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„Heute versteht man unter Ingenieurbiologie ein technisch-naturwissenschaftliches Fachgebiet im Erd- und Wasserbau, das gekennzeichnet ist durch die Verwendung von lebenden Pflanzen und Pflanzenteilen, deren Verhalten und Wir- kungsweise allein oder in Verbindung mit unbe- lebten Baustoffen einer technischen Aufgabe dient“ (SMUL 2005). Je nach Zielrichtung der Gesamtbaumaßnahme können ingenieurbiologische Bauweisen eher naturnah, d. h. zur Initiierung einer eigendynami- schen Gewässerentwicklung oder zur Unterstüt- zung eines technischen Gewässerausbaus einge- setzt werden. Aufgrund ihrer sowohl technischen als auch öko- logischen Wirkungen kommt den ingenieurbiolo- gischen Bauweisen bei der Etablierung eines nachhaltigen Wasserbaus eine Schlüsselrolle zu. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Anforde- rungen und der anstehenden Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ist davon auszu- gehen, dass diese Bautechniken als sinnvolle Er- gänzung konventioneller Maßnahmen des Was- serbaus an Bedeutung gewinnen werden. Die mit der Wasserrahmenrichtlinie verbundenen Anforderungen hinsichtlich einer naturnahen Entwicklung und/oder Umgestaltung der Fließge- wässer sind im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und den Wassergesetzen der Bundesländer (z. B. SächsWG) entsprechend umgesetzt. Sowohl im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) als auch im Sächsischen Naturschutzgesetz (SächsNatSchG) finden sich Festlegungen, die eine Anwendung ingenieurbiologischer Bauwei- sen im Wasserbau fordern und fördern. Die Was- ser- und Naturschutzgesetzgebung schafft in Verbindung mit den untergesetzlichen Regelun- gen (vgl. Erlasse des SMUL zur Anwendung inge- nieurbiologischer Bauweisen im Wasserbau, 2004 und 2006) im Freistaat Sachsen eine durchge- hende und eindeutige Regelung zur zwingenden Anwendung ingenieurbiologischer Bauweisen im Wasserbau – von der Aufstellung der Hochwas- serschutzkonzepte bis zur Ausführungsebene. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen infolge des Augusthochwassers 2002 wurde vom Säch- sischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) im Jahr 2003 ein grund- legender Paradigmenwechsel hin zu einem nach- haltigen und zeitgemäßen Wasserbau gefordert: „Unter nachhaltigem Wasserbau verstehen wir Baumaßnahmen an und in Gewässern zur Ver- besserung des ökologischen Zustands oder Poten- zials, des Hochwasserschutzes und der Effizienz der Gewässerbewirtschaftung unter Berücksich- tigung der wasserwirtschaftlichen Notwendig- keiten sowie der naturräumlichen Gegebenheiten bei Einsatz verhältnismäßiger Mittel und Beach- tung des Prinzips der Eingriffsminimierung“ (SMUL 2005). | 5 Her- stellungs- kosten naturfern Naturnähe des Gewässerabschnitts Sicherungsfunktion der verwendeten Bauweise unmitttelbar nach Fertigstellung hoch naturnah gering Hydrau- lische Belast- barkeit Eigenent- wicklung Ingenieurbiolog. Bauweisen Ingenieurtechn. Bauweisen (Konventioneller Wasserbau) „Naturschutzarbeit in Sachsen“, 52. Jahrgang 2010 Seite 4 – 21 Anwendungsmöglichkeiten ingenieur- biologischer Bauweisen bei der naturnahen Umgestaltung von Fließgewässern Andreas Stowasser Abb. 2: Anwendungsmöglichkeiten ingenieurbiologischer Bauweisen im Wasserbau Abb. 1: Erhöhter Wasserabfluss infolge eines Gewitters mit Starkregen Ende Mai 2001 – bereits unmittelbar nach Bau- fertigstellung halten die ingenieurbiologischen Bauweisen den hydraulischen Belastungen Stand. Foto: H. Kroll Ingenieurbiologische Bauweisen stellen eine wirk- same Methode des nachhaltigen und naturnahen Wasserbaus dar. Sie haben ihren Ursprung im Schutzwasserbau und werden als handwerkliche Techniken zur Sicherung von Gewässerufern und Böschungen seit alters her aufgrund von Erfah- rung angewendet. In den letzten Jahrzehnten wurde ihre systematische wissenschaftliche Un- tersuchung in Bezug auf Wirkungsweise, Leis- tungsfähigkeit, Anwendungsbereiche, Pflege und Unterhaltung deutlich vorangetrieben (GESELL- SCHAFT FÜR INGENIEURBIOLOGIE, o. J.).

Anwendungsmöglichkeiten ingenieur- biologischer Bauweisen ......Jahrgang 2010 Seite 4 – 21 Anwendungsmöglichkeiten ingenieur-biologischer Bauweisen bei der naturnahen Umgestaltung

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Page 1: Anwendungsmöglichkeiten ingenieur- biologischer Bauweisen ......Jahrgang 2010 Seite 4 – 21 Anwendungsmöglichkeiten ingenieur-biologischer Bauweisen bei der naturnahen Umgestaltung

