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Emma Brunner-Traut, Tübingen Altägypten - Ursprungsland des mittelalterlich-europäischen Drachen?* Der Drache ist in vielen kosmologischen Mythen ein Bild des urzeitlichen Chaos. Er haust in der Regel in der Finsternis und wird dem Urgewässer zuge- ordnet, so im babylonischen Weltschöpfungsmythos wie nach kanaanäischen, hethitischen oder alttestamentlichen Vorstellungen; anders in indischen oder fernöstlichen Kulturen. Die verschiedenen Mythenkreise sind in der Behand- lung des Gegenstandes von Lutz Röhrich 1 berücksichtigt. Jedoch die altägyp- tische Ausprägung eines entsprechenden Mythenwesens scheint mir größerer Beachtung wert, als der Autor ihm zuwandte. Sowohl die Ikonographie des im mittelalterlichen Europa oft aus Krokodil und Schlange zusammengesetzten, meist aber als Riesenschlange vorgestellten Ungeheuers wie auch seine Bedeu- tung sind mit altägyptischen Trägerfiguren des negativum absolutum vergleich- bar. Die ägyptische Mythologie kennt den Kampf zwischen ,Gut und Böse* in zweierlei Gestalt: zum einen den Antagonismus von Recht und Macht im Gegenüber von Horus und Seth, der zum ,Bruderstreit' führt und der Struktur der Welt in allen Bereichen innewohnt; zum ändern den Kampf zwischen dem supremum omnium und seinem Widersacher, mythologisiert im Kampf zwi- schen dem Licht- und Rechtsgott, dem Gotte der Wahrheit, R£, und dem Gottes- feind aus der Tiefe, dem Unterwelts-Unwesen Apophis. Dieser letztgenannte Kampf werde hier zum Vergleich mit dem Drachenkampf vorgestellt, wenn auch in der späteren ägyptischen Geschichte die Figuren wie die Stoßrichtungen beider Kämpfe bald mehr, bald weniger ineinandergleiten. Im Kampf zwischen dem Sonnengott und Apophis wird Seth, der feindliche Bruder des Horus, der also im erstgenannten Kampf die Stelle des ,Bösen' besetzt, eingesetzt gegen das kategorial andersartig Böse des Apophis. Seth, der Verwirrer, Perverse und Lügenhafte, der Gewalttätige, Brutal-Mächtige und Kraftprotz, Herr der Wüste und alles dessen, was ,wüst* ist, ergreift nun zum Schütze von Recht und Wahrheit, ja zur Erhaltung der Weltordnung den Speer. Nicht gegen die Antinomie innerhalb der geschöpflichen, in Unordnung gerate- Vbrtrag vor dem 8. Kongreß der International Society for Folk Narrative Research, Bergen, 12.-17. Juni 1984. Röhrich, L.: Drache, Drachenkampf, Drachentöter. In: Enzyklopädie des Märchens 3. ed. K. Ranke u. a. Berlin/New York 1981, 787-820, hier 788; weitere Literatur ibid. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/14/13 12:51 PM

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Emma B r u n n e r - T r a u t , T ü b i n g e n

Altägypten - Ursprungsland desmittelalterlich-europäischen Drachen?*

Der Drache ist in vielen kosmologischen Mythen ein Bild des urzeitlichenChaos. Er haust in der Regel in der Finsternis und wird dem Urgewässer zuge-ordnet, so im babylonischen Weltschöpfungsmythos wie nach kanaanäischen,hethitischen oder alttestamentlichen Vorstellungen; anders in indischen oderfernöstlichen Kulturen. Die verschiedenen Mythenkreise sind in der Behand-lung des Gegenstandes von Lutz Röhrich1 berücksichtigt. Jedoch die altägyp-tische Ausprägung eines entsprechenden Mythenwesens scheint mir größererBeachtung wert, als der Autor ihm zuwandte. Sowohl die Ikonographie des immittelalterlichen Europa oft aus Krokodil und Schlange zusammengesetzten,meist aber als Riesenschlange vorgestellten Ungeheuers wie auch seine Bedeu-tung sind mit altägyptischen Trägerfiguren des negativum absolutum vergleich-bar.

