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Antonia Berger (Hg.) Wir warten auf die Weihnachtsnacht

Antonia Berger (Hg.) · Dino Buzzati E ntsinnst du dich noch«, fragte im Paradies der Tiere die Seele des Esel-chens die Seele des Ochsen, »entsinnst du dich noch zufällig jener

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Antonia Berger (Hg.)

Wir warten auf dieWeihnachtsnacht

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24 Adventskalendergeschichten

Mit Illustrationen von Tilman Michalski

Antonia Berger (Hg.)

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

Opuspraximatt von Condat liefert Deutsche Papier.

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2008© 2008 cbj, München

Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehaltenDiese Zusammenstellung ist in anderer Ausgabe bereits 2006 bei OMNIBUS, München,

unter dem Titel »Wir warten auf den Weihnachtsstern« erschienen.Umschlagbild und Innenillustrationen: Tilman Michalski

Umschlagkonzeption: Basic-Book-Design, Karl Müller-BussdorfSaS · Herstellung: SH

Satz und Reproduktion: Lorenz & Zeller, Inning am AmmerseeDruck und Bindung: Tesinska Tiskarna, a.as., Cesky Tesin

ISBN 978-3-570-13619-5Printed in the Czech Republic

www.cbj-verlag.de

cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House

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INHALT

1. AureliusEdith Schreiber-Wicke 7

2. Zu viel WeihnachtenDino Buzzati 13

3. WeihnachtsüberraschungenPaul Maar 19

4. Die erste ProbeBarbara Robinson 25

5. Gibt es einen Weihnachtsmann?Anonym 31

6. Das Nikolaus-ABCJames Krüss 35

7. Die Geschichte vom WeihnachtsbratenMargret Rettich 39

8. WeihnachtenMirjam Pressler 43

9. Die Geschichte vom kleinen Bären und von der langen, kalten WinternachtFredrik Vahle 47

10. Millie und der AdventskalenderDagmar Chidolue 51

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11. Wie sich das Christkind das Bein gebrochen hatteHeinrich Hannover 57

12. Der Weihnachtsmann in der LumpenkisteErwin Strittmatter 61

13. Wie Joschi zu seinem Meerschweinchen kamRoswitha Fröhlich 67

14. Worüber das Christkind lächeln mussteKarl Heinrich Waggerl 73

15. Das Weihnachtsgeschenk des Kleinen EngelsCharles Tazewell 77

16. Der Engel mit dem GipsarmRenate Schupp 83

17. Der Teufel an der KrippeHans Baumann 87

18. Lisa und ihr TannenbaumRenate Welsh 91

19. Der kleine WeihnachtseselAgatha Christie 95

20. Die Legende vom Nikolaus und Jona mit der TaubeWilli Fährmann 99

21. Warum es keine Weihnachtslärche gibtJosef Guggenmos 105

22. Mikesch und der SchneemannJosef Lada 109

23. Der TannenbaumKirsten Boie 113

24. Die WeihnachtsgeschichteNach Lukas und Matthäus 121

AusklangRobert Gernhardt 125

Autoren- und Quellenverzeichnis 126

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AureliusEdith Schreiber-Wicke

Zimm«, machte der Engel Aurelius auf seiner Harfe. »Zimm, zilimm.«»Halleluja!« Der Dienst habende Oberengel blieb neben Aurelius stehen.

»Halleluja«, antwortete Aurelius höflich. Denn Engel sind immer höflich. »Was machst du heuer zu Weihnachten?«, fragte der Oberengel. »Ich weiß noch nicht«, antwortete Aurelius. »Vielleicht Harfe üben. Ich möchte zum Himmelsorchester.«

»Wir brauchen noch einen Weihnachtsengel aufder Erde«, sagte der Oberengel. »Ich habe an

dich gedacht.« Aurelius legte die Harfeweg und nickte gehorsam.Denn Engel sind immer gehorsam. »Was habe ich zu tun?«,fragte Aurelius.

»Du darfst drei Menschen aufder Erde einen Wunsch erfül-

len«, antwortete der Oberengel.»Nichts leichter als das«, frohlockte

Aurelius. Engel frohlocken be-kanntlich gern.

