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Alvin Hansen und die Fiscal Policy Author(s): Heinz Haller Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 13, H. 3 (1951/52), pp. 422- 444 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40908758 . Accessed: 15/06/2014 08:38 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 194.29.185.109 on Sun, 15 Jun 2014 08:38:02 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Alvin Hansen und die Fiscal Policy

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Alvin Hansen und die Fiscal PolicyAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 13, H. 3 (1951/52), pp. 422-444Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40908758 .

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Alvin Hansen und die Fiscal Policy von

Heinz Haller

An der seit einiger Zeit erfolgenden Ausarbeitung einer in ihren Grund- zügen heute schon ziemlich festgefügten, weitgehend auf K e y n e s sehen Gedankengängen basierenden makroökonomischen Theorie hat sich Alvin Harvey Hansen lebhaft beteiligt. Hansen, der einem breiteren deutschen Leserkreis durch die deutsche Übersetzung seines Buches „Ameri- ca's Kole in the World Economy"1) bekannt geworden ist, hat in den letz- ten zehn Jahren vier Werke veröffentlicht, die zusammen ein solides Fun- dament für das theoretische Verständnis der gesamtwirtschaftlichen Pro- zesse bilden und wohldurchdachte Vorschläge für eine Politik der wirk- samen Steuerung und Beherrschung dieser Prozesse enthalten. In „Fiscal Policy and Business Cycles"2) werden die Rolle der staatlichen Finanz- wirtschaft im gesamtwirtschaftlichen Geschehen und die Möglichkeiten für deren Verwendung als Mittel zur Herstellung eines hohen Beschäftigungs- grades und einer angestrebten Einkommensverteilung untersucht. In „Eco- nomic Policy and Full Employment"3) werden die Möglichkeiten, Mittel und Schwierigkeiten der Vollbeschäftigungspolitik ausführlich behandelt, wobei die Vollbeschäftigungsprogramme einiger führender Länder analy- siert werden. „Monetary Theory and Fiscal Policy"4) befaßt sich mit dem Einbau der Geldtheorie in das Gesamtgebäude der makroökonomischen Theorie, den Problemen einer sinnvollen Geldpolitik und den Beziehungen zwischen Geld- und Finanzpolitik. Hansens neuestes Buch „Business Cycles and National Income"5) schließlich gibt eine Gesamtdarstellung des augenblicklichen Standes der makroökonomischen Theorie, einen Überblick über deren Entwicklungsgang sowie eine Analyse der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der verschiedenen für eine Konjunktur- und Beschäfti- gungspolitik in Frage kommenden Mittel.

In Hansens Werken sind alle für die makroökonomische Theorie wesentlichen Größen berücksichtigt: Beschäftigung und Einkommen, Er-

M New York 1945. 2) New York 1941, künftig zitiert als „Fiscal Policy". 8) New York und London 1947, „Economic Policy". 4) Economic Handbook Series, New York, Toronto, London 1949, „Mone-

tary Theory". 6) New York 1951, „Business Cycles".

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sparnis und Investition, Preis und Geldmenge, Zins und Lohn, öffentliche Ausgaben und Einnahmen. Hansen befaßt sich nicht nur mit den Schwankungen der Gesamtwirtschaft, sondern auch mit den Wachstums- vorgängen. Vor allem aber liegt ihm die Anwendung der Theorie zur Mei- sterung der wirtschaftspolitischen Aufgaben am Herzen. Sein Denken kreist um die zentrale wirtschaftspolitische Notwendigkeit unserer Zeit, Wege zu finden, um die Wirtschaft auf einem Stand hoher Beschäftigung und mög- lichst voller Ausschöpfung aller produktiven Möglichkeiten zu halten und eine gerechte Einkommensverteilung herzustellen, ohne daß die Freiheit der privaten Wirtschaf tseinheiten und -gruppen wesentlich eingeschränkt wird.

H a n s e n ist davon überzeugt, daß dem Staat die Rolle des Steuer- manns zufällt, der die Wirtschaft auf der so vorgezeichneten äußerst schma- len und von Klippen umsäumten Fahrrinne zu halten hat. Das grobe Steuerungsmittel ist dabei die fiscal policy, unterstützt von einer geeigneten Geldpolitik, die aber in einer Wirtschaft mit der Struktur, wie sie heute in den hochindustrialisierten Ländern vorhanden ist, immer nur eine sekun- däre Rolle spielen kann. Dazu treten dann noch von Fall zu Fall anzuwen- dende, zusätzliche Kontrollmaßnahmen. Hansen ist sich der Gefahren bewußt, die eine so starke Einflußnahme des Staates auf die Wirtschaft mit sich bringt, er ist jedoch der Überzeugung, daß das demokratische Staatswesen durch sie nicht unterhöhlt wird und die Durchführung einer solchen Politik keineswegs bedeutet, daß damit der ,,Weg in die Knecht- schaft" angetreten wird.

Welches sind die Gründe dafür, daß Hansen der fiscal policy eine solch überragend wichtige Stellung einräumt ? Wie sehen seine Vorschläge für die Gestaltung einer sinnvollen fiscal policy aus ? Wie sollte diese nach Hansen durch andere wirtschaftspolitische Mittel zweckmäßig ergänzt werden ? Diese Fragen sollen hier erörtert und zu Hansens Gedanken und Vorschlägen soll Stellung genommen werden.

I.

Zunächst ist die theoretische Basis der wirtschaftspolitischen Über- legungen Hansens in ihren Grundzügen darzulegen. Wir fassen uns so kurz als möglich und stellen das Gerippe der modernen makroökonomischen Theorie durch eine Zusammenstellung ihrer wichtigsten Sätze dar, ohne uns an Hansens eigene Formulierungen zu halten.

1. Der Geldwert der Produktion und damit des Einkommens einer Wirtschaftsperiode wird bestimmt durch die Große der Gesamtnachfrage, die in dieser Periode ausgeübt wird, und ist deren Wert gleich1).

2. Die Gesamtnachfrage setzt sich zusammen aus der Nachfrage der privaten Wirtschaftseinheiten nach Konsumgütern (dauerhaften, halb- dauerhaften und nicht dauerhaften) und Diensten2), der privaten Nach- frage nach Investitionsgütern (Gebäude, Maschinen, Vorräte, Güter und Dienste, die in evtl. Exportüberschüssen enthalten sind) 3), ferner der Nach-

M Fiscal Policy, S. 48. 2) Business Cycles, S. 79. 8) Economie Policy, S. 176, Business Cycles, S. 77 f.

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frage des Staates und der sonstigen öffentlichen Körperschaften (nach Kon- sumgütern und Diensten sowie nach Investitionsgütern)1).

3. Das hochelastische Geld- und Kreditsystem der modernen Wirt- schaften ermöglicht eine weitgehende Unabhängigkeit der Gesamtnachfrage von dem in der Vorperiode erzielten verfügbaren Einkommen (disposable income, nach Robertson).

4. Das Preisniveau der Wirtschaft hängt bei einer gegebenen Höhe der Gesamtnachfrage von der produzierten Gütermenge ab 2).

5. Andrerseits ist das Preisniveau durch die Entschädigungssätze der ,, Produktionsfaktoren", insbesondere die durch Vereinbarungen der Markt- parteien zustande kommende Basisgröße der Lohnhöhe, und - grob gespro- chen - den Grad deren Ausnutzung (oder, was dasselbe ausdrückt: ihre Produktionsleistung) bestimmt. Diese Sätze beeinflussen ihrerseits als ein- kommenbestimmende Größen die Gesamtnachfrage3).

6. Ob Veränderungen der Gesamtnachfrage von einer Periode zur an- deren Verschiebungen des Preisniveaus im Gefolge haben oder nicht, hängt (bei unverändertem Lohnniveau) im Falle des Ansteigens vom Vorhanden- sein und der Verteilung von Produktionsreserven ab4), im Falle des Ab- sinkens im wesentlichen von der Struktur der Märkte und der Preispolitik der Unternehmungen. Soweit das Preisniveau sich nicht ändert, schwankt die Beschäftigung.

7. Die Geldmenge beeinflußt in der Hauptsache nur indirekt über den Zinsfuß die Gesamtnachfrage und auf diesem Wege das Preisniveau5).

8. Die drei Komponenten der Gesamtnachfrage sind von folgenden Größen abhängig:

a) Der private Konsum von der Höhe des verfügbaren Einkommens (obwohl er nicht durch dieses begrenzt ist) und in einem gewissen, nicht sehr hohen und daher nicht ins Gewicht fallenden Grad durch den Zinsfuß (über die Beeinflussung der Vermögenswerte)6).

b) Die private Investition von der Höhe des Zinsfußes und der Grenz- ergiebigkeit des Kapitals7). Die Abhängigkeit vom Zinsfuß ist in hoch- industrialisierten Wirtschaften nicht allzu groß. (Dies gilt für einen großen Teil der Investition von einer bestimmten Untergrenze des Zinsfußes ab) 8). Die Grenzergiebigkeit des Kapitals ist abhängig vom Vorhandensein von Kapitalverwertungsmöglichkeiten9). Die private Investition ist nicht ab- hängig vom verfügbaren Einkommen bzw. der daraus gebildeten „gewollten" Ersparnis10).

c) Die öffentliche Nachfrage ist (obzwar in der bisherigen Praxis an den Steuereinnahmen orientiert) grundsätzlich in weiten Grenzen durch die politische Entscheidung frei bestimmbar11).

M Economie Policy, S. 19 f., 42; Monetary Theory, S. 95. 2Ì Mon fitar v Theorv. S. 131. 3Ì Monetarv Theorv. S. 131. 4) Monetarv Theorv, S. 96. 5) Monetary Theory, S. 44, 137 ff. 6) Monetary Theory, S. 60 f. 7) Monetary Theory, S. 57 ff., Business Cycles, S. 124 ff. 8) Monetary Theory, S. 79 f., Business Cycles, S. 133 ff. » j Business Cycles, S. 124 ff . 10) Monetary Theory, S. 95. ") Monetary Theory, S. 95.

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9. Es sind somit die private Investition und (potentiell) die öffentliche Nachfrage, die Veränderungen des Gesamteinkommens herbeiführen, da ja der private Konsum im wesentlichen eine Funktion dieses Einkommens ist1).

