Jahrhundert richtete er sich auchnach außen, d.h. gegen „westliche“ Län-der und Gesellschaften, und wurde zurKolonialismus- und Sozialkritik, zumalsich im Zuge der Kolonialgeschichte diesoziale Kluft zwischen westlicher undorientalischer Welt vertiefte. Außerdemfindet ein starker Rückbezug auf das „Ur-sprüngliche“, auf die „Fundamente“statt, auf den ursprünglichen Wortlautdes Koran und der Hadithen (AussprücheMohammeds), auf die (mutmaßlich) ur-sprüngliche erste islamische Gesellschaftin Medina, auf angeblich ursprünglicheAnliegen der Schari’a. Gerade das letzteAnliegen geht mit erheblicher Selektionbestimmter Partien der Schari’a einher,es muss auch unterstellt werden, dass Is-lamisten selbst die Schari’a in ihrer Kom-plexität kaum kennen, denn die Schari’a

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derspruch vorzuwerfen. Die Tendenz zurengen Verknüpfung von Religion und Po-litik bzw. Staat gibt es in jeder religiösenTradition, sofern sie ihre jeweiligen ethi-schen Anliegen ernst nimmt; diese Nei-gungen haben sich aber in den meistenanderen Religionen auch aufgrund histo-rischer Traumata stärker abgeschliffen alsim Islam. Für Fundamentalismus im engeren Sinnesind folgende Elemente häufig: eine un-tergeordnete Rolle der Frau, allgemeinpatriarchalische Orientierung (Riese-brodt) und eine wörtliche Anwendungder Apostaten-bezogenen Partien desKoran (Bestrafung für Konversionen wegvom Islam). Ebenfalls problematisch,wenn auch nicht für alle fundamentalisti-schen bzw. islamistischen Gruppen ty-pisch, sind anti-jüdische Äußerungenund Aufforderungen an Anhänger, offen-siv politisch tätig zu werden, tendenziellbis hin zur Gestaltung eines Gemeinwe-sens nach Vorstellungen der Schari’a –was immer damit gemeint sein mag. Als islamistische Vereinigungen inDeutschland werden von den Verfas-sungsschutzämtern genannt und beob-achtet: Teile der Islamischen Gemein-schaft Milli Görüs (IGMG), Hamas, HisbAllah, Muslimbruderschaften, IslamischeHeilsfront (FIS), Group Islamique Armé(GIA) und die Gruppe Kalifatsstaat(ICCB), nach ihrem Leiter („Kalif“) MetinKaplan auch Kaplangruppe genannt.Nach der Mitgliederzahl der genanntenVereinigungen wird die Zahl islamistischorientierter Muslime in Deutschland mitca. 30 000 (also ca. 1% der in Deutsch-land lebenden Muslime) angegeben;diese Zahl setzt jedoch voraus, dass z.B.sämtliche ca. 27 000 Mitglieder derIGMG islamistisch seien, was nachweis-lich nicht der Fall ist. Die Gruppe „Kalifatsstaat“ wurde am12.12.2001 vom Bundesinnenminister

verboten und ihre Moscheen durchsuchtbzw. geschlossen, was durch den Weg-fall des „Religionsprivilegs“ im Vereins-recht möglich wurde. Durch die Ereignisse des 11. September2001, Terroranschläge radikaler palästi-nensischer Gruppen in Nahost und an-dere Vorkommnisse wurde islamischerFundamentalismus in der öffentlichenMeinung pauschal in unmittelbare Nähezum islamisch etikettierten Terror gerücktund durch die Begriffsbildung des„Schläfers“ eine zusätzlich atmosphäri-sche Belastung hergestellt. – Der „Schlä-fer“ bezeichnet den unauffällig als seriö-sen Bürger lebenden (also aus der Sichtterroristischer Auffälligkeit noch „schla-fenden“) und sich zugleich im Stillen aufterroristische Aktivitäten vorbereitendenMuslim, der im Herbst 2001 zum Gegen-stand einer bundesweiten „Rasterfahn-dung“ wurde. – Aus diesen Gründenmuss deutlich auf eine notwendige Un-terscheidung zwischen dem zeitgeistli-chen Phänomen des Fundamentalismusund religiös motivierten verbrecheri-schen Aktivitäten hingewiesen werden.