Die ägyptische Mythologie kennt den Kampf zwischen ,Gut und Böse* inzweierlei Gestalt: zum einen den Antagonismus von Recht und Macht imGegenüber von Horus und Seth, der zum ,Bruderstreit' führt und der Strukturder Welt in allen Bereichen innewohnt; zum ändern den Kampf zwischen demsupremum omnium und seinem Widersacher, mythologisiert im Kampf zwi-schen dem Licht- und Rechtsgott, dem Gotte der Wahrheit, R£, und dem Gottes-feind aus der Tiefe, dem Unterwelts-Unwesen Apophis. Dieser letztgenannteKampf werde hier zum Vergleich mit dem Drachenkampf vorgestellt, wenn auchin der späteren ägyptischen Geschichte die Figuren wie die Stoßrichtungenbeider Kämpfe bald mehr, bald weniger ineinandergleiten.

Im Kampf zwischen dem Sonnengott und Apophis wird Seth, der feindlicheBruder des Horus, der also im erstgenannten Kampf die Stelle des ,Bösen'besetzt, eingesetzt gegen das kategorial andersartig Böse des Apophis. Seth, derVerwirrer, Perverse und Lügenhafte, der Gewalttätige, Brutal-Mächtige undKraftprotz, Herr der Wüste und alles dessen, was ,wüst* ist, ergreift nun zumSchütze von Recht und Wahrheit, ja zur Erhaltung der Weltordnung den Speer.Nicht gegen die Antinomie innerhalb der geschöpflichen, in Unordnung gerate-

Vbrtrag vor dem 8. Kongreß der International Society for Folk Narrative Research,Bergen, 12.-17. Juni 1984.Röhrich, L.: Drache, Drachenkampf, Drachentöter. In: Enzyklopädie des Märchens3. ed. K. Ranke u. a. Berlin/New York 1981, 787-820, hier 788; weitere Literaturibid.

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nen Welt (biblisch: der Welt nach dem Sündenfall, der nachparadiesischen bzw.vom Ideal divergierenden Jetzt-Welt) hat Seth zu kämpfen, sein Kampf gilt derBedrohung dieser Welt durch den »Drachen* der die gesamte Schöpfung zu ver-nichten beabsichtigt.

Immer ist dieses Ungeheuer aus der tiefsten Tiefe auf totale Vernichtung aus.Es umlauert die Schöpfung mit jeglicher Ordnung, die in ihr ist - diese verbild-licht in Re, der tagaus, tagein seine Bahn rings um die Erde zieht, am Tage in einerBarke über den Himmel (der Wasser ist), in der Nacht durch die Unterwelt (woebenfalls Wasser ist) fahrt und mit seinem verläßlichen Zyklus Maß und Ord-nung (der Zeit) stiftet. Zugleich schafft und erhält der Lichtgott R£ durch seinStrahlen das Leben. Würde er vernichtet, so bedeutete das den Untergang derWelt. Bei dem Kampf zwischen Re und (dem ständig und überall präsenten)Apophis handelt es sich demnach keineswegs etwa um einen Konflikt zwischenrivalisierenden (Götter-)Systemen, nicht um komplementäre oder antithetischeOpposition, auch nicht nur um eine zyklisch wiederkehrende Auseinanderset-zung. Es geht vielmehr um einen fundamentalen Antagonismus, nicht in einerEndzeit, sondern um immerwährenden Kampf metaphysischer Mächte, wie ersich im Kosmos und auch in der realen Welt abspielt2. (Im Mythos wird derKampf auf bestimmte Schwachstunden des Sonnengottes verdichtet.)

Um dieser permanenten Gefahr zu begegnen, bedarf es ständiger Wachsam-keit und ständigen Kampfes. Doch sooft das gottesfeindliche Ungeheuer aucherstochen wird - es wird oft mit vielen Messern im Rücken dargestellt -, es istletztlich unbesiegbar. Es ist das Absolut-Böse, christlich gesprochen: daspeccatum originale, der Satan-Diabolos; nicht der vergleichsweise harmloseTeufel als ein Trickster, wie er in Bulgakows Der Meister und Margarita oder inAuerbachs Keller seinen Hokuspokus treibt.

Seth ist mit Apophis verglichen ein relativ harmloser Bösewicht. Nach ägyp-tischem (Aber-)Glauben kann er den Menschen zeitweise (?) besetzt halten.Solche Seth-Menschen sind jene, die vom normgerechten Verhalten abweichen,z. B. im Alkoholrausch streitsüchtig werden. Zu den Seth-Menschen zählen auchdie Junggesellen, weil sie keine Frau nehmen. Doch alles Fehlverhalten, das manihnen anlastet, ist im Jenseitsgericht entschuldbar, nicht aber die Feindschaftgegen Gott. Diese aber übt Apophis - und übte Judas.