„Heute versteht man unter Ingenieurbiologie eintechnisch-naturwissenschaftliches Fachgebiet imErd- und Wasserbau, das gekennzeichnet istdurch die Verwendung von lebenden Pflanzenund Pflanzenteilen, deren Verhalten und Wir-kungsweise allein oder in Verbindung mit unbe-lebten Baustoffen einer technischen Aufgabedient“ (SMUL 2005).Je nach Zielrichtung der Gesamtbaumaßnahmekönnen ingenieurbiologische Bauweisen eher naturnah, d. h. zur Initiierung einer eigendynami-schen Gewässerentwicklung oder zur Unterstüt-zung eines technischen Gewässerausbaus einge-setzt werden. Aufgrund ihrer sowohl technischen als auch öko-logischen Wirkungen kommt den ingenieurbiolo-gischen Bauweisen bei der Etablierung einesnachhaltigen Wasserbaus eine Schlüsselrolle zu.Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Anforde-rungen und der anstehenden Umsetzung derWasserrahmenrichtlinie (WRRL) ist davon auszu-gehen, dass diese Bautechniken als sinnvolle Er-gänzung konventioneller Maßnahmen des Was-serbaus an Bedeutung gewinnen werden. Die mit der Wasserrahmenrichtlinie verbundenenAnforderungen hinsichtlich einer naturnahenEntwicklung und/oder Umgestaltung der Fließge-wässer sind im Wasserhaushaltsgesetz (WHG)und den Wassergesetzen der Bundesländer (z. B.SächsWG) entsprechend umgesetzt. Sowohl im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)als auch im Sächsischen Naturschutzgesetz(SächsNatSchG) finden sich Festlegungen, dieeine Anwendung ingenieurbiologischer Bauwei-sen im Wasserbau fordern und fördern. Die Was-ser- und Naturschutzgesetzgebung schafft in

Verbindung mit den untergesetzlichen Regelun-gen (vgl. Erlasse des SMUL zur Anwendung inge-nieurbiologischer Bauweisen im Wasserbau, 2004und 2006) im Freistaat Sachsen eine durchge-hende und eindeutige Regelung zur zwingendenAnwendung ingenieurbiologischer Bauweisen imWasserbau – von der Aufstellung der Hochwas-serschutzkonzepte bis zur Ausführungsebene.Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen infolgedes Augusthochwassers 2002 wurde vom Säch-sischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft (SMUL) im Jahr 2003 ein grund-legender Paradigmenwechsel hin zu einem nach-haltigen und zeitgemäßen Wasserbau gefordert: „Unter nachhaltigem Wasserbau verstehen wirBaumaßnahmen an und in Gewässern zur Ver -besserung des ökologischen Zustands oder Poten-zials, des Hochwasserschutzes und der Effizienzder Gewässerbewirtschaftung unter Berücksich-tigung der wasserwirtschaftlichen Notwendig -keiten sowie der naturräumlichen Gegebenheitenbei Einsatz verhältnismäßiger Mittel und Beach-tung des Prinzips der Eingriffsminimierung“(SMUL 2005).

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Her-stellungs-kosten

naturfernNaturnähe des Gewässerabschnitts

Sicherungsfunktion der verwendetenBauweise unmitttelbar nach Fertigstellung

hoch

naturnah

gering

Hydrau-lischeBelast-barkeit

Eigenent-wicklung

Ingenieurbiolog.Bauweisen

Ingenieurtechn.Bauweisen(KonventionellerWasserbau)

„Naturschutzarbeit in Sachsen“, 52. Jahrgang 2010 Seite 4 – 21

Anwendungsmöglichkeiten ingenieur-biologischer Bauweisen bei der naturnahen Umgestaltung von FließgewässernAndreas Stowasser

Abb. 2: Anwendungsmöglichkeiten ingenieurbiologischerBauweisen im Wasserbau

Abb. 1: Erhöhter Wasserabfluss infolge eines Gewitters mitStarkregen Ende Mai 2001 – bereits unmittelbar nach Bau-fertigstellung halten die ingenieurbiologischen Bauweisenden hydraulischen Belastungen Stand. Foto: H. Kroll

Ingenieurbiologische Bauweisen stellen eine wirk-same Methode des nachhaltigen und naturnahenWasserbaus dar. Sie haben ihren Ursprung imSchutzwasserbau und werden als handwerklicheTechniken zur Sicherung von Gewässerufern undBöschungen seit alters her aufgrund von Erfah-

rung angewendet. In den letzten Jahrzehntenwurde ihre systematische wissenschaftliche Un-tersuchung in Bezug auf Wirkungsweise, Leis -tungsfähigkeit, Anwendungsbereiche, Pflege undUnterhaltung deutlich vorangetrieben (GESELL-SCHAFT FÜR INGENIEURBIOLOGIE, o. J.).

Page 2: Anwendungsmöglichkeiten ingenieur- biologischer Bauweisen ......Jahrgang 2010 Seite 4 – 21 Anwendungsmöglichkeiten ingenieur-biologischer Bauweisen bei der naturnahen Umgestaltung

Im Zuge der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmenwurde beidseits des Gewässers ein Korridor von5 bis 20 m erworben oder dinglich gesichert. Dieverfügbaren Flächen schufen günstige Vorausset-zungen zum Erreichen der o. g. Entwicklungsziele. Entsprechend des potenziell natürlichen Gewäs-serzustands würde die Bartlake über einen leichtgeschwungenen Verlauf mit nur geringer Sohl-eintiefung, flachen Uferböschungen und entspre-

chend breiten angrenzenden Überflutungsflächenverfügen. Der Wiederherstellung dieses Referenz-zustands stand vor allem die Flächenmeliorationder angrenzenden Landwirtschaftsflächen entge-gen. Daher wurde beidseitig des Gewässers ineinem Abstand von ca. 20 bis 25 m zur neuen Ge-wässerachse ein Dränagesammler in den angren-zenden landwirtschaftlichen Nutzflächen neuverlegt. Beim Verlegen dieses Sammlers wurden

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Die folgenden drei Beispiele sollen die Anwen-dungsmöglichkeiten der ingenieurbiologischenBauweisen erläutern:

■ Beispiel 1: Offenlegung der Bartlake im Nor-den von Dresden – ingenieurbiologischeBauweisen zur Initiierung eigendynamischerGewässerentwicklung

■ Beispiel 2: Renaturierung des Weidigtbachsin Dresden-Gorbitz – ingenieurbiologischeBauweisen zur naturnahen Ufersicherung

■ Beispiel 3: Naturnahe Umgestaltung der Gro-ßen Mittweida in Schwarzenberg – inge-nieurbiologische Bauweisen zur Verbesse-rung der Gewässerstruktur und intensivenUfersicherung (Übergang zu konventionellemWasserbau).

Zur Beschreibung näherer Details für die Herstel-lung der beschriebenen ingenieurbiologischenBauweisen wird auf das Handbuch „Ufersiche-rung – Strukturverbesserung – Anwendung in-genieurbiologischer Bauweisen im Wasserbau“(SMUL 2005) verwiesen.

