„ALTBEKANNTES NEU VERPACKT“ – … · bekommen. 1. Wie wird eine Leichenschau lege artis ... in dem man die Irreversibilität des Ausfalls der ... Aufdunsung der Leiche kann

Natürlich-unnatürlich-ungeklärt ? Todesfeststellung im Rettungsdienst

Dr. med. Johannes Müller, Chefarzt Klinik für Anästhesie, Intensiv-und

Notfallmedizin, Schmerztherapie, Sana Klinik Bethesda Stuttgart

„ALTBEKANNTES NEU VERPACKT“ – 2.FORTBILDUNG FÜR DEN RETTUNGSDIENST 25.11.2017

SANA KLINIKEN AG FOLIENMASTER 2

Leichenschau

NATÜRLICH-UNNATÜRLICH-UNGEKLÄRT ?

Die Leichenschau ist der letzte Dienst des Arztes am Patienten.

Mit ihr sind der Rechtssicherheit und dem öffentlichen Interesse dienende

Aufgaben verbunden.

Zu ihr gehören die Feststellung des Todes, Angaben zur Todesursache und

die Frage, ob der Tod durch eine natürliche oder nichtnatürliche Ursache

eingetreten ist (Qualifikation der Todesart).


Leichenschau


„ Zweck der Leichenschau ist, die Beerdigung Scheintoter, dann die Verheimlichung gewaltsamer Todesarten und

medizinischer Pfuschereien zu hindern, sowie zur Ausmittlung kontagiöser und epidemischer Krankheiten, dann zur

Herstellung genauer Sterbelisten geeignet mitzuwirken.“

Königlich-Bayrische Instruktion für die Leichenbeschauer vom 6.August 1839

Dieser Aufgabenkanon gilt mit Feststellung des Todes, der Todesursache,

der Todeszeit, Qualifikation der Todesart und Angabe, ob übertragbare

Erkrankungen gemäß Infektionsschutzgesetzt vorliegen, unverändert bis

heute.


Leichenschau


Definition menschliche Leiche

Eine menschliche Leiche ist

der Körper eines Verstorbenen, solange der gewebliche Zusammenhang

infolge Fäulnis noch nicht aufgehoben ist

der Körper eines verstorbenen Neugeborenen (unabhängig vom

Körpergewicht), soweit es vollständig den Mutterleib verlassen hat und soweit

es nach dem Verlassen eines der drei Lebenszeichen (Herzschlag, Atmung,

Pulsation der Nabelschnur) zeigte

eine Totgeburt (Totgeborenes mit einem Körpergewicht von > 500g

der Kopf oder Rumpf als abgetrennte Teile des Körpers, die nicht

zusammengeführt werden können


Leichenschau


Definition menschliche Leiche

Keine menschliche Leichen sind

Skelette oder Skelettteile

Fehlgeburten (Totgeburten mit einem Geburtsgewicht < 500g; keine

Anzeigepflicht)

Maßnahmen und zu beachtende Fristen

Die Durchführung der Leichenschau sollte unverzüglich nach Erhalt der

Anzeige über den Todesfall erfolgen.

Die Überführung in eine Leichenhalle muss spätestens nach 36 Stunden,

jedoch nicht vor Durchführung der Leichenschau und Ausstellung der

Todesbescheinigung erfolgen

Die Anzeige beim Standesamt muss spätestens am ersten Werktag nach

Todeseintritt geschehen.

Bestattungsfristen: frühestens 48 Stunden, spätestens nach 8 Tagen


Leichenschaupflicht


Wenn in Deutschland ein Mensch stirbt, ist eine Leichenschau Pflicht.

Die Untersuchung des Verstorbenen dient u.a. dazu, den Tod festzustellen

und Aufschluss über die Ursachen und näheren Umstände des Todes zu

bekommen.

1. Wie wird eine Leichenschau lege artis durchgeführt ?

2. Worauf ist beim Betreten des Auffindeortes und der Untersuchung

besonders zu achten ?