Das Böse in der Welt in beiden Dimensionen gesehen zu haben, in einerquasi horizontalen und in einer vertikalen, und es derart anschaulich im Mythosausgesprochen zu haben, ist meines Wissens kaum einem frühen Volk so deut-lich gelungen wie den Alten Ägyptern. Der ,Kampf gegen den Drachen* ist, wieschon gesagt, vergleichbar mit dem gegen Apophis, nicht mit dem Bruderkampfzwischen Horus und Seth, wenn auch die beiden Kämpfer: Horus und Seth, wienoch zu zeigen sein wird, später bewußt verschleiernd bis mißverstanden, und

2 Zu diesen Vorstellungen cf. den Band: Dämonen und Gegengötter. Antagonistischeund antinomische Strukturen in der Götterwelt (Saeculum 34 [1983] Heft 3-4).

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auch die Widersacher Seth und Apophis zusammengerückt sind (wie beimmittelalterlichen Drachen).

Nach L. Röhrich ist der Drache „ein die ganze Gemeinschaft bedrohendesUngeheuer" und „der gefahrlichste Widersacher eines Helden [...]. In denSchöpfungsmythen verkörpert der D [räche] die gott- oder menschenfeindlichenMächte: Er hält die fruchtbringenden Wasser zurück, will die Sonne [...] ver-schlingen und muß getötet werden, damit die Welt [. .*.] weiterbestehen kann.Die Mythensoziologie spricht von einem Chaos-D.n, und die religionswiss. For-schung hat immer wieder hervorgehoben, daß der Dk. [Drachenkampf] eine Tatdes Anfangs darstelle, mit der die Neu- oder Wiedergründung [...] eines Z.A.s.[Zeitalters] [...] angezeigt werde als ordnungsstiftende, sakrale Leistung einesGottes oder eines Heros"3. Nach Röhrichs Darstellung ist der Drache „eine Ver-größerung der [...] Schlange ins Fürchterliche" [...], eine „ins Grotesk-Phanta-stische erweiterte Figur der geflügelten Schlange. D. und Schlange sind primärchthonische Symboltiere; so hat der D. mitunter die Funktion eines Unterwelt-wächters"4.

Alles, was hier gesagt ist, trifft auf Apophis zu (Abb. 1). Auch Apophis ist eineRiesenschlange, ihre Maße werden mit 30 Ellen (etwa 8 1/2 m) angegeben. Als

Abb. 1: Der (sonst auch menschenköpfige) Gott Seth - auf dem Bug der Sonnen-barke - kämpft gegen die Riesenschlange Apophis. Der Sonnengott R£ und seineBegleitmannschaft in der Barke sind in der Zeichnung weggelassen (einer Papyrus-malerei entnommen: Piankoff, A.: Mythological Papyri. New York 1957, Tafel 2).

3 Röhrich (wie not. 1) 788.4 ibid., 793 sq.

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Widersacher des Sonnengottes Re schlürft sie das Fahrwasser ein in der Absicht,die Fahrt der Barke zum Stillstand zu bringen. Sie lagert auf einer unterwelt-lichen Sandbank, aber sie hat ebenfalls mit dem nassen Element, dem Unter-welts-Gewässer, zu tun5. Auf einer unterweltlichen Sandbank ruht auch derSonnenfeind Krokodil, das nicht eine chthonische Macht verkörpert wie dieSchlange, sondern primär dem Wasser zugeordnet ist. Seine Mythologie hatandere ,Drachen'-Bilder geprägt. Es verschlingt die Sonne am Abend, am Mor-gen tritt sie siegreich aus ihm heraus6, während Apophis nach den altägyptischenUnterweltsbüchern die Sonne nur zum Stillstand zwingen will, d. h. aber dasLeben bis auf den Tod gefährdet7. Schlange und Krokodil sind in den Parallelka-piteln des Pbysiologus (Kap. 25 und 26) die beiden dualen Sonnen- bzw. Christus-feinde, die Schlange unter der Bezeichnung ,drakon'8. Drakon, ,der mit furcht-barem Blick* ist eine direkte Namensgleichheit mit dem ägyptischen nb3-frr, dasebenso dem Apophis anhängt wie einem selbständigen Dämon, der als Schlangewie als Krokodil erscheinen kann9. Daß die ägyptische Unterweltsschlange gele-gentlich Füße und Flügel hat (außerdem häufig mehrere Köpfe) und damit als einWesen bezeichnet wird, das sich in allen Elementen bewegen kann - auch diesverbindet sie mit dem späteren Drachen.

