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Apokalypse im All

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Nr. 380

Apokalypse im All

Razamons Sturz in die Vergangenheit

von Clark Darlton

Der Flug von Atlantis-Pthor durch die Dimensionen ist erneut unterbrochen wor­den. Der Kontinent, der unbeeinflußbar auf die Schwarze Galaxis zusteuerte, wurde durch den Korsallophur-Stau gestoppt. Pthor ist nun umschlossen von Staub und planetarischen Trümmermassen, die von einem gewaltigen kosmischen Desaster zeugen, das sich in ferner Vergangenheit zugetragen haben muß.

Die Zukunft sieht also nicht gerade rosig aus für Atlan und seine Mitstreiter. Alles, was sie gegenwärtig tun können, ist, die Lage auf Pthor zu stabilisieren und eine ge­wisse Einigkeit unter den verschiedenartigen Clans, Stämmen und Völkern herbeizu­führen.

Die angestrebte Einigkeit der Pthorer ist auch bitter nötig, denn Pthor bekommt es mit den Krolocs zu tun, den Beherrschern des Korsallophur-Staus.

Während das Auftauchen von krolocischen Spähern auf Pthor Atlan umfassende Vorbereitungen gegen eine drohende Invasion treffen läßt, hat Razamon – der Ber­serker wurde bekanntlich zusammen mit Balduur, dem Odinssohn, von Atlan mit der Mission betraut, die Lage im Stau zu sondieren – seinerseits ein Erlebnis ganz eige­ner Art.

Razamon stürzt in die Vergangenheit und erlebt die APOKALYPSE IM ALL …

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Die Hautpersonen des Romans:Razamon - Der Atlanter stürzt in die Vergangenheit.Balduur - Razamons Gefährte.Zuhaertes - Kommandant des Patrouillenschiffes PERLAENER.Fraend - Ein Wissenschaftler, der sein Volk ins Verderben stürzt.Toras - Regierungschef der Eshtoner.

1.

Rein äußerlich betrachtet, bedeutete es für Razamon und Balduur keinen Unterschied, ob sie sich im freien Weltraum oder inner­halb des Dimensionskorridors befanden. Zwar trugen sie wirksame Schutzanzüge, die sie vom Vakuum abschirmten, aber im Grunde genommen war ihre Lage ziemlich hoffnungslos.

Mit geringer Relativgeschwindigkeit trie­ben die beiden Männer durch die langsam dahinziehenden Trümmerstücke explodierter Planeten, die den sogenannten »Korsallophur-Stau« bildeten, Reste einer Katastrophe, die sich vor langer Zeit hier er­eignet haben mußte.

Auf seinem Flug durch den Dimensions­korridor war Atlantis/Pthor durch das Trüm­merfeld des Staus gebremst worden und zum Stillstand gekommen, wodurch das unfrei­willige Ziel – die Schwarze Galaxis – in un­bestimmte Ferne rückte. Um die Ursache dieser Unterbrechung herauszufinden, waren Razamon, Balduur, der Wolf Fenrir und ein Fragment des »Steuermanns« mit einem der sechs Pyramidenschiffe der FESTUNG durch den Wölbmantel geflogen und bald darauf zu Gefangenen der Krolocs gewor­den.

Diese machthungrige Spinnenrasse beab­sichtigte, Pthor zu erobern. Ihre ersten Scouts waren bereits über Pthor erschienen, das nun von Atlan regiert wurde. Die Invasi­on stand kurz bevor.

Inzwischen war Razamon und Balduur die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen, und ihre einzige Hoffnung bestand darin, noch vor Beginn der Invasion die »Lichtung« zu erreichen, um dort Hilfe zu

erhalten. Diese sogenannte Lichtung war das letzte noch freie Gebiet innerhalb des Kor­sallophur-Staus, das nicht von den Krolocs kontrolliert wurde.

»Es wird immer heller vor uns«, sagte Balduur über den Sender des Raumanzugs, der aus dem Pyramidenschiff BERSERKER stammte. »Wir haben vielleicht doch noch Glück, wenn man uns nicht vorher entdeckt und auffischt.«

In der Tat wurde der Lichtschimmer deut­licher, der ihnen bisher die Richtung ange­geben hatte. Dort mußte der Rand der Lich­tung sein, das freie Gebiet des Lichtfürsten Nurcrahn, dessen Enkelin Pona mit Hilfe Razamons und Balduurs aus dem Gewahr­sam der Krolocs geflohen war. Das Licht kam von einer Sonne, die dort noch existier­te und den verbliebenen Planeten gute Le­bensbedingungen verschaffte.

Razamon wurde von einer dahintreiben­den Staubwolke den Blicken Balduurs ent­zogen, tauchte aber gleich wieder auf.

»Pona wird uns erwarten, hoffe ich. Wir müssen zurück nach Pthor und Atlan war­nen. Die geplante Invasion darf ihn nicht überraschen.«

»Wie kann dieses kosmische Trümmer­feld entstanden sein?« fragte Balduur. »Wir sprachen schon darüber, aber …«

»Ich halte meine Theorie aufrecht, daß hier einst eine Anhäufung von Planeten in den Dimensionskorridor geriet und barst – bis auf die wenigen Ausnahmen in der Lich­tung. Es muß eine furchtbare Katastrophe gewesen sein, selbst mein Volk, die Berser­ker, wissen davon zu erzählen.«

»Ja, das sagtest du schon. Wie aber kön­nen Welten, die im Normaluniversum statio­niert sind, in einen Dimensionskorridor ge­langen?«

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»Jetzt fragst du mich zuviel«, erwiderte Razamon und wich dabei mit einem kurzen Rückstoß seines stabförmigen Strahlers ei­nem größeren Felsbrocken aus, der genau auf ihn zustrebte. »Übrigens beginnt mein Bein wieder zu schmerzen.«

»Das linke?« »Natürlich das linke.« Balduur kannte natürlich die Geschichte

von dem »Zeitklumpen«, der sich an Raza­mons linkem Bein befinden sollte, glaubte ihr aber nicht so recht, zumal auch Razamon keine plausible Erklärung anbieten konnte. Immerhin zog der Freund Atlans dieses lin­ke Bein immer ein wenig nach.

»Die Schmerzen sind schlimmer gewor­den?«

»Manchmal unerträglich«, gab Razamon verbittert zu. »Zum Glück brauche ich im Augenblick nicht zu laufen …«

Balduur vertröstete Razamon auf die be­vorstehende Ankunft in der Lichtung und meinte, vielleicht gäbe es dort ein Mittel, die Schmerzen zu lindern. Dann deutete er nach vorn. Ein Asteroid von mehreren hundert Metern Durchmesser flog genau in ihrer Richtung, allerdings ein wenig langsamer.

»Landen wir und lassen uns tragen.« »Na gut«, stimmte Razamon zu. Die beiden Männer hatten keine Mühe,

sanft auf dem Felsbrocken zu landen. Ein Sprung würde genügen, sofort wieder die Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen und den Gravitationsbereich zu verlassen, um die Reise ins Ungewisse fortzusetzen.

Eine Weile standen sie stumm auf der winzigen Miniaturwelt, die zwischen den Dimensionen dahintrieb. Der heller gewor­dene Lichtschimmer der noch fernen Lich­tung verbreitete eine geisterhafte Dämme­rung.

»Ausgerechnet jetzt muß mir das passie­ren!« schimpfte er und tastete das linke Bein ab. »Nichts zu fühlen. Aber es ist schwer wie Blei. Es zieht mich fast in den Fels hin­ein. Verdammt, das kann doch nur Einbil­dung sein!«

»Der Schmerz auch?«

Clark Darlton

»Der sicherlich nicht, Balduur. Hört sich fast so an, als würdest du mir nicht glauben. Ich warne dich, Sohn Odins! Ich kann ziem­lich wütend werden.«

»Beruhige dich, mein Freund. Man kann den Fuß behandeln, wenn es möglich sein wird, den Anzug abzulegen.«

»Vorerst sieht es nicht danach aus. Bewe­ge dich übrigens nicht, ich glaube in einiger Entfernung eine der Flugscheiben der Kro­locs gesehen zu haben. Aber sie zieht vor­bei, wahrscheinlich eine ihrer zahlreichen Patrouillen in diesem Gebiet vor der Lich­tung.«

Immer wieder versuchten die Krolocs, die Lichtung anzugreifen, die gut verteidigt wurde. Die auf den freien Planeten wohnen­den Eripäer verteidigten ihr Gebiet verbissen und schickten die Angreifer stets mit bluti­gen Köpfen nach Hause.

»Der Asteroid könnte ihre Aufmerksam­keit erregen«, befürchtete Balduur.

»Richtig, machen wir, daß wir weiter­kommen.«

»Und dein Bein?« Razamon lachte bitter. »Das nehmen wir natürlich mit«, sagte er

und schaltete seinen Energiestab ein. Der Rückstoß ließ ihn schnell davon­

schweben. Balduur folgte ihm sofort.

*

Balduur schrak zusammen, als er Raza­mons wilden Aufschrei hörte. Durch die Sichtscheibe des Raumhelms sah er das schmerzverzerrte Gesicht des Freundes.

»Ist es so schlimm? Du mußt jetzt durch­halten, der Lichtschimmer ist heller gewor­den. Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir die Lichtung erreichen.«

Razamon stöhnte nur und gab keine Ant­wort.

Soweit er sich zurückerinnern vermochte, trug er diesen geheimnisvollen Zeitklumpen am linken Bein, ohne seine Bedeutung je ge­nau erfaßt zu haben.

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Es gab Zeiten, in denen er keinen Schmerz verspürte, wenn er auch meist das Bein nachziehen mußte. Es hinderte ihn nie in seinen Bewegungen, wenn es darum ging, schnell zu sein. Doch was nun, in diesen Au­genblicken geschah, war vorher noch nie­mals geschehen.

Glühende Messer schienen sein Bein zu zerfleischen.

Doch das allein war es nicht, was ihn so erschreckte. Das imaginäre Gewicht wurde unvorstellbar groß, und Razamon hatte das Gefühl, in den bodenlosen Abgrund des Di­mensionskorridors hinabgezogen zu werden.

Bruchstückweise vermochte er sich in diesen Augenblicken zu erinnern, daß er Ähnliches schon einmal erlebt hatte, wenn auch nicht in dieser krassen Form. Damals hatte es eine zeitliche Versetzung gegeben, die jedoch nur von kurzer Dauer war.

Diesmal jedoch … »Balduur! Mir ist schwindelig vor

Schmerzen. Kümmere dich um mich, wenn ich das Bewußtsein verlieren sollte.«

»Keine Sorge, ich bringe dich schon ans Ziel.« Der Sohn Odins trieb dicht neben Razamon und drehte sich langsam um sich selbst. »Mir scheint, du bist mal wieder in eine Staubwolke geraten, ich kann deine Umrisse nur undeutlich erkennen.«

Razamon hatte nichts von einer Staubwol­ke bemerkt, außerdem hätte sie auch seine Sicht behindern müssen. Das aber war nicht der Fall. Er sah Balduur klar und deutlich in einigen Metern Entfernung neben sich.

Und der Zeitklumpen zog und zerrte … »Balduur, was ist? Bleibe in meiner Nä­

he!« »Du wirst immer undeutlicher, Razamon.

Warte, ich komme.« Razamon sah ihn heranschweben und die

Hand ausstrecken, so als wolle er ihn fest­halten, aber die Hand berührte ihn nicht. Sie ging durch ihn hindurch.

Nun war es Balduur, der einen Schrei aus­stieß.

»Deine Umrisse verschwimmen! Ich kann dich nicht fassen. Dein Körper … was ist

mit deinem Körper?« Der Schmerz in dem Bein wurde so stark,

daß Razamon die nahende Ohnmacht spürte. Mühsam nur riß er sich zusammen, ohne das Phänomen der einsetzenden Körperlosigkeit zu begreifen. Wie kann jemand Schmerz verspüren, der körperlos wird?

Der haltlose Sturz in den Abgrund be­gann.

»Balduur!« Aber auch der Sohn Odins schien allmäh­

lich unsichtbar zu werden, und nicht nur er. Vor Razamons Augen verschwammen die in einiger Entfernung vorbeiziehenden Trüm­merstücke der zerborstenen Planeten, als würden sie von der ewigen Dämmerung ver­schluckt.

Er stürzte und stürzte, und dann verlor er endgültig das Bewußtsein.

*

Balduur mußte hilflos zusehen, wie Raza­mons Konturen sich verwischten, sein Kör­per zu einem Schemen wurde und schließ­lich verschwand. Noch einmal hörte er in seinem Helm den gequälten Aufschrei des Freundes, der seinen Namen rief.

Dann war Stille. Um Balduur herum hatte sich nichts ver­

ändert. Weit vor ihm schimmerte die Lich­tung durch die Dämmerung des Dimensions­korridors, und immer noch zogen in einiger Entfernung die Felsbrocken vorbei.

