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Alphabetisierung in Entwicklungsländern Ein Blick auf Brasilien und Paulo Freire Seminararbeit im Rahmen des SK Kooperative Religionsdidaktik Mit Lust an der Welt in Sorge um sieName der Studierenden: Vitroler Silvia, 1015874 Professor: o. Univ.-Prof. Dr. Scharer Matthias LV-Nr.: 223306 SS 2013

Alphabetisierung in Entwicklungsländern · Ein Blick auf Brasilien und Paulo Freire ... Situation und wollte die Industrialisierung fördern. Er wollte weg von ausländischen Einfluss

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Alphabetisierung in Entwicklungsländern Ein Blick auf Brasilien und Paulo Freire

Seminararbeit im Rahmen des SK Kooperative Religionsdidaktik “Mit Lust an der Welt – in Sorge um sie”

Name der Studierenden: Vitroler Silvia, 1015874 Professor: o. Univ.-Prof. Dr. Scharer Matthias

LV-Nr.: 223306 SS 2013

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ....................................................................................................................................................... 3

Der Begriff “Entwicklungsland” .................................................................................................................... 4

Unterschiedliche Rahmenbedingungen der Entwicklungsländer ............................................................... 4

Geographische Lage ............................................................................................................................. 4

Geschichtlicher Hintergrund ................................................................................................................. 4

Religion und Mentalität ........................................................................................................................ 5

Koloniale Vergangenheit ....................................................................................................................... 5

Brasilien ....................................................................................................................................................... 6

Geschichtlicher Überblick ......................................................................................................................... 6

Brasilien als Kolonie (1500 – 1822) ....................................................................................................... 6

Brasilien als Königreich (1808 – 1889)................................................................................................... 7

Brasilien als Republik ............................................................................................................................ 7

Alphabetisierung in Entwicklungsländern ..................................................................................................... 9

Aufgaben der Erwachsenenbildung .......................................................................................................... 9

Traditionelle Alphabetisierung ................................................................................................................. 9

Alphabetisierungswelttag ....................................................................................................................10

Exkurs: Empowerment ................................................................................................................................11

Brasilien und Paulo Freire ...........................................................................................................................12

Biographisches ........................................................................................................................................12

Freires Konzept der Erwachsenenbildung ................................................................................................13

Freires Alphabetisierungsmethode ..........................................................................................................13

Allgemeine Hilfsmittel und Methoden bei Alphabetisierung ........................................................................15

Freire: Pädagogik der Unterdrückten – Bildung als Praxis der Freiheit..........................................................16

Literaturverzeichnis ....................................................................................................................................19

Internetquellen ...........................................................................................................................................19

3

Vorwort

Im Rahmen des Seminars „Kooperative Religionsdidaktik: ‚Mit Lust an der Welt – in Sorge um sie‘. Paulo

Freire und Ruth C. Cohn in historisch-politischer und religionspädagogischer Perspektive“ entschied ich mich

in meiner Arbeit genauer auf Paulo Freire und sein Alphabetisierungskonzept einzugehen.

Ich überlegte sehr lange bis ich mich für dieses Thema entschied, das mich interessierte.

Paulo Freire war in der Alphabetisierungsarbeit einer der wichtigsten Personen, die es geschafft haben über

den eigenen Kontinent hinaus, mit einem guten Konzept bekannt zu werden.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick zu geben über Bildung im Erwachsenenbereich. Die Arbeit ist

allgemein gehalten, zieht den Fokus aber immer wieder auf Brasilien und Paulo Freire.

In einem ersten Schritt wird der Begriff „Entwicklungsland“ genauer beschrieben und die unterschiedlichen

Rahmenbedingungen, warum es weniger entwickelte Länder gibt und wo diese meist liegen.

Nachher ziehe ich den Fokus auf die geschichtliche Entwicklung Brasiliens. Anschließend folgt eine

Stellungnahme zur allgemeinen Alphabetisierung in Entwicklungsländern, wobei im Anschluss der Fokus

wieder auf Brasilien gelegt wird. Nach einer allgemeinen Beschreibung der Hilfsmittel und Methoden für die

Alphabetisierung gehe ich noch auf das Werk „Pädagogik der Unterdrückten“ von Paulo Freire ein, das

wesentlich für unser Seminar im Bildungshaus St. Michael war. Seine pädagogische Praxis und sein

Erziehungsprinzip richten sich gegen Armut und Ausbeutung. Lernen bedeutet für ihn Erkenntnis und

Veränderung des Lebens, es soll bei jedem Einzelnen eine Einheit von Denken und Handeln entwickelt

werden.

Im Folgenden werde ich bei meiner Arbeit aus Einfachheit und Lesefluss nur die männliche Form

verwenden, wobei die weibliche selbstverständlich mit gemeint ist.

4

Der Begriff “Entwicklungsland”

Was den Begriff „Entwicklungsland” angeht, gibt es keine allgemeine einheitliche Definition, doch der

Großteil dieser Staaten weist einige Gemeinsamkeiten auf. Es herrscht eine schlechte Versorgung der

Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, was zu Unterernährung, Hunger und einer geringen Lebenserwartung

führt. Durch mangelnde Gesundheitsversorgung kommt es zu einer hohen Kindersterblichkeitsrate.

