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Vorstand Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz Anti-Stress-Verordnung Zwischenbilanz einer Initiative der IG Metall

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 1

VorstandArbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz

Anti-Stress-Verordnung Zwischenbilanz einer Initiative der IG Metall

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Impressum:

Herausgeber IG Metall Vorstand

Ressort Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz

Wilhelm-Leuschner-Str. 79

60329 Frankfurt am Main

Redaktion Andrea Fergen

Grafik, Satz warenform

Karikaturen Thomas Plaßmann

Druck alpha print medien AG, Darmstadt

Auflage 1. Auflage, 2014

Copyright by IG Metall Vorstand

Produktnummer 28609-48344

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Inhalt

Vorwort .......................................................................4

Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung einer Initiative der IG Metall ........6

Ein Etappenziel erreicht ............................................... 7

Anlage, Adressaten und Stationen der Anti-Stress-Initiative ....................................................8

Thesen der IG Metall zum Anti-Stress-Kongress ............11

Die Länder-Initiative für eine „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit“ ......................... 14

Reaktionen der Politik auf Bundesebene Die alte, schwarz-gelbe Regierungskoalition und die damaligen Oppositionsfraktionen ...................17

Die schwarz-rote Regierungskoalition .........................22

Zur Position der Arbeitgeberverbände ........................29

Zwischenbilanz einer arbeitspolitischen Initiative der IG Metall ............................................... 33

Literatur ....................................................................36

Weitere Informationen ...............................................38

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Vorwort

Die Diagnose ist klar. Bei der Umsetzung wirksamer The-rapien hingegen hapert es. Ganzheitliche Gefährdungs-beurteilungen sind nach wie vor die Ausnahme. Und dort, wo es sie gibt, mussten sie von Betriebsräten hart erkämpft werden. Eine schnelle und flächendeckende Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen ist nicht in Sicht.Ein Grund dafür liegt in der Ausgestaltung des Arbeits-schutzrechts. Bislang fehlt eine klare Orientierung, wie Prävention auf dem Feld psychischer Belastungen aus-zusehen hat. Wenn es um „Gefahrstoffe“, „Lärm“ oder „Licht“ geht, ist das anders. Hierfür gibt es Verordnungen und Regeln. Nur bei den psychischen Belastungen über-lässt der Verordnungsgeber die Verantwortlichen im Be-trieb sich selbst.Deshalb hat die IG Metall 2012 eine Anti-Stress-Initiative gestartet und den Entwurf für eine Anti-Stress-Verord-nung vorgelegt. Die Reaktionen waren beachtlich: Die drei Oppositionsfraktionen des letzten Deutschen Bun-destages, also SPD, Grüne und Linke, haben sich der For-derung der IG Metall angeschlossen. Und die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung sah sich aufgrund des Drucks genötigt, Änderungen im Arbeitsschutzgesetz vor-zunehmen. Seit Oktober 2013 ist gesetzlich unmissver-ständlich klargestellt, dass auch psychische Belastungen

Termindruck, überlange Arbeitszeiten und ständige Erreichbarkeit sind für immer mehr Beschäftigte Begleiter im Arbeitsalltag. Der Job ist Stressfaktor Nummer 1. So klagen in der großen Befragung der IG Metall über 80 % der Beschäftigten über zunehmende Arbeitsverdichtung. Über die Hälfte fühlt sich ständig oder häufig unter Zeitdruck.

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bei der Arbeit in den „Gefährdungskatalog“ des Arbeits-schutzgesetzes gehören. Hiermit dürften langwierige Konflikte mit Arbeitgebern über die Frage, ob psychische Belastungen überhaupt Gegenstand einer Gefährdungs-beurteilung sein müssen, geklärt sein. Das ist ein erster Erfolg der Initiative der IG Metall!Darüber hinaus hat der Bundesrat auf Vorstoß verschie-dener sozialdemokratisch geführter Länder einen „Ent-wurf für eine Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit“ beschlossen. Damit hat sich auch die Länderkammer in dieser Frage eindeutig positioniert.Nun hängt alles von der neuen Bundesregierung ab. Sie ist am Zug. Doch die Große Koalition tut sich noch schwer: Es bedürfe erst weiterer wissenschaftlicher Kenntnisse. So wird die zögerliche Haltung begründet. Doch das ist zu wenig! Die Regelungs- und Schutzlücke im Arbeits-schutzrecht muss geschlossen werden. Die arbeitswis-senschaftlichen Erkenntnisse reichen allemal.Auf dem Weg zu mehr Prävention sind wir vorangekom-men, aber jetzt heißt es: „dran bleiben“! Die IG Metall wird in den Betrieben und auf der politischen Bühne nicht lockerlassen, denn die Zeit für Appelle und Erklärungen ist vorbei. Taten müssen folgen!In der vorliegenden Broschüre dokumentieren wir die politischen Stationen, zeigen die Reaktionen der Politik und ziehen eine Zwischenbilanz unserer Initiative.

Hans-Jürgen UrbanGeschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung einer Initiative der IG Metall

Psychische Belastungen

bei der Arbeit müssen

Bestandteil von

Gefährdungsbeurteilungen

sein

In einer Marathonsitzung hat der Deutsche Bundestag am 27. Juni 2013 die letzten gesetzlichen Neuregelungen der 17. Legislaturperiode beschlossen. In der Flut der ver-handelten Gesetzesanträge droht eine kleine, aber nicht unbedeutende Änderung des Arbeitsschutzgesetzes un-terzugehen. Die mit den Stimmen der Regierungsmehrheit verabschie-deten Änderungen stellen klar, dass das dem Arbeits-schutz zugrundliegende Ziel nicht nur in der Vermeidung

von Gefährdungen der physischen, sondern auch der psychischen Gesundheit der Beschäf-tigten besteht. So heißt es im neugefassten Ge-setzestext mit Blick auf die allgemeinen Grund-sätze nunmehr: „Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die

physische und psychische (Hervorhebung; die Verfasser) Gesundheit möglichst vermieden und die verbleiben-de Gefährdung möglichst gering gehalten wird“. In § 5 Absatz 3 werden die Gefährdungsfaktoren, die bei einer Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen sind, ergänzt. Zukünftig wird es heißen: „Eine Gefähr-dung kann sich insbesondere ergeben durch (…) 6. psy-chische Belastungen bei der Arbeit“ (Bundestag-Druck-sache 17/12297). Damit unterstreicht der Gesetzgeber, dass psychische Arbeitsbelastungen ein wesentlicher Bestandteil von Gefährdungsbeurteilungen sein müssen.

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Foto: iStockphoto

Rechtliche Klarstellung

entschärft

betriebliche Konflikte

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen

(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten

mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maß-

nahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.

(2) Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vor-

zunehmen. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung

eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend.

(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des

Arbeitsplatzes,

2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen,

3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln,

insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anla-

gen sowie den Umgang damit,

4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsab-

läufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken,

5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftig-

ten,

6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Ein Etappenziel erreichtAuch wenn es sich lediglich um eine gesetzliche Klar-stellung und damit um die Bestätigung einer zuvor vorherrschenden Auslegung des deutschen Ar-beitsschutzrechts handelt, kann die textliche Neufassung als eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schutz der Beschäf-tigten vor den rasant anwachsenden Gefährdungen durch psychisch belastende Arbeitsbedingungen bewertet wer-den. So haben betriebliche Interessenvertretungen in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung machen müs-sen, dass erst nach langwierigen politischen und recht-lichen Auseinandersetzungen ihrem Anliegen Rechnung getragen wurde, auch die psychischen Belastungen sys-tematisch zu ermitteln und, wo nötig, mit entsprechenden Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Durch die jetzt erfolgte rechtliche Klarstellung können zukünftig langwierige und konfliktträchtige betriebliche Auseinandersetzungen im Interesse der betroffenen Beschäftigten schneller beige-legt werden.

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Die Novellierung des

Arbeitsschutzgesetzes

ist maßgeblich auf die

Anti-Stress-Initiative der

IG Metall zurückzuführen

Die gesetzlichen Verbesserungen sind eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem zeitgemäßen, an den Belastungs-konstellationen der modernen Arbeitswelt orientierten Arbeitsschutzrecht. Gleichwohl darf nicht übersehen wer-den, dass nach wie vor eine Regelungslücke im Arbeits-schutzrecht klafft und dadurch ein wirksamer Schutz der Beschäftigten vor psychischen Belastungen bei der Arbeit erschwert wird. Es fehlt eine „Anti-Stress-Verordnung“, die eindeutig darlegt, welche psychischen Belastungsfaktoren in eine Gefährdungsbeurteilung mindestens einzubeziehen sind und nach welchen Maßgaben diese durchzuführen ist.

