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- 145 - ANÄSTHESIE BEI VERSUCHSTIEREN - Dr. Kristianna Becker – 10. Narkose und Schmerzausschaltung bei kleinen Versuchstieren Rechtsvorschriften zur Durchführung von Narkosen an Tieren: 1. Tierschutzgesetz vom 25.05.1998 (§§5,9) 2. Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)vom 01.11.2002 (§§1,2,3,5) 3. Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vom 28.03.2000 (§§ 1,2,4,5) 4. Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) vom 10.08.2001 Um Betäubungsmittel zu wissenschaftlichen Zwecken beziehen zu können, bedarf es einer Er- laubnis des: Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte - Bundesopiumstelle – Friedrich-Ebert-Allee 38, 53113 Bonn! 10.1. Definitionen Narkose: Eine Narkose ist ein durch Zufuhr von Narkosesubstanzen induzierter reversibler Zustand, in dem chirurgische, diagnostische oder therapeutische Eingriffe bei erloschenem Bewusstsein oh- ne Schmerzempfindungen oder Abwehrreaktionen durchführbar sind. Daraus ergeben sich die Hauptanforderungen an eine Narkose: 1. Bewusstseinsverlust 2. Analgesie (Ausschaltung der Schmerzempfindung) 3. Muskelrelaxation 4. vegetative Blockade/ Parasymphatolyse (Ausschaltung von Reaktionen des autonomen Nervensystems) 5. geringe Ausbildung von Nebenwirkungen Anästhesie: "Empfindungslosigkeit" Diese Empfindungslosigkeit muss nicht zwingend mit einem Bewusstseinsverlust verbunden sein. Bspl.: Oberflächen-, Lokal-, Regional-, Allgemeinanästhesie ...

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ANÄSTHESIE BEI VERSUCHSTIEREN

- Dr. Kristianna Becker –

10. Narkose und Schmerzausschaltung bei kleinen Versuchstieren

Rechtsvorschriften zur Durchführung von Narkosen an Tieren:

1. Tierschutzgesetz vom 25.05.1998 (§§5,9)

2. Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)vom 01.11.2002 (§§1,2,3,5)

3. Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vom 28.03.2000 (§§ 1,2,4,5)

4. Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) vom 10.08.2001

Um Betäubungsmittel zu wissenschaftlichen Zwecken beziehen zu können, bedarf es einer Er-

laubnis des:

Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte - Bundesopiumstelle –

Friedrich-Ebert-Allee 38, 53113 Bonn!

10.1. Definitionen

Narkose:

Eine Narkose ist ein durch Zufuhr von Narkosesubstanzen induzierter reversibler Zustand, in

dem chirurgische, diagnostische oder therapeutische Eingriffe bei erloschenem Bewusstsein oh-

ne Schmerzempfindungen oder Abwehrreaktionen durchführbar sind.

Daraus ergeben sich die Hauptanforderungen an eine Narkose:

1. Bewusstseinsverlust

2. Analgesie (Ausschaltung der Schmerzempfindung)

3. Muskelrelaxation

4. vegetative Blockade/ Parasymphatolyse

(Ausschaltung von Reaktionen des autonomen Nervensystems)

5. geringe Ausbildung von Nebenwirkungen

Anästhesie: "Empfindungslosigkeit"

Diese Empfindungslosigkeit muss nicht zwingend mit einem Bewusstseinsverlust verbunden

sein.

Bspl.: Oberflächen-, Lokal-, Regional-, Allgemeinanästhesie ...

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Analgesie: (Aufhebung der zentralen Schmerzempfindung)

Die Analgesie ist i.d.R. nicht mit einem Bewusstseinsverlust verbunden.

10.2. Narkosevorbereitung

Bei der Vorbereitung einer Narkose sind Aspekte zu berücksichtigen, die sowohl das Tier selbst

als auch sein Umfeld betreffen. Eine gut durchdachte Narkosevorbereitung kann das Auftreten

von Komplikationen während der Narkose deutlich reduzieren.

Narkose:

� Auswahl der geeigneten Narkose für den jeweiligen Eingriff:

(kurze ↔ lange Dauer; wenig ↔ stark schmerzhaft; Injektionsnarkose ↔ Inhalationsnarko-

se; Spontanatmung ↔ Beatmung)

� Auswahl der geeigneten Narkosemittel

(Berücksichtigung spezifischer Nebenwirkungen, Wirkung bei der jeweiligen Tierart muss

gesichert sein)

� Prämedikation

bei kleinen Versuchstieren eher unüblich

Umfeld:

� Akklimatisation

(i.d.R. 10-14 Tage, im Einzelfall 6 Monate)

� Handling

� Tageszeit

(Tag/Nacht-Rhythmus vieler Versuchstierarten!)

� Futterentzug

(ist zu vermeiden, da bei kleinen Versuchstieren durch Nüchternsetzen die Gefahr der

Entwicklung einer Hypoglykämie und Azidose besteht, welche zu massiven Problemen

während der Narkose und in der Aufwachphase führen können)

Tier:

� Bestimmung des aktuellen Gewichtes!!!