10. Die Abhängigkeit des privaten Konsums von der Einkommenshöhe (Konsumfunktion) ist so beschaffen, daß - bei gegebener Einkommens- verteilung - der prozentuale Anteil des konsumierten Einkommens zugun- sten des gesparten mit zunehmender Einkommenshöhe abnimmt (abneh- mende Durchschnitts- und Grenzneigung zum Konsum bzw. zunehmende dto.-neigung zum Sparen)2). Wenn die Einkommensverteilung bei stei- gendem Gesamteinkommen ungleichmäßiger wird, verstärkt sich dieser Sachverhalt erheblich, und umgekehrt. Hier spielen die Gewinne und Ver- luste der Unternehmungen eine bedeutende Rolle3).

11. Das Gesamteinkommen kann nur gehalten werden, wenn die pri- vate Investition und die öffentliche Nachfrage gleich dem nicht privat konsumierten Einkommensteil sind4).

12. Übersteigen diese beiden Komponenten der Gesamtnachfrage das nicht privat konsumierte Einkommen, so erhöht sich der Wert des Sozial- produkts und das Einkommen, liegen sie darunter, so vermindert dieses sich um den Betrag der Differenz.

13. Die bisher in den kapitalistischen Wirtschaften beobachteten zy- klischen Schwankungsbewegungen des Sozialprodukts, des Gesamtein- kommens und der Beschäftigung sind, da auch der öffentliche Konsum, ohne daß dafür eine Notwendigkeit bestand, sich im allgemeinen der Höhe des Gesamteinkommens anpaßte, auf Schwankungen der privaten Investi- tionen in ihren verschiedenen Formen zurückzuführen5).

14. Durch die Abhängigkeit des privaten Konsums vom Einkommen werden die infolge der Investitionsschwankungen (und ebenso natürlich der evtl. Schwankungen der öffentlichen Nachfrage) hervorgerufenen Einkom- mensveränderungen verstärkt, und zwar desto mehr, je geringer die Grenz- neigung zum Sparen ist (Hebelwirkung des Multiplikators)6).

15. Die Investition ist ihrerseits teilweise vom Konsum abhängig (induzierte Investition), da mit zunehmendem Konsum Kapazitätserweite- rungen angebracht erscheinen (Hebelwirkung des Accelerators)7). Es schwankt also insofern das Einkommen mit der Investition, der Konsum mit dem Einkommen und die Investition wieder mit dem Konsum.

16. Ein Teil der Investition (spontane oder autonome Investition) wird unabhängig von der jeweiligen Konsumlage vorgenommen8). Er ist bedingt durch Sprünge in der technischen Entwicklung (Schaffung neuer Industrie- zweige zur Herstellung neuartiger Güter, Entdeckung und Verwertung

!) Fiscal Policy, S. 341, Business Cycles, S. 195. 2) Fiscal Policy, S. 227 ff., Business Cycles, S. 145ff. 3) Fiscal Policy, S. 246 f . 4) Fiscal Policy, S. 343 f . 5) Business Cycles, S. 79 ff . 6) Fiscal Policy, S. 265 ff., Business Cycles, S. 159 ff., 171 ff. 7) Fiscal Policy, S. 274 ff., Business Cycles, S. 173 ff. 8) Fiscal Policy, S. 287, Business Cycles, S. 190 ff.

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neuer Rohstoff- und Energiequellen, revolutionäre Veränderungen der Pro- duktionsmethoden) sowie durch Expansionsmöglichkeiten der Wirtschaft (Bevölkerungswachstum, Erschließung neuer Gebiete). In einem weiteren Sinne ist natürlich auch diese Investition auf einen (zukünftigen) Konsum bezogen.

17. Infolge Erschöpfung der günstigen Gelegenheiten sinken die im Überoptimismus der Aufschwungszeit allzureichlich vorgenommenen auto- nomen Investitionen so weit ab, daß sie von einem bestimmten Punkt an, auch nicht mit der induzierten Investition zusammen, die ebenfalls abnimmt (von dem - notwendigerweise eintretenden - Augenblick an, in dem die Zuwachsrate des Konsums zurückzugehen beginnt), ausreicht, um ange- sichts der mit wachsendem Einkommen sich vergrößernden Sparquote den nicht privat konsumierten oder vom Staat beanspruchten Teil des Ein- kommens zu absorbieren1). Damit sinkt die Gesamtnachfrage und durch die negative Hebelwirkung des Multiplikators und (beschränkt) des Accele- rators entsteht eine kumulative Abwärtsbewegung der Wirtschaft2).

18. Der untere Umkehrpunkt der Konjunkturschwankungen wird im wesentlichen herbeigeführt durch die sich nach einiger Zeit aufs neue an- sammelnden günstigen Kapitalverwertungsmöglichkeiten, die den erwar- teten Grenzertrag des Kapitals steigern3).

19. Eine Vermehrung der Geldmenge hat auf den Zinsfuß in einer hoch- liquiden Wirtschaft, in der dieser bereits auf einem sehr niedrigen Stand angelangt ist, nur geringe Wirkung, da von einem solchen Stand ab das Publikum lieber mehr Geld in der Hand behält als Wertpapiere kauft4). Von dieser Seite her wird also unter den angegebenen Bedingungen die In- vestition kaum beeinflußt5).

20. Durch die Stagnation der Bevölkerungsbewegung in den am meisten industrialisierten Ländern und die allmähliche Erschöpfung der Erschlie- ßungsmöglichkeiten neuer Territorien fallen die auf expansionistischen Ent- wicklungen beruhenden Möglichkeiten für autonome Investition mehr und mehr aus, es verbleibt im wesentlichen nur die Investition, die im Zusam- menhang mit dem technischen Fortschritt steht6). Die hier gebotenen Mög- lichkeiten reichen nicht aus, um die gesparten Einkommensteile bei hohem Einkommensniveau zu absorbieren (Säkulare Stagnationsthese).

Die oben zusammengestellten Sätze dürften den Grundriß des in H a n - sens Werken enthaltenen Gebäudes der modernen makroökonomischen Theorie wiedergeben. Eine Anzahl von Einzelheiten und weniger wichtigen Zusammenhängen sind weggelassen. Aus den theoretischen Erkenntnissen ergeben sich nun folgende Konsequenzen:

Wenn bei passivem (einkommensorientiertem) Verhalten der öffent- lichen Hand die Gesamtnachfrage nicht ausreicht, um einen hohen Beschäf-

*) Monetary Theory, S. 148 ff. 3) Monetary Theory, S. 45. 5) Business Cycles, S. 193.

6) Fiscal Policy, S. 42 ff., 361 ff.

2) Monetary Theory, S. 64 ff . 4) Business Cycles, S. 497.

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tigungsgrad zu bewirken, so könnte die Situation nur gebessert werden durch Hebung des privaten Konsums und/oder der privaten Investition. Da der private Konsum im wesentlichen stets einkommensorientiert bleiben wird, kann er nur in der Weise gehoben werden, daß die Spar quote redu- ziert wird, der Anteil des konsumierten Teils des Einkommens sich also für alle Einkommensniveaus vergrößert. Dieser Erfolg kann eintreten entweder durch die Herbeiführung einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung (aus kleinen individuellen Einkommen wird prozentual mehr konsumiert als aus großen) oder durch eine Verminderung der Sparneigung. Die zweite Möglich- keit scheidet (wenigstens kurzfristig) nach Hansen aus, da infolge des Vordringens des institutionellen Sparens (Lebensversicherung, Sozialver- sicherung, unverteilte Gesellschaftsgewinne usw.) eher mit einer Vergröße- rung als einer Keduktion der Sparneigung gerechnet werden muß1). Die Herstellung einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung kann einmal ver- sucht werden durch unmittelbaren Eingriff in die Distribution in Form einer staatlich erzwungenen Lohnerhöhung und zweitens durch eine Re- distribution mit steuerlichen Mitteln: durch Herstellung einer starken Steuerprogression (verbunden mit Wohlfahrtsunterstützungen und einem sozialen Sicherheitssystem) 2). Der erste Weg würde die Freiheit der Arbeits- marktparteien, die Lohnhöhe durch Vereinbarungen selbst zu bestimmen, aufheben. Auch wäre er nicht sehr erfolgversprechend, da die ausgelösten Preiserhöhungen eine Steigerung der Reallöhne verhindern würden. Es verbleibt also als wirksame und die wirtschaftlichen Freiheiten nicht be- schneidende Methode nur die finanzpolitische. Diese erste finanzpolitische Möglichkeit zur Beeinflussung der Nachfrage und Beschäftigung spielt nun allerdings bei Hansen keine sehr entscheidende Rolle.

Betrachten wir nun die Investitionsnachfrage. Als Mittel zur Anspor- nung der Investitionstätigkeit der privaten Unternehmungen kommen in Frage : die Geldpolitik mit dem Ziel, den Zinsfuß zu senken und so die Rela- tion zwischen der Grenzergiebigkeit des Kapitals und dem Zinsfuß gün- stiger zu gestalten, und wieder die Steuerpolitik: mit Steuerermäßigung oder -befreiung für investierte Einkommensteile, mäßige Steuern auf Ka- pitalgewinne und Ermöglichung des Verlustvortrags3). Soweit die Geld- politik einfach in einer Geldvermehrung besteht, hat sie auf den Zinsfuß nur dann spürbaren Einfluß, wenn eine verhältnismäßig geringe Zinselasti- zität der Liquiditätsvorliebekurve besteht, d. h. wenn das Publikum mehr Geld nur bei einem reduzierten Zinsfuß (bzw. entsprechend erhöhten Wert- papierkursen) aufnimmt. Diese Situation ist in sehr liquiden hochindustriali-

M Fiscal Policy, S. 238 ff., 248 f. 2) Fiscal Policy, S. 299 f., Economic Policy, S. 47. Möglich wäre eme Ein-

kommensnivellierung natürlich auch durch die Herstellung einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung, etwa durch eine entsprechende Erbschaftssteuer (Economie Policy, S. 47), die eine ziemlich radikale Maßnahme darstellen würde.

