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Herausgegeben von Jänner/Feber 2011 Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro P.b.b., Verlagspostamt 1040 02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558 Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB 1/2 EU-WÄHRUNGSFONDS UND SCHULDENQUOTE LUXUS SOZIALSTAAT • CASTOR • CANCUN • TÖDLICHE JEANS

Alternative Jänner 2011

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Monatszeitschrift der Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB

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Page 1: Alternative Jänner 2011

Herausgegeben von

Jänner/Feber 2011

Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro

P.b.b., Verlagspostamt 1040

02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558

UnabhängigeGewerkschafterInnenim ÖGB

1/2

EU-WÄHRUNGSFONDSUND SCHULDENQUOTELUXUS SOZIALSTAAT • CASTOR •CANCUN • TÖDLICHE JEANS

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Peter ist tot, es lebe peter

Peter is dead, long live peter

Er war unser freund, genosse,kollege, vereinsobmann undmentor.

Peter kreisky war in höchs-tem maß seinem programmder tätigen intervention ver-antwortlich, solidarisch, sensi-tiv und mitfühlend. Er war einseismograph der zustände, einbindeglied der besten linkenkräfte in diesem land. Seineagenda waren die menschen-rechte und potentiale, war die„bessere welt“ als in unserereigenverantwortung liegende,als in unserer lebenszeit mög-liche – nicht in einer utopischfernen zukunft, als mögliche,weil zu machende (Brecht)!

Peter symbolisierte diesezukunft, er war eine brückezwischen menschen verschie-dener herkünfte, ideologien,klassen und kulturen – imwiderstand gegen die neuenpopulistischen rechten, einessteten rechtsrucks, den er undsein vater früh als gefahrerkannten!

Er war im tiefsten sinn anti-faschist, anti-rassist, anti-sexist. Er trug die flamme derhoffnung auf eine „besserewelt“ dicht unter dem hemd,nah an seinem kranken her-zen, er überforderte sich fürandere, unter vernachlässi-gung der eigenen gesundheit,des eigenen wohlbefindens,des eigenen bankkontos – erwar ein „mann der zukunft“!

Eure traurige theater-gemeinde in der FLEISCHEREI,eva brenner & team

LUDWIG RAFFELSBERGER 1922—2010

Der Wickerl oder auch Rafferl, wie ihn viele seiner Freunde nannten,wuchs bei Pflegeeltern auf, seinen Vater kannte er nicht.

Er wurde katholisch erzogen, war aktives Mitglied diverserkatholischer Kinder- und Jugendorganisationen und erlernte den Berufeines Spenglers.

Enttäuscht und entsetzt darüber, dass es gegen den Einmarsch Hitlers1938 in Österreich von Seiten der Kirche keinen Widerstand gab, wurdeer Mitglied der KPÖ.

Diese aufwühlende und revolutionäre Zeit sollte seinen weiterenLebensweg zentral bestimmen.

Auf Grund seiner handwerklichen Qualifikation kam er ins WienerNeustädter Flugzeugwerk (Hermann Göring-Werke) und hatte dieMöglichkeit, Widerstand zu leisten. In dieser Gruppe waren auchMädchen, unter anderem seine Freundin und spätere Frau MarthaIvanschitz.

Rafferl hatte durch seine Arbeit die Möglichkeit, Fehlerquellen in dieFlugzeuge einzubauen. Von dieser Sabotage hat die GESTAPO nie etwaserfahren. Am 1. Mai 1942 wurde er im Flugzeugwerk von der GESTAPOverhaftet. Auch zwei Freunde der Gruppe wurden verhaftet. SeineFreundin Martha wurde verhaftet, weil sie zur GESTAPO ging, um sichnach ihm zu erkundigen. Nach einem halben Jahr wurde sie entlassen.

Durch mehrere glückliche Umstände und nicht zuletzt durch einigeanonyme Helfer wurde er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. ImZuchthaus Ludwigsburg gab es eine Widerstandsgruppe, der er sichanschloss. Er hatte wieder bei der Arbeit die Möglichkeit der Sabotage.

Nach der Befreiung kam er nach Wr. Neustadt zurück, heiratete „seineMartha“ und sie bekamen ihre Tochter Gisi. Nach dem Krieg arbeitete erbis zu seiner Pensionierung bei der ÖSG.

Als Martha und er in Pension gingen, übersiedelten sie wieder vonWien zu ihren Jugendfreunden nach Wr. Neustadt. Er ging als Zeitzeugein Schulen, war politisch weiter aktiv und engagierte sich immer mehrbeim KZ-Verband.

Er war jahrelang Obmann des Niederösterreichischen KZ-Verbandesund Mitglied des Bundespräsidiums. Als Mitglied der Opferfürsorge-kommission in Niederösterreich hat er hervorragende Arbeit geleistet.

Er war Träger des silbernen Verdienstkreuzes der Republik Österreichund der Befreiungsmedaille.

Nach dem Tod seiner Frau Martha unternahm er mit seiner Familie(Gisi, Wickerl und Herbert) Reisen nach Kreta, wo er viele Freunde fand.

Er hatte das Glück, seine neue Lebenspartnerin Anni zu finden undmit ihr glückliche Jahre mit Ausflügen und Urlauben zu verbringen.

Ludwigs Leben war geprägt von der Arbeit und dem Kampf für dieRevolution und den gesellschaftlichen Fortschritt. Er stand dabei immeran vorderster Front.

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Nachruf

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IM JÄNNER/FEBER

IN DIESEM HEFT …

Bevor ich’s vergess: Renate Sassmann alslegendäre Wächterin über die Alternative-Finanzen und Leiterin der Anzeigen- und Ver-triebsabteilung lässt bitten, dem beiliegendenAbo-Zahlschein die gebührende Aufmerksam-keit zu schenken – falls ihr als treueAbonnentInnen nicht ohnedies schon längstüberwiesen habt. Damit wir nicht gezwun-gen sind, unser Budget einnahmenseitig zusanieren.

Apropos Budget: Wir haben diesmal einenKommentar aus der TAZ von Stefan Schul-meister geklaut, der mir so richtig aus derSeele spricht. Ich habe nie verstanden,warum die Währungsfonds rigorose Spar-kurse verordnen, die in den betroffenen Län-dern die Schuldenquote nur noch weiter indie Höhe treibt. Es gäbe Vernünftigeres …

Weiter geht’s wieder einmal mit demFonds Soziales Wien, jener Privatisierung, diewie keine andere zeigt, dass man den Sozial-bereich nicht dem „Markt“ überlassen sollte.

Der „Gewerkschaft & Betrieb“-Teil derAlternative widmet sich aus aktuellemAnlass der Schulreform. Pröll-Pröll inszenie-ren „Schultanz“, die Österreichische LehrerIn-neninitiative hält dagegen. Und Much hatsich diesmal auch dem Bildungsthemagewidmet.

Das Gelbe vom Ei hat man trotz Reformenin den Wiener Kindergärten noch immernicht gefunden. 281 VollzeitpädagogInnen-plätze sind derzeit unbesetzt.

„Luxus Sozialstaat“, so könnte man einigeBeiträge überschreiben, u. a. Splitter zur Kol-lektivvertrags-Runde und einen Reader zumSozialbericht 2009–2010 von Markus Koza.

Weitere Themen: Euroatom-Volksbegehren,Castor, Klimakonferenz in Cancun undClean Clothes …

EDITORIAL von Alfred Bastecky

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger: Alternative und Grüne Gewerkschafter-Innen (AUGE/UG) Herausgeber: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB(UG/ÖGB) Redaktion, Satz, Layout: Alfred Bastecky (Koordination), Lisa Langbein,Franz Wohlkönig (Layout) Alle: 1040 Wien, Belvederegasse 10/1, Telefon:(01) 505 19 52-0, Fax: -22, [email protected] (Abonnement), [email protected](Redaktion), www.ug-oegb.at, Bank: BAWAG Kto.Nr. 00110228775 Dass nament-lich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder desHerausgebers entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitelfallen in die Verantwortung der Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst. Text-nachdruck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beimKünstler. DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702. OFFENLEGUNG GEMÄSS § 25,MEDIENGESETZ Medieninhaber der „Alternative“ ist der Verein „Alternative undGrüne GewerkschafterInnen – UG“. Mitglieder des Bundesvorstandes sind: KlaudiaPaiha, Helmut Deutinger, Fritz Schiller, Karin Samer, Julienne Hartig, Piet Grusch.Herausgegeben wird die „Alternative“ von den „Unabhängigen Gewerkschafter-Innen im ÖGB“ (UG) Die Unabhängigen GewerkschafterInnen – ein Zusammen-schluß überparteilicher und unabhängiger Listen im ÖGB – sind eine Gewerkschafts-fraktion, die für die Demokratisierung der Arbeitswelt und der Gewerkschafteneintritt. Die Linie der „Alternative“ wird von diesen Intentionen bestimmt.Geschäftsführende Vorsitzende der UG ist Lisa Langbein, Finanzreferent Peter Grusch.

Magazin

Die Umnachtung der Eliten . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4Einkommen in Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20Armut in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22Interview: Euratom-Volksbegehren . . . . . . . . . . . . Seite 24

Gewerkschaft & Betrieb

Was ist los im Fonds Soziales Wien? . . . . . . . . . . . Seite 6ÖGB: Kritische Literaturtage . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7Schul-Tanz à la Pröll-Pröll . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8Betonmischer und Schulreformblockierer. . . . . . . . . Seite 10Kindergärten: Wie gelb ist denn nun das Ei?. . . . . . . Seite 11Luxus Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12Oberösterreich: Protesttage gegen Streichkonzert . . . . Seite 13Kollektivverträge: Wir zahlen für die Krise . . . . . . . . Seite 16AK: Verlängerter Arm der Stadtregierung? . . . . . . . . Seite 19

International

Deutschland: „Wir sind friedlich – was seid ihr?“ . . . . Seite 25Unkonkretes Cancun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 26Türkei: Todschicke Jeans kosten Menschenleben . . . . . Seite 27

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14

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Die Staatsschuldenquote steigt und steigt. Kommentar von Stephan Schulmeister.

DIE UMNACHTUNGDER ELITEN

S

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Magazin

eit Monaten verlangen „die Märkte“von Ländern wie Griechenland, Portu-gal oder Irland Zinsen für Staatsanlei-hen von bis zu 10 Prozent. Das nomi-nelle Wachstum der Wirtschaft dieserLänder und damit auch ihrer Steuer-einnahmen ist aber viel niedriger. AufGrund der Zinseszinsdynamik wird dieStaatsschuld daher weiterhin rascherwachsen als das Bruttoinlandsprodukt.

VERORDNETER SPARWAHNSINNDann muss man eben die Staatsaus-

gaben senken, fordern die Eliten. Dashaben diese Länder gemacht, mit demErgebnis, dass die Wachstumsrate wei-ter gesunken ist und der Zinssatz alsonoch stärker darüber liegt. Kurz: ImWechselspiel von immer höheren Zins-forderungen der Märkte und einerbelämmerten Symptomkur der Politiksteuern die Staatsfinanzen dieser Län-der dem Bankrott entgegen.Dies in hel-ler Stunde erahnend, schlug die Kanz-lerin vor, die Inhaber der Staatstitelmüssten sich an den Rettungskostenbeteiligen. Das mochten „die Märkte“nicht und setzten die Zinsen nochmalshinauf. Nun geriet der Euro wieder insRutschen, also Kommando zurück: Nurbei der künftigen Neuverschuldung ab2013 sollten die Gläubiger an den Kos-ten einer Staatspleite beteiligt werden– und auch nur vielleicht, man kenntsich ja nicht aus.

Noch kann das Spiel also weiterge-hen, und zwar so: Durch die „Doppel-mühle“ von Spekulation mit „CreditDefault Swaps“ und mit Staatsanleihentreiben Banken wie Goldman Sachs, J.

P. Morgan, Deutsche Bank und vieleHedgefonds die Zinsen in die Höhe.Diese „Finanzalchemisten“ borgen sichbei der Europäischen Zentralbank(EZB) Geld zu einem Prozent Zinsenund kaufen damit jene Staatsanleihen,deren Zinsen sie in die Höhe getriebenhaben. Die hohen Zinsen bezeichnensie als „Risikoprämien“, wenn aber dasRisiko angesprochen wird, dann beste-hen sie auf 100-prozentiger Bezahlung,also auf Null-Risiko.

Fazit: Was durch enorme Entbehrun-gen der ArbeitnehmerInnen und Unter-nehmerInnen in den Schuldnerländerneingespart wird, fließt als Zinsertrag indie Taschen der „Finanzalchemisten“.Und die Staatsschuldenquote steigtund steigt.

Eine systemische Lösung muss beimZinsniveau ansetzen. Dieses sollte nachder „golden rule“ der Wirtschaftstheo-rie der mittelfristigen (nominellen)Wachstumsrate entsprechen, wegendes hohen Schuldenstands aber etwasdarunter liegen – also bei etwa zweiProzent. Gleichzeitig müssten der euro-päische Zusammenhalt gestärkt undnational-egoistische Strategien verhin-dert werden.

Beides kann erreicht werden, undzwar wie folgt: Der im Mai dieses Jah-res geschaffene Rettungsfonds, der750 Milliarden Euro mobilisieren kann,wird zum „Europäischen Währungs-fonds“ (EWF) ausgebaut – gespeist ausMitteln der Euro-Zentralbanken. EZBund EWF geben eine Garantie für dieStaatsschuld sämtlicher Euroländer.Damit entfällt der Grund für Risikoprä-mien. Außerdem legen sie das Zinsni-veau für neue Euro-Staatspapiere fest.

EUROPÄISCHERWÄHRUNGSFONDSNeu ausgegebene Staatspapiere, die

zu diesen Konditionen keine privatenAbnehmer finden, werden vom EWFgekauft. Doch die Staatspapiere wer-den genügend Anleger finden. Dennein enormes Volumen an Finanzkapitalsucht ja dringend einen relativ sicherenHafen. Der Teufelskreis von Wucher-zinszahlungen, verstärkten Sparbemü-hungen, Dämpfung des Wirtschafts-wachstums, steigender Verschuldungund noch höheren Zinsen ließe sich sodurchbrechen. Gleichzeitig würde ein

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europäischer Währungsfonds denZusammenhalt der Euroländer stärkenund das effektive Zinsniveau senken.

Genau dies bezweckt die Politik derUS-Notenbank Fed, wenn sie langfris-tige (Staats-)Anleihen kauft: Sie über-nimmt die weniger liquiden Aktiva undgibt dem Finanzsektor dafür hochli-quide Mittel. Ihr Ziel: Sie will die Kre-ditvergabe verbilligen und die Deflati-onsgefahr bannen.