4. Dialog mit dem ChristentumThemen im Dialog zwischen Christen und Moslems

4.1. Glaubensfreiheit

Christen und Muslime müssen gegensei-tig ihre tiefverwurzelten Traditionen derGlaubensfreiheit wiederentdecken undzum Zuge bringen.Mohammed erachtete Juden und Chri-sten als vertragswürdige Partner, siegehörten für ihn zusammen mit den Mos-lems zu den „Völkern der Schrift“. Siesind dhimmi (Schutzbefohlene) auf isla-misch dominiertem Territorium. Die Ju-den, Säbier (eine Täufergemeinschaft)und Christen „all die, die an Gott und

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den Jüngsten Tag glauben und Gutes tun,haben nichts zu befürchten, und sie wer-den nicht traurig sein“ (5,69).Jesus ging mit Andersgläubigen, wieetwa den Samaritanern, ganz ohne dieDiskriminierung um, die sonst in der da-maligen Umwelt herrschte, er überschrittoft Grenzen hin zu den Anderen undFremden und achtete nicht auf Tabus.Die Geschichte der Kreuzzüge, gegen-seitige Eroberungen und Umwidmungenvon Gotteshäusern (siehe die Ge-schichte der Hagia Sophia in Istanbul!),Verfolgungen christlicher Minderheitenin einigen islamischen Ländern, umge-kehrt der Völkermord an den bosni-schen Muslimen 1992–1995 und die Po-litik der Regierung der katholischen Phi-lippinen gegen die Moslems auf Minda-nao u. a. werden im Dialog immer wie-der genannt. In Luthergedenkjahren(zum Beispiel 1983, 1996) wurde je-weils von muslimischen Organisationeneine deutlichere offizielle Abbitte derevangelischen Kirche für islamdiskrimi-nierende Äußerungen Martin Lutherseingeklagt.Auf der christlich-islamischen Konsulta-tion in Chambesy bei Genf 1976 habendie Partner sich gegenseitig versichert,daß Glaubensfreiheit bestehen muß unddaß beide Seiten das Recht auf missiona-rische Bezeugung des Glaubens haben.

4.2. Jesus Christus, die Trinität, dergleiche Gott hier und da?

Die Sicht Jesu im Koran und damit ver-bunden die islamische Leugnung einestrinitarischen Gottes, da Gott nur einersein kann, sind entscheidende Grenzenim Dialog. Umgekehrt ist für Christenkein Schritt hinter den Glauben an Jesusals den Sohn Gottes und an das trinitari-sche Handeln Gottes in der Geschichteund an seiner Schöpfung möglich. Lei-

tend ist für Christen das Wort Joh 10,30:„Ich und der Vater sind eins“.Auch der Koran schätzt Jesus hoch, para-phrasiert große Stücke biblischer Be-richte und benennt ihn mit dem Christus-Titel: „O Maria, Gott verkündet dir einWort von Ihm, dessen Name Christus Je-sus, der Sohn Marias, ist; er wird angese-hen sein im Diesseits und Jenseits, undeiner von denen, die in die Nähe (Gottes)zugelassen werden“ (Sure 3,45).Die Nähe zu Gott jedoch ist das Äußerstean „Göttlichkeit“, was der Koran Jesuszugesteht; er läßt ihn aber sehr wohl alsVollbringer von Wundern und Zeichenverstehen, wie in Sure 5,110 zusammen-gefaßt. Außer in biblischen Evangeliensind Parallelen in apokryphen Kindheit-sevangelien (Thomas, Pseudo-Matthäus)zu finden. Der häufig genannte Titel„Sohn der Maria“ (33mal) verweist aufJesu besondere Stellung bis hin zur jung-fräulichen Geburt aus dem Geist Gottes21,91; 66,12, aber der neue Adam imKontrast zum alten (Röm 5,1Kor 15) ist ernicht. Jesus ist Wort von Gott, aber nichtWort Gottes. Jesus bestätigt die Thora(3,50) und verweist auf den kommendenGesandten (Mohammed). Auch von sei-ner Erhebung zu Gott ist die Rede (3,44;4,158). So vielfältig und weitreichend dieAussagen über Jesus auch sein mögen,sie bleiben kurz vor der Gottessohnschaftstehen.Der Moslem kann ohne Jesus von Gottsprechen, der Christ nicht. Die Einheitund Unvergleichlichkeit Allahs würdebeeinträchtigt, wenn ihm ein „Sohn“ andie Seite gestellt würde. Mit der korani-schen Abwehr gegen die Trinitätslehrewurden damals unter arabischen Chri-sten verbreitete und monophysitischeVorstellungen bekämpft (s. o.).Die Frage nach Jesus und die nach derTrinität sind mit der Gottesfrage ver-knüpft. Sind Allah, zu dem die Muslime