Er hütete sich, Richtung oder Geschwin­digkeit zu verändern, denn er ahnte, daß Razamon möglicherweise an dieser Stelle plötzlich wieder auftauchen konnte.

Trotzdem sah Balduur keine andere Mög­lichkeit, als weiterhin der rettenden Lichtung zuzustreben. Nur dort war er in Sicherheit, wenn es im Dimensionskorridor überhaupt so etwas wie Sicherheit gab.

Er trieb auf eine ausgedehnte Wolke Me­teoritenstaub zu und wich ihr nicht aus.

2.

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Razamons Bewußtsein kehrte zurück. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich an

das Geschehene erinnern konnte und er in der Lage war, einige Dinge zu registrieren.

Sein Bein schmerzte nicht mehr – das war seine erste und sehr tröstliche Feststellung, die zugleich das zurückgekehrte Bewußtsein erklärte. Dann war das unheimliche Gewicht verschwunden, das ihn in die Tiefe gezerrt hatte.

In welche Tiefe? Jetzt erst fielen Razamon der Dimensions­

korridor und Balduur ein. Beides hatte er aus den Augen verloren, als es dunkel um ihn wurde.

Er sah sich um und wußte, daß er sich nicht mehr in dem Korridor befand, der mit planetarischen Trümmerstücken und Staub angefüllt war. Hier gab es beides nicht, da­für jedoch sehr dicht beieinanderstehende Sonnen, die von Planeten umkreist wurden.

Ein Kugelsternhaufen? Nein, eigentlich mehr so etwas wie ein

Sternenschwarm, dicht geballt und ein we­nig in die Länge gezogen. »Balduur!«

Er rief, obwohl er schon wußte, daß sein Ruf den Freund nie erreichen konnte.

Die Erkenntnis der ganzen Wahrheit des­sen, was geschehen war, dämmerte ihm langsam. Zugleich kehrten einige längst ver­gessene Erinnerungen zurück, die in seinem Unterbewußtsein geschlummert hatten.

Der Zeitklumpen war wieder aktiv gewor­den, ohne daß er es hätte verhindern können. Die Verhältnisse im Korridor zwischen den Dimensionen mußte schuld daran gewesen sein. Razamon hatte keinen bemerkenswer­ten Ortswechsel vorgenommen, wohl aber einen solchen in der Zeit.

Es gab den Korsallophur-Stau nicht mehr – oder es gab ihn noch nicht.

Es traf ihn wie ein Schlag. Unfähig sich zu bewegen, trieb er in den Sternenschwarm hinein, der seine Flugbahn kreuzte. Er konn­te seine eigene Geschwindigkeit nicht ab­schätzen, da keine sichtbaren Bezugspunkte in unmittelbarer Nähe waren.

Razamon bedachte seinen Zeitklumpen

Clark Darlton

mit einigen kräftigen Flüchen, aber eine ge­wisse abergläubische Scheu hielt ihn davon ab, sie laut auszusprechen.

Mehr als zehntausend Jahre hatte er auf dem Planeten Terra als Unsterblicher unter den Menschen gelebt, ohne jemals erkannt zu werden.

Und immer war der Zeitklumpen vorhan­den gewesen.

Er wußte, daß er sich nun in der Vergan­genheit aufhielt, nicht in der Zukunft. Der Korsallophur-Stau war noch nicht entstan­den! Aber er würde irgendwann entstehen, und zwar aus dieser hier und jetzt vorhande­nen Zusammenballung der Sonnen und Pla­neten.

Wenn es in ihr intelligentes Leben gab, war es schon heute so gut wie zum Unter­gang verurteilt.

Hatte ihn der Zeitklumpen hierher beför­dert, um die bevorstehende Katastrophe zu verhindern? Nein, diese Überlegung war ge­nauso unsinnig wie die Theorie, ein Zeitpa­radoxon hervorrufen zu können.

Es gab also einen anderen Grund, wenn es überhaupt einen gab.

Unwillig verscheuchte Razamon alle Ge­danken an den Zeitklumpen und die Konse­quenzen seiner Aktivierung. Es ging jetzt um sein Leben, denn er war allein und ganz auf sich gestellt. Im Dimensionskorridor hat­te es außer Balduur wenigstens noch die Hoffnung gegeben, die Lichtung zu errei­chen. Hier und jetzt aber trieb er auf unbe­kannte Sonnen und Planeten zu, die er bei seiner geringen Geschwindigkeit erst in Jah­ren erreichen würde.

Wenn in dem Sternenschwarm intelligen­tes Leben existierte, mußte er Kontakt damit aufnehmen, wie immer dieses Leben auch aussah und wie immer es auch auf sein Er­scheinen reagieren würde. Etwas Endgülti­geres als das langsame Ersticken im Nichts konnte es kaum noch geben.

Er begann zu funken.

*

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Zwei Stunden lang blieb es im Empfänger stumm, aber dann empfing Razamon Signa-le, die nicht natürlichen Ursprungs sein konnten. Es handelte sich um Summtöne, die alle vorhandenen Frequenzen überlager­ten. Razamon hatte das Gefühl, angepeilt zu werden.

Aufmerksam sah er sich nach allen Seiten um, ohne ein in der Nähe befindliches Schiff oder eine Station entdecken zu können. Von einem der Planeten konnten die Funksignale aber nicht stammen, dazu waren die Him­melskörper zu weit entfernt.

Weit vor ihm blitzte es zwischen den Sternen kurz auf, und nach wenigen Sekun­den wieder. Dann entstand eine Pause, und als es erneut aufblitzte, war der für Sekun­den anhaltende Lichtpunkt etwas größer ge­worden.

Das Blinklicht näherte sich seinem Stand­ort.

Nun konnte kein Zweifel mehr daran be­stehen, daß man ihn geortet hatte und bereit war, ihn aufzufischen. Das Blinklicht war der starke Suchscheinwerfer eines Raum­schiffs.

Es war schneller da, als Razamon vermu­tet hatte. Zuerst hoben sich seine Umrisse nur undeutlich gegen den Schein des Ster­nenschwarms ab, aber dann wurde aus dem Schatten ein etwa achthundert Meter langes Gebilde, das an eine riesige Raupe erinnerte. Dieser Eindruck wurde durch die Segmente hervorgerufen, die abtrennbar zu sein schie­nen.

Razamon schwebte plötzlich inmitten ei­nes Lichtkegels und mußte geblendet die Augen schließen. Gleichzeitig verspürte er einen leichten Zug am Körper, der ihn in Richtung des Schiffes treiben ließ. Man hat­te ihn mit einem Traktorstrahl eingefangen.

In einem der mittleren Segmente entstand eine rechteckige Öffnung, auf die er zutrieb. Dahinter befand sich ein hellerleuchteter Raum. Razamon konnte nun die Augen wie­der aufhalten, denn der grelle Scheinwerfer war erloschen. Der Traktorstrahl hingegen hielt ihn fest, bis er in der Schleusenkammer

sanft abgesetzt wurde. Die Außenluke schloß sich lautlos. Das

kleine Meßinstrument im Anzug registrierte den Eintritt eines Gasgemischs in den Raum und zeigte dann Werte an, die auf eine gut atembare Atmosphäre schließen ließen.

Die Innenluke zum Schiff glitt auf. Auf dem dahinter liegenden Korridor standen drei humanoide Gestalten, die ihn mit offen­sichtlichem Mißtrauen, aber auch mit Neu­gier betrachteten. Sie waren hochgewachsen und athletisch gebaut, hellhäutig und mit dunklen Haaren. Der Stoff ihrer Uniformen schimmerte bläulich.

Razamon wußte, daß es sehr viele huma­noide Völker im Universum gab, und war über diese Begegnung nicht sonderlich er­staunt. Was ihn total verblüffte, war eine ganz andere Tatsache:

Die Fremden hatten mitten in der Stirn ein drittes Auge.

Abgesehen von diesem Auge erinnerten ihn die drei Wesen stark an Pona, die geflo­hene Enkelin des Lichtfürsten der Lichtung.

Sollten die Eripäer die späteren Nach­kommen dieses unbekannten Volkes sein?

Ehe Razamon den Helm öffnen und ein Wort der Begrüßung sagen konnte, wurde er nicht gerade besonders sanft gepackt und aus der Schleusenkammer geholt. Die drei Fremden nahmen ihn in ihre Mitte.

*

Durch eine Strahlenschleuse, deren Parti­kelschauer ihn und den abgelegten Rauman­zug zu desinfizieren schien, war Razamon in einen großen, hellerleuchteten Raum ge­langt, der mit technischen Geräten aller Art angefüllt war. Ein gutes Dutzend Fremder nahm ihn dort in Empfang, ohne ein Wort zu sprechen.

Sein Schutzanzug und sämtliche anderen Bekleidungsstücke wurden auf eine runde Plattform gelegt, über die sich eine transpa­rente Glocke stülpte. Die stabförmige Ener­giewaffe kam in ein kleines Fach, das durch eine Metalltür verschlossen wurde. Er selbst

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mußte sich völlig nackt auf einen Tisch le­gen, der unter einen Ring von Lichtern ge­fahren wurde.

Es wurde Razamon klar, daß er medizi­nisch untersucht wurde. Man wollte seine biologischen und physischen, vielleicht so­gar seine psychischen Eigenschaften heraus­finden.

Er wehrte sich nicht und ließ alles mit sich geschehen, beunruhigend war nur, daß die Fremden stumm zu sein schienen. Sie verständigten sich durch Handzeichen, aber selbst das war nur selten notwendig, denn die ganze Untersuchung lief automatisch ab.

Die ganze Prozedur nahm einige Stunden in Anspruch, dann übergab man ihm endlich seine Sachen, und er durfte sich wieder an­kleiden. Die Energiewaffe erhielt er nicht zurück.

Diesmal wurde eine andere Tür benutzt, um den Testsaal zu verlassen: Zwei Fremde führten Razamon durch einige Korridore und Segmentschleusen in den vorderen Teil des Schiffes, der allem Anschein nach den Kommandosektor enthielt. Besatzungsmit­glieder, die ihnen begegneten, nahmen meist kaum Notiz von ihnen, trotzdem glaubte Razamon zu bemerken, daß einige ihn mit mühsam verborgenen Erstaunen betrachte­ten.

Eine durch Grellfarben besonders gekenn­zeichnete Tür schob sich in die seitliche Verkleidung, dahinter wurde ein halbrunder Raum mit Bildschirmen und Kontrollinstru­menten sichtbar, vor denen – ebenfalls im Halbrund angeordnet – Sessel standen. Der Sessel in der Mitte schwang herum.

Razamon blickte den Fremden an, der sich nun daraus erhob und ihm entgegen­ging. Die drei Augen sahen ihn forschend an.

Das mußte der Kommandant des Schiffes sein. Eine Handbewegung ließ seine beiden Wärter gehen, nachdem der eine von ihnen dem Kommandanten Razamons Energiewaf­fe überreicht hatte, die dieser kurz studierte und dann auf den Tisch legte.

Erneut wandte er sich dann Razamon zu

Clark Darlton

und öffnete den Mund. »Willkommen an Bord der PERLAE­

NER, Fremder«, sagte er. Razamon war viel zu überrascht, um den

Gruß sofort erwidern zu können. Sein Ge­genüber hatte in einer Sprache gesprochen, die er zwar nicht identifizieren, aber doch verstehen konnte. Razamon wußte, daß er sie irgendwann einmal erlernt hatte.

»Mein Name ist Zuhaertes, und ich bin der Kommandant dieses Patrouillenschiffs meines Volkes, der Eshtoner. Und wer bist du?«

Inzwischen hatte Razamon sich von sei­ner Überraschung erholt.

»Man nennt mich Razamon aus der Fami­lie Knyr vom Volk der Berserker, und ich möchte dir meinen Dank dafür aussprechen, daß du mich aus einer hoffnungslosen Lage gerettet hast. Ohne deine Hilfe wäre ich ver­loren gewesen.«

»Du wirst verstehen, daß wir neugierig sind. Wir wüßten gern, woher du kommst. Deine Gestalt ist der unseren sehr ähnlich, obwohl du nur zwei Augen besitzt. Unsere Vorfahren hatten auch nur zwei Augen. Doch nun berichte, Razamon.«

»Verzeih mir, Zuhaertes, wenn ich dir einen Vorschlag unterbreite. Es wird viel­leicht besser sein, wenn ich zuerst alles über euch erfahre, bevor ich dir meine Geschichte erzähle, die dir unglaublich erscheinen wird, auch wenn sie wahr ist.«

Der Kommandant blinzelte mit seinem Stirnauge.

»Eine Frage zuvor: Du kommst von ei­nem der Planeten der im Schwarm befindli­chen Sonnensysteme?«

Razamon schüttelte den Kopf. Dann nick­te er.