Anlage, Adressaten und Stationen der Anti-Stress-InitiativeDie Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes ist maßgeb-lich auf eine Initiative der IG Metall für eine Anti-Stress-Ver-ordnung zurückzuführen. Im Rahmen dieser Initiative

wurde zunächst eine arbeitswissenschaftliche, juristische und politische Debatte angestoßen und auf eine eklatante „Regelungslücke“ im Feld der psychischen Belastungen hingewiesen. Mit der Forderung „Regelungslücke psychische Belas-tungen schließen“ wurden die Umsetzungsdefizi-

te bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastun-gen thematisiert und die Ursachen für diese Entwicklung benannt.Die Debatte war von Beginn an auf mehrere Akteure ori-entiert: Hierzu gehörten vor allem gewerkschaftliche Inte-ressenvertretungen und wichtige Gremien der IG Metall. Aber auch die Wissenschaft sowie die verantwortlichen Arbeitsschutz-Akteure des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Länder wurden frühzeitig in den Dialog einbezogen. Sowohl die Auseinandersetzung

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Burnout-Debatte begünstigt

öffentliche Resonanz auf

Anti-Stress-Verordnung

mit arbeitsschutzrechtlichen Argumenten auf nationaler wie europäischer Ebene als auch mit arbeitswissen-schaftlichen Begründungen prägten die Diskussion. Zu Fachgesprächen lud die IG Metall die maßgeblichen Institutionen des Arbeitsschutzes zur Auseinanderset-zung mit den diagnostizierten Mängeln ein. Zeitgleich wurden die Themen „psychische Belastungen“ und „Prä-vention“ in den Fokus der medialen Öffentlichkeit ge-rückt. Das Interesse der Medien war beachtlich. Begünstigt wurde die starke Resonanz durch die zum Teil tragischen Burnout-Fälle bekannter Persönlichkeiten.Im Juni 2012 legte die IG Metall ihren Entwurf für eine An-ti-Stress-Verordnung vor. Nachdem mit der Thematisierung von Stress am Arbeitsplatz eine entsprechende Aufmerk-samkeit erreicht worden war, sollte die Debatte nunmehr mit konkreten Lösungsvorschlägen vorangetrieben werden. Der Diskussionsentwurf für eine „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Ar-beit“ findet seitdem innerhalb wie außerhalb der IG Metall nennenswerte Unterstützung. Der Verordnungsentwurf ist anschlussfähig an die arbeitswissenschaftliche Debatte und wird als fachlich geeignet bewertet. Zudem fügt er sich in die Struktur und Logik des geltenden Arbeitsschutzrechts ein,

Anti-Stress-Paket

Psychische Belastungen

erfolgreich reduzieren

Mehr Informationen:

www.igmetall.de/gutearbeit

Extranet der IG Metall: Praxis – Rat + Tat – Gute Arbeit

Kontakt: [email protected]

Impressum:

IG Metall Vorstand

Ressort Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz

Wilhelm-Leuschner-Str. 79, 60329 Frankfurt/Main

www.igmetall.de

Verantwortlich: Hans-Jürgen Urban

Redaktion: Iris Becker, Andrea Fergen, Thomas Veit, Petra Müller-Knöß

Titelfoto: Mahesh Patil, Fotolia.com

August 2012

22247-35451

Weitere Materialien aus dem

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Initiative «Gute Arbeit

im Büro»

Dokumentation

September 2011,

kostenlos

Lärmprävention in

Büro und Produktion

Arbeitshilfe für

Betriebsräte zur

neuen Lärm- und

Vibrationsarbeits-

schutzverordnung,

Dezember 2011, 3 2,50

BurnOut

Ausgebrannt –

Betriebsräte als Lotsen

für Burnout-Betroffene

September 2011, 3 3,00

Betriebsräte organisieren

Beteiligung

Gute Arbeit im Betrieb

braucht Demokratie

Handlungshilfen und

Praxisbeispiele für

Betriebsräte und

Vertrauensleute

Januar 2010, 3 2,00

Gute Arbeit im

Schichtbetrieb?

So werden Schichtpläne

besser

Arbeitsmappe,

Januar 2009, 3 2,80

Betriebsärzte und

Fachkräfte für

Arbeitssicherheit

Arbeitshilfe

März 2011, 3 1,90

Ressort Arbeitsgestaltung

und GesundheitsschutzVorstand

FACHINFORMATIONEN ZUR ARBEITSGESTALTUNG I NR. 46 I Dezember 2012

46

TIPPSf ü r d e n A r b e i t s p l a t z

+++ www.igmetall.de/gutearbeit +++ www.igmetall.de/gutearbeit +++

INHALTSeiten 2/3:

Die Regelungslücke schließen

h Interview mit Professor

Johannes Siegrist

h Zeitbombe Arbeitsstress

h Die Anti-Stress-Verordnung

h IG Metall-Broschüre

zur Anti-Stress-Verordnung

Seiten 4/5: Mehr Rechts-

sicherheit und Verbindlichkeit

h Interview mit Hans-Jürgen Urban

h Gefährdungen durch

psychische Belastungen

h Gefährdungsbeurteilungen

psychischer Belastungen

sind die Ausnahme

Seite 6:

Praktiker sagen ihr Meinung

h Hans-Peter Kern, Betriebsrat bei

Bosch Reutlingen und alternierender

Vorstandsvorsitzender der BG ETEM

h Andrea Theiss, Gewerkschafts-

sekretärin in der IG Metall-

Verwaltungsstelle Herborn

Seite 7:

Die Politik kommt in Bewegung

h Bundesländer wollen

eine Anti-Stress-Verordnung

h SPD, Grüne und Linke

für eine gesetzliche Lösung

Seite 8: Tipps für die Praxis

h Das Anti-Stress-Paket der IG Metall

h Seminare und Literatur

Anti-Stress-Verordnung

Eine IG Metall-InitiativeEs ist höchste Zeit zu handeln! Stress, Burnout und psychische Erkrankungen

nehmen in der Arbeitswelt immer mehr Raum ein. Das Arbeitsschutzrecht

aber hinkt hinterher. Es verpflichtet die Arbeitgeber nicht konkret genug zur

Stressprävention. Die Regelungs- und Schutzlücke ist offensichtlich. Diese

Lücke zu schließen – dafür engagiert sich die IG Metall mit

ihrer Anti-Stress-Initiative und hat jetzt selbst den Ent-

wurf einer Anti-Stress-Verordnung vorgelegt. Das ist

zugleich ein Angebot zur konstruktiven Diskussion

an alle verantwortlichen Akteure im Arbeits- und

Gesundheitsschutz. Eine Verordnung kann der

betrieblichen Stressprävention entscheidende

Impulse geben.

VorstandArbeitsgestaltung und

Gesundheitsschutz

Anti-Stress-VerordnungEine Initiative der IG Metall

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung10

IG Metall-Verordnungs-

entwurf verhilft zu mehr

Klarheit im Feld psychischer

Belastungen

das mithilfe von Verordnungen Arbeitsschutzanforderun-gen für fachliche Regelungsbereiche wie etwa Gefahrstoffe oder Arbeitsstättengestaltung konkretisiert. In Anlehnung an geltende Arbeitsschutzverordnungen beinhaltet der Verordnungsentwurf der IG Metall auch den Vorschlag, einen staatlichen Arbeitsschutzausschuss zu bilden, der Schutzziele und Bestimmungen der Anti-Stress-Verordnung

mit entsprechenden „Technischen Regeln“ un-tersetzen soll. Und schließlich ist es mithilfe des Anti-Stress-Verordnungsentwurfs gelungen, für die betrieblichen Akteure mehr Klarheit über das betriebliche Handlungsfeld „Stress und psychi-

sche Belastungen“ zu gewinnen. Hierzu dient die Benen-nung zentraler Gefährdungsfaktoren ebenso wie die Angabe von Beurteilungskriterien oder Maßgaben zu ihrer gesund-heitsgerechten Gestaltung. In einer zweiten Phase der Debatte wurden die Gespräche mit den für den Arbeitsschutz verantwortlichen Abgeordne-ten aller Oppositionsfraktionen des Deutschen Bundestages intensiviert. Im Ergebnis schufen die öffentliche Aufmerk-samkeit und die positiven Reaktionen auf den Verordnungs-entwurf eine neue Lage: Der Fokus der Debatte verschob sich von der Frage, ob es eine Regelungslücke im Bereich psychischer Belastungen gibt hin zum „Wie“ der rechtlichen Umsetzung. Die Bearbeitung dieser Frage sowie die Bünde-lung der einschlägigen Argumente für eine Verordnung stan-den dann im Mittelpunkt des Anti-Stress-Kongresses der IG Metall, der am 23./24. April 2013 in Berlin stattfand. Befördert durch Berichte aus der betrieblichen Praxis wurden politische Entscheidungsträger aus Parlamenten und Ministerien mit der Notwendigkeit der Weiterentwick-lung des Arbeitsschutzrechts im Feld der psychischen Be-lastungen konfrontiert.