Ungenügende Bildungsmöglichkeiten und eine hohe Analphabetenquote führen zu Arbeitslosigkeit, einen

niedrigen Lebensstandard und einer ungleichen Verteilung der vorhandenen Güter. Im Allgemeinen werden

Entwicklungsländer als „arm“ bezeichnet.1

Zu diesen Ländern zählen vor allem die Nationalstaaten in Lateinamerika und durch die Kolonien

entstandenen Länder in Afrika und großen Teilen Asiens.2

Unterschiedliche Rahmenbedingungen der Entwicklungsländer

Geographische Lage

Wegen der geographischen Lage und somit ihrer klimatischen Folgen, liegen viele arme Länder auf der

Südhalbkugel, wie z.B. die Sahelzone in Afrika, welche für die Landwirtschaft ungeeignet ist. Ein weiteres

geographisches Problem stellt das Himalayagebirge dar, das sich negativ auf die Landwirtschaft Buthans und

Nepals auswirkt. Die Bewohner von anderen Entwicklungsländern wie z.B. Haiti können sich allerdings der

Landwirtschaft erfreuen durch Anbau von Kaffee, Kakao, Tabak und Zitrusfrüchten, leiden aber trotzdem an

Mängeln. Hingegen in Finnland gibt es kaum Landwirtschaft, doch der Lebensstandard der Bevölkerung ist

hoch.

Geschichtlicher Hintergrund

Diejenigen Völker, die ihre Unabhängigkeit früher erkämpf haben als andere, dazu zählen jene von Mittel-

und Südamerika, weisen heute einen höheren Wohlstand auf als andere südliche Länder. Hochkulturen wie

Indien oder China beschreiten eigene Entwicklungswege und haben weltpolitischen Einfluss erlangt. In

Afrika wird unterschieden zwischen Schwarzafrika und dem weißen Norden, wobei dieser höher entwickelt

ist.

1 Vgl. http://www.bmz.de/de/service/glossar/E/entwicklungsland.html (Stand September 2013)

2 Vgl. Koslowski, Jutta, Sozialarbeit in “Entwicklungsländern”. Ein Überblick zu Bedingungen und Bedeutung, Münster: Lit Verlag, 1995, 28

5

Religion und Mentalität

Durch die unterschiedlichen Auffassungen kommt es auch zu unterschiedlichen Entwicklungen. In

Schwarzafrika könnte der dort vorhandene Animismus das Fortschreiten der Bildung und industriellen

Entwicklung beeinträchtigen. Ein weiteres Hindernis könnte die patriarchale Großfamilie, die durch den

Islam geprägt wird, darstellen, denn dadurch wird die persönliche und soziale Unabhängigkeit

eingeschränkt. Ähnliche Familienbindungen gibt es auch in Ostasien.

Koloniale Vergangenheit

In den südlichen Ländern herrscht eine unterschiedliche koloniale Vergangenheit. Die meisten von ihnen

standen in einer direkten Abhängigkeit zu einer Kolonialmacht. Die Länder wurden stark von Staatssprache,

dem politischen System und dem Aufbau des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystems der Kolonialherren

beeinflusst. Besonders in Lateinamerika sah man starke Auswirkungen der spanischen Kolonialmacht, die

die einheimischen Völker ausrotten ließ und die eingewanderten Spanier sich mit der restlichen

Bevölkerung vermischten. Die Konquistadoren wurden somit selbst zu Einheimischen und kämpften nun um

die Unabhängigkeit.

Die Präsenz der Kolonialherrscher beschränkte sich vor allem auf die Ausbeutung von Rohstoffen und

Bodenschätzen und dem Sklavenhandel in Westafrika. In solchen Ländern gibt es bis heute Beeinträchtigung

der Agrarstruktur durch die koloniale Monokultur, die nur auf Fremdbedürfnisse ausgerichtet war.

In anderen Ländern (z.B. Indien) gab es eine Zusammenarbeit im sozialen und kulturellen Bereich, das bis

heute als fruchtbar angesehen werden kann, wobei damals auch die Interessen der Konquistadoren im

Vordergrund standen.3

3 Vgl. Koslowski, Jutta, Sozialarbeit in “Entwicklungsländern”. Ein Überblick zu Bedingungen und Bedeutung, Münster: Lit Verlag, 1995, 36-40

6

Brasilien

Geschichtlicher Überblick

Die Geschichte Brasiliens beginnt vor 10.000 Jahren durch erste Besiedelungen. Entscheidend war die

Entdeckung durch die Europäer im 15. Jahrhundert.

Brasilien als Kolonie (1500 – 1822)

Als Brasilien am 22. April 1500 entdeckt wurde, gab es manche neue Eindrücke für die europäische Kultur.

Die Bevölkerung war dunkelhäutig und lief nackt herum, sie glaubten an keinen Gott und kannten nicht Brot

und Wein, das als christliche Hauptnahrung galt. Die Europäer hatten somit das Gefühl, die Indianer

christianisieren zu müssen und somit trafen 1549 die ersten Jesuiten in Brasilien ein. Bei der Einführung der

europäischen Kultur bestand eine völlige Ignoranz der Kolonisatoren gegenüber der Kultur der Indios. Im

Gegensatz zum Herrschaftsdenken der Europäer, waren die Indios sehr friedfertig und lebten im Einklang

mit der Natur.

Ab 1530 wanderten die ersten Portugiesen nach Brasilien aus. Der Großteil der Einwanderer, darunter

Adelige sowie Sträflinge, hatten es sich zum Ziel gemacht, so schnell wie möglich reich zu werden mit wenig

Geld und ohne eigenen Einsatz oder körperlicher Arbeit, dafür hatten sie Sklaven.

Die Kolonisatoren lebten zuerst ohne Frauen und Familie dort, somit entstanden Verbindungen mit

indianischen Frauen und auch Afrikanern, die als Sklaven gehalten wurden. Die „Mischlinge“, die daraus

hervorgingen, mussten hart arbeiten und durften sich nicht aus- und weiterbilden.

Die Gesellschaft wurde nach der Hautfarbe eingeteilt, an oberster Spitze standen die reichen Weißen,

nachher kamen die armen Weißen, gefolgt von den Indios und als letzte Schicht die Schwarzen. Die weißen

Europäer galten als besser, intelligenter, würdevoller und glaubwürdiger als die Dunkelhäutigen. Die Basis

der Unterdrückung bilden bis heute Misswirtschaft und Korruption in Brasilien. Bis heute werden die

Bürgerrechte und das Schulsystem von der Diskriminierung der Farbigen beeinflusst.