Beispiel Bartlake: Ingenieurbiologische Bau weisen zur Initiierung eigendynamischerGewässerentwicklung

Projektdaten /AusgangssituationBei der Bartlake handelt es sich um ein GewässerII. Ordnung nördlich von Dresden-Wilschdorf. DieBartlake gehört zwar zur Flussgebietseinheit derElbe, sie fließt im Bearbeitungsgebiet jedoch fastentgegen der Hauptentwässerungsrichtung nachNordosten und mündet in den Ilschengraben.Aufgrund des Ursprungs der Bartlake nahe derWasserscheide zum Elbtal durchfließt sie mit ge-ringem Gefälle ein flaches Muldental auf der Gra-nithochfläche des Westlausitzer Hügel- und Berg-landes. Trotz der eigentlichen Lage desBearbeitungsgebiets im „Oberlauf“ wird das Ge-wässer entsprechend der Gewässertypisierung

nach LAWA (POTTGIESSER & SOMMERHÄUSER 2008) als„Flachlandbach“ eingestuft. Vorherrschende Bödensind staunasse und grundwasserbestimmte Sandeund Tieflehme (Sand-Braunerden und Tieflehm-Braunerdestaugleye) im Wechsel mit anmoorigenBöden. Trotz des verhältnismäßig kleinen Einzugs-gebiets von ca. 3,7 km² erreichen die Abfluss -werte der Bartlake Größenordnungen zwischen2,97 m³/s (= HQ1 5) und 3,97 m³/s (= HQ 100). Die Breite des Gewässers bei Mittelwasser beträgtca. 1 bis 2 Meter. Durch Meliorationsmaßnahmen auf den angren-zenden Ackerflächen wurde in den 1960er Jahrender Grundwasserspiegel abgesenkt und die Bart-lake naturfern ausgebaut bzw. teilweise verrohrt.Vor der naturnahen Umgestaltung war die Bart-lake dementsprechend strukturarm. Die Gewäs-serstrukturgüte nach LAWA (2000) wurde mitdem Wert 5 eingestuft. Der naturnahe Rückbau der Bartlake in Dresden-Wilschdorf mit einer Gesamtlänge von 3,2 km er-folgte von Oktober 2000 bis Januar 2001 und wareine Ausgleichsmaßnahme für den Ausbau derBundesautobahn A 4. Die Kosten der naturnahenUmgestaltung betrugen pro lfm ca. 115 €.

Entwicklungsziele und MaßnahmenMit dem entsprechenden Landschaftspflegeri-schen Begleitplan wurden folgende Entwick-lungsziele formuliert: 1 Ausdehnung/Erweiterung des Gewässerkorri-

dors,2 Gewässerrevitalisierung durch Initiierung der

Eigendynamik bzw. Offenlegung von verrohr-ten Gewässerabschnitten gemäß potenziellnatürlichem Gewässerzustand und

3 Verbesserung der Uferstrukturen, Anlagebreiter Gewässerrandstreifen als Pufferflächezu den angrenzenden Äckern.

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Abb. 3: Die Bartlake (a) vor der naturnahen Umgestaltung im Jahr 2000 als strukturarmes Gewässer inmitten intensiv landwirtschaftlicher Nutzfläche und (b) im Jahr 2009 mit durchgehendem Gewässer begleitenden Gehölzsaum und breitem GewässerrandstreifenFotos: A. Stowasser

1 HQ bezeichnet die höchste Abflussmenge innerhalb einesBeobachtungszeitraums, so bezeichnet z. B. HQ 100 einhundertjährliches Hochwasser.

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fördern sie die Entstehung eines gewässertypi-schen Kleinreliefs und entsprechende Lebens-räume im Bereich der Wasserwechselzone. Durchdie Kombination der Wurzelstöcke mit austriebs-fähigen Weidenhölzern entwickeln sich aus denzunächst unbelebten Strukturen innerhalb weni-ger Jahre Weidengebüsche. Diese Pionierbe-stände, zu deren Initiierung auch vereinzelt Lebendfaschinen oder Steckhölzer eingebautwurden, spielen eine wichtige Rolle bei der Ent-wicklung eines standortgerechten und Gewässerbegleitenden Gehölzsaums. Im Schutz der Weidensiedeln sich im Zuge der natürlichen SukzessionSchlusswaldarten wie Schwarzerle (Alnus gluti-nosa), Esche (Fraxinus excelsior) oder Trauben -kirsche (Prunus padus) an. Mit den Vegetationswalzen ist eine gute Anpas-sung an den grob profilierten Uferverlauf mög-lich. Vegetationswalzen lassen sich vollständig inHandarbeit ausführen. Dadurch konnten sie ander Bartlake auch in Bereichen eingesetzt werden,die aufgrund ihrer Vernässung mit Baumaschinennur schwer oder gar nicht erreichbar waren. ZurHerstellung der Vegetationswalzen wurden in Ab-stimmung mit der Unteren Naturschutzbehördeder Landeshauptstadt Dresden Röhrichtsoden ausNaturbeständen bei Wilschdorf entnommen. Mit

den Röhrichtsoden werden nicht nur Pflanzen,sondern auch Kleinlebewesen in das Gewässereingebracht. Dadurch kann bei Neuanlage vonGewässern, die ähnlich wie die Bartlake in struk-turarmen Bereichen liegen, die natürliche Besied-lung schneller erfolgen. Die Vegetationswalzendienten sozusagen als „Initialzündung“ für dieSukzessionsprozesse innerhalb des neu gestalte-ten Bachlaufs. Ausgehend von den mittels Vege-tationswalzen initiierten Beständen entwickelnsich Röhrichtflächen, u. a. mit Schilfrohr (Phrag-mites australis), Gewöhnlichem Blutweiderich (Lythrum salicaria), Sumpfdotterblume (Calthapalustris) und Echtem Mädesüß (Filipendula ulmaria). Der Gewässerrandstreifen wurde gruppenweisemit Pflanzmaterial aus gesicherten Herkünften(2 x verschulte Sämlinge mit Herkunftsnummernach Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG)) be-pflanzt. Außerdem wurden Totholzstrukturen und Lesesteinhaufen hergestellt. Die Maßnah-mengrenzen zur landwirtschaftlich genutzten Fläche wurden durch Weidensetzstangen mar-kiert. Dazu wurden die Weidensetzstangen im Abstand von 2 m zur Maßnahmengrenze einge-baut. Aus den Weidensetzstangen entwickeln sichBaumweiden, die dauerhaft die Maßnahmen-