Der Oberengel lächelte nur.Aurelius nahm die nächste

Eilwolke zur Erde. Er landete in einer Stadt.

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Menschen hasteten an ihm vorbei, Autos hupten, eine Straßenbahn klingelteschrill.»Schau, Mama, ein Engel«, sagte ein kleines Mädchen.»Das ist nur jemand, der sich als Engel verkleidet hat«, antwortete die Mutterund zog das Kind schnell weiter. Auch sie hatte es eilig.Aurelius betrat ein Kaffeehaus. An einem der kleinen Marmortische saß einMann und hielt den Kopf in die Hände gestützt. Vor ihm lag ein dicker Brief-umschlag. Schon wieder hat ein Verlag sein Buch abgelehnt, las Aurelius inseinen Gedanken. Denn Engel können natürlich Gedanken lesen. Wie gut, dassich gekommen bin, dachte Aurelius.»Sie wünschen?«, fragte er den Mann, der düster den Brief anstarrte.»Tee mit Zitrone«, sagte der Mann, ohne aufzuschauen.»Haben Sie denn keinen anderen Wunsch?«, fragte Aurelius eindringlich.Der Mann schaute noch immer nicht auf. »Ich hab doch schon gesagt, Tee mitZitrone«, wiederholte er ungeduldig.Aurelius seufzte und dachte eine Tasse Tee mit Zitrone auf den kleinen Marmortisch. Ein Kaffeehaus, dachte er gleichzeitig, ist wohl doch nicht derrichtige Platz für einen Weihnachtsengel.Lange schlenderte Aurelius unschlüssig durch die Straßen. Schließlich hörte er Kinderstimmen aus einem großen grauen Haus. »Volksschule« stand überdem Eingang. Aurelius öffnete die Tür und ging einen langen Gang entlang.Die Kinder hatten gerade Pause. Sie aßen belegte Brote oder Wurstsemmelnund tranken mit Strohhalmen Milch oder Kakao. Ein paar Kinder drehten sichnach Aurelius um und kicherten.»Der ist bestimmt vom Gymnasium drüben. Da proben sie ein Weihnachts-spiel«, sagte jemand.Aurelius hörte leises Schluchzen. In einer Klasse saß ein Kind mit verheultemGesicht.»Hallo, Klaus, hast du Kummer?«, fragte Aurelius.Klaus schaute Aurelius erstaunt an. »Bist du vom Schülertheater?«»Nein, ich bin einer von den Himmlischen«, antwortete Aurelius. »Du darfstdir etwas wünschen.«»Ich bin doch nicht so blöd und glaub so was«, sagte Klaus. »Hab ich nicht auch deinen Namen gewusst?«, gab Aurelius zu bedenken.Klaus überlegte kurz. »Steht doch da auf meinem Heft«, sagte er dann.

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»Du hast einen Wunsch frei. Versuch’s doch«, drängte Aurelius.»Na los, du Scherzbold. Dann verwandle mein ›nicht genügend‹ in ein ›sehrgut‹«, verlangte Klaus und schob Aurelius sein Diktatheft entgegen. Da warenfast so viele Fehler wie Wörter.»Noten sind doch unwichtig«, sagte Aurelius. »Gibt es denn nichts Wich-tigeres, was du dir wünschst?«»Ich hab mir gleich gedacht, dass du’s nicht kannst«, sagte Klaus.Seufzend berührte Aurelius die Heftseite.»Null Fehler. Sehr gute Arbeit«, stand da plötzlich mit Rotstift geschrieben.Im Diktat war kein einziger Fehler mehr.Sprachlos starrte Klaus auf die schön geschriebenen Zeilen. Als er wieder auf-schaute, war Aurelius verschwunden.Es war dunkel geworden.Nachdenklich ging Aurelius an den weihnachtlich geschmückten Auslagenvorbei. Er schüttelte unzufrieden den Kopf. Einmal Tee mit Zitrone und einSehrgut im Diktatheft … Mit dem letzten Wunsch würde er achtsamer umge-hen. Plötzlich hörte er verzweifelte Stimmen durch die dicken Wände einesHauses. Denn natürlich können Engel durch Wände hören. Aurelius ging derStimme nach.Durch eine Wohnungstür im ersten Stock konnte man die Stimme ganzdeutlich hören. Auch wenn man kein Engel war.»Wenn ich nur wüsste, was ich machen soll! Es ist zum Verzweifeln!«, jammerte die etwas schrille Stimme.Aurelius läutete. Die Tür wurde sofort aufgemacht.»Na, endlich sind Sie da«, sagte eine rundliche kleine Frau mit rotem Gesicht,ohne Aurelius anzusehen. »Fangen Sie gleich an, die Brötchen anzubieten.« »Brötchen?!« Aurelius war verwirrt. Jetzt schaute ihn die rundliche kleine Frau an. »Bringen Sie nicht die Brötchenfür unsere Weihnachtsfeier?«, fragte sie entsetzt. »Ja, was wollen Sie denndann? Und warum sind Sie verkleidet, um Himmels willen?«»Um Himmels willen«, bestätigte Aurelius. »Ich hin hier, um Ihnen einenWunsch zu erfüllen.«»Sie sehen doch, Sie stören«, sagte die Frau nervös. »Das ist eine privateWeihnachtsfeier.«Es läutete wieder an der Tür. Diesmal waren es die Brötchen.