In Europa wird diese Maßnahme viel-fach als „Gelddrucken“ zu bezeichnet,das letztlich einen Inflationsschub aus-lösen müsse – ein Indiz, wie sehr dieDebatte auf das Niveau der 1920erJahre zurückgefallen ist. Nur wenn das

Kreditpotenzial genützt würde, ent-stünde zusätzliches Geld. Genau das istaber bisher zu wenig der Fall! Über-dies: Erst wenn die Kapazitätsgrenzenerreicht sind, droht ein stärkerer Preis-auftrieb. Davon sind wir Jahre entfernt.

DER MARKT BERUHIGTSICH NICHTDoch lieber sehen die Eliten dem

zinseszinsgetriebenem Anwachsen derStaatsschuld zu und hoffen, „die Märk-te“ würden sich beruhigen, wenn Irlandoder Griechenland den Rettungsfondsin Anspruch nähmen. Dass damit das

Problem nur weitergeschoben wird,weil die von „den Märkten“ gefor-derten Zinsen untragbar sind, wirdnicht begriffen.

Weil nicht sein kann, was nicht seindarf: Nach 30-jähriger Missionsarbeitsind die Eliten marktreligiös geworden.Sie glauben an eine „unsichtbareHand“, die ähnlich wie die göttlicheVorsehung alles zum Besten lenkt. Diemanisch-depressiven Schwankungenvon Zinssätzen, Wechselkursen, Roh-stoffpreisen und Aktienkursen wurdenso als unveränderlich, letztlich abernicht schlimm hingenommen.

Dabei gibt es eine Lösung: Mannehme die Fundamentalwerte der

Wirtschaftstheorie als Richt-größe für eine Stabilisierungvon Zinssätzen, Wechsel-kursen und Rohstoffpreisendurch das „System Politik“.Der Zinssatz müsste derWachstumsrate entsprechen,der Wechselkurs der Kauf-kraftparität. In einer solchenWelt gäbe es – wie früher inden 1950er- und 1960er-Jah-ren – wieder mehr Sicherheitfür Investitionen, Finanzierungund Außenhandel. Es käme zueinem Wirtschaftswunder inder Realwirtschaft.

Heute jedoch findet das„Wirtschaftswunder“ in derFinanzwelt statt. Mit demSegen der „unsichtbarenHand“ gelingt den Alchemis-ten das Doppelwunder: Durchimmer schnellere Spekulationbringen sie die wichtigstenPreise wie Wechselkurse, Zins-sätze, Aktienkurse und Roh-stoffpreise in kleine und gro-

ße Schwingungen, und zur Absicher-ung gegen diese Turbulenzen verkau-fen sie Derivate aller Art. Beides mithohem Gewinn. Hut ab zum Gebet.

Quelle: taz – die tageszeitung, vom25. November 2010.Zum Autor: Stephan Schulmeister ist Wirt-schaftswissenschaftler und lebt in Wien.Derzeit hält er sich in Washington auf undforscht im Auftrag des InternationalenWährungsfonds, Abteilung Staatsfinanzen.

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ug-oegb.at

auge.or.at

kiv.at

ugoed.at

ug-vida.at

we4you-ug.at

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ei jeder möglichen undunmöglichen Gelegenheit

lässt die Geschäftsführung ver-lauten, der Betriebsrat und die

KIV wollen die vielen Privatangestell-ten des Fonds Soziales Wien und seinerTöchter um ihre Jobs bringen. Dazu –sozusagen als Draufgabe – wird kol-portiert, dass die KIV den Privatange-stellten Kompetenz abspricht und nurBeamtInnen die Qualifikation fürSoziale Arbeit zubilligt.

Das ist natürlich ebenso falsch wiedurchsichtig: es geht – wie schon oft inder Vergangenheit – darum, den unbe-quemen Betriebsrat bei den Beschäf-tigten zu diskreditieren.

Das alles ist keine Spezialität desFSW. Dieses Phänomen wird in vieleneuropäischen wissenschaftlichen Arbei-ten über die „Ökonomisierung derSozialen Arbeit“ beschrieben: eineengagierte ArbeitnehmerInnenvertre-tung stört das Getriebe einer privat-wirtschaftlich agierenden „Firma“ fürsoziale Angelegenheiten.

Ein Initiativantrag der KIV (und nichtdes Betriebsrates), in dem es um dieAuflösung des Fonds Soziales Wienund die Wiedereingliederung in dieStadt im Rahmen der Stadtverfassungging, wurde auf der Landeskonferenzder Gewerkschaft der Gemeindebe-diensteten – Kunst Medien, Sport, freieBerufe einstimmig angenommen. Alsomit den Stimmen der großen sozial-demokratischen Mehrheitsfraktion.

Entsprechend ihren grundlegendenpolitischen Überzeugungen – gegenAusgliederungen und Privatisierungenkommunaler Dienstleistungen – brach-te die KIV zunächst einen generellenRe-Kommunalisierungsantrag allerbetroffenen Bereiche ein, um die Dis-kussion über die vielen unangenehmenBegleitumstände bisherigen Outsour-cings anzuregen.

Der Antrag wurde von der Antrags-prüfungskommission zur Zuweisungempfohlen, für eine Annahme war derAntrag der Sozialdemokratischen Frak-tion nun doch zu weitreichend. Sie ließaber durchblicken, dass bei einer

Beschränkung auf den Fonds SozialesWien eine Zustimmung möglich wäre.

Offenbar hatte die unkontrollierteUmtriebigkeit, die ungeniert „eigen-ständige“ Art, ohne viel bei den Sozial-partnern nachzufragen, durch dieGeschäftsführung auch jene Genossenmächtig verärgert, die ursprünglich vollhinter dem Ausgliederungsprojektstanden. Deshalb der Initiativantrag.

Einer der großen Vorteile des Kon-strukts FSW war, dass man bei Innova-tionen welcher Art auch immer, nichtmehr an die oft äußerst mühsamenund langwierigen Entscheidungsstruk-turen der Gemeinde gebunden war.

Die KIV vertritt bei ihrem Widerstandgegen Ausgliederungen und Privatisie-rungen seit jeher die Position, dass Ent-scheidungsstrukturen und Arbeitsbe-dingungen in der Stadt so zu verän-dern sind, dass sinnvolles und effizien-tes Arbeiten möglich ist, ohne dabeidie vielen Nachteile von Ausgliederun-gen in Kauf nehmen zu müssen.

Die Ausgliederung brachte demschlanken Spitzenmanagementzunächst Einkommensmöglichkeiten,die es in der Stadt bislang kaum gab.

Im Gegenzug wurden die Einkom-men der Privatangestellten gegenüberden Bezügen des Gehaltsschemas derGemeindebediensteten empfindlichgekürzt – immer mit dem gleichenArgument: Hier würden wir ja nie bei-spielsweise einen „B-Beamten“ so wiebisher hinsetzen. Freilich die Ansprüchean den jeweiligen Arbeitsplatz warenund sind meist noch höher, nur derLohn kann nicht mehr mithalten.

Dazu kamen weitere „Vertöchterun-gen“ und eine ununterbrochene Wellevon Umstrukturierungen, deren Ratio-nalität oft nicht mehr zu erkennen warund ist. Neue Managementmethodenund der eigenwillige Arbeitsstil des

„Workaholics“ an der Spitze („Manmuss die Menschen dauernd unterDruck setzen, damit sie etwas leisten!“)führten zu Dauerstress und Überforde-rung bei vielen MitarbeiterInnen.

Das Nebeneinander von Kollektiv-vertragsangestellten, Vertragsbediens-teten, BeamtInnen und einer großenZahl von schlecht abgesicherten Leih-arbeiterInnen mit jeweils unterschied-lichen Besoldungs- und Vertragsrege-lungen erwies sich, wie vorhergesehen,als äußerst problematisch – speziellauch für die ArbeitnehmerInnenver-tretung, die damit konfrontiert wurde,dass die Gruppen nach Beliebengegeneinander ausgespielt wurden.

Es geht darum, die Sicherheit derVertragsbedienstetenordnung und desBesoldungsrechtes der Stadt Wienallen Beschäftigten zukommen zu las-sen und sie nicht der Willkür eines sichneoliberal gebärdenden Privatunter-nehmens auszuliefern. Die sozialenAuswirkungen von Umstrukturierungs-maßnahmen gehören evaluiert undnicht der Logik und den Effizienzkrite-rien eines kommerziellen Unterneh-mens unterworfen.

Eröffnen wir die Debatte über sinn-volle Organisationsformen und einenhumanen Umgang zwischen Manage-ment und Beschäftigten. Unsere Hoff-nung: Die Geschäftsleitung soll sich andiesem Diskussionsprozess beteiligen,statt unproduktive Machtkämpfe los-zutreten. Der Betriebsrat hat diesbe-züglich bereits Vorschläge gemacht.Menschlichkeit und soziales Verhaltensollten wieder in den Vordergrund tre-ten anstatt nur über Effizienz und stän-diges Ausspielen auf einem geregelten,(vom FSW) künstlich geschaffenenSozialmarkt zu agieren.

Menschlichkeit und soziales Verhal-ten müssen gegenüber einem aus-schließlich durch Effizienz- und Kon-kurrenzdenken motivierten Handelnprioritär bleiben.

WAS IST LOS IM FSW?

Die Fakten und was an der

Gerüchteflut im Fonds Sozia-

les Wien wirklich dran ist.

Von Alfred Bastecky.

B

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Kritische Literaturtage

Am 17. und 18. Dezember 2010fand mit den „kritischen Litera-turtagen“ des ÖsterreichischenGewerkschaftsbundes erstmals inder Geschichte Österreichs eineBuchmesse abseits des kommer-ziellen Mainstreams statt.

Auf drei Säle verteilt konnte inBüchern von mehr als fünfzig Ver-lagen geschmökert werden undmit Gewerkschaftsorganisationenund sozialen Initiativen wie Attac,Amnesty International, demMauthausen Komitee Österreichoder dem Netzwerk Kuba disku-tiert werden. Die UnabhängigenGewerkschafterInnen waren auchmit VertreterInnen ihrer Säulenzwei Tage lang mit einem Infor-mationsstand vertreten.

Sechshundert BesucherInnennutzten das Angebot, das mitBuchpräsentationen und Lesun-gen wie „Die Lebendigkeit JuraSoyfers“ oder „Ute Bock: DieGeschichte einer Flüchtlingshel-ferin“ abgerundet wurde. Höhe-punkte waren die Konzerte derLinzer Band „Politpark“ (Freitag)und des österreichischen Lieder-machers Sigi Maron mit dem Key-boarder Andy Juran (Samstag).

Alles in allem war es eine gelun-gene Veranstaltung. EinzigesManko: die alternative Literatur-messe hätte sich mehr Besucher-Innen verdient. Gut Ding brauchtvielleicht auch hier Weile – wirfreuen uns schon auf die zweitenkritischen Literaturtage 2011(vielleicht nicht gerade an einemTermin kurz vor Weihnachten).Oder mit den Worten von SigiMaron zum Abschluss seines Kon-zertes: „Ich wünsche mir, dass esjedes Jahr Kritische Literaturtagegibt.“ ❚

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Österreichische LehrerInneninitiativen halten dagegen. Von Reinhart Sellner.

SCHUL-TANZ À LA PRÖLL-PRÖLL

D

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ie ÖVP-Länder einigen sich mit demFinanzminister auf Effizienzsteige-rung“, der Bund braucht nur mehr zuzahlen und die Unterrichtsministerinsamt ihrem Ministerium kann abge-schafft werden …

Neun Bildungsdirektionen – fürjeden Landeshauptmann eine. DasBundesministerium sorgt für einen vonden Landeshauptleuten abzusegnen-den bundesgesetzlichen Rahmen, undjeder Landeshauptmann macht daraus,was für die Menschen in seinem schö-nen Bundesland gut ist. Und das wis-sen die ÖVP-Landeshauptmänner ambesten. Jeder Landeshauptmann sollkünftig ohne Widerred’ des Bundesseine SchuldirektorInnen auch an denderzeit noch Bundesgymnasien undBMHS ernennen und seine Landesleh-rerInnen – auch die derzeitigen Bun-deslehrerInnen – bestellen, damit dieseine Landeskinder in seinem Sinnbelehren. Konkret: Zur Einstellungs-hoheit über 70.000 Volks-, Haupt-,Sonder-, Poly- und Berufsschullehrer-Innen kommt die über 40.000 AHS-und BHS-LehrerInnen und als Zugabedie Herrschaft über die Pädagogischen

Hochschulen. Der Bund ist nur mehrfür das mit den Landeshauptleutenauszuhandelnde neue Dienstrecht fürLandeslehrerInnen aller Schultypen ver-antwortlich. Für diesen Hausmacht-zuwachs wären die ÖVP-Landeshaupt-leute bereit, ihre getreuen Bezirks- undLandesschulräte abzuschaffen. „DieÖVP bringt Bewegung in die Verwal-tungsreform.“ Auch die Bundesschul-gebäudeverwaltung soll in die Verwal-tung der Länder übergehen.

Die Bereitstellung der Schul-Budget-mittel bleibt dem Bund, allerdings ver-einfacht, nicht mehr über den Finanz-ausgleich des Bundes mit den Ländern,sondern „über eine Schüler-Kopf-Quote… über deren Höhe wird noch verhan-delt werden“. Der Bund überweist eineGesamtsumme, die Landeshauptleute,die am besten wissen, was ihre Landes-kinder vor Ort brauchen, verteilen dieseBundesmittel nach ihrem Ermessen.

EIGENVERANTWORTLICHESCHULEN Erwin Pröll und seine Parteifreunde

in den Landesschulräten Nieder-, Ober-österreich, Tirol oder Vorarlberg sindauch in der eigenen Partei in derDefensive. Vielleicht wollen sie und derÖVP-Parteiobmann Josef Pröll auch nurden in den Medien kolportierten Dealvon Bundes-Spitalsregelung gegenSchul- und LehrerInnen-Verländerungdurchsetzen, denn zu den Reformvor-schlägen der Sozialversicherungsträgerund des Gesundheitsministers wirdzeitgleich verhaltene Zustimmung sig-nalisiert. Die Unterrichtsministerin und

die SPÖ dürften für diesen Deal nichtoder nicht mehr zu haben sein. In derÖVP treten Wirtschafts- und Industrie-vertreterInnen, christlich-sozial moti-vierte FunktionärInnen, Bildungs- undVolkswirtschaftsexpertInnen fürs Been-den der Schulreformblockade ein. Siesind für die Bundeszuständigkeit beiSchule und Schulreform, für die Anhe-bung des Ausbildungsniveaus aller unddaher für die Gesamtschule, für eineinheitliches BundeslehrerInnendienst-recht, für eine zeitgemäße universitäreLehrerInnenausbildung, für das Einspa-ren von neun Landes-Mehrgleisigkei-ten, für klare Umsetzungskompetenzund für mehr Eigenverantwortung derSchulen bei der Umsetzung der Bun-desgesetze. Auch wenn nach demAbgang der schulreformorientiertenÖAAB-Generalsektretärin Karl ins Wis-senschaftsministerium wieder ein Pröll-kompatibler Nachfolger als General-sekretär werkt, die Unterordnung unterdie der niederösterreichischen ÖVPstark verbundene fcg.GÖD-Fraktionscheint aufgebrochen, letztere hat dasalleinige Sagen im ÖAAB und in derBundespartei nicht wiedergewonnen.