Für die allgemeine Schulbildung, die nur Adelige erhielten, waren die Jesuiten verantwortlich. Um das Volk

zu christianisieren, war es wichtig, dass es Lesen und Schreiben lernte. Während für die Oberschicht die

Bildung in Richtung Priesterausbildung ging, lehrte man den Indios Fleiß und Unterwerfung. Den Indios

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wurde von den Jesuiten nur das Notwendigste beigebracht, den Schwarzen hingegen wurde der

Schulbesuch komplett verboten.

Am Beginn des 17. Jahrhunderts trennte sich eine kleine Gruppe von Jesuiten von der Gesellschaft und zog

sich mit den Indios in „Reduktionen“4 zurück, wo sie Lesen, Schreiben und kleinere handwerkliche Berufe

erlernten. 1759 wurden die Jesuiten aus Brasilien ausgewiesen und die Menschen in den Reduktionen

ermordet. Mit der Ausweisung der Jesuiten brach das komplette Schulsystem zusammen. Erst einige Jahre

später wurden in ein paar größeren Siedlungen sog. königliche Schulen für die Mittelschicht eingerichtet.5

Brasilien als Königreich (1808 – 1889)

1807 wurde Portugal von französischen Truppen bedroht, somit flüchtete der portugiesische König nach

Brasilien, wo er sich Gleichberechtigung verschaffte.

Sein Sohn und Nachfolger Dom Pedro verkündete am 7. September 1822 die Unabhängigkeit Brasiliens und

krönte sich am 22. September zum Kaiser. Brasilien hatte zwar politische Freiheit erlangt, war aber

ökonomisch von England abhängig. Für den Großteil der Bevölkerung war diese Unabhängigkeit eher

negativ, denn sie mussten jetzt mehr für den Export arbeiten um somit die Schulden abzuzahlen. Somit

hatte sich Brasilien von Portugal freigekauft, aber an England verkauft.

1831 dankte Pedro I. ab und ebnete den Weg für seinen Sohn Pedro II, der bis 1889 in Brasilien herrschte.

Durch Kaffee und Kautschuk kam es zu einem wirtschaftlichen Wachstum und die Oberschicht gewann an

größeren Einfluss in der Politik und konnte somit die eigenen Interessen besser absichern. Der König war

weiterhin Alleinherrscher und ignorierte die Unruhen der europäischen Einwanderer. Im Mai 1888 während

der Abwesenheit des Königs brach Prinzessin Dona Isabell den Bann der Sklaverei und somit wurde ein Jahr

später auch der König abgesetzt. Diese Ereignisse führten zum Ausruf der Republik am 24. Februar 1891.

Brasilien als Republik

Die Industrie wurde aufgebaut und die Städte modernisiert, was zu gesellschaftlichen Umwandlungen

führte. Söhne von Großgrundbesitzern, die von den Ideen der französischen Revolution ergriffen wurden,

riefen die Politiker zur Aufhebung der Missstände auf, die im Landesinneren weiterhin herrschten. Jenen

wurde allerdings kein Gehör geschenkt und die Menschen im Landesinneren erfuhren nichts von der

Entwicklung und einer neuen Lebensqualität der Gesellschaft. Die befreiten Sklaven wussten somit nichts

4 Stadtrepubliken, die von den Jesuiten mit den Guarani-Indios im Süden Brasiliens, in Paraguay und Argentinien gebaut curde. Anders als in den Jesuitenschulen des Nordens versuchte man dort wirklich demokratisch zusammen zu leben. 5 Vgl. Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 24-33

8

von den freien Arbeitsplätzen in der Industriegesellschaft und auf den Kaffeefarmen. Die freien

Arbeitsplätze wurden hingegen von europäischen Einwanderern besetzt.

1906 schlossen sich die Kaffeeproduzenten in Brasilien zu einem Verband zusammen, um ihre Interessen

besser zu verwirklichen. Der Kaffee wurde ins Ausland vermarktet und die Wirtschaft des Landes war von

den Kaffeepreisen abhängig. Ausländische Investoren kooperierten mit der Oberschicht und gewannen

Einfluss im Land. Somit gingen viele Industriebetriebe in ausländischen Besitz über. Äußerlich florierten die

Städte und Straßenbahnen, und Autos verschleierten den Blick auf die Armut, die weiterhin Realität war.

Es gab viele arbeitslose und obdachlose Familien, die vom Land in die Stadt wollten um dort zu arbeiten. Die

Bewohner der „favelas“ kamen vor allem aus dem Nordosten. Ihre Einwohner arbeiteten in Fabriken, am

Hafen oder hatten Gelegenheitsjobs. Soziale Absicherung bei Krankheit, Arbeitsunfällen oder Tod gab es

nicht, genauso wenig wie eine Kündigungsfrist. Durch den Kapitalismus und die Konzentration des

Landbesitzes in den Händen der Reichen, schrumpfte jede Hoffnung auf ein unabhängiges Leben der

Bewohner der „favelas“.

Nach dem ersten Weltkrieg erholte sich die europäische Wirtschaft wieder und importierte von Neuem

nach Brasilien, was die Binnenwirtschaft zusammenbrechen ließ. Somit kam es zu erneuter Arbeitslosigkeit

und sozialen Unruhen. Eine neue Regierung unter Vargas versprach den Armen eine Verbesserung ihrer

Situation und wollte die Industrialisierung fördern. Er wollte weg von ausländischen Einfluss und einige

Neuerungen herbeiführen, wie z.B. Sozial- und Altersversorgung, Arbeitsschutzgesetz, Krankenkasse,

Mindestlohn, Mutterschutz, 48-Stundenwoche usw. Nach 15 Jahren seiner Herrschaft dankte er ab, weil er

dem Druck des Militärs und der USA nicht standhalten konnte. Nach einer erneuten Machtübernahme

Vargas‘ war Brasilien politisch und wirtschaftlich seht geschwächt und konnte somit seine Versprechen nicht

mehr einhalten, was ihm beim Volk ins Abseits stellte.