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Drei Kellner reichten üppig beladene silberne Teller herum. Die Brötchenwaren kunstvoll verziert. Aurelius lehnte dankend ab. Engel essen keineBrötchen.»Haben Sie denn keinen Wunsch?«, fragte Aurelius die Frau. Ein paar Gästekamen näher und hörten zu.»Wir haben hier einen Weihnachtsengel«, rief die Frau. »Hat zufällig irgend-jemand einen Wunsch?«Die Gäste lachten und redeten durcheinander.»Er soll beweisen, dass er ein echter Engel ist!«, rief ein Gast laut. »Vielleichtschweben oder was Engel halt so tun.«»Ihr vergeudet eine Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkommt«, sagte Aurelius eindringlich.»Wunsch ist Wunsch«, sagte der Gast störrisch.»Jawohl, Beweise«, sagte jemand anders lachend.Aurelius war mit seiner Engelsgeduld am Ende. Er hob die linke Hand. FarbigeLichtstrahlen breiteten sich rund um ihn aus und wurden zu einem intensivenLeuchten. Einen Augenblick blieb Aurelius so stehen. Dann schwebte er durchdas geschlossene Doppelfenster in die dunkle Winternacht. Wie eine Stern-schnuppe verglühte das Licht am nachtschwarzen Himmel.

»Frohe Weihnachten, lieber Aurelius«, rief der Oberengel zurBegrüßung. »Heuer bin ich Weihnachtsengel für die Himmli-schen. Du hast einen Wunsch frei.«»Halleluja!«, frohlockte Aurelius. Leise und fast richtig begann

er »Stille Nacht« auf seiner Harfe zu spielen. »Dein Wunsch?«, fragte der Oberengel.

»Nie wieder Weihnachtsengel«, sagte Aurelius.

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Zu viel WeihnachtenDino Buzzati

Entsinnst du dich noch«, fragte im Paradies der Tiere die Seele des Esel-chens die Seele des Ochsen, »entsinnst du dich noch zufällig jener Nacht

vor vielen Jahren, als wir in einer Art Hütte standen, und gerade dort in derKrippe …?«»Lass mich nachdenken! Ja, richtig«, bestätigte der Ochse, »in der Krippe lagein neugeborenes Kind. Wie hätte ich das vergessen können? Es war ein soschönes Kind.«»Seit damals, wenn ich nicht irre«, sagte nun das Eselchen, »weißt du, wieviele Jahre seit damals vergangen sind?«»Wo denkst du hin, ich mit meinem Ochsengedächtnis.« »Eintausendneunhundertsechzig.«»Was du nicht sagst!«»Und im Übrigen, weißt du, wer das Kind gewesen ist?«»Wie soll ich das wissen. Es waren doch Leute auf der Durchreise. Gewiss einwunderschönes Kindlein. Merkwürdig, dass es mir nie aus dem Sinn gekom-men ist, und dabei schienen seine Eltern doch ganz gewöhnliche Menschen.Sag mir, wer war es?«

