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Anlagendynamik, Belastungen und Entwurfanforderungen von Offshore-Windenergieanlagen und deren Tragstruktur

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Die Auslegung der Tragstrukturen von Offshore-Windenergieanlagen stellt eine neue undanspruchsvolle technische und wirtschaftliche Herausforderung dar. Der vorliegendeÜbersichtsartikel präsentiert in kompakter Form einige wesentliche Aspekte der Eigen-schaften von Offshore-WEA, deren Lastannahmen, Berechnungsverfahren und Richt-linien. Beispiele teils fiktiver, teils realer Offshore-Windenergieanlagen von 1,5 bis 5 MWLeistung werden zur Veranschaulichung der Bedeutung einer die Maschine und dieTragstruktur umfassenden integrierten Betrachtung, des Einflusses der lokalen Standort-bedingungen und von Besonderheiten in der Berechnung von Extrem- sowie Betriebs-festigkeitsbelastungen verwendet. Abschließend wird ein Ausblick auf weitere Entwick-lungen gegeben.

Overall dynamics, load and design assumptions of offshore wind turbines and theirsupport structures. The paper presents a brief overview on the main design considera-tions, design approaches and design guidelines for support structures of offshore windturbines with particular emphasis on the effects of structural dynamics, machinery (rotor-nacelle assembly) and wind and wave induced response. Examples from differentoffshore wind turbines ranging from 1.5 to 5 MW, partly fictitious partly actually built,illustrate the rapid development of this new application that has to consider the some-times distinctly different experiences in the onshore wind energy and the offshore oiland gas communities.

2 Aufbau und Eigenschaften vonOffshore-Windenergieanlagen

2.1 Maschine

Innerhalb der letzten 10 Jahre habensich drehzahlvariable Anlagen mitBlattwinkelverstellung (Pitch) durch-gesetzt [3], deren typisches Betriebs-verhalten in Abhängigkeit von derWindgeschwindigkeit Bild 2 zeigt.

Bei ausreichendem Wind gehtdie Anlage vom Trudeln in den Pro-duktionsbetrieb über. Nach Erreichender Nennwindgeschwindigkeit wird imVolllastbereich durch Vergrößerungdes Blattanstellwinkels (Pitchwinkel)die Leistung begrenzt und der Schubreduziert. Jenseits der Abschaltge-schwindigkeit trudelt die Anlage wie-der mit großem Blattwinkel, der soge-nannten Fahnenstellung. Neben demPitchwinkel ist auch die Drehzahl va-riabel. Zunächst steigt die Drehzahlbis kurz vor Erreichen der Nennwind-geschwindigkeit linear an. Oberhalbder Nennwindgeschwindigkeit pen-

Martin KühnKimon Argyriadis

Anlagendynamik, Belastungen und Entwurf-anforderungen von Offshore-Windenergieanlagen und deren Tragstruktur

1 Einleitung

Beim Entwurf der Tragstrukturen vonOffshore-Windenergieanlagen (OWEA)ist die Wirkung der verschiedenstenUmweltbedingungen zu berücksichti-gen (Bild 1). Außerdem ist ein Kom-promiss zwischen den teilweise ge-gensätzlichen Anforderungen und Ver-fahren aus den Bereichen der Wind-energienutzung und der Offshore-industrie erforderlich. Um die hohenKosten zu reduzieren, muss die Aus-legung der gesamten Konstruktionhinsichtlich des speziellen Typs derWindenergieanlage, der Umweltbe-dingungen am Standort, einer Serien-fertigung und der Besonderheiten derOffshore-Windenergie optimiert wer-den. Die dynamischen Eigenschaftensowohl der Maschine (Rotor-Gondel-Einheit) als auch derTragstruktur sindin diesem Zusammenhang besonderswichtig.

Der Artikel eröffnet einen Ein-blick in diese Problematik; für weiter-gehende Studien wird auf die Quellen[1], [2] und deren umfangreiche Lite-raturangaben verwiesen.