3) Economie Policy, S. 180 f., 142 ff. Auf lange Sicht bestünde auch noch die Möglichkeit, die technische Entwicklung mit staatlichen Mitteln zu fördern und dadurch gewinnversprechende Investitionen anzuregen. (Economie Policy, S. 179.)

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sierten Wirtschaften (wie die der USA) nicht gegeben1). Wenn die Zins- senkung gelingt, ist noch keineswegs eine kräftige Reaktion der investieren- den Unternehmungen garantiert. Die Abhängigkeit des Investitionsvolu- mens von der Höhe des Zinssatzes ist, wie oben schon erwähnt, in hoch- industrialisierten Ländern ziemlich beschränkt. (Außerdem würden stärkere Variationen des Zinsfußes heftige Vermögensschwankungen auslösen, die keineswegs stabilisierend wirken würden.) 2) Das geldpolitische Instrument allein ist also nicht allzu wirksam3). Brauchbar ist die steuerliche Methode der Investitionsbeeinflussung. Sie muß auch keineswegs im Widerspruch zur konsumfördernden progressiven Steuerstruktur stehen.

Eine Steigerung der Investition ist nur sinnvoll, solange Zusatzinvesti- tionen benötigt werden, um die expansiven und die durch den technischen Fortschritt gebotenen Möglichkeiten der Wirtschaft auszunutzen. Wenn hier die Grenzen erreicht sind, wäre es zwecklos, die Nachfrage durch weitere Investitionsforcierung auf die für Vollbeschäftigung notwendige Höhe zu bringen bzw. auf dieser zu halten4).

Wenn der Staat es aufgibt, die Höhe seiner Ausgaben an seinen Ein- nahmen zu orientieren, so ergibt sich eine weitere entscheidende Möglich- keit für die Beeinflussung der Gesamtnachfrage: die Dosierung der Öffent- lichen Nachfrage. Diese kann jederzeit in der Höhe zur privaten Nachfrage hinzugefügt werden, die erforderlich ist für einen hohen Beschäftigungs- grad5). Die private Investition wird nach Hansen immer Schwankungen unterworfen bleiben6). Die Realkapitalbildung kann in einer dynamischen Wirtschaft, in der die Investitionsentscheidungen den Unternehmern über- lassen bleiben, nicht anders als stoßweise vor sich gehen. Wenn sich aus- sichtsreiche Verwertungsmöglichkeiten angesammelt haben, kommen die Investitionswellen in Gang. Sie verstärken sich bis zu einem gewissen Punkt und beginnen dann abzuflauen, um schließlich zu verebben. „The boom dies a natural death"7). Die öffentliche Nachfrage kann sich nun diesen Wellenbewegungen stets anpassen. In Zeiten geringer privater Investitions- tätigkeit wird sie verstärkt, und zwar nicht nur, um private Ausgaben zu induzieren und so die Wirtschaft anzukurbeln (pumppriming), sondern um für die erforderliche Vollbeschäftigungsnachfrage zu sorgen. In Zeiten starker privater Investitionstätigkeit wird sie reduziert. Sofern die private Investition überhaupt nicht mehr auf die für Vollbeschäftigung notwendige Höhe gelangt, muß die öffentliche Nachfrage dauernd in entsprechendem Umfang ausgeübt werden. In dieser anpassenden Regulierung sieht Han- sen die bedeutendste Möglichkeit der Konjunktur- und Beschäftigungs- politik.

Zur Finanzierung seiner Nachfrage stehen dem Staat drei Quellen zur Verfügung: vom privaten Einkommen abgezweigte Steuereinnahmen, pri-

1) Da, wo nicht die Offenmarkt-, sondern die Diskontpolitik die entschei- dende Rolle spielt, ist eine Zinssenkung - allerdings nur für kurzfristige Kredite - ohne weiteres möglich.

2) Economic Policy, S. 147 f. 3) Fiscal Policy, S. 82. 4) Economie Policy, S. 182. 5) Economie Policy, S. 52. 6) Economie Policy, S. 200, 252, 254. 7) Fiscal Policy, S. 226.

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vate Ersparnisse, die geborgt werden, und neu geschaffenes Geld, das bei den Banken geborgt wird. Je nach der Situation können diese drei Quellen in Anspruch genommen werden. Hierbei ist zu beachten, daß Steuern immer zu einem gewissen Grad den Konsum drosseln, also mit privaten Ausgaben konkurrieren1), die Inanspruchnahme privater Ersparnisse je nach den Umständen einkommenerhaltend oder -steigernd, die Verwendung zusätz- lichen Geldes stets einkommensteigernd wirkt. Der Staat kann nun sein Steuersystem so gestalten, daß in Zeiten sich übersteigernden wirtschaft- lichen Aufschwungs die Steuereinnahmen höher sind als die (reduzierten) Ausgaben, während sie in Zeiten des Abschwungs weit unter den (verstärkt vorgenommenen) Ausgaben liegen. Dieser Effekt tritt in einem gewissen Umfang automatisch ein, kann aber verstärkt werden durch bewegliche Steuersätze. Im Aufschwung wird so nicht nur die Öffentliche, sondern auch die private Nachfrage gedrosselt, im Abschwung wird nicht nur die öffent- liche erhöht, sondern auch die private angeregt. Eine solche Steuerpolitik ist nach Hansen ein zweites wirksames Mittel zur Herstellung und Er- haltung des gewünschten Beschäftigungsgrades. Die Vorschläge Hansens sollen nun noch genauer betrachtet werden.

II.

a) Hansen schlägt zunächst vor, daß ein flexibles lang- fristiges staatliches Ausgabenprogramm aufgestellt wird, an dessen ̂Realisierung jeweils in dem Umfang gearbeitet wird, als dies zur Herstellung bzw. Erhaltung der Vollbeschäftigung angezeigt er- scheint2). Die Ausgaben für die laufende staatliche Tätigkeit bleiben davon unberührt. Diese sind nicht geeignet für eine Anpassung an konjunktur- und beschäftigungspolitische Notwendigkeiten, vielmehr müssen sie in ihrer Hohe einigermaßen konstant gehalten werden bzw. bei einer allmählichen Vergrößerung des staatlichen Aufgabenbereichs langsam steigen.

Das kompensatorische Ausgabenprogramm umfaßt etwa folgende Pro- jekte:

aa) Hebung des Konsums auf einen Minimalstandard auf den auch in der reichen amerikanischen Wirtschaft noch vernachlässigten Gebieten Wohnung, Gesundheitswesen, Ernährung und Erziehung durch Bereit- stellung öffentlicher Unterstützungen und Leistungen3). Hier kommen in Frage: „sozialer Wohnungsbau" mit staatlicher Unterstützung und Slum- Beseitigung; Förderung der medizinischen Ausbildung, Kontrolle von ,, Volkskrankheiten"; Nahrungsmittelsubventionen für schlechter gestellte Einkommensgruppen; Unterstützung der Einzelstaaten durch die Bundes- regierung zur Finanzierung einer besseren Erziehung u. a.

bb) Vornahme von öffentlichen Investitionen. Hier ist vor allem zu nennen die Errichtung Öffentlicher Bauten : Straßen, Kanäle, Hafenanlagen,

*) Soweit dies nicht der Fall ist, wirken sie positiv auf das Gesamteinkom- men. (Business Cvcles, S. 201 ff).

2) Monetary Theory, S. 180 f. 3) Economie Policy, S. 167 ff. Finanzarchiv. N.F. 13. Heft 3 29

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Verwaltungsbauten, Kraftwerke, kulturelle Bauten, Schulen und Kranken- häuser (die genau so unter aa gerechnet werden können); ferner Auffor- stungsarbeiten, Bodenkonservierung, Flutkontrolle u.a.1). Möglichkeiten gibt es hier ja in Fülle. Eine kompensatorische Ausgabenpolitik, die sich auf öffentliche Bauten erstreckt, hat den großen Vorteil, daß eine Industrie, die den Investitionsschwankungen mit am meisten ausgesetzt ist, gleich- mäßig beschäftigt werden kann.

Konsum und Investition sollen also im Ausgabenprogramm gleicher- maßen zum Zuge kommen, nicht etwa nur das eine oder das andere2). Bei den Investitionsprojekten handelt es sich entweder um solche, die infolge ihrer Größe oder des mit ihnen verknüpften Kisikos nicht für private Unter- nehmungen in Frage kommen, obwohl sie sich als profitabel erweisen wür- den, oder um solche, die privatwirtschaftlich unrentabel wären, jedoch im Endeffekt durch die von ihnen herbeigeführte Vergrößerung des Volks- einkommens die aufgewendeten Kosten rechtfertigen, schließlich um solche, die der Förderung sozialer und kultureller Werte dienen, die so hoch ein- gestuft werden müssen, daß sich der Aufwand ,, lohnt". Es sind in weitem Umfang „Entwicklungsprojekte", die die Gesamtproduktivität der Wirt- schaft heben und die Voraussetzungen für neue günstige private Investi- tionsmöglichkeiten schaffen3). Projekte, die für privatunternehmerische Betätigung geeignet sind, sollten nach Hansen im allgemeinen deren Bereich überlassen bleiben. Reine Unterstützungszahlungen (Arbeitslosen- fürsorge usw.) kommen für das kompensatorische Ausgabenprogramm nicht in Frage, da deren belebende Wirkungen nicht so groß sind, wie diejenigen „produktiver" Programme4).

Im Umfang der Durchführung der kompensatorischen Programme er- höht sich einmal der Anteil des „sozialisierten Konsums". Durch dessen Vergrößerung wird der Gesamtkonsum gehoben in einer „dual consumption economy"5), nicht nur direkt, sondern auch indirekt, indem der private Konsum angeregt wird6). Ein hoher Konsumtionsstand ist aber für die „mature economy", die nicht mehr über so viele günstige Investitionsmög- lichkeiten verfügt wie die noch nicht kapitalgesättigte, die beste Voraus- setzung für die Sicherung eines hohen Beschäftigungsgrades.