Das Eselchen flüsterte etwas ins Ohr des Ochsen.»Aber nein«, sagte dieser verblüfft; »wirklich? Du scherzt doch wohl

nur?«»Nein, es ist die reine Wahrheit. Ich schwöre … übrigens hatte ich

es schon damals sofort verstanden.«»Ich nicht, ich gebe es zu«, sagte der Ochse, »aber du bist eben intelligenter als ich. Ich habe es nicht einmal geahnt. Obwohl esein wunderschönes Kind war.«

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»Nun gut, seit damals feiern die Menschen jedes Jahr ein großesFest zu seinem Geburtstag. Es gibt keinen schöneren Tag fürsie. Wenn du sie nur sehen könntest. Es ist eine Zeit allgemei-ner Heiterkeit, der Seelenruhe, der Sanftmut, des Friedens, derFamilienfreuden, des Sich-gern-Habens. Selbst Mörder wer-den zahm wie Lämmer. Weihnacht nennen es die Menschen.Übrigens, mir kommt ein guter Gedanke. Da wir schon da-von sprechen, soll ich sie dir zeigen?«»Wen?« »Die Menschen, die Weihnachten feiern.« »Wo?«»Unten auf der Erde.«»Warst du schon einmal dort?«»Jedes Jahr mache ich einen Sprung hinunter. Ich habe einen besonderen Pas-sierschein. Aber ich denke, du wirst auch einen bekommen, denn nach allemkönnten wir zwei wohl auch auf etwas Anerkennung Anspruch erheben.«»Weil wir das Kindlein damals mit unserem Atem wärmten?«»Komm, beeile dich, wenn du nicht das Beste versäumen willst. Heute istHeiliger Abend.«»Und mein Passierschein?«»Sofort gemacht, ich habe einen Vetter im Passamt.«Der Passierschein wurde bewilligt. Sie setzten sich in Bewegung, und unend-lich leicht, wie es körperlosen Säugetieren eigen ist, schwebten sie vomHimmel auf die Erde. Bald entdeckten sie ein Licht und hielten darauf zu. Auseinem wurden tausende, es war eine riesenhafte Stadt.Und da durchwanderten nun Eselchen und Ochse, unsichtbar, die Straßen desZentrums. Da es sich um Geister handelte, fuhren Autobusse, Automobile,Straßenbahnwagen durch sie hindurch, ohne Schaden anzurichten, und selbstdurch Mauern war es ihnen gegeben zu gehen, als ob sie Luft wären. So ver-mochten sie alles nach Herzenslust zu betrachten. Es war wirklich ein ein-drucksvolles Schauspiel: tausende von Lichtern in den Schaufenstern, Blumen-gewinde, Girlanden, unzählige Tannenbäume; die ungeheure Stauung der Wa-gen, die sich abmühten, durch enge Straßen zu fahren, und das wirblige Gewim-mel und Hin und Her der Menschen, die sich in den Läden drängten, hinein-und wieder herausströmten, sich mit Paketen und Paketchen beluden und alle

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gespannte Gesichter hatten, als würden sie gejagt. Das Eselchen schien bei die-sem Anblick wie verzückt, während der Ochse sich voller Entsetzen umsah.»Höre, Freund Eselchen, du hast mir gesagt, dass du mir Weihnachten zeigenwolltest! Du hast dich wohl geirrt. Ich sage dir, hier ist doch Krieg!«»Siehst du denn nicht, wie zufrieden alle sind?«

»Zufrieden? Mir kommen sie wie Wahnsinnige vor. Sieh doch auf ihrebesessenen Gesichter, ihre fiebrigen Augen.«

»Du bist eben ein Provinzler, mein lieber Ochse, und bist aus demParadies herausgekommen. Du verstehst die modernen Menschennicht. Um sich zu unterhalten, um sich zu freuen, um sich glücklichzu fühlen, haben sie es nötig, ihre Nerven zu ruinieren.«

Laufburschen auf Fahrrädern, die gefährlich große Paketbündel balan-cierten, zogen vorbei; Lieferwagen wurden be- und entladen; riesigeMengen von Süßigkeiten und Berge von Blumen lösten sich unter dem