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These 1: Angetrieben durch die wachsende Bedeutung der internationalen Finanzmärkte bildet sich eine neue Form der Unternehmenspolitik heraus („wertorientierte Unternehmensführung“). Dabei wird die Steuerung der Unternehmen zunehmend an kurzfristigen Renditeer-wartungen ausgerichtet. Unter dem Diktat der Finanz-märkte werden Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Einkommen der Beschäftigten zur variablen Restgröße und geraten immer stärker unter Druck.

These 2: In der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts neh-men psychisch belastende Arbeitsbedingungen immer stärker zu. Über alle Branchen und Berufsgruppen hin-weg steigt die Arbeitsintensität, wächst der Zeitdruck und atypische Arbeitszeiten wie Nacht- und Schichtar-beit nehmen zu. Zugleich gehört für immer mehr Be-schäftigte ansteigende Monotonie zum Arbeitsalltag.

These 3: Mit der Zuspitzung der Belastungen aus der Ar-beit droht der „seidene Faden der Gesundheit“ zu reißen. Das zeigt die enorme Zunahme psychischer Erkrankun-gen. Hier tickt eine gesellschaftliche Zeitbombe. Die psy-chische und physische Unversehrtheit der Beschäftigten ist zusehends bedroht - mit erheblichen Folgekosten für die Betroffenen, die Sozialsysteme und die Unterneh-men. Die absehbare „Alterung“ von Belegschaften und Gesellschaft wird den Problemdruck erhöhen.

Thesen der IG Metall zum Anti-Stress-Kongress

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These 4: Die betrieblichen Präventionsaktivitäten sind in vielen Fällen mangelhaft. Sie reichen nicht aus, um negative arbeitsbedingte Gesundheitsbeeinträchtigun-gen zu vermeiden. Vor allem fehlt es an Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belas-tungen bei der Arbeit.

These 5: Die Gründe für die Umsetzungsdefizite bei der Gefährdungsbeurteilung sind vielfältig. Eine Ursache ist, dass für den Bereich der psychischen Belastungen eindeutige und verbindliche Vorgaben fehlen. Die IG Metall fordert: Wie bei Gefahrstoffen, Lärm oder Licht müssen den Unternehmen durch eine konkretisierende Arbeitsschutzverordnung („Anti-Stress-Verordnung“) Gestaltungseckpunkte für psychisch belastende Ar-beitsbedingungen vorgegeben werden.

These 6: Eine „Anti-Stress-Verordnung“ schließt die vorhandene Regelungslücke und erhöht den Schutz der Beschäftigten vor psychischen Belastungen bei der Ar-beit! Sie integriert alle zentralen Gefährdungsfaktoren in einer Rechtsvorschrift und ermöglicht einheitliche Anforderungen an die Gefährdungsbeurteilung. Sie präzisiert die Bestimmungen des Arbeitsschutzge-setzes, schafft Rechtssicherheit für alle Akteure und reduziert die Konflikte zwischen den Betriebsparteien über das „Ob“ und „Wie“ der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.

These 7: Eine Anti-Stress-Verordnung muss darlegen, welche psychischen Belastungsfaktoren in eine Ge-

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 13

fährdungsbeurteilung mindestens einzubeziehen sind. Zugleich muss sie klären, nach welchen Maßgaben eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchzuführen ist. Ihre Anforderungen müssen mög-lichst konkret sein. Das erleichtert die betriebliche Um-setzung und ist zugleich eine notwendige Vorausset-zung für die Beratung und Überwachung der Betriebe durch die Arbeitsschutzaufsicht.

These 8: Bessere gesetzliche Vorgaben sind eine not-wendige, aber keine hinreichende Voraussetzung zur Humanisierung der Arbeit. Unverzichtbar ist eine „Prä-ventionsbewegung von unten“. Hier sind Arbeitgeber, aber auch Betriebsräte und Vertrauensleute gefordert. Gemeinsam gilt es, Bewusstsein und Handlungsbereit-schaft gegen Gefährdungen bei der Arbeit zu fördern, Beschäftigte als Experten ihrer Arbeitsbedingungen einzubeziehen und Projekte „Guter Arbeit“ betrieblich zu verankern.

Foto: IG Metall

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung14

Bundesrat beschließt

Verordnung zum Schutz

vor Gefährdungen durch

psychische Belastung bei

der Arbeit

Die Länder-Initiative für eine „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Be-lastung bei der Arbeit“Im Oktober 2012 legten verschiedene sozialdemokratisch geführte Länder unter der Federführung von Hamburg

ebenfalls einen Entwurf für eine Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychi-sche Belastung bei der Arbeit vor, der den poli-tischen Prozess weiter vorantrieb. Nach intensi-ver Diskussion ist es den Initiatoren gelungen, im Mai 2013 einen Bundesratsbeschluss zu

diesem Verordnungsentwurf herbeizuführen.

Hierin wird hervorgehoben: „In Deutschland wurde es bisher versäumt, verständliche, hinreichend konkrete und verpflichtende Regelungen für den Umgang mit arbeitsbe-dingter psychischer Belastung zu treffen. (…). Die abstrakte rechtliche Vorgabe des Arbeitsschutzgesetzes zu arbeits-bedingter psychischer Belastung erschwert es Arbeitgebe-rinnen und Arbeitgebern, ihre Verpflichtungen zu erkennen und angemessen zu erfüllen und schränkt die Durchset-zungsfähigkeit der Überwachungsbehörden für konkrete und verbindliche Forderungen an die Betriebe stark ein. Die bedeutende Gefährdung durch arbeitsbedingte psychische Belastung bildet die Rechtsetzung nicht adäquat ab. Betrie-ben und Aufsichtsbehörden fehlt für ihr Handeln ein ver-bindlicher Bezugsrahmen. Das Arbeitsschutzgesetz bietet zwar eine Grundlage für die Beurteilung aller Gefährdun-gen, muss aber für arbeitsbedingte psychische Belastung – wie dies auch für andere bedeutende Belastungsfaktoren geschehen ist – durch eine untersetzende Verordnung kon-kretisiert werden. Sie ist eine notwendige Voraussetzung, um den Abstand zwischen den Erkenntnissen zu psychisch

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 15

Foto: iStockphoto

belastenden Arbeitsbedingungen und der alltäglichen Praxis in den Betrieben zu verringern“ .

(Bundesrat-Drucksache 315/13 – Beschluss)

Völlig zu Recht wird in dem Beschluss dargelegt, dass die Aufsichtsbehörden eine Konkretisierung der Gene-ralklauseln und allgemeinen Pflichten im Umgang mit psychischen Belastungen bei der Arbeit benötigen, damit gezielte betriebliche Strategien entwickelt werden könn-ten. Auch für Betriebs- und Dienstvereinbarungen sei eine konkretisierende Verordnung ein wichtiger Handlungsrah-men. Folglich hat der Bundesrat „in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 beschlossen, die beigefügte Vorlage für den Erlass einer Rechtsverordnung gemäß Artikel 80 Absatz 3 des Grundgesetzes der Bundesregierung zuzuleiten“. Als Anlage ist dem Beschluss der Verordnungsentwurf beige-fügt. Die Bundesregierung ist somit vom Bundesrat aufge-fordert, eine „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit“ auf Grundlage von § 18 Arbeitsschutzgesetz zu erlassen.

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung16

In der Begründung erläutert der Bundesrat den Kausalzu-sammenhang von Handlungsdefiziten in der Praxis und der Rechtsetzung:

„Unser Recht kennt für die anderen Gefährdungen jeweils ein klares System von allgemeinen gesetzlichen Anforde-rungen, Konkretisierungen auf einer ersten Stufe durch Verordnungen und weiterführenden Konkretisierungen durch Regeln der staatlichen Ausschüsse. Es ist aber

seit langem anerkannt, dass die Effektivität des Arbeitsschutzrechts eng mit dem Grad der je-weiligen Konkretisierung zusammenhängt. Vor allem bestärkt die fehlende normativ dirigier-te Konkretisierung im Bereich der Gefährdung

durch psychische Belastung das vorhandene Vorurteil, dass man diese Aufgabe bei Gefährdungsbeurteilungen und betrieblichen Maßnahmen ausklammern oder zu-mindest hintanstellen kann. Hier liegt eine wesentliche Ursache für den Umstand, dass alle Untersuchungen zum Ergebnis kommen, dass nur ein relativ geringer Teil von Gefährdungsbeurteilungen in deutschen Betrieben und Unternehmen sich auch auf die psychischen Belastungen erstrecken“ .