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sämtliche angetroffenen Sauger und Sammlerangeschlossen. In dem dadurch entstehenden Ge-wässerkorridor zwischen den beiden neuen Drä-nagesammlern konnten die bei den Erdarbeitenzur Neuprofilierung des Gewässerbettes angetrof-fenen Meliorationsleitungen zurückgebaut wer-den, ohne die Funktionstüchtigkeit der angren-zenden Flächenmelioration zu gefährden. Gleichzeitig wurde mit dem Rückbau der Melio-ration eine abschnittsweise Sohlanhebung desneuen Gewässerbettes ermöglicht. Nur an den je-weiligen Einleitungspunkten der Dränagesammlermusste das Sohlniveau des ehemaligen Ausbau-profils beibehalten werden. Da die Abstände zwi-schen den Einbindepunkten jeweils mehr als 250 Meter betragen, konnte die Gewässersohledazwischen deutlich angehoben werden. Mit derSohlanhebung verbunden waren die flache Profi-

lierung der Uferböschung und die Gestaltung des Gewässerverlaufs entsprechend des oben be-schriebenen Referenzzustands.

Ausgeführte ingenieurbiologische BauweisenDie ausgeführten ingenieurbiologischen Bau -weisen dienten hauptsächlich zur Initiierung derEigenentwicklung. Aufgrund des oben beschrie-benen breiten Gewässerkorridors spielten Maß-nahmen zur Ufersicherung nur eine untergeord-nete Rolle. Zum Einsatz kamen insbesondere Wurzelstöcke,Steckhölzer, Lebendfaschinen und Vegetations-walzen. Mit den Wurzelstöcken entstehen unmit-telbar nach deren Einbau Totholzstrukturen imWasserwechselbereich, die sowohl den Strom-strich ableiten und abwechslungsreich gestaltenals auch direkt als Habitatstruktur dienen. Damit

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Abb. 4: Gewässerbett nach Abschluss der ProfilierungsarbeitenFoto: A. Stowasser

Abb. 5: Wurzelstubben kombiniert mit austriebsfähigen Weidensteckhölzern, (a) unmittelbar nach Baufertigstellung (Dezember 2000) und (b) acht Jahre später Foto: A. Stowasser

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Beispiel Weidigtbach: IngenieurbiologischeBau weisen zur naturnahen Ufersicherung

Projektdaten /AusgangssituationEin Beispiel für den Einsatz ingenieurbiologischerBauweisen zur Ufersicherung und zur naturnahenUmgestaltung stellt der im Jahr 2001 umgestal-tete Weidigtbach in Dresden-Gorbitz dar. Der Weidigtbach ist ein Gewässer II. Ordnung. Erentspringt einer Schichtenquelle des Plänersand-steins in Dresden-Gompitz und mündet in denGorbitzbach, der wiederum in die Vereinigte Wei-ßeritz einmündet. Typisch für vergleichbareLehmbäche im Mittelsächsischen Lösshügellandbestehen die Böden aus tonigem Schluff (Löss-lehm), teilweise vermischt mit Zersatz des anste-henden Plänersandsteins. Die Größe des Einzugsgebiets beträgt 4,7 km². Auf-grund des hohen Versieglungsgrads im Einzugsge-biet liegen die Abflusswerte des fünfjährigenHochwassers (HQ 5 = 1,95 m³/s) nahe bei den Wer-

ten eines fünfzigjährigen Hochwassers (HQ 50 =2,55 m³/s). Vor allem während der Sommermonatebesteht die Gefahr von Starkniederschlägen undentsprechend schnell ansteigender Wasserführungim Weidigtbach. Die Breite des Mittelwasserspie-gels beträgt ca. 50 cm, wobei der Weidigtbach inden Sommermonaten häufig austrocknet. Vor der Umgestaltung war der Bach im Sohl- undUferbereich durchgehend mit in Beton verlegtenRasengitterplatten verbaut. Durch seinen begra-digten Verlauf und sein trapezförmiges Querprofilmit Böschungsverhältnissen von 1 : 1,5 war derWeidigtbach ökologisch verarmt (Gewässerstruk-turgüte 6). Durch sein hohes Längsgefälle von 4 %und die extremen Abflussspitzen, die infolge derVersiegelung des Einzugsgebietes und der unge-drosselten Einleitung von Niederschlagswasserauftreten, bestand eine starke hydraulische Belas -tung des Gewässerabschnitts. Durch den natur-fernen Ausbau war der Weidigtbach im Wohnum-feld von Dresden-Gorbitz weder zugänglich noch

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grenze im Gelände festlegen und nur schwer entfernt werden können.