Ansturm keuchender Menschen auf; Lampen blitzten und verloschen;seltsame Lieder, die Schreien ähnelten, dröhnten von allen Seiten. Dank seiner körperlosen Natur flog der Ochse neugierig zu einem Fenster

im siebten Stock hinauf. Das Eselchen folgte gutmütig.Sie sahen ein reich möbliertes Zimmer, wo eine sorgenvolle Damevor einem Tisch saß. Linker Hand lag ein Haufen von fast einemhalben Meter farbiger Karten und Kärtchen aufgebaut und rechts

von ihr ein Stoß weißer Billetts. Die Dame, sichtlich bemüht, keineMinute zu verlieren, nahm hastig ein farbiges Kärtchen, betrachtete es

einen Augenblick lang, sah in einem dicken Buch nach und schrieb sodannetwas auf eines der weißen Billetts, steckte es in einen Umschlag, schlossden Umschlag, dann nahm sie vom linken Stoß ein neues buntes Kärt-

chen und wiederholte die ganze Prozedur. Ihre Hände bewegten sich soschnell, dass man ihnen kaum folgen konnte. Aber der Haufen bunterKärtchen hatte einen eindrucksvollen Umfang. Wie lange würde sie

wohl brauchen, um alles zu erledigen? Man sah es der Unglück-lichen an, dass sie fast nicht mehr konnte, und dabei war sie erstam Anfang.

»Hoffentlich bezahlen sie sie wenigstens gut für eine solche Schuf-terei«, sagte der Ochse.»Du bist naiv, lieber Freund! Das ist eine außerordentlich reiche

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Dame aus der besten Gesellschaft.«»Und warum arbeitet sie sich dann zu Tode?«»Sie arbeitet sich gar nicht zu Tode, sie antwortet nur auf Glückwunschkarten.«»Glückwunschkarten? Was nützen die?«»Nichts, absolut nichts. Aber wer weiß, warum, die Leute haben jetzt einebesondere Vorliebe dafür.«Sie sahen in ein anderes Zimmer hinein. Auch da saßen Leute mitSchweißperlen auf der Stirn und in Aufregung und schrieben Glückwün-sche auf Glückwunschkarten. Überall, wo die beiden Tiere hineinschau-ten, richteten Männer und Frauen Päckchen, schrieben Adressen, liefenans Telefon, eilten blitzschnell von einem Zimmer ins andere, Schnüre,Bänder, Kärtchen, Gehänge tragend, während junge Dienstboten, mitvon Müdigkeit gezeichneten Gesichtern, weitere Päckchen, weitere Schach-teln, weitere Blumen und neue Stöße von Briefen, Rollen, Kärtchen undBogen herbeischleppten. Und alles war Hast, Aufregung, Verwirrung, Müheund eine schreckliche Anstrengung.Überall, wo sie hinkamen, zeigte sich ihnen dasselbe Schauspiel. Kommen und Gehen, Kaufen oder Verpacken, Absenden oder Empfangen, Einwickeln,Auswickeln, Rufen und Antworten. Und alle blickten immer nach derUhr, alle hasteten, alle keuchten, von Furcht besessen, nicht zur Zeitfertig zu werden, jemand brach zusammen, schnappte nach Luft unterder immer größer werdenden Flut der Pakete, Päckchen, Kärtchen, Ka-lender, Geschenke, Telegramme, Briefe, Karten, Billetts und so weiter.»Du hast mir doch gesagt«, bemerkte der Ochse, »dass es ein Fest der Heiterkeit, des Friedens und der Seelenruhe sei.«»Tja«, antwortete das Eselchen, »einmal war es auch so. Aber was soll ichdir sagen, seit einigen Jahren scheinen die Menschen beim Nahen desWeihnachtsfestes wie von einer geheimnisvollen Tarantel gestochen undverstehen rein gar nichts mehr. Hör ihnen doch zu.«Verwundert hörte der Ochse hin. In den Straßen, den Geschäften, denBüros, den Fabriken sprachen die Menschen schnell miteinander undwechselten, wie Automaten, monotone Redensarten: »Fröhliche Weih-nachten« – »Gesegnete Weihnachten« – »Danke, auch Ihnen« – »Fröhliche Weihnachten« – »Gesegnete Weihnachten« – »Danke« – »Fröhliche Weihnachten« – »Fröhliche Weihnachten« …