Zugleich erhöht sich aber auch der Anteil der „sozialisierten Produk- tion", die Wirtschaft wird immer mehr zur „dual production economy". Noch mehr ist dies der Fall, wenn sich der Staat auch auf Gebieten betätigt, die insofern den privaten Unternehmungen überlassen werden können, als auf ihnen die Bedingungen für private Betätigung erfüllt sind, die aber wegen monopolistischer Gefahren oder ihrer besonderen Schlüsselstellung wegen in den Öffentlichen Bereich einbezogen werden. Je größer der Um- fang der staatlichen Produktion ist, desto mehr kann das Gesamtvolumen der Investition stabilisiert werden, da die staatlichen Investitionen die

M Economie Policy, S. 383 ff. 2) Economie Policy, S. 184 f. 3) Economie Policy, S. 182. 4) Fiscal Policy, S. 91 f. 5) Fiscal Policy, S. 406 ff. 6) Economie Policy, S. 46. Als markantestes .Beispiel wird hier die konsum-

fördernde Wirkung der Erziehung angeführt.

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üblichen Schwankungen nicht mitzumachen brauchen, diesen vielmehr entgegenwirken können1). Durch die Vornahme staatlicher Investitionen wird aber zugleich auch die private Investitionstätigkeit angeregt.

Das kompensatorische Programm muß so beschaffen sein, daß es schnelles und wirksames Handeln ermöglicht. Die Ausgaben müssen also schlagartig erhöht und ebenso wieder gedrosselt werden können je nach der unter Umständen sehr rasch wechselnden Lage. Das Publikum muß über das Programm, dessen Sinn und Anwendung, aufgeklärt sein, so daß plötzliche Änderungen nicht überraschend kommen2). Die Entscheidung über den Umfang der jeweils vorzunehmenden kompensatorischen Aus- gaben muß natürlich auf Grund von Vollmachten der Exekutive übertragen werden.

Für die Finanzierung des langfristigen Ausgabenprogramms kommt, da die Ausgaben ja hauptsächlich dann vorgenommen werden, wenn die Steuereinnahmen zurückgehen, im wesentlichen der Kreditweg in Frage3). Es muß also ein Anwachsen der Staatsschuld in Kauf genommen werden. Hansen erörtert die Frage, bis zu welchem Umfang ein solches Anwachsen und die daraus entstehende Vergrößerung der Zinsenlast gerecht- fertigt werden kann, sehr eingehend. Er hebt den wichtigen Punkt hervor, daß es sich beim Schuldendienst um nichts anderes als einen Redistributions- vorgang handelt, dessen Ergebnis von der Verteilung der Staatsschuld auf die Gläubiger und von der Struktur der Steuer abhängt, durch deren Er- trägnis die Zinsen aufgebracht werden. Je nachdem vergrößert sich die Er- sparnis oder der Konsum der Wirtschaft4). Für eine wirtschaftliche Situa- tion, in der die Gefahr besteht, daß sich bei hohem Einkommensstand ,,zu viel" Ersparnis bildet, ist natürlich eine möglichst breite Verteilung der staatlichen Schuldpapiere auf die mittleren und unteren Einkommens- schichten und eine stark progressive Steuer das Richtige. Wenn so die Redistribution konsumerhöhend wirkt, braucht auch eine sehr hohe Staats- schuld keine negative Wirkung auszuüben. Soweit die Zentralbank die Gläubigerin ist, entsteht aus dem Schuldendienst kaum eine Last, da der Staat auf der anderen Seite einnimmt, was er auf der einen ausgibt5). Das Vorhandensein einer Staatsschuld ist insofern förderlich, als sich für die finanziellen Investoren sichere Anlagemöglichkeiten bieten, so daß sich deren Risiko vermindert6). Außerdem kann ein Anwachsen der Staats- schuld insofern günstig sein, als u. U. die für eine Wirtschaft mit wachsen- dem Sozialprodukt notwendige Vergrößerung der Geldmenge nur durch eine Monetisierung von staatlichen Schuldpapieren (Ankauf der Papiere durch die Banken) in ausreichendem Umfang zu erreichen sein kann7). Es gibt jedoch eine obere Grenze für die Staatsschuld. Obwohl die für den

M Fiscal Policy, S. 404 f. 2) Economie Policy, S. 249 f. 3) Soweit die langfristigen Programme in Zeiten, in denen keine ausgleichen-

den Ausgaben notwendig sind, in einem bestimmten Mindestumfang weiter- geführt werden, müssen sie durch Steuereinnahmen finanziert werden.

4) Fiscal Policy, S. 152 ff.: „Economie Effects of Public Debt". 6) Economic Policy, S. 267. 6) Fiscal Policy, S. 154, 157, 160. 7) Monetary Theory, S. 196.

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Schuldendienst herangezogenen Steuereinnahmen wieder an die Gläubiger verteilt werden, kann bei einer sehr hohen Schuld die notwendige Besteue- rung das erträgliche Maß der steuerlichen Belastung überschreiten. In dem Umfang, als das Sozialprodukt wächst, kann eine höhere Zinsenlast in Kauf genommen werden, da die Steuerbelastung, die durch sie notwendig ist, nicht zunimmt. Soweit das Sozialprodukt durch die staatliche Verschuldung vergrößert wird, und das wird in einem gewissen Grad immer der Fall sein bei der Durchführung einer kompensatorischen Ausgabenpolitik, steigt auch die ,, taxable capacity", so daß sich in der Regel keine größere Belastung ergeben wird1).

Man kann natürlich auch den Zinsendienst durch weitere Verschuldung finanzieren. Dadurch vergrößert sich die infolge der immer reichlicheren Versorgung der Wirtschaft mit liquiden Mitteln - diese tritt ja auch ein, wenn die Staatspapiere bei Nicht-Banken untergebracht werden - bei einem hohen Schuldenstand stets in einem gewissen Grad vorhandene Gefahr einer inflationistischen Entwicklung durch plötzliche private „Ausgaben- stöße". Also auch in diesem Fall gibt es Grenzen, die nur unter beträcht- lichen Risiken überschritten werden können2).

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Geldpolitik, die den Zinssatz zweckmäßigerweise niedrig hält und so die Situation be- deutend erleichtert.

Ob zusätzlich geschaffenes Geld, früher gesparte und dann stillgelegte Mittel oder laufende Ersparnisse bei der staatlichen Verschuldung in An- spruch genommen werden, hängt von der Situation ab. Wenn die Wirt- schaft erst auf einen hohen Beschäftigungsgrad gebracht werden soll, kom- men die beiden ersten Quellen in Frage, wenn sie darauf gehalten werden soll, die dritte. Ist man bestrebt, in erster Linie die Ersparnisse der kleinen Einkommensbezieher heranzuziehen, um eine möglichst große Streuung in der besitzmäßigen Verteilung der Staatspapiere zu erreichen, so darf die Schuld nicht zu schnell erhöht werden3). Eine Finanzierung der kompen- satorischen Ausgaben mit Hilfe von Steuern wäre nur insoweit sinnvoll, als damit Einkommensteile erfaßt würden, die sonst gespart worden wären. Dies wird jedoch immer nur zu einem gewissen Teil der Fall sein, so daß sich die notwendigen Öffentlichen Ausgaben um den Betrag des ausfallenden privaten Konsums erhöhen4). Es ist daher viel zweckmäßiger, in Zeiten, in denen eine Ausgleichspolitik erforderlich ist, die Steuern zu senken, um den Konsum zu erhöhen. Wir kommen damit zur zweiten, von Hansen zur Ergänzung des Ausgabenprogramms vorgeschlagenen Methode zur Her- stellung eines gleichmäßigen, hohen Beschäftigungsgrads.

*) Fiscal Policy, S. 168 ff.: „Limits to the Public Debt". Eine gewisse Ge- fahr besteht bei einer hohen Verschuldung nach Hansen noch insofern, als eine „Verrentung" der Bevölkerung eintreten kann und die Investitionsneigung sinkt.

2) Economic Policy, S. 276 ff. Kontroverse mit Lerner. 3) Nicht unwichtig ist auch das Problem der geeigneten Verteilung der Staats-

schuld auf verschiedene Wertpapierarten mit unterschiedlicher Fristigkeit (Eco- nomie Polie v. S. 282 ff.).

4) Economie Policy, S. 188.

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b) Diese zweite von Hansen befürwortete Methode ist die aus- gleichende Steuerpolitik. Diese compensatory tax policy be- steht darin, daß die Steuersätze, soweit dies technisch möglich ist, in der Aufschwungsperiode der Wirtschaft allmählich erhöht, während eines Nie- dergangs dagegen gesenkt werden. In Zeiten, in denen die Gefahr besteht, daß die Wirtschaft in eine ungesunde, inflationistische boom- Situation hineintreibt, soll also die für private Nachfrage verfügbare Kaufkraft be- schnitten, in Zeiten einer absackenden Gesamtnachfrage soll sie durch die Steuerermäßigung vermehrt werden. Bei einer stark progressiven Besteue- rung tritt dies in einigem Umfang von selbst ein, durch eine Veränderung der Sätze kann ein solcher Erfolg jedoch in weit stärkerem Maße erreicht werden. Mit einer kompensatorischen Steuerpolitik können, wie Hansen betont, schnellere Wirkungen erzielt werden als mit einer entsprechenden Ausgabenpolitik, die bei sehr raschen und heftigen Schwankungen trotz aller Wendigkeit hinterherhinken wird. Sie wirkt natürlich nur, wenn das Budget eine beträchtliche Große hat (was ja heute so ziemlich überall der Fall ist1).

Hansen hält die Einkommenssteuer für besonders geeignet für eine bewegliche Gestaltung der Sätze. Er schlägt vor, daß die Exekutive (der Präsident) bevollmächtigt wird, innerhalb gewisser Grenzen den für das Basiseinkommen geltenden Satz zu ändern, ihn also je nach der konjunk- turellen Situation zu heben oder zu senken2). In jährlichen oder evtl. viertel- jährlichen Berichten sollte der Präsident die Veränderung oder Beibehaltung der Sätze durch die Darlegung der jeweils gegebenen Wirtschaftslage be- gründen. Alle von Unternehmungen erhobenen Steuern (Körperschafts- steuer usw.), ebenso Steuern auf die aus einzelunternehmerischer Betätigung fließenden Einkommensteile sollten stabile Sätze behalten, damit die Grund- lagen der unternehmerischen Entscheidungen konstant bleiben und die Wirtschaft nicht beunruhigt wird und ihr Vertrauen verliert3). Durch die Erhöhung der Sätze wird teilweise der Konsum, teilweise die Investition getroffen.