»Beides ist richtig und falsch, Zuhaertes. Es ist schwer zu erklären, aber ich will es gern tun. Doch verzeih mir, ich bin ein we­nig erschöpft nach der Todesangst und der Untersuchung. Können wir uns setzen?«

»Folge mir, wir reden in meiner Kabine weiter. Darf ich Erfrischungen bringen las­sen?«

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Razamon bat darum und verließ dann zu­sammen mit dem Kommandanten die Schiffszentrale.

*

Die geräumige Kabine wies alle Bequem­lichkeiten auf, die auch ein terranisches Raumschiff gehabt hätte. Zuhaertes behan­delte Razamon nicht wie einen Gefangenen, sondern wie einen seltenen Gast.

Razamon nahm in dem angebotenen Ses­sel Platz, der Kommandant ihm gegenüber. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch. Ein Eshtoner brachte Getränke und Früchte. Dann erst sagte Zuhaertes:

»Wenn ich dich fragte, ob du einem von der Schwarmplaneten kommst, so mußt du wissen, daß wir nicht alle Welten erforscht haben. Es sind deren zuviel. Es kann also nur so sein, daß wir an einem nahen Sonnen­system vorbeizogen, dessen Planeten eben­falls Leben tragen, und du von dort stammst. Doch das werde ich ja noch erfahren. Höre also zuerst die Geschichte unseres Volkes, damit du weißt, mit wem du es zu tun hast.«

Und Zuhaertes berichtete …!

*

»Die Vergangenheit der Eshtoner liegt im Dunkel des Vergessens, nur vage Überliefe­rungen berichten davon, deren Wahrheitsge­halt mehr als zweifelhaft ist. Niemand in un­serem Volk weiß, wann jene unbekannte Macht ersten Kontakt mit uns aufnahm, die uns eine schwere Verantwortung auflud. Es muß aber schon mehr als hundert Generatio­nen her sein, vielleicht auch zweihundert.

Alle unsere Nachforschungen blieben er­folglos, wir konnten niemals erfahren, wer diese Unbekannten waren. Eine Tatsache je­doch scheint aus den Überlieferungen her­vorzugehen: Sie schufen die Sternenzusam­menballung, in der wir heute leben und die wir ›Schwarm‹ nennen.

Die Unbekannten ernannten uns zu den Wächtern des Schwarms, dessen Aufgabe

darin bestand, Intelligenz im Universum zu verbreiten. Wie das geschehen sollte, wissen wir nicht oder nicht mehr.

Angeblich sollen vor uns schon andere da gewesen sein, die mit der selben Aufgabe betraut wurden, aber sie sind verschollen.

Im Vergleich zu den nicht im Schwarm organisierten Sternen scheint unsere Flugge­schwindigkeit sehr hoch zu sein, denn unser Weg zur Förderung der Evolution soll von Galaxis zu Galaxis führen. Aber das ist rela­tiv, denn wir können Geschwindigkeiten nur innerhalb des Schwarms feststellen und be­stimmen.

Die Unbekannten sind damals wieder ver­schwunden, aber die Zusammenziehung der Sonnen und die dadurch entstandene Dichte, verbunden mit verstärkter Strahlung und In­tensivierung der Gravitationsfelder resultier­te in kraß veränderten Lebensbedingungen für unser Volk. Die Folge war eine Mutati­on.

Unsere fernen Vorfahren besaßen, so wie du, nur zwei Augen. Das dritte bildete sich im Verlauf mehrerer Generationen mitten auf unserer Stirn. Wir wissen noch nicht, welchen Zweck dieses dritte Auge haben soll. Wir hoffen aber, das Rätsel bald gelöst zu haben.

Nur soviel: Es scheint mit der Entwick­lung eines neuen Sinns zu tun haben, der uns dazu befähigt, mehrdimensionale Zusam­menhänge besser zu begreifen. Doch dar­über wissen unsere Gelehrten mehr, und ich glaube, daß du bald mit ihnen zusammen­treffen wirst.

Ich habe dich informiert, soweit es mir er­laubt und möglich ist. Du hast nur zwei Au­gen, was deine Versicherung, du kämst von außerhalb des Schwarms, glaubhaft werden läßt. Ich bin bereit, deine Geschichte zu hö­ren.«

*

Als Zuhaertes schwieg, mußte Razamon sich eingestehen, daß er in der Zeit, die der Eshtoner für seine Schilderung benötigt hat­

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te, mehr über die Zusammenhänge des intel­ligenten Lebens im Kosmos und der Evoluti­on erfahren hatte als je zuvor. Das Schicksal dieses Volkes berührte ihn, und er beschloß, nichts darüber verlauten zu lassen, welche katastrophale Zukunft ihm bevorstand.

Er berichtete also einen Teil der Wahrheit und stieß natürlich auf Unglauben. Daß es Dimensionskorridore gab, war Zuhaertes zwar bekannt, weil sich gerade die neuesten Forschungen mit diesem Phänomen beschäf­tigten. Die Zeitreise Razamons jedoch lehnte er als glatte Erfindung ab.

»Nein, Razamon, eine Zeitreise ist un­möglich! Du willst nur die Position deiner Heimatwelt nicht verraten, darum das Mär­chen von deinem Sturz in die Vergangen­heit. Dein Planet wurde vom Schwarm ein­gefangen, vielleicht nur durch einen Zufall. Es ist möglich, daß dein Volk eine Expediti­on ausschickte, um die neue Umgebung zu erforschen, ein Unfall geschah, und so kam es, daß wir dich im Raumanzug treibend ent­deckten. Nun, war es nicht so?«

»Nein, ich habe dir die Wahrheit berich­tet. Ich komme aus der Zukunft als unfrei­williger Zeitreisender und …«

»Ich verstehe dich vollkommen, wenn du nicht reden willst, aber sicherlich wirst du es eines Tages tun, wenn du jemals zu deiner Heimatwelt zurückkehren möchtest. Die Es­htoner sind friedliebend, deinem Volk würde niemals eine Gefahr von uns drohen. Du wirst das bald einsehen. Aber ich bitte dich, mir keine weiteren Lügen mehr aufzuti­schen, und besonders nicht den Wissen­schaftlern von Buirkaeten.«

Als Razamon ihn fragend ansah, ergänzte er:

»Buirkaeten ist unsere Hauptwelt. Dort wirst du Gelegenheit erhalten, mit den be­sten Köpfen unseres Volkes zu diskutieren. Sie werden dir genauso helfen wie du viel­leicht ihnen. Wir haben viele Probleme. Solltest du wirklich etwas über einen Di­mensionskorridor wissen, so wird man dir für Hinweise dankbar sein. Es gibt Wissen­schaftler, die behaupten, es gäbe einen sol-

Clark Darlton

chen Korridor. Er hängt mit einem geplanten Unternehmen zusammen, über das ich dir leider nichts verraten darf.«

Abermals wurden die Eshtoner im Zu­sammenhang mit einer anderen Dimension erwähnt, was Razamon allmählich zu beun­ruhigen begann. Tief im Unterbewußtsein begann er zu ahnen, welche Katastrophe sich da anbahnte. Das geheimnisvolle dritte Auge schien die Ursache allen Übels zu sein.

»Du wirst mich also zu deiner Hauptwelt bringen?«

»So lautet der Befehl«, bestätigte Zuhaer­tes. »Du bist unser Gast, nicht unserer Ge­fangener. Als Bestätigung dieser Behaup­tung wirst du deine Waffe zurückerhalten, die übrigens eine Weiterentwicklung unserer eigenen Energiewaffen zu sein scheint.« Als Razamon etwas sagen wollte, winkte er ab. »Nein, das ist für mich noch lange kein Be­weis, daß deine phantastische Geschichte stimmt. Entwicklungen nehmen oft einen parallelen Verlauf.«

Razamon seufzte. »Also gut, auf nach Buirkaeten«, sagte er

resignierend.

3.

Das Raupenschiff PERLAENER blieb in einer Kreisbahn um den Planeten Buirkae­ten. Razamon erhielt die Gelegenheit, vom kleinen Landefahrzeug aus, das sich nur langsam der Oberfläche näherte, die Haupt­welt der Eshtoner zu betrachten.

Es gab mehrere Kontinente und sie ver­bindende Inselgruppen, die einen Landver­bindungsweg ermöglichten, der sich wie ein Band rund um den Globus spannte. Soweit Razamon es beobachten konnte, herrschte auf diesem Verkehrsweg reger Betrieb. In jeder Fahrtrichtung schätzte er zwei Dutzend Bahnen.

Zuerst nahm er an, langgestreckte und merkwürdig gleichmäßig geformte Gebirge zu erkennen. Erst als das Landefahrzeug sich mehr und mehr der Oberfläche näherte,

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sah er den Irrtum ein. Die vermeintlichen Gebirge waren aneinandergereihte palast­ähnliche Gebäude, die oft eine hundert Kilo­meter lange Baueinheit bildeten. Die Bauten in der Mitte waren höher als jene am Rand, so daß in der Tat der Eindruck eines Höhen­zugs entstehen mußte.

Zwischen diesen künstlichen Bergen er­streckten sich riesige Naturparks mit Wäl­dern und Seen, die, wie Zuhaertes erklärte, jedermann zugänglich waren. Sie waren das Gegengewicht zu den ausgedehnten Wohn­gebieten, in denen Vegetation kaum Platz geboten wurde.

»Du wirst einen freundlichen Empfang er­leben«, versicherte der Kommandant. »Unsere Ankunft ist angemeldet, und in er­ster Linie werden es die Wissenschaftler sein, die sich für dich interessieren. Zur bes­seren Einführung gebe ich dir schon jetzt die Namen der einflußreichsten bekannt. Es sind eigentlich nur drei, die anderen wirst du spä­ter kennenlernen. Da wäre an der Spitze Pu­ertas und sein Assistent Taeker, die als kon­servativ gelten. Ihr Gegenspieler ist der jun­ge Fraend, wohl der brillanteste Forscher auf dem Gebiet des Dimensionskorridors. Du wirst seine Theorie über die Existenz eines solchen Korridors noch kennenlernen, die von Puertas abgelehnt wird.«

»Also zwei Gruppen, die sich gegenüber­stehen?« meinte Razamon voll böser Ah­nungen.

»Nicht als echte Feinde, aber als wissen­schaftliche Gegner«, schwächte der Kom­mandant ab. »Wenn du ihren Diskussionen beiwohnst, kannst du dir selbst ein Urteil bilden. Man hofft, daß du der einen oder an­deren Seite helfen kannst. Ein wenig von dem Gespräch zwischen dir und mir mußte ich andeuten. Das hat sie neugierig ge­macht.«

»Auch die Zeitgeschichte?« »Nur im Scherz, Razamon. Aber deine

Behauptung, es gäbe einen solchen Dimensi­onskorridor, war Wasser auf Fraends Müh­len.«

Razamon begann zu ahnen, daß er einen

Fehler begangen hatte. Er beschloß, in Zu­kunft vorsichtiger mit seinen Äußerungen zu sein. Und noch etwas anderes begann ihn zu beunruhigen: Im Unterbewußtsein begann sich etwas zu regen, das er schon vergessen und überwunden glaubte. Seit er in der Ver­gangenheit weilte, bemerkte er zum ersten Mal wieder die aufsteigende Berserkerwut, war aber noch in der Lage, einen Ausbruch leicht zu unterdrücken. Doch wie lange noch?

»Ich werde mir ihre Theorien über einen solchen Korridor anhören und ihnen meine Erfahrungen mitteilen«, versprach er, ohne ein gutes Gefühl dabei zu haben. Das. Wa­rum kam ihm erst später zu Bewußtsein, als er intensiver über die Konsequenzen nach­dachte, die das geplante Experiment, von dem er noch zu wenig wußte, haben würde. »Natürlich wird man mir keinen Glauben schenken, also werde ich kaum helfen kön­nen.«

»Jede Kooperation erhöht die Möglich­keit, zu deiner Heimatwelt zurückkehren zu können«, lockte Zuhaertes.

»Vielleicht auch nicht …« Das Landefahrzeug schwebte einem run­

den Raumlandefeld entgegen, an dessen Rand mehrere Raupenschiffe abgestellt wa­ren. Langgestreckte und flache Gebäude rahmten das Gelände wie eine Mauer ein. Sich bewegende Punkte verrieten eine große Menge von Eshtonern, die sich die Ankunft eines so seltenen Besuchers nicht entgehen lassen wollten.

Viel sahen sie allerdings nicht, denn als der Raumgleiter gelandet war, stand unmit­telbar neben ihm bereits ein Fahrzeug ohne Fenster. Razamon hatte kaum drei Atemzü­ge Zeit, die Luft Buirkaetens zu testen, da befand er sich bereits im Innern des Wagens, das einem bequem eingerichteten Zimmer glich. Auf Prallfeldern glitt es davon, und keine Erschütterung war zu spüren.