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Es war ein Geflüster, das die ganze Stadt füllte.»Glauben sie denn daran?«, fragte der Ochse. »Meinen sie es wirklich so?Lieben sie ihren Nächsten?«Das Eselchen schwieg.»Wollen wir nicht etwas abseits gehen?«, schlug der Ochse vor. »Der Kopfbrummt mir und ich habe Sehnsucht nach dem, was du Weihnachtsstimmungnennst.« »Im Grunde auch ich«, gab das Eselchen zu. So schlüpften sie durch die wirbelnden Schleusen der Wagen, entfernten sichein wenig vom Zentrum, von den Lichtern, dem Lärm, der Raserei.»Du, der mehr davon versteht als ich«, begann der Ochse, immer noch wenig überzeugt, »sag mir doch, bist du wirklich sicher, dass das dort keineVerrückten sind?«»Nein, nein, es ist eben einfach Weihnachten.«»Dann ist dort zu viel Weihnachten. Erinnerst du dich noch an die Hüttedamals in Bethlehem, an die Hirten und das schöne Kind? Auch dort war eskalt, aber welcher Frieden, welche Zufriedenheit. Wie anders war es damals.«»Ja, und die fernen Klänge des Dudelsacks, die man nur ganz leise hörte?«»Und das sanfte Flügelschlagen auf dem Dach. Was für Vögel das wohlwaren?«»Vögel? Aber nein doch, Engel waren es.«»Und die drei reichen Herren, die Geschenke brachten, entsinnst du dich nochihrer? Wie wohlerzogen sie waren, wie leise sie zusammen sprachen, welchvornehme Leute. Könntest du sie dir heute in diesem Rummel vorstellen?« »Und der Stern? Denkst du noch an den hellen Stern, der damals gerade über der Hütte stand? Ob es ihn heute noch gibt? Sterne haben doch meist einlanges Leben.«

»Ich fürchte, nein«, sagte der Ochse skeptisch, »es sieht so wenig nachSternen hier aus.«

Sie hoben ihre Köpfe und wirklich, man sahnichts. Über der Stadt lag eine Deckedichten Nebels.

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WeihnachtsüberraschungenPaul Maar

Wenn ich versuche zurückzudenken, dann gibt es nicht viele Weihnachts-abende, an die ich mich noch genau erinnern kann. Die Erinnerungen

verwischen und vermischen sich mit der Zeit, weil sie sich zu sehr ähneln.Der Ablauf des Weihnachtsabends blieb immer gleich, das Einzige, was wech-selte, waren die Weihnachtsgeschenke.Ein paar Weihnachtsfeste blieben mir allerdings in Erinnerung. Das waren die besonders traurigen (während der Kriegszeit, wenn wir mit meiner weinendenMutter etwas betreten neben dem Christbaum saßen) oder die besonders lustigen.Aber das aufregendste Weihnachtsfest war zweifellos das, als Vater den Christ-baum aus dem Fenster warf. Die ganze Verwirrung damals kam wahrschein-lich zustande, weil sich meine große Schwester eine Weihnachtsüberraschungausgedacht hatte, von der zwar ich etwas wusste, nicht aber der Rest der Fami-lie. Und weil sich mein Vater gleichzeitig eine Weihnachtsüberraschung hatteeinfallen lassen, von der der Rest der Familie wusste, nicht aber meine großeSchwester und ich.Unsere Weihnachtsüberraschung, also die von meiner Schwester und mir, warJoschi.Vaters Weihnachtsüberraschung war Tante Rosi.Joschi war ein japanischer Student, den meine Schwester in München auf derUniversität kennen gelernt hatte. Während des Sommers war er drei Tage bei uns zu Besuch gewesen. Die ganze Familie hatte ihn auf Anhieb gern;obwohl es schwierig war, sich mit ihm zu unterhalten. Er sprach nämlichkaum ein Wort Deutsch. Mit meiner Schwester unterhielt er sich englisch,aber Englisch konnten meine Eltern nicht, und meine Schwester war es nachein paar Stunden leid, alles, was sie oder Joschi sagten, zu übersetzen.