Derzeitige Situation und AusblickDie Bartlake und ihre Gewässer begleitenden Gehölzsäume werden inzwischen als § 26-Bio-top nach SächsNatSchG eingestuft. Durch die eigendynamische Entwicklung hat sich das Gewässerbett sehr naturnah entwickelt und ist als ehemals ausgebautes Gewässer nicht mehr zu erkennen. Der Gehölzbestand hat in zwischen Höhen zwischen 8 und 10 Meter erreicht. Die Bartlake ist dadurch wieder deutlichals Struktur in der Landschaft erkennbar und bereichert das Landschaftsbild. Innerhalb der Gehölzbestände ist der natürliche Umbau der Pioniervegetation aus Weiden und Erlen in vollemGange. Auch ohne Pflege haben sich standort -gerechte Arten der heutigen potenziell natür -lichen Vegetation wie beispielsweise GemeineEsche (Fraxinus excelsior), Feldulme (Ulmus minor)

und Stieleiche (Quercus robur) im Bereich des Gewässerrandstreifens angesiedelt. Gleichzeitighat sich die Neuverlegung der Dränagesammlerund die Markierung der neuen Flurstücksgrenzendurch Weidensetzstangen bewährt, d. h. die Ackernutzung hat sich nicht wie sonst häufig beivergleichbaren Maßnahmen über die Grund-stücksgrenzen hinweg wieder in Richtung Gewäs-ser ausgedehnt. Auch zukünftig sind im Bereich des Gewässerskeine Pflegemaßnahmen vorgesehen. Die Ent-wicklung der Gehölze des Gewässerrandstreifensmuss weiter beobachtet werden, ggf. ist hier inden nächsten 5 bis 10 Jahren ein Rückschnitt zurVermeidung von Nutzungskonflikten mit den an-grenzenden Ackerflächen erforderlich. Als Leitbildgilt hier die Entwicklung eines artenreichen undhinsichtlich seiner Altersstruktur gemischten Ge-hölzbestandes mit Saumbereichen zur landwirt-schaftlichen Nutzfläche.

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Abb. 6: Vegetationswalzen und Lebendfaschinen zur Initiierung einer standortgerechten Vegetationsentwicklung, (a) Zustand unmittelbar nach Baufertigstellung (Blick in Fließrichtung, Dezember 2000) und (b) acht Jahre später (Blick gegen die Fließrichtung) Fotos: A. Stowasser

Abb. 7: Zustand des Weidigtbachs (a) vor und (b) nach der Renaturierung (Februar bzw. April 2001) Fotos: A. Stowasser

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Ausgeführte ingenieurbiologische BauweisenDie Ufer des umgestalteten Weidigtbachs wurdenvollständig mit ingenieurbiologischen Bauweisengesichert. Zur Ufersicherung kamen beispiels-weise Lebendfaschinen auf Buschlagen, Spreitla-gen mit Lebendfaschinen als Fußsicherung sowieLebendfaschinen in Kombination mit Böschungs-schutzmatten aus Naturfasergewebe zum Einsatz. Aufgrund der beengten Verhältnisse und derhohen hydraulischen Belastung wurden sämtlicheBauweisen so ausgewählt, dass sie unmittelbarnach Baufertigstellung eine hohe Schutzwirkungentfalten und keinerlei Erosion mehr erlauben.Durch das Anwachsen wird der Wirkungsgrad derlebenden Ufersicherung zusätzlich verbessert. Le-bendfaschinen weisen beispielsweise aufgrundihrer Kompaktheit sofort nach Baufertigstellungeine hohe Schutzwirkung auf und bewirken einendichten Weidenaustrieb, der bei höherem Wasser-stand die Fließgeschwindigkeit im Weidigtbachverringert und damit Sohle und Ufer vor zu star-

ken hydraulischen Belastungen schützt. Gleich-zeitig findet eine intensive Bodendurchwurzelungstatt, die bereits nach einer Vegetationsperiode zueinem dauerhaft wirksamen Ufer- und Bö-schungsschutz führt. Mit dem starken Weidenaustrieb sind noch weiterepositive Effekte verbunden. Neophyten oder stand-ortfremde Gehölze finden im dichten Weidenbe-stand erschwerte Wuchs- und Keimbedingungen.Die Weiden bewirken bereits nach kurzer Zeit einevollständige Beschattung des Baches und führendamit zu einer Verbesserung des Temperaturhaus-halts und zur Erhöhung des Sauerstoffgehalts imGewässer. Sobald die mit den ingenieurbiologi-schen Bauweisen eingebrachten Schlusswaldartenwie Schwarzerle, Gemeine Esche und Traubenkir-sche gut angewachsen sind und ebenfalls starkeZuwächse aufweisen, wird die Weide durch ge-zielte Pflegemaßnahmen zurückgedrängt. Auf Dauer ist die Weide als Lichtholzart dem Kon-kurrenzdruck von Schwarzerle und Gemeiner

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erlebbar und stellte bei Starkniederschlägen undden dann im Gerinne entstehenden hohen Fließ-geschwindigkeiten eine Gefahr dar. Die Renaturierung des Weidigbachs erfolgte vonFebruar bis Mai 2001 auf einer Länge von ca. 230 m. Die Maßnahme stellte ein Referenzprojektzur Erprobung ingenieurbiologischer Bauweisendar, da im Zuge des 1999 aufgestellten Gewäs-serentwicklungskonzepts für den Weidigtbachweitere Abschnitte naturnah umgestaltet werdensollten. Die Kosten der naturnahen Umgestaltungbetrugen pro lfm 608 €.

Entwicklungsziele und MaßnahmenEntwicklungsziele waren die möglichst naturnaheGewässerumgestaltung entsprechend den natur-räumlichen Vorgaben, die Verbesserung der Ufer-und Sohlenstruktur bei Gewährleistung der hy-draulischen Leistungsfähigkeit sowie die Entwick-lung eines naturnahen, gewässerbegleitenden Ve-getationsbestands aus Gehölzen. Weitere Zielewaren die Rückhaltung von Niederschlagswasserund die Erhöhung der Niedrigwasserführung. Zu-sätzlich sollte die Erlebbarkeit des Weidigtbacheserhöht und der Freiraum und das Wohnumfeldaufgewertet werden.