In älteren Ausführungen4) vertritt Hansen die Ansicht, daß für eine Wirtschaft, in der die zyklischen Schwankungen infolge großer auto- nomer Investitionen im Aufschwung sehr heftig sind, eine Beschneidung des Konsums durch Anwendung der kompensatorischen Steuerpolitik auf die Lohn- und die Verbrauchssteuern das Geeignetste sei, weil dadurch auch die induzierte Investition gekürzt werde. Er beschreibt die Wirkungsweise „reiner" Ausgleichssteuern, deren Erträgnisse im Abschwung den Steuer- zahlern wieder zurückerstattet werden (derselbe Vorgang wie bei der Arbeits- losenversicherung 5).

Besteht die Politik nur in der Änderung der Sätze, nicht in der An- sammlung besonderer Fonds, so entsteht in boom-Zeiten ein Budgetüber- schuß. Hansen geht auf die Frage, was mit diesem geschehen soll, nicht

M Economic Policy, S. 140 f. 2) Economie Policy, S. 141. 3) Economie Policy, S. 142. 4) Fiscal Policy, S. 297. 5) Fiscal Policy, S. 293 ff . Wenn eine solche Rückerstattung technisch sehr

schwierig wäre, hält er es für zweckmäßiger, die angesammelten Erträgnisse für die Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben zu verwenden.

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näher ein, doch kann sinngemäß ergänzt werden, daß er für Rückzahlungen von Staatsschulden, und zwar Schulden gegenüber Banken - eine Maß- nahme, die Hansen für die Inflationsbekämpfung empfiehlt1) - verwen- det wird. Auf diese Weise wird die durch die hohen Steuersätze aus der Wirtschaft abgezapfte Kaufkraft endgültig beseitigt. Für eine weniger dy- namische, nur schwachen Investitionsbooms unterworfene Wirtschaft hält Hansen eine stark progressive Einkommenssteuer mit konstanten Sätzen für ausreichend 2). Sie soll ein möglichst hohes und gleichbleibendes Konsum- niveau herbeiführen helfen.

Diejenigen Pläne, die vorschlagen, automatische Stabilisatoren in die Wirtschaft einzubauen (built-in-f lexibility) 3) hält Hansen nicht für ge- nügend zur Erreichung eines möglichst hohen und gleichmäßigen Beschäf- tigungsgrads, soweit nicht weitere Maßnahmen hinzukommen, da allein durch solche Stabilisatoren die Wirtschaft nicht auf Vollbeschäftigung ge- bracht werden kann. Auch automatisch in Gang gesetzte kompensatorische Gegenmaßnahmen, die bei Erreichung bestimmter Indices (Arbeitslosen- zahl u. ä.) in Kraft treten 4), genügen ihm nicht, da sie den unvorhersehbaren, raschen und heftigen Schwankungen nicht genügend angepaßt sind. Dies gilt sowohl für die kompensatorische Ausgaben- als auch für die Steuer- politik. Für beide Methoden befürwortet er die bewußt gestaltende Hand- habung, ein „managed program"5). Dieses managed program kann jedoch mit automatisch wirkenden Maßnahmen kombiniert werden, so daß ein ,, quasi-automatic program*

' entsteht6). Es sollte auf alle Fälle Spielraum für die verantwortliche Entscheidung der Exekutive verbleiben7).

Das Ausgabenprogramm und die kompensatorische Steuerpolitik soll- ten nach Hansen noch ergänzt werden durch ein möglichst umfang- reiches Social Security-Programm8), umfassend Arbeits- losenversicherung, Altersversorgung usw., über das allerdings keine näheren Angaben gemacht werden. Die Beiträge und Leistungen solcher Einrichtungen wirken als automatische Stabilisatoren und können u. U. den Konsum erhöhen.

M Economie Policy, S. 11, Monetary Theory, S. 162. *' Fiscal Policv. S. 300. 3j Das einfachste Beispiel eines solchen Stabilisators ist die eben erwähnte

stark progressive Einkommenssteuer, die die privaten Ausgaben im Aufschwung beschneidet, im Niedergang begünstigt und gleichzeitig einmal einen staatlichen Überschuß, das andere Mal ein Defizit hervorruft - hierauf basiert der Plan des amerikanischen Committee of Economic Development, mit dem sich Hansen auseinandersetzt (Monetary Theory, S. 176 ff.) -, ein anderes Beispiel ist wieder die Arbeitslosenversicherung.

4) Solche Maßnahmen werden z.B., allerdings ergänzt durch andere, in dem UN-Bericht „National and International Measures for Full Employment" (Lake Success 1949) vorgeschlagen. (Business Cycles, S. 551 ff).

5) Economic Policy, S. 249, Business Cycles, IS. 497. 8) Business Cycles, S. 546. 7) Ein Programm dieser Art wurde im Bericht der von der National Planning

Association (USA) 1949 einberufenen Konferenz befürwortet, über den Han- sen referiert. (Business Cycles, S. 548 ff.) Die Vorschläge dieses Berichts decken sich weitgehend mit den Hansen sehen.

8) Economie Policy, S. 22.

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Alvin Hansen und die Fiscal Policy 435

Was das staatliche Ausgabenprogramm anlangt, so sei noch bzw. noch- mals auf einen Punkt hingewiesen. Das Ausgabenprogramm wird zwar als konjunktur- und beschäftigungspolitisches Mittel verwendet, es wird aber keineswegs nur deswegen durchgeführt. Vielmehr hat es noch das außer- ordentlich wichtige Ziel, durch Erhöhung des öffentlichen Konsums und durch Vornahme öffentlicher Investitionen die Produktivitätsgrundlagen der Wirtschaft laufend zu verbessern. Der Staat hat nicht nur eine regu- lierende Funktion, sondern vor allem auch die wirtschaftlichen Grundlei- stungen zur Verfügung zu stellen, die vorliegen müssen, damit die private Wirtschaftstätigkeit gedeihen und sich voll entfalten kann1).

c) Der fiscal policy tritt ergänzend die G e 1 d p o 1 i t i k ais ,, useful but necessary handmaiden" 2) zur Seite. Sie arbeitet dabei mit den bekann- ten, schon vor der Zeit der Entwicklung der functional finance-Théorie an- gewandten Mitteln, im wesentlichen also mit Offenmarkt-Operationen, Re- servenpolitik und Diskontpolitik. In Zeiten bedrohlicher Depressionsgefahr soll durch sie die Geldmenge erhöht und der Zinssatz gesenkt, in Zeiten übersteigerter expansionistischer Tendenzen der entgegengesetzte Erfolg herbeigeführt werden. Wenn die Geldmenge geschrumpft ist, so muß der Staat zur Durchführung seines Ausgabenprogramms zum Teil auf neuge- schaffenes Geld zurückgreifen können, weil sonst der Zinsfuß steigen und die privaten Ausgaben in einem gewissen Umfang gedrosselt würden3). Er muß also bei den Banken borgen und dafür die Voraussetzung durch Offen- marktpolitik und Reservenpolitik schaffen. Der Zinssatz für staatliche Kre- dite kann dadurch auf einem gewünschten niedrigen Satz gehalten und so die Last des Zinsendienstes verringert werden. Wenn Inflationsgefahr be- steht, so muß durch Schuldenrückzahlung (mittels Budgetüberschüssen) an die Banken, insbesondere an die Zentralbank, Geldmenge und Kaufkraft vermindert werden. Durch gleichzeitige Heraufsetzung der Reservesätze werden die Expansionsmöglichkeiten der Geschäftsbanken eingeschränkt. Durch die Diskontpolitik - soweit diese eine Rolle spielt - wird der kurz- fristige Geschäftskredit verbilligt bzw. verteuert.

Die monetäre Politik allein reicht nicht aus, um die Gesamtnachfrage auf den gewünschten Stand zu bringen bzw. auf diesem zu halten, da Geld- menge und Zinssatz nur in sehr losem Zusammenhang mit dieser stehen. Eine konjunktur steuernde fiscal policy ohne passende Unterstützung der Geldpolitik kann nicht voll wirksam werden, da Geldmenge und Zinsfuß auf der anderen Seite keineswegs ohne Einfluß auf die Gesamtnachfrage sind (sie wirken sich auf den privaten Teil der Gesamtnachfrage aus). Dies wäre nur dann der Fall, wenn entweder die Liquiditätsfunktion voll-

1) Unsere Gesellschaft . . . „is also a society in which the state should func- tion not only as a balance wheel (offsetting fluctuations in the private sector), but also as the provider for important community services and for basic develop- mental projects which unterlie and support private industry." (Monetary Theory, S. 183).

2) Monetary Theory, S. 142. 3) Die Liquiditätsfunktion darf genau so wie die Investitionsfunktion in

einem gewissen, wenn auch nicht sehr hohen Grad, als zinselastisch angenommen werden. (Monetary Theory, S. 170 ff.)

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kommen zinselastisch oder die Investitionsfunktion gänzlich zinsunelastisch wäre1).

d) Je nach der Lage können weitere staatliche Maßnah- men erforderlich werden, insbesondere gewisse Kontrollen oder Einfluß- nahmen auf den Gebieten der Lohn- und Preisbildung. Grundsätzlich soll die Preisbildung dem Marktprozeß und die Bestimmung der Lohnhöhe den Vereinbarungen der beiden Arbeitsmarktparteien überlassen bleiben. Wenn die Wirtschaft sich erst unterwegs zur Vollbeschäftigung befindet, so be- steht kein Anlaß, von diesem Grundsatz abzuweichen, da evtl. entstehende Engpässe nach Hansen mittels vorübergehender Importe, Überstunden- arbeit usw. überwunden werden können2). Bei erreichter Vollbeschäftigung besteht jedoch die Gefahr, daß die Gewerkschaften in der günstigen Position, in der sie sich befinden, die Löhne in einem Umfang nach oben zu drücken suchen, der über die Produktivitätserhöhungen hinausgeht. Dieser sehr ernsten Gefahr sollte nach Hansen dadurch begegnet werden, daß man die Lohnbestimmung nicht völlig den Marktparteien überläßt. Der Staat sollte sich hier vermittelnd und schlichtend einschalten und es sollte laufend eine umfassende offizielle Statistik über Löhne, Preise, Produktivitäts- und Kostenentwicklung geführt werden3). Es soll so nicht nur das gesamte Lohnniveau, sondern auch die Lohnstruktur unter Kontrolle gehalten wer- den4). Sämtliche Löhne sollten im Umfang der durchschnittlichen Produk- tivitätserhöhung der Wirtschaft steigen und die Verschiedenheit der Pro- duktivitätsentwicklung einzelner Branchen in den Preisen ihren Nieder- schlag finden und nicht die Lohnstruktur verändern5). In jeder Lohn Ver- einbarung sollten also die gesamte Wirtschaftssituation und das Gesamt- wohl berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür ist ein erhebliches Ver- antwortungsgefühl der Gewerkschaften, dessen Vorhandensein Hansen nach bisherigen Erfahrungen glaubt annehmen zu dürfen, wenn die Gefahr der Arbeitslosigkeit nicht mehr besteht. Die Preispolitik der Unterneh- mungen sollte ebenfalls mehr und mehr offen gelegt werden. Nicht Zwang, sondern Publizität, sollte für eine „rational price policy" sorgen6). Mono- polistische Praktiken sollten durch antimonopolistische Maßnahmen ver- hindert werden7).