Zuhaertes stellte einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor, darunter auch die drei bereits genannten Wissenschaftler, die in erster Linie das Fehlen des dritten Au­

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ges bei Razamon registrierten. Dieser be­griff, daß die Eshtoner ihrer eigenen Ver­gangenheit nachtrauerten. Dieses dritte Au­ge war die Ursache ihres größten Problems, das Razamon zu erahnen begann.

Das Gespräch während der Fahrt war nur ein vorsichtiges Abtasten der sich bereits ab­zeichnenden Fronten. Die Rivalität zwischen Puertas und Fraend war offensichtlich. Assi­stent Taeker schwieg, und Zuhaertes hielt sich zurück. Die übrigen Eshtoner mischten sich nicht in das Gespräch ein.

Die Fahrt endete, wie Razamon erst später feststellen konnte, im Zentrum eines »Wohngebirges«. Dort hatte man ein Quar­tier für ihn vorbereitet, in dem er sich wohl fühlen sollte. Alle nur denkbaren Bequem­lichkeiten waren vorhanden, um dem Gast den unfreiwilligen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.

Razamon rätselte noch immer darüber nach, woher er die Sprache der Eshtoner kannte. In seiner eigenen relativen Vergan­genheit mußte es ein Ereignis gegeben ha­ben, das er vergessen hatte. Das Ereignis ja, aber nicht diese ihm unbekannte Sprache, die er beherrschte.

Hypnoschulung, wie die Terraner sie von den Arkoniden gelernt hatten?

Wer hatte sie ihm gegeben? Zuhaertes verabschiedete sich und versi­

cherte, man würde sich wiedersehen, da sein Schiff bald landen und einige Zeit auf dem Raumhafen bleiben sollte. Es mußte über­holt werden.

Taeker wurde Razamon als vorläufiger Begleiter zugeteilt.

Razamon atmete erleichtert auf, als sie al­le gegangen waren. Man hatte ihm mitge­teilt, daß man ihn eine Rotationsdauer allein lassen wolle, um ihm die Gelegenheit zu ge­ben, sich einzugewöhnen.

Razamon war diese Frist nur recht, aber er stellte sich die Frage, wie lange er Zeit hatte. Er traute seinem Zeitklumpen nicht. So wie er ihn in die Vergangenheit gestürzt hatte, konnte er ihn vielleicht auch jeden Augen­blick zurück in die Gegenwart holen.

Clark Darlton

*

Erst nach einigen Stunden Schlaf begann Razamon sich in seiner »Wohnung« richtig umzusehen. Die ständige Furcht davor, plötzlich wieder in die Zukunft geschleudert zu werden, veranlaßte ihn, den Raumanzug zu tragen oder zumindest griffbereit zu hal­ten. Wenn er ohne den Schutzanzug im Kor­sallophur-Stau materialisierte, war er verlo­ren.

Der Toilettenraum enthielt alles, was auch ein Terraner zu seiner täglichen Pflege benö­tigt hätte. Fast hätte man meinen können, Terraner und Eshtoner besäßen den gleichen Ursprung.

Im Wohnraum standen einige Gegenstän­de, deren Bedeutung ihm nicht sofort klar war. Erst nach einigen Versuchen und gründlichem Nachdenken enträtselte er die Nachrichtengeräte und einen Videoapparat, der gespeicherte Filme wiedergab. Eine di­rekte Kontaktverbindung entdeckte er nicht.

In einer Speisekammer fand er alles, was er zur Ernährung benötigte. Abermals befiel ihn Verwunderung darüber, daß ihm die Zu­sammenstellung bekannt und vertraut erschi­en.

Nachdem er die Bedienung herausgefun­den hatte, wählte er einen der gespeicherten Filme und ließ ihn anlaufen.

Der ovale Bildschirm gab farbig und drei­dimensional wieder. Die Sprache des erklä­renden Textes war die ihm bereits vertraute, so daß er jedes Wort verstand.

Er hatte absichtlich einen Film gewählt, dessen Titel ihm verriet, daß es sich um eine Art Bericht über das Volk der Eshtoner han­delte. So konnte er sich ein Bild machen, oh­ne den Planeten Buirkaeten bereisen zu müs­sen.

Der größte Teil dessen, was er zu sehen und hören bekam, deckte sich mit dem, was er bereits durch den Kommandanten Zuhaer­tes erfahren hatte. Die Eshtoner waren ein friedliches und dem Leben gegenüber posi­tiv eingestelltes Volk, das dem Vergnügen

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und kulturellen Bedürfnissen großen Raum gab. Die technischen Errungenschaften wa­ren bedeutend, spielten aber nur eine unter­geordnete Rolle bei der durchschnittlichen Bevölkerung. Politik war kein Problem, ob­wohl die Eshtoner in einer Art gemäßigter Diktatur lebten, die jedoch dank eines raffi­nierten Systems der Volksbefragung jeder­zeit wieder abgelöst werden konnte.

Als Razamon das Gerät ausschaltete, hatte er über die Vergangenheit der Eshtoner nichts Neues in Erfahrung bringen können. Der Bericht schwieg sich darüber aus. Raza­mons Suche nach einem entsprechenden Ti­tel blieb erfolglos.

Er schlief noch ein paar Stunden, und als er durch einen Summton geweckt wurde, er­schien auf einer Mattscheibe über der Tür der Name dessen, der ihm einen Besuch ab­zustatten wünschte.

Es war Fraend, der junge Wissenschaftler. Razamon öffnete die Tür durch einen

Knopfdruck.

*

Fraend trug eine leichte Freizeitkleidung und gab sich sehr selbstsicher. Er schien sich seiner Bedeutung als Wissenschaftler durch­aus bewußt zu sein. Trotzdem hätte man ihn nicht als überheblich bezeichnen können, ganz im Gegenteil. Er blieb dem Gast ge­genüber höflich und zuvorkommend.

»Verzeih, wenn ich das Ende deiner Ru­hepause kaum abwarten konnte, aber Zu­haertes' Andeutungen haben mich neugierig gemacht. Er sagte, du wüßtest etwas über Dimensionskorridore. Es war schon immer meine Überzeugung, daß es solche Tunnel gibt, die eine Verbindung zwischen den Ga­laxien durch eine überlagerte Dimension herstellen. Was die Existenz solcher Korri­dore nicht für die Raumfahrt allein, sondern für den ganzen Schwarm bedeutet, läßt sich erraten.«

Die zwiespältige Situation, die Razamon befürchtet hatte, war eingetreten. Beide wis­senschaftliche Lager wollten ihn für ihre

Zwecke ausnutzen. Wenn er nicht in Schwierigkeiten geraten wollte, mußte er den Versuch unternehmen, sich möglichst neutral zu verhalten.

Er beschloß, erstmal auf den Busch zu klopfen.

»Soweit ich Zuhaertes richtig verstanden habe, bezweifelt dein Kollege Puertas die Existenz solcher Korridore. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt, wenn auch nur mit Ein­schränkung. In unseren letzten Auseinander­setzungen hatte ich den Eindruck, daß er die Existenz nicht mehr abzustreiten bereit ist, dazu sind gewisse Experimente zu positiv verlaufen.«

»Und warum gibt es keine echte Zusam­menarbeit zwischen den beiden Gruppen?«

»Ich sehe, daß du einigermaßen informiert bist, aber du wirst die Hintergründe nicht kennen. Es geht in erster Linie um meine Absicht, den mit Sicherheit vorhandenen Di­mensionskorridor für eine schnellere Ent­wicklung der Intelligenz im Universum aus­zunutzen.«

Die Theorie Fraends war Razamon sofort klar: Der eshtonische Wissenschaftler hatte den Plan, den Sternenschwarm aus dem Normalraum in den Dimensionskorridor zu bringen, um in ihm mit unvorstellbarer Ge­schwindigkeit die nächste Galaxis zu errei­chen. Der Flug, der sonst Generationen ge­dauert hätte, würde so in wenigen Tagen oder Wochen absolviert werden können. Im Korridor gab es andere Gesetze als im Nor­malraum.

Es war ein wahnsinniger Plan, wußte Raz­amon, und er würde das Ende des Schwarms bedeuten. Wie aber sollte er das Fraend klar­machen?

»Wie sollte es technisch möglich sein, mehr als hundert Planeten und die dazuge­hörigen Sonnen von einer Dimension in die andere zu bringen?«

Fraend lächelte maliziös. »Nehmen wir einmal an, ich hätte dieses

Problem bereits gelöst und wäre in der Lage, alle unsere Welten in den Korridor zu ver­setzen. Bist du nicht auch der Meinung, daß

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wir unseren vorgeschriebenen Weg dann schneller fortsetzen könnten?«

Da war sie wieder, die Zwickmühle! Die Theorie war durchaus richtig, nur würde die Praxis anders aussehen. Wenn die Eshtoner das Experiment durchführten, mußte ihnen ein Fehler dabei unterlaufen. Der Korsallo­phur-Stau bewies das einwandfrei.

»Es wäre möglich, aber ich halte es für gefährlich.«

Fraend verbarg seine Enttäuschung. Er schien mehr Kooperation erwartet zu haben.

»Das tut Puertas auch, ohne einen stich­haltigen Grund dafür angeben zu können. Er verläßt sich auf sein Gefühl und geht kein Risiko ein.«

»Da hat er recht!« entfuhr es Razamon. »Wenigstens von seinem Standpunkt aus als Wissenschaftler.«

»Aha!« Fraends Gesicht leuchtete hoff­nungsvoll auf. »Diese Einschränkung be­stärkt mich ungemein in meinen Absichten. Ich will dir verraten, daß meine ersten Kleinversuche erfolgreich waren. Es ist mir gelungen, einen größeren Asteroiden aus un­serem Universum zu entfernen und in den Dimensionskorridor eindringen zu lassen. Er verschwand aus unserem Raum, und wahr­scheinlich hat er sein Ziel, die Nachbargala­xis, längst erreicht.«

Razamon unterdrückte sein Erstaunen. »Und niemand wurde aufmerksam?« »Nein, ich unternehme mit meinem Stab

sehr oft Erkundungsflüge zu anderen Syste­men innerhalb des Schwarms. So konnten wir in aller Ruhe die Zapfstationen auf ver­schiedenen Welten ausbauen.«

»Zapfstationen?« »Sie entziehen den Sternen Energie und

speichern sie für den bevorstehenden Groß­einsatz. Vergiß nicht, daß es dann nicht nur um einen Asteroiden geht! Ich muß aller­dings zugeben, daß man auf Buirkaeten be­reits aufmerksam wurde. Doch der Bau der Anlagen kann nicht mehr rückgängig ge­macht werden. Eines Tages werde ich die Genehmigung zum Beginn des Experiments erhalten.«

Clark Darlton

»Puertas hat sie bisher verhindern kön­nen?« vermutete Razamon.

»Aber nicht mehr lange!« versprach Fraend grimmig.

Fraend war ein Genie und zugleich wahn­sinnig, das wußte Razamon nun mit einiger Sicherheit. Sein geplantes Experiment muß­te unter allen Umständen verhindert werden, und dabei konnte nur Puertas helfen. Hof­fentlich ergab sich bald die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Fraend erhob sich. »Nun bist du informiert, aber von dir habe

ich kaum etwas erfahren. Aber die mir gege­bene Zeit ist abgelaufen, ich muß dich jetzt verlassen. Wir sehen uns später.«

Er ging, und Razamon hatte den untrügli­chen Eindruck, daß er verärgert war. Er schien sich mehr von dem Gespräch ver­sprochen zu haben, aber statt Fragen zu stel­len, hatte er Antworten geben müssen.

*

Buirkaeten hatte ziemlich die gleiche Ro­tationsdauer, wie Razamon sie von der Erde her gewohnt war. Die weißgelbe Sonne, die ein wenig ins Rötliche schimmerte, stand im Zenit, als wieder der Türsummer ertönte. Der Name des Besuchers erschien auf der Bildtafel:

Taeker. Aha, nun kommt die Gegenseite an die

Reihe, dachte Razamon belustigt. Bin ge­spannt, wie lange das Hin und Her andau­ern wird.

Taeker wirkte bescheidener als Fraend, war etwa im gleichen Alter und trug eben­falls leichte Kleidung. Nach der Begrüßung fragte er höflich, ob er das Fenster öffnen dürfe, denn das Wetter sei ausgezeichnet, und er müsse sonst den ganzen Tag muffige Büroluft atmen.

Razamon gestattete es gern und genoß zum ersten Mal die Aussicht auf die Stadt, die im Grunde aus nur einem einzigen zu­sammengeschachtelten Riesengebäude be­stand. Immerhin hatten die Eshtoner es ver­

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standen, die meist flachen Dächer für ver­einzelte Anpflanzungen und Schwimm­becken auszunutzen.

Der Blick auf das Dächermeer war nicht unerfreulich.