DOI: 10.1002/stab.200710063

Bild 1. Umwelteinflüsse auf Offshore-WindenergieanlagenFig. 1. Environmental impact on offshore wind turbines

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Fachthemen

© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 76 (2007), Heft 9

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delt die Drehzahl dann noch um ca.± 10 %, um in Arbeitsteilung mit derPitchverstellung die Böigkeit des Win-des auszuregeln.

Die derzeitige Weiterentwick-lung von Anlagen zielt auf ein weite-res Größenwachstum und daneben aufkonsequenten Leichtbau aller Kom-ponenten sowie intelligente Regelungs-und Überwachungsverfahren. Wäh-rend traditionell im Normalbetrieballe drei Blätter synchron und nur imVolllastbereich verstellt werden, setzennun bereits erste Anlagen eine Einzel-blattverstellung („individual pitch“) zurReduktion der Belastungen aus lokalenBöen ein. Zukünftige Offshore-WEAwerden aerodynamisch und hydrody-namisch induzierte Belastungen durchavancierte Regelung verringern [4].

2.2 Tragstrukturkonzepte

Der deutlichste Unterschied zwischenWindenergieanlagen auf See und anLand zeigt sich in der Tragstruktur,d. h. der Einheit aus Turm, Unter-struktur und Gründung. Bild 3 zeigtgebräuchliche Varianten und derenBezeichnungen.

Derzeit werden in den Meeres-grund gerammte oder in Ausnahmefäl-len auch gebohrte und anschließendmit Mörtel verpresste Monopiles ausStahl bevorzugt. Ihre Wirtschaftlichkeitbeim Einsatz für die 2-3-MW-Klasse inWassertiefen bis zu ca. 25 m und für 3-5-MW-Anlagen in Tiefen bis zu etwa15 m macht sie besonders attraktiv. Fürgrößere Wassertiefen werden aufgelösteStrukturen, d. h. Tripod, Quadropododer Fachwerk („jacket“), erforderlich.Erste Prototypinstallationen auf Seebzw. an Land sind vielversprechend,verdeutlichen aber auch die hohen Ko-sten und die völlig neuen Anforderun-gen bei Entwurf, Fertigung und Mon-tage [5]. Schwerkraftgründungen („gra-vity based foundations“) sind bisher nurin flachen dänischen Gewässern er-probt worden, wo die Belastung durchEisgang hoch ist und besondere, einRammen erschwerende Bedingungenvorliegen. Hinsichtlich der gutmütigendynamischen Eigenschaften, des ver-gleichsweise preiswerten Materials undder Möglichkeit einer schwimmendenInstallation können derartige Funda-mente jedoch auch für größere Wasser-tiefen interessant sein.

3 Lastannahmen3.1 Umgebungsbedingungen

Die dimensionierenden Belastungenvon OWEA resultieren aus Wind und

Wellen sowie an besonderen Stand-orten aus Eisgang. Strömungen erzeu-gen im Allgemeinen relativ geringezusätzliche statische Belastungen. IhrEinfluss auf die Wellensteilheit unddie Belastungen im Wellenkamm ho-her Entwurfswellen kann jedoch er-heblich sein. Durch Gezeiten undWindstau erzeugte Wasserstandsän-derungen, der maritime Bewuchs,veränderliche Bodenbedingungen ein-schließlich Kolkbildung bzw. globalerErosion verändern ebenfalls die Bela-stungen. Generell ist es offshore vielschwieriger, verlässliche Daten zurBeschaffenheit und zum Verhalten desBodens zu erhalten.