Bei der naturnahen Umgestaltung des Weidigt-bachs wurde die Sohl- und Uferbefestigung ausRasengitterplatten zurückgebaut. Es erfolgte einenaturnahe Geländemodellierung entsprechenddem Charakter eines Lehmbachs mit wechselndenBöschungsneigungen und Längsgefällen, unter-schiedlichen Sohlbreiten und einer engen, pen-delnden Niedrigwasserrinne. Zur Sicherung und Strukturierung der Sohle wur-den Setzsteinrampen mit anschließenden Tos -becken eingebaut. Hierfür wurde Plänersandsteinverwendet, da Wasserbausteine in einem Lehm-bach nicht gewässertypisch sind. Der Plänersand-stein verwittert nach und nach und hinterlässtschließlich die für Lehmbäche typische Gewässer-sohle. Die mittels ingenieurbiologischer Bauweisenentwickelten Gewässer begleitenden Gehölzbe-stände aus Weiden (Salix x rubens, Salix fragilis undSalix viminalis) und Schwarzerlen (Alnus glutinosa)führen nach und nach zu einer intensiven Durch-wurzelung und Befestigung der Gewässersohle. Entlang des neuen Weidigtbachs wurde ein Fuß-weg angelegt. Neben der Gewässerpflege dientdieser Weg auch zur Schaffung von Zugangs-möglichkeiten zum Bach und damit zur Verbesse-rung der Erlebbarkeit des Weidigtbachs in Gorbitz.

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Abb. 8: Austrieb einer Lebendfaschine auf Buschlage vier Wochen nach Baufertigstellung (Ende April 2001) Foto: A. Stowasser

Abb. 9: Während der Austrieb der Lebendbauweisen (a) nach der ersten Vegetationsperiode 2001 zunächst zu einem ge-schlossenen Weidenbestand führt, dominieren (b) nach einigen Jahren die zusätzlich eingebauten Schlusswaldarten denGewässer begleitenden Gehölzbestand (Zustand Juli 2007). Gewässersohle und Uferböschungen sind intensiv durchwur-zelt, die hydraulische Leistungsfähigkeit des Gewässerquerschnitts ist gewährleistet und der Pflegeaufwand im Vergleichzum Ausgangszustand (vgl. Abb. 6) reduziert. Fotos: A. Stowasser

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Esche nicht gewachsen. Nach wenigen Jahrenentsteht somit unter Ausnutzung der intraspezi-fischen Konkurrenz ein Gehölzbestand aus ver-einzelten Baumweiden, Schwarzerlen und Eschen.Der Pflegeaufwand nimmt dabei kontinuierlich ab.Bereits 5 bis 7 Jahre nach Baufertigstellung wer-den Maßnahmen zur Gehölzpflege nur noch ineinem Turnus von 10 bis 15 Jahren durchgeführt.Nähere Ausführungen zur Pflege ingenieurbiolo-gischer Bauweisen finden sich beispielsweise beiSTOWASSER & LAGEMANN (2008 a und b).

Derzeitige Situation und AusblickMit der Renaturierung des Weidigtbachs in Dres-den-Gorbitz konnte nachgewiesen werden, dassLehmbäche auch bei starker hydraulischer Belas -tung ausschließlich mit ingenieurbiologischenBauweisen und ohne massive Uferbefestigungenaus Steinen erfolgreich gesichert werden können.Anfängliche Befürchtungen, die eingesetzten Lebendbauweisen könnten den hydraulischen Anforderungen nicht genügen oder zum „Zu-wachsen“ des Gewässerquerschnitts führen,waren unbegründet. Seit seiner Umgestaltung hat sich die Struktur-güte des Weidigtbachs im Referenzabschnitt vonKlasse 6 auf Klasse 3 verbessert (LAGEMANN 2007).Entsprechend dem Gewässerentwicklungskonzeptaus dem Jahr 1999 wurden inzwischen weitereAbschnitte des Weidigtbachs naturnah umgestal-tet. Derzeit befinden sich mehrere Abschnitte alsAusgleichsmaßnahmen für den Ausbau der B 173als Zubringer für die Bundesautobahn A 17 in derPlanung bzw. Ausschreibung. Weitere Abschnitte,u. a. eine noch verrohrte Gewässerstrecke zwi-schen Schlehenstraße und Cottaer Friedhof wer-den durch das Umweltamt der LandeshauptstadtDresden beplant. Voraussichtlich bis zum Jahr2013 soll der Weidigtbach von seiner Quelle biszur Mündung in den Gorbitzbach naturnah um-gestaltet werden.

Beispiel Große Mittweida: Ingenieurbiologi-sche Bauweisen zur Verbesserung der Gewäs-serstruktur und intensiven Ufersicherung(Übergang zu konventionellem Wasserbau)

Projektdaten /AusgangssituationDie Große Mittweida in Schwarzenberg ist ein Gewässer I. Ordnung und kann als typischerMittelgebirgsfluss in der Schieferregion desWesterz gebirges bezeichnet werden. Mit einemEinzugsgebiet von 166 km² ist die Große Mitt-weida ein berichtspflichtiges Gewässer nach EUWRRL. Wenige einhundert Meter unterhalb desProjektgebiets mündet sie in das Schwarzwasser. Beim Hochwasser im August 2002 kam es entlangder Großen Mittweida in Schwarzenberg zu er-heblichen Schäden und Überflutungen der an-grenzenden Wohnbebauung und Infrastruktur.Während der Mittelwasserabfluss nur 2,9 m³/sbeträgt, fließen bei einem hundertjährigen Hoch-wasser 162 m³/s ab. Obwohl im Bearbeitungsge-biet nur ein fünfundzwanzigjähriges Hochwasserals Bemessungshochwasser festgelegt wurde,entstehen in diesem Fall in der Großen Mittweidaerhebliche Fließgeschwindigkeiten und Schlepp-spannungen von bis zu 3,5 m/s bzw. 250 N/m². Vor der Umgestaltung stellte sich die Große Mitt-weida im Bearbeitungsgebiet als naturfernesFließgewässer mit einem begradigten Gewässer-lauf dar. Die Gewässerstruktur war infolge desbeidseits durch Ufermauern gefassten Ausbau-profils, der weitgehend befestigten Sohle und desfehlenden Uferbewuchs entsprechend verarmt(Gewässerstrukturgüteklasse 5). Im August 2002wurden die Ufermauern durch das „Jahrhundert-hochwasser“ beschädigt und die angrenzendenIndustrie- und Gewerbeflächen so stark überflu-

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Abb. 10: Zustand der Großen Mittweida (a) vor und (b) nach der naturnahen Umgestaltung

(April 2004 bzw. September 2009)Foto: J. Fischotter (a), A. Stowasser (b)

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nahmen in das Gewässer eingebracht. Damit leis -ten die ingenieurbiologischen Bauweisen nebenihrer Sicherungsfunktion auch einen wichtigenBeitrag zur Strukturierung des Gewässerbettes.