»Schon unsere Vorfahren bauten so«, be­gann Taeker vorsichtig das Gespräch. »Man sagt, sie taten es deshalb, um möglichst viel der Oberfläche unserer Welt unbebaut und natürlich zu lassen. Wer die Stadt verläßt, wird draußen im Grünen kein Haus mehr vorfinden.«

»Keine schlechte Einteilung«, gab Raza­mon zu, der gern ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte. »Bist du gekom­men, um mich abzuholen?«

»Ja, Puertas möchte sich mit dir unterhal­ten, nachdem du schon mit Fraend gespro­chen hast. Er möchte deine Meinung erfah­ren.«

»Zuerst möchte ich gern die seine hören, Taeker. Ist es ein weiter Weg?«

»Unten wartet ein Wagen, der bringt uns zu ihm.«

»Gut. Ich bin gleich fertig.« Er griff zum Raumanzug, um ihn anzuzie­

hen. »Das ist überflüssig«, sagte Taeker und

lachte. »Wir bleiben auf Buirkaeten.« Razamon zog ihn trotzdem an. »Ich habe einen besonderen Grund, Tae­

ker. Ich werde ihn Puertas erklären, keine Sorge, auch wenn er mich dann so auslacht wie du.«

Der Lift brachte sie unter die Oberfläche. Statt Straßen dienten hell erleuchtete Tun­nels unter der Stadt als Verkehrswege. Sie stiegen in einen offenen Wagen, der sich so­fort in Bewegung setzte.

Rechts und links der eigentlichen Fahr­bahn beförderten Rollstreifen die Fußgän­ger, vorbei an den Auslagen der zahlreichen Geschäfte. Da der Wagen automatisch ge­steuert wurde, blieb Taeker Zeit und Gele­genheit genug, Razamons Fragen zu beant­worten und ihm alles zu erklären.

Endlich glitt das Fahrzeug in einen Sei­tentunnel und parkte sich in einer dafür be­

stimmten Nische. Taeker stieg aus. »Wir sind da. Der Lift wird uns nach oben

bringen.« »In ein Labor?« »Nein, in das Studierzentrum Puertas'.

Hier laufen alle Fäden der theoretischen Wissenschaft zusammen. Puertas ist der Lei­ter dieses Zentrums.«

Als der Lift hielt und sich die Tür öffnete, schloß Razamon für einen Moment geblen­det die Augen. Er hatte genau in die Sonne geblickt, denn das Studierzentrum befand sich auf dem Dach eines hohen Gebäudes und war mit einer Glaskuppel überspannt. Halbrunde Sitzreihen ließen Vorlesungen und sonstige Versammlungen vermuten. Ein riesiger Bildschirm davor vervollständigte den Eindruck.

Puertas kam Razamon und Taeker entge­gen. Hinter ihm warteten ein Dutzend ande­re Eshtoner, die fasziniert auf die augenlose Stirn des Gastes sahen.

»Wir freuen uns, Razamon«, sagte Puer­tas freundlich und mit sympathisch klingen-der Stimme. »Ich nehme an, du hast uns vie-le Fragen zu stellen. Wir werden sie gern be­antworten, aber du mußt damit rechnen, daß auch wir einiges von dir wissen möchten.«

Nach der allgemeinen Begrüßung nahm man an einem langen Tisch Platz, auf dem Erfrischungen standen. Puertas setzte sich neben Razamon. Vor ihm lagen einige Noti­zen, die er durchblätterte. Als es ruhig ge­worden war, begann er:

»Ich nehme an, Fraend hat dir von seinen Plänen berichtet und dich um Unterstützung gebeten. Wir kennen seine Pläne ebenfalls und lehnen sie rundweg ab. Wenn es diesen Dimensionskorridor wirklich gibt, so ist er viel zu wenig erforscht, als daß wir ohne je­de Erfahrung den Versuch unternehmen könnten, in ihn einzudringen. Ich bestreite nicht, daß es technisch möglich sein könnte, aber die Folgen sind nicht auszudenken, nicht einmal in der Theorie. Wie denkst du darüber?«

»Ich habe noch keine Entscheidung ge­troffen«, blieb Razamon vorsichtig. »Zuerst

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wollte ich beide Seiten hören.« »Sehr klug, mein Freund. So höre denn

weiter: Du weißt, daß in unserer Vergangen­heit eine Mutation uns das dritte Auge be­scherte. Es muß unseren Vorfahren wie ein Geschenk erschienen sein, denn sie began­nen plötzlich Dinge zu begreifen, die vorher ein Rätsel blieben. N-dimensionale Zusam­menhänge, die vorher unlösbare Rätsel auf­gaben, müssen innerhalb weniger Generatio­nen zu Mathematikaufgaben für Schulkinder geworden sein, um es vereinfacht auszu­drücken. Unsere Vorfahren gewannen mit dem dritten Auge die 5-D-Orientierung.«

»Ich kann in dieser Entwicklung keinen Nachteil erkennen«, gab Razamon zu, als Puertas eine kleine Pause machte und ihm einen fragenden Blick zuwarf. »Die ver­stärkte Strahlung innerhalb des Schwarms förderte die natürliche Evolution, das ist al­les. Es gibt viele Völker im Universum, die mehrdimensionale Zusammenhänge besser begreifen als andere.«

Puertas gab durch ein Nicken zu verste­hen, daß er der gleichen Meinung war.

»Das ist richtig, und unsere Vorfahren ha­ben wohl ähnlich gedacht. Doch dann gesch­ah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Diese zweite Entwicklung vollzog sich lang­sam und fast unmerklich, und sie ist keines­wegs schon abgeschlossen. Der Prozeß dau­ert noch an, aber sein Ende läßt sich vorau­sahnen. Das Volk der Eshtoner ist dabei, ein Volk von Dimensionszwittern zu werden.«

Razamon starrte den Wissenschaftler ver­blüfft an. Unter dem Begriff »Dimensionszwitter« konnte er sich nichts vorstellen. Im Grunde genommen war er selbst einer, weil er von der normalen vier­ten und die nächsthöhere fünfte Dimension hinübergewechselt war.

Puertas schien es zu lange zu dauern, bis Razamon die erwartete Frage stellte. Er fuhr also fort:

»Ich will damit zum Ausdruck bringen, daß zugleich mit dem wachsenden Verständ­nis für n-dimensionale Probleme und deren Lösung das Begreifen der normalen Umwelt

Clark Darlton

nachließ. Wir sind dabei, die 4-D-Orientierung zu verlieren!«

Nun begriff Razamon die ganze Tragwei­te der Entwicklung. Gleichzeitig sah er darin aber auch ein Motiv für die Denkweise Fraends, der die vierte Dimension für immer verlassen wollte, obwohl seine offizielle Be­gründung anders lautete.

In einigen hundert Jahren würden die Es­htoner im normalen Raum überhaupt nicht mehr existieren können. Ihnen blieb keine andere Wahl.

Wieder sprach Puertas, als Razamon nichts sagte.

»Mein Gegenspieler Fraend will nun her­ausgefunden haben, daß es zwischen den Galaxien sogenannte Dimensionskorridore gibt und daß in ihnen Naturgesetze herr­schen, die ein schnelleres Vorankommen un­seres Sternenschwarms ermöglichen. Ich be­zweifle nicht völlig, daß es solche Korridore gibt, aber ich glaube kaum, daß dort andere Naturgesetze vorhanden sind. Was meinst du zu diesem Problem?«

Es war soweit, wußte Razamon. Er mußte Stellung beziehen, ob er nun wollte oder nicht. Sowohl Puertas wie auch Fraend hat­ten recht mit ihren Standpunkten, wenn Fraend mit seiner wissenschaftlichen Theo­rie auch der Wahrheit wesentlich näherkam. Schließlich gab es die Korridore, und in ih­nen gab es auch andere Naturgesetze.

»Ich weiß nicht, was der Kommandant der PERLAENER über mich berichtet hat und ob meine Geschichte geglaubt wird, aber Tatsache ist, daß ich eine unfreiwillige Zeitreise unternahm und um mehrere tau­send Jahre in die Vergangenheit gestürzt wurde. Das geschah, als ich mich in einem Dimensionskorridor aufhielt.«

Puertas gab durch heftige Handbewegun­gen zu verstehen, daß er kein Wort mehr da­von hören wolle. Aufgeregt meinte er:

»Dieser Unsinn bestärkt Fraend nur in sei­nem verrückten Vorhaben! Dein Märchen von der Zeitreise hat auf Buirkaeten einen Sturm der Heiterkeit ausgelöst, was ich nur begrüßen kann, denn dadurch wird die

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Theorie der Dimensionskorridore noch un­wahrscheinlicher, als sie es ohnehin bereits war. Trotzdem …«

Er zögerte. Razamon nutzte die Unterbre­chung und sagte:

»Trotzdem hält man diese Korridore für möglich?«

»Es ist nicht unmöglich, das betonte ich schon. Aber Fraends Absicht, mit Hilfe gi­gantischer technischer Mittel dorthin über­zuwechseln, ist verwerflich. Eine Katastro­phe könnte die Folge sein.«

Razamon wußte nur zu gut, wie recht Pu­ertas mit seiner Vermutung hatte. Die Kata­strophe würde stattfinden, sonst könnte er jetzt – in seiner eigenen Vergangenheit – nicht hier sein. Was aber würde geschehen, wenn er Fraends Experiment verhinderte? Und verhindern ließ es sich nur mit Unter­stützung der konservativen Wissenschaftler, deren Vertreter Puertas war.

Vorsichtig wagte er einen Vorstoß in die­ser Richtung, ohne sich vorerst Gedanken über die Konsequenzen zu machen:

»Niemand glaubt, daß ich aus der Zukunft komme, Puertas, auch du nicht. Welchen Sinn hätte es also, dir von dieser Zukunft zu berichten? Ich könnte dir verraten, daß Fraend das Experiment durchführt und daß es zur Katastrophe kommt, genauso wie du es behauptest. Aber würdest du mir das auch glauben?«

Puertas saß erneut in der Zwickmühle. Auf der einen Seite lehnte er die Zeitreisege­schichte strikt ab, auf der anderen bestätigte sie seine Befürchtungen. Wenn er aber die­sem Fremden Glauben schenkte, bestand die Gefahr, daß er sich lächerlich machte.

Was also sollte er tun? Taeker kam ihm zu Hilfe: »Wie wäre es, Puertas, wenn wir offiziell

verkünden, daß eine Zeitreise technisch möglich sein könnte? Und danach erst ak­zeptieren wir Razamons Bericht, der Fraend den Wind aus den Segeln nehmen muß.«

Puertas machte eine ablehnende Geste. »Das ist im Augenblick unmöglich, Tae­

ker. Wir haben öffentlich in den Medien be­

hauptet, es könne keine Zeitreise geben. Wir verlören an Glaubwürdigkeit und hätten un­seren Kampf gegen das beabsichtigte Expe­riment verloren. Nein, es geht einfach nicht! Uns muß eine andere Taktik einfallen.«

Einer der anwesenden Wissenschaftler meldete sich zu Wort. Puertas gab ihm, of­fensichtlich widerwillig, die Erlaubnis zu sprechen.

»Ihr wißt, daß auch ich mich gegen Fraends Experiment ausgesprochen habe, aber es dürfte auch bekannt sein, daß ich sei­ner Korridortheorie durchaus zustimme. Die nächsthöhere Dimension entspricht genau den Lebensbedingungen, die uns von der Evolution aufgezwungen wurden. Wir ver­lieren die Orientierung im Normalraum und entwickeln den Sinn für die nächsthöhere Dimension, die eines Tages, ob wir es wol­len oder nicht, unsere Heimat sein wird.«

»Du bist dabei, unsere Sache zu verraten, Perm!« warf Puertas ihm in scharfem Ton vor. »Stehst du auf der Seite Fraends?«

»Natürlich nicht, Puertas. Das Experiment wäre die explosionsartige Vorantreibung ei­ner natürlichen Entwicklung, die langsam voranschreiten muß. In einigen Generatio­nen würden unsere Welten ganz von selbst in einen Dimensionskorridor gleiten, wenn es einen solchen gibt, wovon ich überzeugt bin.«

Puertas wandte sich wieder Razamon zu, aber noch ehe er den Mund öffnen konnte, ertönte ein Signal. Auf seiner Stirn bildete sich eine Unmutsfalte, dann sagte er:

»Unsere Zeit ist um, Razamon. Taeker wird dich in dein Quartier zurückbringen und dir die Bedienung der Videogeräte er­klären, damit du die öffentliche Diskussion heute abend verfolgen kannst. Bilde dir ein eigenes Urteil. Morgen wird dir Gelegenheit gegeben, unsere Welt kennenzulernen, und übermorgen findet hier in diesem Haus eine Zusammenkunft aller wissenschaftlichen Gruppierungen statt, an der auch du teilneh­men wirst. Du kannst dann frei deine Mei­nung äußern.«

Razamon hatte sich ebenfalls erhoben.

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Nach kurzem Abschied brachte Taeker ihn mit dem Wagen in seine Wohnung zurück und verließ ihn wenig später wieder.