Hinsichtlich Sicherheit undWirtschaftlichkeit ist ein standortspe-zifischer Entwurf der Tragstruktur er-forderlich,während die Maschine weit-gehend nach standardisierten Um-gebungsbedingungen (Typenklassen)ausgelegt wird. Dieses pragmatischeVerfahren bedingt jedoch mindestenseine Überprüfung der Kompatibilitätvon endgültigerTragstruktur, Maschineund lokal im Windpark variierendenStandortbedingungen im Rahmen desZertifizierungsprozesses. Bild 4 zeigtbeispielhaft für sieben OWEA mit1,5 MW im Windpark Utgrunden dieVariation der ersten Biegeeigenfre-quenz aufgrund unterschiedlicherWassertiefen und angenommener Bo-deneigenschaften sowie einen Ver-

Bild 2. Betriebsbereiche und Regelungeiner drehzahlvariablen Anlage mitPitchregelungFig. 2. Operational modes and controlof a variable-speed, pitch-controlledwind turbine

Bild 3. Tragstrukturtypen und deren Terminologie [12]Fig. 3. Support structure types and their terminology

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gleich mit den tatsächlich gemesse-nen Werten [6]. Der Einfluss auf dieBelastungen kann erheblich sein.Eine Analyse für den niederländi-schen Windpark Q7 ergab, dass durchdie Variation der Umgebungsbedin-gungen im Windpark die Belastungenam Fuß der Tragstruktur der sechzig2-MW-Anlagen sich um bis zu 30 %unterscheiden.

3.2 Anlagendynamik

Die Bedeutung des dynamischen Ver-haltens der Maschine für deren Ausle-gung ist einsichtig, es ist jedoch nahezu

ebenso wichtig bei der Bemessung derTragstruktur. Die Aerodynamik hängtnichtlinear vom turbulenten Wind, vonStrukturschwingungen sowie vonDrehzahl- und Blattregelung ab.

Während des Produktionsbetrie-bes tritt eine so genannte aerodyna-mische Dämpfung von durch Windund/oder Wellen induzierten Turm-kopf- und Blattschwingungen in Ro-torachsrichtung auf. Bild 5 oben zeigtzunächst die aus vektoriellerAdditionvon Umfangsgeschwindigkeit undWindgeschwindigkeit v2 resultierendeAnströmung an einem Blattquer-schnitt. Wirkt nun wie im Bild 5 unten

eine zusätzliche Strukturgeschwindig-keit Dv2 entgegen der Windgeschwin-digkeit v2, erhöht sich der Anstellwin-kel aA und damit der Auftrieb. Ent-scheidend ist dabei die zur StörungDv2 entgegengesetzt orientierte Auf-triebsänderung DdA, die somit dämp-fend wirkt. Insbesondere im Teillast-bereich kann die aerodynamischeDämpfung 3 bis 5 % der kritischenDämpfung, also ein Vielfaches derStrukturdämpfung, betragen. Bei Voll-last hängt der Effekt stark vom Regel-algorithmus ab.

Die Gesamtdynamik wird vonden Eigenfrequenzen und der Steifig-keitsverteilung der Tragstruktur be-einflusst, siehe z. B. die von Seidel [5]verglichenen Betriebsfestigkeitslastenunterschiedlicher Tragstrukturen. Der-artige Effekte lassen sich erst durcheine detaillierte Analyse quantifizie-ren. Beim Entwurf einer Tragstruktursind jedoch schon aufgrund von qua-litativen Überlegungen bestimmteEntwurfsbereiche für die Eigenfre-quenzen einzuhalten. Einerseits stei-gen die welleninduzierten Belastungenunterhalb von 0,3 Hz stark an, ande-rerseits sollten die Eigenfrequenzen ei-nen mindestens 10%igen Abstand zurRotordrehfrequenz und vor allem zurBlattdurchgangsfrequenz einhalten,um Resonanzeffekte zu begrenzen.Bild 6 verdeutlicht die Auslegungs-möglichkeiten für die REpower 5M.Aufgrund der variablen Drehzahl,durch die inhärenten Unsicherheitender Fundamentsteifigkeit und durchunterschiedliche Wassertiefen ver-bleibt allenfalls ein schmales Ent-wurfsband für die Eigenfrequenzen.Unter Umständen, wie z. B. im Wind-park Utgrunden, muss ein Fenster desDrehzahlbereichs vom stationärenBetrieb ausgeschlossen werden.