Ausgeführte ingenieurbiologische BauweisenAufgrund der sehr hohen hydraulischen Belas -tung musste bei der Sicherung der neu profilier-ten Uferabschnitte auf ingenieurbiologischeBauweisen zurückgegriffen werden, die durch dieKombination von Wasserbausteinen und Pflanzendiesen Belastungen von Anfang an gewachsensind und deren Initialstadium sehr kurz ist. Sowurden hauptsächlich begrünte Steinschüttun-

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tet, dass deren ohnehin stark reduzierte Nutzungvollständig aufgegeben wurde. Die Große Mitt-weida war weder erlebbar noch zugänglich undwies daher keinerlei Erholungseignung auf.Von Juni bis Dezember 2007 wurde der naturnaheRückbau der Großen Mittweida in Schwarzenbergauf einer Länge von knapp einem Kilometer aus-geführt. Pro Laufmeter betrugen die Baukosten(ohne Altlastensanierung) ca. 1.937 €.

Entwicklungsziele und MaßnahmenNachdem zahlreiche ans Gewässer angrenzendeIndustriebrachen von der Landestalsperrenver-waltung des Freistaates Sachsen (LTV) gekauftwurden, konnte die Bebauung abgerissen und dieAltlasten beseitigt werden. Mit dem nun verfüg-baren Platz wurde der Verlauf des Gewässers ge-wässertypspezifisch modelliert und das Gewäs-serbett bzw. das Gewässerprofil zumindesteinseitig aufgeweitet und abgeflacht. Durch dieModellierungsarbeiten wurde die hydraulischeLeistungsfähigkeit des Gewässerprofils von einemfünfjährigen auf ein fünfundzwanzigjährigesHochwasser erhöht. Wo die angrenzende Infra-struktur bzw. Wohnbebauung keine Uferabfla-chung zuließ, mussten die vorhandenen Ufer-mauern erhalten und saniert werden.

Trotz der beengten Platzverhältnisse wurde je-doch mindestens einseitig ein durchgängiger Ge-wässerrandstreifen zur Entwicklung naturnaher,Gewässer begleitender Baum- und Strauchbe-stände angelegt. Gleichzeitig ermöglicht ein neuerPflegeweg, der in den Abflussquerschnitt der Gro-ßen Mittweida integriert wurde, Anwohnern denZugang zum Gewässer. Dadurch ist das Gewässerwieder erlebbar und für die Naherholung nutzbar. Ein weiteres Ziel war die Verbesserung der Ufer-und Sohlstruktur zur Förderung der Fischfauna.Daher wurden auch in Abschnitten, in denen dieUfermauern erhalten werden mussten, Struktur-elemente wie beispielsweise Buhnen oder Tot-holzstämme parallel zur Fließrichtung eingebaut.Bei der teilweise erforderlichen Befestigung derGewässersohle mit Wasserbausteinen wurde dar-auf geachtet, dass durch einen Wechsel aus Kol-ken, Rauschen und Störsteinen eine sehr ab-wechslungsreiche Sohlstruktur entstand. In den neu profilierten Böschungsabschnittenwurden die ehemals massiven Uferverbauungendurch ingenieurbiologische Maßnahmen ersetzt.In diesen Bereichen wurden ebenfalls zusätzlicheHabitatelemente wie Fischunterstände und Buh-nen angelegt sowie Störsteine und Totholz als zu-sätzlich Struktur gebende wasserbauliche Maß-

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Abb. 11: Lebendbuhne mit Fischunterstand – Ausführungszeichnung

Abb. 12: Lebendbuhne mit Fischunterstand im Bauzustand– September 2007Foto: A. Stowasser

Abb. 13: Lebendbuhnen in Kombination mit begrünter Steinschüttung gewährleisten unmittelbar nach der Baufertig -stellung (November 2007) einen intensiven Uferschutz und verbessern gleichzeitig die Gewässerstruktur Foto: A. Stowasser

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der Steinschüttung wird mit dem Aufwachsen derGehölze ständig verbessert. Es bildet sich einStein-Wurzel-Verbund, der die Anfangsstabilitätder Steinschüttung um ein Vielfaches übersteigt. Durch die Kombination der Steinschüttung mitFischunterständen aus Fichtenstämmen oder le-benden Raubäumen wurde die Strukturvielfalt derGewässerufer trotz der relativ massiven Uferbe-festigung deutlich erhöht. Die Fischunterständewurden an strömungsexponierten Stellen unter-halb des Mittelwasserspiegels so eingebaut, dassdie Fichtenstämme mindestens zu zwei Drittelnin die Steinschüttung eingebunden sind. Als lebende Raubäume wurden austriebsfähigeWeidenstämme oder Kronen von Baumweidenrechtwinklig oder in Fließrichtung geneigt zumindestens drei Vierteln bereits bei der Schüttungder neuen Uferböschungen eingebaut.

Derzeitige Situation und AusblickNur zwei Jahre nach Baufertigstellung zeigt sichdie Große Mittweida in Schwarzenberg wieder alsnaturnahes Gewässer mit ausgeprägter Erho-lungsfunktion für die ansässige Bevölkerung. DieVerbesserung der ökologischen Situation wirdeindrucksvoll durch den Vergleich der Individuen-zahlen der Fischpopulation deutlich: Während beider ersten Referenzbefischung vor Durchführungder Maßnahme im April 2007 beispielsweise nureinzelne, vor allem ältere Exemplare der Äschevorgefunden wurden, konnten bei den Referenz-befischungen im Juli 2008 und im September2009 alle Größenklassen in großer Anzahl festge-stellt werden. Die aus den ingenieurbiologischen Bauweisenhervor gegangenen Strauch- und Baumbeständewerden noch bis Ende 2010 im Rahmen der mit

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gen mit Heckenbuschlagen und Buschbauleit-werke in Kombination mit Lebendbuhnen einge-baut. Diese Bauweisen erzeugen von Anfang aneine abwechslungsreiche Uferlinie. Die inklinan-ten, also gegen die Fließrichtung geneigten Buh-nen lenken den Stromstrich bei Hochwasser vomUfer weg und schützen dadurch die anschlie-ßende Uferböschung. Am jeweiligen Buhnenkopferzeugen die inklinanten Buhnen eine starke Strö-mung, die wiederum Kolke entstehen lässt. Wer-den die Buhnenköpfe durch mehrere mit demWurzelteller in den Fluss ragende Baumstämmehergestellt, entstehen hervorragende Fischunter-stände für Äsche (Thymallus thymallus) undBachforelle (Salmo trutta f. fario). In den Buhnen-feldern lagert sich dagegen kiesig-sandiges Substrat ab, das Kieslaichern ideale Bedingungenbietet.