Der Schulreformstau und die hohenKosten einer intransparenten und viel-fach parteipolitisch instrumentalisier-ten Landesschulverwaltung gefährdenden sozialen Zusammenhalt und diegerade von der ÖVP vielbeschworeneWettbewerbsfähigkeit Österreichs.Leutselig beteuerte Bürgernähe undtreuherzig-empörtes Anti-Wien-Gerülpse zur Mehrung der Macht derLandeshauptleute und ihrer Landespar-teiapparate können diese Probleme

Reinhart Sellner ist Vorsitzender derUGöD und Mitgliedim Koordinationsaus-schuss der UG.

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nicht lösen. Die SchülerInnen, ihreEltern und ihre LehrerInnen braucheneine sozial-integrative, individuell för-dernde und fordernde, weltoffeneösterreichische Schule mit optimalenLern- und Arbeitsbedingungen für alleund in allen Regionen.

Diese Schule braucht dringend Refor-men der Lerninhalte, der Unterrichts-methoden, der LehrerInnenbildung undder Schulorganisation.

Diese österreichische Schule brauchtausreichende und das heißt mehröffentliche Mittel für Personal, Gebäu-de und Ausstattung und kein Budget-kürzungsprogramm. Diese Schulebraucht keine auf die Machtbedürf-nisse von Landeshauptleuten derVolkspartei abgestimmte Schulverwal-tung, keine dem Landeshauptmannund seinen LandesparteifunktionärIn-nen dienstbaren LehrerInnen undSchulleiterInnen, sondern eine klarebundeseinheitliche Rahmengesetz-gebung (Schulunterricht, Schulorgani-sation, LehrerInnendienst-, Besoldungs-und Personalvertretungsrecht) undebenso klare bundeseinheitliche Selbst-verwaltungsrechte für die Schulen,denen der Bund die für den Standortnotwendigen Ressourcen nach einemtransparenten Schlüssel zuweist.

Schulleitungen werden von denSchulen und nicht von den Landes-hauptleuten gewählt, die Bildungs-direktionen in den Bundesländern sindnachgeordnete Dienststellen desBundes mit Koordinations- und Buch-haltungsaufgaben.

ZUKUNFTSBUDGET FÜR SOZIAL-INTEGRATIVE SCHULREFORMENDie ÖVP-Presseaussendung vom

19. November 2010 über die Konferenzder ÖVP-Landeshauptleute und desÖVP-Bundesparteiobmanns gehtdurchaus auf real existierende Schul-verwaltungsprobleme ein und enthältgute Vorschläge: Alle fünf wollen •„Effizienzsteigerung“, •„eine Bildungsdirektion pro

Bundesland“, •„Abschaffung von Bezirks- und

Landesschulräten“, •„mehr Schulautonomie“,

alle fünf können sich der Einsichtnicht verschließen, dass „der Bunddafür sorgt, dass Österreich eine Bil-dungsregion bleibt.“

Warum die Verwirklichung dieserAnliegen die Übernahme aller Lehrer-Innen durch die Länder erfordert, kön-nen sie nicht erklären und ist auchnicht zu erklären. Das Schul-Verwal-tungs-Konklave Erwin Prölls, der ÖVP-Landeshauptleute und ihres Finanzmi-nisters war aber erfolgreich. Alles wirdbesser bleiben.

Nur die Zustimmung der anderenLandeshauptleute, des Koalitionspart-ners SPÖ oder der Sozialpartner ÖGB,Arbeiterkammer, Wirtschaftskammerund Industriellenvereinigung und dieder betroffenen LehrerInnen, SchülerIn-nen und Eltern fehlt noch und wird eswohl nicht geben. Die Zustimmung derniederösterreichischen Hardcore-ÖVP-ler in der fcg.GÖD kann vorausgesetzt

werden. Obwohl: Ekkehard Quin wirdsich schwer tun, als künftiger Vorsit-zender der AHS-Gewerkschaft denösterreichischen AHS-LehrerInnen dasEnde des BundeslehrerInnenstatusaufs Aug zu drücken.

FÜR EINE VERWALTUNGS-REFORM IN DER GÖDDie anstehenden Bildungsreformen

brauchen eine parteiunabhängige, soli-darische und schülerInnenfreundlich-reformoffene Interessensvertretungaller LehrerInnen.

Selbstbewusstes gewerkschaftlichesVerhandeln für menschenwürdigeArbeitsbedingungen und leistungsge-rechte Entlohnung aller LehrerInnen ineiner gemeinsamen ganztägigenSchule mit individueller Förderung, diegemeinsame universitäre LehrerInnen-bildung, das einheitliche Bundes-Dienst- und Besoldungsrecht, eineSchulverwaltungsreform mit eigenstän-digen Schulen und die entsprechendeReform des Bundespersonalvertre-tungsrechtes – all das braucht keinNeben- und Gegeneinander von fünfGewerkschaftsvorsitzenden.

Auf dem 2011 angesetzten Bundes-kongress der GÖD werden die Unab-hängigen GewerkschafterInnen derUGöd entsprechende Anträge stellen.

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Schwarzer Rauch ist aufgestiegen,

das Schul-Verwaltungs-Konklave Erwin

Prölls, der ÖVP-Landeshauptleute und

ihres Finanzministers war erfolgreich.

Alles wird besser bleiben. „

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lles muss besser bleiben imösterreichischen Schulsystem.

Das Aussortieren der 9- bis 10-jährigen fürs Gymnasium, für

den Nachwuchs der besseren Leut’,darf mit den besorgniserregendenPISA-Ergebnissen nichts zu tun haben,immerhin haben die zehn besten AHS’das Niveau des finnischen Durch-schnitts erreicht.

Die VolksschullehrerInnen sollengefälligst die Schuld am miserablenBildungszustand von 38 und mehrProzent der Jugendlichen auf sichnehmen. Weil Lesen lernt man in derVolksschule. Weil die Volksschulebekanntlich eine Gesamtschule ist,verdrehen die Spin-Doktoren des ÖVP-Vorsitzenden und Vizekanzlersden PISA-Absturz flugs in eine Wort-spende gegen die überfällige Gesamt-schulreform.

SELEKTIONSDRUCK BEHINDERTLERNENDie Realität schaut anders aus: Der

gemeinsame Unterricht an den Volks-schulen ist spätestens ab der 3. Klassedurch Ängsten von Eltern geprägt, diesich um den erfolgreichen Übertrittihrer Kinder ins Gymnasium sorgen.Nicht nur ihre Kinder spüren das undbekommen selber Angst vor schlechtenNoten. Die VolksschullehrerInnenbekommen bei Einzelvorsprachen undbei Elternabenden den Druck derEltern zu spüren. Das angstfreie, spiele-rische und nachhaltige Lernen, dassFördern und Fordern aller Kinder, dieindividualisierende und sozial integrie-rende Unterrichtsarbeit stoßen anGrenzen, die von außen, von einfluss-reicheren Eltern und von der selektivenLogik des differenzierten Schulwesensgesetzt werden.

Die VolksschullehrerInnen werdendie PISA-Schuldzuweisungen schonaushalten und nicht rebellisch werden,so das Kalkül der um Ablenkung vonder Gesamtschulfrage bemühten ÖVP-Spitze. Ein professionelles Selbstbe-wusstsein gegenüber Bezirksinspekto-

ren, Professoren und Landesschulrätenist für VolksschullehrerInnen nicht vor-gesehen. Eine berufspraktisch-ver-schulte, von Wissenschaft und For-schung weitgehend abgetrennte Kurz-ausbildung und die entsprechendschlechtere Bezahlung sind die struktu-rellen Voraussetzungen dafür. In derÖffentlichkeit und auch vonmeist männlichen„Standesvertre-tern“ werdenVolksschulleh-rerInnen gernals kinder-freundlich-naiv, fleißig,brav und unpo-litisch hingestellt.Die Sonntagsredenvon gütigen Lan-deshauptleuten überdie große, entschei-dende Bedeutung ihrerArbeit für die Zukunftder Kinder und ihresLandes werden darannichts ändern.

RAHMENBEDINGUNGENVERBESSERNAber es spricht einiges dafür, dass

diese Rechnung nicht aufgeht. Es gibtauch unter VolksschullehrerInnenimmer mehr, denen es reicht. Die wol-len ihren SchülerInnen und sich selberdie entwürdigenden und demotivieren-den Selektionsrituale ersparen, die wol-len bessere Rahmenbedingungen fürihren Unterricht, kleine Klassen undein ZweilehrerInnen-System und dazusonderpädagogische Unterstützung. ImGrund wollen alle VolksschullehrerIn-nen unterstützen, fördern und fordernund kein Kind aussondern und zurück-lassen. Es gibt an den Ausbildungsstät-

ten, insbesondere an den Universitätendas Bemühen um praxisnahe und wis-senschaftliche, forschungsbasierteLehrerInnenbildung und Fortbildungfür alle, es gibt die von Bundesministe-rium für Unterricht, Kunst und Kulturund Bundesministerum für Wissen-schaft und Forschung eingeleiteteReform der LehrerInnenbildung.

Es gibt die Solidarität von engagier-ten, kinder- und schülerInnenfreundli-chen LehrerInnen aller Schultypen, vonStudierenden, von Eltern, die wissen,dass individuelle nicht gegen gesamt-gesellschaftlichen Lösungen ausge-spielt werden dürfen.

REFORM BRAUCHTRESSOURCENEs gibt auch wirtschaftliche Interes-

sen, die von den Sozialpartnernformuliert und angesichts

PISA 2009 mit verstärk-tem Nachdruck vertre-

ten werden. Was esnoch nicht gibt,sind der Bildungs-

schwerpunkt imBundesbudgetund damit die

notwendigen Res-sourcen für Sofortmaß-

nahmen und für die zuoft schon abgesagtegroße Schulreform. Fürs

Budget sind Finanzmi-nister, Kanzlerund Bundesre-gierung zustän-dig. Die Zustim-

mung der Volks-partei zu dieser Reform, deren Kern-stück eine sozial-integrative gemein-same, ganztägige Schule sein wird, isteine Frage der Zeit.

PISA beschleunigt. Der neue Vorsit-zende der bis dato reformresistentenAHS-Gewerkschaft Quin von derfcg.GÖD hat in seiner Reaktion aufPISA die Bildungsministerin daran erin-nert, dass es höchste Zeit für Schul-reformen wäre – wenn das kein gutesZeichen ist?!

BETONMISCHER UNDSCHULREFORMBLOCKIERER

PISA-Ausreden und Volks-

schullehrerInnen-Mobbing.

Von Reinhart Sellner.

A

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ei den Protesten im letztenJahr ist die Kruste ein wenig

aufgebrochen. Mit einer gefei-erten Besoldungsreform wurde

das Jahr 2010 für PädagogInnen undauch für AssistentInnen der MA 10,WienerKinderGärten, eingeläutet.Wenngleich nicht alle Forderungenerreicht wurden, ist ein Abschluss vonachtzehn Millionen Euro sicher einMeilenstein. Deshalb Meilenstein, weilstolze zwanzig Jahre im elementarpä-dagogischen Bereich nichts passiert ist.Es gab danach bei den PädagogInnenGehaltserhöhungen – für einzelneGehaltsstufen stark, für andere kaumspürbar, und es gab für die AssistentIn-nen die theoretische Möglichkeit zumAufstieg in die Verwendungsgruppe 2.

UNBESETZTE VOLLZEITPOSTENEs ist schon etwas passiert: Der ope-

rative Bereich hat in immer kürzererZeit mehr Agenden übernommen. Vonflächendeckender Sprachförderungüber den beitragsfreien Kindergartenbis hin zu unzähligen Projekten, die dieneuesten Entwicklungen im frühkindli-chen Bildungsbereich widerspiegeln.

Die MitarbeiterInnen dieses Berei-ches hatten nie die Chance, mit denpolitischen Wünschen und Vorgabenmitzuhalten. Nach wie vor ist der Berufder Kindergarten- bzw. HortpädagogInnicht sehr attraktiv. Es gibt zu wenigPersonal. Aktuell sind 281 Vollzeitpos-ten für PädagogInnen unbesetzt.Zusätzlich laufen Sonderverträge vonKollegInnen zur Sprachförderung aus.Und wenn man den Interessens-vertreterInnen anderer OrganisationenGlauben schenken darf, sieht es dortpersonalmäßig nicht viel besser aus.Zwar werden PädagogInnen mittelsgroßer Anzeigenkampagnen gesucht,doch finden lassen sich wenige.

DRUCKENTLADUNGDie Überbrückungshilfe in Zeiten wie

diesen sieht im Alltag dann wie folgtaus: Eine kompetente AssistentIn wird

im pädagogischen Dienst eingesetzt.Dies kann stunden- oder tageweise,aber auch in steigender Anzahl überMonate oder Jahre gehen. Die StadtWien nahm 240 AssistentInnen auf.Der Großteil davon steht jetzt anstelleder fehlenden PädagogInnen in denGruppen. Diese „pädagogischen Assis-tentInnen“ haben dafür aber keine spe-zielle Ausbildung, erhalten auch kaummehr Geld (erst ab sechs Stunden amTag 10 Euro brutto) und tragen dievolle Verantwortung. Der Druck entlädtsich irgendwann in Ressentiments derKollegInnen untereinander.

Durch die Werbung stiegen dieErwartungen der Eltern; die beworbeneLeistung kann aber auf Grund derdesaströsen Personalsituation und dermangelhaften Rahmenbedingungennicht erbracht werden, wodurch vieleEltern zornig werden.

Die steigende Belastung der Einzel-nen führt verstärkt zu Burnout undanderen physischen sowie psychischenErkrankungen. Erholungsphasen wer-den als zu kurz und nicht wirklicherfolgreich wahrgenommen. DieFreude am Beruf gerät an einen hartenPrüfstein und die allgemeine Arbeitszu-friedenheit sinkt drastisch.