Leichenschau- Allgemeine Grundlagen und Pflichten



Leichenschau


Dem Arzt obliegt im Rahmen der Leichenschau die Meldepflicht als

zulässige Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht bei:

Nichtnatürlicher/nicht geklärter Todesart

unbekannter Identität

gemäß Infektionsschutzgesetz


Benachrichtigung - Polizei


Das Hinzuziehen der Behörden ist dringend geboten bei:

1. Unbekannter Leiche,

2. Anhaltspunkten für einen nicht-natürlichen Tod (Unfall, Suizid,Tötung),

3. Ungeklärtem Tod (wenn diese Möglichkeit im jeweiligen Bundesland

vorgesehen ist)


Erste Schritte am Auffindeort


Überblick über die Situation verschaffen und Eigensicherheit beachten:

Mehrleichenfunde

Tierkadaver in der Nähe des Leichnams

Verschlossene Garagen, Silos usw. (Gefahr der Gasvergiftung)


Erste Schritte am Auffindeort


Schaffung optimaler Untersuchungsbedingungen:

Angemessene Beleuchtung

Ausreichender Platz zur Untersuchung

Falls Bedingungen zu schlecht, Leichenschau an anderem Ort

wiederholen bzw. nach Todesfeststellung fortführen

Material: Handschuhe, 2 Pinzetten, Taschenlampe


Todesfeststellung


Todesfeststellung vor Beginn der Leichenschau:

• erfolgt, in dem man die Irreversibilität des Ausfalls der Vitalfunktionen feststellt

• Den sicheren Tod festzustellen ist nicht problematisch, wenn:

a. sichere Todeszeichen vorliegen

b. vergeblich und ca. 30 Minuten reanimiert wurde

c. der Hirntod festgestellt wurde (innerklinisch)

d. mit dem Leben nicht vereinbare Körperzerstörungen vorliegen


Todesfeststellung



Unterscheidung in sichere und unsichere Todeszeichen

Sichere Todeszeichen: Totenflecke, Totenstarre, Fäulnis

Unsichere Todeszeichen: fehlende Atmung, fehlender Puls,

Bewußtlosigkeit, Abkühlung des Körpers, Hautblässe, Hornhauttrübung,

komplette Lähmung aller Muskeln mit fehlenden Pupillenreflexen und

sonstiger Areflexie

Todesfeststellung anhand nicht mit dem Leben vereinbarer Verletzungen

(Dekapitation, Durchtrennung des Rumpfes etc.)

Merke: schweres Polytrauma, Verlust von Extremitäten genügt nicht nur

Todesfeststellung !


Todesfeststellung



Fehlen sichere Todeszeichen, sollte eine leblose Person erst als tot

betrachtet werden,

wenn eine Reanimation erfolglos bleibt oder aussichtslos ist oder

wenn bei erhaltenem Kreislauf die Hirntoddiagnostik abgeschlossen ist

(klinischer Bereich)

Bei Reanimationsverzicht aufgrund Patientenverfügung, Ausfüllen der

Todesbescheinigung erst bei Eintritt sicherer Todeszeichen.


Todesfeststellung


Totenflecke (Livores)

• das erste sichere Todeszeichen ca. 20 Minuten nach dem Kreislaufstillstand in

den abhängigen Körperpartien infolge der Senkungsblutfülle von Hautgefäßen

• zunächst fleckig, dann konfluierend

• Blau-livide Farbe durch Sauerstoffentsättigung des Blutes

• bei Rückenlage, meist bis in mittlere Axillarlinie reichend

• Bei zunehmender Liegezeit werden Flüssigkeit und Blutfarbstoff aus den

Gefäßen gepresst, wodurch über die Zeit Wegdrückbarkeit und

Umlagerbarkeit der Livores abnehmen.