Gestalt, Attribute und Wesenszüge stimmen demnach hier und dort auf-fallend überein. Allein schon das Krokodil lenkt den Blick ausschließlich an denNil, wenn nicht - statt des Krokodils - der auch in ganz Vorderasien vorkommen-de Waran als der Erzvater des Drachen gelten sollte. Daß der Kampf gegen Apo-phis zum eisernen Bestand der ägyptischen Unterweltsliteratur gehört, sei nurpauschal angedeutet. Schon in den Sargtexten (um 2000 v. Chr.) wird er themati-siert, im sog. Apophisbuch ist die rituelle Vernichtung des Apophis das ausdrückli-che Thema. Als Waffen gegen ihn werden Messer, Fesseln und Feuer eingesetzt,sein klassischer Gegner ist Seth10.

Dargestellt wird der Kampf in mehreren Versionen. Hervorgehoben seien indiesem Zusammenhang die späten Formen, so zunächst die im Tempel von Hibis

5 Spruch 5 des Totenbuches hat den Titel: Spruch, um an der Sandbank des Apophis vor-beizukommen. - Bei Hiob 40,23 läuft das Überschwemmungs(!)-Wasser ins Maul desBehemoth, cf. auch not. 22.

6 So noch bei Horapollon, Hieroglyphika l, 68. Zu allen auf das Krokodil bezüglichenEigenschaften und Handlungen v. Brunner-Traut, E.: Krokodil. In: Lexikon derÄgyptologie 3. ed. W. Helck/W. Westendorf. Wiesbaden 1980, 700, not. 76.

7 Brunner-Traut, E.: Altägyptische Findlinge zum mittelalterlich-europäischenDrachen. In: Studien zu Sprache und Religion Ägyptens. Festschrift W. Westendorf.Göttingen 1984,1013-1022, hier 1015.

8 Drakon ist oft eine Bezeichnung für Schlange, so etwa im Zusammenhang mit der ausSinope geholten Kultstatue des Sarapis, die dort Pluton darstellt, dessen Attribut derKerberos mit einem von der Schlange (drakon) umwickelten Leib war (Plutarch,De Iside et Osiride, Kap. 71; dazu Griffiths, J. G.: Plutarch's De Iside et Osiride.University of Wales Press 1970, 398 und 544).

9 el-Sayed, R.: Nehaher. In: Bulletin du centenaire. Supplement au Bulletin de PInstitutfrangais d'arcr^ologie Orientale 81 (1981) 119-140, hier 120.

10 Hornung, E.: Seth. Geschichte und Bedeutung eines altägyptischen Gottes. In:Symbplon N.F. 2 (1974) 49-63; Brunner, H.: Seth und Apophis - Gegengötter imägyptischen Pantheon? In: Saeculum 34 (1983) 226-234.

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in der Oase el-Chärga (Abb. 2). Hier ist der in der Beischrift ,Seth (Sutech)'genannte, von einem Löwen begleitete Kämpfer nicht (menschen- oder) seth-köpfig, vielmehr falkenköpfig dargestellt, sein Menschenleib mit einem Vogel-,wohl Fälkenleib kombiniert und mit einem am Körper anliegenden und einemausgebreiteten Schwingenpaar ausgestattet. Diese Darstellung aus der Perserzeit(um 500 v. Chr.) bildet ikonographisch ein Gelenk zwischen den bis dahinbekannten ägyptischen Illustrationen und den mittelalterlich-europäischenWiedergaben des Drachenkämpfers. Seth, der Widersittliche, war damals so sehrverpönt, daß er nicht mehr in seiner eigentlichen Gestalt erscheinen durfte,sondern die Gestalt seines feindlichen Bruders Horus, eines Sonnenfalken-Got-tes, angenommen hat. Damit erscheint Seth zum ersten Mal wie zuweilen derDrache mit einem Raubvogel gemischt11. Und der neben ihm schreitendeKönigslöwe könnte Vorbild sein des Löwen, der häufig dem Drachenkämpferbeisteht.