(sehr wichtig für exakte Dosierung, Verlaufskontrolle)

� Alter, Geschlecht, Art, Stamm

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� Gesundheitszustand

(kurze Überprüfung vor Narkose, um z.B. respiratorische Probleme auszuschließen)

10.3 Applikationsmöglichkeiten einer Narkose

Zur Verabreichung von Narkosesubstanzen stehen unterschiedliche Verfahren zur Verfügung:

Injektion: intramuskulär, intraperitoneal (intravenös, subkutan)

Inhalation: Kammer, Maske, Tubus

Sonstige: oral, rektal, perkutan

10.4 Injektionsnarkose

Zur Injektionsnarkose verwendete Substanzen gehören unterschiedlichen Wirkstoffgruppen an,

die im folgenden kurz dargestellt werden.

Hypnotika = Schlaf herbeiführende Substanzen,

bewirken selbst keine Hemmung der Schmerzempfindung

dosisabhängige Wirkung: Sedation - Hypnose - Narkose - Koma - Tod

Bspl.: Barbiturate (Pentobarbital), Chloralhydrat, Propofol

Analgetika = Schmerzmittel

Aufhebung der Schmerzempfindung auf zentraler Ebene,

keine oder nur geringe sedative Wirkung

Bspl.: Opioide (Morphin, Fentanyl, Dipidolor...), Ketamin

Sedativa = "Beruhigungsmittel"

allgemeine Erregbarkeitsminderung des zentralen Nervensystems

ohne deutliche Herabsetzung lebenswichtiger Funktionen

Bspl.: Benzodiazepine (Diazepam, Midazolam), Phenothiazine

(Acepromazin), α2-Agonisten (Xylazin, Medetomidin)

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Muskelrelaxantien

= Substanzen, die zur Erschlaffung bzw. Lähmung der quergestreiften

Muskulatur führen (künstl. Beatmung erforderlich)

Beachte: Narkoseüberwachung wird fast unmöglich, aus Tierschutzgründen sind

Muskelrelaxantien daher abzulehnen

Bspl.: Curare, Atracurium

Parasymphatolytika

= Substanzen, die einen hemmenden Einfluss auf das parasymphatische

Nervensystem haben, welches durch Narkosemittel selbst (Opioide) oder

durch Manipulationen (Intubation) stimuliert werden kann

Folge einer Stimulation: Bradykardie, Bronchosekretion, Salivation

Bspl.: Atropin, Glykopyrrolat

10.5 Beispiele häufig eingesetzter Substanzen zur Injektionsnarkose

Hypnotika P e n t o b a r b i t a l ( N a r c o r e n © )

Wirkung: s. allgemeine Wirkung Hypnotika

Nebenwirkungen: leichte – mäßige Herzkreislaufdepression, starke Atemdepression,

Herabsetzung der Körpertemperatur

Sonstige: Betäubungsmittelpflichtig!

Kann bei der Ratte zur Mononarkose eingesetzt werden. Bei der Maus ist die Wirkung für

eine Mononarkose zu unzuverlässig.

C h l o r a l h y d r a t , α - C h l o r a l o s e

Wirkung: s. allgemeine Wirkung Hypnotika

Nebenwirkungen: gering ausgeprägt am Herzkreislaufsystem, Atemdepression nur bei

hohen Dosierungen, große Injektionsvolumina, gewebereizend, krampfreiche

Aufwachphasen!aufgrund der Nebenwirkungen nur für Akutversuche einsetzen!

Analgetika O p i o i d e ( z . B . F e n t a n y l )

Wirkung: Analgesie, geringe bis keine sedative Wirkung, tierartspezifisch auch erregende

Wirkung

Nebenwirkungen: Stimulation des parasympathischen Nervensystems, Atemdepression

Sonstige: Betäubungsmittelpflichtig!

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K e t a m i n

Wirkung: "dissoziative Anästhesie", gute Analgesie (v.a. somatisch)

Nebenwirkungen: Halluzinationen, Erhöhung des Muskeltonus, starke Atemdepression

Sonstige: Sekretionssteigerung im Atemtrakt, Steigerung des Speichelflusses

immer nur in Kombinationen mit Sedativa verwenden!

Sedativa α 2 - A d r e n o z e p t o r a g o n i s t e n

( X y l a z i n = R o m p u n © , M e d e t o m i d i n = D o m i t o r © )

Wirkung: sehr gute Sedation und Muskelrelaxation, leichte Analgesie

Nebenwirkungen: Abfall der Herzfrequenz, Blutdrucksenkung, gering bis mittelgradige

Atemdepression, Herabsetzung der Körpertemperatur

Sonstige: Erhöhung des Blutzuckerspiegels (Insulinfreisetzung �),

Verstärkung der Urinausscheidung (ADH-Freisetzung �)

Die Kombination von Ketamin mit Xylazin ist geeignet für sehr viele Versuchstierarten

(s. Tabellen 5.1.1 bis 5.1.4)

B e n z o d i a z e p i n e

( D i a z e p a m = V a l i u m © , M i d a z o l a m = D o r m i c u m © )

Wirkung: Sedation, Anxiolyse, Muskelrelaxation

Nebenwirkungen: Verstärkung der Nebenwirkungen der Kombinationspartner

Sonstige: andere Wirkdauer und –intensität als beim Mensch

Anwendung in Kombinationen mit Benzodiazepinen bei großen Versuchstieren gut mög-

lich

Um den Anforderungen an eine Narkose gerecht zu werden, kombiniert man i.d.R. verschiedene

Substanzen miteinander, da keines der Narkosemittel alleine die Anforderungen an eine Narkose

erfüllen kann. Mit der Kombination unterschiedlicher Substanzen versucht man, Wirkungen zu

maximieren und Nebenwirkungen zu minimieren (z.B. Analgetikum + Sedativum).