Lang ausgestreckt lag Razamon nach ei­ner Mahlzeit auf dem Bett, den Raumanzug in Griffnähe. Er verspürte keinen Schmerz im Bein, aber der Gedanke daran, daß er zeitlich von Balduur, Atlan und Pthor ge­trennt war, bereitete ihm Unbehagen.

Dieses Unbehagen war jedoch nichts ge­gen die Verzweiflung, die allmählich Besitz von ihm ergriff. Alles in ihm drängte dazu, sich auf die Seite Puertas' zu stellen und das Experiment Fraends zu verhindern. Aber die möglichen Folgen eines Zeitparadoxons er­schreckten ihn, wenn er sich auch nicht si­cher sein konnte, ob sie überhaupt eintraten.

Atlantis/Pthor war durch den Korsallo­phur-Stau im Dimensionskorridor auf sei­nem Flug in die Schwarze Galaxis gebremst und zum Stillstand gebracht worden. Damit war die Gefahr vorerst gebannt, in die Hän­de der unbekannten Mächte zu fallen, die den Kontinent kontrollierten. Der Stau aber war zweifellos die Folge von Fraends Expe­riment in ferner Vergangenheit, die für Raz­amon nun zur Gegenwart geworden war.

Was aber würde geschehen, wenn es die­sen Stau niemals gab?

Razamon versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht. Immer wieder tauchten neue Visionen über eine veränderte Zukunft auf, die eine Paradoxon hervorrufen konnte. Würde es überhaupt möglich sein, das ge­plante Experiment zu verhindern, wenn er absolut sicher sein durfte, daß es stattgefun­den hatte – oder stattfinden würde?

Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere, bis er endlich in einen bleiernen Schlaf fiel, aus dem er erst erwachte, als ihn das vorher programmierte Glockenzeichen weckte, das den Beginn der Videodiskussion verkündete.

4.

Die Veranstaltung dauerte drei Stunden und brachte nichts Neues.

Clark Darlton

Fraend vertrat seine Sache selbstsicher und überzeugend. Bilder und Filme unter­strichen seine Ausführungen und bewiesen eindeutig, daß er mit seinem ersten Versuch, einen Asteroiden in eine andere Dimension zu schicken, Erfolg gehabt hatte. Allerdings besaß er keine gesicherten Unterlagen dar­über, was danach mit diesem Asteroiden ge­schehen war.

Razamon hätte es ihm verraten können, aber er saß als stummer Zuschauer vor dem Videoschirm.

Danach sprach Puertas, leidenschaftlich und voller Sorge. Der gewaltsame Übergang eines ganzen Schwarms von Sternen von ei­ner Dimension in die andere konnte nicht ohne katastrophale Folgen bleiben. Die ener­getische Erschütterung, so betonte er, müsse Sonnen und Planeten bersten lassen und würde so das Ende jeglichen Lebens bedeu­ten.

Dann folgte die Diskussion der teilneh­menden Wissenschaftler.

Razamon konnte sich sehr gut die Reakti­on des Publikums vorstellen, das von Argu­menten und Gegenargumenten hin und her gerissen wurde. Jede der beiden Seiten brachte überzeugende Gründe vor, und jede hatte, soweit Razamon das beurteilen konn­te, in vielen Punkten recht.

Er selbst gelangte jedoch immer mehr zu der Auffassung, daß es wohl das beste für ihn und die Zukunft Pthors war, nicht in die Entwicklung einzugreifen. Das Volk der Es­htoner würde die Katastrophe überleben, wenn es auch von den spinnenartigen Kro­locs überfallen und in einen begrenzten Le­bensraum zurückgedrängt würde. Die Kro­locs mußten von einem Sonnensystem stam­men, das schon immer im Korridor behei­matet gewesen war.

Erst später sollte Razamon erfahren, daß er sich irrte.

Geduldig folgte er der Debatte bis zum Ende, ohne dabei gestört zu werden. Als er sich danach ins Bett legte, drängte er alle Gedanken an seine eigene gefährdete Zu­kunft zurück, um schlafen zu können.

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Am anderen Morgen holte Taeker ihn ab.

*

In einem von der Regierung zur Verfü­gung gestellten Gleiter überflogen sie die Kompaktstadt und überquerten dann endlose Grünflächen, Flüsse und Seen. Ein ganzes Stück folgten sie der Äquatorstraße, ehe sie eine zweite Stadt erreichten, die der ersten zum Verwechseln ähnlich sah.

Taeker beantwortete geduldig alle Fragen Razamons, der sich allmählich ein Bild von der friedlichen Lebensweise der Eshtoner machen konnte und tief beeindruckt war. Der Gedanke an ihre traurige Zukunft be­drückte ihn, aber vergeblich suchte er nach einem Ausweg aus dem Dilemma, in dem er sich befand.

Taeker verhielt sich absolut neutral, ob­wohl er Puertas Assistent war. Allem An­schein nach hatte er von seiner Gruppe einen entsprechenden Auftrag erhalten. Er sagte kein Wort gegen Fraend und keines für sei­nen Vorgesetzten.

Auch Razamon vermied das Thema, nur einmal fragte er:

»Wird es möglich sein, daß ich mir die Energieanlagen Fraends ansehe? Ich meine die Zapfstellen, die er im Raum errichtete?«

»Vielleicht«, war alles, was Taeker dazu sagte.

Sie legten an diesem Tag mehr als tau­send Kilometer zurück, und als Razamon in seinem Quartier abgeliefert wurde, war er rechtschaffen müde.

Um so größer war seine Überraschung, als wenig später die Mattscheibe über der Tür einen Besucher anmeldete.

»Perm«, stand auf dem Schild. Razamon entsann sich. Perm war der

Wissenschaftler, der zu Puertas' Gruppe ge­hörte, sich aber seine eigene Meinung gebil­det hatte.

Er ließ den Besucher ein und entschuldig­te sich, daß er gerade aß. Perm nahm die Einladung zu einem Drink gern an.

»Verzeih, wenn ich dich so spät und un­

angemeldet aufsuche, aber ich wollte mit dir sprechen. Puertas weiß nicht, daß ich hier bin, er hätte es mir wahrscheinlich auch nicht erlaubt. Es gibt einige Fragen, die ich dir stellen möchte, aber eben allein. Ich glaube, dann hast du mehr Mut zur Wahr­heit.«

Razamon mußte lächeln. »Ich hatte den Mut zur Wahrheit, aber

was nützt es mir, wenn sie mir niemand glaubt?«

»Willst du damit sagen, daß die Sache mit der Zeitreise die Wahrheit ist? Du kannst ru­hig offen zu mir sein, ich werde mit nieman­dem darüber sprechen. Aber um mir eine Meinung bilden zu können, muß ich die Wahrheit kennen. Ich persönlich halte Zeit­reisen nicht für unmöglich, mein Verständ­nis für andere Dimensionen erfordert das.«

Razamon beugte sich vor und sah ihn an. »Hat Puertas dieses Verständnis denn

nicht? Oder die anderen?« »Oh doch, selbstverständlich. Aber es

fehlen die praktischen Erfahrungen. Alles ist nur Theorie, nicht mehr.«

Razamon schwieg einen Augenblick, um zu überlegen.

Perm schien in mancher Hinsicht aufge­schlossener neuen Ideen gegenüber zu sein als seine Kollegen. Die Tatsache, daß er die­sen Besuch heimlich unternahm, bewies, daß er Vertrauen zu Razamon hatte.

»Also gut«, entschloß sich Razamon, »dann werde ich dir die Geschichte erzäh­len, wie ich sie auch den anderen erzählte, ohne auf Glauben und Verständnis zu sto­ßen. Hör mir gut zu …«

Und noch einmal berichtete Razamon, was geschehen war. Er erzählte auch von dem Dimensionsfahrstuhl Atlantis/Pthor und den unbekannten Mächten in der Schwarzen Galaxis, vor deren Zugriff sie nur der Stau im Korridor bewahrt hatte. Und dieser Stau, so betonte Razamon zum Schluß eindring­lich, sei das Ergebnis des Experiments, das Fraend plane.

Perm hörte zu, ohne zu unterbrechen. Sein Gesicht drückte Zweifel aus, aber auch eine

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gewisse Furcht. Razamon wartete geduldig. Er mußte dem

jungen Wissenschaftler Zeit lassen, das Ge­hörte ganz zu verarbeiten und zu begreifen.

»Wie konntest du eine Reise durch die Zeit bewerkstelligen«, fragte Perm schließ­lich, »wenn man dich treibend im Raum fand? Es gab keine Maschinerie oder Ähnli­ches …«

»Ich weiß es selbst nicht, Perm. Aber der Dimensionskorridor existiert wirklich, und nach meinem Sturz in die Vergangenheit be­fand ich mich im Normalraum. Du weißt wie ich, daß Übergänge von einer Dimensi­on in die andere mit Umständen verbunden sein müssen, die zum größten Teil noch un­bekannt sind. Warum nicht auch eine Zeit­verschiebung?«

Razamon verzichtete bewußt darauf, sei­nen Zeitklumpen am linken Bein zu erwäh­nen, um Perm nicht noch mehr zu verwirren. Die Ursache einer Zeitverschiebung dem Korridor anzulasten, erschien ihm günstiger.

»Du hast recht, wir wissen zu wenig von diesen Dingen, aber gerade deshalb werden sie wahrscheinlicher. Wie hoch schätzt du die Zeitdifferenz?«

»Keine Ahnung. Mehrere tausend Jahre auf jeden Fall.«

Perm war mehr als nur halb überzeugt, daß Razamon nicht log. An die Existenz ei­nes Korridors zwischen den Galaxien hatte er schon immer geglaubt, auch an in ihm vorhandene unbekannte Naturgesetze einer höher gelagerten Dimension. Er konnte sich sogar vorstellen, daß der Sternenschwarm in diesem Korridor schneller als normal an sein Ziel gelangte, daher seine heimliche Bewun­derung für Fraends ehrgeizigen Plan. Und nun bestätigte der Zeitreisende seine Be­fürchtung, das Experiment könne auch eine Katastrophe auslösen.

So betrachtet, stand er genau zwischen den beiden Fronten, die von Puertas und Fraend gebildet wurden.

Razamon hatte darauf verzichtet, ihm Ein­zelheiten mitzuteilen, soweit sie die Zukunft der Eshtoner betrafen. Er ließ nur durch-

Clark Darlton

blicken, daß sie als Volk nicht aufhören würden zu existieren. Er verschwieg aller­dings nicht, daß der Großteil der Planeten zerplatzen und einen gewaltigen Trümmer­haufen bilden würde, der den Dimensions­korridor gewissermaßen verstopfte.

»Und eine räumliche Veränderung findet nicht statt?« wunderte sich Perm. »Fraend behauptet doch, die Geschwindigkeit …«

»Er irrt sich, Perm! Die Reste eures Ster­nenschwarms ziehen mit der gleichen Ge­schwindigkeit dahin wie jetzt auch, so daß die Ortsveränderung, an Lichtjahren gemes­sen, kaum ins Gewicht fällt. Fraends Experi­ment würde also in jedem Fall sinnlos, selbst wenn der Schwarm nicht gesprengt würde.«

Es war Razamon klar, warum das so war. Selbst Pthor benötigte seinen Antrieb, um im Korridor zwischen den Dimensionen die gewünschte Höchstgeschwindigkeit zu errei­chen. Der Sternenschwarm der Eshtoner hin­gegen besaß nur seine natürliche Eigenge­schwindigkeit, die nicht erhöht werden konnte.

»Ich glaube«, sagte Perm langsam, »daß ich nun meinen Standpunkt gefunden habe. Fraend habe recht, wenn er die Existenz der Korridore postuliert. Puertas hat recht, wenn er das geplante Experiment ablehnt. Der Kompromiß wäre demnach: Beide Seiten er­kennen Fraends Theorie an und verzichten zugleich auf sein Experiment.«

»Das wäre der einzige Ausweg«, gab Razamon erleichtert zu. »Wird Puertas auf deinen Rat hören?«

»Ich weiß es nicht, aber ich werde ihm gegenüber meinen Standpunkt vertreten. Doch nun muß ich gehen, und du wirst mü­de sein. Morgen ist ein anstrengender Tag.«

Nachdem Perm gegangen war, lag Raza­mon noch lange wach auf seinem Bett. Das Gespräch mit Perm war ermutigend, wenn er auch am Erfolg des jungen Wissenschaftlers zweifelte.

*

Taeker holte ihn wie gewöhnlich ab und

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schwieg sich auf der kurzen Fahrt aus. Von Perms Besuch schien er nichts zu ahnen.

Ein Sprecher der Regierung, von der Raz­amon bisher so gut wie nichts bemerkt hatte, leitete die Diskussion ein und überließ das Feld dann den Wissenschaftlern.

