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Psychol. Forsch. 33, 100--135 (1970) Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhahen* GISELA M~LLWl~ Psyehologisches Institut der Freien Universit~Lt Berlin (Direktoren: Prof. Dr. A. O. Jaeger, Prof. Dr. H. HSrmann und Prof. Dr. K. Holzkamp) Eingegangen am 6. ~fai 1969 Experimental Application o/Detection Theory to Vigilance Behaviour Summary. In a 2 x2 • 2-design the effects of "number of dials," "number of irrelevant stimuli" and "kind of motivation" were combined. It was found out, that probabilities of missed signals and false alarms increased with spatial uncertainty. The number of irrelevant stimuli, which were of equal sensory modal- ity as the relevant stimuli, had no inflncnce either on detection probability or on false alarms rate. Further attempt was made to systematize effects of motivation on vigilance performance in the detection model. With great values for hits and small costs for false alarms ("risky motivation") there was an essentially higher detection pobability and a slightly higher false alarms rate than with small values for hits and high costs for false detections ("cautious motivation"). The probabilities of detections decreased under risky motivation and increased under cautious motiva- tion as the watch prolonged, whereas the corresponding probabilities of false alarms showed no significant changes. Zusammen/assung. Mit Hilfe eines 2X2• wurde die Wirkung der ,,Anzahl der Signalfl~Lchen", ,,Anzahl der irrelevanten Reize" und ,,Art der Moti- vation" auf die Vigflanzleistung untersucht. Dabei zeigte sich, dab die Wahrsehein- liehkeiten yon verpaBten Signalen und falsehen Alarmen mit der Anzahl der Signalquellen zunehmen. Die Mcnge der Nicht-Signale gleieher ~odalit~t wie die Signalreize beeinflul~t wedcr die Signalcntdeekungen noch die falsehen Alarme. Weiterhin wurde versucht, eine Systematisierung yon Motivationswirkungen in Vigilanzaufgaben im Rahmen des detection-Modells vorzunehmen. Bei groBen Gewinnen ffir richtige Signalentdeckungen und geringen Verlusten ffir falsche Alarme (,,Risiko-Motivation") ergab sich eine wescntlich hShere Entdeekungs- wahrscheinlichkeit und eine geringfiigig hShere Rate yon falschen Alarmen als bei geringen Gewinnen ffir richtige Signalentdeckungen und hohen Kosten ffir falsche Alarme (,,Vorsiehts-lVfotivation"). Weiterhin zeigte sich unter Risiko-Motivation ein Abfall der Entdeckungswahrscheinlichkeit und bei Vorsichts-Motivation ein Anstieg, w~ihrend sieh die entspreehenden Raten der falschen Alarme im Verlauf der Aufgabe nicht signifikant ver~tnderten. * Tell I der Dissertation, die im Januar 1969 der Philosophischen Fakult~t der Freien Universiti~t Berlin vorgelegt wurde.

Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten

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Psychol. Forsch. 33, 100--135 (1970)

Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhahen*

GISELA M~LLWl~

Psyehologisches Insti tut der Freien Universit~Lt Berlin (Direktoren: Prof. Dr. A. O. Jaeger, Prof. Dr. H. HSrmann

und Prof. Dr. K. Holzkamp)

Eingegangen am 6. ~fai 1969

Experimental Application o/Detection Theory to Vigilance Behaviour

Summary. In a 2 x 2 • 2-design the effects of "number of dials," "number of irrelevant stimuli" and "kind of motivation" were combined. I t was found out, that probabilities of missed signals and false alarms increased with spatial uncertainty. The number of irrelevant stimuli, which were of equal sensory modal- i ty as the relevant stimuli, had no inflncnce either on detection probability or on false alarms rate.

Further at tempt was made to systematize effects of motivation on vigilance performance in the detection model. With great values for hits and small costs for false alarms ("risky motivation") there was an essentially higher detection pobability and a slightly higher false alarms rate than with small values for hits and high costs for false detections ("cautious motivation"). The probabilities of detections decreased under risky motivation and increased under cautious motiva- tion as the watch prolonged, whereas the corresponding probabilities of false alarms showed no significant changes.

Zusammen/assung. Mit Hilfe eines 2X2• wurde die Wirkung der ,,Anzahl der Signalfl~Lchen", ,,Anzahl der irrelevanten Reize" und ,,Art der Moti- vation" auf die Vigflanzleistung untersucht. Dabei zeigte sich, dab die Wahrsehein- liehkeiten yon verpaBten Signalen und falsehen Alarmen mit der Anzahl der Signalquellen zunehmen. Die Mcnge der Nicht-Signale gleieher ~odali t~t wie die Signalreize beeinflul~t wedcr die Signalcntdeekungen noch die falsehen Alarme.

Weiterhin wurde versucht, eine Systematisierung yon Motivationswirkungen in Vigilanzaufgaben im Rahmen des detection-Modells vorzunehmen. Bei groBen Gewinnen ffir richtige Signalentdeckungen und geringen Verlusten ffir falsche Alarme (,,Risiko-Motivation") ergab sich eine wescntlich hShere Entdeekungs- wahrscheinlichkeit und eine geringfiigig hShere Rate yon falschen Alarmen als bei geringen Gewinnen ffir richtige Signalentdeckungen und hohen Kosten ffir falsche Alarme (,,Vorsiehts-lVfotivation"). Weiterhin zeigte sich unter Risiko-Motivation ein Abfall der Entdeckungswahrscheinlichkeit und bei Vorsichts-Motivation ein Anstieg, w~ihrend sieh die entspreehenden Raten der falschen Alarme im Verlauf der Aufgabe nicht signifikant ver~tnderten.

* Tell I der Dissertation, die im Januar 1969 der Philosophischen Fakult~t der Freien Universiti~t Berlin vorgelegt wurde.

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A. Einfiihrung in die Problemstellung

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Einer der Ausgangspunkte fiir unsere Untersuchung wird durch die Arbeiten yon Broadbent (1950, 1951, 1954) und Jerison n. Mitarb. (Jerison, 1957, 1959; Jerison und Wallis, 1957; Jerison und Wing, 1957) fiber das Vigilanzverhalten unter komplexen Beobachtungsbedingnngen, d.h. in mehrfli~chigen Anordnungen gebildet. Die folgende Analyse der Vigilanzleistung erfal3t die Rolle der Anzahl der Signalquellen unab- hi~ngig yon der Wirkung der irrelevanten Stimulation. Die darin ent- haltenen Annahmen fiber die Beschaffenheit des informationsverarbeiten- den ,,Mechanismus" k5nnen allgemein in das Gebiet eingeordnet werden, das Verbindungslinien zwischen Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeits- verhalten zu linden sucht.

In diesem Bereich der psychologischen Forschung wurde ein grof]er Teil jener theoretisehen Konstruktionen entwickelt, die zur Erkl~rung yon Vigilanzph/~nomenen herangezogen worden sind, wie beispielsweise das Aktivationskonzept (Deese, 1955; Frankman undAdams, 1962), der Begriff der Erwartung (Baker, 1959, 1963) und der des Filters (Broad- bent, 1958). Die beiden zuerst genannten Ans&tze wurden vorzugsweise zur Interpretation des Vigilanzverhaltens in relativ einfachen Anord- nungen yon der Art des Cambridge Clock Test (Maekworth, 1950) ver- wendet. Die am hKufigsten vertretene Erkl/irung des Vigflanzabfalls in Abhi~ngigkeit yon der Beobachtungsdauer - - die arousal-Theorie - - erfa6t die Abnahme der Entdeckungsleistung als Ausclruck eines dutch die Monotonie der Beobachtungssituation verminderten corticalen Erregungsniveaus. Diese Betrachtungsweise geht auf die yon Moruzzi und Magoun (1949) entdeekte Aktivierungswirkung der Formatio reti- cularis zurfick, die die Funktionsf~higkeit des Cortex' auf Grund eines unspezifischen afferenten Erregungsniveaus gew~hrleistet.

Eine arousal-Interpretation des Vigilanzverhaltens wird dutch Unter- suchungen besti~tigt, in denen die EintSnigkeit der Beobachtungsbedin- gungen durch Einffihrung yon Aufgaben-irrelevanter Stimulation ver- mindert wurde: McGrath (1963) fand, dab die Entdeckungsleistung in einer visuellen Vigilanzaufgabe weniger steil abfie], wenn die Vpn w&hrend der Aufgabe ein Tonbandprogramm aus Musikstficken, Ver- kehrsl/irm, sprachlichen Informationen, etc., hSrten.

Die Menge der irrelevanten Stimulation bildet ffir die arousal-Theorie - - wenn auch bisher nicht explizit ausgearbeitet - - den Ansatzpunkt ffir die Interpretation des Vigilanzverhaltens in mehrflKchigen Anordnungen. Diese sind einmal dadureh gekennzeichnet, dab unter komp]exen Be- obachtungsbedingungen eine grSl~ere Informationsmenge zu verarbeiten ist als bei Vorhandensein einer einzigen Signalquelle. Die Vp hat im

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3-Uhren-Versuch wesentlich mehr Nicht-Signalreize yon cchten Signalcn zu unterscheiden als bei Beobachtung yon nur einer Uhr, deren Signale mit gleicher Frequenz wie in der mehrfl/ichigen Anordnung auftauchen.

Ein zweites Merkmal komplexer Vigilanzbedingungen, das den Ansatzpunkt fiir Jerisons (1957, 1959, 1963) und z.T. auch ffir Broad- bents (1958) Vigilanzkonzeption bfldet, ist, dab die als Signal definierte UmweltKnderung an verschiedenen Orten auftauchen kann. Zus/~tzhch zu der zeitlichen Signalunsicherheit, die in Vigilanzaufgaben in mehr oder weniger ausgepr/tgtem MaBe immer vorhanden ist, enthalten mehrfl/~chige Anordnungen r/~umhche Signalunsicherheit. So ist der Vp bei der Uber- wachung yon drei Uhren nicht bekannt, auf welcher yon ihnen das n/~chste Signal auftauchen wird.

Aus Untersuchungen yon Broadbent (1950, 1951) und Jerison und Wallis (1957) geht hervor, dab die Vigilanzleistung in komplexen An- ordnungen im Verlauf der Aufgabe nicht abnimmt. Bei Darbietung yon LKrm jedoch fanden die Autoren ein Absinken der Entdeckungsleistung. Im Cambridge Clock Test tritt dagegen kein Vigflanzabfall unter L~rm ein (Jerison, 1957).

Dem Versueh, die Ergebnisse von Broadbent und Jerison mit der umgekehrt U-fSrmigen Beziehung zwischen Aktivierung and Leistung in Zusammenhang zu bringen, widersetzt sich die zeit]iche Vcrteilung der Signale, die unter L/s in mehrflKchigen Vigilanzaufgaben verpaBt werden. Wenn die starke Beeintrs einer komplexen Vigilanzleistung dureh L/~rm als Hyper-Aktivierungseffekt betraehtet werden kSnnte, miiBten die StSrwirkungen des L~trms zu Beginn der Aufgabe gr513er sein als am Ende, wenn die Vp sieh mSglichcrweise an den L/~rm gewShnt hat. Die grSBten Beeintr/s durch L~rm zeigen sieh fibereinstimmend bei Broadbent und Jerison gegen Ende der Aufgabe.

Die von Broadbent (1958) und Jerison (1957) gegebenen Erkl/~rungen des Vigilanzverhaltens, die auch die zeitliche Verteilung der unter L/~rm verpal~ten Signa]e beriicksichtigen, kSnnen allgemein als Alternativen zur arousal-Theorie bei einer Interpretation des Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverhaltens verstanden werden. In ihrem Bemiihen, Verbindungslinien zwischen Wahrnehmung und Aufmerksamkeit auf- zuweisen, stellt die arousal-Theorie die energetisehen Aspekte des Ver- haltens in den Mittelpunkt. Dagegen ist der Ansatzpunkt fiir Broadbents Filtertheorie sowie Jerisons Uberlegungen zur,,flexibility of attention" in den inhaltliehen Komponenten des Verhaltens, d.h. in seiner Geriehtet- heir zu sehen.

Jerisons Interpretation des Vigilanzverhaltens (1957) postuhert fiir komplexe Anordnungen zus/~tzlieh zur ,,alertness" oder tier Wachheit,

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die in allen Vigilanzaufgaben beansprueht wird, einen Faktor der ,,flexibility of attention", der dutch einfaehe ,,focussing"-Aufgaben nieht zu affizieren ist. Die Darbietung yon Lgrm beeintr/~chtigt nieht die Waehheit, sondern nur die Flexibilit/it der Aufmerksamkeit. Auf die Arbeitsweise dieses hypothetisehen Flexibilit/~tsmeehanismus' geht Jerison jedoeh nicht ein.

In der kommunikationstheoretisehen Behandlung des Vigilanz- verhaltens dureh Broadbent (1958) ist die Informationsverarbeitung des Wahrnehmungssystems dutch eine Reihe von Armahmen n/iher ge- kennzeiehnet. Broadbents Modell erfaBt das Nervensystem als einen Kommunikationskanal, der infolge seiner begrenzten Kapazit/~t nieht alle yon den Sinnesorganen aufgenommenen Informationen gleiehzeitig verarbeiten kann. Der Selektionsprozeg, dem die Informationen fiber die Umweltereignisse unterworfen sind, wird mit der Tgtigkeit eines ,,Filters" vergliehen, der die Zentrale mit jewefls einem ,,sensorisehen Kanal" verbindet. Dabei werden die Auswahlbedingungen sowohl dureh physika- lische Eigensehaften der Stimulus-Ereignisse selbst wie beispielsweise Intensit/it, als aneh dureh Organismusvariable wie Antrieb bestimmt.

Naeh Broadbent (1958) ist die Beeintrgehtigung der Beobaehtungs- leistung dutch L~rm oder zeitliehe Ausdehnung einer 1)berwaehungs- aufgabe in dem Auftreten yon Filterumsehaltungen begrfindet. Als Filterumsehaltung wird die kurzfristige Aufnahme von Aufgaben- irrelevanter Information, z.B. yon L/~rm verstanden. Dieses ,,filter- switching", das Broadbent mit einem Lidsehlag vergleieht, kann zwar eine Zeitlang willktirlieh verhindert werden, aber auf die Dauer nicht vollst/~ndig unterdrfiekt werden. Dadureh, dag irrelevante Information w~hrend einer FilterumsehMtung die zentrale Kanalkapazitgt be- ansprueht, ist die Aufgaben-Information kurzfristig vor dem verarbeiten- den Zentrum blockiert. Das bedeutet, dag ein w/~hrend eines Filter- umsehlags auftauehendes Signal nieht entdeekt werden kann.