Die mit den Steinschüttungen kombinierten„Hecken buschlagen“, also einer Kombination ausbewurzelungsfähigen Weidenästen und bereitsbewurzelten Gehölzjungpflanzen (2x verschulteSämlinge, 40 bis 60 cm groß), entwickeln sich imLaufe der Zeit zu naturnahen Gehölzbeständen.Zunächst führen wiederum der starke Aufwuchsder Weiden und ihre schnelle Durchwurzelung derUferböschung zu einem wirksamen und sich stän-dig verbessernden Uferschutz. Im Schutz derSteinschüttung und der Weiden haben Gehölzewie Schwarzerle, Esche und Bergahorn (Acerpseudoplatanus) genügend Zeit, sich zu ent -wickeln. Diese Schlusswaldarten werden durch ge-zielte Pflegeschnitte zu Lasten der Weiden geför-dert, sodass sie bereits nach drei bis fünf Jahrenden Ufergehölzbestand dominieren und die Weidemehr und mehr verdrängen. Der Wirkungsgrad

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Abb. 14: Lebendbuhne in Kombination mit begrünter Steinschüttung mit einjährigem Austrieb der Weiden und Erlen – September 2008Foto: A. Stowasser

Abb. 14: Blick vom gegenüber liegenden Ufer auf die Ufersicherung aus den Abbildungen 11 – 14 im September 2009.Trotz intensiver Uferbefestigung sind knapp zwei Jahre nach Baufertigstellung naturnahe Ufer- und Sohlstrukturen ent-standen. Deutlich zu erkennen ist die abwechslungsreiche Gewässersohle mit dem Kolk am Buhnenkopf und die kiesigeAuflandung im Buhnenfeld (vgl. Abbildung 11). Foto: A. Stowasser

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STOWASSER, A. & LAGEMANN, T. (2008a): Pflege und Entwick-lung von Ufergehölzbeständen aus ingenieurbiologischenBau weisen – Teil 1: Pflege- und Entwicklungsgrundsätze.KW – Korrespondenz Wasserwirtschaft 1 (8), S. 417 – 422.

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WASSERHAUSHALTSGESETZ (WHG) Gesetz zur Ordnung des Was-serhaushaltes in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. August 2002 (BGBl. I S. 3245), zuletzt geändert durchArtikel 2 des Gesetzes vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 666).

AutorAndreas StowasserIngbiotools GmbH – Beratung, Schulung, Software für IngenieurbiologieWichernstraße 1b01445 RadebeulTel.: 0351 – 32 061 500Fax: 0351 – 32 061 509E-Mail: [email protected]: www.ingbiotools.de

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den Baumaßnahmen ausgeschriebenen Entwick-lungspflege betreut. Bis dahin werden sich die Zu-kunftsbäume, die langfristig den Gehölzbestandaufbauen werden, so weit entwickelt haben, dassin den Folgejahren nur noch Pflegegänge im Ab-stand von fünf bis acht Jahren erforderlich sind.

Zusammenfassung und AusblickIn Zusammenhang mit der Umsetzung der EUWRRL soll im Freistaat Sachsen ein Paradigmen-wechsel im Wasserbau stattfinden. Sowohl imWasser- als auch in der Naturschutzgesetzgebungfinden sich Regelungen, die den Einsatz naturge-mäßer Bauweisen fordern und fördern. Ingenieur-biologische Bauweisen stellen in diesem Zu -sammenhang eine wirksame Methode des nach-haltigen und naturnahen Wasserbaus dar, da siesowohl technische, ökologische und ökonomischeAnforderungen berücksichtigen. Anhand von drei Beispielen werden die vielfäl -tigen Anwendungsmöglichkeiten ingenieurbiolo-gischer Bauweisen im Wasserbau aufgezeigt. Jenach Anwendungszweck können die Lebend-bauweisen zur Initiierung einer eigendynami-schen Gewässerentwicklung, zur naturnahen Um-

gestaltung (Renaturierung) oder zur massivenUferbefestigung bei gleichzeitiger Verbesserungder Gewässerstruktur verwendet werden. Ungeachtet der vielfältigen Anwendungsmöglich-keiten der Ingenieurbiologie ist die eigendynami-sche Entwicklung eines Fließgewässers zweifellosdie beste Lösung zur naturnahen Umgestaltungausgebauter oder naturferner Gewässer. Insofernstellt die Anwendung ingenieurbiologischerBauweisen im Wasserbau immer nur die zweit -beste Lösung dar. In Situationen, in denen die Fließgewässer in un-serer Kulturlandschaft durch mangelnde Flächen-verfügbarkeit, hohe Schutzanforderungen oderEntwicklungsträgheit infolge Ausbaumaßnahmengeprägt sind, ist die Eigendynamik allerdings nurbedingt geeignet, um die Ziele der EU WRRL zuerreichen. In solchen Fällen kommt den ingenieur-biologischen Bauweisen eine Schlüsselfunktionbei der Umsetzung der EU WRRL und der tatsäch-lichen Verwirklichung eines Paradigmenwechselsim Wasserbau zu. Zukünftig sollten ingenieurbio-logische Bauweisen daher verstärkt zur Realisie-rung naturschutzfachlicher Anforderungen ein-gesetzt werden.

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