Beispiele für mögliche Injektionsnarkosen für kleine Versuchstiere sind in den Tabellen

5.1.1 bis 5.1.4 dargestellt.

10.6. Inhalationsnarkose

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Da eine Intubation bei kleinen Versuchstieren nicht ganz einfach ist, werden Inhalationsnarkosen

oft nur mit sehr einfachen Mitteln durchgeführt, z.B. als Kammer- oder Maskennarkose. Dabei

sind einige grundlegende Maßnahmen zu beachten:

- zur eigenen Sicherheit unter einem Abzug arbeiten !!!

- Tier nicht in direkten Kontakt mit dem flüssigem Inhalationsanästhetikum bringen

- Kammernarkose: nur mit Inhalationsanästhetika mit einer großen therapeutischen Breite

verwenden, da eine exakte Dosierung nicht möglich ist

- Maskennarkose: Gefahr der Ansammlung von Kohlendioxid in der Maske

Beim Einsatz von Inhalationsanästhetika ist zu beachten, dass man immer unter einem Abzug

oder mit einer Gasabsaugung arbeiten sollte, um selbst kein Anästhetikum einzuatmen. Bei dau-

erhafter Exposition haben fast alle Inhalationsanästhetika nicht unerhebliche Nebenwirkungen

(Halothan ist z.B. lebertoxisch).

10.7 Beispiele für Inhalationsanästhetika:

Äther

der Einsatz von Äther wird sehr kontrovers diskutiert

Vorteil: große therapeutische Breite durch langsames An- und Abfluten,

gute Muskeleelaxation, geringe Kreislaufdepression, billig,

in einfachen Apparaturen einsetzbar (Kammer, Open-drop)

Nachteil: starke Atemdepression, starke Schleimhautreizung (Salivation,

Bronchosekretion), Explosionsgefahr

Halothan, Isofluran, Sevofluran

sollten nur über spezielle Verdampfer verabreicht werden, da sonst die Gefahr einer

Überdosierung sehr groß ist (Herz-Kreislauf-Stillstand schon bei 2-4 fachem der

anästhetischen Dosis möglich)

lediglich hypnotische Wirkung

Nebenwirkung überwiegend am Herz-Kreislauf-System (Blutdruckabfall), Atemdepression

Lachgas

im Gegensatz zum Menschen wirkt Lachgas in den üblicherweise möglichen Dosierungen

bei Tieren nicht analgetisch!!

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10.8 Komplikationen während der Narkose

Das Hauptproblem während der Narkose bei kleinen Versuchstieren ist die Entstehung einer

Hypothermie (Auskühlung). Diese ist für >50% der Todesfälle während der Narkose und in der

Aufwachphase verantwortlich. Weitere Komplikationen entstehen durch die Atem- und Herz-

kreislaufdepression sowie durch die Austrocknung (Dehydration) während der Anästhesie.

Atem- und Herzkreislaufdepression

Jede Narkose führt zu einer Deprimierung von Atmung und Kreislauf, wobei i.d.R. das Atem-

zentrum stärker betroffen ist. Meist entwickelt sich eine Atemdepression schleichend und fällt

erst dann auf, wenn es zur Apnoe mit anschließendem Herz-Kreislauf-Stillstand kommt. Vor

allem respiratorisch vorgeschädigte Tiere (z.B. Ratten mit Pasteurellose) reagieren sehr empfind-

lich.

Ursache atemdepressive Wirkung der zur Narkose verwendeten Substanzen

Atemdepression ist erkennbar an:

niedriger Atemfrequenz bei flacher Atmung (<40% des Ausgangswertes), Aus-

bildung einer Cyanose (Augen erscheinen dunkel; Nase, Schwanz bläulich

verfärbt; Blut dunkel)

Prophylaxe und Notfallmaßnahmen:

Sauerstoffzufuhr z.B. über einen Schlauch

manuelle Beatmung: Thoraxkompression (80 - 100X/min),

Schwenken des Tieres um die Horizontale

künstliche Beatmung durch einen auf die Nase aufgesetzten Schlauch/Spritze

Herz-Kreislauf-Stillstand:

Ursachen sind i.d.R. eine Atemdepression oder ein größerer Blutverlust

Bekämpfung der Ursachen! Reanimation und Flüssigkeitssubstitution

Das alleinige Spritzen von Medikamenten in einer Notfallsituation ist meist nicht ausreichend, da

Medikamente bei einem kollabierten Kreislauf erst gar nicht an den Wirkort gelangen!!!

Dehydration

Ursachen: keine Flüssigkeitsaufnahme während der Narkose

Narkosemittel, die die Diurese anregen (z.B. α2-Agonisten)

Verdunstung von Flüssigkeit über eröffnete Körperhöhlen, Blutungen

Folge: Kreislaufprobleme

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Maßnahme: Flüssigkeitssubstitution

z.B. Applikation von körperwarmer physiologischer NaCl-, Ringer- oder

Vollelektrolytlösung in die Bauchhöhle oder auch subkutan

Dosis: 10 - 20 ml/kg KG/h (Ratte 250g: 2,5 - 5ml/h)

Hypothermie

Darunter versteht man den Abfall der Körpertemperatur < 35°C. Dies kann während einer Nar-

kose bei kleinen Versuchstieren sehr schnell eintreten (15-20 min!).