3.3 Belastungen

Bei der Ermittlung der Belastungensind sowohl die Umgebungsbedingun-gen als auch die Anlagendynamik zubeachten. Die Windturbine ist dabeiein hochgradig elastisches, nichtli-neares System, auf das mehrere Ein-flussfaktoren gleichzeitig einwirken.Diese Situation ist ungewöhnlich.Während bei den meisten Strukturendie Belastung eine Hauptursache hat,z. B. hohe Gebäude – Wind, Offshore-strukturen – Wellen, können hierWind- und Wellenlast in gleicher Grö-

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Bild 4. Vergleich berechneter mit gemessenen Werten der ersten Längsbiegeeigen-frequenz (Linien) und Korrelation mit Nabenhöhe über Seeboden (Balken) [6]Fig. 4. Comparison of measurements and calculations of the 1st fore-aft eigenfre-quency (lines) and correlation with the overall height above see bottom (columns)

Bild 5. Aerodynamische Dämpfung einer durch Wind und/oder Wellen indizier-ten Rotorblattbewegung Fig. 5. Aerodynamic damping of a wind and/or wave induced rotor blade motion

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ßenordnung und gleichzeitig wirken.Die Nichtlinearität der Belastung be-ruht hauptsächlich auf der Nicht-linearität der aerodynamischen Auf-triebskräfte, verstärkt durch den Ein-fluss der Regelung sowie derWellenkräfte. Zusätzlich ist bei Pfahl-gründungen zu beachten, dass daselastische Verhalten des Bodens nicht-linear von der Last abhängt. Dadurchwird die Bestimmung der Belastun-gen zu einem iterativen Prozess, derim Zeitbereich zu lösen ist. Den Ein-fluss der Elastizität der Tragstrukturauf die Belastung kann man im Fre-quenzspektrum der Strukturantwortdes Monopiles einer fiktiven 5-MW-Anlage in 50 m Wassertiefe sehen(Bild 7).

Unterschiedliche Tragstrukturenweisen selbstverständlich auch ver-schiedene hydrodynamische Eigen-schaften hinsichtlich der Querschnitts-fläche im Unterwasserbereich und derDurchmesser der Elemente auf. In Ta-belle 1 werden die Lasten für eineJacket- und eine Tripodstruktur auf

die Lasten des o. g. Monopiles bezo-gen. Dabei werden die horizontaleKraft und das Kippmoment am Mee-resboden verglichen. Der Unterschied

zwischen Jacket und Monopile ist indiesem Fall eklatant. Weiterhin wer-den exemplarisch Lasten aus Simula-tionen berücksichtigt, die der Kombi-nation stochastischerWind- und Wel-lenfelder nach der Richtlinie desGermanischen Lloyd entsprechen. Esist zu betonen, dass nicht nur die Um-gebungsbedingungen und Lasten, son-dern auch die Struktursteifigkeit,Eigenfrequenzen und Masse sowieFragen der Fertigung, des Transportsund der Errichtung entscheidend fürdie Wahl eines Konzeptes sind.

Während die aerodynamischenBelastungen relativ vergleichbar sind,wird beim schädigungsäquivalentenKippmoment aufgrund von Wind undWellen der Einfluss der Strukturdy-namik besonders deutlich. Weiterhinliegt die erste Eigenfrequenz in einemBereich, in dem die Erregung durchdie Wellen zu betrachten ist. Dies giltinsbesondere für die weichere Mono-pilestruktur.