(Bundesrat-Drucksache 315/13 – Beschluss)

Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass die Länderkammer die von der Bundesregierung initiierte „Klarstellung“ der §§ 4 und 5 Arbeitsschutzgesetz zwar für „folgerichtig“ hält, aber kritisch anmerkt, dass die „isolierte Änderung zweier Normen des Arbeitsschutzge-setzes … jedoch deutlich hinter der Struktur des gelten-den Arbeitsschutzrechts“ zurückbleibt. Auch das insbe-sondere von Vertretern des BMAS gerne bemühte Argu-

Die Umsetzung von

Arbeitsschutzvorschriften

hängt von ihrem

Konkretisierungsgrad ab

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 17

ment, man solle die laufende Periode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) - also die Zeit von 2013 bis 2018 - abwarten, da das Thema „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ in diesem Zeitraum zu den drei zentralen Arbeitsschutzzielen gehöre, wird vom Bundes-rat deutlich zurückgewiesen: Zwar werde die Bearbeitung des Themas und die Erstellung von Leitlinien im Rahmen der GDA begrüßt, doch reiche dies nicht aus, um hinrei-chende Rechtssicherheit und Transparenz zu schaffen.

Reaktionen der Politik auf BundesebeneDie alte, schwarz-gelbe Regierungskoalition und die damaligen OppositionsfraktionenAuch wenn das eigentliche Ziel des Bundesrates noch nicht erreicht wurde, blieb die Initiative nicht ohne Wirkung auf die Regierungsparteien. So wurden zwar weitergehende Maßnahmen der Rechtsetzung im Antrag der damaligen schwarz-gelben Koalitionsfraktionen und in den Beiträ-gen ihrer Abgeordneten bei der Bundestagsdebatte am

Struktur des Arbeitsschutzrechts

EU-Richtlinien

ArbStättV GefStoffV BetrSichVLärm

VibrationsArbSchV

ArbMed-VV

ArbSchG ... SGB VII

Anti-Stress-Verordnung

ASTA AGS ABS AfAMed APBBG

Selbstver-waltung

ASR TRGS AMR UVV“TechnischeRegeln”

TRBSTRLV

Quelle: IG Metall

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung18

CDU/CSU und FDP lehnen

Anti-Stress-Verordnung ab

27. Juni 2013 abgelehnt. Gleichwohl haben sich auch die Regierungsparteien der Debatte nicht entziehen können und sahen sich gezwungen, mit einem eigenen Antrag zu reagieren.

Zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP mit dem vielversprechenden Titel: „Für eine humane

Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken“ (Bundestag-Drucksache 17/13088) stellte der Abgeordnete Max Strau-

binger (CDU/CSU) fest, dass für den Anstieg der psy-chischen Erkrankungen „vor allem“ die „zunehmende Arbeitsverdichtung und der Stress bei der Arbeit“ ver-antwortlich seien. Eine „eigenständige Antistressver-ordnung“ wurde jedoch entschieden abgelehnt. Eine „gesundheitsförderliche Unternehmenskultur“ lasse sich „nicht rechtsverbindlich vorschreiben“. Vielmehr sollten Betriebs- und Dienstvereinbarungen den „not-wendigen betrieblichen Handlungsrahmen“ konkretisie-ren. Er konzedierte die Notwendigkeit, auf dem Feld der psychischen Belastungen zu handeln, „allerdings ohne in unternehmerische Freiheiten einzugreifen und ohne

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 19

zusätzliche Bürokratie zu schaffen“ (Bundestag-Plenar-protokoll 17/250, S. 32144).

In einer „Gemeinsamen Erklärung zur psychischen Ge-sundheit in der Arbeitswelt“, die nach langwierigen Debatten vom Bundesministerium für Arbeit und So-ziales (BMAS), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerk-schaftsbund (DGB) im September 2013 unterzeichnet wurde, kommt von dem zuständigen Bundesministeri-um eine weniger ablehnende Haltung gegenüber einer Anti-Stress-Verordnung zum Ausdruck:

„Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält die rechtlichen Grundlagen für einen umfassenden Arbeits-schutz in Deutschland grundsätzlich für ausreichend. Es wird jedoch im Verlauf der zweiten Arbeitsperiode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) prüfen, inwieweit es im Lichte neuer Erkenntnisse Rege-lungsbedarf im Bereich arbeitsbedingter psychischer Be-lastung gibt“ (Gemeinsame Erklärung 2013).

Anders als die alte, schwarz-gelbe Regierungskoalition und die damals zuständige Ministerin gingen die Oppo-sitionsfraktionen des Bundestags mit dem Problem psy-chischer Belastungen bei der Arbeit um. In der zu Proto-koll gegebenen Rede des Abgeordneten Josip Juratovic zum Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Arbeits-fähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychische Belas-tungen in der Arbeitswelt reduzieren“ (Bundestag-Druck-sache 17/12818) betonte er, dass es „neuer Regelungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz“ bedarf, „um auf die steigenden psychischen Belastungen zu reagieren“.

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung20

„Wir brauchen dringend eine Anti-Stress-Verordnung, um die Regelungslücke im Arbeitsschutz zu schließen. (…) Eine Anti-Stress-Verordnung erleichtert die Handhabung des Gesetzes; denn es wird für Arbeitgeber, Arbeitneh-mer und die Aufsichtsbehörden klar definiert, was zu tun ist“ (Bundestag-Plenarprotokoll 17/250, S. 32147).

Die Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Beate Müller-Gemmeke, plädierte ebenfalls für eine Anti-Stress-Verordnung und bezog sich auf die öffentli-che Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom Mai 2013, bei der sich „Betriebsräte, Soziologen und Juristen, die Gewerkschaften und der Deutsche Beamten-bund, Betriebsärzte und die Kammer für Psychothera-peuten einhellig für eine solche Verordnung“ ausgespro-chen hätten. Sie setzte sich kritisch mit der Position der Regierungsfraktionen auseinander, die Zusammenhänge von psychisch belastenden Arbeitsbedingungen und

Erkrankungen seien noch nicht hinreichend erforscht, und betonte, dass Appelle der Re-gierungsfraktionen alleine nicht genügten, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. „Not-

wendig sind eine Anti-Stress-Verordnung und alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen; denn die Menschen müssen die Chance haben, gesund bis zur Rente arbeiten zu können“ (Bundestag-Drucksache 17/10867 und Plenar-protokoll, S. 32150)

Jutta Krellmann, Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, führte zum Antrag ihrer Fraktion aus, dass sie die For-derung der IG Metall nach einer Anti-Stress-Verordnung unterstütze. „Die Anti-Stress-Verordnung legt konkrete und verbindliche Kriterien fest, mit deren Hilfe sich alle

SPD, GRÜNE und LINKE

wollen verbindliche

Prävention mithilfe einer

Anti-Stress-Verordnung

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 21

Foto: IG Metall

möglichen Stressfaktoren ermitteln lassen. (…) Ohne diese Konkretisierungen bleibt der Schutz vor psychi-schen Belastungen letztlich unkonkret und unwirksam.“ Weiter plädierte sie dafür sicher zu stellen, dass die Betriebe die Gefährdungsbeurteilungen auch tatsäch-lich durchführen. Hierfür müssten die „Kontrollen des Arbeitsschutzes durch die Gewerbeaufsicht der Länder (…) deutlich intensiviert werden“. Es fehle „im Moment sowohl das notwendige Personal (…) als auch die Sank-tionsmöglichkeiten im Falle von Verstößen“ (Bundes-tag-Drucksache 17/11042 und Plenarprotokoll 17/250, S. 32149).

