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Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Mit dem Gesicht zu den Menschen. Dokumentation einer Veranstaltung vom 4. April 2011 Märkische Hefte 21 Mai 2011

Alle inklusive! Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung

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Märkisches Heft, Ausgabe 21

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Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Mit dem Gesicht zu den Menschen.

Dokumentation einer Veranstaltung vom 4. April 2011MärkischeHefte

21Mai 2011

2 2Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Impressum

Herausgeber SPD-Landtagsfraktion Brandenburg | Am Havelblick 8 | 14473 Potsdam

Tel.: 0331 – 966 13 40 | Fax: 0331 – 966 13 41

E-Mail: [email protected]

Web: www.spd-fraktion.brandenburg.de

Verantwortlich Mike Bischoff, Parlamentarischer Geschäftsführer

Fotos SPD-Landtagsfraktion Brandenburg

Satz & Layout medienlabor – Agentur für Kommunikation und Medienentwicklung KG

2 2Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Liebe Brandenburgerinnen, liebe Brandenburger,

Regine Hildebrandt hatte den Wahlspruch: „Der eigentliche Sinn des Lebens liegt im Mitein-ander.“ Für eine allgemein verständliche Übersetzung des Begriffes Inklusion, ist ihr Spruch genau richtig. Miteinander – das ist der Sinn des Lebens und meint das gemeinschaftliche Le-ben und Handeln, das Dabeisein, das Mitwirken, das Aufeinander-Hören. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit für alle Menschen sein. Und doch hat jeder von uns sicher schon einmal gespürt, was es bedeutet, Außenseiter zu sein, ausgeschlossen aus einer Gemeinschaft. Behinderte Menschen erleben dies leider auch im Jahr 2011 noch immer viel zu oft – gerade im Berufsleben. Und dabei ist doch der Arbeitsplatz der Ort, an dem sich ein Mensch nicht nur verwirklichen kann, sondern auch seinen Lebensunterhalt verdient, und an dem er die Grund-lagen dafür schafft, in die Gemeinschaft integriert zu sein. Das Miteinander kann doch nicht stattfinden, wenn man aus dem Berufsleben ausgeschlossen ist!

Mit diesem Heft dokumentieren wir die Diskussion einer Veranstaltung, die die SPD-Fraktion am 4. April 2011 durchgeführt hat. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern möchte ich an die-ser Stelle herzlich für ihre qualifizierten Beiträge danken.

Ralf Holzschuher MdL Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion

4 4Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Inhalt

Vorwort 3

Günter Baaske: „Menschen mit Behinderungen machen einen guten Job“ 5

Dr. Sigrid Arnade: „Auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt. Handlungsbedarf im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention“ 12

Diskussion: Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen 19

UN-Konvention: Menschen-Rechte für behinderte Frauen, Männer und Kinder auf der ganzen Welt 33

Informationen zu wichtigen Themen der Landespolitik 42

4 4Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Kürzlich besuchte ich die integrative Wald-hofschule in Templin, an der Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam Unterricht haben. Es ist beeindruckend zu erleben, wie selbstverständlich sie dort miteinander um-gehen – ob behindert oder nicht. Wie sie zusammen spielen, toben, sich gegenseitig helfen und unterstützen – das widerspie-gelt Lebensfreude. Ähnliches erlebte ich in Potsdam auf einem Kinderfest anlässlich des „Down-Syndrom-Welttages“, bei dem ich Musik auflegte: Behinderte und nicht behin-derte Kinder tanzten miteinander, halfen ei-nander, hatten gemeinsam Spaß und Freude. Kinder empfinden es als ganz normal, dass sie verschieden sind.

Warum funktioniert das bei Erwachsenen nicht? Was passiert in unserer Gesellschaft, dass Menschen die Nase rümpfen, wenn jemand mehr Mühe hat, sich zu verständi-

„Menschen mit Behinderungen machen einen guten Job“ Günter Baaske, Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg

gen, weil er gehörlos oder blind ist? Warum reagieren Erwachsene missmutig und regen sich auf, wenn Manche langsamer sind und den Verkehr behindern? Warum fragen sie nicht, ob sie helfen können? Warum denken sie nicht darüber nach, was verändert wer-den könnte?

Integration und Inklusion beginnen im Kopf. Wir haben im Vorjahr auf mehreren Regio-nalkonferenzen diskutiert, wie wir Inklusion in Brandenburg besser voranbringen könn-ten. Auch die Zukunft der Förderschulen war ein wichtiges Thema. Die Lehrerschaft der Förderschulen hat dort das jetzige System vehement verteidigt. Bis sich auf der Veran-staltung in Brandenburg an der Havel eine junge Frau aus der Lausitz zu Wort meldete: „Ich habe von klein auf immer Förderein-richtungen besucht: spezieller Kindergarten, spezielle Grundschule, Förderschule. Immer gut behütet. Aber dann begann das echte Leben. Ich war raus aus der fürsorglichen Be-treuung. Auf der Suche nach Arbeit konkur-rierte ich plötzlich mit anderen Leuten. Das war neu für mich und wirklich schwer. Ich wäre mutiger gewesen, wenn ich von Anfang an mit den anderen Kindern gemeinsam ge-lernt und meine Fähigkeiten entwickelt hät-te. Zwar wäre ich da nicht die beste Schülerin

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gewesen – doch ich hätte mehr Spaß am Le-ben gehabt. Ich finde, diese Chance sollte je-der behinderte Mensch bekommen!“ Dieser Einspruch machte viele nachdenklich.

Wir haben in den vergangenen 20 Jahren bei der Integration von Menschen mit Behinde-rung sehr viel geschafft. Vor 1990 waren die meisten von ihnen abgeschoben. Sie lebten in Altenheimen, psychiatrischen Einrich-tungen, Behindertenheimen; oft ganz weit draußen, mitten im Wald, dort, wo sie nicht „störten“. Vor zwanzig Jahren war unser wichtigstes Ziel, sie aus ihrer oft entwürdi-genden Lebenssituation zurückzuholen in

die Gemeinschaft. Es entstand eine große Zahl „besonderer Einrichtungen“, in denen sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten gefördert werden konnten. In einem Prozess der „Enthospitalisierung“ wurden die betroffenen Menschen aus den stationären Einrichtungen der Altenhilfe und der Psychiatrie herausgeholt und zogen in betreute Wohnformen. Wir haben Integra-tionskitas, Förderschulen und Wohnstätten gebaut und für inzwischen 10.000 Beschäf-tigte Werkstätten für behinderte Menschen eingerichtet.

Definition von Schwerbehinderung § 2 SGB IX:

(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder see-lische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesell-schaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.(2) Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behin-derung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungs-bereich dieses Gesetzbuches haben.(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übri-gen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(Quelle: Sozialgesetzbuch IX)

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Das alles war nötig. Es war gut und richtig, um ihre Lebensumstände schnell und nach-haltig deutlich zu verbessern und sie men-schenwürdig zu integrieren. Doch nun sind wir etliche Jahre weiter – und es gilt, auch den Ansprüchen der UN-Konvention, die seit 2009 auch für Deutschland verbindlich ist, gerecht zu werden. Diese fordert und ga-rantiert Menschen mit Handicaps u. a. einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeit – „mittendrin“ in der Gesellschaft.

Dagegen regt sich in einigen Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) Widerstand mit dem Argument: „Etwas Besseres als die Werkstätten gibt es nicht. Unsere Leute ha-ben keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.“ Dahinter steht wie bei den Förderschulen ne-ben fachlichen Argumenten vielleicht auch die Angst der heute in diesen Einrichtungen Beschäftigten vor der Gefährdung des eige-nen Arbeitsplatzes. Doch da kann ich beruhi-gen: Die Ausgestaltung der UN-Konvention funktioniert nicht von heute auf morgen. Es ist ein langwieriger Prozess, an dem auch alle Betroffenen mitwirken sollen. Dafür brauchen wir jede Hand, jede Idee. Und wir brauchen auch weiterhin gut qualifiziertes Personal, das den Inklusionsgedanken in der Praxis umsetzen kann. Dabei werden sich Ar-beitsaufgaben für Beschäftigte ändern, aber es lässt sich durch Inklusion garantiert kein Geld sparen.

Nach Albert Einstein werden „Persönlichkei-ten nicht durch schöne Reden, sondern durch Arbeit, Leistung und gesellschaftliche Teilha-be geformt.“ Das ist richtig, denn so geht es jedem von uns. Ohne Arbeit und Anerken-nung leiden wir. Wir fühlen uns nicht ausge-füllt, nicht angenommen und nicht in die Ge-sellschaft integriert. Ist das denn tatsächlich so, dass man überall Arbeit entsprechend der Möglichkeiten „organisiert bekommt“? Es gibt in Deutschland viele Menschen, die auch mit schweren Behinderungen täglich normal einer Arbeit nachgehen. Aber es gibt auch viele, die arbeitslos sind; und ihre Zahl steigt. Das sorgt uns sehr. Deshalb müssen wir darüber reden, wie wir ihnen in unserem Land eine größere Teilhabe am Arbeitsmarkt sichern können.

Dafür scheinen mir drei Dinge besonders wichtig:

1. Bewusstseinsänderung

Viele Arbeitgeber wissen nicht, was behin-derte Menschen tatsächlich bewältigen und erreichen können. Sie haben Vorbehalte und Vorurteile, hören dieses und jenes, gehen je-dem Beschäftigungsversuch aus dem Weg. Ihr Hauptargument: Menschen mit Behinde-rung sind zu oft krank. Unsinn, denn erwie-senermaßen sind sie nicht häufiger krank als Nichtbehinderte.