Trotz der vielen Fortschritte die Vargas für das Volk brachte, hielt Vargas das Volk immer niedrig, denn die

Menschen hatten kein politisches Mitspracherecht. Das Bewusstsein des Individuums wurde auf die Nation

ausgerichtet, die sich durch Fleiß, Arbeit, Ordnung und Fortschritt auszeichnete.6

6 Vgl. Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 34-49

9

Alphabetisierung in Entwicklungsländern

Aufgaben der Erwachsenenbildung

Das Ziel der Erwachsenenbildung ist in Entwicklungsländern vor allem darauf ausgerichtet, das

Analphabetentum abzuschaffen. Es gibt kein allgemeines Schema, was den Aufbau der Erwachsenenbildung

in Entwicklungsländern betrifft, doch es stehen dieselben Fragen im Vordergrund. Einerseits geht es um die

Bildung der breiten Masse, um die Bekämpfung des Analphabetentums, bessere Ernährungsweise,

individuelle und öffentliche Hygiene, Vermeidung und Bekämpfung von Krankheiten, Modernisierung der

Verwaltung, Bildung eines staatsbürgerlichen Bewusstseins usw. Andererseits will die Erwachsenenbildung

auch die bereits erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse erweitern und vertiefen.

Die Erwachsenenbildung muss nach Julius Kambarage Nyerere das Verlangen nach Veränderung wecken

und zeigen, dass Veränderung überhaupt möglich ist. Armut und Leiden sollen nicht als Wille Gottes

abgetan werden, der Mensch muss es nicht einfach dulden und hinnehmen. Die Menschen sollen durch die

Erwachsenenbildung von der Unwissenheit und Abhängigkeit befreit werden. Sie zielt darauf ab,

Entscheidungsfähigkeit und kritisches Bewusstsein zu wecken.

Die Vereinten Nationen haben das Recht und die Pflicht auf Bildung erhoben, doch allerdings gibt es in den

Entwicklungsländern kaum die Möglichkeit, lesen und schreiben oder gar eine spezielle Ausbildung zu

erlernen.

Traditionelle Alphabetisierung

Nicht überall hat die Alphabetisierung zugleich begonnen, das hing vom Gebiet und der Religion ab. Im

Islam ist man dazu verpflichtet, sich ein Leben lang zu bilden, dazu gehört auch lesen und schreiben lernen.

Doch auch bei den Muslimen gibt es zahlreiche Analphabeten. Das hängt mit den jeweiligen Herrschern

zusammen, die keine gebildeten Untertanen wollten, aus Angst, dass eine aufgeklärte Bevölkerung eine

Bedrohung für ihre Herrschaft sein könnte.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es allgemeine Entwicklungspläne, in denen die Alphabetisierung und

Bildungsreformen integriert wurden.

Es hat positive Auswirkungen wenn Erwachsene alphabetisiert werden, denn somit ist deren Motivation

auch größer die eigenen Kinder in die Schule zu schicken und ihnen beim Lernen zu helfen.

In verschiedenen Ländern wird mit verschiedenen Methoden versucht Alphabetisierungskampagnen

durchzuführen, nicht überall konnten die gleichen Erfolge erzielt werden.

10

Die afrikanischen und arabischen Länder sind mit einer Analphabetenquote von 55% am stärksten

betroffen. In Asien ist es von Land zu Land sehr unterschiedlich. Z.B. in Afghanistan sind nur 5% der Frauen

alphabetisiert. Lateinamerika und die karibischen Staaten sind sehr weit fortgeschritten und nur

durchschnittlich 17% der Bevölkerung sind dort Analphabeten.

Gründe dafür sind die Bevölkerungsexpansion in diesen Ländern und der mangelnde Einsatz der Regierung

vor Ort. Unwissenheit, Krankheit und Armut gelten als die größten Feinde des Menschen, wobei

Unwissenheit als Ursache für die beiden anderen dargestellt wird. Viele der Entwicklungsprojekte können

aufgrund der hohen Analphabeten gar nicht durchgeführt werden und sind somit schon zum Scheitern

prädestiniert.

Alphabetisierte Menschen haben es auch bei der Arbeitssuche leichter, denn es wurde festgestellt, dass sie

besser, effizienter und vorsichtiger mit Maschinen umgehen und somit wird denen auch mehr Lohn

ausbezahlt.

Ab dem Jahr 1975 kann man sagen, dass es eine Wende in den Alphabetisierungsprojekten gab, da

genügend Erfahrung in den Jahren zuvor gemacht wurde. Gute Erfahrungen machte man dort, wo

mindestens die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung schon lesen und schreiben konnte. Ziel der

Alphabetisierungskampagnen ist, dass die Menschen zur Selbsthilfe befähigt werden und sich somit aus

ihrer Abhängigkeit lösen können. Außerdem soll Alphabetisierung der Erfüllung von Demokratie in sozialer

und ökonomischer Hinsicht dienen.7

Alphabetisierungswelttag

Am 8. September findet alljährlich der Welttag der Alphabetisierung statt. Dieser soll uns daran erinnern,

dass es ein Privileg ist lesen und schreiben zu können. 2013 wurden Projekte in Indien, Tschad, Namibia,

Bangladesch und der Elfenbeinküste mit dem UNESCO-Preis ausgezeichnet.

2013 stand der Welttag unter dem Motto „Alphabetisierung für das 21. Jahrhundert“. Die Fertigkeiten lesen

und schreiben zu können sind der Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft und tragen zur interkulturellen

Verständigung bei.