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Tante Rosi war meine Großtante. Sie kam ab und zu bei uns vorbei und ichempfing sie jedes Mal mit gemischten Gefühlen. Auf die Tante freute ich michschon, denn sie war nett und wusste, dass eine Großtante ihrem Großneffenimmer etwas mitzubringen hatte. Leider brachte sie auch immer Mucki mit.Das war ihr Hund, ein dicker, überfütterter Pudel, der Kinder nicht leidenkonnte, jedes Mal knurrte, wenn ich in seine Nähe kam, und mich mehr alseinmal fast gebissen hätte. Sie musste Mucki überall mit hinnehmen, weil sieallein lebte und niemand sonst auf Mucki aufgepasst hätte.Der Weihnachtsüberraschungsplan meiner Schwester sah so aus: Sie war amNachmittag aus München zurückgekommen, hatte Joschi heimlich mitge-bracht, und es war ihr sogar gelungen, ihn unbemerkt in mein Zimmer zuschmuggeln. Da war er vor Entdeckung sicher, denn die Eltern durften amWeihnachtsnachmittag die Kinderzimmer nicht betreten, so war es abgemacht,weil dort die Geschenke für sie versteckt waren.Joschi sollte sich aus meinem Zimmer schleichen und vor der Tür warten,nachdem wir uns alle im Weihnachtszimmer versammelt hatten. Und wennwir – wie jedes Jahr – anfingen, »Stille Nacht« zu singen, sollte er die Tür auf-machen und plötzlich im Weihnachtszimmer stehen.Meine große Schwester hatte mir einen Indianer-Kopfschmuck versprochen,wenn ich niemandem etwas von dieser Überraschung erzählte. Sie wusste,dass auf meiner Wunschliste an erster Stelle stand: ein Zauberkasten und einIndianer-Kopfschmuck aus Federn.Was wir beide nicht wussten: Fast gleichzeitig mit Joschi war Tante Rosi mit Mucki gekommen. Wir hatten sie nicht gehört, weil wir so mit Joschibeschäftigt waren.Der Weihnachtsüberraschungsplan meines Vaters sah so aus: Er hatte TanteRosi gleich ins Weihnachtszimmer geschmuggelt. Dort lagen schon die Geschenke für mich: eine Zauberausrüstung mit Hut,Zauberstab und rotem Umhang und eine Indianer-Federkrone, die meine Mutter selbst gemacht hatte.Kurz bevor ich ins Weihnachtszimmer kam, sollteTante Rosi die Federkrone aufsetzen und sichhinter dem zugezogenen Fenstervorhang verste-cken. Meinem Vater war klar, dass ich meineZaubersachen gleich ausprobieren würde, viel-

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leicht sogar ein bisschen enttäuscht darüber, dass der Indianer-Kopfschmuck, den ich mir so gewünscht hatte, doch nicht aufdem Gabentisch lag. Aber nach meinem ersten Zauberspruchwürde sich der Vorhang teilen und Tante Rosi erscheinen, alsIndianer mit meiner Federkrone.Endlich war es draußen dunkel geworden, meine Mutter riefnach uns, die Tür zum Weihnachtszimmer wurde geöffnet.Die Kerzen am Christbaum brannten und spiegelten sich inden versilberten Christbaumkugeln. Es roch weihnachtlich.Zu meiner Überraschung bestanden meine Eltern nicht da-rauf, dass erst einmal Weihnachtslieder gesungen werden müssten,wir durften uns gleich die Geschenke ansehen.Ich entdeckte sofort die Zaubersachen und stürzte mich darauf.»Gefallen sie dir?«, fragte meine Mutter.»Ganz toll!«, rief ich und setzte gleich den spitzen Zauberhut auf, um zusehen, ob er mir passte.»Sicher willst du den Zauberstab gleich ausprobieren!«, sagte mein Vater.»Nein, erst muss ich den Zaubermantel anziehen«, antwortete ich und ver-suchte, mir den Zauberumhang umzulegen. Ich kam mit dem Verschluss nichtzurecht.Mein Vater stand ungeduldig daneben.»Ich werde gleich was verschwinden lassen«, sagte ich.»Verschwinden lassen ist nicht gut«, sagte mein Vater. »Zauberer zaubernetwas her. Am besten etwas Großes, etwas Lebendiges. Keinen Gegenstand!«»Vielleicht einen Elefanten?«»Der ist zu groß, der passt ja nicht ins Zimmer! Es muss ein Mensch sein!«»Ein Mensch? Also gut! Ein fremder Mensch?«Ich dachte an den armen Joschi, der ja immer noch vor der Tür stand, da wirbis jetzt noch keine Weihnachtslieder gesungen hatten.»Einen Japaner«, rief ich. »Ich werde einen Japaner herzaubern!«»Japaner!«, wiederholte mein Vater ärgerlich. »Fällt dir nichts Besseres ein? Duhast doch den Lederstrumpf gelesen. Na? Jemand aus einem anderen Volk, vonganz weit her!«»Du hast wohl etwas gegen Japaner!«, rief meine Schwester empört und wurdeganz aufgeregt.