Während also die „alten“ Oppositionsfraktionen des Deutschen Bundestags darin übereinstimmten, dass eine Anti-Stress-Verordnung einen wichtigen Beitrag zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit leisten könnte, fiel die Positionierung des ehemali-gen „von der Leyen-Ministeriums“ anders aus. Dabei war die grundsätzlich ablehnende, aber mit einem Prüfauf-trag versehene Haltung gegenüber der Forderung einer

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Arbeitsschutzrechtliche

Ausnahmesituation:

Psychische Belastungen

als einziger Gefährdungs-

bereich ohne konkretisie-

rende Verordnung

Anti-Stress-Verordnung vermutlich nicht nur Resultat der unterschiedlichen Sichtweisen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden; sicher haben hierbei auch rechts-

systematische Gründe eine Rolle gespielt: Denn auch durch die Klarstellungen im Arbeitsschutzge-setz wird eine konkretisierende Rechtsverordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung nicht entbehrlich. Im Gegenteil: Eine stichhaltige juristische und arbeitswissenschaft-liche Begründung, warum alle in § 5 Absatz 3

genannten Gefährdungsbereiche durch eine konkretisie-rende Arbeitsschutz-Verordnung untersetzt sind und nur bei den psychischen Belastungen ein Ausnahme gemacht werden soll, wird sich kaum finden lassen.

Die schwarz-rote RegierungskoalitionDer Koalitionsvertrag der „neuen“, im Herbst 2013 gebil-deten schwarz-roten Regierungskoalition bleibt hinter den Anforderungen und Erwartungen hinsichtlich der notwendigen Modernisierung des Arbeitsschutzrechts deutlich zurück: Vor dem Hintergrund der breiten Zu-stimmung von Wissenschaft, Arbeitsschutzakteuren und Politik zu einem eigenständigen Regelwerk in Form einer Anti-Stress-Verordnung ist es umso bedauerlicher, dass die Absichtserklärungen von Union und SPD bislang kei-ne Fortschritte erwarten lassen. Auch die Stellungnahme der Bundesregierung vom März 2014 zu dem Bundesrats-beschluss zum Entwurf einer „Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit“ vom Mai 2013 macht die zögerliche Haltung deutlich. Folgende Argumente werden sowohl im Koalitionsvertrag als auch in der Stellungnahme bemüht:

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ISSN 0720-2946

Bundesratzu Drucksache 315/13 (Beschluss)

12.03.14

Unterrichtung

durch die Bundesregierung

Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Beschluss des

Bundesrates zum Entwurf einer Verordnung zum Schutz vor

Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mit Schreiben vom 11. März 2014

zu dem oben genannten Verordnungsentwurf Folgendes mitgeteilt:

Der Bundesrat hat in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 eine Verordnungsinitiative

zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit

beschlossen (BR-Ds. 315/13-Beschluss). Die Initiative wird mit einem Zuwachs an

Rechtssicherheit für den Anwender sowie Handlungssicherheit für die

Aufsichtsdienste in den Gestaltungsfeldern Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation,

Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsumgebungsbedingungen und soziale Beziehungen

begründet. Ferner sieht der Verordnungsentwurf die Einrichtung eines neuen

Ausschusses zur Konkretisierung der festgelegten Anforderungen vor. Die

Bundesregierung nimmt hierzu wie folgt Stellung:

Der Erhalt und die Förderung der psychischen Gesundheit bei der Arbeit ist ein

zentrales Arbeitsschutzthema und ein Schwerpunkt in der Gemeinsamen Deutschen

Arbeitsschutz-strategie (GDA). Die Träger der GDA, Bund, Länder und

Unfallversicherungsträger, wer-den mit Unterstützung der Sozialpartner und der

Kooperationspartner, vor allem der Krankenkassen, die Ziele der GDA Periode ab

2013, und hier besonders das Ziel „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei

arbeitsbedingten psychischen Belastungen“ konsequent und flächendeckend

umsetzen. Flankierende rechtsetzende Schritte bedürfen einer sorgfältigen Prüfung.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, das Thema zunächst in den geltenden

Arbeitsschutzverordnungen zu verankern. Dieser Auftrag fügt sich ein in die bereits

begonnenen Arbeiten. Im Arbeitsschutzgesetz ist bereits klargestellt, dass der

Integration in fachfrem-

de Verordnungen: kein

Ersatz für eigenständige

Anti-Stress-Verordnung

Foto: iStockphoto

1. Das Thema „psychische Belastungen“ soll in die be-reits bestehenden Arbeitsschutzverordnungen integriert werden. Die Bundesregierung erwähnt hierfür die Bildschirmar-beitsverordnung, die Biostoffverordnung und die Verord-nung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. Auch die zurzeit in Bearbeitung befindlichen Entwürfe zur Änderung der Arbeitsstättenverordnung und der Betriebssicherheitsverordnung sähen ent-sprechende Ergänzungen vor. Die gute Absicht, hiermit einen Beitrag zum Verkleinern der Re-gelungslücke auf dem Feld der psychischen Belastungen zu leisten, soll nicht bestritten werden. Aber mit diesem Vorgehen kann bei weitem keine Kompensation für eine eigenständige Anti-Stress-Verordnung erzielt werden. In den genannten Verordnungen sind lediglich allgemeine Anforderungen aufgenommen, psychische Belastungen in den jeweiligen Handlungsfeldern zu berücksichtigen. Der Konkretisierungsgrad dieser Einfügungen ist kaum

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größer als beim Arbeitsschutzgesetz selbst. Freilich liegt dieser Umstand vor allem darin begründet, dass „fach-fremde“ Verordnungen logischerweise andere Schutz-ziele verfolgen: So dient etwa die Biostoffverordnung in erster Linie zum Schutz vor Biostoffen. Psychische Belastungen können hier nur im Zusammenhang mit Bi-ostoffen behandelt werden und nicht als eigenständiger Gefährdungsbereich. Ein Zugewinn von Handlungs- und Rechtssicherheit ist auf diese Weise ganz sicher nicht zu erzielen.Mehr noch: Mit diesem Vorgehen entsteht ein „Flicken-teppich“ von allgemeinen und unvollständigen Anfor-

derungen, der gewiss nicht in der Lage ist, den betrieblichen Akteuren klare Orientierung für die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung psy-chischer Belastungen zu bieten. Und die Arbeits-

schutzakteure wissen: Die Umsetzung des Arbeitsschutz-rechts in den Betrieben hängt eng mit der eindeutigen Bestimmung von Schutzzielen in einer Rechtsvorschrift und ihrer Konkretisierung in dazugehörigen Regeln zu-sammen. Die Frage nach dem „Wie“ der Gefährdungsbe-urteilung psychischer Arbeitsbelastungen bleibt mit dem von der Bundesregierung favorisierten Weg weiterhin ungeklärt und dem eventuell stattfindenden Aushand-lungsprozess von Arbeitgebern und betrieblichen Interes-senvertretungen überlassen. Dies ist angesichts der seit Jahren deutlich anwachsenden Präventionserfordernisse wohl kaum ein zielführender Weg. Für die betrieblichen Normadressaten müssen alle zentralen Gefährdungsfak-toren zu psychischen Belastungen in einer Rechtsvor-schrift integriert werden. Nur eine eigene Rechtsverord-nung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen in Verbindung mit konkreten Regeln schafft

Regelungs-Flickenteppich

verstärkt die

Rechtsunsicherheit

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 25

Regelungslücke auf

dem Feld psychischer

Belastungen bleibt

eindeutige und überschaubare Anforderungen und besei-tigt die Rechtsunsicherheit bei den betrieblichen Arbeits-schutzakteuren. Erschwerend kommt hinzu, dass der Weg über eine Inte-gration in geltende Verordnungen zentrale Gefährdungs-faktoren auf dem Feld der psychischen Belastungen un-berücksichtigt lässt: In die bestehenden, auf fachliche Regelungsbereiche ausgerichteten Verordnungen können

Gefährdungsfaktoren, die etwa aus der Arbeitszeitge-staltung oder den sozialen Beziehungen resultieren, gar nicht integriert werden. Dies lassen die fachlichen Gel-tungsbereiche der bestehenden Arbeitsschutzverordnun-gen nämlich nicht zu. Schwierig werden dürfte es auch bei Gefährdungen durch die Arbeits-aufgabe und die Arbeitsorganisation. Bleibt festzuhalten: Auch aus Vollständigkeitsgründen bedarf es einer eigenständigen Anti-Stress-Verordnung. Zusätzlich zu den bereits genannten Vorteilen hätte sie den Vorzug, schon durch ihre Existenz die Relevanz des Problems und den Handlungsbedarf hervorzuheben.

Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit

Aufbau und Regelungsgegenstände

§ 1 Ziel, Anwend-ungsbereich

§ 6Arbeits-aufgabe

§ 11 AusschussPsychische Belastung

§ 12 StraftatenOrdnungswidrigkeiten

§ 2Begriffs-

bestimmungen

§ 7Arbeits-

organisation

§ 3Grund-

pflichten

§ 8Soziale

Beziehungen

§ 4Gefährdungs-beurteilung

§ 9Umgebungs-bedingungen

§ 5Unterweisung

§ 10Arbeitszeit-gestaltung

Quelle: IG Metall

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Auch der Umstand, dass alle in § 5 Arbeitsschutzgesetz genannten Gefährdungsbereiche durch eine Rechtsver-ordnung untersetzt sind - mit Ausnahme der psychischen Belastungen - bleibt erklärungsbedürftig. Eine derartige „arbeitsschutzrechtliche Ausnahmesituation“ auf einem der bedeutendsten Felder betrieblicher Arbeitsschutzpo-litik scheint weder fachlich noch juristisch begründbar zu sein.