• Verteilung der Livores muss zur Lage der Leiche passen (kriminalistisch:

Lageänderung ?) -> Unklar ? , dann Polizei informieren


Wegdrückbarkeit der Livores



Todesfeststellung


Totenflecke (Livores)

• geringe Ausprägung: chronische oder akute Anämie

• Abweichende Färbungen: hellrot bei CO-Vergiftung (hohe Sauerstoffbindung)

oder bei Lage der Leiche in niedriger Umgebungstemperatur (Kälte begünstigt

Sauerstoffdiffusion in Gefäße)

• Unterscheidung zu Hämatomen, welche nicht wegdrückbar sind

• Livores bei dunkelhäutigen Personen schwerer zu untersuchen


Todesfeststellung


Totenstarre (Rigor mortis)

• 2-4 Stunden nach Todeseintritt infolge absinkender ATP-Konzentration in den

Muskeln

• schneller und kräftiger ausgebildet in Muskeln, die vor dem Tod besonders

beansprucht waren (geringere ATP-Reserven)

• wird Starre gelöst, ist Neubildung innerhalb 8-19 Stunden möglich

• Beginn der endgültigen Lösung nach einigen Tagen infolge Autolysevorgänge

(stark temperaturabhängig)

• Cave: nicht mit Kontrakturen oder Kältestarre verwechseln, daher Kiefergelenk

und große bzw. kleinere Gelenke im Seitenvergleich prüfen

• Nysten-Regel: Beginn nach 1-2 Stunden an Augenlidern, Kaumuskeln (2-4h)

und kleinen Gelenken, dann Hals und Nacken weiter abwärts; voll ausgebildet

nach 6-12h (je nach Temperatur); Regel jedoch nur in 50% d.F. zu finden.


Todesfeststellung


Vertrocknungen

• von Haut und Schleimhäuten (Bindehäute, Hornhäute, Lippen, große

Schamlippen, Hoden)

• ebenfalls frühe Leichenerscheinungen

• auch oberflächliche Hautabschürfungen vertrocknen früh


Todesfeststellung


Fäulnis

• durch meist anaerobe Darmbakterien aus dem Darm (Übertritt jetzt in andere

Hohlräume)

• Umgebungstempertur beeinflusst stark den Grad der Zersetzung

• Grünverfärbung des Unterbauches als erstes Anzeichen

• Später „Durchschlagen“ des Venennetzes durch Bakterienausbreitung entlang

venöser Gefäße

• Aufdunsung und Blähung der Leiche durch Fäulnisgase; Übertritt von

Fäulnisflüssigkeit (schmutzig braun-rötlich) aus Körperöffnungen

• Fliegeneierbefall an Augenwinkel, Gesichtsöffnungen und offenen Wunden

• Cave: Aufdunsung der Leiche kann Identifikation der Person u.U. erschweren

(keine vorschnelle Identitätsbescheinigung !)


Todesfeststellung


Fäulnis


Weiterer Ablauf der Leichenschau


Leichnam entkleiden

• gründliche Inspektion der vollständig entkleideten Leiche bei optimalen

Lichtverhältnissen

• Check von oben nach unten; auch behaarte Kopfhaut, Körpervorderseite-und –

rückseite sowie alle Körperöffnungen

• Entfernen von Pflastern und Verbänden

• Skelett: Fehlbeweglichkeiten ?




Leichnam entkleiden

• Ektropionierte Lidbindehäute, Haut hinter den Ohren und

Mundvorhofschleimhaut: ? Stauungsblutungen als Zeichen äußerer

Gewalteinwirkung (Würgen, Strangulation etc.)


Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau





Erschwerte Untersuchungsbedingungen

• Wenn keine Hilfsperson zum Entkleiden und Drehen vorhanden

• Angehörige anwesend sind

• Fundort unübersichtlich ist

Bei Unsicherheiten, immer Rechtsmedizin kontaktieren !