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Entwicklung der Arbeitslosigkeit seit 1993

Ein weiteres Vorurteil: Behinderten darf man nicht kündigen. Auch das stimmt nicht. In-nerhalb der Probezeit oder bei einem befris-teten Vertrag kann man allen gleichermaßen kündigen. Es ist richtig, dass jene, die danach im Job sind, einer Sonderkündigungsschutz-klausel unterliegen. Das erfolgt völlig zu Recht, denn sie haben es ungleich schwerer, wieder eine Arbeit zu finden. Also muss man sich die Kündigungsgründe genau ansehen. Eine Prüfung dieser Fälle übernimmt das Integrationsamt. Kündigt ein Betrieb aus wirtschaftlicher Not, dann wird das Integ-rationsamt dem auch zustimmen. Dagegen wird es eine Kündigung verweigern, wenn sie aufgrund einer Behinderung ausgespro-chen wurde. Das Amt prüft dann aber auch, ob konkrete Hilfen aus der Ausgleichsabgabe an den Arbeitgeber den Job sichern könnten.

Im Vorjahr gab es in Brandenburg 777 Kündi-gungsschutzverfahren. In 174 Fällen konnte mit Mitteln der Ausgleichsabgabe der Ar-beitsplatz gehalten werden; immerhin mehr als jeder fünfte. Also ist es gut, sich nochmals genauer über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren, bevor man einem Menschen mit Behinderung kündigt.

Im Land Brandenburg haben wir im vergan-genen Jahr an Arbeitgeber und Integrations-projekte für die Beschäftigung von schwer-behinderten Menschen sechs Millionen Euro ausgezahlt. Nicht unbedingt viel Geld angesichts der immer noch 5.000 schwerbe-hinderten Arbeitslosen. Aber vielen konnten wir damit doch wirksam helfen. Derzeit sind noch etwa zehn Millionen Euro in der Rück-lage bei der Ausgleichsabgabe; auch deren

Schwerbehinderte Menschen im erwerbsfähigen Alter in Brandenburg

15-25 J.(6 %)

25-35 J.(8 %)

35-45 Jahre(14 Prozent)

45-50 Jahre(30 Prozent)

55-60 Jahre(21 Prozent)

60-65 Jahre(21 Prozent)

(Quelle: Bericht des Integrationsamtes Land Brandenburg 2009)

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Verwendung werden wir nochmals ausführ-lich diskutieren. Im vergangenen Jahr flossen 1,75 Millionen Euro in neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze; 2,6 Millionen Euro gingen an Arbeitgeber für außergewöhnliche Belastun-gen, die ihnen durch die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen entstanden.

Unsere Integrationsfachdienste erhalten jährlich gut drei Millionen Euro für eigene Beratungs- und Hilfeleistungen sowie für die Unterstützung von Arbeitgebern in un-terschiedlichsten Problemsituationen bei der Beschäftigung schwerbehinderter Men-schen. Die Fachdienste arbeiten dafür eng mit dem Integrationsamt, der Agentur für Arbeit, den Reha-Trägern, sowie mit den an-deren Akteuren des Arbeitsmarktes zusam-men.

2. Bewusstseinsbildung von Kindheit an

Die weitgehend „geschützte“ Erziehung und Bildung behinderter Kinder und Jugendlicher führte letztlich dazu, dass große Teile der Gesellschaft – und eben auch Arbeitgeber – nicht wissen, wie leistungsfähig behinderte Menschen sind. Und sie bewirkte, dass Vor-urteile weiter geschürt wurden, Vorbehalte wuchsen. Sollte es aber nicht völlig normal sein, Menschen zu akzeptieren, die „anders“ sind als andere – Menschen mit anderen Pro-blemen, mit anderen Schwierigkeiten, das Leben zu meistern?

Gemeinsame Kita, gemeinsame Schule, ge-meinsame Ausbildung, gemeinsame Arbeit – ich meine, das ist der menschlichste Weg für eine Gesellschaft, die wirklich für alle Men-schen da sein will und die für jeden individu-ell und passgenau Unterstützung gewährt, um diese Teilhabe zu ermöglichen. Wir müs-sen von Anfang an so viele „Berührungs-punkte“ wie möglich schaffen, damit die In-klusion gelingt. Ohne solche gemeinsamen Chancen kommen beispielsweise auch die späteren Unternehmerinnen und Unterneh-mer nicht darauf, im Integrationsamt mal nachzufragen: Welche Möglichkeiten der In-klusion bestehen für meinen Betrieb? Könnt ihr mir mit öffentlichen Mitteln helfen?

3. Wie sieht unser Maßnahmenpaket aus?

Die Landesregierung wird in diesem Jahr noch ein Maßnahmenpaket zur Inklusion beschließen. Was die „Bewusstseinsbildung von Anfang an“ – und also Schule und Bil-dung – betrifft: Da werden wir sukzessive darauf hinarbeiten, dass ab 2019 jedes Kind in diesem Land unabhängig von seinen Vor-aussetzungen eine wohnortnahe Regelschu-le besuchen kann. Von den derzeit 16.000 förderbedürftigen Kindern und Jugendlichen besuchen gegenwärtig rund 40 Prozent den gemeinsamen Unterricht; womit wir deutschlandweit ganz gut dastehen.

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Doch wir wollen das für alle erreichen, für die dieser Weg sinnvoll ist. Daher ist ein erster und wichtiger Inklusions-Schritt, Förderschu-len zu den Förderbedarfen „Lernen“, „Emoti-onale und soziale Entwicklung“, „Sprache“ aufzulösen und die Regelschulen in die Lage zu versetzen, ab 2013/2014 diese Kinder auf-zunehmen. Inwiefern die Regelschulen auch für Kinder mit starken geistigen und körper-lichen Behinderungen geöffnet werden kön-nen, ist sehr genau zu diskutieren. Es geht nicht darum, alle Förderschulen zu schließen.

Bitte bedenken Sie: Jugendliche, die zum Schulende eine Förderschule verlassen, ha-ben kein für den Arbeitsmarkt geeignetes Zeugnis. Sie haben einen Stempel, der sie ein Leben lang begleitet. Diese jungen Men-

schen, mit Hoffnungen und Zielen wie jeder Mensch, machen einen Großteil der Jugend-lichen in unserem Land aus, die als Schulab-gängerin oder Schulabgänger „ohne Schul-abschluss“ gelten.

Zum Thema „Inklusion in den Arbeitsmarkt“ setzen wir mit unserem Maßnahmenpaket an verschiedenen Punkten an:

Dazu gehört zum Beispiel die gezielte Be-rufsorientierung an den Förderschulen. Damit haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Sie hat den Effekt, dass die Kinder und ihre Eltern erst mal prüfen, ob sie nicht außerhalb der „geschützten Werkstatt“ ei-nen Job oder eine „echte“ Ausbildung be-kommen. Das funktioniert ganz gut. Aller-

Übersicht der Leistungen an schwerbehinderte Menschen in Brandenburg (in Euro)

HH-Jahr 2006 HH-Jahr 2007 HH-Jahr 2008

Kostenersatz einer notwendigen Arbeitsassistenz§ 17 (1) a SchwbAV

335.500,06 440.758,34 483.149,71

Technische Arbeitshilfen§ 19 SchwbAV

122.372,76 72.025,93 46.661,77

Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes§ 20 SchwbAV

2.556,34 137.047,36 35.914,60

Hilfen zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit§ 21 SchwbAV

79.748,28 17.125,69 11.778,46

Hilfen zur Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung§ 22 SchwbAV

57.648,76 9.899,94 17.092,39

Hilfen zur Teilnahme an Maßnahmen der Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten§ 24 SchwbAV

12.035,73 30.612,03 23.185,75

Hilfe in besonderen Lebenslagen§ 25 SchwbAV

7.033,03 4.168,90 2.807,85

Summe 616.894.96 711.638,19 620.590,53(Quelle: Bericht des Integrationsamtes Land Brandenburg 2009)

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dings müssen wir darauf hinarbeiten, dass die Kinder Abschlüsse erreichen, mit denen sie über ein Anerkennungsverfahren in eine Berufsausbildung oder an weiterführende Schulen gelangen.

Außerdem wollen wir die Inklusionskompe-tenz von Betrieben erhöhen. 90 Prozent der brandenburgischen Betriebe haben weniger als zehn Beschäftigte. Da haben Chef oder Chefin tagsüber so viel zu tun, dass kaum Raum bleibt, über Inklusion im Betrieb nach-zudenken. Also wollen wir die Kompetenz der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer so erhöhen, dass diese den Inklusions-Gedanken in ihre Unterneh-mensberatung einfließen lassen und die Be-triebe dahingehend wirksamer motivieren, Menschen mit Behinderungen auszubilden und einzustellen.

Und schließlich: Unsere Programme müssen nachhaltiger werden. Für das „50.000-Be-schäftigten-Programm“ haben wir viel Geld ausgegeben, um die Betroffenen in Arbeit zu bekommen. Doch nach Programmende waren sie ein Jahr später wieder arbeitslos. Solche Effekte müssen in den nächsten Pro-grammen stärker verhindert werden. Aus der Ausgleichsausgabe des Bundes bekommen wir 2,8 Millionen Euro und wollen versuchen, noch weitere Mittel dazuzugeben. Damit wollen wir die Programme so gestalten, dass sie dauerhafte Arbeit sichern. Mit diesem

Ziel stimmen wir uns derzeit auch mit dem Bildungsministerium und der Arbeitsverwal-tung ab.

