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Die Weltwirtschaft bewegt sich nur langsam, die Richtung bleibt unklar: Frachtschie warten vor dem Hafen von Los Angeles darauf, entladen zu können. Foto: Patrick T. Fallon (Bloomberg) Von Robert Mayer Redaktor Wirtscha@tagesanzeiger 20.08.2015 Stichworte Meinung & Analyse Konjunktur Schweizer Börse Sorgen und Verluste Die Schweizer Börse verbucht den dritten Tag in Folge Verluste. Der Grund: die Sorgen, dass eine konjunkturelle Abschwächung in China auf andere Länder übergreifen könnte, und die Ungewissheit über den Zeitpunkt einer Zinserhöhung in den USA. Der SMI verlor insgesamt 1,6 Prozent. Das «Angstbarometer» Volatilitätsindex stieg um fast 9 Prozent. Die Börsen hatten mit Spannung die am Mittwochabend veröentlichten Protokolle der letzten Sitzung der US-Notenbank Fed erwartet. Diese brachten allerdings wenig Aufschluss darüber, ob die Leitzinsen schon im September oder erst im Dezember erhöht werden sollen. Zwar wiesen Vertreter der Notenbank auf Verbesserungen am US-Arbeitsmarkt hin. Sie erwähnten allerdings auch die nach wie vor niedrige Ination und das schwache Wachstum der Weltwirtschaft. Eher für höhere US-Zinsen sprechen die jüngsten Daten vom Immobilienmarkt, der Konjunkturindex der Notenbank von Philadelphia und die Frühindikatoren. (Reuters) Schrumpfkurs Exporte brechen im Juli ein Die Talfahrt der Schweizer Exporte wegen der Frankenstärke hat sich auch im Juli mit einem Minus von 7,4 Prozent fortgesetzt. Vor allem die Ausfuhren der Maschinen-, Metall- und Elektronikindustrie verringerten sich. Andere Branchen stecken den starken Franken etwas besser weg. Insgesamt exportierten die Schweizer Unternehmen im Juli Waren im Wert von 17,9 Milliarden Franken. Auch nach Am Rande einer globalen Rezession China kämpft mit konjunkturellen Problemen, das Wachstumsmodell der Schwellenländer stösst an Grenzen. Wie schlecht steht es um die chinesische Wirtschaft? Und wie wirken sich die Turbulenzen im fernöstlichen Riesenreich auf die Zinspolitik der US-Notenbank aus? Unter Marktbeobachtern und -akteuren sind dies die derzeit am intensivsten diskutierten Fragen nach dem überraschenden Abwertungsmanöver der People’s Bank of China (PBOC), der Notenbank des Landes, von letzter Woche. Am Rande einer globalen Rezession - Wirtschaft - tagesanzeig... http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/standard/Am-Rande-e... 1 von 6 21.08.15 07:58

Am Rande Einer Globalen Rezession - Wirtschaft

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Die Weltwirtschaft bewegt sich nur langsam, die Richtung bleibt unklar: Frachtschiffe warten vor demHafen von Los Angeles darauf, entladen zu können. Foto: Patrick T. Fallon (Bloomberg)

Von

Robert MayerRedaktor Wirtschaft@tagesanzeiger 20.08.2015

Stichworte

Meinung & Analyse

Konjunktur

Schweizer BörseSorgen und Verluste

Die Schweizer Börse verbucht den dritten Tagin Folge Verluste. Der Grund: die Sorgen, dasseine konjunkturelle Abschwächung in China aufandere Länder übergreifen könnte, und dieUngewissheit über den Zeitpunkt einerZinserhöhung in den USA. Der SMI verlorinsgesamt 1,6 Prozent. Das «Angstbarometer»Volatilitätsindex stieg um fast 9 Prozent. DieBörsen hatten mit Spannung die amMittwochabend veröffentlichten Protokolle derletzten Sitzung der US-Notenbank Federwartet. Diese brachten allerdings wenigAufschluss darüber, ob die Leitzinsen schon imSeptember oder erst im Dezember erhöhtwerden sollen. Zwar wiesen Vertreter derNotenbank auf Verbesserungen amUS-Arbeitsmarkt hin. Sie erwähnten allerdingsauch die nach wie vor niedrige Inflation und dasschwache Wachstum der Weltwirtschaft. Eherfür höhere US-Zinsen sprechen die jüngstenDaten vom Immobilienmarkt, derKonjunkturindex der Notenbank vonPhiladelphia und die Frühindikatoren. (Reuters)

SchrumpfkursExporte brechen im Juli ein

Die Talfahrt der Schweizer Exporte wegen derFrankenstärke hat sich auch im Juli mit einemMinus von 7,4 Prozent fortgesetzt. Vor allemdie Ausfuhren der Maschinen-, Metall- undElektronikindustrie verringerten sich. AndereBranchen stecken den starken Franken etwasbesser weg. Insgesamt exportierten dieSchweizer Unternehmen im Juli Waren im Wertvon 17,9 Milliarden Franken. Auch nach

Am Rande einer globalen RezessionChina kämpft mit konjunkturellen Problemen, das Wachstumsmodell der Schwellenländer stösstan Grenzen.