Noch einmal wiederholte Fraend seine Thesen und gab dann offen die bisher teil­weise geheim gehaltene Errichtung der sola­ren Zapfstellen auf einigen unbewohnten Welten zu. Er lud Puertas und eine Regie­rungsdelegation zu einer Besichtigungstour ein und schloß mit der Feststellung, daß nun alles zur Durchführung seines Planes bereit sei.

Puertas wies noch einmal auf die Gefah­ren eines solchen Experiments hin, ohne sich dabei auf Razamon und seine phantasti­schen Behauptungen zu berufen. Er sprach sachlich und überzeugend und wartete mit Argumenten auf, die auch von Fraend nicht zu widerlegen waren. Razamon schaltete sich nicht in die dann entstehende Debatte ein, obwohl er dazu aufgefordert wurde. Es wäre auch überflüssig gewesen, denn Perm vertrat seinen eigenen Standpunkt so gut, daß er es selbst kaum besser hätte machen können.

Sein beharrliches Schweigen löste Ver­wunderung aus; bei Fraend und Puertas, die ihn beide auf ihrer Seite glaubten, sogar of­fensichtliche Enttäuschung. Lediglich Perm schien zufrieden zu sein.

Über eine raffiniert aufgebaute Gegenan­lage wurde am Nachmittag die Bevölkerung von Buirkaeten eingeschaltet. In jeder der Städte des Planeten gab es eine Sendezentra­le, die nun ihrerseits die Zuschauer zu Wort kommen ließ. Fraend und Puertas wurden so direkt mit den Eshtonern konfrontiert und mußten deren Fragen beantworten.

Nun wurde es hitzig und leidenschaftlich. Es zeigte sich nur zu deutlich, wie unter­schiedlich die Meinungen der Bevölkerung waren, wenn sich auch allmählich die beiden Hauptgruppen herauszubilden begannen.

Zu seinem Entsetzen mußte Razamon feststellen, daß die Mehrzahl der Eshtoner

Fraend zustimmten und für das geplante Ex­periment waren. Schuld daran waren wohl das unbefriedigende Dasein als sogenannte Dimensionszwitter und die Aussicht, mit der Zeit die 4-D-Orientierung ganz zu verlieren.

Tief in seinem Innern spürte Razamon das allmähliche Erwachen seiner Urinstinkte als Berserker, aber noch war er in der Lage, den aufsteigenden Wutanfall zu bändigen. Aber wie lange noch? Er begann zu ahnen, daß er die Katastrophe nicht verhindern konnte.

Die Fronten wurden immer klarer. Puertas mußte gegen Ende der Veranstaltung erken­nen, daß er geschlagen worden war.

Die endgültige Entscheidung der Regie­rung sollte allerdings erst nach der beabsich­tigten Besichtigungstour zu den Zapfstellen gefällt werden.

*

»Ich habe meine Meinung geändert«, sag­te Perm, der am nächsten Vormittag überra­schend in Razamons Quartier erschien. »Fraends Argumente und die Reaktion der Öffentlichkeit haben mich überzeugt. Ich muß mich voll und ganz für die Durchfüh­rung des Experiments einsetzen.«

Diesmal konnte Razamon seinen Wutaus­bruch nur noch mühsam unter Kontrolle hal­ten. Seine Enttäuschung war zu groß.

»Du bist ebenso wahnsinnig wie Fraend«, fauchte er den Wissenschaftler an. »Hast du vergessen, was ich dir über eure Zukunft er­zählte?«

»Wenn es die Zeitreise gibt, dann kann es auch mehrere Möglichkeiten der Zukunft geben – beide Theorien sind gleich phanta­stisch.«

Razamon setzte sich wieder und betrach­tete ihn nachdenklich.

Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Natürlich konnte es mehrere Existenzebe­

nen nebeneinander geben, ohne daß sie sich überschnitten. Diese jetzt bestehende konnte sich nach dem Experiment erheblich von je­ner unterscheiden, die er in der Zukunft ken­nengelernt hatte. Es mußte demnach über­

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haupt nicht zu der Katastrophe kommen. Es mußte nicht, aber es konnte!

»Vielleicht hast du recht, Perm, aber es bleibt trotzdem nur eine Vermutung und dar­um auch gefährlich. Wann soll übrigens die Besichtigung der Zapfstellen und Energiean­lagen stattfinden?«

»Bereits morgen. Ich werde daran teilneh­men. An der Seite Fraends übrigens.«

Er verabschiedete sich ziemlich kühl von Razamon, der sich von seinen eigenen Zwei­feln in die Enge getrieben sah. Er spürte, wie ihm das Schicksal der Eshtoner gleichgültig zu werden begann und er nur noch an sein eigenes dachte. Was immer auch geschah, er wollte zurück in die Zukunft, in »seiner« Gegenwart. Aber wie sollte er das bewerk­stelligen? Er besaß nicht den geringsten Ein­fluß auf die Aktivitäten des Zeitklumpens.

Er betastete sein linkes Bein und fühlte an keiner Stelle den sonst üblichen Schmerz. Es war, als hätte er den Zeitklumpen für immer verloren.

Früher hätte ihn das beruhigt, heute ge­schah das Gegenteil.

Er warf sich auf sein Bett und schloß die Augen.

Zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt auf Buirkaeten wurde er seiner Hoffnungslo­sigkeit nicht mehr Herr.

*

Da er an diesem Tag keinen Besuch mehr erhielt und er eine ruhige Nacht verbrachte, fühlte er sich wesentlich besser, als am an­deren Tag das Schild gegen Mittag aufleuch­tete und den Namen »Toras« auswies.

Neugierig öffnete er. Der Eshtoner war mittleren Alters und

stellte sich als Regierungsvertreter vor. Dann teilte er mit:

»Die Teilnehmer des Inspektionsflugs zu Fraends Anlagen werden nicht vor übermor­gen zurückerwartet. Alle Eshtoner, die du bisher kennenlerntest, nehmen daran teil. Ich habe die Aufgabe, in der Zwischenzeit für dein Wohl zu sorgen und dich auf eventuel-

Clark Darlton

len Ausflügen zu begleiten.« »Eine Art Überwachung?« erkundigte

sich Razamon. Der Eshtoner wehrte ab: »Natürlich nicht, nur eine Hilfe. Du

kannst dich auch ohne meine Begleitung frei in der Stadt bewegen.«

»Schon gut, es war nicht so gemeint. Al­lein würde ich mich kaum zurechtfinden. Wie geht es übrigens Kommandant Zuhaer­tes? Nimmt er ebenfalls an dem Inspektions­flug teil?«

»Nein, er ist bei seinem Schiff, das über­holt wird. Möchtest du ihn aufsuchen?«

»Er hat mir schließlich das Leben geret­tet.«

»Gut, fahren wir zum Raumhafen.« Der erste Teil der Fahrt mit dem offenen

Wagen war unterirdisch, dann aber führte die Straße in weitem Bogen über die Dächer der hier flacheren Häuser bis zum Stadtrand, wo auch der Raumhafen lag.

Zuhaertes zeigte sich erfreut über den un­erwarteten Besuch des Mannes, den er im Weltraum aufgefischt hatte. Den Vertreter der Regierung begrüßte er hingegen mit Zu­rückhaltung.

»Die Reparaturen werden noch einige Ta­ge in Anspruch nehmen, dann nehme ich den Patrouillendienst wieder auf. Vielleicht finde ich noch ein paar Zeitreisende da drau­ßen.«

»Recht unwahrscheinlich, aber es wäre zu wünschen«, sagte Razamon und ging auf den scherzhaften Unterhaltungston ein. Er hatte jetzt auch keine Lust, Probleme zu wälzen. »Vielleicht könnte ich dich auf ei­nem solchen Flug begleiten, wenn ich die Erlaubnis dazu erhalte.«

»Damit wäre ich sofort einverstanden, Razamon. Vielleicht kann Toras das in die Wege leiten …?«

»Die Genehmigung ist schon jetzt so gut wie sicher«, meinte dieser zuversichtlich.

Es wurde eine angenehme Unterhaltung zwischen den drei Männern, und als der Wa­gen Toras und Razamon in die Stadt zurück­brachte, bestand zwischen den beiden sogar

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so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Sie verbrachten auch den folgenden Tag

zusammen und unternahmen kurze Ausflüge in die Stadt und zu den Parks. Endlich er­hielt Razamon die Gelegenheit, Kontakt zur Bevölkerung aufzunehmen und mit dem »Mann von der Straße« zu sprechen. Er mußte feststellen, daß fast alle von der Aus­sicht, in eine andere Dimension hinüberzu­wechseln, hellauf begeistert waren.

Nur noch etwa 20 Prozent aller von ihm Befragten teilten die Auffassung Puertas'.

»Das Ergebnis scheint dich zu be­drücken«, stellte Toras fest, als sie auf einer Bank saßen, die am Rand eines kleinen Parks stand. »Morgen wird die Regierung ihre Entscheidung fällen. Ich bin sicher, daß sie Fraend die Genehmigung erteilen wird, das Experiment durchzuführen.«

»So schnell? Ist das nicht übereilt?« »Fraends Absichten und Pläne sind schon

lange bekannt, wir haben viel Zeit gehabt, sie zu diskutieren und uns Meinungen zu bilden. Warum also noch länger warten?«

»Ich weiß nicht, ob du meine Geschichte kennst …«

»In allen Einzelheiten, und ich finde sie sehr amüsant.«

»Ist das alles?« »Es ist sehr viel, Razamon. Wer hat schon

genug Phantasie, so geistvolle Zukunftsvi­sionen zu erfinden?«

Abermals unterdrückte Razamon den Wutanfall. Ruhig sagte er:

»Es ist keine Vision, mein Freund. Es ist bittere Realität. Warum glaubt mir das nie­mand?«

»Weil es niemand glauben will!« sagte Toras.

*

Während sie etwas später zu ihrem Wa­gen zurückkehrten, der auf einem der zahl­reichen Parkplätze auf sie wartete, geschah etwas, das Razamons Stillhalteabsichten to­tal über den Haufen warf.

Auf dem Dach eines flachen Teilgebäudes

leuchtete ein grelles Licht auf, gleichzeitig ertönte ein schriller Sirenenton, der nur we­nige Sekunden dauerte. Kurz darauf kam ein mit Eshtonern besetzter offener Wagen aus einem der in die Tiefe führenden Tunnel ge­rast und hielt vor dem Haus. Die uniformier­ten Männer, alle mit Strahlern bewaffnet, sprangen auf die Straße und drangen in das Haus ein.

»Was ist geschehen?« erkundigte sich Razamon verwirrt. »Das sieht ja fast nach einem Überfall aus. Gibt es so etwas auf Buirkaeten?«

»Eine Hilfsaktion ist es«, erklärte Toras. »Es müssen wieder Parasiten aufgetaucht sein.«

»Parasiten?« »Sie lebten schon immer auf unserer

Welt, aber auch auf anderen. Dorthin ge­langten sie, als sie noch kleiner waren. Sie müssen mutiert sein wie wir, denn sie wur­den schnell größer und damit auch gefährli­cher. Alle Versuche, sie auszurotten, schlu­gen bisher fehl.«

»Ihr setzt die Polizei zu ihrer Bekämpfung ein?«

»Das ist keine Polizei, sondern die Schäd­lingsvernichtung. Die Parasiten kommen oft heimlich in die Stadt und stehlen Lebensmit­telvorräte. Sie greifen aber auch Eshtoner an und töten sie mit ihren scharfen Klauen.«

»Dann müssen sie aber ziemlich groß sein.«

»Fast so groß wie wir«, sagte Toras und deutete hinüber zu dem Haus auf der ande­ren Straßenseite. »Aha, da bringen sie gera­de einen, den sie erwischten. Die Kadaver werden so schnell wie möglich vernichtet.«

Nur undeutlich erkannte Razamon den unförmigen Körper, den zwei Eshtoner aus dem Haus schleppten und am Straßenrand niederlegten. Kurz darauf wurde ein zweiter gebracht, dann ein dritter. Die Jagd im Haus schien erfolgreich gewesen zu sein.

Plötzlich stutzte Razamon. Unwillkürlich ergriff er Toras' Arm.

»Diese Kadaver drüben – das sind die Pa­rasiten?«

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»Ja, natürlich! Das sieht man doch.« »Ich möchte sie mir ansehen.« »Ein Anblick, den ich dir ersparen möch­

te. Aber wenn du darauf bestehst …« Sie überquerten die Straße, und dann

stand Razamon vor den Kadavern der Para­siten.

Sein Gesicht verwandelte sich in eine stei­nerne Maske.

*

Die von dem Vernichtungskommando ge­töteten Kreaturen waren fast anderthalb Me­ter lang und erinnerten auf den ersten Blick an übergroße Spinnen oder auch Ameisen. Der dicke prallgefüllte Hautkörper war grau und mit schwarzen Punkten bedeckt. An ihm waren vier dünne Beine zu erkennen. Nach der Einschnürung, aus dem zwei Arme wuchsen, begann der Oberkörper, der den Kopf mit einschloß. Die acht aufgerissenen Augen starrten ins Nichts.