Also alles in allem nicht das Gelbevom Ei. Trotzdem wollen wir uns alsengagierte GewerkschafterInnen undPersonalvertreterInnen naturgemäß derSituation stellen und haben für2011/2012 ein Arbeitsprogrammzusammengestellt. Dieses soll einer-seits dem politischen Willen, aber auchin einem höheren Ausmaß als bisher,den Anforderungen und Bedürfnissen

des Alltages und damit den Mit-arbeiterInnen gerecht werden.

PROBLEMKREISEDer eröffnete riesige Problemkreis

muss rasch angegangen werden:Personalgruppe LeiterInnen: Die Funk-tion und das Arbeitsprofil sind neu zuüberdenken und nachhaltige monetäreAnreize zu schaffen. Sollte die Dienst-geberin ihre Forderung nach Streichungder Vorbereitungszeit bei LeiterInnenwiederholen, muss es einen neu zu ent-wickelnden Stundenschlüssel (Kinder-dienst versus Kanzleistunden) und eineautonomere Zeiteinteilung geben.Personalgruppe PädagogInnen: DieBesoldung muss bei der Wertigkeit desgesellschaftspolitischen Ausmaßes vonelementarpädagogischer Bildungansetzen. Es genügt nicht die Biennal-sprünge abzuschaffen und durch Drei-jahressprünge zu ersetzen. Weiterzuver-folgen ist die Ausbildungsreform derElementarpädagogik (Fachhochschule)und die Verfestigung der Methoden-freiheit im Sinne des Bildungsplanes. Personalgruppe AssistentInnen: DieAnerkennung des Arbeitsfeldes in Formder Schaffung eines Berufsbildes mitbegleitender Ausbildung ist unum-gänglich. Ebenso bedarf es einer Ent-koppelung der Zulagen für AssistentIn-nen von der Beurteilung, und die Ent-wicklung und Konzeptionierung einereigenständigen Beurteilung für Assis-tentInnen im Kinderdienst. Fortbil-dungstage (Anzahl der ZU-Tage derPädagogInnen) für AssistentInnen imSinne der Qualitätssicherung sindnötig. Es gibt bereits die ersten Diskus-sionen, wie es weiter gehen soll. Eine„Zwischenausbildung“ für AssistentIn-nen wird wohl kommen, vielleicht aucheine Zweiteilung in „pädagogisch“ und„hauswirtschaftlich“.

Wichtig wäre: gute Ausbildung, klareEinteilung und Aufgabenstellung unddass alle in der MA 10 bleiben unddort zuständig sind.

WIE GELB IST DENN NUN DAS EI?

Trotz starker Medienpräsenz:

Im Kindergarten nichts

Neues – die Unzufriedenheit

beim Personal der Wiener

Kindergärten ist groß.

Von Martina Petzl-Basteckyund Irmgard Slovacek.

B

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sterreich leistet sich einenLuxus, der wohl nicht mehr

zeitgemäß ist. Ein staatlichessoziales Netz, das jedem, der

Hilfe benötigt, auch Hilfe zukommenlässt. Anders als in vielen anderen Län-dern, wo Bedürftige rein auf Spendenangewiesen sind. Da kann dann plötz-lich auch keiner für Hilfe bereit stehen.Viele Bedürftige bekommen in diesenSystemen keine oder zuwenig Unter-stützung. Auch die Europäische Unionsteuert einen Wechsel an.

Das Jahr der Freiwilligen ist unterdiesem Gesichtspunkt zu sehen. Frei-willige leisten eine „unbezahlbare“Hilfe, ganz klar. Aber soll die Verant-wortung der Gesellschaft wirklich ganzauf die Freiwilligen ausgelagert wer-den? Ihnen die Verantwortung zu allei-nigen Lasten aufgebürdet werden?Nun, in Österreich ist es nicht so. Nochnicht. Aber auch hier sind Tendenzenspürbar, den Sozialbereich wieder los-werden zu wollen.

JÜNGSTES BEISPIELOberösterreich kürzt 33 Prozent des

Sozialbudgets. Zum Jahreswechsel sindviele Menschen zur Kündigung ange-meldet. Jeder, der keinen gesetzmäßi-gen Bescheid für ein Anrecht auf Hilfehat, wird in Kürze nur mehr „Freiwilli-genhilfe“ erhalten. Aber, sind wir nichtin Zeiten der Krise mehr denn je aufeinen Sozialstaat, auf eine Solidarge-sellschaft angewiesen? Das Sozial- undGesundheitswesen leistet in seiner heu-tigen Professionalität sowohl demStaat als auch der Wirtschaft unschätz-

bare Dienste! Krankheiten, die adä-quat behandelt werden, verringern dieKrankenstandszeiten. Wenn Erkrankteprofessionell gut versorgt werden, ent-lastet das Angehörige, die dadurch amErwerbsleben teilnehmen können.Untersuchungen haben gezeigt, dassjeder Euro, der in das Sozialsystemfliest, über die Umwegrentabilität derGesellschaft Mehrwert bringt. Nochviele Argumente lassen sich anführen.Demgegenüber steht nur ein großesGegenargument: Zu teuer!

Ganz klar, es soll gespart werden. InZeiten der Krise hat der Staat kein Geldmehr für diesen Luxus. Er spart jetztschon, indem er Gesetze umgeht undmissachtet! Gesetze werden jetzt schonvon höchsten Regierungsebenenumgangen, um Einsparungen umjeden Preis durchzuführen!

GUTES BEISPIELDas „Bundesministerium für Arbeit,

Soziales und Konsumentenschutz“ istein gutes Beispiel. Die Projekte, die dasBundesministerium finanziert, um denAuftrag der öffentlichen Hand wahr-zunehmen, sind alle privatisiert. Es gibtEinrichtungen, die seit mehr als fünf-zehn Jahren ausschließlich im Auftragdes Bundesministeriums arbeiten.Gängige arbeitsrechtliche Bedingun-gen, die den Mitarbeitern zustehen,werden in den Vertragsbedingungennicht anerkannt! Beispiel: Gefahren-und Erschwerniszulage. Laut gültigemKollektivvertrag eine Leistung, über dieeine Betriebsvereinbarung abgeschlos-sen werden muss. Ein Urteil des Arbeits-und Sozialgerichts einer Einrichtungaus Tirol sagt ganz klar, die Betriebs-vereinbarung ist nicht ausschlagge-bend, dass Mitarbeiter eine Zulagebekommen. Ausschlaggebend sind dieerschwerten Bedingungen. Das Bun-

desministerium stellte aber erst jüngstwieder in einer Stellungnahme an eineEinrichtung fest, dass die Zulage alsfreiwillige Leistung gewertet wird undsomit nicht vom Bundesministeriumrefundiert wird. Sämtlichen anderenEinnahmen einer Einrichtung, die indas Projekt fließen (Spenden, …), kürzendie Refundierungen des Projektes. Alsogibt es keine Möglichkeit für Projekt-träger, die gesetzlichen Anforderungendes Kollektivvertrages zu erfüllen.Ebenso werden Reinigungspersonal-kosten nicht als Personalkosten aner-kannt! Vom „Sozialministerium“. EineSachlage, die man sich auf der Zungezergehen lassen kann.

WEITERES BEISPIELEinige Länder, beispielsweise Nieder-

österreich, haben „auch“ viele Sozialauf-gaben an private Träger ausgelagert.Grund sind natürlich billigere Gehalts-strukturen. Die Mitarbeiter müssen vonden Trägern nach den gültigen Kollek-tivverträgen bezahlt werden. Diese wer-den aber vom Land in den jährlichenErhöhungen und den Refundierungender Gehälter nicht anerkannt.

Beide Beispiele sind rechtlich in Ord-nung, da ja der Arbeitgeber dafür haf-tet, dass die rechtlichen Rahmenbedin-gungen eingehalten werden. Es zeigtaber, dass Ministerien und Länder gül-tige Gesetzte bewusst umgehen, umEinsparungen zu erzielen. Wenn alsoschon die Regierung die Gesetzebewusst zu umgehen sucht, wie glaub-haft sind wir dann noch als Rechts-staat? Und wie weit hat uns das Effi-zienzgeschrei der Wirtschaft schon imGriff, die alles immer billiger habenwill, übrigens auch Ihre Arbeitskraft!

In der nächsten Zeit werden wiederviele Protestaktionen zur Erhaltung dersozialen Errungenschaften durchge-führt. Wir brauchen eine breite Solida-rität und Achtsamkeit für diese The-men! Wir können die Zuverlässigkeitunserer Solidargesellschaft bewahren,wenn wir wollen!

Zum Thema Oberösterreich gibt es unter www.pmooe.at Informationen undUnterstützungsmöglichkeiten.

LUXUS SOZIALSTAAT

Und wie der Staat Gesetze

umgeht.

Von Stefan Taibl.

Ö

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Stefan Taiblist Arbeiterkammerratder AUGE/UG inNiederösterreich.

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ei der gemeinsamen Betriebs-versammlung von Pro Mente

und Exit Sozial waren trotz„Arschkälte“ (Zitat Karin Antlan-

ger) 1500 Betroffene, BetriebsrätInnen,und viel, viel Solidarität aus demUmfeld der Gewerkschaft und auchvon BetriebsrätInnen aus ganz anderenBranchen (Thalia, Coca-Cola, …) undvon der Protestbewegung Unibrennt.

Zwei Tage Warnstreiks im Sozialbe-reich – wann gab es das zuletzt? Undüber dreißigtausend Unterschriften vonUnterstützerInnen. Das war der Standder Dinge und Proteste am 13. und14. Dezember in Linz. „Nachdem es inden letzten zehn Jahren immer wiederzu Kürzungen im Sozialbereich kamund wir immer wieder Zugeständnissemachten, haben wir nun die Schnauzevoll und werden dies nicht mehr hin-nehmen,“ kommentierte Willi Steinber-ger, Betriebsrat der AUGE/UG bei promente. Um gleich hinzuzufügen: „DieWarnstreiks sind nur der erste Schritt.Am 18. Jänner 2011 wird eineBetriebsversammlung stattfinden unddort werden die nächsten Schrittebeschlossen. Unser Kampf geht mitSicherheit weiter.“

DER HINTERGRUNDIm Landesbudget sollen 25 Millio-

nen Euro eingespart werden. Das Sozi-albudget kann deshalb nur um zweiProzent erhöht werden. Der Budgetpos-ten für psychosoziale Beratungsstellenund Krisendienste sowie Freizeit- undKommunikationseinrichtungen wirdgleich um 33 Prozent gekürzt. In Folgedessen stehen 113 Kündigungen an,bei Pro Mente und Exit Sozial.

DER VERGLEICHBei der Westring-Pilgerfahrt nach

Wien wurden von LandeshauptmannPühringer (VP), Landesrat Ackerl undBürgermeister Dobusch (beide SP)locker und freihändig 78 Millionen zurMitfinanzierung für dieses widersinnigeVerkehrsprojekt angeboten. Was für die

Sozialvereine fehlt, ist ein Betrag von2,8 Millionen Euro. Im Westring-Bonus-Vergleich ein kleiner Betrag!

DER SKANDALIndem man gerade bei niederschwel-

ligen Sozialleistungen massiv den Rot-stift ansetzt, trifft man die Schwächs-ten der Gesellschaft. Seit dem Jahre2001 stieg die Anzahl an KlientInnenalleine bei den Psychosozialen Bera-tungsstellen um rund dreißig Prozent,fast neunzigtausendmal werden dieseBeratungsleistungen in ganz Oberös-terreich, davon besonders in Linz, jähr-lich kontaktiert. Wenn über hundertMitarbeiterInnen dort gekündigt wer-den, wo ohnehin schon zu wenig Perso-nalressourcen vorhanden sind, sind diedramatischen Folgen klar.

Menschen, die mit guter Betreuungim Alltag ihr Berufsleben meistern kön-nen, werden vermehrt in Krankenstandgehen und arbeitslos werden. Je weni-ger Menschen betreut werden können,umso mehr werden in stationäre Ein-

richtungen ausweichen müssen … diejetzt schon überfüllt sind – mit denentsprechenden Folgen für die dortBeschäftigten (zusätzliche Kranken-stände, zusätzliche Burn-outs) …

Dazu kommen die krankmachendenFaktoren für die MitarbeiterInnen inden Sozialvereinen selbst: Verunsiche-rung, wen es jetzt trifft, wen es alsnächste treffen wird … Der Wunsch,trotzdem möglichst viele KlientInnenweiter bestmöglich zu betreuen –Überforderung dadurch; Frustrationdadurch, weil man sehr schnell an dieGrenzen stoßen wird.

Man kann davon ausgehen, dass dasVierfache dessen, was Ackerl jetzt inseinem Landesressort einspart, an Fol-

gekosten anfällt, die dann eben „dieAllgemeinheit“ zu tragen haben wird.Ein finanzpolitisches Bravourstück –Hurra.

FRAGE ZULETZTWenn die GPA im Durchschnitt zwei

Prozent Gehaltserhöhung ausverhan-delt hat und damit die Inflation abge-golten sein soll – dann ist nicht ganznachvollziehbar, woher im Sozialressortauf einmal soviele Mehrkosten erwach-sen sollen, dass eine 33-Prozent-Kür-zung in der psychosozialen Betreuungnotwendig sein soll. Naiv gerechnet,mag sein … aber es hat uns noch nie-mand besser erklärt (mit einer Rech-nung, die – PISA-konform – „sinnerfas-send lesbar“ ist).

Christian Krall, AUGE/UG, Oberösterreich.

Sozialbereich in Oberösterreich:

PROTESTTAGE GEGEN STREICHKONZERT

Soziallandesrat Ackerl kürzte

um 33 Prozent, Betriebsrät-

Innen „haben die Schnauze

voll“. Im Dezember wurde

gestreikt und auf die Straße

gegangen.

Von Christian Krall.

B

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KOLLEKTIVVERTRAGS-SPLITTER LOHNRUNDE 2011:

WIR ZAHLENFÜR DIE KRISE

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Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier

Austrian AirlinesNach wochenlangen Verhandlungen und einer Reihe vonmobilisierenden Aktivitäten des Betriebsrates und der GPA-djp, zuletzt einer Urabstimmung der Belegschaft, einigtensich die Kollektivvertragspartner Anfang Jänner auf einenneuen Kollektivvertrag für die etwa 2500 technischen undkaufmännischen Angestellten.

Die Gehälter werden je nach Einkommenshöhe zwischen35 und 45 Euro erhöht. Für die meisten Gehaltsgruppenbedeutet diese Einigung eine Erhöhung über der durch-schnittlichen Inflationsrate des Jahres 2010. Teile derErhöhung wurden bereits mit Wirkung 1. Dezember 2010zur Auszahlung gebracht.

Zudem wurde vereinbart, dass die Gehälter mit 1. Jänner2012 in der Höhe der Jahresinflation von 2011 erhöht wer-den. Bei einem positiven operativen Ergebnis der AustrianAirlines im Jahr 2011 von über fünfzig Millionen Euro gibtes zudem für jeden Angestellten eine Einmalzahlung in derHöhe von siebenhundert Euro.