Im Jahr 2000 hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet sechs Bildungsziele zu erreichen. Ein Ziel

davon ist, die Analphabetenquote bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren.8

7 Vgl. Baha, Assadullah, Erwachsenenbildung und Alphabetisierung in Entwicklungsländern, Wien/Baden: Verlag G.

Grasl, 1990, 13-22 8 Vgl. http://www.unesco.de/alphabetisierung.html (Stand September 2013)

11

Schätzungen der Zahl erwachsener Analphabeten und Alphabetisierungsraten nach Regionen 1990 und

2000-2004:9

Exkurs: Empowerment

Der Begriff „Empowerment“ kommt aus dem Englischen und kann am besten mit „Selbstermächtigung“

übersetzt werden. Dabei geht es um die Ermächtigung von Menschen. Es handelt sich um eine

Selbstinitiative von armen, arbeitslosen, psychisch kranken, behinderten und weiteren sozial

benachteiligten Menschen. Zum Ziel setzten sie sich die Überwindung von sozialer Ungerechtigkeit und

Benachteiligung.

Mit Empowerment sind alle Möglichkeiten und Hilfen gemeint, die machtlose Menschen befähigen, ihr

eigenes Leben zu kontrollieren, indem eigene Stärken erkannt werden und die Menschen sich gegenseitig

ermutigen, ihr eigenes Leben und ihre soziale Umwelt zu gestalten.

Es werden Bedingungen geschaffen, die es Menschen ermöglichen die eigenen Ressourcen zu entdecken,

sich derer bewusst zu werden und diese zu entwickeln. Die individuellen Stärken, Fähigkeiten und Potentiale

eines jeden einzelnen werden in den Mittelpunkt gestellt und somit können sie entfaltet werden. Bei

diesem Konzept ist jeder Experte, was die eigene Sache betrifft. Dies bedeutet einen Bruch mit der

herkömmlichen Sozialarbeit, denn die Menschen werden nicht mehr als hilflos und unfähig gesehen,

9 http://www.sid-berlin.de/files/Alphabetisierung%20in%20Entwicklungsl%C3%A4ndern.pdf (Stand September 2013)

12

sondern sie können sich selbst helfen. Die Sozialarbeiter handeln und sorgen nicht mehr direkt, sondern

bieten kooperative und professionelle Unterstützung bei der Selbstermächtigung.

Das Empowerment-Konzept ist prozessorientiert, es richtet sich an die Bedürfnisse der Menschen und Ziel

ist immer, den Menschen zu einer größeren Kontrolle über ihr Leben zu verhelfen.

Damit ein solcher Prozess überhaupt zustande kommt, muss sich der Betroffene seiner Position bewusst

sein, diese wahrnehmen und analysieren. Hierfür braucht es soziale Unterstützung und eine fördernde

Haltung von mehreren beteiligten Personen. Es ist also immer von Kooperation und Beteiligung der

Betroffenen bestimmt. Von der professionellen Sozialarbeit wird Vertrauen in die individuellen Ressourcen

und Fähigkeiten der Betroffenen verlangt.10

Brasilien und Paulo Freire

Biographisches

Paulo Regules Neves Freire kam am 19. September 1921 in Recife zur Welt. Sein Vater war Offizier der

Militärpolizei und seine Mutter Hausfrau, Stickerin und zugleich strenge Katholikin.

Die Familie gehörte dem gehobenen Mittelstand an und Freire genoss eine eher liberale Erziehung wo

spielerischer Freiraum für kreatives Lernen vorhanden war.

Wegen der negativen wirtschaftlichen Entwicklungen 1928 musste die Familie umziehen und Freire lernte

bald was es heißt, in Not zu leben. Als er 13 Jahre alt war starb sein Vater, die Situation verschlechterte sich,

sein Leben war jahrelang vom Hunger geprägt. Bereits mit elf Jahren beschloss er für sein Leben, den

Hunger zu bekämpfen. Schon als Kind begriff er, dass Intelligenz und Lernfähigkeit nichts mit Hautfarbe oder

Schichtenzugehörigkeit zu tun hatte und diese Erkenntnis formte sein weiteres Denken und Handeln. Durch

das Jurastudium hoffte er für Gerechtigkeit im Land sorgen zu können, doch als er merkte, dass die Rechte

für die herrschende Klasse formuliert waren, widmete er seine Zeit der Philosophie, der Pädagogik und den

Kommunikationswissenschaften.

Freire gelang es den Arbeitern und Lehrern die Unterdrückungsmechanismen und unterschiedlichen

Menschenbilder und somit die Entwicklung Brasiliens nahezubringen, sodass er mit seiner Erziehungs- und

Bildungsmethode weltweit bekannt wurde.11

10

http://www.a-wagner-online.de/empowerment/emp2.htm (Stand September 2013) 11 Vgl. Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995,77-80

13

Freires Konzept der Erwachsenenbildung

Freire stellt sich in seiner Bildungsarbeit vor allem die Frage nach der Würde des Menschen. Worin sie

besteht, wodurch sie bedroht und wodurch sie behauptet wird.

Wie auch John Locke verbindet Paulo Freire die Würde des Menschen mit dessen Handlungsfähigkeit. Durch

das Handeln ist der Mensch fähig auf die Welt einzuwirken, diese Fähigkeit wird aber durch die

herrschenden Verhältnisse bestimmt. Verhältnisse wie Armut, Ausbeutung und Unterdrückung führen

wiederum zu Handlungsmustern, die nur dem Überleben dienen. Somit gerät das Subjekt in einen

Teufelskreis von Überlebensstrategien und aufgezwungener Denkweise.

Um sich aus einer solchen Situation zu befreien, müssen die Betroffenen sich zusammenschließen und ein

befreiendes Denken sowie Handlungsfähigkeit lernen.