Sicher ist: Menschen mit Behinderungen ma-chen einen guten Job. Doch wir müssen ih-nen auch die Chancen dazu geben – und das von Anfang an! Mit unseren Projekten, mit dem anvisierten Inklusions-Maßnahmenpa-ket haben wir die Weichen gestellt für einen Weg, der dies wirksamer ermöglichen wird. Das nicht nur, weil die UN-Konvention es ver-langt – sondern vielmehr, weil es das selbst-verständlichste Recht ist, jedem Menschen ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Finanzielle Förderung für Arbeitgeber

Das Integrationsamt erbringt nach § 102 SGB IX i.V.m. §§ 15, 26a, 26b SchwbAV an Ar-beitgeber finanzielle Leistungen für die Be-rufsausbildung. Gefördert werden können öffentliche und private Arbeitgeber.

Weitere Informationen finden Sie in der Broschüre des Landesamtes für Soziales und Versorgung: ZB-Info: Behinderte Menschen im Beruf – Leistungen an Arbeitgeber.

(Quelle: Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg: Leistungen des Integrationsamtes für die Berufsausbildung)

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Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) ist die Dachorganisation von deutschlandweit ca. 20 Zentren für „Selbst-bestimmtes Leben“. Wir sind der deutsche Zweig von Disabled Peoples‘ International (DPI), das ist die Selbstvertretungs-Organisa-tion behinderter Menschen weltweit. Die ISL wurde 1990 gegründet und vertritt seitdem einen menschenrechtsorientierten Ansatz. Die ISL und die DPI haben die Behinderten-rechtskonvention mit forciert, und sie haben auf verschiedenen Ebenen, so in ihren Regie-rungsdelegationen auf der Seite der Zivil-

gesellschaft an den Verhandlungen in New York teilgenommen. Seit Gründung des Deutschen Behinderten-rats bin ich dort Mitglied. Seit Januar 2010 bin ich Geschäftsführerin der Interessenver-tretung Selbstbestimmt Leben und habe für den Deutschen Behindertenrat an den Ver-handlungen zur Behindertenrechtskonventi-on in New York teilgenommen. Bei drei von insgesamt acht Verhandlungsrunden, die es in den Jahren 2005 und 2006 gab, war ich dabei.

„Auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt. Hand-lungsbedarf im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention“ Dr. Sigrid Arnade, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL)

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Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention

Der Artikel 26 der Konvention betrifft Habili-tation und Rehabilitation. Das heißt, dass be-hinderte Menschen ihre Selbstbestimmung leben und volle Teilhabe in allen gesellschaft-lichen Bereichen erleben sollen. Besonders hervorgehoben wird der sogenannte Peer Support. Behinderte sollen also nicht nur immer durch nicht-behinderte Professionel-le unterstützt werden, sondern auch durch andere Betroffene.

Außerdem wird gemeindenahe Unterstüt-zung gefordert. Ausbildung, Rehabilitation und Ähnliches soll man immer auch vor Ort bekommen können, ohne dafür weit reisen zu müssen. Auch müssen die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter, die derzeit in diesem Bereich tätig sind, aus- und fortgebildet wer-den. In der Ausbildung muss der menschen-rechtsorientierte Ansatz in die Curricula aufgenommen werden. Und unterstützen-de Technologien sollen natürlich eingesetzt werden.

Der Artikel 27 der UN-Konvention betrifft Arbeit und Beschäftigung. Darin heißt es, dass Menschen mit Behinderungen gleich-berechtigt mit anderen und ohne Diskrimi-nierung am Arbeitsleben teilhaben sollen. Sie sollen dieselben Arbeitnehmer- und Ge-werkschaftsrechte haben wie alle anderen

auch. Das ist in den Werkstätten für behin-derte Menschen derzeit bei uns nicht der Fall. Es soll Beratungsprogramme geben und die jeweilige Unterstützung, die erforderlich ist. Außerdem ist der Staat verpflichtet, För-dermaßnahmen und Förderprogramme auf-zulegen, um diese Dinge zur verwirklichen. Auch angemessene Vorkehrungen sollen getroffen werden. Dazu zählen zum Beispiel das Dolmetschen in Gebärdensprache und Barrierefreiheit, also stufenlose Zugänge und Toiletten für behinderte Menschen. Nur durch solche angemessenen Vorkehrungen können behinderte Menschen gleichberech-tigt teilhaben. Laut Behindertenrechtskon-vention liegt eine Diskriminierung vor, wenn angemessene Vorkehrungen vorenthal-ten werden. In Deutschland aber ist dieses Rechtsinstrument noch gar nicht definiert, das muss noch getan werden.

Aktuelle Situation von behinderten Men-schen am Arbeitsmarkt

Die Zahl aller arbeitslosen Menschen ist im Zeitraum von März 2010 bis März 2011 um 10 Prozent gesunken. Im selben Zeitraum stieg die Anzahl der schwerbehinderten arbeitslo-sen Menschen um 5 Prozent. In Westdeutschland ist die Zahl der arbeits-losen, schwerbehinderten Menschen sogar um 6 Prozent gestiegen, in Ostdeutschland nur um 2 Prozent. Möglicherweise heißt das, dass die Situation in Ostdeutschland etwas

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besser aussieht. Es könnte auch sein, dass die arbeitslosen, schwerbehinderten Menschen in Ostdeutschland alle in die Rente gedrängt worden sind oder dergleichen. Man müsste genau untersuchen, wie dieser Unterschied zustande kommt.

Es gab bei den Statistiken zu Schwerbehin-derten leider keine differenzierte Aufstel-lung mehr zwischen Frauen und Männern. Daraus ließen sich auch interessante Schlüs-se ziehen.

Die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg-gibt auch Arbeitsmarktberichte heraus. Ich habe mir die brandenburgischen Zahlen vom März 2011 angeguckt – und da gibt es für schwerbehinderte Menschen überhaupt kei-ne Zahlen. Sie werden von der Statistik nicht

erfasst oder nicht veröffentlicht oder sie werden peinlich verschwiegen. Dieser Punkt wäre zu ändern.

Probleme gibt es auch bei der Umsetzung der Gesetze. Das SGB IX ist ein gutes Gesetz. Es gilt schon seit zehn Jahren, aber es wird nicht so umgesetzt, wie der Gesetzgeber es seinerzeit intendiert hatte. Es gibt Bera-tungsdefizite und unklare Zuständigkeiten, und die Betroffenen bleiben dann dazwi-schen hängen. Die Bearbeitungszeiten sind noch immer sehr lang, das hatte mit dem SGB IX eigentlich verhindert werden sollen – aber bisher erfolglos. Außerdem gibt es kaum Alternativen zur Werkstatt für behin-derte Menschen. Da ist noch einiges zu tun, und die angemessenen Vorkehrungen sind nicht definiert.

Entwicklung der Arbeitslosigkeit von März 2010 bis März 2011

-10%

+5% +6% +2%allgemeine Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten

Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten Westdeutschland

Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten Ostdeutschland

(Quelle: Präsentation Dr. Sigrid Arnade)

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Übergeordnete Handlungsbedarfe

■ Gender Mainstreaming: Wir brauchen ein durchgängiges Gender Mainstrea-ming. Das heißt, wir müssen immer bei allen Planungen und Maßnahmen die Geschlechterperspektive beachten. Wie betreffen sie Frauen und Männer mög-licherweise unterschiedlich, und wären Maßnahmen zum Ausgleich erforderlich oder nicht?

■ Disability Mainstreaming: Außerdem ist ein durchgängiges Disability Mainstrea-ming nötig. Wir müssen bei allen Planun-gen und Maßnahmen in Betracht ziehen, wie betreffen sie behinderte Menschen im Vergleich zu nicht behinderten Men-schen, sind Maßnahmen zum Ausgleich erforderlich?

Karl Hermann Haack, ehemaliger Beauf-tragter der Bundesregierung für die Belan-ge behinderter Menschen, definierte das Disability Mainstreaming folgenderma-ßen: „Jedes politische und gesellschaftliche Handeln muss darauf überprüft werden, ob und wie es zur Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung beiträgt oder sie verhindert.“ In allen Politikfeldern also nicht nur bei der Sozial- und Gesund-heitspolitik, sondern auch bei Verkehrspo-litik, Bauen, Justiz, Frauen: Immer müssen wir behinderte Menschen mitdenken.

■ Partizipative Teilhabeplanung:Es ist wichtig, dass alle betroffenen Ak-teure gemeinsam planen – die Menschen aus der Arbeitsverwaltung, von Integra-tionsämtern, Betroffene, ihre Verbände, aber auch die Industrie- und Handels-kammern, Arbeitgeberverbände, Gewerk-schaften, das heißt: alle, die etwas mit dem Thema Arbeitsmarkt zu tun haben, inklusive behinderter Menschen und ihre Verbände, sollten zusammen beraten. Es sollten viele verschiedene Kompetenzen einbezogen werden. Durch diese Vielfalt kann auch ein Mehrwert bei den Ergeb-nissen entstehen.

Handlungsbedarfe auf Bundesebene

■ SGB IX: Das SGB IX ist prinzipiell ein gutes Gesetz, mit der konsequenten Umsetzung hapert es jedoch. Notwendige Maßnah-men können zum Beispiel sein, das SGB IX mit Sanktionsmöglichkeiten zu versehen.