Das filter-switching oder die Wanderung der Aufmerksamkeit tritt Broadbent zufolge nieht nut zwisehen versehiedenen Sinnesgebieten, sondern aueh innerhalb jeder einzelnen Sinnesmodalit/~t auf: der Abfall der Entdeckungsleistung in einfaehen Vigilanzaufgaben ist naeh Broad- bent dureh die Zunahme der FilterumsehMtungen als Ausdruek des verminderten Neuheitswertes der Signalinformation zu verstehen.

Voraussetzung ffir die L6sung des Problems, wie die Ver/~nderungs- rate der Entdeekungsleistung in Abh/~ngigkeit yon der Anzahl der Signal- qnellen erkl~rt werden kann, seheint die Interpretation der Beobaehtungs- leistung bei ein- und mehrfl/~ehiger Darbietungsweise fiberhaupt zu sein. So stellt sieh ffir Broadbents (1958) Theorie im Itinbliek auf die Deutung der geringen Entdeekungsleistung bei Vorhandensein yon mehreren

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Signalquellen die Frage, wodureh die im Vergleieh zum einflgchigen Vigilanzversuch vergrSl~erte Anzahl yon intra-modalen Filterumschal- tungen zustandekommt. Aus Broadbents Filtertheorie (1958) geht nicht hervor, ob sich seine Deutung des F1/teheneffekts auf die Menge der irrele- vanten Stimulation oder den Grad der r/iumlichen Signahmsicherheit stiitzt. Wo konkrete Annahmen fiber die spezifisehen Prozesse des hypo- thetischen Wahrnehmungsmechanismus' e'me Vorhersage der Vigilanz- leistung ermSglichen wfirden, bleibt Broadbents Konzeption formal, wie an Hand der Entdeekungsleistung in unserer ein- und mehrfl~ehigen Vigilanzanordnung zu zeigen sein wird (s. S. ll4ff.).

Bei dem Versuch, die geringe Beobaehtungsleistung im mehrfls Vigflanzversuch durch die r/~umliche Signalunsieherheit zu begrfinden, nehmen wir eine inhaltliche Erg~nzung des Broadbentschen Ansatzes dureh Uberlegungen yon Piaget (1966) fiber die Wanderung der AuL merksamkeit und ihre Bedeutung ffir die Organisation des Wahrneh- mungsraums vor. Die Beschr/inkung dabei auf den visuellen Bereieh ist yon unserem Interesse an der Erkls yon Vigflanzleistungen in ein- und mehrfl/~chigen Versuehsanordnungen zu verstehen. Es erscheint angesiehts der Konsequenzen, die Piagets Konstruktum der Zentrierung ffir die Entwieklung des Denkens (1966, 83) besitzt, evident, dab der von Piaget angenommene Gliederungsmeehanismus yon grundiegender Be- deutung flit die Interpretation kognitiven Verhaltens allgemein ist.

Die Untersuehung yon Relevantem und Irrelevantem, yon ,,Figur" und ,,Grund", betrifft das yon Piaget ausffihrlieh behandelte Problem der Gliederung des Wahrnehmungsraums. Naeh Piaget ist ..... der Wahrnehmungsraum...nieht homogen, er ist in j edem Augenbliek zen- triert. . ." (1966, 82). Die Zentrierung der Aufmerksamkeit auf ein be- stimmtes Objekt beinhaltet bei Piaget eine Differenzierung des Wahr- nehmungsraums in Zentrum und Peripherie. Diese GHederung des Wahrnehmungsraums 1/iBt die Objekte in seinem Zentrum klar und deutlieh hervortreten, w~hrend jene der Peripherie in einer Zone der Unsch/irfe und Unbestimmtheit bleiben.

Zentrierung eines Objektes kann als subjektive VergrSBerung der Operationalisierung zug/~nglieh gemaeht werden. , .... Das Element, dem eine grSBere Beaehtung geschenkt wird .... Mrd systematiseh fiberschs und zwar sowohl bei Vergleichen, die in der ffontal-parallelen Ebene, wie bei solchen, die in der Tiefe vorgenommen werden..." (1966, 81fl).

Die Zentrierungseffekte als Akzentuierung des in Frage stehenden Elementes k6nnen unter geeigneten experimentellen Bedingungen, wie sie beispielsweise in den sog. geometrisch-optischen T/~usehungen gegeben sind, als VergrSBerung des Wahrnehmungsobjektes gemessen werden. So haben Versuehe yon Piaget u. Mitarb. (1958) an einer einfaehen optisehen T/~usehung (Oppel-Kundt) ergeben, dab sieh der T/~uschungsbetrag bei

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ansteigender Darbietungszeit im Tachistoskop, d.h. mit der Anzahl yon Zentrierungen vergrSBert.

Ist Ver/inderung des Wahrnehmungsraums im Sinne einer VergrSBe- rung als ein Zentrierungseffekt darzustellen, so besteht ftir Piaget (1966) die Leistung der ,,Dezentrierung", der Wanderung des Blieks oder der Aufmerksamkeitin der Aufhebung dieser Veff/ilsehungen. Das Zusammen- spiel yon Zentrierung und Dezentrierung ist eine konstruktive Tgtigkeit des Subjekts, die dem Wahrnehmungsraum Konstanzen und Kontraste verleiht.

In dieser Konzeption wird das Konstruetum des Filters gleiehsam als ein Aufmerksamkeitsstrahl vorgestellt, der die Objekte des Wahr- nehmungsraums abtastet und diesen bei jeder Zentrierung in konzen- triseh angeordnete Tiefenseh~rfe-Regionen verwandelt. Der Weehsel der Zentrierungsriehtungen kann vonder Seite der Stimuli her dutch die Anzahl der pro Zeiteinheit erhobenen Daten bzw. dureh die Redundanz dieser Informationen effa6t werden.

Die Heraushebung eines Elements im Prozeg der Zentrierung wird dutch die Anordnung der Stimuli beeinflul3t, wie yon Piaget u. Mitarb. (1958) sowie yon Gardner und Long (1960a, b) an optisehen Tgusehungen naehgewiesen wurde. Damit wird die r~umliehe Gliederung und Aus- dehnung der Signalquelle in einer Vigilanzaufgabe zu einer fiir die Entdeekungsleistung wiehtigen Variablen. Ein Tell der Anordnung, in dem die Signale auftauehen kSnnen, wird dureh die Zentrierung der Aufmerksamkeit als ein eng umrissener Bereieh pr/~zise yon dem irrele- vanten Tell abgegrenzt.

Nehmen wit als Beispiel den bereits mehrfaeh erw/~hnten Cambridge Clock-Test yon Maekworth (1950); in dieser Vigilanzaufgabe rtiekt ein sehmaler, sehwarzer Zeiger vor einem weigen, uhren/ihnliehen Ziffern- blatt jede Sekunde um ein kleines Stiiekehen welter, wobei Zeigerspriinge yon doppelter Gr56e als Signale definiert sind. Die im Cambridge Cloek- Test vorhandene Stimulus-Anordnung tr~gt der Gliederung des Wahr- nehmungsraums dutch die r/~umliehe Trennung yon m6gliehem Signal- bereieh (Zeiger) und irrelevanter Peripherie (Ziffernblatt) Reehnung. Voraussetzung f/it eine Signalentdeekung ist ein kontinuierliehes Zen- trieren des Zeigers. Diese Zentrierung jedoeh ist in ihrer zeitliehen Erstreekung begrenzt. Der Abbrueh der Zentrierung oder die Wanderung der Aufmerksamkeit, die in einer Dezentrierung auf das Ziffernblatt besteht, wird dariiberhinaus dutch das seltene Auftauehen der Signale nahegelegt. Die Dezentrierungen erkl/~ren das Verpassen yon Signalen: ein w~hrend einer Dezentrierung auftauchendes Signal kann nieht ent- deekt werden. Bei unvollst/~ndigen, d.h. zu kurzen Zentrierungen des Zeigers vor oder naeh einer Wanderung der Aufmerksamkeit auf den irrelevanten Bereieh der Anzeigeeinheit, kSnnen ,,falsehe Alarme"

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auftreten. Unter falsehen Alarmen sind Registrierungen eines Signals zu verstehen, wenn objektiv gar keins vorhanden is$.

Da das Zentrum der Aufmerksamkeit eine geringe Ausdehnung auf- weist, ist es nicht m6glich, in der komplexen Vigilanzaufgabe die drei Zeiger gleichzeitig zu zentrieren. Die Vp hat in schnellem Wechsel die Zeiger nacheinander in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu riicken. Mit der Anzahl der geforderten Zentrierungen jedoeh steigt die Wahrschein- liehkeit yon Dezentrierungen, in denen Signale verpaBt werden kSnnen, was die im Vergleich zum einfl~ehigen Vigilanzversuch schlechtere durchschnittliche Entdeckungsleistung erkli~ren wiirde.

Auf Grund der Koordiniernng yon Zentrierung und Dezentrierung nehmen wir an, dal~ die intra-modale Wanderung der Aufmerksamkeit yon den Zen~rierungsrichtungen abh~ngig ist, die der Vp dutch den Grad der Signalunsicherheit der Aufgabe abverlangt werden. Die Menge der Nicht-Signalreize gleicher Modalit~tt stellt neben der Anzahl der Signalquellen ein Merkmal komplexer Vigilanzaufgaben dar, das dieser Auffassung zufolge relativ geringe Bedeutung fiir die Entdeckungs- leistung besitzt. Das Aktivierungskonzept grfindet seine Vorhersagen jedoch gerade auf die Menge der irrelevanten Stimulation und spricht ihr einen gfinstigen Einflul~ auf die Entdeckungsleistung in komplexen Vigilanzaufgaben zu. Die dargestellte Problematik werden wir im Fort- gang der Arbeit eingehend zu untersuchen haben.

I I

Der zweite Problemkreis unserer Arbeit betrifft die psychologische Bedeutung yon falschen Alarmen. Das Auftreten dieser Art von Fehlern wurde bisher in der Vigilanzforschung - - von wenigen Ausnahmen abgesehen - - nicht systematisch behandelt. Den Grund ffir dieses Unter- lassen sehen Broadbent und Gregory (1963) darin, da$ falsche Alarme h~ufig implizit als miSglfickte Versuche angesehen werden, die En~- deckungsleistung dutch l~aten zu verbessern.

Auf Grund der niedrigen Signalfrequenz in Vigilanzau~gaben ist die Wahrscheinlichkeit des richtigen l~atens stark reduziert. Der Versuch der Vp, durch Raten ihre Leistung zu verbessern, wirkt sich demnach mit wesentlich geringererWahrscheinlichkeit auf die Entdeekungsleistung aus als auf den Anteil yon falschen Alarmen.

Diese Betrachtung der falschen Alarme rechtfertigt zwar ihre Ver- nachlgssigung in Vigilanzversuehen. Die Zweckmi~l~igkeit einer solchen Perspektive jedoeh wird durch ein yon Tanner und Swets (1954) ent- wiekeltes Model1 in Frage gestellt. Das detection-Modell meint, eine unbedeutende Erh6hung oder Verminderung der falschen Alarme rule auf der Seite der richtigen Signalentdeckungen eine gleiehsinnige, sehr grol~e Veri~nderung hervor. Wenn diese Vorhersage zutrifft, dfirfen falsche

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Ent scheidungsvariabte x =

Abb. 1. Wahrscheinlichkeitsdiehtefunk~ion yon L~rm (].~T(x)) und L~rm plus Signal (/sly(z))

Alarme in Vigilanzaufgaben bei der Auswertung nieht einfaeh wie bisher unberfieksiehtigt bleiben.

Ftir die Arbeitsweise des zentralen Meehanismus' des Wahrnehmungs- gesehehens werden im deteetion-Modell zwei Annahmen gemaeht: die eine betrifft die sensorisehe Kontinuit~t, die andere einen dureh Motiva- tionsvariable verstellbaren Response-Faktor.

Die deteetion-Theorie meint, die im Sehwellenbegriff enthaltene Diskontinuit&tsalmahme sei ein Spiegel der spraehliehen Diehotomie ,,ja"-,,nein" und nieht die Reflexion der Besehaffenheit des sensorisehen Ereignisses, das der expliziten Entseheidung zugrundeliegt. Das sen- sorisehe System funktioniere nieht in Analogie zur Alles-oder-Niehts- Regel der isolierten Nervenzelle, sondern sei dureh kontinuierliehe Oszillation gekennzeiehnet. Diese Oszillation wird als neurales t~ansehen, als Repr/isentation yon ,,L&rm" interner und externer Art vorgestellt. Die detection-Theorie n immt an, dag der interne L~rmpegel bei Ein- wirkung eines /tuBeren i%eizes, eines ,,Signals", um einen bestimmten Betrag vergr6Bert wird.

In Sehwellenuntersuehungen ist die Vp mit der Aufgabe konfrontiert, zu entseheiden, ob das jeweilige sensorisehe Ereignis (x) allein dureh die Zufallssehwankungen des L&rms (N) oder dureh das Zusammen- wh~ von ,,Li~rm plus Signal" (S2V) realisiert ist. Jedes sensorisehe Ereignis x wird mit einer bestimmten Wahrseheinliehkeit allein dureh L~trm oder dutch Ls plus Signal zustandekommen k6nnen, was in Abb. 1 dargestellt ist.