Jede Alltagserfahrung der Betroffenen kann neue Lernmöglichkeiten bieten, indem die eigene Situation

bewusst gemacht wird und von dieser gemeinsam neue Handlungsperspektiven, mit dem Ziel einer

Verbesserung der jeweiligen Lebenssituation, entwickelt werden.12

Freires Alphabetisierungsmethode

Freire gelang es die Menschen zum Lesen und Schreiben zu motivieren, indem er Arbeitsgruppen aus

Sozialarbeitern, Lehrern, Studenten, Kulturgruppen und Menschen aus unterschiedlichen Stadtvierteln

bildete. Ihre Lebenswelt und materielle Armut wurde in Rollenspielen zum Thema gemacht, somit

entwickelte sich ein neues politisches Bewusstsein.

Am Anfang wurde der Wortschatz aus der direkten Umgebung der Menschen erforscht. Ihre

Ausdrucksweise, Wünsche und ihre Lebenswelt wurden in Wörtern, die den Menschen etwas bedeuteten,

aufgegriffen. Nachher wurden diese Wörter von Lehrern in drei Schritten überprüft ob sie sich zum

Lernprozess eignen:

o „der Reichtum an Phonemen im Wort;

o seine phonetischen Schwierigkeiten;

o die Bedeutsamkeit eines Wortes für die realen Lebenszusammenhänge“13

Es mussten also Wörter mit vielen verschiedenen Vokalen und Konsonanten sein, damit sich neue Wörter

mit den bereits bekannten Buchstaben bilden ließen.

12 Vgl. Mergner, Gottfried, Paulo Freires Konzept der Erwachsenenbildung in Dabisch, Joachim (Hrgs.), Dialogische Erziehung bei Paulo Freire, Oldenburg: Vde, 1999, 17-19 13Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 87

14

Die sog. „generativen“ Wörter, also jene, die für das Lebens- und Weltverständnis der Lernenden wichtig

sind, bilden die Grundlage für neue Lerninhalte und Themen. Zum „Kodierungsprozess“ zählte die Auswahl

und Gliederung der Wörter. Im „Dekodierungsprozess“ wurde dann der Zusammenhang der ausgewählten

Wörter ermittelt.

Der Unterricht lief in folgenden Phasen ab:

o „Ein Wort wurde optisch und akustisch vorgestellt und besprochen;

o das Wort wurde in Silben aufgeteilt;

o die bereits bekannten Laute wurden im vorgestellten Wort gesucht, um anschließend damit neue

Wörter zu bilden.“14

Am Wort FAVELA soll die Praxis deutlich werden:

Favela (dt. Elendsviertel) kommt sehr häufig vor, wenn es um die Lebenssituation der Menschen vor Ort

geht. Ein erster Schritt ist es, viele Zusammenhänge mit diesem Wort zu finden, wie z.B. Obdach, Nahrung,

Gesundheit, Erziehung, Kleidung usw. Anschließend kann daraus eine Diskussion entstehen und durch die

neuen Wörter wie Obdach entstehen weitere Diskussionen. Es geht also darum, dass diese Wörter nah an

der Lebensrealität der Menschen sind. Nach dieser Analyse des Begriffs wurde die semantische Gliederung

durchgeführt.

o „Visualisierung […] des Wortes FAVELA

o Vorstellung der Silbenaufgliederung: FA-VE-LA

o Vorstellung der phonetischen Gruppe

FA FE FI FO FU

VA VE VI VO VU

LA LE LI LO LU

o Kombinierung der einzelnen phonetischen Silben zu neuen Wörtern durch Mitglieder der

Alphabetisierungsgruppe:

FAVA (dt. zum Teufel schicken)

FAVO (dt. Wabe)

VELA (dt. Kerze, Zündkerze, Segel, Nachtwache)

VILA (dt. Dorf)

FALA, FALO (dt. Ich spreche, du sprichst)

VIVA, VIVO, etc.“15

14Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 88 15Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 89

15

Die Wörter wurden zunächst vom Gruppenleiter an die Tafel geschrieben. Der Unterricht verlief im Dialog

und dieser steigerte den Lernprozess. Das Lesen lernen ging einher mit dem Prozess des Verstehens der

Gesamtwirklichkeit. Die Lernenden begriffen die politische, soziale und ökonomische Situation besser und

konnten ihr Wissen bewusst umsetzen und anwenden.

In diesen Dialogen merkte die Bevölkerung erst, dass sie eigene Individuen waren und wurden sich ihrer

Identität und somit ihrer sozialen Rollen bewusst.16

Allgemeine Hilfsmittel und Methoden bei Alphabetisierung

Damit Alphabetisierungskurse effizient durchgeführt werden können, braucht es geeignete Hilfsmittel,

Methoden und Lehrer, die allerdings in den Entwicklungsländern selten vorhanden sind.

Die Bedeutung von Massenmedien (Filme, Rundfunkt, Fernsehen) ist für die Erwachsenenbildung sehr

wichtig, da es alle verstehen können, auch diejenigen die nicht lesen oder schreiben können. Damit diese

Medien aber wirklich effektiv genutzt werden können, muss auf die lokalen Kulturen geachtet werden. Das

Problem bei Massenmedien, wie auch dem Radio liegt darin, dass Menschen in ländlichen Gebieten oft

keinen Empfang haben und somit diese Medien nicht genutzt werden können. Ziel ist es mehr

Radiostationen auch in den ländlichen Gebieten zu errichten, da das Radio auch eine erzieherische und

aufklärerische Funktion hat.