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fünfmal täglich beten, und Gott, der Va-ter Jesu Christi, zu dem wir Christen be-ten, der gleiche Gott und sozusagen „auszwei Richtungen“ geglaubt?Sowohl Allah als auch der Gott Abra-hams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobswaren zunächst Stammesgötter, die in ei-ner komplexen Religionsgeschichte je-weils zu monotheistischen Göttern einer„Hochreligion“ wurden. Sind dies ver-schiedene Erfahrungen des gleichen Got-tes, oder muß eine ganz neue gemein-same Basis gefunden werden? Es wird oftversucht, Koranstellen über den zornigenund richtenden Gott und Stellen aus dembiblischen Schriftgut, die den gnädigen,liebenden und vergebenden Gott JesuChristi bezeugen, einander gegenüberzu-stellen und ihre Unvereinbarkeit zu beto-nen. Schon die Disparatheit von bibli-schen Vorstellungen über Gott – vomgrausig strafenden, über den gerichts-androhenden, bis hin zum reuevollen,liebevollen und barmherzigen Gott – be-reits im Alten Testament macht deutlich,daß auf dieser Ebene schwierig zu argu-mentieren ist. Der Grundzug koranischerTheologie ist in der basmala formuliert:„Im Namen Gottes, des Erbarmers, desBarmherzigen“! Hier kann schwerlich einGegensatz zum christlich-jüdischenGottesgedanken konstruiert werden. Inletzter Zeit ist erneut für Differenzierungbzw. Identifikation Partei ergriffen wor-den (u. a. Zirker 1993, Leuze 1994, Geis-ler 1998). Hier soll grundsätzlich für denGedanken plädiert werden, daß Juden,Christen und Muslime gemeinsam unddoch auf je eigene Weise und auf demHintergrund einer je eigenen Geschichtezum gleichen Gott beten, den sie theolo-gisch mit je unterschiedlichen Akzentenversehen. Ein letztgültiges theologischesUrteil darüber, ob es denn wirklich dereine und selbe Gott sei, wird uns Men-schen nicht möglich sein.

4.3. Abraham

Die Abrahamstradition ist dem Juden-tum, Christentum und Islam gemeinsam,weshalb auch von den „drei abrahamiti-schen Religionen“ und gar von der abra-hamitischen Ökumene gesprochen wird,aber in jeweils unterschiedlicher Weise.So ist auch hier für Islam und Christen-tum der Bedarf an gegenseitiger Informa-tion und Verständnis groß.Das christliche Abrahamverständnis iststark von Paulus’ Interpretation geprägt:Abraham als Vorbild des Glaubens ziehtaus allen Sicherheiten seiner Heimat Ha-ran aus und begibt sich ganz in GottesHand, ohne sich noch auf eigene Errun-genschaften zu berufen: „Ist Abrahamdurch die Werke gerecht, so hat er wohlRuhm, aber nicht vor Gott“ (Röm 4,2).Sein unbedingter Glaube wurde ihm „zurGerechtigkeit gerechnet“ (Röm 4,9). Ab-raham wird erwählt zum universalen Se-gensvermittler an alle Völker.Dem Koran ist Abraham der VerteidigerGottes gegen ungläubige Mächte undgroßes Vorbild und Prophet. Man beruftsich des weiteren, im Unterschied zurbiblischen Tradition, die den Faden anIsaak weiterknüpft, auf den erstgebore-nen Sohn Ismael, der stets vor Isaak ge-nannt wird. Abraham gilt als der Gründerund Erbauer der Kaaba (2,125). Er wirdwiederholt als „Anhänger des reinenGlaubens“ bezeichnet. Das Kernstückseiner Glaubensbewährung, die Erinne-rung an die (verhinderte) Opferung des„langmütigen Knaben“ (im Islam Ismael,nicht Isaak) (37,101–107) durch Abra-ham (Gen 22) und die Opferung einesWidders an Sohnes Stelle ist Hintergrunddes größten Festes des Islam (Opferfest,s. o.).Selbst wenn es Unterschiede in der Ak-zentsetzung der Tradition gibt, und z. B.das Alte Testament einen Zusammen-

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hang von Abraham und der Kaaba inMekka nicht kennt, sind die Gemeinsam-keiten groß: Abraham als Vorbild desGlaubens, der in Treue zu Gott seine Si-cherheit aufgibt (Christentum) und denGlauben an seinen einen Gott auch ge-gen andere, Nichtgläubige verteidigt (Is-lam). Diese Chance einer gemeinsamen

Schlußbemerkungen

Basis für Gespräche über den Glaubensollten die beiden großen Religionennicht geringschätzen.

