4
51. OGE-FACHTAGUNG Elektrotechnik & Informationstechnik (2013) 130/8: 266–269. DOI 10.1007/s00502-013-0172-y Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende V. Schüle Online publiziert am 30. November 2013 © Springer Verlag Wien 2013 Abb. 1. Erneuerbare Energien in Europa Die zunehmende Stromerzeugung durch intermittierende regenera- tive Anlagen (insbesondere Wind und Photovoltaik) stellt eine neue Herausforderung für eine sichere und kostengünstige Stromversor- gung dar (Abb. 1). In Deutschland ist die installierte Leistung an Wind und Photovoltaik bereits heute größer als die minimale Netz- last. Nichtsdestoweniger werden auch in absehbarer Zukunft fossile Anlagen benötigt werden, um das Netz zu stabilisieren (Primär-, Se- kundärregelung, reaktive Leistung, Kurzschlussleistung), und um die notwendige Reserveleistung bereitzustellen (Abb. 2). Die Flexibilisierung fossiler Kraftwerke (Abb. 3) bedeutet insbe- sondere: Reduzierung der Anfahrzeiten und Kosten Reduzierung der Mindestlast Erhöhung der Last-Gradienten Möglichkeiten der Anpassung bestehender Anlagen sollen im Fol- genden am Beispiel von Dampfkraftwerken erläutert werden. Bei der Flexibilisierung von Kraftwerken ist zu beachten, dass nicht nur einzelne Komponenten, sondern die Anlage als Gesamtsystem zu betrachten ist (Abb. 4). Durch den Einsatz thermischer Energiespeicher können sowohl die Last-Gradienten erhöht werden als auch temporär die Mindest- last reduziert oder Zusatzleitung bereitgestellt werden. Die Speicher- größe ist dafür jeweils anzupassen. Als thermische Speicher sind Heißwasserspeicher im Temperaturbereich unterhalb 200 °C eine kostengünstige Lösung. Der thermische Speicher wird parallel zur Niederdruck-Vorwärmung angeordnet. Mithilfe eines solchen Spei- chers kann z. B. die Primär-/Sekundärregeleistung erhöht werden. Die technische Mindestlast (ohne Stützfeuer) eines Kraftwerks ist in einem Netz mit hoher regenerativer Einspeisung von großer Bedeutung. Anlagen mit geringer technischer Mindestlast können auch bei hoher regenerativer Einspeisung noch am Netz bleiben und das Netz stabilisieren (Abb. 5). Am Beispiel eines 800 MW Steinkoh- leblocks (Abb. 6) sollen im Folgenden die Effekte und Maßnahmen näher erläutert werden. Die erreichbare Mindestlast hängt von der Brennstoffmenge ab, bei der die Verbrennung noch stabil ist, die NOx-Emissionen (SCR) noch unterhalb der Grenzwerte liegen und die Turbine keine Venti- lation aufweist. Zusätzlich treten folgende Effekte auf (Abb. 7): Das Verhältnis von Strahlungs- zu konvektivem Wärmeübergang ändert sich. Dadurch fallen typischerweise die frischdampf- und ZÜ-Temperatur ab. Anzapfdrücke an der Turbine fallen ab, dadurch sinkt auch die Speisewassertemperatur. Kessel- und Kreislauf-Wirkungsgrad sinken. Der spezifische Eigenbedarf der Anlage nimmt zu. Alstom hat eine Methodik entwickelt, um die technische Mindest- last in zwei Schritten zu reduzieren. Im ersten Schritt wird die beste- hende Anlagentechnik optimiert, im zweiten Schritt wird der Pro- zess optimiert und die Anlage angepasst (Abb. 8). Das Ergebnis ist 266 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik Kurzfassung eines Vortrags bei der 51. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft für Energietechnik im OVE, die am 10. und 11. Oktober 2013 in Graz stattfand. Schüle, Volker, Alstom Power GmbH, Boveristraße 22, 68309 Mannheim, Deutschland (E-Mail: [email protected])

Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende

  • Upload
    volker

  • View
    226

  • Download
    4

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende

51. OGE-FACHTAGUNG Elektrotechnik & Informationstechnik (2013) 130/8: 266–269. DOI 10.1007/s00502-013-0172-y

Anpassung bestehender thermischerKraftwerke an die Anforderungendurch die EnergiewendeV. Schüle

Online publiziert am 30. November 2013© Springer Verlag Wien 2013

Abb. 1. Erneuerbare Energien in Europa

Die zunehmende Stromerzeugung durch intermittierende regenera-tive Anlagen (insbesondere Wind und Photovoltaik) stellt eine neueHerausforderung für eine sichere und kostengünstige Stromversor-gung dar (Abb. 1). In Deutschland ist die installierte Leistung anWind und Photovoltaik bereits heute größer als die minimale Netz-last.

Nichtsdestoweniger werden auch in absehbarer Zukunft fossileAnlagen benötigt werden, um das Netz zu stabilisieren (Primär-, Se-kundärregelung, reaktive Leistung, Kurzschlussleistung), und um dienotwendige Reserveleistung bereitzustellen (Abb. 2).