4 Berechnungsverfahren4.1 Auslegungsverfahren

In der Windenergiebranche hat sichein zweistufiges Vorgehen während dereinzelnen Entwurfsphasen durchge-setzt (Bild 8). Nach Wahl einer wind-energiespezifischen Auslegungsricht-linie werden anhand der Standort-bedingungen und der Turbine dierelevanten Lastfälle festgelegt. DieSchnittgrößen und Verformungen anverschiedenen Punkten werden durch

Bild 6. Entwurfsbereiche für die ersten Eigenfrequenz der Tragstruktur am Beispielder REpower 5MFig. 6. Design ranges for the 1st eigenfrequency of the support structure at the exam-ple of the REpower 5M

Bild 7. Spektrum des Biegemoments am Fuß des MonopilesFig. 7. Response spectra of overturning moment at the monopile

Tabelle 1. Vergleich von Tragstrukturen für eine fiktive 5-MW-Anlage in 50 mWassertiefeTable 1. Support structures comparison for a fictitious 5-MW turbine at 50 mwater depth

Tragstrukturtyp Monopile Tripod Jacket

Masse der Maschine (Rotor, Gondel) ca. 450 t (identisch)

Masse des Turms ca. 240 t ca. 220 t ca. 200 t

Masse der Substruktur ca. 1.750 t ca. 1.300 t ca. 1.000 t

Masse der Gründung ca. 900 t ca. 500 t ca. 500 t

1. Eigenfrequenz ca. 0,3 Hz ca. 0,32 Hz ca. 0,35 Hz

Durchmesser an der Wasserlinie ca. ∆ 7 m ca. ∆ 6 m4 Stück ∆ 1 m,

8 Stück ∆ 0,65 m

Charakteristische Wellenbelastung (H = 5 m)

Max. Querkraft 100 % 110 % 10 %

Max. Kippmoment 100 % 95 % 15 %

Charakteristische kombinierte Wind- und Wellenlasten (V = 15 m/s, Hs = 2,5 m)

Schädigungsäquivalente Schwingweite des Kippmomentes

100 % 75 % 31 %

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Simulation des Gesamtsystems imZeitbereich, d. h. durch Simulation desWindfeldes, der Aero-, Hydro- undStrukturdynamik, des elektrischen Sy-stems sowie der Regelung, numerischermittelt. Dann werden mit detaillier-ten quasi-statischen Komponenten-modellen die Bauteilnachweise anhandallgemeiner technischer Regelwerkegeführt. Eine Modellüberprüfung er-folgt durch Messung globaler Bela-stungsgrößen und dynamischer Para-meter.

Dieses Verfahren lässt sich nichtproblemlos auf OWEA übertragen. Zu-nächst sind umfangreiche Erweiterun-gen der Simulationsprogramme erfor-derlich. Die gängigen Programme kön-nen inzwischen Monopilegründungenmit vereinfachter linearer Bodenmo-dellierung und die wesentlichen hydro-dynamischen Belastungen darstellen.Forschungs- und Entwicklungsbedarfbesteht noch hinsichtlich aufgelösterTragstrukturen, des nichtlinearen Bo-denverhaltens, der Seegangsbelastun-gen im Flachwasserbereich und nichtzuletzt im Hinblick auf das eigentlicheAuslegungsverfahren [7], [8].

Inzwischen ist die Notwendigkeitder beschriebenen integrierten Mo-dellierung anerkannt. Trotzdem ist de-ren Umsetzung in der Entwurfspraxisder verschiedenen Lieferanten einesOffshore-Windparks schwierig. DerHersteller der WEA liefert zumeistnur die Anlage mit Turm und möchteoder kann, trotz der in der Regel

vorhandenen entsprechenden Simu-lationsprogramme, die Tragstrukturnicht berechnen und vor allem nichtdimensionieren. Die Konstrukteure derGründungsstruktur besitzen häufignicht die erforderlichen Programme.Außerdem erhalten sie meist nichtdie erforderlichen detaillierten Anla-gendaten, z. B. bezüglich Regelungund Rotorblatteigenschaften, oder sieverfügen nicht über entsprechendeDetailkenntnisse. Können in den frü-hen Entwurfsstadien noch getrennteWEA- und Tragstrukturmodelle ver-wendet werden, so ist spätestens fürdie Zertifizierung eine integrierte Ana-lyse erforderlich, die ggf. durch einenDritten durchgeführt werden muss.