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»Nein, natürlich nicht, das weißt du doch. Aber es dauert wirklich ewig, bis ersich den Indianer herwünscht!«»Woher soll ich denn wissen, dass es ein Indianer sein soll!«, sagte ich belei-digt und war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Ich verstand meinen Vaternicht. Es war doch klar, dass das Ganze ein Spiel war.Meine Mutter sagte vorwurfsvoll: »Ihr werdet doch am Heiligen Abend keinenStreit anfangen wollen!«»Du hast Recht«, sagte meine große Schwester. »Wir sollten endlich anfangenzu singen.«»Nein, noch nicht«, sagte mein Vater aufgebracht. »Du singst doch sonst niegerne Weihnachtslieder. Warum denn ausgerechnet jetzt, wo sich dein Brudereinen Indianer herwünschen will!«»Also gut«, sagte ich. »Zaubere ich einen.«»Aber von wo soll er kommen?«, fragte mein Vater. »Schau dich mal um, ambesten wäre es wie über eine Bühne.« Dabei stellte er sich neben den Fenster-vorhang.»Nein, von der Tür«, sagte ich. Denn ich dachte an Joschi, der immer nochdraußen stand.»Nicht durch die Tür!« Mein Vater wurde ärgerlich. »Er muss durchs Fensterkommen.«»Nein, durch die Tür«, beharrte ich.»Durchs Fenster!«»Jetzt lass doch den Paul wünschen«, sagte meine Schwester mit Nachdruck.»Schließlich ist es doch sein Zauberstab.«Ich merkte, dass mein Vater schon wieder nah dran war aufzubrausen. Er be-kam schon einen ganz roten Kopf, deswegen sagte ich schnell: »Na schön, sollder Japaner durchs Fenster kommen.«»Der Indianer, der Indianer!«, verbesserte mein Vater.Ich nahm meinen Zauberstab in die rechte Hand und zog einen weiten Zauber-kreis über den Vorhang. Ehe ich aber dreimal »Abrakadabra« sagen konnte,stürzte mit lautem Bellen Mucki auf mich zu und biss sich in meinem rotenZaubermantel fest. Einen Augenblick später erschien Tante Rosi im Indianer-kopfschmuck zwischen den Vorhanghälften, schrie: »Mucki, brav! Mucki,hierher!«, packte Mucki am Halsband und zog, so stark sie nur konnte. Muckiließ meinen Zaubermantel aus den Zähnen, Tante Rosi stolperte rückwärts

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Antonia Berger

Wir warten auf die Weihnachtsnacht24 Adventskalendergeschichten

Gebundenes Buch, Pappband, 128 Seiten, 21,0 x 26,0 cmISBN: 978-3-570-13619-5

cbj

Erscheinungstermin: September 2008

Das große Vorlesebuch mit Adventskalender Die Zeit bis zum Heiligen Abend kann manchmal ganz schön lang werden – doch dasAdventskalenderbuch versammelt die schönsten und besinnlichsten Geschichten, um die Tagevor dem großen Fest ein wenig zu verkürzen. 24 beliebte Autoren darunter Mirjam Pressler, PaulMaar und James Krüss erzählen von Weihnachtsengeln und Weihnachtsüberraschungen, vomNikolaus-ABC und natürlich vom Christkind. Stimmungsvoll von Tilman Michalski illustriert einzauberhaftes Geschenk für einen himmlischen Advent. Mit Adventskalender zum Aufklappen und Aufstellen oder Heraustrennen.