Ursachen: fehlende Muskelaktivität

Lagerung auf kalten Unterlagen, großzügiges Scheren und Desinfizieren

niedrige Umgebungstemperaturen

Narkosemittel (Hemmung der Thermoregulation im Gehirn, periphere

Vasodilatation), z.B. durch Barbiturate oder α2-Agonisten

Eröffnung von Körperhöhlen

Folge: Hauptursache für Todesfälle

Hypoventilation durch verringerte Stoffwechselaktivität → Hypoxämie,

Hyperkapnie, Gewebshypoxie, metabolische Azidose

Blutdruckabfall, Bradykardie,

Temperatur < 30°C: Kammerflimmern, Herzstillstand

Verlangsamung der Metabolisierung →→→→ Verlängerung der Aufwachphase

langfristig: Wundheilungsstörungen

Maßnahmen: regelmäßige Temperaturkontrolle während der Narkose

Lagerung auf warmen Unterlagen, minimales Scheren und Desinfizieren

zusätzliche Wärmeapplikation: Einwickeln in Alufolie oder in genoppte

Plastikfolie, Heizkissen, Wärmelampen (Gefahr der Überhitzung beachten)

Kurznarkosen für kurze Eingriffe, antagonisierbare Narkosen

10.9. Aufwachphase

Das Tier sollte in einer ruhigen, evt. abgedunkelten Umgebung erwachen. Die Einstreu wird mit

Zellstoff o.ä. abgedeckt, damit Einstreupartikel die Atemwege nicht verlegen können. Die Lage-

rung sollte so erfolgen, dass Verletzungen vermieden werden. Narkotisierte Tiere dürfen nicht zu

wachen Artgenossen gesetzt werden, erst nach vollständigem Erwachen ist ein Zurücksetzen in

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die Gruppe möglich. Es kann hilfreich sein, abgezähltes und/oder angefeuchtetes Futter direkt in

den Käfig zu geben, um die Futteraufnahme zu erleichtern bzw. besser kontrollieren zu können.

In regelmäßigen Abständen ist das Tier zu überwachen, hierbei ist insbesondere auf folgende

Parameter zu achten:

Atmung: regelmäßig, tief

Kreislauf: Farbe der sichtbaren Schleimhäute, Venenfüllung, Puls (Nachblutungen)

Temperatur: Auskühlung vermeiden, evt. zusätzliche Wärmeapplikation

Schon während der Narkose aber spätestens in der Aufwachphase sollte mit einer adäquaten

Schmerztherapie begonnen werden.

10.10. Narkoseüberwachung

Das Tier sollte nach Applikation der Anästhetika in einer ruhigen, gewohnten Umgebung (eige-

ner Käfig) einschlafen können.. Das Tier muss regelmäßig kontrolliert werden, ohne es dabei zu

stören oder aufzuwecken.

Wenn das anästhesierte Tier einen vollständig relaxierten Eindruck macht, kann es aus seinem

Käfig herausgenommen und die Narkosetiefe überprüft werden.

Ausfall vonReflexen während der Einschlafphase

unkoordinierte Bewegungen

Ausfall des Klammerreflexes

Hinterkörper in Seitenlage

Auflegen des Kopfes

Ausfall des Umdrehreflexes

Überprüfung der Narkosetiefe

Umdrehreflex sollte nicht mehr vorhanden sein

Lidreflex sollte gerade eben verschwunden sein

Cornealreflex sollte noch gering vorhanden sein

Pupillen-Licht-Reaktion muss noch vorhanden sein, ansonsten gefährlich tiefe Narkose

Zwischenzehenreflex Hinweis auf die Ausbildung der Analgesie während der Narkose

darf für schmerzhafte Eingriffe nicht mehr vorhanden sein

Ausfall mitzunehmender Narkosetiefe

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Exophthalmus bei der Ratte Hinweis auf sehr tiefes Narkosestadium

Atmung, Kreislauf Frequenzänderungen beachten

Überwachung der Narkose

Atmung Erhöhung der Frequenz: Narkose zu flach, Tier wird wach

Erniedrigung der Frequenz, Atmung flach: Narkose sehr tief

Kreislauf Herzfrequenz erhöht: Narkose zu flach oder zu tief, Kreislauf-

probleme z.B. aufgrund eines größeren Blutverlustes (Schock)

Herzfrequenz erniedrigt: Einfluss von Narkosemitteln

Temperaturkontrolle sehr, sehr wichtig, da aufgrund von Hypothermie die meisten

Todesfälle während und nach einer Narkose auftreten

weiterführende Maßnahmen:

EKG, Blutdruckmessung, Pulsoximetrie u.a.

aber: Geräte aus der Humanmedizin sind oft überfordert mit den

hohen Frequenzen der kleinen Versuchstieren

10.11 Einteilung der Narkosestadien nach Guedel

Anhand der erhobenen Befunde kann eine Einteilung der Narkose in unterschiedliche Stadien

erfolgen. Ein grundlegendes Schema hierzu hat Guedel 1920 aufgrund der bei einer Inhalations-

anästhesie mit Äther auftretenden klinischen Zeichen erarbeitet. Dieses Schema kann mit gewis-

sen Einschränkungen auch auf Injektionsnarkosen bei Versuchstieren übertragen werden (z.B.

Ketamin: einige Schutzreflexe können länger erhalten bleiben).