Dabei ist auf der x-Achse yon Abb. 1 die kontinuierliehe Variable des sensorisehen Ereignisses x aufgetragen und auf der y-Aehse die Wahrscheinliehkeitsdiehte dieser Variablen. Es werden Wahrseheinlieh- keitsdiehtefunktionen anstelle yon Wahrseheinliehkeitsfunktionen ver- wendet, da x eine kontinuierliehe Variable ist. Die linke Verteilung (]~v(x)) stellt die Wahrseheinliehkeitsdiehtefunktion dar, dab x allein

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dutch L~rm entsteht, und die reehte Verteilung ([~N(x)), dab x durch LKrm plus Signal hervorgerufen ist. Die beiden Klassen yon L~rm und L/~rm plus Signal sind in ihrer Bildung, in ihrem Gebrauch und ihrer Fortentwicklung aufeinander bezogen. Der Beobaehter ordnet ein Ereig- nis nieht in absolute Klassen ein, er nimmt vielmehr Relationen zwischen den ihm zur Verffigung stehenden Kategorien wahr. Er erkennt bei der Wahrnehmung eines Ereignisses, welche Beziehungen ffir dieses Ereignis zwischen den beiden Kategorien N und SN bestehen. Das heiBt, er kennt die Wahrscheinlichkeitsdiehte, da$ ein Ereignis auf Grund yon Ls allein (IN(x)) oder dutch L~rm plus Signal (fs~v(X)) zustande ge- kommen ist. Ffir jede Affizierung des sensorisehen Systems besteht also das Verh~ltnis der Wahrscheinliehkeitsdichten (,,likelihood ratio" l(x)):

~(x) =/~(z):A,~(x).

Daraus wird deutlich, da$ ]edes sensoriselie Datum ungeachtet seiner Komplexit/~t in einem einzigen numerisehen Weft l(x) dargestellt werden kann, dessen Reprs auf einer einzigen Dimension vorzunahmen ist. Die Betraehtung dessen, was der Entscheidung der Person zugrunde liegt, als eindimensional, ist gerechtfertigt, da wir das sansorische Er- eignis mit dem ihm zukommenden likelihood ratio identifizieren kSnnen. Damit wird die Achse des sensorischen Ereignisses (x), die Entsehei- dungsaehse, zur Aehse des likehood ratio l(x).

Auf der Basis des in seiner GrSfie variierenden sensorisehen Ereig- nisses x bzw. seines ihm zukommenden Wahrscheinlichkeitsdichte- verhs t(x) entseheidet der Beobaahter in einer deteetion-Aufgabe fiir jedes gegebene x i zwischen den beiden Hypothesen, ob x durch L~rm oder dureh L/~rm plus Signal entstanden ist. Beide Hypothesen treffen mit bestimmten Wahrseheinliehkeiten ffir jades x i zu.

Der Beobachter wh'd die Umst/~nde spezifizieren, unter denen er sich fiir die Hypothese S N (,,]a, es ]iegt ein Signal vor") entseheiden will, indem er eine:l Kriteriumswert (/3), ein Wahrscheinliehkeitsdiehtever- h/s von bestimmter GrSSe, festsetzt, mit dem er das jeweilige l(xi) vergleieht. Wenn l(xi) grSI3er als /~, wird er ,,ja" (A) sagen, wenn l(x2) kleiner ist als/~, wird ar ,,nein" (B) sagen.

Bei Anwendung diaser Entscheidungsregel bestehen folgende Fehler- mSgliehkeiten:

Es wird die Entseheidung A getroffen, wenn N vorliegt; d.h. es tr i t t ein sog. ,,[alscher Alarm" auf. Die Entscheidung B, wenn SN realisiert ist, wiirde ein ,,verpa/3tes Signal" bedeuten. Falsehe Alarme kSnnen wir in Analogie zur Priifung yon t typothesen in der Statistik als Typ LFehler und verpaBte Signale als Typ II-Fehler auffassen. In der Theorie des statistisehen SehlieBens meint ein l~ehler vom Typ I das Zurfiekwaise~

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einer riehtigen Nullhypothese und ein Fehler vom Typ I I die Aufrecht- erhaltung einer falsehen Nullhypothese.

Auf Grund der Kontinuits kann die detection-Theorie das Auftreten yon beiden Fehlerarten erkls Wenn N vorliegt, kann fi durch die Zufallsschwankungen des L~rms /iberschritten werden, was bei Anwendung der Entscheidungsregel zu einem falschen Alarm ffihrt. In ~hnlicher Weise kann infolge dieser Oszillation bei einem Ereig~fis SN der Kriteriumswert nieht erreicht werden und die Entscheidung B getroffen werden.

Aus Arbeiten der detection-Theorie (z. B. Swets, Tanner und Birdsall, 1961) gehen die Determinanten des fl-Wertes hervor, fl ist einmal yon den a priori-Wahrscheinlichkeiten dcr Stimulus-Bedingungen abh~ngig. Ein niedriger Wert von fl wird dutch eine grebe Wahrseheinliehkeit von SN und eine geringe Wahrscheinliehkeit yon N erzielt. Dagegen ist bei einer geringen Signalrate und einer hohen Wahrscheinlichkeit der • Signale ein hoher fi-Wert vorhanden. In Vigilanzaufgaben haben wit auf Grund der geringen Wahrscheinlichkeit der kritisehen Signale all- gemein mit rela~iv hohen fl-Werten zu rechnen.

Die zweite Determinante des Entscheidungskriteriums ist in den Utilit/~ten der ,,outcomes" zu sehen. Swets, Tanner und Birdsall (1961) beweisen mit Hilfe einer ,,expectedvalue"-Definition des Entscheidungs- optimums, dab eine Maximierung des Erwartungswertes einer Entsehei- dung dureh eine Erh6hung der P(A[SN), d.h. der hits, und eine Ver- ringerung der P(A]N), d.h. der false alarms zu erzielen ist. Ein hoher Wert yon/ /wird demzufolge dutch eine Erh6hung der Wahrscheinlichkeit yon N sowie dutch eine Erh6hung des positiven Wertes yon richtigen Zurfickweisungen und/oder eine l~eduzierung der Kosten yon falschen Alarmen erreicht. Dagegen wh'd fi vermindert durch eine Erh6hung der Wahrseheinlichkeit yon SN und eine Erh6hung des Wertes yon richtigen Entdeeknngen nnd/oder eine Verminderung der Kosten yon verpal]ten Signalen.

Wenn wh ~ in einem detection-Experiment die Signalraten festlegen sowie die costs und values der Entscheidungsm6gliehkeiten quantitativ bestimmen, k6nnen wir den jeweiligen fl-Wert ermitteln. Ein hoher Wert yon/3, der durch relativ hohe Kosten yon falsehen Alarmen und geringe Gewinne bei riehtigen Entdeeknngen znstandekommt, bezeichnen wit als ,,Vorsichts-Kriterium", da die Vp nur mit Vorsieht eine A-Ent- scheidung treffen wird. Dagegen sprechen wit yon einem ,,Risiko- Kriterium", wenn ein niedriger #-Wert auf hohen Gewinnen bei riehtigen Signalentdeckungen nnd geringen Kosten yon falschen Alarmen beruht; die Vp wird dann bei ihren Signalentdeckungen gelegentlieh falsche Alarme ,,riskieren".

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i10 G. IV[iiller:

In ttinsicht auf die Vigilanzleistung besteht die M6gliehkeit, die h/iufig beobaehtete Empfindfiehkeit der Entdeekungsleistung gegeniiber Motivationsbedingungen als Ver/inderung der bei der Signalentdeekung verwendeten Sorgfalt aufzufassen. Dal3 Hinweise ffir die AbMngigkeit der Vigilanzleistung yon Motivationsvariablen bisher nur vereinzelt aui- gegriffen sind (z. B. Loeb und Jeantheau, 1958; MeOormaek, 1959, 1962), ist angesiehts der Ergebnisse und Diskussionen der Sehule der Social Perception (Graumann, 1955/56) fiber die engen Beziehungen zwischen Motivation und Wahrnehmung erstaunlich. Die motivationale Steuerung des Vigilanzverhaltens kann durch Variation der Utiliti~ten der Ent- seheidungsmSgliehkeiten systematisch nntersueht werden. Wir nehmen an, dal3 die Wirkung yon Motivationsvariablen in einer Vers des Kriteriums ffir die Unterscheidung yon Signal- und Nicht-Signal- reizen besteht.

So kSnnte die fiberlegene Entdeckungsleistung jener Vpn, die in Anwesenheit des V1 (Fraser, 1953), eines zweiten Beobachters (Bergum und Lehr, 1962) oder einer Autoritgtsperson des BeruMebens der Vp (Bergum und Lehr, 1963) dadurch zu erkl~ren sein, dal3 durch die Betonung yon Wettbewerb oder autorit~rer Kon- trolle in einer sozialen Situation die 10ositiven und negativen Werte der Entschei- dungsmSglichkeiten erhSht werden. Eine ErhShung der Kosten yon verpal~ten Signalen und der Gewinne bei richtigen Signalentdeckungen aber bedeutet im Rahmen des detection-lVIodeUs eine Verminderung yon fl, die als eine gro~e Bereit- sch~ft, eine Ja-Entscheidm~g zu fallen, zu betrachten is~.

In den genannten Untersuchungen wurde die Rate der falschen Alarme nicht berficksichtigt. Mit Hilfe yon Abb. 2 soll erl~utert werden, dal3 sich bei einer Versehiebung des Entscheidungskriteriums die Rate der falschen Alarme kaum veri~ndert, die Wahrscheinlichkeit der rich- tigen Signalentdeckungen dagegen in betriichtlichem Mal~e.

An Abb. 2 ist auf der x-Achse wiederum die Entscheidungsvariable x nnd auf der y-Achse deren Wahrscheinlichkeitsdichte aufgetragen. Hin- sichtlich der Lage des Entscheidungskriteriums fi in dieser Abb. scheint grundsi~tzlich folgende Uberlegung yon Wichtigkeit zu sein: fiir den Fall, dal3 die a priori-Wahrscheinlichkeiten der Stimulns-Bedingungen gleich sind, ist das optimale Kri ter ium ffir die Unterscheidung yon N- und SN-Ereignissen im Schnit tpunkt der beiden Kurven zu lokali- sieren. In Vigflanzaufgaben jedoch, in denen die Wahrseheinlichkeit der N wesentlich grSl3er ist als die der S_N, haben wir allgemein mit grSl3eren fl-Werten zu rechnen, die rechts yore Schnit tpunkt der Kurven dargestellt werden.

In Abb. 2 soll /(xl) ein Risiko-Kriterium und /(x2) ein Vorsichts- Kri terinm symbolisieren. Ein Vergleieh der Integrale, die durch die beiden Ordinaten in / (x0 , und l(x2), die x-Achse und die Kurvenzfige/:v(x) bzw. /s~v(X) gebfldet werden, ergibt folgendes : das linksschraffierte Integral, das durch die N-Kurve begrenzt wird, ist wesenthch kleiner als das Integral

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Allgemeinpsycho]ogische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 111

t(xl) t(x2) Entscheidungsvariabte x

Abb. 2. Entdeckungsleistung bei einem Risiko-Kriterium (l(xl)) und einem Vorsichts- Kriterium (l( x2) )

unter der SN-Kurve . Das bedeutet , dal~ ein Beobachter mit einem Risiko-Kri ter ium einen geringfiigigen Tefl yon falschen Alarmen, aber einen groBen Tell yon riehtigen Entdeekungen mehr ha t als ein Beobaeh- ter, der ein Vorsiehts-Kriterium angenommen hat.

Die Zweckm~Bigkeit, diese Betrachtungsweise des detection-Modells auch auf die Leistung in Vigilanzaufgaben auszudehnen, wird durch eine Untersuchung yon Sipowicz u.a. (1962) nahegelegt. Die Autoren fanden, dab die in der Kontrollgruppe beobachteten Leistungsdifferenzen in den experimentellen Gruppen, denen einmal ,,Kenntnis der Resultate" iibermittelt, zum anderen eine yon der Leistung abhKngig gemachte Geldbelohnung versprochen wurde, auf ein einheitliches, nahezu 100 % iges Entdeckungsniveau gebracht wurden. Dabei unterschieden sich ,,Kenntnis der Ergebnisse" und Geldbelohnung nicht in ihrer Wirkung auf die Leistung. Weiterhin zeigte sich bei ,,Kenntnis der Ergebnisse" eine - - wenn auch nicht signifikant - - grS/]ere Anzahl yon falschen Alarmen. Die geringfiigige Ver~nderung der falschen Alarme in Zusammenhang mit einer starken ErhShung der richtigen Signal- en~deckungen scheint die Vermutung zu best~tigen, dab Motivationsvariable die bei der Signalen~deckung verwendete Sorgfal~ im Sinne der deteetion-Theorie affizieren.

MSgheherweise kSnnen wit mit Hilfe der dargestellten Risiko- Hypothese Aufsehlul~ fiber die zeithehe Ver/~nderung der Vigilanzleistung gewinnen. Dieser Hypothese zufolge fassen wir den Abfall der Signal- entdeckungen yon der ersten zur zweiten Beobaehtungsperiode als Aus- druck einer Verschiebung des Entscheidungskri ter iums zu grSl~erer Vor- sieht auf. Wir nehmen an, dal~ die Vp zu Beginn einer V~gilanzaufgabe ein Risiko-Kri ter ium annimmt, das sieh im Verlauf der Aufgabe in Rich tung vergrSl~erter Vorsicht verste]lt. Mit der Ver]agerung yon l(xl) zu l(x2) geht eine geringffigige Abnahme der falsehen Alarme, abet eine starke Verminderung der richtigen Signalentdeekungen vonstat ten.

B. Versuchsanordnung

Die Organisation des Stimulus-Materials ist nach Piagets (1966) Konzeption fiber die Gliederung des Wahrnehmungsraums eine ffir die Signalentdeckung wichtige Variable. Im Cambridge Clock-Test ist tier fiir die Signalentdeckung

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112 G. Mfiller:

kritische Bereich ein sich ruckweise vorw~rts bewegender Zeiger, der sich vor dem irrelevanten I-Iintergrund des Ziffernblattes abhebt.

In der eigenen Untersuchung wurde eine Vereinfachung und Prgzisierung dieser Gliederung in kritisehen Signalbereich und irrelevante Peripherie vorgenom- men: der Bereich der Signale ist ein eng umrissener Ort der Anzeigeeinheit, n~m- lich ihr Zentrum, wohingegen wir den irrelevanten Bereich der Nicht-Signalreize als Peripherie der Signalquelle bestimmen. DaB die Mitre eines Feldes einen aus- gezeichneten Punkt darstellt, der am st~rksten beachtet wird, geht aus einer Vigilanzuntersuehung yon Baker (1958) hervor; yon den Signalen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit an verschiedenen Stellen eines TV-~hnlichen Schirms auftauchen kSnnen, werden periphere wesentlich h~ufiger als mittlere verpa6t.