4.2 Betriebsfestigkeitsberechnungen

Wenn aufgrund der Standort- undAnlagenbedingungen aero- und hy-drodynamische Betriebsfestigkeitsbe-lastungen in ähnlicher Größenord-nung auftreten, sind umfangreiche Si-mulationen der verschiedenen Wind-und Wellenbedingungen und derenKombination erforderlich. Unterschie-de in derWassertiefe sowie der Streich-länge (fetch) und Einwirkungsdauerdes Windes resultieren in einer starkenRichtungsabhängigkeit der Seegängeund somit in mehreren hundert Last-fällen, die im Zeitbereich simuliertwerden müssen. Die Strukturreservenan kritischen Querschnitten lassensich nur durch umfangreiche Zeitrei-

henanalysen der lokalen Beanspru-chungen ausnutzen. Kurzkämmigkeit,d. h. eine Richtungsverteilung inner-halb eines Seegangs, und stark vari-ierende Tidehübe führen teils zu einerweiteren Erhöhung des erforderli-chen Aufwands [9].

Im Hinblick auf die nur im Be-trieb vorhandene aerodynamischeDämpfung können beim Anlagenstill-stand aufgrund einer Störung höhereBelastungen allein aus der Wellenan-regung, die Windbelastung ist dannvernachlässigbar, auftreten als wäh-rend des Betriebs, wenn die dynami-schen Lasten aus Wind und Wellenähnliche Größenordnung besitzen.Ebenfalls ungünstig ist eine Misswei-sung zwischen der Wellenausbrei-tungsrichtung und der Windrichtung,in die der Rotor ausgerichtet ist undin der die aerodynamische Dämpfungwirkt. Bild 9 zeigt exemplarisch Be-triebsfestigkeitskolletive (links) unddie schädigungsäquivalente Schwing-weite (rechts) im Monopile einer 3-MW-Anlage für unterschiedliche Last-annahmen. Die Beanspruchungen reinaus dem Wind (No. 1) sind annäherndso groß wie die aus aerodynamischgedämpften Wellen (No. 5). Würdekeine aerodynamische Dämpfungder Seegangsanregung berücksichtigt(No. 2), treten gegenüber den aerody-namisch gedämpften Wellen (No. 5)doppelt so hohe Lasten auf. Dadurcherklärt sich auch, dass höhere Bean-spruchungen bei Annahme von nur

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Bild 8. Zweistufiger Auslegungsprozess für Windenergieanlagen [3]Fig. 8. Two-staged process for design calculation of wind turbines

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85 % Verfügbarkeit derAnlage (No. 4)zu beobachten sind, als wenn die Tur-bine 100 % der Zeit mit Winden imProduktionsbereich arbeitet (No. 3).

Für Parameterstudien und dasfrühe Entwurfsstadium sind verein-fachte Analysemethoden wie z. B. dieKombination von Simulationen derrein windbelasteten Anlage im Zeit-bereich und spektraler Analysen rei-ner Seegangsanregung aufgrund derkurzen Rechenzeiten und besserenAnschaulichkeit vorteilhaft. Theoreti-sche Grundlage ist hierbei, dass Wind-und Wellenanregung im Kurzzeitbe-reich statistisch unkorreliert sind [2].

4.3 Extremlastberechnungen

Die Dynamik regelloser Seegangsan-regungen wird gut durch die üblichenVerfahren repräsentiert, jedoch ist ihreBerücksichtigung in der Entwurfspra-xis nur auf der Basis der linearen Wel-lentheorie mit Wheeler Stretching mög-lich. Da jedoch bei extremen Sturm-bedingungen sowohl die dynamischeAntwort der relativ flexiblen Tragstruk-turen als auch die hydrodynamischenNichtlinearitäten signifikant sind, ver-wendet man häufig Vereinfachungenwie einen dynamischen Reaktionsfak-tor (DAF) in quasi-statischen, nicht-linearen Berechnungen. Relativ neueVerfahren betten eine nichtlineare Ent-wurfswelle in einen stochastischen

Seegang ein oder verwenden kondi-tionierte Simulationen, um ein Extrem-ereignis zu erzwingen. In den Richt-linien wird derzeit sowohl die dyna-mische Analyse von Seegangsanregun-gen als auch die quasi-statische Be-rechnung von nichtlinearen Entwurfs-wellen vorgeschlagen.