Außerdem wurde die Verankerung von 1300 Euro Min-destgehalt im Kollektivvertrag erreicht und damit ein wichti-ges gesellschaftspolitisches Anliegen umgesetzt.

SozialversicherungNach Verhandlungen konnte Mitte Dezember 2010 für dierund 25.000 Angestellten die Kollektivvertrags-Rundeerfolgreich abgeschlossen werden. Alle Gehaltsschematawerden um zehn Euro und weitere 1,2 Prozent (Kinderzulageauf 28 Euro) angehoben.

HandelDie Kollektivvertragsverhandlungen für 450.000 Angestell-ten wurden erfolgreich abgeschlossen (Geltungsbeginn: 1. Jänner 2011, Laufzeit: 12 Monate):•Gehälter bis 1500 Euro: +2,3 Prozent•Gehälter bis 1800 Euro: +2,1 Prozent

•Gehälter ab 1801Euro: +2 Prozent•Lehrlingsentschädigung: +2,3 Prozent.

Das Gehalt in der Beschäftigungsgruppe 2, erstes unddrittes Berufsjahr wird auf 1300 Euro, in der Beschäftigungs-gruppe 3, erstes Berufsjahr auf 1300 Euro angehoben. Damitwurde das Ziel eines Mindestgehaltes von 1300 Euro und7,80 Euro pro Arbeitsstunde für alle vollzeitbeschäftigten,qualifizierten Angestellten durchgesetzt.

MetallgewerbeEnde November 2010 einigte sich die GPA-djp mit denArbeitgebern auf Gehaltserhöhungen:•Mindestgehälter: +2,45 Prozent•Ist-Gehälter: +2,2 Prozent•Lehrlingsentschädigung: +2,4 Prozent•Zulagen: +2,2 Prozent•Aufwandsentschädigung: +2,2 Prozent

Der neue Kollektivvertrag trat mit 1. Jänner 2011 in Kraft.•Berechnungsmodus hinsichtlich des Ersatzes des

Provisionsverdienstentganges: Klarstellung Berechnungdurchschnittlicher Provisionsbezug der letzten zwölfMonate vor Karenzzeit, Mutterschutz.

•Errichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zum Thema„Tätigkeit im Außendienst“. Aufgabe der Arbeitsgruppe istes die berufliche Tätigkeit des angestellten Versiche-rungsaußendienstes zu evaluieren.

Produktionsgewerkschaft

Raiffeisen Ware Austria•Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne um

2,20 Prozent, mindestens aber um dreißig Euro, plus einerRundung auf den nächsten vollen Euro

•Bestehende Überzahlungen bleiben in ihrer Höhe aufrecht•Erhöhung der Dienstalterszulage um 2,20 Prozent•Erhöhung der Zulagen und Diäten um 1,80 Prozent,

gerundet auf die nächsten 0,05 Euro•Neuer Mindestlohn: 1330 Euro

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Gewerkschaft Öffentlicher Dienst

Bisher stehen folgende Ergebnisse der Gehaltsschematas inden Kollektivverträgen von ausgegliederten Bereiche fest:

Österreichische Bundesforste-AGDie Gehaltsansätze des Kollektivvertrages sowie sonstigeBestandteile des Monatsbezuges wurden ab 1. Jänner miteiner Laufzeit von zwölf Monaten um 2,2 Prozent erhöht.

Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.Alle Gehälter sowie die Lehrlingsentschädigungen stiegenmit 1. Jänner 2011 um ein Prozent. Ab sofort gilt ein Fahr-kostenersatz (unabhängig vom Wohnort) in der Höhe von22,50 Euro (zwölfmal pro Jahr). Damit erhöhen sich dieGehälter von 1,45 Prozent bis 2,5 Prozent. Die Einführungeiner Sonn- und Feiertagszulage bei regelmäßiger Arbeit anSonn- und Feiertagen mit Schichtwechsel rundet das Ver-handlungsergebnis ab.

Kunsthistorisches MuseumDie Gehälter und Zulagen in diesem Kollektivvertrag werdenin zwei Schritten valorisiert: Mit 1. Jänner 2011 erfolgte eineErhöhung der Ist-Gehälter um ein Prozent, im September2011 wird eine weitere Erhöhung um ein Prozent erfolgen,dies mit einer Laufzeit bis 31. Dezember 2011.

Agentur für Gesundheit- und Ernährungssicherheit GmbHDie Beschäftigten der AGES, auf welche der Kollektivvertraganzuwenden ist, erhalten seit 1. Jänner 2011 eine Erhöhungder KV- und Ist-Gehälter um 35 Euro. Die Lehrlingsentschä-digung wird um den selben Betrag erhöht. Damit werde dieunteren Einkommen über der Inflationsrate der letzten zwölfMonate angehoben.

UniversitätenDie im Kollektivvertrag verankerten Gehälter wurden ab1. Jänner 2011 mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember2011 um monatlich 34,50 Euro erhöht. Diese Gehaltsvalo-risierung hat eine klare soziale Prägung, zumal die unter-sten Einkommen um 2,5 Prozent erhöht werden.

Weiters wurde der Bezieherkreis für Rufbereitschafts-entschädigungen ausgeweitet, eine Journaldienstzulagefür teilzeitbeschäftigte ÄrztInnen eingeführt, sowie fürdie Beschäftigten günstigere Regelungen in Bezug aufdie Abfertigung bei freiwilligem Wechsel in den Kollektiv-vertrag vereinbart.

Österreichische Akademie der WissenschaftenDie Kollektivvertragsgehälter und Zulagen werden mit Wirk-samkeit ab 1. Jänner 2011 um 0,7 Prozent, mindestensjedoch um 35 Euro erhöht. Hier werden die unteren Gehälterüber der Inflationsrate der letzten 12 Monate angehoben.

Weiters wurde eine Anerkennungsprämie für Lehrlingeeingeführt, die Mindestparameter des schriftlichen Arbeits-vertrages festgelegt, sowie eine Schlichtungsstelle einge-

richtet, welche zur Klärung strittiger Rechtsfragen aus demKollektivvertrag und Betriebsvereinbarungen angerufenwerden kann.

ArbeitsmarktserviceDie Gehälter und Zulagen der im Arbeitsmarktservicebeschäftigten ArbeitnehmerInnen wurden ab 1. Jänner 2011um 1,25 Prozent erhöht. Pro Soll-Planstelle wird der Prämi-entopf um zweihundert Euro erhöht.

Die Anzahl der Leiterzulagen wurde durch Zusammen-fassungen erhöht. Die Lehrlingsentschädigungen wurdendeutlich erhöht.

Gewerkschaft der Gemeindebediensteten – Kunst, Medien, Sport, freie Berufe

Die Gehaltsverhandlungen für die Öffentlich Bedienstetenfür das Jahr 2011 standen unter keinem guten Stern: DieBundesregierung hatte schon Monate vorher eine Diskus-sion über eine Null-Lohnrunde begonnen, auch einigeLandesregierungen (zum Beispiel Kärnten und Salzburg)forderten eine Null-Lohnrunde für die Landes- undGemeindebediensteten.

Schon im Jahr 2010 hatte es Probleme gegeben: Die Lan-desregierung in Salzburg „verordnete“ ihren Landesbediens-teten eine Null-Lohnrunde, die Landes- und Gemeindebe-diensteten in Kärnten erhielten nur 0,6 Prozent statt dervereinbarten 0,9 Prozent. Die Vorarlberger Landesregierungkonnte heuer mit der ÖVP-FPÖ-Mehrheit den im Dienstrechtder Vorarlberger Landes- und Gemeindebediensteten vorge-sehenen Inflationsausgleich abschaffen und damit eineNull-Lohnrunde durchsetzen.

Und so sieht der Gehaltsabschluss (bereits in der zweitenVerhandlungsrunde vereinbart) auch aus: Es ist ein Spar-Gehaltsabschluss wie schon für das Jahr 2010. Die Gewerk-schaftsführung wollte keinen Widerstand leisten, die Füh-rung der Gewerkschaften GöD und GdG-KMSfB bestehenaber auch aus ÖVP- und SPÖ-PolitikerInnen. So kann auchjetzt nur spekuliert werden, ob ein konsequenter gewerk-schaftlicher Widerstand und Kampf für einen besserenGehaltsabschluss auch Erfolg gebracht hätte.

Wie auch immer diese Einschätzung ausfällt, eines hatsich nicht geändert: •Auch diesmal wurde in den Gewerkschaften weder vorhernoch nachher wirklich über den Gehaltsabschluss diskutiert,•es gab vorher auch keinen Beschluss in den Gewerkschafts-gremien über eine Forderung oder über mögliche Kampf-maßnahmen.

Wie immer, die Demokratisierung der Gewerkschaften istweiterhin kein Anliegen von FSG und FCG. So bleibt nur dieAnalyse im Nachhinein.

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3.–5. November 2010:

Bemerkungen zum GPA-djp-Bundesforum

Von Hasan Tanyeli.

Wir als work@migration waren mitunseren Anträgen und Wortmel-dungen auffallend präsent.

work@migration, die Interes-sensgemeinschaft in der GPA-djp,hat viele Anträge eingebracht. Dadie Anträge insgesamt einenUmfang von 13 Seiten haben,wären Sie nicht geeignet, alle inder Alternative zu bringen. Unsere Themen waren:•Nationalen Aktionsplan für Inte-

gration und Chancengleichheitentwickeln (zugewiesen)

•Rechtsextreme, fremdenfeindli-che und antisemitische Positio-nen und Einstellungen bekämp-fen (zugewiesen)

•Ministerium oder Staatssekreta-riat und kommunale Integrati-onsbeauftragte schaffen (zugewiesen)

•Staatsbürgerschaft (zugewiesen)•Anerkennung von Qualifikatio-

nen und Kompetenzen (zugewiesen)

•Flucht ist kein Verbrechen! KeineVerhängung von Schubhaft überAsylsuchende! (angenommen)

•Verbesserung der Situationvon SexdienstleisterInnen (zugewiesen)

•Bestellung eines/r hauptamtli-chen Integrationsbeauftragtenin der GPA-djp (zugewiesen)

•Mitwirkung von MigrantInnenam politischen und kulturellenLeben der GPA-djp (zugewiesen)

•MigrantInnen ohne gesichertenAufenthalt (zugewiesen)Ich rief auch zur Solidarität für

den Antrag zur „papierlosen“behiehungsweise „undokumen-tierte Arbeit“ von Leuten aus dem„Prekär Cafe“, die Mitglieder derGPA-djp sind, auf.

BAGS-Kollektivvertrag

Vertretbarer Abschluss unter schwierigenfinanziellen Rahmenbedingungen

Die Kollektivvertragsverhandlungen für die etwa achtzigtausendBeschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich konntenMitte Jänner 2011 nach schwierigen Verhandlungen abgeschlossenwerden. Die kollektivvertraglichen Löhne und Gehälter steigen umzwei Prozent, die Ist-Löhne und Gehälter um 1,85 Prozent.

Auch die kollektivvertraglichen Zulagen werden um zweiProzent erhöht, die Ist-Zulagen steigen um 1,85 Prozent.Der Kollektivvertragsabschluss tritt mit Anfang Feber2011 in Kraft und gilt für 12 Monate. „Wir konnten fürdie Beschäftigten damit die Abgeltung der Teuerungund einen leichten Reallohnzuwachs erzielen“, sagendie Verhandlerinnen der Arbeitnehmerseite, Eva Scherz(GPA-djp) und Michaela Guglberger (vida).

Erfreulich sind auch die Verbesserungen im Rahmenrecht, die den Gewerk-schaften gelungen sind. „Wir haben erreicht, dass in Hinkunft Vordienstzei-ten ohne Rücksicht darauf, ob Teilzeit oder Vollzeit gearbeitet wurde, imAusmaß von bis zu zehn Jahren voll angerechnet werden. Da es in den sozia-len Diensten eine sehr hohe Teilzeitquote gibt, bringt das vielen bei einemArbeitgeberwechsel einen höheren Einstiegslohn beziehungsweise -gehalt.Vor allem auch Frauen, die oft nach der Elternteilzeit den Betrieb wechseln“,sagt vida-Bundesfachgruppensekretärin Michaela Guglberger.

Eine Neuerung gibt es auch für Beschäftigte, die die Familienhospizkarenzzur Betreuung schwerkranker Angehöriger in Anspruch nehmen. „Zeiten derHospizkarenz werden künftig für die Bemessung des Urlaubsanspruches, derKündigungsfrist und den Anspruch auf Abfertigung alt angerechnet, so wiedas bei der Elternkarenz schon jetzt der Fall ist“, sagt Eva Scherz von derGPA-djp. Eingetragene Partnerschaften werden bei der Fortzahlung des Ent-geltes wegen Dienstverhinderung im BAGS-Kollektivvertrag nunmehr Ehe-schließungen gleichgestellt.

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ei der letzten Vollversamm-lung der Arbeiterkammer

Wien im Dezember 2010 stell-ten wir in Absprache mit der „Ini-

tiative für kostenlose Notschlafplätze“(INKONO) folgenden Antrag:

Nächtigungsgebühr stoppen!Die 154. Vollversammlung der Arbei-

terkammer Wien unterstützt die Forde-rungen der von MitarbeiterInnen derWiener Wohnungslosenhilfe gemein-sam mit dem Österreichischen Berufs-verband der SozialarbeiterInnen, Lan-desgruppe Wien, ins Leben gerufenenInitiative für kostenlose Notschlafplätze(INKONO) und fordert die zuständigeSozialstadträtin Sonja Wehsely und dieVerantwortlichen des Fonds SozialesWien (FSW) auf, von der Einführungeines Kostenbeitrages für Nachtnot-quartiere Abstand zu nehmen.

Der Antrag wurde zwar nicht abge-lehnt, sondern an den Arbeiterkammer-Ausschuss für Kommunal- und Regio-nalpolitik zugewiesen. Es bestand sozumindest die Chance, dass die Arbei-terkammer sich bereits vorhandeneExpertisen zur Thematik einholt. Mitdem Ziel, eine entsprechende Vor-gangsweise abzusprechen, ging ich am13. Dezember zur Ausschusssitzung.

Und wer sass da? Der von der SPÖ-Stadtregierung eingesetzte Geschäfts-führer des Fonds Soziales Wien (alsoUnternehmervertreter) Peter Hackerund die zuständige Leiterin desBereichs Wohnungslosenhilfe im FondsSoziales Wien! Da die AUGE/UG keineInformation darüber hatte, hatten wirnicht einmal die Chance, im Vorfeldauch noch jemanden von INKONO für

die andere Sichtweise zur Thematikund ihre Expertise vorzuschlagen.