■ Arbeitsstättenverordnung: Der Para-graph 3a Abs. 2 der Arbeitsstättenverord-nung müsste geändert werden. Dieser bestimmt bislang, dass Arbeitsstätten barrierefrei sein müssen, wenn dort be-hinderte Menschen arbeiten. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Solange die Arbeits-stätten nämlich nicht barrierefrei sind, wird auch kein behinderter Mensch dort arbeiten. Er sollte stattdessen heißen: „Alle Arbeitsstätten müssen barrierefrei

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sein, damit auch behinderte Menschen die Möglichkeit haben, dort zu arbeiten.“

Weitere notwendige Maßnahmen:

■ Die Beschäftigungsquote ist zu überprü-fen. Sie wurde im Jahr 2000 gesenkt, von sechs Prozent Beschäftigungspflicht auf fünf Prozent. Die Arbeitgeber haben da-für im Gegenzug versprochen, mehr be-hinderte Menschen zu beschäftigen. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Arbeitslo-senquote schwerbehinderter Menschen ist hoch. Daher ist es überlegenswert, die Beschäftigungsquote wieder anzuheben.

■ Auch die Ausgleichsabgabe sollte erhöht werden, um echte Anreize zu schaffen, dass mehr behinderte Menschen beschäf-tigt werden. Herr Baaske, Sie sagten, hier gebe es viele kleinere mittelständische Betriebe, die keine behinderten Men-schen beschäftigen. Die Betriebe zahlen dafür eine Ausgleichsabgabe. Wenn sie hier mehr zahlen müssten, dann würden sie sich vielleicht überlegen, lieber behin-derte Menschen einzustellen.

■ Man müsste effiziente Beratungsstruktu-ren etablieren und dabei natürlich auch Peer-Effekte nutzen, also auch in der Bera-tung betroffene Menschen einsetzen und

Schwerbehinderte Menschen in Brandenburg nach Mehrfachbehinderungen und Grad der Behinderung

mit einer Behinderung

100Grad der Behinderung in %

90 80 70 60 50

mit mehreren Behinderungen

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

35.000

(Quelle: Statistischer Bericht – Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009)

16 16Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben

■ Weitere Maßnahmen: Integrationsfach-dienste und Projekte fördern, die die Durchlässigkeit der Systeme erhöhen. Es sollten Alternativen zur Werkstatt ge-schaffen werden. Die Angebotsstrukturen sollten systematisiert werden: Modell-projekte, die tolle Erfolge erzielt und sich bewährt haben, müssten nach ihrem Ab-lauf in die Regelförderung übernommen werden.

■ Die Schwerbehindertenvertretungen soll-ten gestärkt werden.

Diese Ideen stammen vom Deutschen Behin-dertenrat, der diese Vorschläge als Forderun-gen an einen Aktionsplan an die Bundesre-gierung gegeben hat.

Handlungsbedarfe für Brandenburg

Ein Aktionsplan „Berufliche Teilhabe“ soll gemeinsam mit allen relevanten Akteurin-nen, Akteuren und der Zivilgesellschaft er-arbeitet werden. Folgende Elemente sind erstrebenswert:

■ Menschen mit Behinderungen ge-schlechtsdifferenziert in Arbeitsmarktsta-tistiken erfassen und Zahlen veröffentli-chen

■ Arbeitsmarktprogramme gemeinsam planen und durchführen

■ Barrierefreie Strukturen schaffen (an Ar-beitsstätten und Fortbildungsinstituten)

■ öffentliche Arbeitgeber anregen, Vorbild-funktion wahrzunehmen

■ Alternativen zu institutionellen Sonder-wegen auf allen Ebenen schaffen (Schule, Berufsbildung, Umschulung, Weiterbil-dung)

■ Frauen mit Behinderungen in Ausbildung und Beruf fördern: Frauen mit Behinde-rungen sind auf allen Ebenen in der Reha-bilitation und auf dem Arbeitsmarkt ganz besonders benachteiligt.

■ inklusive Fortbildungsmöglichkeiten

Dabei sind drei Dinge ganz besonders wichtig:

■ Betroffene und ihre Organisationen stär-ken, damit sie sich mit Selbstbewusstsein für die eigenen Rechte einsetzen können

■ Aus- und Fortbildungen für die Beschäf-tigten in diesem Bereich, damit sie ein menschenrechtliches Verständnis von Be-hinderung bekommen.

■ Maßnahmen der Bewusstseinsbildung für alle: die Inhalte der Behinderten-rechtskonvention sollen überall bekannt werden

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Perspektiven

Die Behindertenrechtskonvention ist seit zwei Jahren geltendes Recht in Deutschland auf der Ebene eines Bundesgesetzes. Die For-derungen und Vorschläge sind bekannt.

Nun geht es darum, für Brandenburg die Lage genau zu analysieren und ein Gremium zu bilden mit allen Beteiligten, um einen Ak-tionsplan zu erarbeiten.

Schwerbehinderte Menschen in Brandenburg anteilig nach Grad der Behinderung 2009

90 - 100 Jahre

100 Jahre

80 - 90 Jahre

70 - 80 Jahre

60 -70 Jahre

50 - 60 Jahre

16%11%

13%6%

26% 28% 90 - 100

100

80 - 90

70 - 80

60 -70

50 - 60

16%11%

13%6%

26% 28%

Grad der Behinderung in %

(Quelle: Statistischer Bericht – Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009)

18 18Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Günter Baaske, Minister für Arbeit Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg

Dr. Sigrid Arnade, Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e.V.

Jürgen Dusel, Beauftragter der Landesregierung für die Be-lange behinderter Menschen Brandenburgs

Sylvia Lehmann, Sozialpolitische und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Bran-denburg

Edelgard Woythe, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Potsdam

Marianne Seibert, Vorsitzende des Landesbehindertenbeirates Brandenburg

Herwig Alt, Director HR Europe First Solar

„Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ Diskussion

20 20Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Sylvia Lehmann MdL: Frau Woythe, wieso werden behinderte Men-schen in der brandenburgischen Arbeitslo-senstatistik nicht erfasst?

Edelgard Woythe:Natürlich gibt es Statistiken über Schwerbe-hinderte. Sie sind allerdings bei den vielen Daten, die wir veröffentlichen, möglicher-weise nicht so leicht zu finden. Wir könnten Ihnen gerne einen regelmäßigen Datenim-port von uns zukommen lassen.

Sylvia Lehmann: Wie ist die Arbeitsagentur für die Umset-zung der UN-Konvention gerüstet?

Edelgard Woythe:Wir sind inzwischen in verschiedenen Fel-dern aktiv.

Gemeinsam mit den Ministerien im Land be-reiten wir gerade ein neues Projekt zur ver-tieften Berufsorientierung vor. Dazu gehören zum Beispiel gemeinsame Fallbesprechun-gen vor Ort unter Einbeziehung nicht nur der Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler, sondern auch der Eltern.

Wir werden die Berufsorientierung mit zu-sätzlichen Mitteln, mit Praktika auch in be-sonderen Schulen, aber vor allem in inklusi-ven Schulen verstärken, damit Jugendliche sich tatsächlich erproben können.

Wir haben einen neuen Leistungs- und Dia-gnosetest eingeführt, mit dem man tatsäch-lich feststellen kann, ob jemand zunächst in den Eingangsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) muss oder ob er nicht vielleicht doch mit Unterstützung einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt findet. Das Instrument wird begleitet, und wenn wir dann feststel-len, dass eine WfbM doch nicht passend ist, so steht uns seit 2009 ein neues Instrument zur Verfügung, nämlich die unterstützende Beratung. Dabei werden Dritte eingeschal-tet, die Ausbildung und Beschäftigung im Betrieb begleiten. Das bisher sehr erfolgrei-che Projekt wird von der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Wir können allerdings noch keine Aussage zur Langzeitwirkung treffen.

Anteil der Menschen mit Schwer- behinderung in Brandenburg 2009

8,82 % 221.629 Menschen

(Quelle: Statistischer Bericht – Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009)

20 20Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Sylvia Lehmann:Frau Seibert, das Behindertengleichstel-lungsgesetz wird novelliert und ein Maß-nahmenpaket formuliert. Welche Punkte sollten darin aus der Sicht der Betroffenen aufgegriffen werden?

Marianne Seibert:Wir wollen die Förderung der schwerbehin-derten Beschäftigten durch Maßnahmen, ganz speziell für Frauen und speziell für die über 50-Jährigen. Außerdem wollen wir die Durchsetzung des Persönlichen Budgets für Menschen mit Behinderung oder die Beglei-tung durch Assistenz. Denn nur so haben vie-le Menschen mit Behinderung die Möglich-keit, einer Arbeit oder einer Beschäftigung nachzugehen.

Langfristig ist aber auch wichtig, dass wir schon früh mit der Verwirklichung des Inklu-sionsgedankens beginnen, und zwar in den Kitas. Der Landesbehindertenbeirat betreibt seit 20 Jahren Bewusstseinsbildung, z. B. mit öffentlichen Veranstaltungen. Aber aus un-serer Sicht ist es sehr schwer, erfolgreich da-mit zu sein, wenn man erst beim Einstieg ins Arbeitsleben damit beginnt. Es sollte einfach nicht mehr vorkommen, dass in Branden-burg noch immer Kindergärten gebaut wer-den, die nicht barrierefrei sind. Die Bewusst-seinsbildung für das Thema Inklusion muss bereits bei der Frühförderung ansetzen.

Sylvia Lehmann:Herr Dusel, welche Bedeutung hat die UN-Konvention?

Jürgen Dusel:Die UN-Konvention ist ein Meilenstein. Auch wenn sie im fernen New York verabschie-det wurde, wirkt sie direkt in Deutschland. Die Leute können das selbst erfahren, wenn etwa ein Verwaltungs- oder ein Sozialge-richt über eine Leistung urteilt und dann beispielsweise den Hilfeleistungsbedarf an der UN-Konvention bemisst. So geschehen am Oberverwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen, das in einem Eilverfahren einer gehörlosen Studentin 18 Stunden Gebärden-sprachdolmetscher-Leistung durch den örtli-chen Sozialhilfeträger pro Woche zuerkannt hat.