Abb. 2: Seth ersticht in Gestalt des Horus die Apophisschlange (Abbildung nachJ. G. Wilkinson bei Leclant, J.: Ägypten 3. Spätzeit und Hellenismus. München1981, 109).

11 cf. Röhrich (wie not. 1) 790. Seth und Apophis werden, wie schon angedeutet, spätergedanklich mehr und mehr verschmolzen.

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Ein nächstes ikonographisches Verbindungsglied zwischen Ägypten und Europakönnte in einem Architekturrelief im Louvre gesehen werden (Abb. 3). Es bieteteine falkenköpfige, in ein römisches Legionärsgewand gekleidete Gestalt zuPferde, die ihren Speer in den Nacken eines Krokodils stößt. Der Reiter ist mithoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr der in Horus geglittene Seth, vielmehrHorus selbst12. Der am Boden liegende Krokodil-Feind aber ist wohl kaum Seth -auch wenn dieser in späten Texten gelegentlich mit dem Krokodil determiniertwird13 - vielleicht infolge unscharfer Trennung zwischen ihm und Apophis -,sondern Apophis. Doch sei der Feind nun dieser oder jener Widersacher, ikono-graphisch bildet das Architekturstück eine verblüffende Parallele zu europäisch-mittelalterlichen Drachenkampfbildern mit berittenem Georg, zumal der ägyp-tische ,DrachenkampP zum göttlichen Muster wurde für den irdischen Kampfgegen das Böse, in dessen Verbildlichung statt Horus-Seth eine Menschengestalterscheint. Auch der Verstorbene (ein Mensch also) kann in die Rolle des Apo-phis-Töters eintreten (Totenbuch, Spruch 136 B). Soviel zur Ikonographie14, imfolgenden ein paar Einzelzüge.

Abb. 3: Horus stößt seinen Speer in den Nacken des als Krokodil erscheinendenWidersachers (Louvre, Inv. X 5130; du Bourguet, P. [S. J.]: Die Kopten. Baden-Baden 1967, Abb. p. 78).

12 Dazu Brunner-Traut (wie not. 7) 1017.13 z. B. Urkunden des ägyptischen Altertums. 6: Urkunden mythologischen Inhalts.

Bearb. S. Schott. Leipzig 1929, 61,10; zum Krokodil als Tier des Seth cf. te Velde, H.:Seth, God of Confusion. Leiden 1967, 26: Hornung (wie not. 10) 54; Brunner-Traut(wie not. 6) 795.

14 Weiteres Brunner-Traut (wie not. 7) 1018; ead. (wie not. 6) 795 und not. 70 sq.

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Daß es nicht gelingen kann, den Drachen endgültig zu besiegen, wurdegesagt. Es genügt, ihn zu zwingen, daß er das eingeschlürfte Wasser wieder aus-speit, damit die Barke des Sonnengottes weiterziehen kann. Ob diese Episodedes Wasserspeiens die drachengestaltigen Wasserspeier mittelalterlicher Domeinspiriert haben könnte15? Das Ausspeien des Wassers würde den Sieg der Kircheüber den Teufel symbolisieren16.

Ein weiterer bemerkenswerter Einzelzug der Drachenkampfsagen könnteebenfalls vom Nil angeregt sein. Bekanntlich muß sich der Held gegenüberseinem betrügerischen Rivalen in europäischen Drachensagen durch Vorzeigender dem besiegten Drachen ausgeschnittenen Zunge als der wahre Sieger auswei-sen. Wenn auch die Ägypter nicht gewußt haben, daß die Zunge des Reptils amUnterkiefer angewachsen ist, so haben sie doch diese Besonderheit insoweitbemerkt, als sie von dem Krokodil behaupteten, seine Zunge sei herausge-schnitten17 bzw. es habe überhaupt keine Zunge (und schweige deshalb)18. Ohnemit dem Krokodil direkten Umgang gehabt, ohne ihm einmal ,ins Maulgeschaut' zu haben, konnte die Sage unmöglich ein solches Einzelphänomen zueinem Erzählmotiv entwickeln, wenn sie auch das Faktum anders interpretierthat.