In der eigenen Anordnung hat die Vp drei quadratische (25 • 25 cm) auf einem schwarzen Brett angebrachte Mattscheiben zu beobachten, hinter denen jeweils 13 Gliihl~mpchen installiert sind. Als Signal ist das Aufleuchten des Liimpchens in der Mitre jeder Signalquelle ffir die Dauer yon 1,5 see definiert. Die Entdeckung eines Signals zeigt die Vp dutch das ~qiederdrficken einer bestimmten Taste an. Die Reizdarbietung und Reaktionsregistrierung erfolgte vollautomatisch.

Die irrelevanten Reize sind L~mpchen augerhalb des Zentrums, die in ver- schiedenen Kombinationen ebenfalls fiir 1,5 sec mit einer Pause yon 0,5 sec auf- leuehten. Insgesamt konnten 12 verschiedene Kombinationen der Nicht-Signal- li~mpchen realisiert werden; diese 12 L~mpchen-patterns sind in einer Zufallsfolge yon 50 etwa gleich h~ufig vertreten, die wKhrend des Versuehs ohne Unterbrechung dauernd wiederholt wird.

Das rhythmische Aufleuchten und ErlSschen der Li~mpchen nimmt eine Auf- teilung der Aufgabendauer yon insgesamt 65 rain in 1920 ,,Beobachtungsintervalle" vor. In 48 der 1920 Beobachtungsintervalle werden Signale gegeben, w~hrend in den fibrigen 1872 nur die peripheren Nicht-Signallgmpchen aufleuchten. Das heiBt, in den Beobachtungsintervallen ist entweder nut ,,Lgrm" (N) auf den Mattscheiben vorhanden oder ,,Signal plus L~rm" (SN), das zusKtzliche Aufleuehten einer der zentralen Lampen.

Im Verlauf der Beobachtungsaufgabe wurde viermal ohne Unterbrechung ein der Mackworth-Serie (1950) angeglichenes Signalprogramm gegeben. In unserer Serie der Darbietungen enthielten einige L~mpchen-Kombinationen ein Signal, und zwar im ersten Viertel der Aufgabe die folgenden Beobachtungsintervalle: 12--24--49--80--112--129--209--224--240--272--320--480. Der Abfolge der auf- gefiihrten Beobachtungsintervalle entspricht folgende Zeitbasis in sec: 24--4:8--98-- 160--224--258--418--448--480--544--640--960.

Eine ~bungsperiode yon ca. 15 rain diente dazu, die Vp mit den zeitlichen Verh~ltnissen yon Beobachtungsintervall und Pause vertraut zu machen. In dieser Einiibungsphase lernt die Vp, da$ das Auftauchen eines Signals gleiehzeitig mit dem Aufleuchten der ~qicht-Signale erfolgt und dab die Signale noch innerhalb des zugehSrigen Beobachtungsintervalls registriert werden sollen.

Die Einteflung der Vigilanzaufgabe in Beobaehtungsintervalle dient der Be- stimmung der Falsehen-Alarm-Rate. Die Wahrscheinlichkeit yon richtigen Signal- entdeckungen (P(A ISN)) ist die Rate yon Signalregistrierungen in den SN-Beob- achtungsintervallen, was der Entdeckungswahrscheinlichkeit in den iiblichen, nicht in diskrete Einheiten zerlegten Vigflanzaufgaben entspricht. Die Ermittlung der Rate der falschen Alarme (P(A]N)) ist infolge der Beschri~nkung des Zeitpunktes, zu dem fiberhaupt ein Signal auftreten kann - - n~mlich zu Beginn eines Beobach- tungsintervalls - - in ~hnlicher Weise mSglich: die false-alarms-Wahrscheinlichkeit ist die Rate der Signalregistrierung bei jenen Beobachtungsintervallen, in denen kein Signal gegeben wurde (N).

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Allgemeinpsyehologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 113

ein Signal kein Signal ein Signal kein Signal vorhanden vorhanden vorhanden vorhanden

eine Taste driicken

keine Taste driieken

+ 50

- - 5 0

eine Taste -- 1 driicken

keine Taste -4- 1 driicken

§

- -1

- -50

+ 5 0

a) Risko-Matrix b) Vorsichts-~Iatrix

Abb. 3. Die pay-off-Matrices

Die Zusammenschaltung der L~mpehen gestattet es, nut eine oder atIe ch'ei Mattscheiben zu beleuchten. Bei einfl~chiger Darbietungsweise wird nur eine F1/~che zur Darbietung relevanter und irrelevanter Reize verwendet. Unter mehrfl/ichigen Darbietungsbedingungen dagegen werden auf allen drei Fl~chen unabh~ngig voneinander Signale gegeben, wobei die zeitliche Verteilung der Signale auf die drei Flachen zuf~llig ist mit der Einschr~nkung, dab auf allen drei Fl~chen ins- gesamt gleich viele Signale aufleuchten.

Neben der Anzaht der Signalquellen wurde in unseren Vigilanzaufgaben die Menge der irrelevanten Stimulation veri~ndert. Als hTelevante Stimulation gilt sowohl in der einfli~ehigen als auch in der mehrfliichigen Beobachtungsaufgabe das Aufleuchten der peripheren Li~mpchen. Die Veri~nderung der Anzahl der Nicht- Signalreize ermSglicht eine quantitative Abstufung der irrelevanten Stimulation. Dabei wird das Vorhandensein von 2 ~ Li~mpehen pro Fl~ehe als eine monotone Beobaehtungssituation aufgefaBt und als starker aktivierende Stimulationsbedin- gung das Aufleuehten yon 9--12 irrelevanten Lgmpehen auf jeder Signalquelle.

Den Zusammenhang zwisehen den Wahrscheinlichkeiten yon riehtigen Signal- entdeckungen und falschen Alarmen wollen wir durch die Kategorie der gisiko- bereitsehaft zu kli~ren suchen, die die dritte unabhiingige Variable unserer Experi- mente darstellt. Die Ver~nderung der Risikobereitschaft der Vigilanzsituation wurde dnrch Variation der Kosten yon falsehen Alarmen und verpaBten Signalen sowie der Gewinne bei riehtigen Entscheidungen erzielt. Die Utilit~ten der Ent- seheidungsmSglichkeiten wurden nach der (~oungsperiode, in der die Vp Signal- darbietungen yon Nieht-Signaldarbietungen zu unterscheiden lernte, mit Hilfe yon ,,pay-off"-Matrices festgelegt.

Die in Abb. 3a wiedergegebene Matrix soll die Vp zum Risiko yon falsehen Alarmen veranlassen. Weiterhin erwarten wir, dab die Matrix b von Abb. 3 der Vp besondere Vorsicht bei der Signalentdeckung vermittelt. In den entspreehenden Instruktionen wurde die Bedeutung der jewefligen Matrix ausfiihrlich erl~utert und ihr Verst~i.ndnis durch Fragen an die Vp gesichert.

Da jede unserer drei allgemeinpsychologisehen Variablen, d.h. ,,Anzahl der Fl~chen" (A), ,,Menge der irrelevanten Stimulation" (B) und ,,Art der Motivation" (C) in zwei Auspriigungsgraden verwendet wurde, ergibt sich als Versnehsplan ein 2 • • Die 8 m6gliehen Kombinationen der Versuchsbedingungen wurden 8 versehiedenen Vpn-Gruppen zu je 10 Vpn gegeben. Die Vpn fiihrten die Experimente im Einzelversueh durch. Insgesamt nahmen 80 Studenten verschie- dener Yakult~ten an den Hauptversuehen tell. Weitere 60 Studenten hatten sieh fiir die umfangreichen Vorversuche zur Verfiigung gestellt.

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114 G. Miiller:

C. Die entdeckten Signale

Der Abh/~ngigkeit der Entdeckungsleistung yon der Anzahl der Signalquellen ist in der Vigilanzforschung grol]es Interesse entgegen gebracht worden (Broadbent, 1950, 1951; Jerison, 1957, 1959; Jerison und Wallis, 1957 ; Jerison und Wing, 1957). Die Erkl~rung der verschie- denen zeitlichen Vigilanzph/~nomene bei ein- und mehrfls Dar- bietungsweise setzt die Angabe der kritischen Vorbedingungen voraus, die bei Ver/~nderung der Anzahl der Signalquellen die Beobaehtungs- leistung allgemein beeinflussen. So seheint es - - besonders angesichts der Auswirkungen yon L/~rmdarbietung auf die Vigilanzleistung - - not- wendig, die Rolle der irrelevanten Stimulation gleicher Sinnesmodalit/it wie die Signalrcize zu klKren. Wir werden zungehst die Gesamtleistung von den zeitlichen Ver/~nderungen der Entdeckungswahrscheinlichkeit trennen, um allgemein die Art der Aufgabe in ihren Eigenarten bestim- men zu kSnnen.

Bei unserem Versuch, das detection-Modell zur Systematisierung des Motivationsgeschehens in Vigilanzatffgaben heranzuziehen, geht es nicht so sehr um die detaillierte Analyse yon detection-Mal~en in zeitlich ausgedehnten Aufgaben wie um die allgemeine Betraehtung der fibliehen Vigilanzindikatorcn unter dem Aspekt der l~isikobereitschaft. Ausschlag- gebend f/Jr den Verzicht auf die Ermittlung der detection-Scores d' und /~ ist einerseits unser Interesse am Vigilanzverhalten, andererseits die mit der Untersuehung der Vigilanzleistung verbundene Frage der inter- individuellen Differenzen. Die Verwendung der Wahrscheinlichkeit yon richtigen Signalentdeckungen anstelle der detection-Scores d' und fi gew/~hrleistet die Vergleichbarkeit unserer Ergebnisse mit denen aus anderen Untersuchungen znm Vigilanzverhalten, das im Mittelpunkt unserer Arbeit steht. Weiterhin verhindern die zu erwartenden grol~en Streuungen von richtigen Signalentdeekungen und falschen Alarmen sowie das seltene Auftreten der letzteren eine vcrl/~l~liche Bestimmung der detection-Mal~e. Die Eiiminierung eines Tefls dieser Varianz dureh die Verwcndung - - u.U. wochenlanger - - Einiibungsperioden mul~te aus 0konomiegriinden unterlassen werden, l~ber die inter-individue]len Differenzen der Vigilanzleistuug wird demn/iehst berichtet.

I. Hypothesen

Zur Bestimmung der Wirkung von irrelevanten Reizen in Vigilanz- aufgaben k6nnen zwei theoretische Ans/~tze herangezogen werdcn, die in ihrer urspriingliehen Form einander entgegengesetzte Vorhersagen ermSgliehen. Die yon Deese (1955) zur Interpretation des Vigilanz- verhaltens verwendete Aktivationstheorie nimmt an, dab irrelevante Stimulation die Aktivierungswirkung der Formatio reticularis unterstiitzt

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 115

nnd die Uberwaehungsleistung verbessert. Dagegen meint die Filter- Konzeption (Broadbent, 1958), dag irrelevante Reize die Anzahl der Fflterumschaltungen erh6hen, was eine Verschleehterung der Beobach- tungsleistung erwarten liege.

Da ffir beide Positionen entspreehende Untersuchungsergebnisse aus Vigilanzliteratur und L/irmforschung angeffihrt werden kSnnen, d.h. sowohl die arousal- als aueh die distraetion-Wirkung irrelevanter Stimu- lation als gesichert anzusehen ist, versuchten beide Ans/itze, dureh Differenzierung ihrer Annahmen die ursprfinglieh ihrer Vorhersage ificht entspreehenden Ergebnisse zu integrieren. So ist in der umgekehrt- U-fSrmigen Beziehung zwischen Aktivierung und Leistung formuliert, dal~ die Frage, ob bei Darbietung yon irrelevanter Stinmlation eine Leistungsverbesserung oder eine Leistungsverschleehterung resultiert, yon dem Grad der hervorgerufenen Aktivierung, bzw. yon der St/~rke oder Menge der irrelevanten Stimulation abh~ngig ist.

Wenn aueh in der arousal-Konzeption und der Filtertheorie Modifi- kationen vorgenommen wurden, so bleiben doeh die alternativen Vorher- sagen fiber die Wirkung yon h'relevanter Stimulation im Ansatz erhalten (z. B. McGrath, 1963). Unser Interesse an der Bedeutung yon irrelevanter Stimulation ist durch die Analyse der Entdeckungsleistung bei mehr- fl~ehiger Darbietungsweise bedingt. Im Itinblick auf die Rolle der Nicht- Signalreize in mehrfli~ehigen Vigilanzaufgaben gelangen ~ auf Grund einiger Annahmen fiber den informationsverarbeitenden Meehanismus zu einer Hypothese, die yon den beiden oben aufgestellten abweicht.

Unsere Annahmen gehen auf Piagets (1966) Uberlegungen zur Glie- derung des Wahrnehmungsraums zur/ick. Die Strukturierung yon rele- vantem Zentrum und irrelevanter Peripherie im Wahrnehmungsprozel3 finder in unserer Versuchsanordnung ihre Entsprechung in der Gliederung der Signalquellen. Die Vp hat sowohl im einfl/iehigen als aueh im mehrfl/~ehigen Vigflanzversuch eine Organisation der Signalquellen in kritisches Zentrum und irrelevante Peripherie vorzunehmen.

Mit ,,Zentrierung" bezeichnen wir die yon der Vp vollzogene Ab- grenzung des kritisehen Signalbereichs. Unter ,,Dezentrierung" wollen wir die Wanderung des Blicks oder der Aufmerksamkeit auf irrelevante Bereiche der Signalquelle verstehen. Eine Dezentrierung, die das Ver- passen yon Signalen erkl~rt, besteht in der Aufhebung der yon der Vp geforderten Gliederung des Wahrnehmungsraums.

Die Wahrseheinliehkeit yon inad/~quaten Gliederungen einer Signal- quelle steigt mit der Anzahl der insgesamt auszufiihrenden Zentrierungen an. Im einfl/iehigen Vigflanzversueh hat die Vp bei jedem Aufleuchten der L/tmpehen - - ungeaehtet ihrer Kombination und ihrer Anzahl - - eine einzige Abgrenzung des Signalbereiehs vorzunehmen, wobei die Riehtung der Zentrierungen w/~hrend der ganzen Aufgabe unver/~ndert ist.