Literaturhinweis: K.-J. Kuschel, Streit um Abra-ham, München 1994

Die Informationen über den Islam unddie Auseinandersetzung mit ihm sind füruns deshalb unverzichtbar, weil er dienichtchristliche Religion ist, die uns amdichtesten „auf den Leib rückt“. Es istnicht erst diese Nähe durch seine zah-lenmäßige Präsenz in Deutschland, son-dern es sind auch die mit dem Judentumund Christentum gemeinsamen Wur-zeln, die uns immer wieder neu zumDialog rufen.Dieser Dialog, wie jeder andere, mußauch kritische Akzente vertragen kön-nen. So ist christlicherseits in letzter Zeitdie Sorge in Anbetracht des militanten is-lamischen Traditionalismus gestiegen,und auch die Unsicherheit christlicherMinderheiten in einigen islamischenLändern muß beim Namen genannt wer-den. Umgekehrt werden Muslime beiuns ihre Rechte als in diesem Staat le-bende Mitbürger einklagen, als Men-schen und als religiös Praktizierende.Stuart Brown überschrieb nach zahlrei-chen Dialogerfahrungen im Rahmen des

Ökumenischen Rates der Kirchen seinBüchlein über ein christliches Verständ-nis des Islam mit „The Nearest in Affec-tion“: Unserer Zuneigung am nächsten.Für viele (nichtmuslimische) Deutschetrifft dies nur bedingt zu. Der Islam istuns nahe, aber als unausweichliche Rea-lität im Wohnviertel, geliebt oder unge-liebt, weithin seufzend ertragen. DerSchritt zur Begegnung, zum Gespräch istein eigener großer Schritt, den die wenig-sten tun, aber ein Schritt, der sich lohntund weiterführt. Sprichwörtliche „orien-talische Gastfreundschaft“ begegnet unsin Familien und in Moscheen, und dieBereitschaft, in unaggressiver Weise überden eigenen Glauben zu informieren, istallemal vorhanden. Unzählige Aktivitä-ten zwischen Kirchengemeinden undMoscheen legen davon Zeugnis ab. Wirals Christen sind hier dazu aufgefordert,in der Begegnung ehrlich zu unserem ei-genen Glauben zu stehen, und zugleichVerständnis aufzubringen für den tiefenGlauben der anderen.

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Textausgaben

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Einführungen und christlich-islamischer Dialog

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M. Arkoun, Der Islam. Annäherung an eine Religion,Heidelberg 1999

P. Antes u. a., Der Islam. Religion – Ethik – Politik,Stuttgart u. a. 1991

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Christen und Muslime gemeinsam vor dem einenGott, hrsg. von der Ev. Kirche im Rheinland, Düs-seldorf 1997

Christlicher Glaube und Islam. Erklärung der Lausan-ner Bewegung, Deutscher Zweig, Wetzlar 1997

Christlich-muslimische Ehen und Familien, Frank-furt/Main 1998

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Lexika

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Literatur

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Ulrich Dehn, geb. 1954, Pfarrer und Religionswissenschaftler, 1986–1994 Stu-dienleiter am Tomisaka Christian Center in Tokyo, ist seit 1995 wissenschaft-licher Referent an der EZW und seit 1997 Privatdozent an der Humboldt-Uni-versität zu Berlin.Buchveröffentlichungen: Indische Christen in der gesellschaftlichen Verant-wortung, Frankfurt am Main/Bern 1985; Die geschichtliche Perspektive desjapanischen Buddhismus. Das Beispiel UEHARA Senroku, Ammersbek 1995;TANAKA Shozo – ein Vorkämpfer für Menschenrechte und Umweltschutz,OAG Tokyo 1995; Das Klatschen der einen Hand. Was fasziniert uns amBuddhismus? 1999; Aufsätze zur ökumenischen Theologie, zur Religions-wissenschaft und zum interreligiösen Dialog.

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