Als Tischunterlage wurdeuns folgende Antragsbe-handlung zu Beginn derSitzung vorgeschlagen:

Die Mindestsicherungsetzt sich wie folgt zusammen:

Grundbetrag EUR 558,—, Wohnkos-tenanteil EUR 186,—. 2 Monate langbesteht die Möglichkeit, eine Notschlaf-stelle kostenlos zu benützen, danachwerden EUR 4,— pro Nächtigung einge-hoben. Dies ergibt pro Monat EUR124,—, das ist niedriger als der Wohn-kostenbeitrag. Der Sinn ist, dass Men-schen nicht länger als notwendig ineiner Notschlafstelle bleiben sollen, dasZiel ist die längerfristige Reintegration.Dies geschieht über das System derWohnungslosenhilfe, das in Wienbesteht. Es wird daher vorgeschlagen,den Antrag abzulehnen.

Meine Empörung war perfekt undmein Ärger natürlich auch. Es warnicht einmal geplant meine Ausführun-gen zu unserem Antrag anzuhören,noch die eigentlich betroffene Seite –nämlich die Beschäftigten und ihreKlientInnen im Obdachlosenbereich –zu beteiligen.

Die verantwortliche Ausschussvorsit-zende Barbara Teiber ist übrigensneben ihrer Funktion als FSG-Arbeiter-kammer-Rätin auch im Vorstand derArbeiterkammer sowie Regionalge-schäftsführerin der GPA-djp Wien undhat für die SPÖ zum Wiener Gemeinde-rat kandidiert. Im Übrigen hat auch dieInteressengemeinschaft work@socialder GPA-djp die INKONO unterstützt.

Die Antwort der Ausschussvorsitzen-den auf meine Empörung fasse ich wiefolgt zusammen: Als Ausschussvorsit-

zende wäre ihr das Recht vorbehaltenzu entscheiden, wen sie sich als Exper-ten hinzuzieht und wann sie das tut.Auf der Tagesordnung, die uns als Ein-ladung übermittelt wurde, stand ja eh,dass unser Antrag Thema ist.

Und es wäre nicht notwendig dieBetroffenen mit ein zu beziehen, dennwenn wir als AUGE/UG den Antragstellen, gehe sie davon aus, dass auchwir über das Thema sprechen können.Überhaupt nehme sie meine Argumen-tation zur Kenntnis und mehr müssesie auch nicht.

Daher habe ich im Ausschuss ange-kündigt: Vor dem nächsten Ausschuss

im März 2011 gibt es vonuns in Zusammenarbeit

mit den KollegInnen derINKONO (also jener „Seite“,

für welche die Arbeiterkam-mer als Interessenvertre-tung eigentlich zuständig

wäre) eine schriftliche Stellungnahmezum Thema an alle Ausschussmitglie-der und die Kommunalpolitik-Abtei-lung inklusive Auflistung darüber, waswir uns an Unterstützung seitens derArbeiterkammer als Interessenvertre-tung erwarten.

Außerdem werde ich nochmalsschriftlich vorschlagen, dass eine Ver-treterIn der „anderen Seite“ (zum Bei-spiel der „BundesarbeitsgemeinschaftWohnungslosenhilfe“) beigezogenwird, um auch die Argumente der Inte-ressenvertretung der unmittelbarBetroffenen zu hören, sich anschlie-ßend eine Meinung zu bilden und dieAntragsbehandlung zu entscheiden.

Sollten wir bzw. die Anliegen derBetroffenen wieder nicht entsprechendunterstützt und unsere Stellungnahmeund Vorschläge negiert werden, wer-den wir die Vorgangsweise entspre-chend veröffentlichen und den unmit-telbar Betroffenen zur Kenntnis brin-gen. Sie sollen sich dann ihr eigenesBild über ihre Interessenvertretung unddie bestimmende MehrheitsfraktionFSG (SPÖ) machen.

Damit war die Debatte zum Antragabgeschlossen und wurde von derAusschussvorsitzenden auch nichtweiter kommentiert.

VERLÄNGERTER ARMDER STADTREGIERUNG?

Bericht vom Ausschuss

für Kommunal- und

Regionalpolitik der

Wiener Arbeiterkammer.

Von Christine Rudolf.

B

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Christine Rudolfist politischeSekretärin der KIV.

Page 20: Alternative Jänner 2011

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Magazin

ENTWICKLUNG DERLOHNQUOTEDie Lohnquote – also der Anteil der

Einkommen aus unselbständigerErwerbstätigkeit (ArbeitnehmerInnen)am Volkseinkommen – ist seit demJahr 1978 von 77,7 Prozent (Höchst-stand) auf 71,9 Prozent im Jahr 2000zurückgegangen, um bist 2006 auf nurnoch 66,6 Prozent zu fallen.

Die um die Veränderung des Anteilsder unselbständig Beschäftigten anden Erwerbstätigen insgesamt „berei-nigte“ Lohnquote verringerte sich von71,7 Prozent (1978) auf 63,9 Prozent(2000) und 59,2 Prozent (2006).

GESCHLECHTSSPEZIFISCHEEINKOMMENSUNTERSCHIEDEDie geschlechtsspezifischen Einkom-

mensunterschiede sind im unterstenEinkommensviertel (1. Quartil) mit39,5 Prozent um fast 10 Prozent höherals im dritten Quartil (31,1 Prozent).Das Einkommen von Frauen desEinkommens der Männer betrug•an der Obergrenze des schwächsten

Einkommensviertel (alle Erwerbstäti-gen) im Jahr 1980 61,8 Prozent, imJahr 1990 64,6 Prozent, um bis zumJahr 2000 wieder auf 60,5 Prozentzu fallen. Arbeiterinnen verdienten1980 im 1. Quartil 57,7 Prozent ihrermännlichen Kollegen, 1990 60,6Prozent 2008 dagegen mit nur noch56,6 Prozent, im Vergleich zu Arbei-tern prozentuell weniger als 1980!Ähnlich stellt es sich bei weiblichenAngestellten im 1. Quartil dar: 1980

verdienten sie 62,3 Prozent dermännlichen Angestellten. Die Situa-tion verschlechterte sich kontinuier-lich (1998: 61,1 Prozent) bis 2008(56,5 Prozent).

•Im Einkommensmedian (50 Prozentverdienen mehr, 50 Prozent verdie-nen weniger, alle Erwerbstätigen)1980 64,9 Prozent, 1995 68,8 Pro-zent um bis 2008 auf 66,7 Prozentzu fallen (Arbeiterinnen: 1980 61,5Prozent, 1995: 64,5 Prozent, 200861,2 Prozent. Weibliche Angestellte:1980 59,8 Prozent, 1995 61,1 Pro-zent, 2008 58,4 Prozent). Arbeitszeit-standardisiert (bereinigt um diedurchschnittlich geleistete Arbeits-zeit) verdienten Frauen im Median1980 71,2 Prozent der Männer, 199568,8 Prozent, bis 2008 allerdingsschon nur mehr 66,7 Prozent.

•An der Obergrenze des 3. Quartils(alle Erwerbstätigen) verdientenFrauen 1980 65,2 Prozent, 199570,2 Prozent, 2008 allerdings schonnur mehr 68,9 Prozent der Männer indiesem oberen Einkommensbereich. Arbeiterinnen konnten im 3. Quartilihre Position im Vergleich zu 1980verbessern, allerdings nicht im Ver-gleich zu 1998: verdienten sie 1980noch 62,3 Prozent der Männer,waren es 1995 64,7 Prozent um bis2008 wieder auf 64,6 Prozent zu fal-len. Nicht verbessern konnten sichweibliche Angestellte: sie verdienen2008 mit 61,3 Prozent gegenübermännlichen Angestellten in dieserEinkommenskategorie weniger als1995 (64,7 Prozent) und 1980(62,1 Prozent).

VERTEILUNG DER LOHNSTEUER-PFLICHTIGEN EINKOMMEN Die einkommensschwächsten zwan-

zig Prozent der ArbeitnehmerInnenerhielten 2008 gerade einmal 2,1 Pro-zent des gesamten Lohneinkommens.Das oberste Einkommensfünftel erhieltdagegen 47,1 Prozent. Lohneinkommensind damit sehr ungleich verteilt, dieVerteilung hat sich über die letztendreißig Jahre hinweg signifikantverschlechtert.

Unselbständig Beschäftigte inklu-sive pragmatisierte Beamte hieltenAnteil am Gesamteinkommen allerunselbständig Beschäftigten:•1. Quintil (unterstes Einkommenfünf-

tel): die einkommensschwächsten 20Prozent aller unselbständig Beschäf-

Blitzlichter auf einige Zahlen, Daten, Fakten und Entwicklungen.

SOZIALBERICHT 2009—2010:

EINKOMMEN INÖSTERREICH

Page 21: Alternative Jänner 2011

tigten hielten 1976 4,8 Prozent desgesamten lohnsteuerpflichtigen Ein-kommens, 1995 2,9 Prozent, im Jahr2008 schon nur noch 2,1 Prozent

•2. Quintil: jenes zweitärmste Fünftelaller unselbständig Beschäftigten indieser Einkommenskategorie verdien-ten 1976 noch 12,7 Prozent desgesamten Lohneinkommens, 1995schon nur noch 10,9 Prozent, bis2008 nur mehr 9,4 Prozent.

•3. Quintil: im mittleren Einkommens-fünftel verdienten ArbeitnehmerIn-nen und Beamte 1980 18,3 Prozentdes Lohneinkommens, 1995 17,7 Pro-zent und 2008 mit 17 Prozent eben-falls etwas weniger als noch 1980.

•4. Quintil: das zweitreichste Fünftelaller unselbständig Beschäftigtenhielt 1980 einen Anteil von 24 Pro-zent des Lohneinkommens, welchermit 24,1 Prozent 1995 und 24,4 Pro-zent 2008 annähernd stabil geblie-ben ist.

•5. Quintil: das reichste Fünftel bezog1980 40,2 Prozent des gesamtenLohneinkommens in Österreich, 1995schon 44,4 Prozent und mit 47,1 Pro-zent im Jahr 2008 um fast zwanzigProzent mehr als noch 1980.

Die obersten fünf Prozent – also dasreichste Einkommenszwanzigstel allerunselbständig Beschäftigten – mitBruttobezügen über 8791 Euro imMonat, konnten ihren Einkommens-anteil am gesamten österreichischenLohneinkommen von 17,7 Prozent

(1995) auf 19,2 Prozent (2008) stei-gern. Das oberste Prozent aller unselb-ständig Beschäftigten (Bruttobezugüber 15.541 Euro im Monat) steigerteseinen Anteil von 5,9 Prozent im Jahr1995 auf 6,8 Prozent im Jahr 2008.

BRUTTO-, NETTOBEZÜGE 1995—2008Die Verteilung der Nettobezüge

(Bruttobezüge abzüglich von Lohnsteu-ern und den Beiträgen zur Sozialversi-cherung) stellt sich etwas gleichmäßi-ger dar, als jene der Bruttobezüge.

Allerdings kommt auch bei denNettoeinkommen die steigende

Ungleichheit in der Einkommens-verteilung zum Ausdruck.

Verteilung Nettobezüge (Brutto inKlammer), Anteil am gesamtenNettolohneinkommen:•Das ärmste 1. Quintil bezog 1995

3,4 Prozent (2,9 Prozent), 20082,7 Prozent (2,1 Prozent).

•Das 2. Quintil bezog 1998 12,1 Pro-zent (10,9 Prozent), 2008 10,9 Pro-zent (9,4 Prozent).

•Das mittlere 3. Quintil kam 1998 auf18,2 Prozent (17,7 Prozent), 2008auf 18,4 Prozent (17,0 Prozent) derNettolohneinkommen.

•Das 4. Quintil kam 1998 auf24,2 Prozent (24,1 Prozent), 200824,4 Prozent (24,4 Prozent) allerLohneinkommen nach Sozialabgabenund Steuern.

•Das reichste Einkommensfünftel, das5. Quintil kam 1995 auf 42,1 Pro-zent (44,4 Prozent), 2008 auf43,6 Prozent (47,1 Prozent) allerNettoeinkommen aus unselbstän-diger Beschäftigung.

Die reichsten fünf Prozent allerunselbständig Beschäftigten erzielten1995 einen Anteil am gesamten Netto-lohneinkommen von 16,7 Prozent(17,7 Prozent), 2008 von 17,3 Prozent(19,2 Prozent). Das reichste Prozent anArbeitnehmerInnen und Beamtenbezog 1995 vier Prozent (5,9 Prozent)aller Nettoeinkommen aus unselbstän-diger Arbeit, 2008 sechs Prozent(6,8 Prozent).

Hinsichtlich der Entwicklung derRealeinkommen müssen insbesonderedie unteren Einkommensschichten seit1995 massive Kaufkraftverluste hinneh-men, die sich bis in die mittleren undoberen Einkommensbereiche ziehen.

Verteilungsentwicklung verfüg-barer Haushaltseinkommen unselb-ständig Beschäftigter 2008 (2000)•Die ärmsten 20 Prozent der Haus-

halte unselbständig Beschäftigter(1. Quintil) bezogen 2008 10,5 Pro-zent (10,6 Prozent),

•Das 2. Quintil erzielte 2008 14,9 Prozent (15,1 Prozent) derverfügbaren Haushaltseinkommen –ohne Selbständige,

•Das mittlere, 3. Haushalts-Quintilbezog 18,3 Prozent (18,4 Prozent)der verfügbaren Haushaltseinkom-men (ohne Selbständige),

•Das 4. Quintil der Unselbständigen-Haushalte kam auf 22,6 Prozent(22,3 Prozent) der verfügbaren Haus-haltseinkommen (ohne Selbständige),

•Das 5. Quintil auf 33,7 Prozent(33,7 Prozent) der verfügbarenHaushaltseinkommen (ohne Selb-ständige).

Weitere Ergebnisse des „Sozialberichts2009—2010“ des Bundesministeriums fürArbeit, Soziales und Konsumentenschutzsowie des aktuellen Einkommensberichts desRechnungshofes gibt es auf http://diealter-native.org/verteilungsgerechtigkeit.

SEITE 21 • ALTERNATIVE 1-2/2011

Page 22: Alternative Jänner 2011

Einige Zahlen, Daten, Fakten.

SOZIALBERICHT 2009—2010:

ARMUT IN ÖSTERREICH

SEITE 22 • ALTERNATIVE 1-2/2011

Magazin

Armutsgefährdungsschwelle 2008:11.406 Euro im JahrArmutsgefährdung im Jahr 2009:•Armutsgefährdungsschwelle:

12,4 Prozent der österreichischenBevölkerung, das sind rund993.000 Personen.