Die Flexibilisierung fossiler Kraftwerke (Abb. 3) bedeutet insbe-sondere:

• Reduzierung der Anfahrzeiten und Kosten• Reduzierung der Mindestlast• Erhöhung der Last-Gradienten

Möglichkeiten der Anpassung bestehender Anlagen sollen im Fol-genden am Beispiel von Dampfkraftwerken erläutert werden.

Bei der Flexibilisierung von Kraftwerken ist zu beachten, dass nichtnur einzelne Komponenten, sondern die Anlage als Gesamtsystemzu betrachten ist (Abb. 4).

Durch den Einsatz thermischer Energiespeicher können sowohldie Last-Gradienten erhöht werden als auch temporär die Mindest-last reduziert oder Zusatzleitung bereitgestellt werden. Die Speicher-größe ist dafür jeweils anzupassen. Als thermische Speicher sindHeißwasserspeicher im Temperaturbereich unterhalb 200 °C einekostengünstige Lösung. Der thermische Speicher wird parallel zurNiederdruck-Vorwärmung angeordnet. Mithilfe eines solchen Spei-chers kann z. B. die Primär-/Sekundärregeleistung erhöht werden.

Die technische Mindestlast (ohne Stützfeuer) eines Kraftwerksist in einem Netz mit hoher regenerativer Einspeisung von großerBedeutung. Anlagen mit geringer technischer Mindestlast könnenauch bei hoher regenerativer Einspeisung noch am Netz bleiben unddas Netz stabilisieren (Abb. 5). Am Beispiel eines 800 MW Steinkoh-leblocks (Abb. 6) sollen im Folgenden die Effekte und Maßnahmennäher erläutert werden.

Die erreichbare Mindestlast hängt von der Brennstoffmenge ab,bei der die Verbrennung noch stabil ist, die NOx-Emissionen (SCR)noch unterhalb der Grenzwerte liegen und die Turbine keine Venti-lation aufweist. Zusätzlich treten folgende Effekte auf (Abb. 7):

• Das Verhältnis von Strahlungs- zu konvektivem Wärmeübergangändert sich. Dadurch fallen typischerweise die frischdampf- undZÜ-Temperatur ab.

• Anzapfdrücke an der Turbine fallen ab, dadurch sinkt auch dieSpeisewassertemperatur.

• Kessel- und Kreislauf-Wirkungsgrad sinken.• Der spezifische Eigenbedarf der Anlage nimmt zu.

Alstom hat eine Methodik entwickelt, um die technische Mindest-last in zwei Schritten zu reduzieren. Im ersten Schritt wird die beste-hende Anlagentechnik optimiert, im zweiten Schritt wird der Pro-zess optimiert und die Anlage angepasst (Abb. 8). Das Ergebnis ist

266 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik

Kurzfassung eines Vortrags bei der 51. Fachtagung der Österreichischen Gesellschaft fürEnergietechnik im OVE, die am 10. und 11. Oktober 2013 in Graz stattfand.

Schüle, Volker, Alstom Power GmbH, Boveristraße 22, 68309 Mannheim, Deutschland(E-Mail: [email protected])

Page 2: Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende

V. Schüle Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen 51. OGE-FACHTAGUNG

Abb. 2. Flexibilisierung fossiler Kraftwerke

Abb. 3. Komponenten vs. Gesamtanlage

in Abb. 9 dargestellt. Die Mindestlast konnte deutlich reduziert wer-den. In einem zweiten Schritt sollen nun der Teillastwirkungsgradverbessert und die Laständerungsgeschwindigkeiten optimiert wer-den. Hierzu wird auch die dynamische Modellierung des Kraftwerkseingesetzt (Abb. 10).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass fossile Kraft-werke auch weiterhin notwendig sein werden, um die geforderteNetzstabilität und Versorgungssicherheit zu ermöglichen. Bestehen-de fossile Blöcke können dazu angepasst werden. Die derzeitige Ver-gütung der Flexibilität ist in vielen Fällen nicht ausreichend, um denWeiterbetrieb der Anlagen zu rechtfertigen und muss daher drin-gend geändert werden.

Abb. 4. Thermischer Energiespeicher

November/Dezember 2013 130. Jahrgang © Springer Verlag Wien heft 8.2013 267

Page 3: Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende

51. OGE-FACHTAGUNG V. Schüle Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen

Abb. 5. Reduzierung der technischen Mindestlast

Abb. 6. 800 MW Steinkohleblock

Abb. 7. Erreichbare Mindestlast, Wirkungsgrad und Gradienten

268 heft 8.2013 © Springer Verlag Wien e&i elektrotechnik und informationstechnik

Page 4: Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen durch die Energiewende

V. Schüle Anpassung bestehender thermischer Kraftwerke an die Anforderungen 51. OGE-FACHTAGUNG

Abb. 8. Die neue Alstom-Methodik zur Reduktion der technischen Mindestlast, Schritt 1

Abb. 9. Ergebnis aus Schritt 1

Abb. 10. Die neue Alstom-Methodik zur Reduktion der technischen Mindestlast, Schritt 2

November/Dezember 2013 130. Jahrgang © Springer Verlag Wien heft 8.2013 269