Page 17: Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten

116 G. Nfiller:

Da die Ausdehnung des Aufmerksamkeitszentrums ~uf einen eng umrissenen Bereich begrenzt ist, mul~ die Vp in der mehrfl/~chigen Vigilanzaufgabe das ri~umliche Nebeneinander der Signalquellen in ein zeitliches Nacheinander auI16sen. Das bedeutet, dab mit dem Weehsel der Zentrierungsrichtungen bei mehrfl/~chiger Darbietungsweise eine Verdreifachung der Gesamtzahl der Zentrierungen verbunden ist. Dem- zufolge bringen wit den Wechsel der Zentrierungsrichtungen mit der in der Anfgabe geforderten Flexibilit~t in Znsammenhang.

Wit nehmen an, dag die Dezentrierungen yon der Anzahl der Signal bereiehe, nieht aber yon der Anzahl irrelevanter t~eize gleicher Sinnes- modalitgt wie ein Signal abh/ingig ist. Die Gliederung der Signalquellen in kritisehes Zentrum und irrelevante Peripherie ist in unserer Anordnung dureh die Lage und Gr6ge des jeweiligen Signalbereiehs festgelegt, der konstant gehalten ist. Diese Gliederung, d.h. die rgumliehe Beziehung zwischen relevantem und irrelevantem Tell der Signalfl/~ehe wird dureh die Anzahl irrelevanter l%eize in unserer Versuehsanordnung nieht ver~ndert.

Die dritte Variable unserer Untersuehung, die Utilit~ten der Ent- seheidungsm6gliehkeiten, seheint im Rahmen des deteetion-Modells einen Zugang zur Systematisierung des Motivationsgesehehens in Vigilanz- aufgaben zu erSffnen. Der Kernpunkt der ~Jberlegungen des deteetion- Modells fiir die Untersuehung der Vigilanzleistung besteht in dem Naeh- weis, dag bei einer Ver/inderung der Utilit/iten der Entseheidung sich die l%ate der falschen Alarme unmerklich, die Wahrscheinlichkeit der riehtigen Signalentdeekungen in weir sts Mage versehiebt.

Dem deteetion-Modell zufolge affiziert eine Ver~nderung der Utili- t~ten der Entscheidung nicht die eigentliehe Wahrnehmungsleistung, sondern einen Response-Faktor, der die Bereitsehaft betrifft, in einer Situation der Signalentdeekung eine Ja-Entseheidung zu fiillen. Die Einstellung dieses Kriterinmswertes flit die Unterscheidung yon Signal- und Nieht-Signalreizen ist von den Utilit/~ten der Entscheidung abhgngig : bei Reduktion der Kosten yon falsehen Alarmen und ErhShung der Gewinne bei riehtigen Signalentdeekungen ergeben sich hohe Werte ffir den Kriteriumswert ~ and bei hohen Verlusten bei falschen Alarmen und geringen Gewinnen bei richtigen Signalentdeekungen niedrige fl-Werte.

Der EinfluB der Utiliti~ten der Entseheidungsm6glichkeiten auf die false-alarms-Wahrseheinliehkeit wird an anderer Stelle ausffihrlieh be- handelt. Ffir die Rate der riehtig entdeekten Signale ist auf Grund des deteetion-Modells eine bedeutende Erh6hung zu erwarten, wenn wir die Kosten yon falschen Alarmen vermindern und bei eehten Signal- entdeekungen einen hohen Gewinn in Aussicht stellen, wie es in unserer Risiko-Instruktion der Fall ist.

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Allgemeinpsyehologische Untersuchungen zum VigilanzverhM~en 117

Zusammenfassend stellen wir folgende Hypothesen auf: 1. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei ein~l~ehiger Darbietungs-

weise ist hSher als bei Vorhandensein yon drei SignMquellen. 2. Die Anzahl der peripheren Nicht-Signalreize beeinflul3t die Beob-

aehtungsleistung nieht. 3. Bei Risiko-Motivation ist die Rate der richtigen Signalcntdeekun-

gen hSher als bei Vorsichts-Motivation.

I I . Ergebnisse

Aus technisehen Grfinden konnten ffir Reaktionen, die nach dem Erl6sehen der Litmpehen am Ende eines BeobachtungsintervMls erfolg- ten, keine Antwortlatenzen gemessen werden. Obwohl die Vp in der Einfibungsperiode dazu aufgefordert worden war, bei einer Signal- entdeekung w~hrend des jeweiligen Bcobachtungsintervalls zu reagieren, wurde doch eine Anzahl yon Signalregistrierungen in den naehfolgenden Pausen gegeben. Demcntsprechend warde in der Auswertung sowohl die YVahrscheinlichkeit der Gesamtzahl der SignMentdeckungen als auch die Rate der rechtzeitig registrierten SignMe und deren mittlere Antwort- latenz berficksichtigt. Ffir die jeweiligen Vigilanz-Scores warden 2 • 2 x 2- Varianzanalysen fiir unabhiingige Stichproben naeh Winer (1962, 248ff.) gerechnet.

Die Ergebnisse der Varianzanalyse der Entdeckungswahrseheinlich- keiten sind in Tabelle 1 zusammengefal~. Wie aus den Mittelwerten hervorgeht, besagt der signifikante ,mMn-effect" A eine eindeutige Uber]egenheit der Beobachtungsleistung bei einfl/tehiger gegenfiber mehrf!~chiger Darbietungsweise. Die Anzahl der Nicht-Signalreize (B) beeinflul~t die Entdeckungswahrscheinlichkeit nicht. Weiterhin ist aus den entspreehenden Mittelwerten im Hinblick auf die Wirkung der

Tabelle 1. Varianzanalyse der Wahrscheinlichkeiten yon entdeckten Signalen

Varianzquelle d/ Quadrat- Mittlere iv p summe Quadrat-

Sll lI lme

Zw. A (Fl~ichen) 1 1,482 1,482 50,611 < 0,01 Zw. B(irrel. l%eize) 1 0,026 0,026 0,895 Zw. C (1Kotivation) 1 0,289 0,289 9,874 < 0,01

WW. A • B 1 0,013 0,013 0,454 WW. A • C 1 0,003 0,003 0,102 WW. B • C 1 0,014 0,014 0,492 WW. A • B • C 1 0,137 0,137 4,674 ~ 0,05

InnerhMb 72 2,109 0,029

TotM 79 4,074

9 Psychol. Forsch., Bd. 38

Page 19: Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten

118 G. Miiller:

Motivation (C) ersiehtlich, dab die Gesamtzahl der entdeekten Signale bei i~isiko-Motivation h6her ist als bei der Anweisung, falsche Alarme zu unterdr/icken. Diese Ergebnisse st immen mit den aufgestellten t Iypo- thesen fiberein. Die signifikante Dreifach-Interaktion A • B • C werden wir infolge der geringen Zellengr6Be nicht interpretieren.

Aus der Zusammenfassung der Varianzanalyse der Wahrscheinlieh- keiten yon rechtzeitigen Signalentdeckungen (s. Tabelle 2) geht hervor, dab nut die Anzahl der Signalquellen (A) einen signifikanten Effekt auf die Vigilanzleistung ausfibt. Die Wahrscheinlichkeit der rechtzeitig registrierten Signale wird dureh die Art der Motivation (C) nicht be- einflugt (Zw. C: p > 0,05).

Tabelle 2. Varianzanalyse der Wahrscheinlichlceiten yon rechtzeitig registrierten Nignalen

Varianzquelle d] Quadrat- Mittlere /~ p summe Quadrat-

summe

Zw. A (Fl~chen) 1 4,651 4,651 158,747 Zw. B (irreL Reize) 1 0,016 0,016 0,546 Zw. C (Motivation) 1 0,106 0,106 3,614 WW. A • B 1 0,013 0,013 0,451 WW. A • C 1 0,049 0,049 1,655 WW. B • C 1 0,0001 0,0001 0,003 WW. A • B • C 1 0,039 0,039 1,341 Innerhalb 72 2,115 0,029

< 0,01

Total 79 6,989

Die Antwortlatenz (s. Tabelle 3) ist yon der Anzahl der Signalfl/~chen (A) abh/~ngig : den Mittelwerten zufolge ist die Antwortzeit bei einfl~chi- ger Darbietungsweise wesentlich kiirzer als bei mehrfl~chiger. Weiterhin ergab sich eine signifikante EinfluBnahme der Motivation (C) auf die Antwortlatenz in der Weise, dab unter Risiko-Motivation die Regi- strierung der Signale schneller als bei Motivation Vorsicht erfolgt, und zwar besonders bei Vorhandensein yon einer einzigen Signalquelle (A •

In die Diskussion k6nnen wit nicht alle Ergebnisse aufnehmen, die zur mittleren Antwortlatenz und zur Rate der reehtzeitigen Signal- entdeckungen ermittelt warden. Wit werden nur die motivationalen Einflfisse berficksichtigen.

I I I . Diskussion

Nach unseren Ergebnissen besitzen irrelevante l~eize, die sich yon den Signalen nur dureh ihre Position unterscheiden, weder einen arousal-

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhslten

Tabelle 3. Varianzanalyse der mittleren Antwortlatenzen yon rechtzeitig regi~trierten Signalen

119

Varianzquelle d/ Quadrat- Mittlere ~" p summe Quadrat-

sUInlTIe

Zw. A (Fl~chen) 1 3,015 3,015 339,240 ~ 0,01 Zw. B (irrel. Reize) 1 0,028 0,028 3,123 Zw. C (Motivation) 1 0,063 0,063 7,121 ~ 0,01

WW. A • B 1 0,002 0,002 0,260 WW. A • C 1 0,161 0,161 18,128 ~ 0,01 WW. B • C 1 0 , 0 0 0 0 3 0,00003 0,004 WW. A X/~ • C 1 0,0009 0,0009 0,103

Innerhalb 72 0,640 0,009

Total 79 3,910

noch einen distraction-Effekt. Da trotz der Wirkungslosigkeit der irre- levanten l~eize in unseren Versuchen ein Fl~cheneffekt in Hinblick auf die Beobachtungsleistung naehzuweisen ist, ergibt sich die Forderung, eine Einschriinkung der arousal-Wirkung yon irrelevanten Reizen in Vigilanzaufgaben sowie eine Pr/~zisierung der Bedingungen yon distrac- t ion-Effekten vorzunehmen, bzw. die Generalisierbarkeit unserer Ergeb- nisse ffir die Wirkung irrelevanter Stimulation awl die Vigilanzleistung abzugrenzen.

Die arousal-Theorie effal3t die Entdeekungsleistung im mehrfl~ehigen Vigilanzversuch als Ausdruck einer optimalen Aktivierung, die durch die grSf~ere Menge irrelevanter Stimulation im 2-Uhren-Versueh oder im 3-Uhren-Versueh (Jerison, 1963; Jerison und Wallis, 1957) zustande- gebraeht wird. Wie aus unseren Ergebnissen hervorgeht, ergibt sich in der mehrfl~chigen Beobachtungsaufgabe bei Vorhandensein yon wenigen peripheren Nieht-Signalreizen eine wesentlieh schlechtere Entdeckungs- leistung als im einflitehigen Vigilanzversueh bei Darbietung yon vielen irrelevanten Elementen. Nach der arousal-Theorie w/ire die gleiche Entdeekungsleistung unter diesen Beobachtungsbedingungen zu erwarten die die Vp in beiden Fi~llen mit insgesamt 9--12 irrelevanten Reizen konffontieren, einmal auf einer Fl~tche und zum anderen auf drei Signal- quellen verteilt dargeboten. Da die Menge der ~Tieht-Signalreize eine wesentlich geringere Rolle zu spielen scheint als ihre Verteilung auf die Anzahl der Signalfl~chen, muf~ eine arousal-Konzeption in ihre Erkli~rung des Fl~cheneffekts der Vigilanzleistung spezielle Annahmen fiber die Eigenart des Wahrnehmungsmeehanismus' mit einbeziehen.

Der Erkliirung der Beobachtungsleistung in komplexen Vigilanz- aufgaben dutch das Prinzip der Filterumsehaltung stellen sich ebenfalls

9*

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120 G. Miiller:

einige Schwierigkeiten entgegen. Zun/~chst ist hervorzuheben, da$ unsere Anordnung der Signal und Nicht-Signalreize gerade dutch die genaue Bestimmung der Positionen, die der Filter einnehmen soU, bei drei- fls Darbietungsweise der Tendenz zum filter-switching l~eehnung tr~gt. Demzufolge miil~te in der mehrfl/~chigen Vigilanzaufgabe eine bessere Leistung als in tier einfl/~chigen zu beobaehten sein, was naeh unseren Ergebnissen nicht tier Fall ist.

Wenn der Weehsel tier Aufmerksamkeitsriehtung nicht die geringe Beobachtungsleistung bei mehrfl~chiger Darbietungsweise erkl/~ren kann, so widersetzt sieh einer Filterinterpretation im Sinne einer erh6hten Anzahl yon Filterumsehaltungen infolge irrelevanter Stimulation der fehlende distraetion-Effekt der Nicht-Signalreize, wie bereits betont wurde.

MSglieherweise ist in anderen mehrfl/iehigen Vigilanzaufgaben, in denen die Vp sieh ruekweise vorw~rts bewegende Zeiger oder bin und her schwankende Nadeln vor Uhren-/ihnlichen Ziffernbls abzuheben hat, ein Einflul3 yon irrelevanter Stimulation auf die Beobachtungs- leistung vorhanden. Es scheint abet zweekms eine allgemeine Inter- pretation des Fls unabh/~ngig yon vermuteten Einflfissen der Nicht-Signalreize zu fiihren, da sich in unseren Versuchen weder ein Effekt der Nicht-Signalreize noch eine Interaktion zwisehen Anzahl der Signalquellen und der Menge der irrelevanten Stimulation, wohl aber eine Abh/~ngigkeit der Beobachtungsleistung yon der Anzahl der Signal- fl~chen gezeigt hat. Dieser Effekt stimmt mit unseren auf Piagets (1966) Wahrnehmungs- und Aufmerks~mkeitstheorie zurfiekgehenden Hypo- thesen iiberein.