•Laut der „Gemeinschaftsstatistikenüber Einkommen und Lebensbedin-gungen“ (EU-SILC 2008) habenarmutsgefährdete Haushalte ein umrund 15 Prozent („Armutsgefähr-dungslücke“) unter der Armuts-schwelle liegendes Einkommen(9662 Euro jährlich)

•Gesamtbetrag der „Armutsgefähr-dungslücke“: 0,6 Prozent des Brutto-inlandsproduktes, das sind 1,75 Mil-liarden Euro.

Armutsgefährdungsquote nach Alterund Geschlecht (2008)•15 Prozent der Kinder und

Jugendlichen unter 18 Jahre•10 Prozent der Männer zwischen

18 und 64 Jahre•12 Prozent der Männer über 65 Jahre•13 Prozent der Frauen über 18 Jahre•12 Prozent der Frauen zwischen 18

und 64 Jahre•17 Prozent der Frauen über 65 Jahre.Armutsgefährdung nach Haushalts-form (2008) •von Haushalten mit Pension (min-

destens 50 Prozent des Haushalts-einkommens sind Pensionen) warenzu 16 Prozent, aber alleinlebendeMänner zu sechzehn Prozent, allein-lebende Frauen zu vierundzwanzigProzent, Mehrpersonenhaushalte zudreizehn Prozent armutsgefährdet

•von Haushalten ohne Pensionen(weniger als 50 Prozent des Haus-haltseinkommens sind Pensionen) zu12 Prozent armutsgefährdet, aberalleinlebende Männer zu 16 Prozent,alleinlebende Frauen zu 20 Prozent,Mehrpersonenhaushalte ohne Kinderzu 6 Prozent armutsgefährdet

•von Haushalten ohne Pension mitKindern waren 13 Prozent armutsge-fährdet, aber Ein-Eltern-Haushalte zu29 Prozent, Mehrpersonenhaushaltemit einem Kind zu 9 Prozent, Mehr-personenhaushalte mit zwei Kindernzu 10 Prozent, Mehrpersonenhaus-halte mit mindestens drei Kindern zu20 Prozent armutsgefährdet.

BESONDERS GEFÄHRDETEBEVÖLKERUNGSGRUPPENIm Jahr 2008 waren bei einer öster-

reichischen Gesamtbevölkerung von8,242 Millionen Menschen 1,018 Mil-lionen Personen armutsgefährdet. DieArmutsgefährdungsquote lag dabei beiPersonen mit Haushalten mit•Langzeitarbeitslosigkeit bei 43 Pro-

zent (Armutsgefährdungslücke:21 Prozent)

•Sozialleistungen als Haupteinkom-men (ohne Pensionen im Pensions-alter 60 bzw. 65 Jahre) bei 43 Pro-zent (Armutsgefährdungslücke:18 Prozent)

•ausländischem Mitglied (Nicht-EU,EFTA) bei 26 Prozent (Armuts-gefährdungslücke: 18 Prozent)

•Eingebürgerten (ohne ausländischesMitglied) bei 22 Prozent (17 Prozent)

•Behinderung (bei Person im Erwerbs-alter) bei 19 Prozent (18 Prozent)

•Mehrpersonen mit mindestens 3 Kin-dern bei 20 Prozent (16 Prozent)

•jüngstem Kind 4 bis 6 Jahre bei6 Prozent (17 Prozent)

•einem Elternteil bei 29 Prozent(16 Prozent)

•alleinlebenden Frauen mit Pensionbei 24 Prozent (14 Prozent)

•alleinlebenden Frauen ohne Pensionbei 20 Prozent (20 Prozent)

ARMUTSGEFÄHRDUNG NACHHAUPTTÄTIGKEIT Insgesamt waren 2007 von 5,050

Millionen Personen im Erwerbsalter(20 bis 64 Jahre) 542.000 Menschen,das sind 11 Prozent, armutsgefährdet. •Von 3,175 Millionen ganzjährig

Erwerbstätigen (12 Monate erwerbs-tätig) waren 181.000 Personen(6 Prozent) armutsgefährdet. Von2,609 Millionen ganzjährig und Voll-zeit-Erwerbstätigen waren 129.000(6 Prozent) armutsgefährdet, von566.000 ganzjährig, Teilzeit-Erwerbs-aktiven, waren 52.000 (9 Prozent)armutsgefährdet.

•Von 504.000 nicht ganzjährigerwerbstätigen Personen (wenigerals zwölf Monate erwerbstätig,weniger als sechs Monate arbeitslos)waren 66.000 (13 Prozent) armuts-gefährdet.

•Von den 248.000 mehr als sechsMonate arbeitslosen Menschenwaren 97.000 (39 Prozent)armutsgefährdet.

Page 23: Alternative Jänner 2011

•Von 1,122 Millionen nicht Erwerbs-aktiven waren 198.000 (18 Prozent)armutsgefährdet. Von 507.000 Pen-sionistInnen im Erwerbsalter waren59.000 (12 Prozent), von 158.000Personen in Ausbildung (18 Prozent),von 457.000 Personen im Haushalt(24 Prozent) armutsgefährdet.

WORKING POOR247.000 Personen sind – bedingt

durch ihr eigenes niedriges Einkommenoder die Haushaltszusammensetzungund mangelnde Erwerbsintensität desHaushalts – armutsgefährdet, obwohlsie einer Erwerbsarbeit nachgehen. Dassind sieben Prozent der Erwerbstätigenzwischen 20 und 64 Jahren.

Als erwerbstätig werden dabei jenePersonen definiert, die mindestens einMonat Vollzeit- oder Teilzeit erwerbs-tätig und nicht mehr als sechs Monatearbeitslos waren. Von den Workingpoor warennach Geschlecht und Alter•53 Prozent Männer, davon 43 Pro-

zent zwischen 20 und 39 Jahre,56 Prozent zwischen 40 und 64 Jahre

•47 Prozent Frauen, davon 51 Prozentim Altern von 30 bis 39 Jahren,49 Prozent zwischen 40 und 64 Jahre

nach höchstem Bildungsabschluss•32 Prozent mit maximal Pflichtschul-

abschluss•43 Prozent mit maximal Lehre oder

mittlere Schule•18 Prozent mit maximal Matura•16 Prozent mit Universitätsabschluss nach Erwerbsstatus im Jahr 2009:•52 Prozent ganzjährig Vollzeit

erwerbstätig•21 Prozent ganzjährig Teilzeit

erwerbstätig•27 Prozent nicht ganzjährig

erwerbstätig nach beruflicher Stellung•31 Prozent HilfsarbeiterInnen•15 Prozent FacharbeiterInnen•9 Prozent Meister oder arbeiteten in

einer mittleren Tätigkeit•7 Prozent in einer höheren oder

hochqualifizierten Tätigkeitbeschäftigt

•22 Prozent selbständig•16 Prozent aktuell nicht erwerbstätigUnregelmäßig Beschäftigte (Werk-,DienstvertragsnehmerInnen oder 2007weniger als 10 Monate Vollzeit oderTeilzeit beschäftigt) waren zu 15 Pro-

zent (75.000 Personen) armutsgefähr-det, Teilzeitbeschäftigte unter 12 Stun-den zu 16 Prozent (18.000), Beschäf-tigte im Niedriglohnbereich (Stunden-lohn beträgt weniger als 8,77 Euro, beiVollzeit weniger als 1000 Euro) zu28 Prozent (31.000) armutsgefährdet.

ARMUTSGEFÄHRDUNG NACHERWERBSINTENSITÄT Von 6,456 Millionen Personen in

Haushalten mit mindestens einerPerson zwischen 18 und 59 Jahren(ohne StudentInnen) waren 776.000armutsgefährdet. Von diesen Personen gingen•252.000 Personen (33 Prozent) kei-

ner oder einer geringen Erwerbs-beteiligung nach

•397.000 Personen (51 Prozent)teilweise einer Erwerbsbeteiligung

•126.000 Personen (16 Prozent) einervollen Erwerbsbeteiligung nach.

Von den 124.000 armutsgefährdetenPersonen in Ein-Personen-Haushalten•gingen 62.000 Personen (50 Pro-

zent) – nahezu – keiner Erwerbs-beteiligung,

•26.000 Personen (21 Prozent)teilweise und

•36.000 Personen (29 Prozent) einervollen Erwerbsbeteiligung nach.

Von den 652.000 armutsgefährdetenPersonen in Mehr-Personen-Haushal-ten gingen•190.000 Menschen (29 Prozent,

nahezu keiner Erwerbsbeteiligung,•372.000 (57 Prozent) teilweise und•90.000 (14 Prozent) voll einer

Erwerbsbeteiligung nach.

ERWERBSBETEILIGUNGDER FRAUEN

•In Mehrpersonenhaushalten ohneKinder sinkt die Armutsgefährdungin Familien von vierzehn auf vier Pro-zent, wenn die Frau erwerbstätig(Voll- oder Teilzeit) ist.

•In Mehrpersonenhaushalten miteinem Kind sinkt die Armutsgefähr-dung von zwanzig auf sechs Prozentwenn die Frau erwerbstätig ist.

•In Mehrpersonenhaushalten mit zweiKindern sinkt die Armutsgefährdungbei Erwerbstätigkeit der Frau vonachtzehn auf sieben Prozent.

•In Mehrpersonenhaushalten mitmindestens drei Kindern sinkt die

Armutsgefährdung bei Erwerbstätig-keit der Frau von 28 auf 14 Prozent.

•In Ein-Eltern-Haushalten sinkt dieArmutsgefährdung bei Erwerbstätig-keit des Elternteils von 60 auf 21 Prozent.

Wie wichtig Kinderbetreuungs-, undbildungseinrichtungen zur Verhinde-rung von Familienarmut sind (weildadurch vielfach erst die Erwerbstätig-keit beider Elternteile oder des alleiner-ziehenden Elternteils ermöglicht wird)zeigen folgende Ergebnisse:•Ist das jüngste Kind unter drei Jahre

alt liegt die Armutsgefährdung bei18 Prozent im Falle der Nicht-Erwerbstätigkeit der Frau. MitErwerbsbeteiligung der Frau sinktdiese auf 7 Prozent.

•Ist das jüngste Kind zwischen 4 und6 Jahre sinkt die Armutsgefährdungder Familie bei Erwerbstätigkeit derFrau von 32 Prozent auf 10 Prozent.

•Ist das jüngste Kind über 6 Jahregeht die Armutsgefährdung beiErwerbstätigkeit der Frau von 32 auf9 Prozent zurück.

•Gesamt geht die Armutsgefähr-dungsquote – unabhängig davon obdie Frau erwerbstätig ist, oder nicht– von 14 Prozent, wenn das jüngsteKind unter 3 Jahre alt ist, auf 12 Pro-zent zurück, wenn das Kind 6 Jahreund darüber ist.

Mehr zum Sozialbericht 2009–2010 desBundesministeriums für Arbeit, Soziales undKonsumentenschutz unter http://diealter-native.org/verteilungsgerechtigkeit.

SEITE 23 • ALTERNATIVE 1-2/2011

Page 24: Alternative Jänner 2011

rage: Das Volksbegehren hatdas Ziel, eine Volksabstim-

mung über den AusstiegÖsterreichs aus der Europäischen

Atomgemeinschaft „Euratom“ zu errei-chen. Wie schätzt ihr die Zustim-mung ein?

Antwort: Laut Umfragen wol-len 78 Prozent der Österreicher-Innen raus aus Euratom. Öster-reich sagt „Nein“ zu Atomener-gie und die ÖsterreicherInnenlehnen es auch ab, dass mitunseren Steuergeldern die euro-päische Atomwirtschaft gestütztwird! Bei den Familien, den Stu-denten, der Bildung, den Zivildienern …überall wird gespart – nur bei derAtomenergie kennt man kein Halten.Zusätzliche 1600 Millionen Euro fürden Kernfusionsreaktor ITER sind imSommer 2010 auch mit ZustimmungÖsterreichs bewilligt worden …

Manche sagen, wenn wir nicht beiEuratom dabei sind, können wir nichtmitreden.

Wenn Österreich innerhalb von Eura-tom eine engagierte Antiatom-Politikmachen würde, wie sich das die Öster-reicherInnen erwarten, würde es wederdie Kampagne „Österreich – Raus ausEuratom“ noch das jetzige Euratom-Volksbegehren geben! Für Antiatom-Politik ist innerhalb von Euratom keinPlatz vorgesehen. Euratom ist gegründetworden, um die Voraussetzungen fürden Aufbau einer mächtigen europäi-schen Atomindustrie zu schaffen. Nach15 Jahren Mitgliedschaft Österreichs beiEuratom fällt die Bilanz sehr ernüch-ternd aus: Das Euratom-Forschungsbud-get ist nicht etwas verringert wordenoder ist gleich geblieben, sondern hatsich mit österreichischer Zustimmungverdreifacht. Österreich hat auch seineZustimmung zu einer äußerst schwa-chen Sicherheitsrichtlinie für AKWsgegeben: anstatt auf den höchstenSicherheitsstandards zu beharren, gebensich die österreichischen PolitikerInnenmit dem kleinsten gemeinsamen Nennerbei der Atomsicherheit zufrieden.

Kann ein Volksbegehren überhauptetwas bewirken (auch wenn es genugUnterschriften bekommen hat)?

Es hat in der Vergangenheit Volksbe-gehren gegeben, die zwar erfolgreichwaren, bei denen aber die jeweiligeBundesregierung wenig Scheue hatte,die Anliegen der Bevölkerung in einerSchublade verschwinden zu lassen.Was sie aber mit dieser Vorgangsweiseauf keinen Fall erreichen dürfen, ist,dass das Instrument der direktenDemokratie als „zahnlos“ oder „sinn-los“ eingestuft wird und nicht mehrgenutzt wird. Wir Bürgerinnen undBürger müssen Mittel der direktenDemokratie vermehrt einsetzen unddamit aufwerten. Positives Beispiel:das österreichische Atomsperrgesetzwurde 1999 in der österreichischenVerfassung verankert – auf Grund derForderung eines Volksbegehrens.

EURATOM-VOLKSBEGEHREN28. Feber bis 7. März 2011, in allen Gemeindeämtern und Magistraten.Öffnungszeiten: 8—16 Uhr (an zweiWerktagen bis 20 Uhr).Jede Österreicherin, die spätestens am7. März 2011 das 16. Lebensjahr voll-endet hat, darf unterschreiben.

Informationen: euratom-volksbegehren.at

EURATOM-VOLKSBEGEHREN

Renate Vodnek sprach mit

Roland Egger, Sprecher von

Atomstopp-Oberösterreich.

F

SEITE 24 • ALTERNATIVE 1-2/2011

Magazin

URIEL

Kriminalroman von Dorothea Zeemann.