Stadium I Stadium der Amnesie und Analgesie

Beginn: Zufuhr des Anästhetikums

Ende: Erlöschen des Bewusstseins

Schmerzempfinden nimmt langsam ab

Stadium II Exzitationsstadium

Beginn: Erlöschen des Bewusstseins

Ende: Beginn des Toleranzstadiums

Erregung, unwillkürliche Muskelzuckungen, starke Reaktionen

auf äußere Reize (z.B. laute Geräusche), Würgen, Erbrechen,

Kot-, Urinabsatz

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Dieses Stadium ist besonders unerwünscht und sollte so rasch

wie möglich durchlaufen werden

Stadium III Toleranzstadium

Beginn: Ende des Exzitationsstadiums

Ende: Aufhören der Spontanatmung

wird nochmals in Unterstadien unterteilt, in der mit zunehmender

Tiefe auch Operationen steigender Schmerzintensität möglich

sind Atmung wird regelmäßiger als im Exzitationsstadium

kein Lid- und Cornealreflex mehr

Muskeltonus ist stark vermindert

Stadium IV Stadium der Vergiftung

Beginn: Stillstand der Atmung

Ende: Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems

Pupillen sind maximal weit und reagieren nicht auf Licht

Abb. : Einteilung der Narkosestadien nach Guedel

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10.12. Beispiele für mögliche Injektionsnarkosen bei kleinen Versuchstieren

Tabelle 10.1: Injektionsnarkose Ratte - Beispiele

Narkose Dosis + Applikationsart Chirurg. Toleranz Schlafdauer Nebenwirkungen Sonstige Bemerkungen

Pentobarbital 40 - 60 mg/kg KG

intraperitoneal

variabel,

bis 45 min

120 - 240 min ausgeprägte Atemdepression

mäßige Kreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

als Nembutal nicht mehr auf dem

Markt, nur noch als Narcoren

(beachte: höhere Konzentration)

Ketamin + Xylazin 100 mg/kg KG Ketamin +

2,5 - 5 mg/kg KG Xylazin

in einer Spritze mischen

intramuskulär, intraperitoneal

ca. 30 min 120 - 240 min deutliche Atemdepression

mäßige Herzkreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

forcierte Diurese

bei intramuskulärer Injektion auf

Volumen achten

Nachinjektion: 1/3 der Ketamin-

menge intramuskulär

Ketamin +

Medetomidin

100 mg/kg KG Ketamin +

0,2 mg/kg KG Medetomidin

in einer Spritze mischen

intramuskulär

ca. 120 min 240 - 300 min,

bei Hypothermie deut-

lich länger

ausgeprägte Atemdepression

ausgeprägte Kreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

forcierte Diurese

sehr rascher Wirkungseintritt

sehr tiefe Narkose, sorgfältige Über-

wachung auch während der Aufwach-

phase notwendig

Nachinjektion: 1/3 der Ketamin-

menge intramuskulär

Vollständig

antagonisierbare

Anästhesie

150 µg/kg KG Medetomidin

(Domitor©)+

2 mg/kg KG Midazolam

(Dormicum© 15/3) +

5 µg/kg KG Fentanyl

(Fentanyl-Janssen)

in einer Spritze mischen

intramuskulär

Eintritt nach

5 - 10 min

ca. 60 min

variabel, da vollständi-

ge Antagonisierung der

Narkose möglich

mittelgradige Atemdepression

mäßige Kreislaufdepression

Hypothermie

forcierte Diurese

Antagonisierung:

Atipamezol (Antisedan©)

750 µg/kg KG +

Flumazenil (Anexate©)

0,2 mg/kg KG +

Naloxon (Narcanti©)

120 µg/kg KG

in einer Spritze mischen, subkutan

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Tabelle 10.2: Injektionsnarkose Meerschweinchen - Beispiele

Narkose Dosis + Applikationsart Chirurg. Toleranz Schlafdauer Nebenwirkungen Sonstige Bemerkungen

Ketamin + Xylazin 40 mg/kg KG Ketamin +

5 mg/kg KG Xylazin

in einer Spritze mischen

intraperitoneal

30 min 90 - 120 min deutliche Atemdepression

mäßige Herzkreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

forcierte Diurese

individuell Analgesie nicht ausrei-

chend für größere chirurgische Eingrif-

fe

Vollständig

antagonisierbare

Anästhesie

200 µg/kg KG Medetomidin +

1 mg/kg KG Midazolam +

25 µg/kg KG Fentanyl

in einer Spritze mischen

intraperitoneal

Eintritt nach 15 min

ca. 30 min

variabel, da vollständi-

ge Antagonisierung der

Narkose möglich

Antagonisierung:

Atipamezol 1 mg/kg KG +

Flumazenil 0,1 mg/kg KG +

Naloxon 300 µg/kg KG

in einer Spritze mischen, subkutan

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Tabelle 10.3: Injektionsnarkose Maus – Beispiele

Beachte: Die verschiedenen Mäusestämme bzw. –linien reagieren sehr unterschiedlich auf Narkosen. Daher ist es notwendig, die Dosierungen gegebenenfalls nach oben oder nach unten

zu korrigieren.