Piagets Prinzip der Zentrierung, mit dessen Hilfe die Gliederung des Wahrnehmungsraums besehrieben werden kann, richter sieh in der Interpretation der niedrigen Vigilanzleistung bei mehrfls Darbie- tungsweise auf die r/~umhche Signalunsicherheit als wesentliehes Kenn- zeichen mehrfl~ehiger Vigilanzanordnungen. Eine Zentrierung besteht in unseren Versuehen darin, da$ die Vp die ttomogenits der einzelnen SignalqueUe aufhebt und durch Konzentration tier Aufraerksamkeit auf einen engen Bereieh ein deutliehes, relevantes Signalzentrum yon einer irrelevanten, undeutlieheren Peripherie abgrenzt. Bei Dezentrierungen auf irrelevante Bereiehe der Signalquelle kSnnen Signale verpaSt werden. Da im dreifl/~ehigen Vigilanzversueh dreimal so h~ufig eine Abgrenzung des Signahentrums zu erfolgen hat wie bei einflachiger Darbietungsweise, wird auch die Wahrseheinliehkeit yon Dezentrierungen, damit abet die MSglichkeit, Signale zu verpassen, ansteigen.

Wir nehmen an, da~ dieser Ghederungsmeehanismus, tier einen kleinen Aussehnitt aus dem gesamten Informationsangebot als relevant vor einem ttintergrund des Unwiehtigen abhebt, nieht nur auf den

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 121

visuellen Bereich begrenzt ist, sondern dab vielmehr auch in anderen Sinnesbereichen ~hnliehe Gliederungsvorg/~nge stattfinden. Dieser Kon- zeption zufolge vollzieht sieh die intra-modale und inter-modale Auf- merksamkeitsverteilung auf versehiedenen, hierarehiseh angeordneten Organisationsstufen, denen untersehiedliche Allgemeinheitsgrade zuge- sproehen werden.

Bisher haben wir die hypothetisehen perzeptorischen Wirkungen unseres Constructums der Aufmerksamkeit dargestellt. Die Behandlung der Aufmerksamkeit unter motivationalem Aspekt stellt Response- Faktoren in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auch die Ver~nderung der Response-Bedingungen, d~ h. in unserer Anordnung der Gewinne bei riehtigen Entscheidungen und der Verluste bei Fehlern, fibt einen deut- lichen Effekt attf die Entdeckungswahrscheinliehkeit aus.

Aus den Ergebnissen, die die L/~nge der mittleren Antwortlatenz bzw. die Anzahl yon rechtzeitigen Signalregistrierungen betreffen, lassen sich Hinweise da~fir gewinnen, dab die Leistungsverbesserung unter Risiko-Motiva~ion durch einen Zuwachs an ,,unsicheren" Signalent- deckungen zustandekommt, was den Erwartungen der detection-Theorie genau entsprieht. In unseren Versuchen ergab sich, dal~ unter Risiko- Motivation zwar die Registriernng yon Signalen bis zum Ende des Beobachtungsintervalls sehneller als bei Vorsichts-Motivation erfolgt, dal3 sieh jedoch die Anzahl der bis zum ErlSsehen der L~mpehen regi- strierten Signale durch die versehiedenen Utiliti~tsbedingungen nicht beeinflussen 1/~i~t.

]has bedeutet, dai~ flit die hohe Gesamtzahl der Signalentdeckungen bei Risiko-Motivation nicht etwa ein besonders sehnelles Reagieren verantwortlich ist, wie man erwarten wfirde, wenn der Risiko-Motivations- effekt im Sinne einer erhShten allgemeinen Reaktionsbereitschaft zu interpretieren sei. Die insgesamt unter Risiko-Motivation entdeckten Signale sind vielmehr dutch eine vergrSl]erte Anzahl yon versp~teten, d.h. in den Pausen zwischen den Beobachtungsintervallen gegebenen Signah'egistrierungen gekennzeichnet. Jene Signalentdeckungen, die unter Risiko-Motivation die tiberlegene Beobachtungsleistung als Ges~mtzahl der entdeckten Signale zustandebringen, haben besonders lange Entscheidungszeiten. Die Verl~ngerung einer Antwortlatenz wird sowohl in Arbeiten psyehoanalytiseher Ausrichtung (Jung, 1906) als aueh in in~ormationstheoretischen Ans~tzen (Hick, 1949) als Indikator f/Jr das Vorhandensein mehrerer einander entgegengesetzter Reaktions- tendenzen betrachtet.

Mit der Annahme der sensorisehen Kontinuit~t postuliert die detee- tion-Theorie anstelle des Schwellenbegriffs eine Zone des Ubergangs zwischen entdeckten und nichtentdeekten Signalen. In diesem Bereich w/iren die unsicheren Signalentdeckungen mi~ langen Antwortlatenzen

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122 G. Miiller:

zu lokalisieren. Die Position des Kriteriums auf der Entscheidungsachse bestimmt, ob diese nnsicheren Signale der Klasse der entdeckten oder der Klasse der niehtentdeekten Signale zugerechnet werden. DaB diese Zuordnung hinsichtlich der unsicheren Ereignisse nicht zufi~llig erfolgt, sondern in l~bereinstimmnng mit dem detection-Modell, geht daraus hervor, dab gerade diese Signalentdeckungen mit einer langen Antwort- latenz die fiberlegene Beobachtungsleistung unter Risiko-Motivation ausmachen.

D. Die falschen Alarme

Die Rolle der falschen Alarme in Vigilanzaufgaben ist weitgehend ungekls Ansi~tze zu einer systematischen psychologischen Kenn- zeichnung der Typ-I-Fehler sind kaum vorhanden. Ausgehend yon der detection-Theorie wollen wir versuchen, eine Bedingungsanalyse der falschen Alarme vorzunehmen.

I. H ypothesen

a) Die Unsicberheitshypothese Einige deteetion-Untersuchungen haben gezeigt, dal~ die Entdek-

kungsleistung abnimmt, wenn die Unsicherheit darfiber, was ein Signal ist und was nicht, vergrSBert wird. So ergab sich bei Vermittlung eingehender Information fiber Beginn und Dauer eines akustischen Sig- nals (Egan, Greenberg und Schulman, 1959, 1961a, b, e) eine Verbes- serung der detection-Leistung.

In unseren Versuchen ist durch die Synehronisierung yon Signalen und Nieht-Signalen in den Beobachtungsintervallen die Unsicherheit fiber Beginn und Dauer eines Signals aufgehoben. Bei der Reduktion der zeitlichen Signalunsicherheit aber blieb - - was ffir die Untersuchung der Vigflanzleistung yon besonderer Bedeutung ist (z. B. Baker, 1963) - - die Unsicherheit fiber die Struktur der Signakfolge erhalten, die in leicht modifizierter Form yon Maekworth (1950) ffir unsere Experimente fiber- nommen warde.

Tanner und Jones (1959, zit. naeh Swets, 1961) weisen auf die 5rtliche Signalunsieherheit bei visuellen Signalen als Determinante der Entdeckungsleistung hin. In unseren Versuchen wurde durch die Anzahl der Signalquellen die Unsieherheit fiber den Ort, an dem das folgende Signal a~ftaucht, ver/~ndert. Dabei blieb die r/~umliche Beziehung von Signalen und Nieht-Signalen auf jeder der drei Fl~ehen erhalten. Im Gegensatz zur einfli~chigen Darbietungsweise, in der die Vp vollst/indige Information fiber den Ort des folgenden Signals hat, bestehen bei Vor- handensein yon drei Signalquellen ffir jedes Signal drei 5rtliehe Alterna- riven seines Auftretens. Der ,,Unsicherheitsbypothese" zufolge erwarten wir also bei mehrfl/~chiger DarbieSungsweise eine geringere Beobaehtungs-

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 123

leistung in Form einer hfheren Wahrscheinlichkeit yon Typ-I- und Typ- ll-Fehlern.

b) Die Risikohypothese

Der menschliche Beobaehter ist imstande, unter geeigneten experi- mentellen Bedingungen, d.h. wenn ihm die entsprechenden Informa- tionen fiber die Signalparameter zug~nglich gemacht werden, seine Entdeekungsleistung der olotimalen Leistung anzun~hern. Weiterhin vermag er -- in I~Ibereinstimmung mit dem Modell des ,,ideal observer" (Swets, 1964) -- durch Verschiebung des Entscheidungskriteriums eine Kontrolle der Response-Faktoren vorzunehmen, indem er sich durch eine Orientierung an den objcktiven costs und values an die Entscheidungs- situation anpaBt.

Wie bereits hervorgehoben, ergeben sich bei geringen Verlusten ffir die Abgabe eines falschen Alarms und hohen Gewinnen bei richtigen Signalentdeckungen niedrige Werte des Entscheidungskriteriums /~. Diese Entscheidungsbedingung versuchten wir durch die Einfiihrung der Risiko-Matrix (s. Abb. 3a, S. 113) zu erzielen. Die Vorlage einer Vor- sichts-Matrix (s. Abb. 3b, S. 113), die hohe Verluste bci falsehen Alarmen und geringe Gewinne bei richtigen Entdeckungen in Aussicht stellt, sollte einen hohen fl-Wert herbeiffihren.

Der Vergleich der Leistungen unter den beiden Motivationsbedingun- gen sollte der detection-Theorie zufolge ffir die Rate der richtigen Signalentdeckungen eine starke (Jberlegenheit bei Risiko-Motivation, dagegen nut eine geringe Erhfhung der Wahrscheinlichkeit von falschen Alarmen ergeben. Diese Erwartung, die wir dutch Abb. 2 (s. S. 111) zu veranschaulichen suchten, hat sich im ttinblick auf die Wahrscheinlich- keit yon richtig entdeckten Signalen best~tigt. Die Prfifung der detection- t typothese muB durch die Untersuehung des Einflusses der Utilit~ten der Entscheidung auf die falschen Alarme erg~nzt werden.

Wenn wit unsere auf die detection-Theorie zurfiekgehenden Annah- men fiber die psychologische Bedeutung yon falschen Alarmen zusammen- fassen, kommen wir zu folgenden t typothesen:

1. Im dreiflhchigen Vigilanzversuch ist die Wahrschein]ichkeit yon falsehen Alarmen hfher als bei Vorhandensein yon nur einer Signal- quelle.

2. Bei Risiko-Motivation ist eine im Vergleich zur Vorsichts-Motiva- tion geringf/igige Erh6hung der Rate yon falschen Alarmen zu erwarten.

II. Ergebnisse

Als falscher Alarm oder Typ-I-Fehler wurde die Bet~tigung der Tasten bei Abwesenheit eines Signals gewertet, wobei unberficksichtigt

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124 G. Miiller:

blieb, ob die Vp ,,absichtlieh" oder ,,unabsiehtlich" eine Signalregi- strierung ausgelSst hatte. F/it die Wahrseheinliehkeit der falschen Alarme wurde eine 2 • 2 • 2-Varianzanalyse f/it unabh/~ngige Stichproben naeh Wirier (1962, 248ff.) gerechnet. Die Ergebnisse dieser Varianz- analyse sind in Tabelle 4 zusammengefagt. Wie aus den Mittelwerten hervorgeht, besagt die signifikante Einflugnahme der Variablen A auf die Rate der Typ-I-Fehler, dab bei mehrfl/~ehiger Darbietungsweise falsche Alarme h/iufiger auftreten als bei einflKehiger. Dieser Befund best/~tigt die in der Unsicherheitshypothese formulierte Beziehung zwisehen 6rtlieher Signalunsicherheit und der Wahrscheinlichkeit yon falsehen Alarmen.

Tabelle 4. Varianzanalyse der Wahrscheinlichkeiten yon falschen Alar+nen

Varianzquelle dJ Quadrat- Mittlere F ~ summe Quach.at-

summe

Zw. A (Fl~chen) 1 3892 3892 8,839 Zw. B (irrel. Reize) 1 62 62 0,141 Zw. C (Motivation) 1 3201 3201 7,270 WW. A • B 1 42 42 0,095 WW. A • C 1 3050 3050 6,927 WW. B • C 1 17 17 0,039 WW. A • B • C 1 85 85 0,193 Innerhalb 72 31702 440

< 0,01

< 0,01 < 0,05

Total 79 42051

Die Menge der irrelevanten Stimulation (B) beeinfluBt die Rate der falschen Alarme nicht.

Weiterhin zeigte sich ein signifikanter main-effect der Motivation (C) in der Weise, dab bei Risiko-Motivation die falschen Alarme h~ufiger als bei Vorsichts-Motivation auftreten.

In Tabelle 5 sind die Mittelwertsdifferenzen zwisehen den unter Risiko und Vorsicht ermittelten Wahrscheinlichkeiten yon falschen Alarmen und richtigen Signalentdecknngen einander gegenfibergestellt: aus diesem Vergleieh ergibt sich, daB unter Risiko-Motivation 12% mehr richtige Signalentdeckungen als unter Vorsieht, aber nur 0,026% mehr falsche Alarme gegeben werden. Diese Verh/~ltnisse best/~tigen die Risikohypo- these der falsehen Alarme.

SehlieBlieh verglichen wir ffir die einflgehige Vigilanzaufgabe die mittlere Antwortlatenz der falsehen Alarme mit der mittleren Antwort- zeit yon Signalentdeckungen anf Grund des t-Tests fiir abh~ngige Stich- proben (Mittenecker, 1964, 117). Dabei erwiesen sich die Antwortzeiten der Typ-I-Fehler als signifikant ls (t =2,273; p < 0,05; N = 15).