Wie schlecht steht es um die chinesische Wirtschaft? Und wie wirken sich dieTurbulenzen im fernöstlichen Riesenreich auf die Zinspolitik der US-Notenbank aus?Unter Marktbeobachtern und -akteuren sind dies die derzeit am intensivstendiskutierten Fragen nach dem überraschenden Abwertungsmanöver der People’sBank of China (PBOC), der Notenbank des Landes, von letzter Woche.

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Ausklammerung von Preisveränderungen sinddas 4,9 Prozent weniger als vor einem Jahr. DieExporteure haben also für ihre Ausfuhren nichtnur weniger Geld bekommen – auch dieMengen sind gesunken. Nach der Aufhebungdes Euromindestkurses und der folgendenAufwertung des Frankens gegenüber dem Eurohaben die Exporteure vor allem in der EurozoneMühe, mit den Preisen der Wettbewerbermitzuhalten. Allerdings zieht die Nachfrage inden USA an, wo der Wirtschaftsmotor brummtund sich die Währung gegenüber dem Frankenzuletzt sogar verteuert hat. (SDA)

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Was Chinas wirtschaftliche Verfassung betrifft, ist man sich ziemlich einig: Dieoffiziellen Daten – die für das erste und zweite Quartal 2015 ein je 7-prozentigesWachstum ausweisen – entsprechen der Realität bei weitem nicht. Gemäss denmeisten Expertenschätzungen steigert die zweitgrösste Wirtschaft der Welt ihrBruttoinlandprodukt (BIP) aktuell mit einer Jahresrate von 4 bis 6 Prozent. Siestützen sich auf weniger manipulationsanfällige Statistiken im Land wie dieStromproduktion, das von den Eisenbahnen beförderte Frachtvolumen, dieAutoverkäufe oder die Zahl neu begonnener Wohnungsbauten.

Mit Blick auf die Zinswende in den USA sind die Fragezeichen wieder grössergeworden. Das neue Wechselkursregime der PBOC und dessen Ausstrahlungen in dieaufstrebende Welt haben die Märkte verunsichert. Wichtiger noch für dieUS-Notenbank: Die Abwertung des Yuan und der seither noch verstärkte Wertzerfallder Schwellenländer-Währungen wirken kurstreibend auf den Dollar. Dies verschärftdie monetären Rahmenbedingungen in den USA, der Spielraum fürPreissteigerungen wird (noch) kleiner. Die US-Inflationserwartungen an denMärkten sind denn auch auf den tiefsten Stand im bisherigen Jahresverlaufgesunken. Für die nächsten zwei Jahre wird noch mit einer mittleren Teuerung von0,4 Prozent gerechnet, nach über 1 Prozent vor Monatsfrist.

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Notenbank in Erklärungsnot

Vor diesem Hintergrund mehren sich die Zweifel, ob das Federal Reserve bereits ander nächsten Sitzung im September die Leitzinsen erhöhen wird. Womöglich wirddie Jahresteuerung in den USA von aktuell 0,2 Prozent in den nächsten Wochenerneut in den negativen Bereich sinken – wenn ein weiterhin erstarkender Dollar mitweiterhin rückläufigen Ölpreisen einhergeht. In einem solchen Umfeld würde es denWährungshütern schwerfallen, einen Zinsschritt zu begründen. Sie könnten dahergeneigt sein, den Leitzins erst im Dezember anzuheben – wenn mehr Klarheitbesteht, wohin sich der Dollar entwickelt.

Vielleicht lichtet sich bis dann auch der Nebel über China. Sollte das Wachstum dorttatsächlich wesentlich geringer ausfallen als angenommen, hätte das tiefgreifendeglobale Auswirkungen. Leistet doch China seit dem Ende der Finanzkrise 2009/10den weitaus grössten Wachstumsbeitrag für die Weltwirtschaft. Experten bezifferndiesen Anteil auf ein Drittel, während die USA – zuvor lange Zeit die stärksteWachstumslokomotive – noch rund 17 Prozent zum globalen Anstieg derWirtschaftsleistung beisteuern.