Sylvia Lehmann:Welche Maßnahmen sollten aus Ihrer Sicht angegangen werden?

Jürgen Dusel:Wir dürfen die Rehabilitation nicht verges-sen, wenn es um „Teilhabe am Arbeitsleben“ geht. Erst durch eine gute Rehabilitation sind die Menschen in der Lage, am allge-meinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es ist ein Skandal, wie wenig schwerbehinderte junge Leute einen Ausbildungsplatz auf dem allgemeinen Markt bekommen. Vor ein paar Jahren waren es von 1.000 Bewerberinnen

22 22Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

und Bewerbern fünf – das kann einfach nicht sein. Wir haben zwar eine Pflichtquote für die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen bei Arbeitgebern, die mehr als 20 Beschäftigte haben. Es gibt aber keine Aus-bildungspflichtquote. Das Argument gegen die Pflichtquote für Ausbildungsplätze laute-te immer: Erstens: Das regelt der Markt. Und zweitens: Man findet keine ausbildungsfähi-gen Leute. – Beides halte ich für ein Gerücht. Wir sollten uns für unseren Maßnahmeplan sehr konkret Gedanken machen, ob die Din-ge, die wir in den vergangenen 20 Jahren umgesetzt haben, auch für die Zukunft tra-gen. Dabei sollten wir uns weniger von den Ängsten der Beschäftigten in Institutionen leiten lassen als vielmehr von den Wünschen der Menschen mit Behinderung.

Dr. Sigrid Arnade:Die Pflichtquote ist eine gute Idee. Aber hier gibt es noch ein weiteres Problem: Behin-derten Menschen werden nämlich die Assis-tenzbedarfe meist nur für eine Ausbildung finanziert. Andere Schulabgängerinnen und Schulabgänger können auch ohne Proble-me noch nach ihrer Ausbildung ein Studium anschließen. Das können behinderte Men-schen nicht so einfach, denn sie bekommen nur einmal die notwendige Gebärdensprach-dolmetschung oder Vorlesekräfte für blinde Menschen oder Assistenzbedarfe für kör-perbehinderte Menschen finanziert. Außer-dem wird es nur bis zum Bachelor-Abschluss finanziert und nicht für einen Master-Ab-schluss. Alles, was darüber hinausgeht, ist selbst zu bezahlen. Das ist keine Gleichbe-rechtigung und sollte auch auf Länderebene angegangen werden.

22 22Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Sylvia Lehmann:Herr Alt, wie lässt sich gelungene Inklusion im betrieblichen Alltag gestalten, und wie schwierig ist es?

Herwig Alt:Unsere Firma „First Solar“ gibt es in Frank-furt (Oder) seit dem Jahr 2007. Wir haben in dieser Zeit rund 40 schwerbehinderte Men-schen eingestellt, darunter 20 Gehörlose. Wir dachten tatsächlich, dass es sehr schwie-rig sei, Gehörlose bei uns zu integrieren. Wir haben aber sehr schnell festgestellt, dass die Barrieren nur in unserem Kopf vorhanden sind und nicht in der Praxis. Ich kann also heute, nach den ersten Erfahrungsjahren sagen: Gerade die Gehörlosen sind sehr ge-schätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gut integriert haben und die auch im Team – egal wo sie arbeiten – voll anerkannt sind, und zwar aufgrund ihrer Leistung, die sie bringen. Die Führungskräfte schätzen die Gehörlosen besonders, weil sie meist sehr engagiert sind und über Fähigkeiten ver-fügen, über die Nicht-Behinderte vielleicht nicht verfügen. Wir bauen nun ein zweites Werk in Frankfurt (Oder) und wir bemühen uns auch dort wieder zusammen mit dem In-tegrationsamt, behinderten Menschen eine berufliche Chance zu geben. Ich glaube, wir sind auf ganz gutem Wege.

Sylvia Lehmann:Ich sehe eine Frage aus den Reihen der Gäste. Bitte sehr!

Vertreterin von „Tropical Islands“:Unsere Erfahrungen sehen so aus, dass manchmal ganz verschämt bei der Arbeits-vertragsunterzeichnung ein Grad der Aner-kennung zur Schwerbehinderung auf den Tisch gelegt wird. Wir würden uns aber wün-schen, dass die Leute das mit mehr Selbstver-trauen ansprechen, so dass man sich im Vor-feld dazu äußern kann, und nicht, dass dann wie eine Entschuldigung ein Stück Papier auf den Tisch kommt. Bei uns sind behinderte Menschen gern gesehen, sie müssen sich nicht verstecken. Was wir uns in der Personalarbeit wünschen ist, dass die Offenheit und das Bewusstsein auch bei den Bewerberinnen und Bewerbern da ist: Es gibt nichts zu verstecken!

Jürgen Dusel:Ich freue mich sehr, dass „Tropical Islands“ das Thema Beschäftigte mit Behinderungen aufgreift, und ich verspreche Ihnen, dass ga-rantiert übermorgen ein Integrationsfach-dienst bei Ihnen an die Tür klopft und Ihnen bestimmt viele sehr begabte, sehr motivier-te, fröhliche und selbstbewusste Menschen mit Behinderungen vorbeischickt. Ich möch-te Ihnen gern erklären, warum Menschen mit Behinderungen manchmal leider Schwierig-keiten haben, selbstbewusst mit ihrer Behin-

24 24Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

derung umzugehen. Viele behinderte Men-schen haben die Erfahrung gemacht, dass sie gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch ge-laden werden, wenn sie zu Beginn angeben, dass sie eine Behinderung haben. Das führt dazu, dass viele ihre eigene Behinderung als Makel verstehen. Das ist entsetzlich! Zudem haben viele Menschen die Denkwei-se, dass eine Behinderung was Schlechtes ist und einen Mangel darstellt, schon von Kind an eingeflößt bekommen. Sich davon selbst als behinderter Mensch frei zu machen, ist gar nicht so einfach – das kann ich ihnen sa-gen.Der nötige Bewusstseinswandel ist auch deshalb so notwendig, weil viele Arbeitge-berinnen und Arbeitgeber gar nicht um die Kompetenzen von Menschen mit Behinde-rungen wissen. Sie sind nicht mit ihnen groß geworden, denn die Menschen mit Behinde-rungen haben ja lange in „Sonderformen“ gelebt. Viele Arbeitgeber schreckt das ab, und zwar nicht, weil sie böse Menschen sind, sondern weil sie unsichere Menschen sind wie wir alle. Und weil sie nicht wissen: Wie soll ich damit umgehen? Aber genau deshalb sind viele behinderte Menschen unsicher, wann sie es ihrem po-tenziellen Arbeitgeber sagen sollen.

Edelgard Woythe:Wir verzeichnen bei der Absolventenvermitt-lung von jungen Leuten, die als Behinderte eine Ausbildung begonnen haben, eine Stei-

gerung der Integrationsergebnisse von über 50 Prozent. Bei uns werden von 100 Jugend-lichen 60 in sechs Monaten nach Abschluss der Maßnahmen erfolgreich in Beschäfti-gung vermittelt. Das hatten wir so noch nie, und es ist ein echter Lichtblick. Bei den schwerbehinderten Menschen über 50 ist die Entwicklung leider gegenläufig.

Marianne Seibert:Ich möchte noch einmal die Forderung be-kräftigen, dass Menschen mit Behinderung auch einen Platz in den Entscheidungsgre-mien bekommen müssen. Die Ministerien als unsere Vorbilder sperren sich dagegen immer noch. Wir werden oft nicht von An-fang an mit einbezogen.

Andrea Wicklein MdB:Ich möchte, dass jeder unabhängig von sei-ner Herkunft, unabhängig von seinen kör-perlichen und geistigen Fähigkeiten in unse-rem Land eine Chance hat. Deshalb irritiert mich diese Diskussion etwas. Wir haben jetzt eine neue Wortschöpfung: Inklusion. Sicher-lich steht damit im Zusammenhang, dass wir anders darüber nachdenken müssen, wie es Menschen mit Behinderungen geht und wie wir sie besser einbeziehen können in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Ich habe aber den Eindruck, dass wir mit dieser Diskussion wieder die Menschen mit unter-schiedlichen Handicaps stigmatisieren. Wie ist denn Behinderung definiert? Man kann

24 24Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

doch auch von einem auf den anderen Tag behindert sein: durch eine schwere Operati-on, durch eine Krebserkrankung, durch Hüft-operationen, durch viele alltägliche Dinge, die uns allen passieren können. Es gibt sicht-bare Behinderungen und unsichtbare Behin-derungen. Auch psychische Erkrankungen können in Arbeitsbeeinträchtigung münden.

Daher müssen wir diese Diskussion sehr viel breiter fassen, und wir müssen insgesamt für beeinträchtigte Menschen flexible Mög-lichkeiten schaffen. Wir müssen die Rah-menbedingungen dafür schaffen, dass alle Menschen sich die Grundlagen ihrer eigenen Existenz selber erarbeiten können.