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 125

Tabelle 5. Mittelwertsdi//erenzen zwischen den unter t~isiko (C1) und Vorsicht (C2) ermittelten Wahrscheinlichkeiten von richtigen Signalentdecl~ungen ( P (A IS2g) und

]alschen Alarmen ( P ( A IN)

C1 C2 C1--C2

P(AISN ) 0,85 0,73 0,12 P(AI2V ) 0,00077 0 , 0 0 0 5 1 0,00026

I I I . Diskussion

Falsche Alarme spielen unseren Ergebnissen zufolge in Vigilanz- aufgaben eine Doppelrolle: einmal sind die Typ-I-Fehler Ausdruek einer schlechten Vigilanzleistung, wie aus der erh6hten Anzahl yon falsehen Alarmen und verpal3ten Signalen bei der Beobaehtung yon drei Signal- quellen im Vergleich zur l~lberwachung einer einzigen F1/iche hervorgeht. Zum anderen ist eine hohe Rate yon falsehen Alarmen in ihrer Abh/~ngig- keit yon Motivationsvariablen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit riehtiger Signalentdeckungen verbunden. Diese beiden Aspekte der Typ- I-Fehler k6nnen wir durch Annahmen des deteetion-Modells erkliren, die in der Unsieherheitshypothese and der Risikohypothese formuliert wnrden.

Die Abh/ingigkeit der entdeckten Signale v o n d e r Anzahl der Signal- quellen wurde im vorhergehenden Kapitel naehgewiesen, was Ergebnisse aus Untersuehungen yon Jerison (1957, 1959) best~tigt, in denen aller- dings nicht die Wirkungen der Signalrate yon denen der Anzahl der SignalqueUen getrennt wurden. Bei mehrfls Darbietungsweise ist Jerisons und unseren Befunden zufolge die Wahrscheinliehkeit von Fehlern des Typ I und des Typ I I h6her als bei einfl/~chiger.

Wie ist die Unsieherheitshypothese, d.h. der EinfluB der Signal- unsieherheit auf die Wahrscheinlichkeit yon riehtigen Signalentdeekun- gen und die Rate der falsehen Alarme im detection-Modell darzustellen ? Wenn wit annehmen, dab bei statistisehen Signalinformationen kein eindeutiges Kriterium fiir die Unterscheidung yon Signalen und Nicht- Signalen zu etablieren ist, kSnnen wit die Beziehung zwisehen Signal- unsieherheit lind Entdeckungsleistnng dureh die Varianz des Kriterinms erfassen. Tanner (1964) behandelt die Varianz des Kriteriums fiir das, was ein Signal ist und was nicht, als einen jener Ged/iehtnisfaktoren, die das System des menschliehen Beobachters mit zus/~tzlicher Unsicher- heir belasten. Diese Betrachtungsweise seheint nicht nur geeigneL die Abweiehung der Entdeekungsleistnngen vom Modellfall des idealen Beobachters zu erkl/iren, sondern auch allgemein die Unsicherheits- komponenten ungeachtet ihrer t Ierkunft im deteetion-Modell abzubilden.

Wit gehen davon aus, dal3 mit der Vergr6Berung der Signalunsicher- heir die Kriteriumsvarianz zunimmt. Die Folgen, die sich aus einer

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126 G. Mfiller:

K Entscheidungsvarfab[e x

Abb. 4. Der Vari~bilit~tsbereich des Entscheidungskriteriums

unterschiedlichen Festigkeit des Entscheidungskriterinms fiir die Wahr- scheinlichkeiten yon falschen Alarmen und richtigen Signalentdeckungen ergeben, sollen mit Abb. 4 erlgutert werden. Dabei wird die x-Achse durch die Entscheidungsvariable und die y-Achse durch deren Wahr- scheinlichkeitsdichte gebildet.

Die Ordinate in K symbolisiert eine optimale Entscheidungsmaxime. Die untere Streckenmarkierung (1) stellt einen geringen Variabflitgts- bereich des Kriteriums bei geringer Signalunsicherheit dar. Dagegen soll dutch die obere Streckenmarkierung (2) ein groBer Variabilit/~ts- bereich angezeigt werden, wie er bei erhShter Signalunsicherheit vor- handen sein kSnnte. DaB bei einem stark variierenden Kriterium eine schlechte Vigilanzleistung in Form einer hohen Falschen-Alarm-Rate und einer geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit zu erwarten ist, kann durch einen Vergleich der relevanten Integrale gezeigt werden.

Nehmen wir als Beispie] zun~chst die schraffierten Integrale unter der N-Verteilung : das links-schraffierte Integral, das durch den Kurven- zug der N-Verteflung, die Ordinate der unteren Grenze eines wenig variierenden Kriteriums (1) und die x-Achse gebildet wird, ist kleiner als das rechts-schraffierte Integral des breiteren Variabilit~tsbereichs (2). Das heiBt ffir ein stark variierendes Kriterium wird sich eine hShere Rate der falschen Alarme ergeben als fiir ein wenig varfierendes.

Aus dem Vergleich der den beiden Variabilit~tsbereichen entsprechen- den Integrale unter der SN-Verteilung resultiert fiir den grSBeren Variabilit~ttsbereich (2) eine geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit, weft besonders hohe - - rechts lokalisierte - - Kriteriumswerte nur die Entdeckung der ganz sicheren Signale zulassen. Ffir den kleinen Varia- bilit/~tsbereich (1) des Entscheidungskriterinms dagegen ergibt sich eine wesentlich hShere Wahrscheinlichkeit riehtiger Sign~lentdeckungen.

Die dutch die Signalunsicherheit bestimmte Varianz des Entschei- dungskriterinms vermag die grol~e Anzahl der Fehler des Typ I und Typ II bei mehrfl~chiger Darbietungsweise zu erkl~ren. Aus unserer

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigil~nzverhaltea 127

Anordnung ist kein Indikator ffir die theoretische Konstruktion ,, Stabi]i- ta t des Entscheidungskriteriums" zu gewinnen. Es soheint aber grund- s~t, zlieh mSglieh, in Form yon Ratings iiber die Beschaffenheit des bei den Signalregistrierungen verwendeten Entseheidungskriteriums Aus- kunft zu geben. So zeigen Broadbent und Gregory (1963), dab sowohl in einer ausditiven als auch in einer visuellen Vigilanzaufgabe die Zu- weisung von Sieherheitsgraden zu den Signalregistrierungen nicht zui~llig erfolgt: der Quotient aus richtigen Signalentdeckungen und falschen Alarmen steigt mit zunehmendem Sieherheitsgrad an.

Falsche Alarme sind nicht nur Ms Ausdruck einer schleehten Vigilanz- leistung zu verstehen. Unter motivationalem Aspekt kann den Typ-I- Fehlern die strategische Funktion zugesprochen werden, die in der Risikohypothese erl~utert wurde. Die Vp scheint, wie es auf Grund dieser IIypothese vorhergesagt und durch unsere Ergebnisse bestatigt wurde, unter geeigneten experimentellen Bedingungen die Rate ihrer falschen Alarme in geringem Mal3e zu erh6hen und damit einen bedeutend h6heren Zuwachs an richtigen Signalentdeckungen zu gewinnen.

Aus dem Vergleich der Antwortzeiten yon falsehen Alarmen und riehtig entdeckten Signalen geht hervor, dal3 die Typ-I-Fehler besonders lange Antwortzeiten aufweisen. Dutch eine Verlgngerung der Antwortzeit sind ebenfalls jene Signalentdeckungen gekennzeichnet, die unter Risiko- Motivation die iiberlegene Entdeckungsleistung zustandebringen. Die ~hnliehen zeitlichen Charakteristika yon falschen Alarmen und ver- sp~teten SignMentdeckungen deuten daraufhin, dab wir es in beiden Fi~llen mit besonders unsieheren Formen des Reagierens zu tun haben. Beide Antwortkategorien kSnnen in dem Bereich zwischen entdeekten und niehtentdeekten Signalen lokalisiert werden, in dem mehrere Reaktionstendenzen vorhanden sind. Die Lage des Kriterinms ffir die Unterscheidung zwischen SignMen und Nicht-Signalen bestimmt, wel- cher Hypothese - - ,,ja, es ist ein Signal vorhanden" (A) oder ,,nein, es ist kein Signal vorhanden" (B) - - diese (~bergangsantworten unter- zuordnen sind.

Bei Risiko-Motivation ist der detection-Therorie zufolge ein niedriger Kriteriumswert vorhanden, der die unsicheren Antworten der Hypo~hese A zurechnet. Wenn dagegen die Vp zur Vorsicht gegenfiber falschen Alarmen instruiert wird, ist ein wesentlich hSherer Kriteriumswert anzusetzen, so da~ die unsieheren Reaktionen insgesamt unterdrfiekt werden. Wie aus unseren Ergebnissen hervorgeht, werden unter Risiko- Motivation mehr falsche Alarme und mehr verspatete richtige Signal- entdeckungen gegeben als unter Vorsiehts-Motivation. Dabei weisen die durch die Motivationsvariable betroffenen falsehen Alarme und verspi~- teten Signalentdeckungen jenes zahlenm~i~ige Verh~ltnis auf, das nach der Risikohypothese zu erwarten war: bei Risiko-Motivation ist die

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128 G. Miiller:

Rate der Typ-I-Fehler im Vergleieh zur Vorsiehts-Motivation nur gering- ffigig erh5ht, die Wahrscheinliehkeit der verspi~teten riehtigen Signal- entdeckungen, die die fiberlegene Beobaehtungsleistung unter Risiko- Motivation ausmachen, dagegen in wesentlich st~rkerem MaBe.

E. Die Ver~inderung der Entdeckungsleistung

Die Verminderung der Vigilanzleistung in Abhi~ngigkeit yon der Beobachtungsdauer ist eines der Hauptprobleme der Vigilanzforschung. Die am h~ufigsten gegebene Erld~rung des Vigilanzabfalls ist die arousal- Theorie, die die Abnahme der Vigilanzleistung als Ausdruck eines infolge der Umgebungsmonotonie verminderten corticalen Erregungsniveaus versteht.

Der Befund Bankans (1955), dab ein Signal am Ende einer Vigilanz- aufgabe um 25 % heller sein mul~ als zu Beginn der Beobachtungssitzung, um entdeckt zu werden, steht in ~bereinstimmung mit der Theorie einer durch die Vigflanzbedingungen verminderten Aktivierung. In der gleichen Untersuchung wurde aber ein gleichzeitiges Abnehmen der falschen Alarme ermittelt, was mit einer verminderten Rezeptorempfind- lichkeit nicht zu vereinbaren ist. Weiterhin ergab sich in einer Reihe yon Vigilanzuntersuchungen (Broadbent, 1950; Howland, 1956; Jerison und Wallis, 1957) kein Abfall der Entdeckungsleistung. Howland (1956) fand in einer 4stiindigen Aufgabe, eine yon der Beobaehtungsdauer abhi~ngige Zunahme yon richtigen Signalentdeekungen bei gleichzeitigem Anstieg der falsehen Alarme. Wir wollen versuehen, mit Hilfe der Risikohypothese eine Erkli~rung des Vigflanzabfalls zu entwickeln, die diese der Aktivationstheorie widersprechenden Befunde zu erkl~ren vermag.

I. Hypothesen

Die Abh~ngigkeit des Vigilanzabfalls yon Motivationsbedingungen wurde wiederholt nachgewiesen (Bergum und Lehr, 1962, 1963; Fraser, 1953; Seidenstein, zit. Buckner und McGrath, 1963, 181). Wir nehmen an, dab die Sensibilit~t der Vigflanzleistung gegenfiber motiva~ionalen Variablen auf eine Affizierung der mit einer Entseheidung verbundenen Kosten und Gewinne zurfiekzuffihren ist. Im Rahmen des detection- Modells bedeutet eine Ver~nderung der positiven und negativen Werte der EntseheidungsmSglichkeiten eine Verschiebung des Kriteriums fiir die Unterseheidung yon Signalen und Nicht-Signalen. Eine solche Verschiebung des Kriterinmswertes betrLfft im wesentliehen die Wahr- seheinlichkeit von richtigen Signalentdeekungen, w~hrend die Falsche- Alarm-Rate nnr in geringffigigem Mal~e beeinfluBt wird. Dabei ist die Veri~nderungsrichtung der Entdeeknngswahrseheinliehkeit, d.h. die

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten 129

Frage, ob eine Abnahme oder Zunahme der Vigflanzleistung eintritt, vonder Ver/~nderungsrichtung des Entseheidungskriteriums abh/~ngig. Wenn sieh der Kriterinmswert zu grSgerer Vorsioht bewegt, haben wir es mit einem Abfall der EntdeckungsMstung zu tun. Versehiebt sieh dagegen das Entseheidungskriterium in Riehtung verst/~rkter Risiko- bereitschaft, ist eine ErhShung der Rate entdeekter Signale vorhanden.

Wir nehmen weiterhin an, dab die yon der Vp bei einer Signal- entdeekung angewendete Sorgfalt, die zu Beginn der Aufgabe dureh den Sehwierigkeitsgrad der Aufgabe selbst oder dureh zuss ein- geffihrte Motivationsvariable vermittelt wird, sich im Verlauf derUnter- suchung ver/~ndert. Dabei sollte sowohl eine anf~ngliehe Risikobereit- schaft als aueh eine besondere Vorsicht im Fortgang der Aufgabe naehlassen.

Der Vigflanzabfall ist dieser Auffassung zufolge duroh eine sieh vermindernde Risikobereitschaft zu erkl/~ren. In bestimmten Vigilanz- aufgaben k6nnte zu Beginn der Beobaehtungssitzung durch die Einfach- heir der Aufgabe selbst oder dureh Motivationsvariable eine relativ starke Bereitsehaft hervorgerufen werden, eine Ja-Entseheidung zu treffen. Diese Risikobereitsehaft l~gt unserer Annahme zufolge im Verlauf der Aufgabe naeh, was eine unmerkliche Reduktion der falsehen Alarme, aber eine starke Verminderung der riehtigen Signalentdeeknngen bedeutet.

In unseren Untersuehungen wurden in einer ein- und einer mehr- fl~ehigen Vigilanzaufgabe dureh Variation der Utilit~ten der Entsehei- dungsmSgliehkeiten zwei Motivationsbedingungen erzielt, die unter zeitliehem Aspekt in ihrer Wirkung auf die Entdeekungswahrseheinlieh- keit betraehtet werden sollen. Dabei stellen wir zusammenfassend folgende Hypothesen aul:

1. Wit erwarten, dab bei Risiko-Motivation ein Abfall der Entdek- kungswahrseheinliehkeit zu Beginn der Vigilanzaufgabe eintritt.

2. Dagegen sollte bei Vpn, die die Vigilanzaufgabe unter Vorsiehts- Motivation durehftihrten, sieh die Entdeekungswahrscheinliehkeit nieht zu Beginn der Aufgabe vermindern, sondern eher ansteigen, bzw. sieh nieht ver/~ndern.