Die Schwierigkeiten bei der Er-mittlung der auslegungsrelevanten ex-tremen Umwelt- und Betriebsbedin-gungen sind erst bei genauerer Be-trachtung zu erkennen. Wie in Bild 2gezeigt, treten bei modernen Anlagen,abhängig von der Anlagenregelung,die maximalen Windbelastungen naheNennwind auf; während extremeWellen und Strömungen eher beihöheren Windgeschwindigkeiten zufinden sind. Somit ist nicht ohne wei-teres deutlich, welche aero- und hy-drodynamischen Bedingungen in di-mensionierungsrelevanten Struktur-antworten resultieren. Verfahren zurExtrapolation von Beanspruchungen,wie dies in der IEC 61400-1:2005 fürLandanlagen gefordert wird, befindensich noch in der Entwicklung. Die in-dustrielle Praxis behilft sich derzeitüberwiegend mit konservativen An-nahmen.

4.4 Richtlinien und Zertifizierung

Im jungen Fachgebiet der Offshore-Windenergie wurden bereits drei wich-

tige Gruppen von Richtlinien undNormen entwickelt. In der IEC61400-3 wird die Bestimmung derLastannahmen betont. Diese Normist kompatibel mit der internationa-len Norm IEC 61400-1:2005 undpasst zu anderen IEC- bzw. ISO-Wer-ken [10]. Die DnV-Richtline OS-J101basiert stark auf praktischen Er-kenntnissen der Offshore Öl- undGasindustrie [11]. Die Richtlinie zurOffshore-Windenergie des GL ent-hält Auslegungskriterien für alle we-sentlichen Anlagen- und Tragstruk-turkomponenten [12].

Das Spektrum der angebotenenZertifizierungsdienstleistungen reichtvon der Überprüfung der Design Basisbzw. der Auslegung (Design Assess-ment) bis zur Projektzertifizierungmit Überwachung von Fertigung, In-stallation und Inbetriebnahme.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Während sich inzwischen bei derMaschine die Bauart von drehzahlva-riablen pitchgeregelten Windenergie-anlagen durchgesetzt hat, vergrößertsich gerade die Variantenanzahl beiden Tragstrukturen. Neben den bereitsals weitgehend bewährt zu betrachten-den Monopiles und einfachen Schwer-kraftgründungen befinden sich neueKonzepte für Wassertiefen über 20 min der Entwicklung und teilweise in

Bild 9. Betriebsfestigkeitskollektive im Monopile einer 3-MW-Anlage für unterschiedliche Belastungsbedingungen [2]Fig. 9. Fatigue load spectra at the monopile of a 3 MW turbine for different load situations

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der Erprobung. Jackets erscheinen,aufgrund von hoher Steifigkeit undgeringem Elementquerschnitten undden damit verbundenen reduziertendynamischen Belastungen, besondersinteressant. Jedoch können sich auchneuartige Schwerkraftgründungen alsvorteilhaft herausstellen.

Der Entwurf hat standortspezi-fisch hinsichtlich der Serienfertigungvon bis zu 80 Einheiten und unter Be-rücksichtigung des komplexen struk-turdynamischen Verhaltens des Ge-samtsystems zu erfolgen. Nur so kön-nen Effekte wie die aerodynamischeDämpfung und der Einfluss der Be-triebsbedingungen auf die Struktur-antwort abgebildet werden. Hierzuhaben sich integrierte Modellierungs-verfahren durchgesetzt, auch wenndies teilweise noch zu Komplikatio-nen hinsichtlich der unterschiedli-chen Gewerke und Erfahrungen derLieferanten eines Offshore-Windparksführt.