Heinrich Uriel, Universitätsprofessorin Wien, gehört zu jenen Vertreternseiner Zunft, die sich noch niebesonders großer Beliebtheit erfreuthaben: machtbesessen, von Studen-ten und Mitarbeitern unter Vorwän-den wissenschaftlich das einfor-dernd, was sich für ihn persönlichtrefflich verwerten lässt, renommier-süchtig und auf Wirkung bedacht.

Nicht unbedingt ein edler Charak-ter. Und da stirbt er eben. Wer ausseinem Umfeld wird als Schuld-Bela-dener vor Gericht stehen?

Der in den frühen 1970er-Jahrenvon Dorothea Zeemann verfassteKriminalroman „Uriel“ wurde wederzu ihren Lebzeiten noch später publi-ziert. Das im Literaturarchiv derÖsterreichischen Nationalbibliothekverwahrte Originalmanuskripterfährt somit nach behutsamer „Res-taurierung“ und Nachbearbeitungeine bemerkenswerte Buchpremiere.

Die Erwartung ist vielleicht garnicht zu hoch gesteckt, dass diesebeliebte, wenn auch nicht unumstrit-tene Wiener Schriftstellerin, diegerne Tabus brach und mit ihremsarkastisch-pointierten Stil beiLesungen stets auf ein interessiertesPublikum traf, mit diesem im WienerUniversitätsmilieu spielendenRoman siebzehn Jahre nach ihremTod neue LeserInnengenerationenfaszinieren wird.

Verlag Der Apfel, ISBN 978-3-85450-009-4, 19,80 Euro.

Page 25: Alternative Jänner 2011

ie jedes Jahr stellten sichzehntausende Atomkraft-

gegnerInnen in den Weg –blockierten die Schienen und

Straßen und versuchten damit, dieWaggons mit den elf Atommüll-behältern aufzuhalten.

Das gelang auch – der Castor-Trans-port brauchte so lange wie nie zuvor.Die größten Massenproteste als Ant-wort auf die Verlängerung der Laufzei-ten deutscher Atomkraftwerke. Wäh-rend der Transporte sind Versammlun-gen entlang der Strecke verboten – inletzter Zeit bergen Proteste Gefahrenabseits von Tränengas, Wasserwerfernund Polizeiknüppeln: Die Staatsanwalt-schaft Lüneburg ermittelt gegen dieInitiatorInnen und UnterzeichnerInnender Facebook-Seite „Castor Schottern“.Ermittlungen werden sogar gegen jenenicht ausgeschlossen, die bei dieserSeite auf den „gefällt mir“-Buttongeklickt haben (und deren Facebook-FreundInnen – sag mir wessen Freund-In du bist, und ich sag dir welche Straf-tat du vor hast zu begehen?).

Durch kollektives Steine aus demGleisbett entfernen („Schottern“) woll-ten AktivistInnen die Schienen für dieAtommüllbeförderung unbefahrbarmachen. Die Polizei sieht darin einemögliche Gefährdung öffentlicherBetriebe sowie einen möglichen Ver-stoß gegen den Paragraph 111 Straf-gesetzbuch, der „das öffentliche Auf-fordern zu Straftaten mit einer Frei-heitsstrafe bis zu 5 Jahren oder einerGeldstrafe bedroht“ 2).

Straßen blockierende Traktoren, dieverhindern wollten, dass die Polizei zuden Schienen gelangte, fallen lautPolizei unter die Kategorie „Verdachtauf Nötigung“. Das Argument derGefährdung (zum Beispiel durch Zug-Entgleisung) zählt nicht, da außer demCastor-Transport kein Zugverkehr statt-findet und diesem ein Prüffahrzeugvoran fährt, das den Zustand derSchienen prüft.

Es stellt sich auch die Frage, ob dieRisikotechnologie Atomkraft nicht diegrößere Gefährdung für Mensch und

Umwelt ist: Durch Umweltzerstörungendurch den Uranabbau, dem nicht exis-tenten (sicheren) Endlager oder derExistenz der Atombombe 3).

Doch Protest und ziviler Ungehorsamist mitunter auch gesundheitsgefähr-dend: Während Innenminister Thomasde Maizière den Protestierenden eine„hohe kriminelle Energie“ und der Poli-zei ein besonnenes Handeln mitAugenmaß bescheinigte, sprach die

BürgerInneninitiative Umweltschutzvon „einer regelrechten Jagd“ aufDemonstrantInnen 4) 5).

Dem Großaufgebot der Polizei gin-gen Kollegen aus ganz Europa – wiezum Beispiel französische Polizisten derEliteeinheit CRS – zur Hand 4).

Fazit: Über 1000 verletzte Menschen,950 Augenverletzungen, 16 Brüche,29 Kopfplatzwunden und drei Gehirn-erschütterungen 6). 1000 Leute wurdenweiters in einer „Freiluft-Gefangenen-sammelstelle“ auf einem ungeschütz-ten Acker festgehalten – 8 Stundenlang bei bis zu Minus 5 Grad 7). Den-noch: Der Widerstand geht weiter –beim nächsten Transport.

1) Demo-Spruch2) Gefährliches Gefallen, 5. November 20103) castor-schottern.org, 29. November 20104) Junge Welt, November 2010, S. 35) redglobe.de/deutschland/umwelt,24. November 20106) Junge Welt, 9. November 2010, S. 17) tageszeitung, 16. November 2010

„WIR SIND FRIEDLICH – WAS SEID IHR?“ 1)

Wie jedes Jahr rollte Anfang

November der Castor-Zug

mit atomarem Restmüll von

der Wiederaufbereitungsan-

lage La Hague in das Lager

nach Gorleben.

W

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Page 26: Alternative Jänner 2011

ie offizielle UNO-Klimakonfe-renz in Cancun endete, wie zu

erwarten, mit einem „fracaso“(Flop). Gerade zwei windige,

nichtssagende Texte wurden gegenden massiven Widerstand Boliviensverabschiedet. „Unten“ in der Gesell-schaft bewegte sich viel, aber bei wei-tem nicht genug, um die „oben“ zueiner Kurskorrektur zu zwingen.

Mexico hatte bewusst Cancun alsAustragungsort der UNO-Klimakonfe-renz gewählt: weil es weit abgeschie-den auf der Halbinsel Yucatan liegt –also mit Protesten nur schwer erreich-bar ist. Und um den mondänen Bade-ort als „Entwicklungsmodell“ zu ver-markten. Weder konnten die Protesteverhindert werden, noch gelang es,Cancun als „Fortschritt“ zu verkaufen.Ein Blick hinter die glitzernden Fassa-den genügte, um das soziale Elend desGroßteils der Bevölkerung (vor allemMayas) zu begreifen.

Die offizielle Konferenz (COP 16)schleppte sich gut eine Woche dahin,ohne dass sich etwas bewegte. DieUSA waren nur niederrangig vertreten,Japan gab zu verstehen, dass es nichteinmal die Verlängerung des ohnedieslöchrigen Kyoto-Abkommens wolle etc.In den Medien machte das Gerücht dieRunde, dass Geheimverhandlungenstattfinden. Als dann Mexico mit zweiTexten anrückte, wurde die Parole vom„Durchbruch“ ausgegeben.

Die beiden Dokumente sind jedochunkonkret bis zum Geht-nicht-mehr. Eswimmelt von Kann-Bestimmungen undKonjunktiven wie: „Die Erderwärmungsoll auf zwei Grad beschränkt werden“.Es fehlen klare Zielvorgaben, Finanzie-rungen und konkrete Zeitrahmen. Auchhinsichtlich „Kyoto2“ ist nur von einem„soll“ die Rede. Einzig und allein Boli-vien tanzte aus der Reihe. Sein UNO-Botschafter Pablo Solon präsentierteunter anderem die Ergebnisse desAlternativengipfels von Cochabambaund forderte, dass „die Industriestaa-ten ihre Emissionen um vierzig bis fünf-zig Prozent reduzieren“. Bolivien wurdejedoch im Regen stehen gelassen –

auch von den ALBA-Staaten (Bolivaria-nische Allianz für Amerika) wie Ecua-dor oder Kuba.

Um mehr zu erreichen, wäre eine Art„politische Zangenoperation“ nötiggewesen. Eine breitere Offensive drin-nen im Moon Palace, dem offiziellenTagungsort und eine starke internatio-nale, weltweite Bewegung draußen.Zweifelsohne gab es phantasievolleAktionen – etwa gegen die Weltbank,

oder das Greenpeace-Schiff, das spek-takulär vor Anker ging. Und es gabeine Fülle inhaltlich guter (Gegen)-Veranstaltungen.

Aber es war deutlich zu erkennen,dass wichtige AkteurInnen der mexika-nischen Bewegungen und der Linkenfehlten, wie die „Partei der demokrati-schen Revolution“ oder die Zapatisten.Cancun wurde kurzsichtig nicht als(welt)politischer Kristallisationspunktbegriffen. Es gab am 7. Dezemberschließlich nicht eine, sondern zweiDemonstrationen: Via campesina ver-suchte allein zum Moon Palace vorzu-dringen. Das berüchtigte Sektierertumhatte sich auch hier durchgesetzt. Auchinternational war wenig von den ange-

peilten, „gleichzeitigen 1000 Cancun“zu merken. Bei uns fand nur in Grazeine starke Aktion statt.

„Oben“ wird nun das Dossier weiter-gereicht: Zur nächsten UNO-Konferenzim Dezember 2011 in Durban, Süd-afrika (COP 17). Mensch braucht keinProphet sein, um zu vermuten, dassauch dort wenig rauskommen wird.Angesichts der offen ausbrechendenkapitalistischen Krisen haben dieHerrschenden noch weniger Interessean Umweltfragen.

„Unten“ soll die strategische Debatteweiterentwickelt werden. Nach denAlternativengipfeln in Kopenhagen(fünfzigtausend TeilnehmerInnen;Demonstration mit achtzigtausendLeuten), Cochabamba (fünfunddreißig-tausend TeilnehmerInnen) und nundem Alternativengipfel in Cancun istoffensichtlich, dass auch noch sohervorragende inhaltliche Positionen(zusammengefasst unter anderem in„Systemwandel statt Klimawandel“

oder „Rettung der Mutter Erde“) nichtausreichen. Notwendig ist der müh-same Aufbau einer globalen Bewe-gung, die innigst ökonomische, sozialeund ökologische Fragen vernetzt. Undsich massiv Gedanken macht, durchwelche Veränderungen der gesell-schaftlichen und politischen Kräftever-hältnisse beziehungsweise Bündnissedie Alternativkonzepte durchgesetztwerden können. Das Weltsozialforumin Dakar, Senegal (6. bis 11. Feber2011) bietet sich an, diese Fragen wei-ter zu diskutieren.

UNKONKRETES CANCUN

UNO-Klimakonferenz-

und Alternativengipfel –

eine kritische Bilanz.

Von Hermann Dworczak.

D

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ktivistInnen der „Clean Clo-thes Kampagne“ riefen bei

einer Solidaritätskundgebungin der Türkei zu einem weltweiten

Boykott von Jeans auf, denen durch dieso genannte Sandstrahltechnik einabgenutzter Look verliehen wird.

Das Geschäft mit den modischenSandstrahl-Jeans ist für Markenfirmenwie Tommy Hilfiger und Co. ein profit-ables Geschäft – die Kosten für dasSandstrahlen in der Türkei sind extremgering, der Umsatz, der mit solchenHosen gemacht wird, hingegen hoch.Den ArbeiterInnen allerdings könnendiese todschicken Jeans das Lebenoder zumindest die Gesundheit kosten.Mit Hochdruck-Schläuchen richten siequarzhältigen Sand auf bestimmteStellen des Stoffes. Dabei gelangenUnmengen von Sandstaub in die Luftund ohne ausreichende Schutzklei-dung, wie es vielerorts üblich ist, in dieLungen. Dort verursacht er schnell undmit hoher Wahrscheinlichkeit dieunheilbare und oft zum Tod führendeKrankheit Silikose (Staublunge). Dastürkische Solidaritätskomitee für Sand-strahlerInnen schätzt, dass alleine inder Türkei vier- bis fünftausend Arbei-terInnen von der Krankheit betroffen

sind; 46 ArbeiterInnen kostete derModetrend bereits das Leben.

Adulhalim Demir, ein Aktivist diesesKomitees befürchtet, dass die Dunkel-ziffer deutlich höher liegen dürfte. Erarbeitete selbst nur ein Jahr lang alsSandstrahler für Leke Jeans, einemZulieferbetrieb von Tommy Hilfiger underkrankte rasch an Silikose: „Bereits 46Prozent meiner Lunge sind zerstört. Ichkann keine körperlich belastendeArbeit mehr machen. Ich kann nichtlaufen. Ich bekomme schwer Luft undkann nicht gut sprechen.“ AdulhalimDemir ist arbeitsunfähig, aber er setztsich nun für seine KollegInnen ein.Allein in seinem ehemaligen Betriebseien 144 von 157 ArbeiterInnen anSilikose erkrankt, für sie will er Entschä-

digungen erkämpfen. „Wir wollen, dassdie schuldigen Markenfirmen Verant-wortung für die erkrankten Sandstrah-lerinnen und Sandstrahler übernehmenund ihnen eine angemessene medizini-sche Versorgung sichern, sowie Ent-schädigungen zahlen“, betont Demir.Ende September 2010 gelang es erst-mals einem an Silikose erkrankten ehe-maligen Sandstrahler diese Forderungauch vor Gericht durchzusetzen.

Aufgrund des enormen Gesundheits-risikos hat die Türkei das Sandstrahlenvon Jeans im März 2009 gesetzlichverboten. Auch in der Bekleidungs-branche gibt es erste positive Signale.Levi-Strauss sowie Hennes & Mauritz(H&M) gaben vor kurzem bekannt, aufden Verkauf sandgestrahlter Jeans zuverzichten. „Das Handeln einzelner Fir-men alleine reicht nicht aus, um diesenWahnsinn zu beenden. Wir forderndaher Regierungen auf, ein vollständi-ges Importverbot solcher Killerjeansdurchzusetzen“, so Philip Doyle von derClean Clothes Kampagne Österreich.„Konsumentinnen und Konsumentensollten ebenfalls auf diesen Modetrendverzichten und keine sandgestrahltenJeans mehr kaufen“ fordert Doyle.

Kontakt: Philip Doyle, (01) 405 55 15-328,[email protected], www.cleanclothes.at.

TODSCHICKE JEANSKOSTEN MENSCHENLEBEN

Clean Clothes Kampagne

ruft zum Boykott sand-

gestrahlter Jeans auf.

Tausende ArbeiterInnen

leiden durch diesen Mode-

trend an der unheilbaren

Lungenkrankheit Silikose.

A

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