1969 wurde in Nordargentinien das sog. „Radioschule“-Projekt von INCUPO gegründet. Die ärmsten der

Bevölkerung sollten über Radioprogramme Fortbildung erhalten, die praxisbezogen ist. Neben der

Fortbildung gibt es auch didaktische Materialien, wie Kassetten, Zeitschriften und Diaserien. Effizienter ist

diese Methode, wenn die Übertragung in Klassen stattfindet, denn somit können sich die Teilnehmer

nachher direkt austauschen und Diskussionen können entstehen.

Noch effektiver als der Rundfunk wäre das Fernsehen. Die ländliche Bevölkerung könnte besser aus ihrer

Isolation befreit werden und anschließende Diskussionen könnten zum gemeinsamen Handeln führen.

Somit können auch Kurse übertragen werden, die die Lese- und Schreibfähigkeit verbessern. Außerdem

wird ein stärkeres nationales Zusammengehörigkeitsgefühl durch Musik und Unterhaltung erzielt.

Es ist sehr darauf zu achten, dass Radio und Fernsehen richtig eingesetzt werden und nicht bloß für

politische Propaganda, Manipulationen der Bevölkerung und somit für falsche Bedürfnisse sorgen, wie z.B.

Zigaretten, Alkohol oder Kosmetika.

Ein weiteres positives Hilfsmittel in der Erwachsenenbildung sind die Wandzeitungen, die als Form von

Dorfzeitungen der Aufklärung und Weiterentwicklung des Dorfes dienen. Es wird darauf geachtet, Texte in

16 Vgl. Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995, 86-90

16

einfachen grammatikalischen Sätzen zu formulieren und den Inhalt auf die Lebenswelt der Dorfbewohner

abzustimmen. Ein Problem hierbei ist, dass die Neuleser die Zeitungsartikel für Fortgeschrittene nicht

verstehen können und somit gleich das Interesse am Lesen wieder verlieren und ins Analphabetentum

zurückfallen. Somit ist es wichtig die Zeitschriften den verschiedenen Niveaus und Altersklassen

anzupassen.

Um die Zeitschriften so gut wie möglich den Bedürfnissen und Interessen der Menschen angleichen zu

können, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Fachleuten, Autoren und Redakteuren Voraussetzung.17

Freire: Pädagogik der Unterdrückten – Bildung als Praxis der Freiheit

Die Pädagogik der Unterdrückten ist aus einer konkreten Situation erwachsen, sie beschreibt Reaktionen

von Landarbeitern und von Bürgerlichen. Das heißt diese Pädagogik ist nicht nur durch Denken und Studium

entstanden.

Das Sektierertum steht der Befreiung der Menschen im Weg. Die rechtsgerichtete Version ruft nicht immer

den natürlichen Widerpart auf den Plan, nicht selten werden Revolutionäre reaktionär, indem sie im Prozess

der Antworten ihrerseits dem Sektierertum verfallen.

Rechtsorientierte Sektierer: Gegenwart zu domestizieren in der Hoffnung, dass Zukunft die domestizierte

Gegenwart reproduziert.

Linksorientierte Sektierer: Zukunft ist festgelegt- unausweichliches Schicksal.

Beide legen nicht die Hände in den Schoß und warten; sie schließen sich in den Zirkel der Gewissheit ein

und erzeugen so eine eigene Wahrheit. Die Folge davon ist die Trennung vom Volk.

Humanisierung ist im grundsätzlichen Sinne ein Zentralproblem des Menschen.

Nimmt man sich der Humanisierung an, kommt es zum Phänomen der Enthumanisierung. Humanisierung

ist die wahre Befreiung des Menschen, sie wird zerstört durch Ungerechtigkeit, Ausbeutung,

Unterdrückung, etc.

Der Kampf gegen die Unterdrückung ist dann sinnvoll, wenn die Unterdrückten ihre Unterdrücker nicht

unterdrücken, sondern wenn die Menschlichkeit beider wiederhergestellt wird. Das ist die große

humanistische und geschichtliche Aufgabe der Unterdrückten: sich selbst und die Unterdrücker befreien.

In einem ersten Stadium des Kampfes drohen die Unterdrückten nun zum Tyrannen zu werden, statt um

Freiheit zu kämpfen. Das Ideal der Unterdrückten ist es ein Mensch zu sein. Aber Mensch sein heißt

17 Vgl. Baha, Assadullah, Erwachsenenbildung und Alphabetisierung in Entwicklungsländern, Wien/Baden: Verlag G. Grasl, 1990, 45-50

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Unterdrücker zu sein. Sie kennen ja nichts anderes. Wegen dieser Identifizierung mit dem Unterdrücker

entsteht kein Selbstbewusstsein als Person.

Angst vor Freiheit: Die Unterdrückten leben nach vorgeschriebenen Verhalten, Freiheit verlangt aber

Autonomie und Verantwortung. Das zentrale Problem ist, wie können Unterdrückte als gespaltene unechte

Wesen an ihrer Befreiung mitwirken?

Welt und Mensch existieren nicht ohne einander, sie existieren nur in gegenseitiger Beziehung. Für das

dialektische Denken sind Welt und Aktion eng aufeinander angewiesen. Aktion ist nur dann menschlich,

wenn sie auch in Überlegung existiert, also nicht von Reflexion getrennt ist.

Die, die sich als Unterdrückte erkennen, müssen zu den Entwicklern der Pädagogik der Unterdrückten

gehören. Wenn Pädagogik wirklich befreiend sein soll, dann darf es keine Distanzierung von Unterdrückten

geben. Im Kampf um Erlösung müssen die Unterdrückten ihr eigenes Vorbild sein. Pädagogik der

Unterdrückten kann nicht von Unterdrückern praktiziert werden, denn setzt Pädagogik bei den egoistischen

Interessen des Unterdrückers ein und macht aus den Unterdrückten Objekte ihres Humanitarismus, dann

hält sie ihrerseits die Unterdrückung aufrecht und verkörpert sie. Es wäre ein Widerspruch, würden die

Unterdrücker eine befreiende Bildung nicht nur verteidigen, sondern sogar anwenden.