Narkose Dosis + Applikationsart Chirurg. Toleranz Schlafdauer Nebenwirkungen Sonstige Bemerkungen

Ketamin + Xylazin 120 mg/kg KG Ketamin +

16 mg/kg KG Xylazin

auf 10ml verdünnen, Dosis:

10 ml/kg = 0,1ml/10g

intraperitoneal

ca. 20 - 30 min ca. 60 - 120 min

abhängig von

Körpertemperatur

deutliche Atemdepression

mäßige Herzkreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

forcierte Diurese

oft nicht ausreichend für größere chi-

rurgische Eingriffe

Ketamin + Xylazin +

Acepromazin

65 mg/kg KG Ketamin

13 mg/kg KG Xylazin

2 mg/kg KG Acepromazin

intraperitoneal

ca. 15 - 30 min ca. 60 – 120 min

abhängig von

Körpertemperatur

deutliche Atemdepression

mäßige Herzkreislaufdepression

zentral bewirkte Hypothermie

forcierte Diurese

Wirkung

Pentobarbital 40 - 50 mg/kg KG

intraperitoneal

sehr unterschiedlich 50 - 250 min Wirkungsintensität und - dauer sehr

stark abhängig vom Stamm

Über - und Unterdosierungen leicht

möglich

Vollständig

antagonisierbare

Anästhesie

500 µg/kg KG Medetomidin +

5 mg/kg KG Midazolam +

50 µg/kg KG Fentanyl

in einer Spritze mischen

intraperitoneal

Eintritt nach 10 - 20

min

ca. 75 min

(mit Wärme)

ca. 180 min

(ohne Wärme)

variabel, da vollständi-

ge Antagonisierung der

Narkose möglich

Antagonisierung:

Atipamezol 750 µg/kg KG +

Flumazenil 0,5 mg/kg KG +

Naloxon 1200 µg/kg KG

zusammen in einer Spritze mischen,

subkutan applizieren

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Tabelle 10..4: Injektionsnarkose Kaninchen - Beispiele

Narkose Dosis + Applikationsart Chirurg. Toleranz Schlafdauer Nebenwirkungen Sonstige Bemerkungen

Ketamin + Xylazin 40 - 50 mg/kg KG Ketamin +

4 - 6 mg/kg KG Xylazin

in einer Spritze mischen

intramuskulär

ca. 40 - 60 min Stehvermögen nach ca.

120 min

deutliche Atemdepression,

Apnoephasen möglich

starker Blutdruckabfall

forcierte Diurese

Intubation nicht immer möglich

unbefriedigende Analgesie

Nachdosierung intravenös

mit 1/3 der Initialdosis

Propofol 6 - 12 mg/kg KG

intravenös

nach einmaliger Injek-

tion ca. 10 min

schnelle Anflutung, keine Kumulation,

Intubation nur schwer möglich

Vollständig

antagonisierbare

Anästhesie

200 µg/kg KG Medetomidin +

1 mg/kg KG Midazolam +

20 µg/kg KG Fentanyl

in einer Spritze mischen

intramuskulär

sehr rasch variabel, da vollständi-

ge Antagonisierung der

Narkose möglich, ohne

Antagonisierung ca.

140 min

starke Atemdepression

Apnoephasen möglich

Antagonisierung:

Atipamezol 1 mg/kg KG +

Flumazenil 0,1 mg/kg KG +

Naloxon 300 µg/kg KG

in einer Spritze mischen, subkutan

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Anästhesie bei Versuchstieren Dr. med. vet. Kristianna Becker

- 160 -

10.13. Literaturliste Anästhesie bei Versuchstieren

P. Flecknell:

Laboratory Animal Anaesthesia.

A practical introduction for research workers and technicians.

Academic Press London, 1996, 2. ed.

D.F. Kohn, S.K. Wixson, W.J. White, G.J. Benson (eds.):

Anesthesia and analgesia in laboratory animals.

Academic Press San Diego, 1997

W. Erhardt, J. Henke, T. Brill:

Anästhesie beim Versuchstier (Säuger).

in: H.P. Scheuber (Hrsg.): Handbuch über Möglichkeiten und Methoden zur Verbesse-

rung, Verminderung und Vermeidung von Tierversuchen.

Thomas Denner Verlag München, Stand Nov. 1996

W. Erhardt:

Anästhesie beim Tier. Perioperative Überwachung. Postoperative Versorgung.

in: L. Kronberger (Hrsg.): Experimentelle Chirurgie.

Ferdinand Enke Verlag Stuttgart, 1992

A.P.M.G. Bertens, L.H.D.J. Booij, P.A. Flecknell, E. Lagerweij:

Anästhesie, Analgesie und Euthanasie.

in: L.F.M. van Zutphen, F. Baumans, A.C. Beynen (Hrsg.): Grundlagen der Ver-

suchstierkunde.

Gustav Fischer Verlag Stuttgart, 1995.

C.J. Green:

Animal Anaesthesia.

Laboratory animal handbooks 8

Laboratory Animals Ltd London, 1979

W. Küpper:

Schmerzausschaltung in der experimentellen Chirurgie bei Hund, Katze, Schwein, Schaf.

Schriftenreihe Versuchstierkunde 11

Paul Parey Berlin, 1984

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Anästhesie bei Versuchstieren Dr. med. vet. Kristianna Becker

- 161 -

K. Gärtner, K. Militzer:

Zur Bewertung von Schmerzen, Leiden und Schäden bei Versuchstieren.

Schriftenreihe Versuchstierkunde 14

Paul Parey Berlin, 1993

Schweizer Gesellschaft für Versuchstierkunde:

Tagungsbericht der SGV-Fortbildungstagung 25./26.11.1997: Anästhesie und

Analgesie.