Werkstätten für behinderte Menschen im Land Brandenburg

PROPR

UM

BAROHV

HVLMOL

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TF

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OSL

SPN

Prenzlau

Fürstenwalde

Brandenburg

Kyritz

Lübbenau

Biesenthal

EE

Wittenberge

Eberswalde

Bad Freienwalde

Strausberg

Potsdam

WünsdorfTeltow

KönigsWusterhausen Eisenhütten-

stadt

Frankfurt(Oder)

Herzberg

Senftenberg

Cottbus

Spremberg

Templin

Zehdenick

Oranienburg

Schönfließ

Rathenow

(Quelle: Statistischer Bericht – Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009)

26 26Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Wir brauchen maßgeschneiderte Lösungen und müssen uns die Fähigkeiten und Fer-tigkeiten eines jeden einzelnen Menschen genau angucken und schauen, für welche Tätigkeit er sich eignet. Inklusion heißt, dass der Umgang mit unterschiedlichen Varian-ten von Beeinträchtigungen, Handicaps, Be-hinderungen Normalität wird.

Natürlich müssen wir mit der Inklusion frü-her anfangen. Oft wissen die Leute einfach nicht, wie man sich richtig gegenüber Men-schen mit Behinderung verhält, und sind deswegen verunsichert. Ich finde es scha-de, dass wir das nicht gelernt haben. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt in den Kinder-gärten damit anfangen, Menschen zusam-menzubringen, die sehr unterschiedlich sind. Nur durch dieses tagtägliche Zusammensein werden wir irgendwann mal dazu kommen, dass dieser Umgang Normalität wird.

Dr. Sigrid Arnade:Eine Definition von Behinderung lautet: Be-hinderung ist die Wechselwirkung zwischen einem Menschen mit einer bestimmten Be-einträchtigung und den Kontextfaktoren, also den Barrieren in der Umwelt oder in der Einstellung der nichtbehinderten Men-schen. So wurde es bereits von der Weltge-sundheitsorganisation 1981 definiert und endgültig festgeschrieben in der Internatio-nal Classification of Functioning, Disabilities and Health von 2002. Die Definition besagt

demnach klar: Die Behinderung besteht nicht allein durch den Menschen mit seiner speziellen Diagnose oder andererseits nur durch die böse Umwelt, durch Stufen oder durch Barrieren in den Köpfen, sondern die Behinderung entsteht aus der Wechselwir-kung zwischen dem behinderten Menschen und seiner Umwelt.

Joachim Haar:Ich kümmere mich seit 40 Jahren um blinde und sehbehinderte Menschen. Am Mittwoch war ich bei einem Workshop der Deutschen Rentenversicherung Bund. Ein Vertreter ei-nes Sozialverbandes erzählte dort, die UN-Konvention besage, alle Förderschulen seien sofort zu schließen: Blinden- und Gehörlo-senschulen brauchen wir nicht mehr. Auch Förderlehrerinnen und -lehrer bräuchten wir nicht mehr, das könnten die anderen Päda-goginnen und Pädagogen mit erledigen. Ihre Aussage, Herr Minister Baaske, die Sache „mit Augenmaß“ anzugehen, kann ich nur unterstützen.

Bernd Reinicke, Geschäftsführer in der Lebenshilfe:Ich bin Geschäftsführer in der Lebenshilfe, aber auch ein Vertreter der so genannten Sondereinrichtungen, nämlich ehrenamtli-cher Vorsitzender der Landesarbeitsgemein-schaft Werkstätten. Minister Baaske hat mir mal gesagt: „Integrationskitas sind doch kei-ne inklusiven Kitas.“ Da hat er recht. Es soll-

26 26Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

te mindestens in jeder Großgemeinde eine solche Kita geben. Wir brauchen aber, wenn wir Sonderschulen nachrangig nutzen wol-len, adäquate Hilfe in den Regelschulen. Und dazu braucht es bei all der Bewusstseinsbil-dung auch die Finanzmittel.

Die Idee der Inklusion ist ein Glück und eine Riesenchance für behinderte Menschen und für die Gesellschaft. Und wir sollten alle versuchen, die Inklusion erfolgreich zu ge-stalten. Ich schätze allerdings, dass die Um-setzung noch mindestens eine Generation dauern wird.

Sylvia Lehmann:Die UN-Konvention fordert auch in Artikel 33 die Einrichtung einer Anlaufstelle, eines so-genannten Focal Points. Wird es die in Bran-denburg geben? Und wie ist der Stand bei der Reform der Integrationsfachdienste?

Jürgen Dusel:Ja, diese Anlaufstelle befindet sich im Referat Behindertenpolitik des Brandenburger Sozi-alministeriums. Bei der Reform der Integra-tionsfachdienste ist für uns ein Prinzip be-sonders maßgeblich: Es wird nicht mehr so sehr um die Institutionen und deren Ängste gehen, sondern darum, was die betroffenen Menschen sich wünschen.

Anteil der Menschen mit Schwerbehinderung in Brandenburg 2009 nach Alter65

Jahr

e und

älte

r

60 -

65 Ja

hre

55 -

60 Ja

hre

45 -

55 Ja

hre

25 -

45 Ja

hre

18 -

25 Ja

hre

Unter

18 Ja

hre

0

100.000

200.000

300.000

400.000

500.000

600.000

700.000

4.402

4.990

20.532

30.536

22.478

19.980

118.711

(Quelle: Statistischer Bericht – Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009)

28 28Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Wir haben in Brandenburg ein sehr erfolg-reiches Netz von Integrationsfachdiensten. Uns war von Anfang an wichtig, Dienste von Betroffenen für Betroffene zu etablieren. Also zum Beispiel gibt es bei uns eine Menge Integrationsfachdienste, in denen gehörlose Menschen für andere gehörlose Menschen arbeiten. Wir sind fest davon überzeugt, dass das richtig ist.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich aber einiges gewandelt, zum Beispiel schreibt die Bundesagentur für Arbeit, ein großer Nutzer unserer Vermittlungsdienste, Leistungen aus. Außerdem haben wir festgestellt, dass Arbeitgeber es sehr schätzen, wenn Leis-tungen aus einer Hand erbracht werden. Deswegen müssen sich auch unsere Integ-rationsfachdienste verändern, um weiterhin auf diesem Arbeitsmarkt erfolgreich sein zu können. Günter Baaske hat bereits dar-auf hingewiesen, dass unser Land deutlich mehr Geld als andere Bundesländer für die Integrationsfachdienste ausgibt. Und wir be-absichtigen nicht, dieses Geld zu reduzieren, sondern wir wollen Strukturen organisieren, die für die nächsten Jahre in Brandenburg verlässlich sind, um einerseits Menschen mit Behinderungen im Land besser zu vermitteln und andererseits auch im Beruf zu beglei-ten. Wir werden die Struktur verändern, aber nicht verschlechtern und nicht schwächen.

Günter Baaske:Nach meinem Empfinden sind wir bei der Bewusstseinsbildung in den letzten Jahren gut vorankommen. Wir müssen allerdings noch viel stärker nach außen dringen und an die Personalentscheider herankommen. Ich halte es für eine gute Idee, mit Best-Practice-Beispielen zu arbeiten. Wir müssen die Inklusionskompetenz bei den Kammern stärken, so dass diese sich ganz gezielt an die kleinen und mittelständischen Unterneh-men wenden, ihnen Besetzungsvorschläge für Arbeitsstellen unterbreiten und sie auf die Förderung durch die Integrationsämter hinweisen.

Karsten Häschel, Beauftragter für Menschen mit Behinderun-gen der Landeshauptstadt Potsdam:Wir sind in Potsdam dabei, einen Teilhabe-plan zur UN-Konvention zu erarbeiten. Das Konzept soll bis Ende des Jahres erstellt und dann in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Noch eine wichtige Anmerkung zum The-ma Arbeit: Der Begriff Arbeit ist in den heu-tigen Diskussionen immer ganz eng mit „Leistungsorientierung“ verknüpft. Die UN-Konvention fordert aber hier ein deutliches Umdenken. Es geht eben gerade nicht immer darum, immer nur Leistung zu bringen und dabei möglichst immer noch sportlich, jung und dynamisch zu wirken. Dieser Druck führt auch dazu, dass die Burn-Out-Fallzahlen wie

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hier in Brandenburg immer mehr zunehmen. Vielmehr geht es darum, Menschen ent-sprechend ihrer vielfältigen Möglichkeiten zu beschäftigen. Das kann durchaus auch bedeuten, dass ein Mensch nicht wie ein Ge-triebener auf seinen Computer eintippt, son-dern in seinem individuellen Tempo arbeitet, das heißt, in einem Tempo, das er benötigt, um diese Arbeit auch für sich zufriedenstel-lend zu Ende zu bringen. An diesem Punkt brauchen wir gesellschaftliches Umdenken. Wir dürfen nicht nur am eng gefassten Leis-tungsbegriff kleben, sondern müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen und ihnen adäquate Möglichkeiten geben.

Ulrich Rosenau, Leiter des staatlichen Schul-amtes von Brandenburg a. d. Havel:Wir müssen alle mit sehr viel Überzeugung arbeiten, denn Einstellungsveränderungen lassen sich nicht kommandieren. Ich halte es für kontraproduktiv, wenn versucht wird, ad-ministrative Entscheidungen durchzusetzen, ohne dass dafür in den Schulen die notwen-dige Überzeugung vorhanden wäre. Es gibt aber im Prozess hin zur Inklusion seit vielen, vielen Jahren von unten aufbauend gute Er-folge in den brandenburgischen Schulen.In der Grundschule ist der Anteil des ge-meinsamen Unterrichts schon sehr hoch. Wir beginnen damit in den ersten beiden Jahrgangsstufen, und schaffen hier noch keine vollendeten Tatsachen, sondern or-ganisieren eine Art Schnupperintegration.