Integration in „fachfremde“ Arbeitsschutzverordnungen: Scheinlösung!Eine Integration der „psychischen Belastungen“ in Ar-beitsschutzverordnungen zu anderen Gefährdungsbe-reichen … - schafft keine ausreichende Handlungs- und Rechts-

sicherheit für die Normadressaten - führt zu weiterer Desorientierung der betrieblichen

Akteure - hinterlässt nach wie vor Regelungslücken - befördert den Trugschluss, eine Gefährdungsbe-

urteilung psychischer Arbeitsbelastungen sei von nachrangiger Bedeutung

- schafft eine arbeitsschutzrechtliche Ausnahmesitu-ation, die fachlich und rechtlich nicht zu rechtferti-gen ist.

2. Ein weiteres Argument der Bundesregierung gegen den zügigen Erlass einer Anti-Stress-Verordnung lautet: Es müssen erst mehr wissenschaftliche Kenntnisse zu psychischen Belastungen erworben werden. Damit gehen Koalitionsvereinbarung und Stellungnah-me der Bundesregierung nicht über das hinaus, was die IG Metall schon in Verhandlungen mit der Vorgängerre-

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 27

Der gesetzliche Auftrag

verlangt eine Handlungs-

anleitung des Verordnungs-

gebers

gierung erreicht hatte. So sind die bislang gewonnenen Erkenntnisse sicher hinreichend, um konkrete Anforde-rungen an die Durchführung von Gefährdungsbeurteilun-gen psychischer Belastungen zu formulieren. Andernfalls wäre auch die seit Oktober 2013 gültige Änderung des Arbeitsschutzgesetzes, die eine Berücksichtigung psychi-scher Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung ex-plizit erfordert, gar nicht zu verantworten. Mehr noch: Es wäre politisch und juristisch geradezu unseriös, eine Anforderung wie die Durchfüh-rung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen vom Arbeitgeber abzuverlangen, ohne aber gleichzeitig als Gesetz- bzw. Verordnungsge-ber ausführen zu können, wie diese konkret umzusetzen ist. Wahrlich kein geeigneter Weg zu mehr Rechtssicher-heit und verbindlicher Prävention. Scheinbar unbeachtet bleibt im Koalitionsvertrag und in der Stellungnahme der Bundesregierung zum Bundes-ratsbeschluss zur Verordnung auch der Widerspruch, dass für eine Verankerung des Themas „psychische Be-lastungen“ in den geltenden Arbeitsschutzverordnungen

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Prinzipien der Rechtsetzung

und der Rechtsentwicklung

auch bei psychischen

Belastungen anwenden

die bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse offen-bar ausreichen, während sie jedoch für eine eigenständi-ge Anti-Stress-Verordnung erst generiert werden sollen. Auch wenn es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass die Arbeitsforschung und diesbezügliche Erkenntnisfort-schritte befördert werden sollen, bekommt das Argument

in diesem Zusammenhang einen faden Beige-schmack: Man kann sich des Eindrucks nicht er-wehren, dass es hauptsächlich dazu dient, von den dringenden Handlungserfordernissen des Verordnungsgebers abzulenken. Denn um neue

arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse in der Rechtset-zung angemessen und zeitnah zu berücksichtigen, muss im Bereich der psychischen Arbeitsbelastungen nur das umgesetzt werden, was im Arbeitsschutz generell üblich ist: Die regelmäßige Überprüfung und Novellierung von Verordnungen und Technischen Regeln. Die damit inten-dierte Weiterentwicklung der Rechtsetzung ist für alle Ge-fährdungs- bzw. Regelungsbereiche erforderlich. Andern-falls würde das Arbeitsschutzrecht dem Stand der Technik oder Arbeitsmedizin sowie den sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen meilenweit hin-

Foto: IG Metall

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terher hinken. Genau das will das Arbeitsschutzgesetz durch das Gebot der kontinuierlichen Aktualisierung aus-schließen.

Stand der Erkenntnisse: keine Hürde!Der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkennt-nisse ist kein Hinderungsgrund für den Erlass einer Anti-Stress-Verordnung, weil ... - hinreichende arbeitswissenschaftliche Erkenntnis-

se über psychische Belastungsfaktoren vorliegen - auch der Gesetzgeber mit der Klarstellung im Ar-

beitsschutzgesetz von hinreichenden wissenschaft-lichen Kenntnissen ausgeht

- bei regelmäßiger Überprüfung und Novellierung der Anti-Stress-Verordnung und ihrer Technischen Regeln der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt aufgenommen werden kann.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der Verordnungsge-ber wäre aus fachlicher und juristischer Sicht sehr wohl in der Lage, eine Anti-Stress-Verordnung zu erlassen, die dann gemäß der Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse novelliert werden müsste. Politisch willens hingegen scheint er gegenwärtig nicht. Offenbar fehlt bei diesem Vorhaben der Mut, es gegen den erklärten Wider-stand der Arbeitgeber und ihrer Verbände umzusetzen.

Zur Position der ArbeitgeberverbändeAuf Seiten der Arbeitgeberverbände stößt der Verord-nungsvorschlag auf strikte Ablehnung. Der Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa), Sa-scha Stowasser, bezeichnete die Anti-Stress-Verordnung als „Bürokratiemonster“. Mit diesem Einwand folgte das

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ifaa sicherlich weniger arbeitswissenschaftlichen Über-legungen als seinem politischen Auftrag als Institut der regionalen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elekt-roindustrie sowie des Gesamtverbands, Gesamtmetall. Eine arbeitswissenschaftlich oder arbeitsschutzrechtlich begründete Kritik am Entwurf der Anti-Stress-Verordnung wird von Seiten der Arbeitgeberverbände nicht geäußert; die Ablehnung wird im Wesentlichen damit begründet, dass die bestehenden Arbeitsschutz-Vorschriften bereits hinreichend seien. In diesem Sinne äußert Gesamtmetall:

„Neue Gesetze wie die von der Gewerkschaft geforderte Anti-Stress-Verordnung seien (…) weder nötig noch hilfreich, da es bereits stren-ge Regelungen zum Arbeitsschutz gebe. Dort,

wo der Arbeitsplatz systematischen Einfluss auf die Ge-sundheit habe, kämen diese Regelungen zum Tragen“. Darüber hinaus bemüht der Arbeitgeberverband Gesamt-metall folgende weitere Argumente: Eine Anti-Stress-Ver-ordnung „würde den Unternehmen keine praktische Hilfe bieten – angesichts des derzeit nur sehr unzureichend vorhandenen arbeitswissenschaftlichen Kenntnisstandes über das Gesundheitsgefährdungsniveau arbeitsbeding-ter Belastungen für die Psyche“. Zudem sei „noch eine erhebliche Forschungsarbeit erforderlich, um offene Fra-gen der Ursache-Wirkungs-Beziehung zufriedenstellend beantworten zu können“ (www.gesamtmetall.de).Der ehemalige Arbeitgeberpräsident Hundt sah durch eine Anti-Stress-Verordnung „die bewährten Strukturen des betrieblichen Gesundheitsschutzes“ gefährdet. Anlässlich der im Mai 2013 vom Bundesrat beschlossenen Anträge zum Arbeitsschutz appellierte er „an die Politik, die posi-tive Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt nicht durch neue Regulierung und Bürokratie zu behindern“. In diesem