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10.14. Belastungsmerkmale/Reaktionen auf Schmerzen bei kleinen Versuchstieren

Beispiele für Reaktionen ausgewählter Versuchstierspezies auf akute und chronische Schmerzen, Leiden und Schäden[nach K. Gärtner, H. Militzer (1993) Zur Bewertung von Schmerzen, Leiden und Schäden bei Versuchstieren; Schriftenreihe Versuchstierkunde, Paul Parey Verlag, Berlin]

MERKMAL MAUS RATTE MEERSCHWEINCHEN KANINCHEN HAMSTER

ALLGEMEIN Abwehrreaktionen erhöhtBeißengesträubtes Fellgekrümmter RückenBauch schlaff oder aufgezo-genDehydrationGewichtsverlust

Lautäußerungaggressiv oder Rückzugsver-haltenSelbstschädigungGewichtsverlustgesträubtes Haarkleidgekrümmte HaltungHypothermie

Lautäußerungwiderstandsloses Stillhalten nach dem Erfassengesträubtes FellTeilnahmslosigkeit

TeilnahmslosigkeitHockhaltungfrisst oder trinkt nichtbei Berührung durchdringende Schmerzlaute

Gewichtsverlustgesteigerte AggressivitätDepressionstark veränderte Schlafzeiten

AUGEN Lider weit offen, halb oder ganz geschlossenAugen eingesunkenTränenfluss

Lider halb oder ganz ge-schlossenAugen eingesunkenTränenflussevt. ″Brillenauge“

Augen eingesunkenTränenfluss

Tränenfluss mit Hervortreten der NickhautLichtscheue

SchwellungBindehautentzündungVerklebungenTränenfluss schon bei abakte-rieller Reizung

ATMUNG Atemfrequenz hochangestrengtes AtmenAtemgeräuscheNasenausfluss

Atemfrequenz hochRasselgeräuscheNasenausfluss

Atemfrequenz hochtrotz langanhaltender Bewe-gungslosigkeit bei schmerz-haften oder belastenden Rei-zenRasselgeräuscheNasenausfluss

Atemfrequenz hochschleimig-eitrigerNasenausfluss

Atemfrequenz hochextreme Atembewegungen

AUSSEHEN Fell gesträubtGewichtsverlustDehydrationFlanken eingezogen(=Darm leer)Kotflecken, schmutzigkalte Körperoberfläche

Fell gesträubtGewichtsverlustDehydrationDeckhaare struppigbleiche oder gelbe Haut-falbeungeputztes Aussehen

Gewichtsverlustunsymmetrischer, regional nicht begrenzter Haarausfallschuppige HautDehydration

Erkrankungen am Aussehen nur schwierig zu erkennen!Sorgfältige Untersuchung auf Gewichtsverlust (Rücken-muskulatur)DehydrationKotflecken auf Fell

Haut physiologisch schon mit stark verschiebbarer Unter-haut; Schwellung oder De-hydration schwierig festzu-stellen

DEFÄKATIONURINIEREN

Frequenz kann erhöht oder reduziert sein

Wenig deutlich bei anhalten-den Schmerzen oder LeidenObstipation oder Diarrhöe möglich

Diarrhöehäufigeres Urinieren bei Bla-sen- oder Niereninfektionen

Rhythmus der Weichkotpro-duktion verändertObstipation oder Diarrhöe

Kotbefleckte Perianalregio-nen, ”nasser Schwanz“; Hin-weis auf Diarrhöe

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Anästhesie bei Versuchstieren Dr. med. vet. Kristianna Becker

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MERKMAL MAUS RATTE MEERSCHWEINCHEN KANINCHEN HAMSTER

VERHALTEN Rückzugsverhalten, aber auch Aggressivität, vermehrte Neigung zum Beißenspäter teilnahmslos,Isolierung von der Gruppe

Anfänglich erhöhte Aufmerk-samkeit, aggressive Reaktio-nen und Tendenz zum Beißen bei Berührung,später Teilnahmslosigkeit, Rückzugverhalten

Typisches Ausweichverhalten anfänglich gesteigert, später Verschwinden des Ausweich-verhaltens bis zur Teilnahms-losigkeit

Zunehmender Rückgang aller umweltbezogenen Reaktio-nen,Abwendung vom LichtExplorationsverhalten gestört

Zunehmende Aggressivität beim Berührenreduziertes Verhalten trotz deutlicher Außenreize

ANORMALE AKTI-VITÄT

Abwehrverhalten erhöhtAutomutilationBeißen in schmerzende Kör-perteilenWälzen bei starken Bauch-schmerzen

Schlaf-/ Wach-/ Fressrhyth-mus zunehmend gestörtreduziertes Explorationsver-haltenRückzug oder Aggressivität gegenüber Mensch/ArtgenossenAutomutilation

Speichelabsonderung bei überlangen ZähnenBenagen des eigenen oder fremden Fells bei Schmerzen im Gastrointestinaltrakt

Keine Futter- und/oder Was-seraufnahme

Schlafzeiten während des Tages verändertzunehmende Trägheit bei Berührung, eingeschränktes Explorationsverhalten

HALTUNG Aufgekrümmter Rückenhäufig von Lichtquellen ab-gewandete Haltung

Liegedauer verlängertRücken aufgekrümmt mit Kopf in der Bauchgegend

Aufgezogener Bauch und/oder gewölbter Rücken bei Schmerzen in der Bauchhöhle

Verlagerung des Körperge-wichtes nach vorn oder hinten bei wunden Pfoten bei Bauch-schmerzenungewohntes Strecken des Körpers, Kopfschiefhaltung