Das hat den Effekt, dass Eltern das zunächst nicht als „endgültige Lösung“ betrachten und sich sehr positiv und bereitwillig darauf einlassen. Erstaunlicherweise ist die positive Erfahrung, die in der Primarstufe gemacht wird, dann meistens so nachhaltig, dass ein späterer Wechsel zu einer weiterführenden Schule auf Elternprotest stößt: Sie wollen dann nämlich die Fortsetzung des gemein-samen Unterrichts in der Sekundarstufe I. Gemeinsamer Unterricht ist kein Sparmo-dell. Die Mittel, die wir für den Unterricht

Sylvia Lehmann, sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion

30 30Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

in Förderschulen haben, werden in die all-gemeinbildenden Schulen übertragen. Die Stundenzuteilung wird zudem schülerbe-zogen gestaltet. Es gibt Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, bei denen eine dif-ferenzierte zusätzliche Förderung nötig ist. Bei Kindern mit anderen Arten von Behinde-rungen muss dies nicht in demselben Maße nötig sein. Diese individuelle Steuerung des Prozesses findet gemeinsam mit den Eltern statt. Dennoch stoßen wir auch hier an Ak-zeptanzgrenzen.

Georg Hanke:Ich komme aus Königs Wusterhausen und bin wohl ein positives Beispiel für Inklusion. Trotz meiner Erblindung bin ich Dozent an der Landesfinanzschule in Brandenburg und bilde dort Nachwuchskräfte der Steuerver-waltung der Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt aus.

Die Schülerinnen und Schüler haben damit keine Probleme. Anfängliche Berührungs-ängste verschwinden rasch. Ich erhalte aber auch insbesondere technische Unterstüt-zung wie beispielsweise einen Computer, der mir alles vorliest. Auch meine Kolleginnen und Kollegen übernehmen Aufsichtsdiens-te für mich, und mein Arbeitgeber hat die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbelastung entsprechend angepasst. Es ist gut, dass der öffentliche Dienst hier tatsächlich mit gu-tem Beispiel vorangeht

Auch in einem anderen Bereich gibt es bei der Bewusstseinsbildung durchaus noch Po-tenzial. In meiner ehrenamtlichen Funktion als Stadtverordneter in Königs Wusterhau-sen wurde ich 2009 zum Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung gewählt.Während meiner Kandidatur hörte ich da-mals häufiger: „Ein Blinder kann doch keine Stadtverordnetenversammlung leiten!“ Das veranschaulicht ein alltägliches Problem: Als Behinderter muss man sich zunächst immer beweisen und begegnet größerer Skepsis als andere Leute.

Bei ehrenamtlichen Wahlämtern gibt es von den Integrationsämtern bislang keine Unter-stützung. Ich kann mein Amt ausüben, weil die Stadtverwaltung Königs Wusterhausen mich da auch personell unterstützt. Ich halte es für wichtig, dass behinderte Menschen Eh-renämter ergreifen können, denn damit wird auch die Inklusion eines Behinderten in der öffentlichen Wahrnehmung präsenter und es zeigt, dass auch sie einerseits berufstätig sein und andererseits über ein Ehrenamt in der Gesellschaft integriert sein können.

Sylvia Lehmann:Herr Alt, wie läuft es in einem privaten Un-ternehmen: Passen Sie den Arbeitsplatz an die hörbehinderten Menschen an oder pas-sen diese sich an den Arbeitsplatz an?

30 30Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Herwig Alt:Man hat sich in der Mitte getroffen. Ein Bei-spiel: In unserer Fabrik entstehen immer mal Situationen, in denen wir kurzfristig alle Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter verständigen müssen, dass ein Bereich geräumt werden muss. Weil wir die gehörlosen Kolleginnen und Kollegen nicht über die übliche Kom-munikation erreichen, haben wir in Zusam-menarbeit mit dem Integrationsamt eine technische Lösung über so genannte Pager geschaffen, mit denen wir alle Gehörlosen technisch erreichen können. Das Meiste lässt sich mit ganz einfachen, praktischen Mitteln lösen. Die wichtigste Vo-raussetzung am Arbeitsplatz ist die Einstel-lung der Kollegen. Sie müssen dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen akzep-tiert werden und so behandelt werden wie alle anderen auch.

Herr Panzer:Ich bin ungefähr vor zehn Jahren krank ge-worden, habe dann mehrere stationäre Auf-enthalte gehabt und wurde zuletzt in die Be-hindertenwerkstatt übernommen.

Erst wurde mir meine Krankheit nicht aner-kannt – jedenfalls nicht zeitnah – und jetzt werde ich sie nicht wieder los. Letzten Endes ist eine psychische Erkrankung eine lebens-lange Hypothek. Seit zweieinhalb Jahren versuche ich, aus der Behindertenwerkstatt herauszukommen. Das Problem ist: Nie-

mand ist zuständig und niemand fragt mich, was ich eigentlich tun möchte. Lediglich Frau Lehmann hat mich vor einem Vierteljahr mal gefragt, was ich persönlich möchte.

Ich war beim Arbeitsamt, dann beim Sozial-amt, dann beim Rententräger und habe mich um unterstützende Beschäftigung bemüht. Niemand fühlte sich zuständig. Ich habe jede Mauer zweimal genommen, aber habe bisher nichts erreicht. Nach zweieinhalb Jahren weiß ich immer noch nicht, wie mein Weg weitergehen wird. Ich war inzwischen bei drei Gutachtern – keiner fragt mich, wie es mir heute geht, wo meine Stärken und Schwächen liegen oder was ich machen möchte.

Jürgen Dusel:Wir reden noch immer viel zu oft über Leu-te, ohne sie zu fragen. Meines Erachtens liegt das Problem darin, dass in Deutschland manche Gesetze einfach nicht angewandt werden. Wir haben zwar den Paragraphen 14 im SGB IX, der eindeutig vorschreibt, wie die Zuständigkeiten zu klären sind. Dieser Para-graph wird aber nicht angewandt. Ich erlebe oft, dass Rehabilitationsträger die Anträge untereinander hin und her schieben, obwohl eigentlich der zweite angegangene Reha-Träger eindeutig zuständig ist. Wir haben einfach ein Umsetzungsdefizit. Dieses Prob-lem ist zu lösen.

32 32Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Die Novelle des SGB IX steht jetzt wieder an – da ist es wichtig, dass wir die richtigen Schritte einleiten und keine handwerklichen Fehler begehen. Es sollte auch darüber Re-chenschaft abgelegt werden, wie die Rea-lität der Gesetzesanwendung tatsächlich aussieht. Der größte Scherz an der Sache ist der § 102 SGB IX, nach dem die Integrations-ämter Vorleistungen erbringen können. Der Gesetzgeber hat offensichtlich schon von vornherein gewusst, dass es bei der Zustän-digkeitsklärung Schwierigkeiten geben wür-de! Das ist ein unbefriedigender Zustand, den man auch so benennen muss.

Sylvia Lehmann:Ich möchte mich bei allen Anwesenden sehr herzlich für die spannende und angeregte Diskussion bedanken. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir Lan-despolitikerinnen und Landespolitiker vieles mitnehmen für unsere weitere Diskussion und für die Gesetzgebungsverfahren.

32 32Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

UN-Konvention Menschen-Rechte für behinderte Frauen, Männer und Kinder auf der ganzen Welt

Alle Menschen haben Menschen-Rechte.Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen.Überall auf dieser Welt.

Oft geht es behinderten Menschen schlechter als Menschen ohne Behinderungen.Die meisten behinderten Menschen leben in sehr armen Ländern.In vielen Ländern haben behinderte Menschen weniger Rechte.Sie werden oft schlechter behandelt.

Das ist ungerecht.Das soll anders werden.Deshalb hat die UN einen Vertrag geschrieben.Den Vertrag sollen viele Länder auf der Welt unterschreiben.Diese Länder müssen dann den Vertrag einhalten.

Die UN ist eine große Gruppe.Sie macht für die ganze Welt Politik.In der UN arbeiten fast alle Länder der Welt mit.

Die UN hat genau nachgedacht.Sie hat behinderte Menschen gefragt. Viele behinderte Menschen aus der ganzen Welt haben an dem Gesetz mitgearbeitet.Sie wissen am besten:Welche Rechte brauchen wir?Wo werden wir schlecht behandelt?Was muss besser werden?

34 34Märkische Hefte 21 | Mai 2011 Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Was steht in dem Vertrag?

Behinderte Menschen haben die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen auch.Sie dürfen nicht schlechter behandelt werden.Sie sollen selbst über ihr Leben bestimmen.Sie sollen die Unterstützung und Hilfen bekommen, die sie brauchen.

Behinderte Menschen sind wichtig.Sie sollen ernst genommen werden.Sie sollen überall mitreden können.Wie alle anderen Menschen auch.

In dem Vertrag steht auch:Die Länder sollen besonders auf die Rechte von behinderten Frauen achten.Behinderte Frauen werden oft doppelt ungerecht behandelt:Weil sie behindert sind.Und weil sie Frauen sind.Sie erleben oft Gewalt.Deshalb brauchen behinderte Frauen besondere Hilfen.

Auch über behinderte Kinder steht etwas in dem Vertrag:Sie sollen die gleichen Rechte haben wie alle Kinder.

Viele Menschen haben ein schlechtes Bild über behinderte Menschen im Kopf.Die Länder müssen das ändern.Das Fernsehen und die Zeitungensollen mehr über behinderte Menschen berichten.Alle Menschen sollen erfahren:Wie leben behinderte Menschen?

34 34Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Was ist wichtig für behinderte Menschen?