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Die Wachstumsschwäche im Reich der Mitte, die etliche Beobachter bereits von einerharten Landung sprechen lässt, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem dieWeltwirtschaft dringend auf belebende Impulse angewiesen ist. Im ersten Halbjahrdürfte das globale BIP lediglich um 2 Prozent zugelegt haben – das geringsteWachstum seit Beginn der Erholungsphase ab Mitte 2009. Die Weltwirtschaftbefindet sich in einem kritischen Zustand: Zuwachsraten unter der 2-Prozent-Markesetzt der Internationale Währungsfonds mit einer globalen Rezession gleich.

Überschuldetes China

Aus Sicht vieler Beobachter gibt denn nicht die jüngste Abwertung des chinesischenYuan an sich Anlass zur Sorge. Auch wenn es beim bisher über 3-prozentigenKursrückgang gegenüber dem Dollar kaum bleiben dürfte. Wirklich beunruhigenmuss vielmehr: Chinas Wirtschaft ist offenbar in einem so misslichen Zustand, dasssie der Hilfe durch eine Abwertung bedarf, um so ihre Exporte anzukurbeln.

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Ein heftigerRückschlag in China könnte der letzte Anstoss sein, um dieWeltwirtschaft endgültig in die Rezession zu befördern. Dabei entpuppt sich dasReich der Mitte zunehmend als Riese auf tönernen Füssen: Dessen exorbitantesWachstum beruhte in der jüngeren Vergangenheit, insbesondere seit derFinanzkrise, in einem bisher nicht gesehenen Ausmass auf Pump. Zwischen 2008und 2013 ist die Schuldenlast des Staats- und Unternehmenssektors laut Zahlen desInvestmentbank Morgan Stanley um happige 80 Prozentpunkte gestiegen, undaktuell beträgt sie gegen 300 Prozent des BIP. Ob staatliche Stellen angesichts einessolch immensen Schuldenbergs und bei gleichzeitig drückenden Überkapazitäten inverschiedenen Industrien mit herkömmlichen Stimulierungsprogrammen nochetwas ausrichten können, ist mehr als fraglich.

Eine globale Schockwelle könnten auch die übrigen Schwellenländer auslösen. IhrBinnenwachstum (ohne Aussenhandel) hat sich im ersten Halbjahr auf weniger als 2Prozent halbiert, wie die Bank J. P. Morgan errechnete. Verantwortlich dafür ist zumeinen der Preiseinbruch bei Rohwaren und Öl; viele aufstrebende Märkte sehen sichdeswegen ihrer Einnahmen beraubt und zu Sparmassnahmen gezwungen. Zumandern müssen diese Länder deutlich geschrumpfte Exporte hinnehmen, weilzentrale Absatzmärkte in Europa und Japan nicht in die Gänge kommen und Chinastark an Schwung verliert. Mit der Yuan-Abwertung hat sich ein weiteres Hindernisin den Weg gestellt.

Neue Asienkrise?

Die aufstrebenden Märkte stossen also mit ihrem bisherigen, primärexportgetriebenen Wachstumsmodell an Grenzen. Sie müssen sich – wie China –einem langwierigen und risikobehafteten Transformationsprozess unterziehen. Dieausländischen Investoren haben daraus ihre Schlüsse gezogen: Seit Mitte 2014verzeichneten die 19 grössten Schwellenländer einen Nettokapitalabfluss von gegen1000 Milliarden Dollar, wie diverse Schätzungen nahelegen. In den fünf Jahrenzuvor waren ihnen netto etwa 2000 Milliarden zugeflossen, weil besagte Länder nachder Finanzkrise bessere Wachstumsaussichten und geringere Schuldenlasten

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aufwiesen als die Industriestaaten.

Die Aussicht auf höhere Zinsen in den USA hat die Kapitalflucht aus deraufstrebenden Welt noch beschleunigt. Fast täglich sinken deren Währungen aufneue Allzeittiefs oder auf seit der Asienkrise von Ende der 90er-Jahre nicht mehrgesehene Niveaus. Ob das sinkende Vertrauen in die Schwellenmärkte – wofür inRussland, Brasilien, Malaysia und der Türkei auch politische Gründe sprechen –erneut in einen eskalierenden Abwärtszyklus mündet wie vor bald 20 Jahren, stehtdahin.

Unbestritten ist hingegen: Der weltwirtschaftliche Pulsschlag bewegt sich aufbesorgniserregend tiefem Stand. Unausgelastete Produktionskapazitäten, weitverbreitete Unterbeschäftigung, erodierende Währungen und abstürzendeRohstoffpreise erzeugen einen permanenten deflationären Druck. Vor allem aber istniemand in Sicht, der die Rolle Chinas einnehmen und für die so dringend benötigteNachfrage sorgen könnte.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 20.08.2015, 23:54 Uhr)

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