II. Ergebnis~e

Da sich in den vorangehenden Varianzanalysen gezeigt hat, dab die Dimension ,,Anzahl der irre]evanten Reize" (B) nicht differenziert, was mit unseren Hypothesen iibereinstimmte, wurde diese Variable in der varianzanalytisehen Priifung des Verlaufs der Entdeekungswahrsehein- lichkeiten nicht beriicksichtigt. Die verwendeten 2•215 analysen fiir abh~ngige Daten stiitzen sieh auf Winer (1962, 337ff.).

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130 G. Miiller:

In unserer Anordnung beeinfluBt die Anzahl der Signalquellen die Ver/~nderung der Entdeckungsleistung nicht (A • :p >0,05), wie aus Tabelle 6 hervorgeht.

Tabelle 6. Varianzanalyse der Entdeckungswahrscheinlichkeiten in Abh~ngigkeit von der Beobachtungsdauer

Varianzquelle d/ Quadrat- Mittlere F p summe Quadrat-

summe

Zwischen 79 16,279 A (Fl~chen) 1 5,949 5,949 49,367 C (Motivation) 1 1,160 1,160 9,630 A • C 1 0,011 0,011 0,095 Vpn innerhalb 76 9,159 0,121

der Gruppen

< 0,01 < 0,01

lnnerhalb 240 2,863 D (Zeit) 3 0,027 0,009 0,822 A • D 3 0,041 0,014 1,266 C • D 3 0,286 0,095 8,739 A • C • D 3 0,023 0,008 0,697 D • Vpn innerhalb 228 2,487 0,011

der Gruppen

< 0,01

Die signifikante Interaktion ,,Motivation real Zeit" (C • besagt, daB die Ver/~nderung der Rate der Signalentdeckungen yon der Art der Motivation abh~ngig ist. Die Trends der Entdeckungswahrscheinlich- keiten bei Risiko- und Vorsiehts-Motivation sind einander entgegen- gesetzt; d.h. sie heben sich auf, was dureh den nicht signgikanten zeitliehen main-effect (Innerh. D :p > 0,05) angezeigt wird.

Aus Tabelle 7 ist ersiehtlich, daB die Aufgabenzeit (D) sich nicht signifikant auf die Wahrseheinlichkeit yon falsehen Alarmen auswirkt. Der Verlauf der Falsehen-Alarm-Rate wird aueh nicht dureh die Anzahl der Darbietungsfli~chen (A • D: p > 0,05) oder die Art der Motivation (C • D :p > 0,05) beeinfluBt.

I I I . Disl~ussion

In unserer Untersuchung ergab sich in ]~bereinstimmung mit der im Rahmen der detection-Theorie formulierten Risikohypothese eine Ver- ~nderung der Entdeekungswahrseheinliehkeit in Abh/~ngigkeit yon der Motivationsart. Bei Risiko-Motivation fi~llt die Rate der entdeekten Signale yon der ersten zur zweiten Beobachtungsperiode ab, wohingegen sich unter Vorsiehts-Motivation ein Anstieg zeigt. Die Wahrseheinlichkeit der falsehen Alarme dagegen veriindert sieh - - vermutlich infolge der starken inter-individuellen Untersehiede, fiber die in anderem Zusammen- hang berichtet wird - - nicht signifikant.

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Allgemeinpsychologische Untersuchungen zum Vigilanzverhalten

Tabe]le 7. Varianzanalyse der Falschen-Alarm-Rate in Abhiingigkeit yon der Beobachtungsdauer

131

Mittlere Varianzquelle df Quadrat- Quadrat-

summe summe

F P

Zwischen 79 168399 A (Fl/~chen) 1 15680 15680 9,349 C (Motivation) 1 12903 12903 7,693 A • C 1 12351 12351 7,364 Vpn innerhalb 76 127465 1677

der Gruppen

0,01 0,01

< 0,01

Innerhalb 240 121275 D (Zeit) 3 3 266 1089 2,231 A • D 3 2926 975 1,999 U • D 3 1891 630 1,292 A • C • D 3 1954 651 1,335 D • Vpn innerhalb 228 111238 488

der Gruppen

Wenn auch die in der Risikohypothese postulierten geringffigigen Ver/~nderungen der Falschen-Alarm-Rate in unserer Untersuchung statistisch nicht zu sichern sind, so wollen wit doch angesichts der Ergebnisse von Bakan (1955) die Interpretat ion der Vigilanzleistung als einer Verschiebung des Kriterinms fiir die Unterscheidung yon Signalen und Nicht-Signalen beibehalten. Der Hauptgrund fiir die ausfiihrliche Diskussion der Risikohypothese der Vigflanzminderung ist in dem heuri- stischen Wert dieses Ansatzes zu sehen: ~ndere Deutungsversuche des Vigflanzverhaltens wie beispielsweise die arousal-Theorie vernachl/~ssigen in ihrem Bemiihen, den Abfall der Vigflanzleistung in Abh/~ng~gkeit yon der Beob~chtungsdauer zu erkl~ren, jene Arbeiten, in denen die Vpn die Entdeckungswahrscheinlichkeit auf dem anf~nglichen Niveau halten konnten bzw. im Laufe der Aufgabe einen Anstieg der Signalentdeckun~ gen erkennen liel~en, wie es auch in unserer Untersuchung unter Vor- sichts-Motivation der Fall ist. MSglicherweise kann gerade durch die Beriicksichtigung dieser , ,Ausnahmen" ein grfindlicheres Vcrst/~ndnis des Vigilanzabfalls gewonnen werden.

Wir nehmen an, dal~ die Ver/~nderung der Vigilanzleistung in Ab- h~ngigkeit von tier Zeit Ausdruck einer Verschiebung des Kriteriums fiir die Unterscheidung yon Sign~len und Nicht-Signalen ist. Dabei wird im Verlauf einer VJgil~nzaufgabe, in der die Vp anf/~ngtich die Stimulus-Ereignisse nach einem Risikokriterium in Signale und Nicht- Signale kategorisiert, die Risikoneigung allm/s abnehmen, was mit einer geringfiigigen Reduktion der Falschen-Alarm-l~ate und einer starken Abnahme der Wahrscheinlichkeit richtiger Signalentdeckungen

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132 G. Miiller:

verbunden ist. Wenn andererseits die Vp eine Vigflanzaufgabe mit besonderer Vorsieht falsehen Atarmen gegeniiber beginnt, ist anzuneh- men, dal3 sieh aueh diese Einstellung im Fortgang der Aufgabe ver~ndert, und zwar nicht mit dem Resultat einer verminderten, sondern eher einer erhShten Entdeekungswahrscheinlichkeit. Ein Naehlassen der anf~ngli- chen Vorsiehtshaltung bedeutet eine Verschiebung des Kriteriums zu vergrSl3ertem Risiko yon fa]schen Alarmen bei Anstieg der riehtigen Signalentdeekungen.

Es stellt sieh die Frage, welche Variablen auf das anf~ngliehe Sorg- faltsniveau Eirfflul~ nehmen. Zun~ehst is~ festzuhalten, dal~ eine direkte Manipulation der Ausgangsutilit~ten durch die Instruktion vorgenommen werden kann, wie aus unseren Ergebnissen hervorgeht. Bei geringen Kosten fiir die Abgabe eines falsehen Alarms und einem hohen Gewinn bei riehtigen Signalentdeekungen ist zu Beginn der Aufgabe eine beson- ders hohe Entdeckungswahrseheinliehkeit vorhanden, wohingegen sieh bei hohen Kosten ffir Typ-I-Fehler und geringen Gewinnen bei riehtigen Signalentdeckungen anf~nglieh eine sehr niedrige Entdeckungswahr- seheinliehkeit ergibt.

Nieht nur die direkt in der Instruktion vermitte]te Einstellung gegenfiber falsehen Alarmen beeinflul~t die zu Begirm der Aufgabe gew~hlte Bereitschaft zu Risiko und Vorsieht. Ein weiteres deskriptives Merkmal, das Hinweise auf das a~f~ngliehe Sorgfaltsniveau geben k6nnte, ist der Sehwierigkeitsgrad der Beobaehtungsaufgabe selbst. Die Sehwie- rigkeit der Aufgabe bestimmt die M6glichkeit des Aufbaus konkurrieren- der irrelevanter Reaktionstendenzen. In einfaehen Vigflanzaufgaben ist die Wahrseheinliehkeit dieser konkurrierenden Reaktionstendenzen, die das Auftreten yon falschen Alarmen bestimmen, zu Gunsten der domi- nierenden riehtigen Signalreaktionen reduziert. In sehwierigen Aufgaben dagegen sind zu Beginn der Aufgabe nieht nur riehtige, sondern aueh falsehe l%eaktionstendenzen vorhanden. Es seheint in komplexen Vigi- lanzanordnungen psyehologisch verst~ndlieh, wenn die Vp auf Grund der im Vergleieh zu einfaehen Aufgaben vergr613erten Anzahl irrelevanter Response-Tendenzen besonders zu Beginn der Aufgabe falsehe Alarme zu vermeiden sueht, d.h. eine sehr vorsiehtige Einstellung annJmmt.

Broadbent (1950) wie aueh Jerison u. Mitarb. (Jerison, 1959; Jerison und Wallis, 1957) fanden in mehrflgehigen Vigilanzaufgaben tin anfgng- lieh geringes Entdeekungsniveau, das sieh im Verlauf der Aufgabe nieht vers Aueh bei Baker (1959) ergab sich in einer Vigilanzaufgabe mit groBer 6rtlieher Signalunsieherheit eine relativ niedrige, night mit der Beobaehtungsdauer abnehmende Entdeekungswahrseheinliehkeit. Es besteht die MSgliehkeit, dab in diesen Aufgaben durch die Vielzahl der Orte, an denen ein Signal auftauchen karm, mehrere versehiedene Reaktionstendenzen aufgebaut werden, die die Vp zu Beginn der Aufgabe

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Allgemeinpsychologisohe Un~ersuehungen zum Vigilanzverhalten 133

dureh die Wahl eines Vorsichtskriteriums zu kontrollieren imstande ist, die aber im Fortgang der Aufgabe mit den richtigen Signalreaktionen in immer starker werdende Konkurrenz treten. Dieser ProzeB kann als die allm/ihliche En~stehung eines Risikoverhaltens beschrieben werden, das einerseits den Abfall der Entdeekungswahrscheinlichkeit verhindert, andererseits aber eine geringffigige Erh6hung der Falschen-Alarm-Rate beinhal~et.

In einfaehenVigilanzaufgaben dagegen, in denen irrelevante Response- Tendenzen in geringerem Mage Dominanz gewinnen k6nnen, besteht die anf~ngliehe Fureht vor falsehen Alarmen nicht. Die eindeutige Uber- legenheit yon riehtigen Signalreaktionen im Vergleieh zu anderen Reaktionstendenzen k6nnte die Vp zu Beginn der Aufgabe dazu ver- anlassen, ein weniger vorsiehtiges Entscheidungskriterium zu verwenden, als es anfgnglieh bei mehffl/~ehiger Darbietungsweise der Fall ist. Mit der Beobaehtungsdauer vollzieht sieh jedoeh im einfl/~ehigen Vigilanzversueh eine kontinuierliehe Aussehaltung der konkurrierenden l%eaktions- tendenzen, da die sieheren Signalreaktionstendenzen auf Grund ihrer dominanten Stellung in der Habit-Hierarchie mehr an Stgrke gewinnen als die relativ sehwaehen, unsicheren bzw. falschen Reaktionstendenzen. Diese Verfestigung der sicheren Signalreaktionen kann im Rahmen der detection-Theorie als eine Verschiebung des Entscheidungskri~eriums zu grSBerer Vorsieht aufgefagt werden, wobei die unmerkliche Reduktion der falschen Alarme mit einer gleichzeitigen starken Verminderung an riehtigen Signalentdeckungen verbunden is~.

Wie Broadben~ und Gregory (1963) naehweisen, wird durch die Darbietung won L~rm in einer Vigilanzaufgabe ein riskierendes Ver- halten beein~rgchtigt, nicht abet ein vorsichtiges: jane Signalentdeekun- gen, denen die Vp einen geringen Sieherheitsgrad zuweis~, sind unter L/~rm reduziert. Wenn wit annehmen, dab durch die Darbietung yon L/~rm der Aufbau irrelevanter Resloonse-Tendenzen begiinstig~ wird, k6nnen wit die wiederholt erw/~hnten Befunde yon Broadbent (1951, 1954) und Jerison (1957, 1959) zur Vigilanzleistung unter Larm im Zusammenhang mi~ der Risikohypothese erkl~ren: mSglicherweise ist bei einflaehiger Darbietungsweise unter Larm deshalb kein Abfall der Vigilanzleistung vorhanden, weft der in der Ruhebedingung vorhandene VerfestigungsprozeB der riehtigen Signalreaktionen durch die unter Lgrm sich allm/~hlieh aufbauenden irrelevanten Reaktionen verhindert wird. Das wfirde bedeuten, dab sieh bei einflgchiger Darbietungsweise unter Lgrmbedingungen das Entseheidungskriterium nieht zu iibergroBer Vor- sicht versehiebt.

Bei mehffl/~ehiger Darbietungsweise dagegen fiel unter L/~rm die Entdeekungsleistung bei Broadbent (1951, 1954) sowie bei Jerison u. Mitarb. (Jerison, 1959; Jerison und Wing, 1957) ab, wobei die Be-

10 Psychol. Forsch., Bdl 33

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1 3 4 G . M f i l l e r :

eintr~cht igungen durch Li~rm gegen Ende der Aufgabe am grSl~ten waren. Die langsam abnehmende Furch t vor falschen Alarmen un te r Ruhebedingungen wurde als Entwicklung einer Risikostrategie auf- geraint. W e n n n u n durch die Li~rmdarbietung zus~tzliche irrelevante l~esponse-Tendenzen entstehcn, die mi t der Beobachtungsdauer starker werden, kSnnte diese Strategie zusammenbrechen, was den Abfall der Entdeckungswahrscheinl ichkei t und die zeitliche Vertei lung der un te r L~rm verpal~ten Sign~le erkl~ren wiirde.

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