Barriere-FreiheitBehinderte Menschen sollen überall mitmachen können.Aber es gibt viele Hindernisse.Das sind zum Beispiel Hindernisse für Menschen im Rollstuhl:

■ Treppen ■ Zu kleine Toiletten ■ Eingänge und Ausgänge auf Bahnhöfen ■ Stufen bei Zügen, Bussen und Flugzeugen

Das ist zum Beispiel ein Hindernis für Menschen mit Lernschwierigkeiten: ■ Schwere Sprache

Das ist zum Beispiel ein Hindernis für gehörlose Menschen: ■ Es gibt nicht genug Gebärden-Dolmetscher.

Alle diese Hindernisse machen es für behinderte Menschen schwer.Deshalb können sie oft nicht mitmachen.

Darum: Viele Hindernisse müssen weg.Zum Beispiel:Menschen im Rollstuhl brauchen Rampen oder Aufzüge.Sie brauchen große Toiletten-Räume.

Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen leichte Zeichen-Erklärungen.Sie brauchen das besonders hier: An öffentlichen Plätzen und Gebäuden.

Gehörlose Menschen brauchen Gebärden-Dolmetscher.

Alle Länder sollen diese Hindernisse beseitigen.Damit alle Menschen mitreden können.Damit alle Menschen mitmachen können.

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Gleiche Rechte Menschen mit Behinderungen haben die gleichen Rechtewie alle Menschen.Sie können wie alle zu einem Gericht gehen.Die Richter und Richterinnen müssen behinderte Menschenernst nehmen.Behinderte Menschen müssen Unterstützung für ihre Rechte bekommen,wenn sie welche brauchen.

Zum Beispiel:Eine Person erklärt die Gesetze.Sie kann helfen, wenn das die behinderte Person möchte.Aber sie darf nicht über die behinderte Person bestimmen.Auch nicht über eine Person mit Lernschwierigkeiten.Oder über eine Person mit einer psychischen Krankheit.Oder eine Person, die nicht sprechen kann.

Was die behinderte Person will, ist wichtig.Sie soll entscheiden.

WohnenBehinderte Menschen sollen selbst entscheiden:Wo möchte ich wohnen.Mit wem möchte ich wohnen.

Behinderte Menschen haben die Wahl.Sie können ihre Wohn-Form aussuchen.In der eigenen Wohnung oder einem Wohn-Heim.Alleine oder in einer Wohn-Gemeinschaft.Oder mit dem Partner oder der Partnerin.In der Stadt oder auf dem Land.

Und sie bekommen die nötige Hilfe da wo sie wohnen.Niemand muss in ein Heim ziehen,

36 36Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

nur weil er oder sie Unterstützung braucht.Die Unterstützung soll zu der Person kommen.

Alle Menschen haben ein Recht auf Privat-Sphäre.Auch behinderte Menschen – egal, wo sie wohnen:Das heißt:Niemand darf in die Wohnung oder das Zimmer kommen, ohne zu fragen.Niemand darf die Post lesen, ohne zu fragen.

ArbeitBehinderte Menschen sollen da arbeiten können, wo alle Menschen arbeiten.Zum Beispiel:In der Auto-Fabrik in der eigenen Stadt.Oder im Super-Markt.Oder an der Universität.Oder im Krankenhaus.

Sie können Unterstützung am Arbeits-Platz bekommen.Behinderte Menschen sollen gute Ausbildungen bekommen.Sie sollen ihren Beruf aussuchen können, wie alle Menschen.Die Betriebe und Firmen sollen mehr behinderte Menschen einstellen.

SchuleAlle Kinder sollen in die gleichen Schulen gehen.Behinderte Kinder und nicht behinderte Kindersollen gemeinsam lernen.Es soll keine Sonder-Schulen geben.

Die Lehrer und Lehrerinnen müssen für alle Kinder da sein.Sie müssen für jedes Kind die richtige Hilfe kennen.Dafür brauchen auch die Lehrer und Lehrerinnen eine gute Ausbildung.Manche Kinder brauchen viel Unterstützung.Das geht auch in der Schule für alle. Die Unterstützungs-Person kommt dann mit in die Klasse.

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Auch nach der Schule geht das weiter.Auch in der Ausbildung lernen alle zusammen.Und an der Universität.

PartnerschaftBehinderte Menschen können sich ihre Partner und Partnerinnengenauso aussuchen wie alle Menschen.Sie können wie alle Menschen heiraten.Sie können wie alle Menschen Kinder bekommen, wenn sie Kinder wollen.

Niemand darf ihnen die Kinder einfach wegnehmen.Wenn sie Unterstützung brauchen, kommt die Unterstützung in die Familie.

GesundheitAuch für behinderte Menschen muss es gute Ärzte und Ärztinnen geben.Die Ärzte und Krankenhäuser müssen auchfür behinderte Menschen gut sein.

Das heißt:Für Menschen im Rollstuhl muss es einen Fahr-Stuhl und ein Rollstuhl-WC geben.Blinde Menschen müssen den Weg im Krankenhaus gut finden können.Die Ärztinnen und Ärzte müssen in Leichter Sprache erklären können, was wichtig bei der Krankheit ist.

Sie müssen behinderte Menschen genauso gut behandelnwie Menschen ohne Behinderungen.Alle Menschen sollen die Medizin und die Hilfen bekommen,die sie brauchen.Deshalb dürfen die Hilfen und die Medizin nicht zu teuer sein.

Menschen mit Behinderungen müssen gefragt werden.Sie dürfen nicht gegen ihren Willen untersucht oder operiert werden.

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Informationen Behinderte Menschen sollen mitreden.Dafür brauchen sie gute Informationen.Sie müssen wissen um was es geht.Zum Beispiel in der Politik.

Alle Menschen müssen die Informationen so bekommen, dass sie sie gut verstehen.Zum Beispiel:Blinde Menschen müssen Internet-Seiten am Computer lesen können.Gehörlose Menschen brauchen Gebärden-Sprache im Fernsehen.Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen Bücher und Zeitungenin Leichter Sprache.

In der UN-Konvention stehen noch sehr viele andere wichtige Dinge.

Zum Beispiel:Alle Menschen haben ein Recht auf Leben. Auch behinderte Menschen.Alle Menschen sollen sicher vor Gewalt sein. Auch behinderte Menschen.

Das müssen die Länder jetzt machen:Gesetze ändern oder neue Gesetze machen.Sie müssen dafür sorgen, dass die Gesetze auch eingehalten werdenBehinderte Menschen müssen gefragt werden, wenn neue Gesetze gemacht werden.

Quelle: SPD-BundestagsfraktionGrafiken: Mensch Zuerst e.V.

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Weiterführende Literatur

■ Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg: Leistungen des Integrationsamtes für die Berufsausbildung (Flyer)

■ Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg: Handlungsempfehlungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (Broschüre)

■ Landesamt für Soziales und Versorgung: ZB-Info: Behinderte Menschen im Beruf – Leistungen an Arbeitgeber (Broschüre)

■ Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen: ZB-Spezial: Informationen für Arbeitgeber – Thema: Behinderte Menschen im Arbeitsleben (Heft)

■ Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen: ZB-Zeitschrift: Junge Menschen mit Behinderung qualifizieren, ausbilden, beschäftigen

■ Statistischer Bericht Land Brandenburg: Schwerbehinderte Menschen im Land Brandenburg 2009

■ Bericht des Integrationsamtes Land Brandenburg 2009 zu den Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

■ Bundesagentur für Arbeit: Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben – Rehabilitanden Deutschland August 2010

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■ Auf einen Blick – Die SPD-Fraktion im Brandenburger Landtag

■ „Brandenburg ist in Bewegung“ – Der neue Faltplan mit Liniennetz des Regionalverkehrs Brandenburg

■ Brandenburgs Kommunalgesetze (Sammlung wichtiger Gesetze und Informationen)

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11. Stadtumbau Brandenburg. Zwischenbilanz und Perspektiven.

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18. Wie weiter mit der frühkindlichen Bildung? – Dokumentation vom 29. Juni 2010.

19. 20 sozialdemokratische Jahre – Die SPD-Landtagsfraktion 1990-2010.

Wie weiter mit der frühkindlichen Bildung?

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Dokumentation der Veranstaltung vom 29. Juni 2010

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18Juli 2010

20 sozialdemokratische Jahre

Mit dem Gesicht zu den Menschen.

Die SPD-Landtagsfraktion 1990 - 2010

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19Oktober 2010

14. Bildungsland Brandenburg – Dokumentation vom 4. Dezember 2008.

15. Innovationsland Brandenburg – Dokumentation vom 15. Januar 2009.

17. Brandenburg steht heute besser da. Bilanz der Arbeit der Wahlperiode 2004-2009.

13. Energieland Brandenburg – Zukunftskonferenz vom 11. November 2008.

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15Januar 2009

InnovationslandBrandenburg

Dokumentation der Zukunftskonferenz vom 15. Januar 2009

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Dokumentation der Zukunftskonferenz vom 11. November 2008

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17März 2009

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14Dezember 2008

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Dokumentation der Zukunftskonferenz vom 4. Dezember 2008

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12. Für Demokratie und Freiheit: 75 Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz.

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Für Demokratie und Freiheit.75 Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz.

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21. Alle inklusive! – Die neue UN-Konvention und die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – Dokumentation vom 4. April 2011.

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Mit dem Gesicht zu den Menschen.

Dokumentation einer Veranstaltung vom 4. April 2011MärkischeHefte

21Mai 2011

20. Erneuerung durch Gemeinsinn – Der Brandenburger Weg im dritten Jahrzehnt der Einheit.

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Der Brandenburger Weg im dritten Jahrzehnt der Einheit

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20November 2010

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