Zusammengerollte Lagezögernde und eingeschränkte Bewegungen bei Erkrankung der Bauchorgane

FORTBEWEGUNG Vorsichtigerunvollständiger Bewegungs-ablaufunsicherer Gang

Gehemmte Fortbewegung, Lahmheit oder vorsichtiger Gang

Lahmheit, vorsichtiger Gang, Nachschleifen des Hinterkör-pers bei Schwäche

Lähmungen nach Verletzun-gen der Wirbelsäule (durch unsachgemäßes Handling)

Gehemmte Fortbewegung

LAUTÄUSSERUNG Hochfrequente Quieklaute bei Ergreifen,Abnahme bei zunehmender Schwäche

Hochfrequente Laute bei akuten Schmerzen, besonders bei Berührung,später Rückgang der Schmerzlaute auch bei anhal-tenden Schmerzen

Lautäußerungen gehören zum normalen Verhaltensrepertoire gesunder Meerschweinchen,Reduktion bei Schmerzen und Leiden

Unter Normalbedingungen kaum Lautäußerungenbei plötzlichen Schmerzen für kurze Zeit schrille Laut- äuße-rungen

Evt. Quieklaute

SONSTIGES Abkühlung der Körperober-fläche bei zunehmender Ver-schlechterung

Abkühlung der Körperober-fläche als Hinweis auf wesent-liche Zustandsverschlechte-rung

AbkühlungGewichtsverlustreduzierter Muskeltonus

Belastungen nur sehr schwer zu erkennen, da schmerzhafte Zustände oft ohne auffällige Reaktionen hingenommen werden

Abkühlung, Gewichtsverlust, nasser Schwanz, Diarrhöe, Schwellungen oder Ulzera an Lippen und Pfoten

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Anästhesie bei Versuchstieren Dr. med. vet. Kristianna Becker

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10.15. Möglichkeiten der Schmerzausschaltung im Wachzustand

modifiziert nach:1. Grundlagen der Versuchstierkunde, Hrsg.: van Zutphen, Baumans, Beynen, Gustav Fischer Verlag 19952. Pain Management in Animals, Hrsg.: Flecknell u. Waterman-Pearson, WB Saunders, London 20003. K. Otto: Schmerztherapie bei Klein-, Heim- und Versuchstieren. Parey Buchverlag, Berlin 20014. GV-SOLAS, Ausschuss für Anästhesie und Analgesie: Schmerztherapie bei Versuchstieren

Analgetikum Maus Ratte Meerschweinchen Kaninchen

Nichtsteroidale Antiphlogistika

Azetylsalicylsäure(Aspirin)

120 mg/kg p.o.alle 4 h

100 mg/kg p.o.alle 4 h

85 mg/kg p.o.alle 4 h

100 mg/kg p.o.alle 4 h

Carprofen(Rimadyl)*

5 mg/kg s.c., p.o.alle 12 h

5 mg/kg s.c., p.o.alle 12 h

5 mg/kg s.c.alle 12 h

4 mg/kg IV, s.c.1,5 mg/kg p.o.alle 12 h

Diclofenac 14-100 mg/kg p.o.?

k.A. k.A. k.A.

Flunixin(Finadyne)

2,5 mg/kg s.c.alle 12 h

2,5 mg/kg s.c.alle 12 h

k.A. 1 mg/kg s.c.alle 12 h

Metamizol (Novalgin)

k.A. 200 mg/kg s.c.alle 6 h

k.A. k.A.

Phenacetin 200 mg/kg p.o.alle 4 h

100 mg/kg p.o.alle 4 h

k.A. k.A.

Phenylbutazon 31-250 mg/KG i.p. k.A. k.A.

Opioide

Buprenorphin(Temgesic)*

0,05-0,1 mg/kgs.c.alle 6-8 h

0,01-0,03 mg/kgs.c ./i.v.0,1-0,25 mg/kg p.o.alle 6-12 h

0,05 mg/kg s.c.alle 6-12 h

0,01-0,05 mg/kg p.o.alle 6-12 h

Butorphanol(Stadol)

1-2 mg/kg s.c.alle 4 h

0,051-2 mg/kg s.c.alle 2-4 h

k.A. 0,1-0,5 mg/kg i.v., s.c.alle 4 h

Morphin 10 mg/kg s.c.alle 2-4 h

2,5 mg/kg s.c.alle 2-4 h

2,5-10 mg/kg s.c.alle 4 h

2,5 mg/kg s.c.alle 2-4 h

Nalbuphin(Nubain)

4-8 mg/kg s.c.alle 4 h

1-2 mg/kg s.c.alle 3 h

k.A. 1-2 mg/kg i.v.alle 4-5h

Pentazocin(Fortral)

10 mg/kg s.c.alle 3-4 h

10 mg/kg s.c.alle 4 h

k.A. 5 mg/kg i.v.alle 2-4 h10-20 mg/kg s.c.alle 4 h

Pethidin 10-20mg/kg s.c.alle 2-3 h

10-20 mg/kg s.c.alle 2-3h

k.A. k.A.

k.A. = keine Angaben

* = nur diese beiden Analgetika werden momentan als sehr gut wirksam eingeschätzt