Arbeitgeberverbände

wollen keine neuen Rege-

lungen im Arbeitsschutz

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 31

Arbeitgeber verneinen

betriebliche Ursachen für

psychische Erkrankungen

Sinne wurde betont, dass die BDA eine derartige Verord-nung nachdrücklich ablehne (www.arbeitgeber.de).Auch das wenig überzeugende Argument, dass die Ursa-chen psychischer Erkrankungen besonders im außerbe-trieblichen Bereich zu suchen seien, wurde von der BDA in ihrer Stellungnahme vom 7. Mai 2013 zu den Anträgen der Bundestagsfraktionen erneut ins Feld geführt: „(…) wenn es um die psychische Gesundheit der Belegschaft geht, ist der Einflussbereich der Unternehmen begrenzt, weil die Ursachen psychischer Erkrankungen in aller Regel außer-halb des betrieblichen Umfelds liegen (Hervorhebung d. Verf.). Ob Stress am Arbeitsplatz als zu belastend und damit gesundheitsgefährdend eingestuft wird, ist zudem oft eng mit der jeweiligen Person, ihrem privaten Umfeld oder ihrer gesundheit-lichen Prägung verbunden“. Die Konsequenz aus dieser Sichtweise heißt dann: „gründliche Ursachenforschung“ anstatt verpflichtender Prävention.Trotz der Ablehnung von konkreten Vorschriften durch den Verordnungsgeber können die Arbeitgeberverbände infolge des hohen öffentlichen und politischen Drucks nicht mehr umhin, einen Handlungsbedarf auf dem Feld arbeitsbedingter psychischer Belastungen zu konzedie-

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ren. So heißt es in der Gemeinsamen Erklärung zur psy-chischen Gesundheit von BMAS, BDA und DGB: Dabei set-zen sich die Sozialpartner „dafür ein, die Gesundheit bes-ser vor Gefährdungen durch arbeitsbedingte psychische Belastung zu schützen. Sie wirken insbesondere auf die flächendeckende Umsetzung betrieblicher Gefährdungs-beurteilungen unter Berücksichtigung sowohl physischer als auch psychischer Belastung hin.“In diesem Sinne hat die BDA im Juli 2013 einen Praxis-leitfaden für Arbeitgeber zur Durchführung der Gefähr-dungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz mit dem Schwerpunkt „Psychische Belastung“ veröffentlicht. Hierin wird auf zwei Motive abgehoben, die für die Erstellung des Leitfadens relevant waren: zum einen auf die zunehmen-de öffentliche Aufmerksamkeit und die damit verbundene Änderung des Arbeitsschutzgesetzes; zum anderen auf die gestiegene Sensibilität der Politik und der Aufsichts-

dienste für das Thema „psychische Belastung“. In diesem Zusammenhang wird auf die Leitlinien „Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“

sowie „Beratung und Überwachung bei psychischer Be-lastung am Arbeitsplatz“ hingewiesen. „Auch wenn beide Leitlinien ausdrücklich nicht an die Betriebe adressiert sind, ist damit zu rechnen, dass deren Inhalte das Über-wachungshandeln in den Aufsichtsdiensten zukünftig ver-stärkt prägen werden.“ Während in der jüngeren Vergangenheit Vokabeln wie „leug-nen, verharmlosen und individualisieren“ die Haltung der Arbeitgeberverbände charakterisierten, ist nun eine kon-ditionierte Öffnung gegenüber dem Problem psychischer Belastung bei der Arbeit zu verzeichnen. Inwiefern dies jedoch ohne den Verbindlichkeitsdruck durch eine ent-sprechende Verordnung in der betrieblichen Praxis Spuren

Handlungsbedarf wird nicht

mehr geleugnet

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung 33

hinterlassen wird, muss insbesondere vor dem Hintergrund des ESENER Surveys von 2009 bezweifelt werden: Hierin bestä-tigen nämlich 90 Prozent der befragten Ar-beitgeber, dass die gesetzliche Verpflich-tung für sie ein handlungsanleitendes Motiv im Arbeits- und Gesundheitsschutz bildet. Das Schließen der Regelungslücke auf Verordnungsebene bleibt also auch mit Blick auf die Präventions-Aktivitäten der Arbeitgeber von großer Relevanz.

Zwischenbilanz einer arbeitspoliti-schen Initiative der IG MetallEine Zwischenbilanz der Anti-Stress-Initiative kann auf der Habenseite ansehnliche Erfolge verbuchen, muss aber zugleich darauf verweisen, dass wichtige rechtliche Verbesserungen sowie eine nachhaltige Trendumkehr in der betrieblichen Praxis noch ausstehen.Dabei ist der IG Metall bei ihrer Initiative zum Thema „psy-chische Belastungen“ in der modernen Arbeitswelt ein erfolgreiches Agenda-Setting gelungen. Hilfreich waren dabei zweifelsohne die Burnout-Fälle unter prominenten Sportlern und Medienpersönlichkeiten, sofern sie dazu beigetragen haben, das Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren. Zugleich ist es gelungen, mit der Kompetenz der Betriebsräte und Vertrauensleute Stress am Arbeits-platz zum betriebspolitischen Thema zu machen. Zusätz-lich konnte die IG Metall durch ihren Verordnungsentwurf einen konkreten Lösungsvorschlag vorlegen, der in der Fachöffentlichkeit, bei Arbeits- und Gesundheitswissen-schaftlern, Psychologen und Psychotherapeuten ebenso wie bei Medizinern auf große Zustimmung gestoßen ist.

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Dies erhöhte den Druck auf die Politik und verstetigte das Thema über mediale Themenkonjunkturen hinweg. Von besonderer Bedeutung war zweifelsohne der Vorstoß der Länder, ihrerseits einen Entwurf für eine Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit vorzulegen und durch einen Bundesratsbe-schluss zu stärken. Dabei unterstrich die damit einherge-hende Zustimmung der verantwortlichen Aufsichtsbeam-ten der Länder, dass mit einer entsprechenden Verordnung zur Reduzierung praktischer Arbeitsschutzdefizite beige-tragen werden kann. Auch die drei Oppositionsparteien des Bundestags hatten sich nicht in parteitaktischen Pro-filierungs- und Abgrenzungsdebatten verheddert, sondern unterstützten, trotz unterschiedlicher Vorstellungen im Detail, die Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung. Verbindender Bezugspunkt war dabei die Ansicht, dass der Betrieb ein zentraler Ort für Präventionshandeln ist.Die Einbeziehung psychischer Belastungen in die Aufzäh-lung der Gefährdungsfaktoren im Arbeitsschutzgesetz kann auch als Versuch gewertet werden, den Verordnungs-Be-fürwortern den politischen Wind aus den Segeln zu neh-men. Doch dies wird das Engagement der IG Metall nicht erlahmen lassen. Dabei sind der breite fachlich-politische Konsens, die Sensibilität für das Thema in der Öffentlich-keit und die strategische Allianz zwischen Gewerkschaften, Ländern und der gegenwärtigen Parlamentsopposition ein tragfähiges Fundament für die zukünftigen Anstrengungen der IG Metall, in den politischen Arenen weiterhin Druck für eine entsprechende Verordnung zu entfalten. In den Un-ternehmen wird die IG Metall die Klarstellung im Arbeits-schutzgesetz für eine betriebspolitische Offensive nutzen. Durch eine Informations- und Aufklärungskampagne sollen dabei die betrieblichen Präventionsbemühungen verstärkt

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und die gesetzliche Neuregelung als Impuls für weitere be-triebliche Projekte „Guter Arbeit“ genutzt werden.Insgesamt, so ließe sich bilanzieren, hat die Anti-Stress-In-itiative der IG Metall Grenzen, aber auch Chancen einer arbeitspolitischen Initiative deutlich werden lassen. Dabei hat die IG Metall die Rolle eines „konstruktiven Vetospie-lers“ eingenommen. Einerseits hat sie mittels ihrer Veto-macht in den Arenen der Betriebs- und Gesellschaftspolitik Widerstand gegen die problemverschärfenden Modernisie-rungsstrategien aufgebaut, indem sie die psychisch belas-tenden Arbeitsbedingungen öffentlich skandalisiert und – wo möglich - betriebspolitisch attackiert hat. Zugleich hat sie einen eigenen Beitrag zur Weiterentwicklung der arbeitswissenschaftlichen Standards und zur Neu-Konst-ruktion des arbeitsschutzrechtlichen Regelwerks geleistet. Damit hat sie Bewegung in die Diskussion über ein zeitge-mäßes, der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts angepasstes Arbeitsschutzrecht gebracht. Bleibt zu hoffen, dass am Ende dieser Debatte die Anti-Stress-Verordnung steht.