Wenn die hl. Marina von Antiochien nach dem Kreuzschlagen siegreich ausdem Bauch des Krokodils, das sie verschluckt hatte, entweichen konnte, so asso-ziiert diese Vorstellung das altägyptische Mythenbild, nach dem die Sonne ausdem Bauch des unterweltlichen Chaosdrachen in Krokodilsgestalt hervortrittzur neuen Geburt19. - Auch wenn hier weitere frappante Einzelzüge unberück-sichtigt bleiben20, scheint sich zu ergeben, daß zwischen Apophis und Drachensowie zwischen Seth und Georg (samt den weiteren etwa 60 von der katholischenKirche als Heilige anerkannten Drachentötern) inhaltliche wie ikonographischeÄhnlichkeiten bestehen, die über die Universalien allgemein menschlicher Vor-stellungen hinausgehen21.

Ein Brückenschlag zwischen dem pharaonischen Ägypten und dem mittelal-terlichen Europa, zuletzt durch die Kreuzritter erfolgt (?), dürfte sich als wahr-

15 Das Bild könnte sich konsequenterweiser auch aus den Drachensagen entwickelthaben, da der Drache das Wasser vorenthält.

16 cf. dazu not. 22.17 cf. Röhrich (wie not. 1) 799 sq.18 Posener, G.: Sur l'emploi euphomique de \^ft}(w) „ennemi(s)a. In: Zeitschrift für

ägyptische Sprache und Altertumskunde 96 (1969) 30-35, hier 31 sq. Dem Krokodil-gott Sobek wurde die Zunge herausgeschnitten zur Strafe seiner Untat an Osiris.

» Im Grab Ramses/ IX.: Hornung, E.: Tal der Könige. Zürich 1982, 116, Abb. 88;Brunner-Traut (wie not. 6) 795 und not. 76.

20 Solche Züge, darunter auch Drachen als Schatzhüter oder Jungfrauenraub, beiBrunner-Traut (wie not. 7).

21 Daß mit den genannten Eigenschaften von Apophis-Schlangenarten und Krokodilennicht deren ganzes Wesen erfaßt wurde, sei betont; es wurden bewußt nur die auf denDrachen zuführenden Züge herausgestellt. Doch sind sie die für beide Tiere charakte-ristischen. Andererseits ist auch der Drache keineswegs ein eindimensionales Wesen.Er kann auch Symbolfigur sein z. B. für Wachsamkeit und Feuer wie für prudentia undfortitudo. Er ist ein vieldeutiges Wesen, doch überwiegend Feind.

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scheinlicher erweisen, als bislang vermutet. Es ist anzunehmen, daß die ägypti-schen Kämpfe gegen den Widergott nicht erst in Europa zu profanen Drachen-sagen geführt haben, sondern bereits im Alten Ägypten selbst in (heute verlorenebzw. vergessene) volkstümliche Erzählformen eingegangen sind; möglicher-weise spielte im verlorenen Schluß des Märchens vom Verwunschenen Prinzen der,Starke' ein Wassergeist, die Rolle des ,Drachenc und der Prinz die eines ,Sieg-fried'".

22 Brunner-Traut, E.: Altägyptische Märchen. Düsseldorf/Köln 61983, num. 4. Sicherrichtig ist jedenfalls die Schlußfolgerung, daß der Drachenkampf auf Vorzeitmythenzurückgeht und einen Bestandteil „kosmologischer und mythologischer] Veran-schaulichung in den ostmittelmeerjischen) [.. .1 Hochkulturen" bildet (Röhrich[wie not. 1] 801 sq.). Daß im jWunderer* Dietrich von Bern Bis zum Jüngsten Tag„in der Wüste" (!) gegen den Drachen kämpfen muß, ist m. E. ein deutlicherHinweis auf den Orient. Wenn Apophis wie Drache Macht haben über das Wasser,so aber Apophis über das Fahrwasser, der Drache über fruchtbringendes oder Trink-wasser. Das könnte als Diskrepanz verstanden werden. Doch die Vorstellung von einerWasserstraße für die Sonne war längst verloren und zur Zeit der vermutlichenÜbernahme nicht^mehr nachvollziehbar. Trockenzeiten, die Hungersnöte zeitigten,wurden von den Ägyptern mit dem Blick aufs Reale dem Nil zur Last gelegt, nichteinem Unhold (Nilhymnus II d - III a, nach Zählung Helck); dazu Westendorf,W: Beiträge aus und zu den medizinischen Texten. 5: Der „lastende" Nil und „dieSeuche des Jahres". In: Göttinger Miszellen 49 (1981) 77-83. Ebensowenig ist die Über-schwemmung als Folge der Tat eines Ungeheuers gedeutet (eher als Segen, der sichmit dem König als Herrscher verbindet).

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