Todeszeitschätzung

• vom Gesetz rechtlich vorgeschrieben, sich zum Todezeitpunkt zu äußern

• Hilfreich: sichere Todeszeichen Livores und Rigor mortis:

1. Livores: Auftreten ca. 20 min. nach Eintritt des Todes; Konfluktion nach 1 bis

2 Stunden; vollständiges Abblassen auf Fingerkuppendruck, Umlagerbarkeit

bis ca. 10 Stunden nach dem Tod

2. Rigor mortis: Beginn ca. 2-4 Stunden nach dem Tod; Wiedereintritt nach

Brechen bis ca. 8 Stunden (max. 19h) nach dem Tod; Beginn der Lösung ab

ca. 2-3 Tage nach dem Tod (stark temperaturabhängig)

•


Leichenschau



Leichenschau- Feststellung der Todeszeit



Todesursache


Natürlich: aus innerer Ursache

Unnatürlich: externe Ursache (Trauma,Suizid,Tötungsdelikt)

Ungeklärt: Ursache zum Zeitpunkt der Leichenschau noch unklar


Leichenschau- Definition „natürliche Todesursache“



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau- Hinweise auf nichtnatürlichen Tod



Leichenschau- Nichtnatürliche Todesfälle



Leichenschau- Anteil der nichtnatürlichen Todesursachen an den Sterbefällen 2007 in Deutschland



Leichenschau-Todesart nicht geklärt



Leichenschau-Tod in Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen



Leichenschau-Hohe Dunkelziffer



Leichenschau-Fehler und Gefahren



Leichenschau



Leichenschau-Interessenkollision mit Angehörigen



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Dokumentation - Leichenschauschein



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau



Leichenschau


Todesursachenstatistik

50% der Sterbefälle ereignen sich in Krankenhäusern, circa 25% zu Hause

und etwa 15% im Pflegeheim.

Die übrigen 10% verteilen sich auf Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle etc.


Leichenschau


Häufigkeit von Todesursachen

Bis zum 40. Lebensjahr stehen nichtnatürliche Todesfälle vor Todesfällen

aus innerer krankhafter Ursache, erst jenseits des 40. Lebensjahres treten

bösartige Neubildungen und Krankheiten des Kreislaufsystems zahlenmäßig

hervor.


Leichenschau


Todesursachen – Statistik

Elementare Grundlage zur Ermittlung wichtiger Gesundheitsindikatioren wie

Sterbeziffern, verlorene Lebensjahre und vermeidbare Sterbefälle

Grundlage fundierter Todesursachenforschung (regionale Besonderheiten der

todesursachenspezifischen Sterblichkeit und ihre Veränderung im Laufe der

Zeit)

Aus den Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen und Strategien für

Prävention und Gesundheitspolitik abgeleitet d. h.

„durch welche präventiven und medizinisch-kurativen Maßnahmen

können Lebensqualität und –erwartung der Bevölkerung erhöht werden

Meldung der Daten an Statistische Ämter der Länder und des Bundes zur

Auswertung


Leichenschau



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Todesursache


Gruppe1: Befunde, die aufgrund ihres Schweregrades und ihrer Lokalisation für

sich allein und ohne Einschränkung den Tod erklären (z.B. rupturiertes

Hirnaneurysma mit tödlicher SAB)

Gruppe2: Organveränderungen, die den Tod erklären, aber nicht die Akuität des

Todeseintritts (z.B. bekannte stabile KHK führt unter Belastung zum Tode (Wetter

o.ä.)

Gruppe3: Todesfälle, bei denen trotz sorgsamster Untersuchung keine

Todesursache zu finden ist.


Todesursache


Sterbenstypen zur Orientierung und als Brücke zwischen Grundleiden und

Todesursache:

1. Linear: Grundleiden und Todesursache liegen in einem Organsystem

2. Divergierend: organspezifisches Grundleiden, jedoch organunspezifische

Todesursache

3. Konvergierend: in verschiedenen Organsystemen gelegene Grundleiden

führen über eine gemeinsame Endstrecke zum Tod

4. Komplex: in verschiedenen Organsystemen gelegene Grundleiden mit

mehreren organunspezifischen Todesursachen


Leichenschau- Sterbenstypen



Todesursache


In der Todesbescheinigung:

Keine Endzustände wie Atemstillstand, Herz-Kreislauf-

Versagen, Kachexie eintragen !


Leichenschau- Problemfall „Tod im Alter“



Leichenschau- Totenschein bei alten Menschen



Leichenschau



Leichenschau


Unterschiedliche Typen von „Leichenbeschauern“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !

Ihr Johannes Müller

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