Foto: IG Metall

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LiteraturBundesrat Drucksache 315/13 Beschluss, Entwurf einer Verord-

nung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belas-tung bei der Arbeit (2013)

BDA - Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (2013a): Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeits-schutzgesetz. Besonderer Schwerpunkt: Psychische Belas-tung. Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber

BDA - Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (2013b): Stellungnahme zu den Anträgen der Bundestags-fraktionen vom 7. Mai 2013: Geltendes Arbeitsschutzrecht schützt ausreichend vor arbeitsbedingten psychischen Ge-fährdungen

Deutscher Bundestag Ausschussdrucksache 17(11)1152 (2013)

Deutscher Bundestag Drucksache 17/10867 (2012): Antrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten

Deutscher Bundestag Drucksache 17/11042 (2012): Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren

Deutscher Bundestag Drucksache 17/12297 (2013): Entwurf ei-nes Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG)

Deutscher Bundestag Drucksache 17/12818 (2013): Antrag der SPD-Fraktion, Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten – Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren

Deutscher Bundestag Drucksache 17/13088 (2013): Antrag der CDU/CSU- und FDP-Fraktion, Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken

Deutscher Bundestag Plenarprotokoll 17/250 (2013)

ESENER – European Survey of Enterprises on New and Emer-ging Risks 2009; http://osha.europa.eu/en/riskobservato-ry/enterprise-survey-esener

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Fergen, A. (2013): Anti-Stress-Verordnung - Hintergründe, Ziele und politisches Umfeld, in: Schröder, L./Urban, H.-J. (Hrsg.): Gute Arbeit, Anti-Stress-Initiativen: Impulse aus Praxis und Wissenschaft, Frankfurt am Main, S. 65 ff.

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Gesamtmetall: Gesamtmetall-Informationen für die Presse 4/2013: Über psychische Erkrankungen weiter im Gespräch bleiben, http://www.gesamtmetall.de/gesamtmetall/meon-line.nsf/id/GIP-4-2013-Psychische-Erkrankungen

IG Metall Vorstand (2012): Anti-Stress-Verordnung. Eine Initiati-ve der IG Metall, hrsg. v. IG Metall Vorstand, Ressort Arbeits-gestaltung und Gesundheitsschutz, Frankfurt am Main

Urban, H.-J./Fergen, A. (2014): Die Initiative der IG Metall für eine Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Stand-ortbestimmung, in: Schröder, L./Urban, H.-J. (Hrsg.): Gute Arbeit, Profile prekärer Arbeit - Arbeitspolitik von unten, Frankfurt am Main, S 311ff.

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Anti-Stress-Paket

Das »Anti-Stress-Paket« der IG Metall beinhaltet einen USB-Stick mit Texten, Materialien und Handlungshilfen zu psychischen Belastungen und Arbeitszeit, etwa das StressBarometer und den Arbeitszeit-TÜV.

Zu bestellen unter www.igmetall.de/shop

Anti-Stress-Verordnung

Es ist höchste Zeit zu handeln. Aber das Arbeitsschutzrecht hinkt hinterher. Auf dem Feld der psychischen Belastungen besteht eine Regelungslücke, die es zu schließen gilt. Die IG Metall zeigt mit ihrem Verordnungsentwurf, dass auch hier praktikable Regeln möglich sind.

Zu bestellen unter www.igmetall.de/shop

Tipps für den Arbeitsplatz Nr. 46 - Anti-Stress-Verordnung. Eine IG Metall-Initiative

Stress, Burnout und psychische Erkrankungen nehmen in der Arbeitswelt immer mehr Raum ein. Auf acht Seiten zusammengefasst finden sich hier Befunde zu psychischen Belastungen und Gründe für eine An-ti-Stress-Verordnung aus Sicht betrieblicher Praktiker.

Zu bestellen unter www.igmetall.de/shop

Weitere Informationen

Anti-Stress-PaketPsychische Belastungenerfolgreich reduzieren

Mehr Informationen:www.igmetall.de/gutearbeitExtranet der IG Metall: Praxis – Rat + Tat – Gute ArbeitKontakt: [email protected]

Impressum:IG Metall VorstandRessort Arbeitsgestaltung und GesundheitsschutzWilhelm-Leuschner-Str. 79, 60329 Frankfurt/Mainwww.igmetall.de

Verantwortlich: Hans-Jürgen UrbanRedaktion: Iris Becker, Andrea Fergen, Thomas Veit, Petra Müller-Knöß

Titelfoto: Mahesh Patil, Fotolia.comAugust 2012

22247-35451

Weitere Materialien aus demArbeits- und Gesundheitsschutz

Initiative «Gute Arbeitim Büro»DokumentationSeptember 2011,kostenlos

Lärmprävention inBüro und ProduktionArbeitshilfe fürBetriebsräte zurneuen Lärm- undVibrationsarbeits-schutzverordnung,Dezember 2011, 3 2,50

BurnOutAusgebrannt –Betriebsräte als Lotsenfür Burnout-BetroffeneSeptember 2011, 3 3,00

Betriebsräte organisierenBeteiligungGute Arbeit im Betriebbraucht DemokratieHandlungshilfen undPraxisbeispiele fürBetriebsräte undVertrauensleuteJanuar 2010, 3 2,00

Gute Arbeit imSchichtbetrieb?So werden SchichtplänebesserArbeitsmappe,Januar 2009, 3 2,80

Betriebsärzte undFachkräfte fürArbeitssicherheitArbeitshilfeMärz 2011, 3 1,90

Ressort Arbeitsgestaltungund Gesundheitsschutz

Vorstand

VorstandArbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz

Anti-Stress-VerordnungEine Initiative der IG Metall

FACHINFORMATIONEN ZUR ARBEITSGESTALTUNG I NR. 46 I Dezember 2012

46

TIPPSf ü r d e n A r b e i t s p l a t z

+++ www.igmetall.de/gutearbeit +++ www.igmetall.de/gutearbeit +++

INHALTSeiten 2/3: Die Regelungslücke schließen

h Interview mit Professor Johannes Siegrist

h Zeitbombe Arbeitsstress

h Die Anti-Stress-Verordnung

h IG Metall-Broschüre zur Anti-Stress-Verordnung

Seiten 4/5: Mehr Rechts- sicherheit und Verbindlichkeit

h Interview mit Hans-Jürgen Urban

h Gefährdungen durch psychische Belastungen

h Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen sind die Ausnahme

Seite 6: Praktiker sagen ihr Meinung

h Hans-Peter Kern, Betriebsrat bei Bosch Reutlingen und alternierender Vorstandsvorsitzender der BG ETEM

h Andrea Theiss, Gewerkschafts- sekretärin in der IG Metall- Verwaltungsstelle Herborn

Seite 7: Die Politik kommt in Bewegung

h Bundesländer wollen eine Anti-Stress-Verordnung

h SPD, Grüne und Linke für eine gesetzliche Lösung

Seite 8: Tipps für die Praxis h Das Anti-Stress-Paket der IG Metall

h Seminare und Literatur

Anti-Stress-Verordnung Eine IG Metall-InitiativeEs ist höchste Zeit zu handeln! Stress, Burnout und psychische Erkrankungen nehmen in der Arbeitswelt immer mehr Raum ein. Das Arbeitsschutzrecht aber hinkt hinterher. Es verpflichtet die Arbeitgeber nicht konkret genug zur Stressprävention. Die Regelungs- und Schutzlücke ist offensichtlich. Diese

Lücke zu schließen – dafür engagiert sich die IG Metall mit ihrer Anti-Stress-Initiative und hat jetzt selbst den Ent-

wurf einer Anti-Stress-Verordnung vorgelegt. Das ist zugleich ein Angebot zur konstruktiven Diskussion an alle verantwortlichen Akteure im Arbeits- und

Gesundheitsschutz. Eine Verordnung kann der betrieblichen Stressprävention entscheidende Impulse geben.

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Gemeinsame Erklärung psychische Gesundheit in der Arbeitswelt

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-bände und der Deutsche Gewerkschaftsbund wollen gemeinsam dazu beitragen, psychischen Erkrankungen vorzubeugen und die Wiedereingliederung erkrankter Beschäftigter zu verbessern.

Zu bestellen unter www.bmas.de

Jahrbuch Gute Arbeit

Die Zeitbombe Arbeitsstress tickt. Chronische Erschöp- fung, Burnout, Depressionen sind die häufigsten Folgen. Das Jahrbuch Gute Arbeit 2014 dokumentiert Befunde, Regelungsbedarf und Strategien. Für Mitglieder gibt es eine wesentlich günstigere Sonderausgabe.

Zu bestellen unter www.igmetall.de/extranet > Praxis > Rat+Tat > Gute Arbeit.

Stressreport Deutschland 2012

Die Wirkungszusammenhänge zwischen Arbeitsbedin-gungen und psychischen Störungen sind in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Stressreport dokumentiert, in welchem Umfang Beschäftigte in Deutschland derzeit psychischen Anforderungen und psychischer Belastung in der Arbeit ausgesetzt sind.

Zu bestellen unter http://www.baua.de

Stressreport Deutschland 2012

Psychische Anforderungen, Ressourcen

und Befinden

A. Lohmann-Haislah

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Anti-Stress-Verordnung: Zwischenbilanz und Standortbestimmung40www.igmetall.de