Wenn der Staat gezwungen ist, einen größeren Teil des Sozialprodukts in Anspruch zu nehmen, als zur Herstellung von Vollbeschäftigung not- wendig wäre, und wenn er die Abzweigung nicht durch Steuererhöhung vornimmt, so kann eine inflationistische Entwicklung nur durch scharfe Eingriffe: Preisstop und Rationierung, verhindert werden/ Solche Situa- tionen treten in Rüstungs- und Kriegszeiten ein. Die scharfen Eingriffe können auch für Nachkriegszeiten noch für längere Zeit und in beträcht- lichem Umfang erforderlich sein8). Bei einer normalen Vollbeschäftigungs- politik wird man im allgemeinen ohne solche drastische Maßnahmen aus- kommen, doch kann man, wenn Inflationstendenzen auftreten, denen man

M Monetary Theory, S. 171 f. 2) Economie Policy, S. 239 f. 3) Economie Policy, S. 240. 4) Economie Policy, S. 158. 5) Economie Policy, S. 245. •j Economie Policy, S. 240. 7) Business Cycles, S. 574. 8) Monetary Theory, S. 159 f.

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mit f inanz- und geldpolitischen Mitteln nicht wirksam genug entgegentreten kann, im Notfall auf sie zurückgreifen.

Für konjunktur- und beschäftigungspolitische Zwecke sind staatliche Eingriffe in die Lohn- und Preisbildung nach Hansens Meinung nicht geeignet. Würden etwa zur Erreichung eines höheren Beschäftigungsgrades durch staatlichen Druck die Löhne erhöht, so würde nicht nur eine ent- sprechende Preissteigerung eintreten, vielmehr würde die Investition nach Hansen durch die nachfrage- und preiserhöhende Wirkung so stark an- geregt, daß sie in diesem Umfang noch weniger beibehalten werden könnte, als wenn keine Lohnerhöhungen eingetreten wären1). Wenn jedoch die Voll- beschäftigung mit Hilfe der finanz- und geldpolitischen Maßnahmen her- gestellt ist, ergibt sich von selbst ein günstigeres Verhältnis der Lohn- zur Gewinnquote. Die Gewinne werden sich jetzt auf einem Stand einspielen, der dem Durchschnitt für die Zeit eines ganzen Konjunkturzyklus nahe- kommt. Die sonst in Vollbeschäftigungsphasen auftretenden Übergewinne werden verschwinden2). Es entsteht eine gleichmäßigere Einkommens- verteilung, die durch Redistributionsmaßnahmen mit Hilfe der Besteuerung und Sozialversicherung noch verbessert werden kann3). Nivellierend wirken auch der niedrige Zinssatz, der zur Vollbeschäftigungspolitik gehört4), ferner die öffentlichen Ausgaben für Erziehung u. a.5). Die gleichmäßigere Ein- kommensverteilung in der ,, high-wage, low-profit* '-Vollbeschäftigungswirt- schaft führt zu einer höheren Konsumquote, so daß sich mit der Zeit die staatlichen Ausgaben verringern6).

Überblicken wir die Hansen sehen Vorschläge, so müssen wir fest- stellen, daß sich Hansen völlig klar darüber ist, daß ein so hochkompli- ziertes Gebilde wie die moderne Wirtschaft nicht mit einem einzigen Uni- versalinstrument ,, gesteuert" werden kann. Der für ein gutes Funktionieren der Wirtschaft verantwortliche Staat muß sich einer ganzen Anzahl von Hebeln bedienen, die für die Steuerung geeignet sind, ohne die wirtschaft- lichen Freiheiten der Individuen, Gesellschaften und Gruppen wesentlich anzutasten. Eine Sonderstellung nimmt aber doch die fiscal policy ein und innerhalb dieser die Ausgabenpolitik. Diese darf jedoch keineswegs mecha- nisch gehandhabt werden, etwa so, daß man ausschließlich darauf bedacht ist, ,, aufzufüllen", um eine genügend hohe Gesamtnachfrage zu erhalten. Hansen betont : ,,. . .to reach and maintain an adequate volume of aggre- gate demand involves something much more than an indiscriminate adding together of the total of private consumption and private investment with public outlays sufficient to reach a desired total. It involves a balanced relationship between private consumption and private investment on the

*) Business Cycles, S. 558. Hier ist natürlich angenommen, daß sich die Wirt- schaft im Augenblick der Lohnerhöhung bereits in einer Phase heftigen Auf- schwungs befindet.

2) Der Hexenzirkel der zum Ausgleich der Depressionsverluste notwendigen boom-Übergewinne, die zu übertriebener Investition und zum Rückschlag führen (Business Cycles, S. 568) hört auf.

3) Business Cycles, S. 570. 4) Economie Policy, S. 131. 5 Economie Policy, S. 47, Business Cycles, S. 572. •) Economie Policy, S. 49.

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one side, and between public outlays and private outlays on the other. The wise use of public outlays will aid in maintaining an appropriate balance between private consumption and private investment. Also it is necessary to maintain a proper balance between private outlays and public outlays in order to achieve the highest degree of welfare in terms of social priorities and the best use of resources." 1)

Fragen wir uns nun, ob die Überlegungen, die Hansens Vorschlägen zugrunde liegen, überall stichhaltig sind, ob insbesondere die fiscal policy gerade in der von Hansen befürworteten Form zweckmäßig erscheint als konjunkturpolitisches Steueiungsmittel und ob nicht vielleicht noch Len- kungsmethoden ergänzend hinzugezogen werden sollten, die bei Hansen weniger im Vordergrund stehen.

III.

Das theoretische Fundament, von dem Hansen ausgeht, soll hier nicht kritisch untersucht werden. Die wichtigsten Ergebnisse der modernen makroökonomischen Theorie scheinen uns genügend gesichert zu sein. Dies gilt insbesondere für die sog. Einkommenstheorie. Auch die Vorgänge im Ablauf der Konjunkturzyklen, vor allem die Bolle der Investition, dürften so ausreichend erhellt sein, als es für die Ermittlung der grundsätzlichen beschäftigungspolitischen Möglichkeiten notwendig ist, mögen auch Einzel- heiten, wie etwa die Bedeutung des Accelerators, noch umstritten sein.

Daß der fiscal policy für die Konjunktur- und Beschäftigungspolitik eine entscheidende Eolie zufällt, ergibt sich aus der Theorie so zwingend, daß hierüber auch kaum mehr Meinungsverschiedenheiten bestehen sollten. Die Eolle der Geldpolitik ist von H a n s e n für die Bedingungen, unter denen er sie analysiert, zweifellos auch richtig gekennzeichnet. Unter an- deren Bedingungen, etwa den augenblicklich in der westdeutschen Wirt- schaft gegebenen, mag sie wesentlich bedeutsamer sein. Doch steht ja nicht dieser Sonderfall zur Debatte, sondern eine in ihrer Struktur nicht gestörte Wirtschaft mit hoher Liquidität und niedrigem Zinssatz. Daß in einer sol- chen mittels monetärer Maßnahmen weder die Herstellung noch die Auf- rechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades erreicht werden kann, darf heute sowohl auf Grund der theoretischen Erkenntnisse als auch der praktischen Erfahrungen als sicher gelten.

Die grundsätzlichen Möglichkeiten, die für eine Erhöhung der Gesamt- nachfrage bestehen: Erhöhung des privaten Konsums, Vermehrung der pri- vaten Investition und Steigerung der öffentlichen Nachfrage, haben wir eingangs schon erörtert. Prüfen wir nun nochmals, ob es nicht zweckmäßig ist, eine Einkommensnivellierung zur Hebung des privaten Konsums ohne finanzpolitische Mittel zu versuchen, durch staatliche Einflußnahme auf die Lohnhöhe. Der Versuch einer Lohnsteigerung auf Kosten der Unter- nehmereinkommen würde außerordentlich starke staatliche Eingriffe not- wendig machen. Wollte sich die staatliche Einflußnahme darauf beschrän-

1) Economie Policy, S. 53.