Durch eine gründliche Zusam-menstellung von standort- und pro-jektspezifischen Umgebungsbedingun-gen, relevanten Lastfällen und Analy-semethoden in einem Design Basisgenannten Dokument zu Beginn desEntwurfsprozesses lassen sich häufigähnlich große Einsparpotentiale wiebei der eigentlichen Dimensionierungerreichen.

Die weitere Entwicklung wirdneben der Erprobung von ersten Pro-totypen-OWEA der 5-MW-Klasse an

Tiefwasserstandorten auf vielen Teil-gebieten erfolgen. Bedeutsam sind da-bei: Weiterentwicklung der Berech-nungsverfahren hinsichtlich aufgelö-ster Tragstrukturen und nichtlinearerBelastungen, Verbindungsdetails (z. B.Gussknoten und deren Bemessung),Materialverhalten (z. B. Seeboden,vorgespannter Stahlbeton), Entwick-lung avancierter Regelungskonzeptezur Reduktion von sowohl aero- alsauch hydrodynamischen Belastungenund letztendlich die Fertigung, Instal-lation und der Betrieb einschließlichÜberwachung großer Offshore-Wind-parks.

Literatur

[1] Nielsen, F. G., et al.: Ocean Wind andWave Energy Utilization. SpecialistCommittee V.4, 16th ISSC, Southamp-ton, 2006. http://www.issc.ac/ com-mitteev4.pdf.

[2] Kühn, M.: Dynamics and DesignOptimisation of Offshore Wind EnergyConversion Systems. Dissertation, TUDelft, 2001.

[3] Gasch, R., Twele, J. (Hrsg.): Wind-kraftanlagen – Grundlagen, Entwurf,Planung und Betrieb, 5. Aufl. Stuttgart:Teubner, 2007.

[4] Kühn, M., Fischer, T., Passon, P.:Load Mitigation of Aerodynamicallyand Hydrodynamically Induced Loadsof Offshore Wind Turbines, EuropeanWind Energy Conf. EWEC 2007.

[5] Seidel, M.: Tragstruktur und Installa-tion der REpower 5M in 45 m Wasser-

tiefe. Stahlbau 76 (2007), H. 9, S. 650–656.

[6] Kühn, M., Honekamp, T., et al.: Ex-perimentelle Verifikation von Ent-wurfsannahmen für Offshore-Wind-energieanlagen anhand des WindparksUtgrunden, DEWEK 2002.

[7] Passon, P., Kühn, M.: State-of-the-art and Development Needs of Simula-tion Codes for Offshore Wind Turbi-nes. Copenhagen Offshore Wind Conf.2005.

[8] Seidel, M., et al: Integrated Analysis ofWind and Wave Loading for ComplexSupport Structures of Offshore WindTurbines. Copenhagen Offshore WindConf. 2005.

[9] Schaumann, P., Böker, C.: Ermü-dungsbeanspruchung aus Seegang beiaufgelösten Tragstrukturen, Stahlbau76 (2007), H. 9, S. 620–626.

[10] IEC: CD IEC61400-3: Wind TurbineGenerator Systems – Part 3: Safety Re-quirements for Offshore Wind Turbi-nes, committee draft, 2006.

[11] Det Norske Veritas: OS-J101, Designof Offshore Wind Turbine Structures,Oslo, 2004.

[12] Germanischer Lloyd WindEnergie:Guidelines for the Certification ofOffshore Wind Turbines, 2005.

Autoren dieses Beitrages:Prof. Dr. Martin Kühn, Stiftungslehrstuhl Windenergie, Universität Stuttgart, Allmandring5B, 70550 Stuttgart, [email protected]. Kimon Argyriadis, Germanischer Lloyd Industrial Services GmbH,Steinhöft 9, 20459 Hamburg, [email protected]

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