Die Verwirklichung einer befreienden Bildung braucht Macht, die Unterdrückten haben aber keine, wie lässt

sich diese Pädagogik dann ohne eine Revolution durchführen?

Die Pädagogik der Unterdrückten hat zwei Stufen:

1. Stufe: Unterdrückte enthüllen die Welt der Unterdrückung und widmen sich der Veränderung durch

Praxis.

2. Stufe: diese Pädagogik hört auf, den Unterdrückten zu gehören, wird zu Pädagogik aller Menschen im

Prozess der permanenten Befreiung.

Mit Errichtung eines Unterdrückerverhältnisses hat Gewalt bereits angefangen. Gewalt ist in der Geschichte

nie von Unterdrückten ausgegangen. Gewalt geht stets von denen aus, die andere nicht als Person

anerkennen- sie können niemanden anders lieben, nur sich selbst.

Selbst wenn die Situation sich aufgelöst hat, sind die Unterdrückten nicht befreit. Für sie bezieht sich

menschliches Wesen nur auf sie selber, alle anderen sind Dinge. Für die Unterdrücker gibt es nur ein Recht:

in Frieden zu leben, für die Unterdrückten gilt auch nur ein Recht: zu überleben. Dieses Zugeständnis

machen die Unterdrücker nur, weil die Existenz der Unterdrückten für ihre eigene Existenz notwendig ist.

Unterdrückte haben kein Selbstbewusstsein, sie glauben das was Unterdrücker ihnen sagen. Erst wenn

Unterdrückte den Unterdrücker herausfinden und in den organisierten Kampf um ihre Befreiung

hineingenommen werden, beginnen sie an sich selbst zu glauben. Politische Aktion auf Seiten der

Unterdrücker muss Aktion mit Unterdrückten sein, dadurch werden sie als Subjekte wahrgenommen.

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Bildung

Bankiers-Konzept:

Der Schüler bekommt vom Lehrer Wissen vorgesetzt (vgl. mit Einlagen) und der Schüler speichert dieses

Wissen ohne zu hinterfragen. Ohne selbst zu forschen, zu reflektieren und zu hinterfragen, können

Menschen nicht wahrhaft Mensch sein. Die kreative Kraft der Schüler wird im Sinne der Unterdrücker

minimalisiert.

Humanistische und revolutionäre Erzieher: Diese üben mit den Schülern kritisches Denken ein. Der Lehrer

wird hier zum Partner. Das Denken des Lehrers gewinnt Echtheit nur durch das Denken des Schülers.

Befreiung ist Vorgang der Praxis: Aktion und Reflexion von Menschen auf ihre Welt um sie zu verwandeln.

Bildung als Praxis der Freiheit bestreitet, dass der Mensch abstrakt, isoliert, etc. mit der Welt existiert. In

der problemformulierenden Bildung lernen die Menschen, dass die Welt nicht statische Wirklichkeit,

sondern ein Prozess ist.

Das Wort macht das Wesen des Dialoges aus. Wort = Handeln= Praxis

Das Wort hat zwei Dimensionen: Aktion und Reflexion; beide Dimensionen sind gleich wichtig. Wenn auf

Aktion verzichtet wird, entsteht ein Verbalismus, verzichtet man auf Reflexion entsteht ein Aktionismus.

Das wirkliche Wort verändert die Welt. Menschlich existieren, heißt die Welt zu benennen und sie zu

verändern.

Dialog ist Begegnung zwischen Menschen, vermittelt durch die Welt um die Welt zu benennen. Dialog kann

nicht existieren wenn die tiefe Liebe für die Welt und den Mensch fehlt.

Dialog fordert den intensiven Glauben an den Menschen. Das ist die Apriori Forderung für einen Dialog.

Wenn sich der Dialog auf Liebe, Glaube und Demut begründet ist der Dialog zu einer horizontalen

Beziehung gegenseitiges Vertrauen.

Für den humanistischen Revolutionär ist die Wirklichkeit, die von ihnen mit anderen Menschen zusammen

verwandelt werden muss, Gegenstand des Handelns. Absolut entscheidend ist, dass der Unterdrückte am

revolutionären Prozess mit kritischer Wahrnehmung ihrer Rolle als Subjekte, einer Veränderung teilnehmen.

Der Dialog mit dem Volk ist für jede echte Revolution radikal notwendig. Das ist der Unterschied zwischen

Revolution und militärischen Staatstreich.18

18 Vgl. Freire, Paulo, Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1973

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Literaturverzeichnis

Freire, Paulo, Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch

Verlag GmbH, 1973

Baha, Assadullah, Erwachsenenbildung und Alphabetisierung in Entwicklungsländern, Wien/Baden: Verlag

G. Grasl, 1990

Mädche, Flavia, Kann lernen wirklich Freude machen?. Der Dialog in der Erziehungskonzeption von Paulo

Freire, München: AG SPAK Bücher, 1995

Mergner, Gottfried, Paulo Freires Konzept der Erwachsenenbildung in Dabisch, Joachim (Hrgs.), Dialogische

Erziehung bei Paulo Freire, Oldenburg: Vde, 1999

Koslowski, Jutta, Sozialarbeit in “Entwicklungsländern”. Ein Überblick zu Bedingungen und Bedeutung,

Münster: Lit Verlag, 1995

Internetquellen

http://www.a-wagner-online.de/empowerment/emp2.htm (Stand September 2013)

http://www.unesco.de/alphabetisierung.html (Stand September 2013)

http://www.sid-berlin.de/files/Alphabetisierung%20in%20Entwicklungsl%C3%A4ndern.pdf (Stand

September 2013)

http://www.bmz.de/de/service/glossar/E/entwicklungsland.html (Stand September 2013)