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ken, eine generelle Lohnerhöhung zu erzwingen, was natürlich bedeuten würde, daß die freie Vereinbarung der Marktparteien aufgehoben wäre, so würden die Unternehmungen sich ohne weiteres durch Preiserhöhungen schadlos halten können. Das höhere Einkommen der Arbeitnehmer würde zu höheren Ausgaben führen, die Produktion würde also - unter einigen vorübergehenden Verschiebungen - zu höheren Preisen abgenommen. Sollte dies vermieden werden, so müßte der Staat entweder dafür sorgen, daß das Preisniveau konstant bliebe - es müßte also eine strenge Preisüberwachung durchgeführt werden - oder daß den Unternehmungen keine zusätzlichen Geldmittel zur Bezahlung der höheren Löhne zur Verfügung gestellt würden, so daß sie gezwungen wären, die Lohnerhöhung aus ihren eigenen Über- schüssen zu finanzieren. Durch die erste Methode würde der Wirtschaft eine starre Zwangsjacke angelegt - Ausweichmöglichkeiten würden aller- dings verbleiben durch Qualitätsveränderungen u. ä., - man ginge zu einer direkten Reglementierung über, und es müßte weiter damit gerechnet wer- den, daß die Unternehmungen bei gestiegenen Kosten und unveränderten Preisen ihre Produktion reduzierten, so daß die höhere Nachfrage gar nicht befriedigt werden und eine Verminderung der Beschäftigung eintreten würde. Um dies zu verhindern, müßte der Staat zu weiteren Zwangsmaßnahmen greifen. Dieser Weg führt also immer tiefer hinein in die Politik direkter Eingriffe und ist, wenn man diese vermeiden will, unbegehbar. Die zweite Methode setzt eine Wirtschaft von ganz geringem Liquiditätsgrad voraus, die völlig an der Strippe der Zentralbank hängt. Eine solche Wirtschaft ist in den seltensten Fällen gegeben. Befinden sich etwa staatliche Schuld- papiere in größerem Umfang im Besitz der Unternehmungen, so können diese ohne weiteres zur Finanzierung der Zusatzkosten verwertet werden. Würde eine Monetisierung verhindert, so wäre die Folge ein scharfes Ab- sinken der Kurse, und dies könnte der Staat nicht zulassen. Im allgemeinen wird also auch dieser zweite Weg nicht in Frage kommen. Es verbleibt so- mit nur die Redistribution durch ein stark progressives Steuersystem, evtl. verbunden mit Zuwendungen an Bevölkerungsschichten mit niedrigem Ein- kommen. Es ist also ohne finanzpolitische Mittel nicht auszukommen. Sie sind notwendig für die Förderung des Konsums und, wie früher schon er- örtert, zusammen mit der Geldpolitik für die Stimulation der Investitions- tätigkeit.

Hansen stellt, wie wir sahen, die staatliche Ausgabenpolitik in den Vordergrund. Wenn mit deren Hilfe Vollbeschäftigung hergestellt ist und aufrecht erhalten wird, ergibt sich seiner Ansicht nach von selbst eine ge- wisse Einkommensnivellierung, die zweckmäßigerweise durch finanzpoli- tische Redistributionsmaßnahmen unterstützt wird. Für die der Vollbe- schäftigung zustrebende Wirtschaft empfiehlt er nicht eine Steigerung, sondern eine Drosselung des Konsums. Ist ein solchesVorgehen zweckmäßig ?

Es kommt, wie Hansen sehr treffend sagt, darauf an, das richtige Verhältnis zwischen privatem Konsum und privater Investition, aber auch zwischen privaten Ausgaben insgesamt und öffentlichen Ausgaben herzu- stellen. In einem sich ohne staatliches Hinzutun entwickelnden Aufschwung ist am Ende das Verhältnis zwischen Investition und Konsum ungesund.

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Die Investition kann auf die Dauer in der erreichten Höhe nicht aufrecht- erhalten werden. Wenn sie nun reduziert werden muß und so plötzlich mehr laufend gespart wird, als für Investitionen lohnend ausgegeben werden kann, so wäre die beste Lösung die, daß der Konsum um den Betrag gesteigert wird, um den die Investition zurückgeht. In dieser Richtung könnte durch eine kräftige Redistribution einiges erreicht werden. Um konkret zu sein: wenn die Unternehmungen und Aktionäre ihre nicht verteilten bzw. nicht konsumierten Gewinne nicht mehr direkt oder indirekt für den Ankauf von Fabrikgebäuden, Lastwagen und Elektromotoren verwenden, so würden gleichzeitig Bevölkerungsschichten der unteren Einkommensstufen, sofern nur ihr Einkommen um einiges gehoben würde, gern Wohnhäuser bauen oder Personenwagen und Kühlschränke anschaffen, also den Verbrauch in Form der Anschaffung dauerhafter Konsumgüter erhöhen (wir rechnen hier die Anschaffung eines Wohnhauses zum Konsum). Eine scharfe steuerliche Redistribution, verbunden mit Unterstützungen, Preissubventionen usw. würde also u. U. die Aufrechterhaltung der Gesamtnachfrage ermöglichen. Sie müßte dann genau am oberen Umkehrpunkt der Konjunkturentwick- lung einsetzen.

Nun dürfte es aber auch keine schlechte Politik sein, schon während des Aufschwungs eine solche scharfe Redistribution vorzunehmen, um den Konsum möglichst hoch zu halten. Die Multiplikator Wirkung von Investi- tionen, die mit zusätzlich in den Kreislauf fließenden Mitteln finanziert würden, würde sich dadurch zwar erhöhen, auf der anderen Seite würde der Investitionsanreiz aber gedämpft, wenn die Unternehmergewinne ent- sprechend hoch besteuert würden. Die Induktionswirkung des hohen Kon- sums würde wahrscheinlich nicht so heftig sein, daß ohne Rücksicht auf die hohe Steuer in größtem Umfang investiert würde. Auch die autonome In- vestition würde so in Schranken gehalten. Das Ergebnis wäre eine ver- langsamte Investitionsentwicklung und eine wenigstens teilweise Verhinde- rung des zu starken Vorpreschens der Investition. Der Aufschwung würde langsamer vor sich gehen, aber er wäre gesünder. Die Investitionsrate brauchte in der Nähe der Vollbeschäftigung nicht allzuviel gesenkt zu wer- den, um aufrechterhalten werden zu können. Ohne eine Senkung der In- vestitionsrate ginge es allerdings auch nicht ab, da in der Expansion der Wirtschaft bis zur Vollbeschäftigung die Investition über der Höhe liegen müßte, die für die zuwachsende Bevölkerung und zur Verwertung der neuen technischen Möglichkeiten notwendig wäre und die in der Vollbeschäfti- gungswirtschaft beibehalten werden müßte. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn während der Expansion bis zur Vollbeschäftigung auch der Kon- sum in einem gewissen Grad mittels zusätzlich in den Kreislauf strömender Gelder finanziert würde. Man könnte dies zu erreichen suchen durch För- derung des Konsumtivkredits, wäre allerdings von der positiven Reaktion des Publikums abhängig wie bei allen der Anregung dienenden monetären Bemühungen. Wenn nach erreichter Vollbeschäftigung sprunghafte tech- nische Entwicklungen eintreten würden, so könnte man versuchen, die durch diese ausgelösten Investitionen wiederum unter Kontrolle zu halten durch steuerliche Hemmnisse und sie nicht wesentlich aus dem Rahmen der Voll-

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beschäftigungsinvestitionsrate herausfallen zu lassen. Die „natürliche" Ten- denz zu Investitionsschwankungen würde so unterbunden. Zur Kegulierung würde man sich der steuerlichen Hilfsmittel bedienen.

Hier wäre nun zu fragen, ob eine solche Methode der Regulierung tat- sächlich ihr Ziel erreichen würde, ob sie nicht entweder zu wenig wirksam oder zu grob ist und die Investitionsbereitschaft ganz beseitigt. Dieser Zwei- fel ist natürlich berechtigt. Nur die praktische Erfahrung könnte hier eine befriedigende Antwort geben. Es gibt aber auch noch direkte Methoden zur Steuerung der Investitionstätigkeit. Man könnte die Investitionen unmittel- bar kontrollieren, indem man eine Genehmigungspflicht einführen würde. Eine zentrale Stelle, die über die erforderlichen statistischen Unterlagen verfügen müßte, würde das Ausmaß und die Art der Investitionen unter Be- rücksichtigung der kurz- und langfristigen Entwicklungstendenzen und Erfordernisse regeln und dabei Schwankungen nach Möglichkeit durch geeignete Dosierung vermeiden. Dies würde natürlich bedeuten, daß die Unternehmungen damit eine ihrer wichtigsten Freiheiten einbüßen würden. Hansen glaubt, daß für die USA eine Investitionskontrolle in Friedens- zeiten kaum durchführbar wäre, 1) während in europäischen Ländern wie England und Schweden so etwas durchaus möglich sei.

Die Investitionskontrolle braucht nun aber durchaus nicht in dieser strengen Form vorgenommen zu werden. Man könnte sich auch vorstellen, daß die verschiedenen Wirtschaftszweige und ihre einzelnen Unterneh- mungen eine freiwillige Kontrolle durchführen, wobei auch noch die Gewerk- schaften, die Verbraucher und sonstige Gruppen eingeschaltet werden könn- ten. Sie würden gemeinsam ein Kontrollorgan schaffen, das unter Berück- sichtigung der gleichen Gesichtspunkte, die eine staatliche Lenkungsstelle zugrunde legen würde, Richtlinien und Empfehlungen für die Beteiligten herausgeben würde, deren Einhaltung zwar nicht mit Gewalt durchgesetzt, aber doch durch einen gewissen moralischen Zwang in einigem Umfang ge- sichert werden könnte. Die Entscheidungsfreiheit der einzelnen bliebe also an sich erhalten und doch könnten sie in bestimmten Grenzen kaum anders als sich den gemeinsamen Interessen unterordnen. Für die vorgenommenen Investitionen könnte man eine Publikationspflicht oder eine Informations- pflicht gegenüber dem gemeinsamen Kontrollorgan einführen. Der Umfang der Investitionen dürfte wohl eine Angelegenheit sein, die der Lohnbildung an Wichtigkeit nicht nachsteht. Man kann deswegen durchaus verlangen, daß die Investitionsentscheidungen mehr und mehr an das Licht der Öffent- lichkeit gezogen werden und daß bei ihnen weitere Gesichtspunkte als nur die individuellen Rentabilitätsschätzungen berücksichtigt werden, genau so wie man - wieHansen mit Recht fordert - für die Lohnvereinbarungen die gesamtwirtschaftliche Situation, insbesondere die Produktivitätsent- wicklung der Gesamtwirtschaft berücksichtigen sollte. Eine solche freiwillige

*) Business Cycles, S. 559: „In a country like the United States, private investment is largely outside the range of state intervention. With respect to residential construction the government does indeed play a growing and an im- portant role. But in other areas state intervention is unimportant, and in peace- time direct controls are, in the American political climate, scarcely feasible."

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Kontrolle würde natürlich niemals (ebensowenig wie eine staatliche) voll- ständig sein und es gäbe Möglichkeiten genug für die Unternehmungen, ihre Neuinvestitionen zu tarnen, trotzdem aber ist wohl anzunehmen, daß sie in einigem Umfang regulierend wirken und vermutlich Exzesse verhindern würde. Soweit also eine solche Lösung gefunden werden konnte, brauchte die Steuerpolitik nicht eingespannt zu werden. Soweit sie politisch nicht durchsetzbar wäre oder an mangelnder Mitarbeit oder zu geringem Ver- antwortungsbewußtsein scheitern würde, müßte man auf die finanz wirt- schaftlichen Mittel zurückgreifen.

Zur Herbeiführung eines hohen Beschäftigungsgrades mit wirtschafts- politischen Mitteln - wenn die Wirtschaft nicht oder nicht schnell und kräf- tig genug aus einem Depressionszustand herauskommt - ist natürlich eine steuerliche Redistributionspolitik kaum ausreichend. Man könnte mit ihrer Hilfe zwar jederzeit einen Schrumpfungsprozeß beenden, aber einkommen- erhöhend würde sie bei mangelnder autonomer Investition nur wirken, soweit durch die Konsumsteigerung induzierte Investition auftreten würde. Hier kann nur ein großzügiges staatliches Ausgabenprogramm helfen, das sich auf alle die von Hansen angeführten Gebiete erstreckt, wobei die Dosierung auf den einzelnen Gebieten von deren sozialen Prioritäten ab- hängt, und das durch zusätzlich in den Kreislauf strömende Mittel finanziert wird. Je mehr die private Investition, angeregt durch den Wirtschaftsauf- schwung, zunimmt, desto mehr kann das staatliche Ausgabenprogramm reduziert werden. Auch in diesem Fall dürfte die Aufrechterhaltung einer stark dosierten Redistributionspolitik, allerdings unter steuerlicher Ent- lastung der investierten Einkommensteile zwecks Anregung der privaten Investition, zweckmäßig sein, denn soweit private Ausgaben vorgenommen werden, brauchen keine öffentlichen an ihre Stelle zu treten und die Er- höhung des privaten Konsums dürfte der des öffentlichen, soweit der letztere ein gewisses, notwendiges Minimum erreicht hat, wohl vorzuziehen sein. Wenn die private Investitionstätigkeit wieder lebhaft in Gang gekommen ist, sollte deren Regulierung mit steuerlichen oder den anderen oben beschrie- benen Methoden wieder ins Auge gefaßt und rechtzeitig aufgenommen wer- den, um die Einhaltung der gebotenen Grenzen zu sichern. Ein Rückschlag kann dann u. U. vermieden werden.

Die beiden eben diskutierten Fälle sind nun keineswegs die heute wich- tigen. An erster Stelle steht vielmehr die „Stabilisierungspolitik". Solange die Rüstungskonjunktur andauert, Stabilisierung ,,nach oben" (Vermeidung inflationistischer Entwicklungen), wenn diese ihr Ende erreicht hat, Stabili- sierung „nach unten", d. h. Vermeidung eines Abgleitens der Beschäftigung. Auf die Probleme der Inflationsverhütung in einer - wegen der Durchfüh- rung notwendiger staatlicher Aufgaben in einem das beschäftigungspolitisch erforderliche weit übersteigenden Ausmaß - „überbeschäftigten" Wirt- schaft, soll hier nicht eingegangen werden. Hansens Diskussion dieser Probleme ist kaum etwas hinzuzufügen.

Zu den Methoden der Stabilisierung nach unten sind jedoch noch einige Bemerkungen zu machen. Auch hier dürfte es zweckmäßig sein, den Schwer- punkt auf die Hebung des Konsums zu legen. Je mehr dies gelingt, in desto

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geringerem Umfang sind staatliche Ausgaben zur Absorption desjenigen Betrags, um den beim Vollbeschäftigungseinkommen die Ersparnis die In- vestition übersteigt, notwendig. Eine kompensatorische staatliche Aus- gabenpolitik ist eine Politik des „Lückenfüllens". Wenn private Nachfrage in ausreichendem Umfang vorliegt, brauchen keine Lücken gefüllt zu wer- den. Da die Wirtschaft letzten Endes um des privaten Konsums willen be- trieben wird, kann es kein besseres Mittel geben, um einen hohen Beschäfti- gungsgrad beizubehalten, als die Konsumnachfrage möglichst hoch zu ma- chen, wie Hansen selbst betont. Wenn die privaten und öffentlichen Aus- gaben richtig verteilt sein sollen, so muß der öffentliche Konsum auf die- jenigen Gebiete beschränkt bleiben, für die ein „sozialisierter Konsum" wirklich angemessen ist. Wo dagegen durch eine gleichmäßigere Einkom- mensverteilung der private Konsum gehoben werden kann, sollte der öffent- liche zurückzutreten haben. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen : man kann den schlechter gestellten Bevölkerungsschichten mit öffentlichen Mit- teln gebaute Wohnungen zur Verfügung stellen, man kann aber auch ver- suchen, durch eine großzügige Redistribution den Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen die Möglichkeit zu geben, sich ihre Wohnungen selbst zu erwerben. Um den entscheidenden Punkt noch deutlicher zu machen : die staatlichen Ausgaben sollten auf keinem Gebiet aus beschäfti- gungspolitischen Gründen weiter getrieben werden müssen, als es für die beste Verwendung der vorhandenen wirtschaftlichen Hilfsmittel unter ge- nauer Abwägung der privaten und der Öffentlichen Bedürfnisse und Berück- sichtigung der Auswirkungen, die der öffentliche Konsum und die öffent- liche Investition auf die private Bedürfnisbefriedigung und die Produktivi- tätsentwicklung haben, notwendig ist. Dieses ideale Verhältnis ist nun ein- mal sehr schwer zu bestimmen und zweitens sicher nie vollkommen herzu- stellen. Eine Redistribution mit finanzpolitischen Mitteln kann nicht über eine gewisse Grenze hinaus getrieben werden, weil eine zu hohe Steuerpro- gression sehr lähmend auf die wirtschaftliche Betätigung derjenigen Kreise wirken würde, auf deren Initiative und Tun sehr viel ankommt. Man sollte allerdings versuchen, möglichst nah an diese Grenze heranzukommen. Eine Herabsetzung des Steuersatzes für das Basiseinkommen dürfte wohl kaum genügen, um die Redistribution ausreichend stark zu machen. (Es sei hier noch angemerkt, daß uns eine häufige Veränderung der Steuersätze, be- sonders für die Einkommenssteuer technisch nicht leicht durchführbar und auch nicht schnell wirksam erscheint.) Es ist auch möglich, daß man den privaten Konsum nicht allzusehr fördern kann wegen der Auslandsab- hängigkeit der Wirtschaft oder daß man ihn nicht sehr stark fördern will, weil man glaubt, daß sich die Nachfragestruktur weniger verschiebt, wenn die öffentliche Nachfrage (vor allem für öffentliche Investitionen) einen bedeutenderen Umfang einnimmt. Zum letzten Punkt ist zu sagen, daß die dauerhaften Konsumgüter eine beträchtliche Verwandtschaft haben mit den Investitionsgütern, so daß eine Umstellung auf die eine oder andere Kate- gorie in ziemlich großem Umfang möglich ist. Die dauerhaften Konsum- güter sind aber gerade diejenigen, deren Absatz sich mittels redistributiver Maßnahmen am meisten heben ließe, weil die Bevölkerungsschichten der

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unteren Einkommensgruppen ihren Bedarf nach solchen bei weitem nicht gedeckt haben (wie dies bei den gut gestellten Kreisen der Fall ist).

Es gilt, die Redistribution und die öffentlichen Ausgabenprogramme in möglichst optimaler Weise aufeinander abzustimmen. Es dürfte emp- fehlenswert sein, ergänzend eine Investitionskontrolle (in einer der oben beschriebenen Formen) mit dem Ziel, die Investitionsrate einigermaßen zu stabilisieren, vorzunehmen. Die durch die technische Entwicklung - die sich in Zukunft vielleicht auch mehr und mehr verstetigen und ihren sprunghaften Charakter verlieren wird, da die systematische Entwicklungs- arbeit die Zufallsentdeckungen immer mehr verdrängt - ausgelösten Ten- denzen zu Investitionswellen könnten abgemildert werden. Der technische Fortschritt würde sich dadurch wohl etwas verzögern, aber größere Rückschläge würden vermieden. Zumindest wären die Schwankungen um einiges geringer als bei unkontrollierter Investition. Sie könnten durch kompensatorische staatliche Ausgaben verhältnismäßig leicht ausgeglichen werden.

Es scheint uns hier folgende Alternative vorzuliegen: entweder wird eine gewisse Steuerung der Investition in Kauf genommen, also eine Ein- schränkung der Investitionsfreiheit (soweit die Steuerung direkt erfolgt), oder man räumt der öffentlichen Nachfrage einen größeren Spielraum ein als optimale Ausnutzung der Produktionsfaktoren unter angemessener Berücksichtigung der privaten und öffentlichen Bedürfnisse notwendig wäre, um Stabilität zu erreichen. Im ersten Fall greift der Staat (oder das Selbstverwaltungsorgan) lenkend ein, überläßt aber das Produktions- ergebnis weitgehend den privaten Wirtschaftern, im zweiten Fall bleibt die private Investitionsentscheidung unbeeinflußt, dafür wird ein verhältnis- mäßig großer Teil des Sozialprodukts „sozialisiert". Die Frage, ob die Me- thode der staatlichen „Durchdringung" oder die der „Absorption" mehr Freiheit bestehen läßt, dürfte schwierig zu entscheiden sein. Jedenfalls scheint festzustehen, daß privater „Spielraum" für Stabilität geopfert werden muß.

An der entscheidenden Rolle der fiscal policy ändert sich nichts, wenn man die Investitionskontrolle heranzieht. Diese kann ja u. U. ganz mit fiskalischen Mitteln als indirekte Investitionsbeeinflussung ausgeübt wer- den. Die bedeutsame Frage dürfte nur sein, wie die Gewichte verteilt werden auf die einzelnen finanzpolitischen Steuerungsmöglichkeiten und wo der Schwerpunkt hingelegt wird. Diese Frage glaubten wir etwas anders be- antworten zu müssen als Hansen.

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