Die Parasiten waren Krolocs! »Du scheinst dich ja nicht an ihnen sattse­

hen zu können«, wunderte sich Toras und mahnte zum Aufbruch: »Komm, die Jagd ist vorüber. Die Kadaver werden gleich abge­holt. Gleich drei auf einmal! Meist gehen sie allein auf Raubzug, aber es hat auch schon Überfälle durch ganze Gruppen von ihnen gegeben. Zum Glück sind sie nicht intelli­gent genug, Waffen zu entwickeln.«

Razamon mußte an den Strahler denken, der in seinem Zimmer lag. Die Krolocs hat­ten ihn aus einem Modell der eshtonischen Waffen entwickelt.

»Ja, gehen wir, Toras. Ich glaube, ich muß dringend mit dir reden.«

»Wegen der Parasiten?« »Ja, wegen der Parasiten. Du hattest recht,

als du sie eine Gefahr nanntest, aber du weißt noch nicht, wie recht du hattest.«

»Das verstehe ich nicht«, murmelte Toras und öffnete die Wagentür. »Fahren wir. Au­ßerdem habe ich Durst und Hunger.«

»Ich verfüge über genügend Vorräte«, be­ruhigte ihn Razamon und deutete damit zu-

Clark Darlton

gleich an, daß er in seine Wohnung zurück wollte.

Als sich der Wagen in Bewegung setzte, hielt vor dem Haus ein geschlossener Laster. Metallene Greifarme beförderten die Kada­ver der drei Krolocs in sein Inneres.

Dann fuhr er davon.

*

»Also, was ist los?« fragte Toras, als er sich gesättigt zurücklehnte und das Glas zur Hand nahm. »Du erschienst dieser Bestien wegen schrecklich aufgeregt zu sein. Keine Sorge, eines Tages haben wir sie alle ausge­rottet, zumindest hier auf Buirkaeten.«

»Eben nicht!« Razamon überlegte, wo er anfangen sollte, um überzeugend zu wirken. Die Zeitgeschichte nahm ihm ja auch Toras nicht ab. »Ich will dir keine phantastische Zukunftsvision vorgaukeln, Toras. Du mußt mir endlich glauben, daß ich aus der Zukunft zu euch kam und darum diese Zukunft auch kenne. Sie ist furchtbar. Furchtbar schon deshalb, weil sich die Parasiten an euch rä­chen werden. Sie werden euch versklaven, wenigstens den größten Teil von euch. Sie werden eure Herren sein!«

Toras setzte sein Glas hart auf den Tisch zurück.

»Razamon, du bist wahnsinnig! Bisher hat mich deine Geschichte von der Zeitreise amüsiert, aber nun beginnt sie mich zu lang­weilen. Wie könnten diese primitiven Krea­turen jemals einen Eshtoner versklaven? Wenn es wirklich zu dieser Katastrophe käme, hätten wir da nicht die größeren Über­lebenschancen? Das allein verrät mir, daß du dir widersprichst.«

»Nur scheinbar, glaube mir! Ich selbst war ein Gefangener dieser Parasiten, die sich in der Zukunft Krolocs nennen. Sie be­herrschen alles, was von eurem Sternen­schwarm übrigbleibt – oder doch fast alles. Die restlichen überlebenden Eshtoner wer­den sich in ein noch halbwegs intaktes Ge­biet zurückziehen, das sie Lichtung nennen. Dort existieren sie in der ewigen Furcht vor

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einer Invasion der Krolocs. Das ist die Wahrheit, Toras! Die furchtbare Wahrheit!«

Toras' Empörung war abgeflaut. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren. Selbst wenn ihm Razamon eine dicke Lüge auftischte, so war allein die Vorstellung des­sen, was er erzählte, grauenhaft genug.

Und wenn etwas Wahres an seiner Ge­schichte war …?

»Kannst du mir Einzelheiten mitteilen? Ich meine Einzelheiten, aus denen ich zu schließen vermag, daß es stimmt, was du sagst. Es gibt Dinge auf unserer Welt, die du nicht kennen kannst und die es vielleicht auch nach der von dir vorausgesagten Kata­strophe noch gibt. Wenn du sie in der Zu­kunft gesehen hast, nicht jetzt und hier, dann beginne ich dir zu glauben.«

Zum ersten Mal sah Razamon einen schwachen Hoffnungsschimmer. Toras hatte recht: Es gab eine Möglichkeit, die Wahrheit zu beweisen.

»Der Energiestrahler, den ich mitbrachte, wie Zuhaertes jederzeit bezeugen kann! Er stammt von den Krolocs und ist nichts ande­res als eine technische Weiterentwicklung der heute bei euch gebräuchlichen Strahl­waffen. Er ist eine Waffe aus der Zukunft, das können eure Experten leicht nachprüfen. Was sagst du nun?«

»Der Strahler?« Razamon stand auf und holte ihn aus dem

Schrank. Er legte ihn auf den Tisch. »Sieh ihn dir genau an, Toras!« Der Eshtoner nahm den Strahler vorsich­

tig in die Hand und betrachtete ihn aufmerk­sam. Schließlich legte er ihn auf den Tisch zurück.

»Ich verstehe nicht viel davon, Razamon, aber ich muß zugeben, daß er den Waffen der Polizei und der Parasitenbekämpfer sehr ähnlich sieht. Du hast ihn mitgebracht?«

»Eine Weiterentwicklung eurer jetzigen Waffen«, wiederholte Razamon eindring­lich. »Es kann sie heute noch nicht geben, denn ich brachte sie mit aus der Zukunft! Und die Krolocs besitzen sie dann.«

Toras war sehe nachdenklich geworden.

»Ich fürchte, du beginnst mich zu über­zeugen. Morgen erwarten wir die Rückkehr der Inspektionsgruppe, dann gibt es erneut eine Debatte. Ihr Ausgang entscheidet über das Experiment. Ich glaube, ich werde mich zu Wort melden.«

»Du mußt es, Toras! Kannst du dafür sor­gen, daß ich an der Regierungsdebatte teil­nehmen werde?«

»Das wird nicht möglich sein, denn es ist keine öffentliche Sitzung. Nur die Entschei­dung wird bekannt gegeben, nicht der Ver­lauf.«

»Und sie wäre unwiderruflich?« »Allerdings.« Razamon seufzte. »Dann liegt alles bei dir. Ich bereue es,

nicht vorher den Mund, aufgemacht zu ha­ben, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber ich wollte nicht Schicksal spielen, außerdem befürchtete ich ein Zeitparadoxon. Der An­blick der toten Krolocs hat mich wachgerüt­telt.«

»Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, das verspreche ich dir. Ich werde ver­anlassen, daß deine Waffe untersucht wird. Inzwischen muß ich meine Vorbereitungen treffen und versuchen, ein paar Freunde von mir zu überzeugen. Allein habe ich keine Chance.«

»Sehen wir uns morgen?« »Nur wenn ich Zeit finde. Wenn nicht,

bitte ich Zuhaertes, daß er dir Gesellschaft leistet.«

Razamon brachte Toras zur Tür. »Danke, mein Freund. Bis bald.«

Draußen auf dem Korridor drehte Toras sich noch einmal um.

»Achte auf die Waffe, Razamon. Wenn sie abhanden kommt, hast du keine Beweise mehr.«

Razamon lächelte. »Wer sollte sie mir schon stehlen?« Toras sagte: »Einer von Fraends Freunden, wenn sie

von ihrer Bedeutung erfahren, und das ist spätestens morgen der Fall.«

»Ich werde aufpassen«, versprach Raza­

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mon.

5.

Razamon verbrachte den folgenden Tag mit Zuhaertes, der ihm nach einigem Zögern seine volle Unterstützung bei der geplanten Aktion zusicherte, obwohl er die Waffe ein­fach für eine Parallelentwicklung hielt.

Immerhin hatte er eine Idee: »Ich verstehe zu wenig davon, ebenso wie

Toras. Unsere Experten hingegen könnten besser entscheiden, ob es sich in der Tat um eine echte Weiterentwicklung handelt. Wir müssen dafür sorgen, daß sie den Strahler unvoreingenommen studieren und beurtei­len. Wer weiß, daß du diese Waffe besitzt?«

»Sicher nur wenige«, vermutete Raza­mon.

»Das ist sehr gut. Dann wird einer von uns – Toras oder ich – die Waffe den Spe­zialisten geben und behaupten, sie stamme aus einem unserer waffentechnischen La­bors. Mal sehen, was sie dann sagen.«

»Ich verstehe. Hoffentlich fallen sie dar­auf herein.«

»Wir erhalten lediglich ein objektives Ur­teil, und mehr wollen wir nicht.«

Als es dämmerte, fuhr der Kommandant zurück zum Raumhafen. Zur gleichen Zeit landeten die Schiffe der Inspektionsgruppe. Die Leute um Puertas machten einen nieder­geschlagenen Eindruck. Es schien so, als ha­be Fraend einen durchschlagenden Erfolg bei den Politikern erzielt.

Perm, der Razamon an diesem Abend ganz offiziell aufsuchte, bestätigte das.

»Sie waren so beeindruckt, daß sie fast das Reden vergessen hätten – allerhand für Politiker. Die Entscheidung wird morgen ge­fällt, und sie steht schon jetzt fest: geneh­migt!«

Razamon, der die Landung der Schiffe auf dem Bildschirm mitverfolgt hatte, sah seine Befürchtungen bestätigt.

»Wird es möglich sein, daß man mir noch einmal das Wort erteilt, bevor diese Ent­scheidung fällt? Ich habe noch einige wichti-

Clark Darlton

ge Dinge zu sagen.« »Gegen das Projekt?« erkundigte sich

Perm mißtrauisch. »Für die Realität!« Perm lehnte sich zurück. »Warum sprichst du nicht mit Fraend? Er

ist der große Mann jetzt. Er würde es sicher­lich schaffen, die Genehmigung zu erhalten, damit du noch einmal deine Zeitreisege­schichte erzählen kannst.«

Razamon benötigte seine ganze Willens­kraft, den aufsteigenden Wutausbruch zu­rückzuhalten. Wenn er jetzt die Beherr­schung verlor, würde er Perm vielleicht tö­ten. Damit wäre alles verloren gewesen. Aber er fühlte, daß der Drang, sich gehenzu­lassen, immer stärker wurde, obwohl er ihn in seiner eigentlichen Gegenwart längst un­ter Kontrolle gehabt hatte.

»Warum nicht?« brachte er schließlich hervor.

Ein wenig halbherzig versprach Perm, sich für eine Redeerlaubnis vor den Wissen­schaftlern einzusetzen, und verabschiedete sich dann.

Razamon blieb mit einem Gefühl der Un­gewißheit zurück, wenn auch der Gedanke an den Trick mit der Waffe eine schwache Hoffnung darstellte. Aber die Zeit drängte.

Morgen sollte schon die endgültige Ent­scheidung fallen.

*

Zuhaertes erschien gegen Mittag. »Die Sitzung der Regierung hat bereits

begonnen, niemand kann den Saal betreten oder verlassen. Toras auch nicht. Er teilte mir aber noch heute früh mit, daß es ihm ge­lungen sei, einige der Ratsmitglieder auf sei­ne Seite zu bringen.«

»Was ist mit der Energiewaffe?« »Toras hat mich informiert und die not­

wendigen Schritte eingeleitet. Ich werde das Ding in seinem Auftrag in das Waffenlabor der Polizei bringen, um es dort begutachten zu lassen. Offiziell geschieht das im Auftrag des Amtes für technische Erfindungen. Die

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Experten müssen also annehmen, es handle sich um das Modell einer ganz normalen Weiterentwicklung unserer Waffeningenieu­re. Sie brauchen das nur zu bestätigen, dann hast du deinen Beweis. Denn ein solcher Strahler existiert in der Praxis noch nicht.«

»Perm wollte mir eine Redeerlaubnis be­sorgen«, informierte ihn Razamon. »Vor den Wissenschaftlern.«

»Vergiß es vorerst. Ich glaube nicht, daß die Regierung schon heute ihre Entschei­dung fällt. Es gibt dank Toras zuviel Gegen­stimmen. Wir haben also Zeit.«

Razamon gab sich zufrieden. Er nahm die Waffe aus dem Schrank und überreichte sie Zuhaertes mit der Bitte, sie nicht aus den Augen zu lassen.

»Keine Sorge, ich bin berechtigt, der Ex­pertenuntersuchung beizuwohnen. Außer­dem kenne ich den technischen Leiter des Labors gut. Es kann also nichts passieren. Außerdem weiß niemand, woher die Waffe wirklich stammt. Noch nicht!«

Razamon drückte ihm zum Abschied die Hand und blieb abermals mit seinen Gedan­ken allein. Den Raumanzug in Griffnähe, lag er auf dem Bett und versuchte, sich zum hundertsten Mal vorzustellen, was gesche­hen würde, wenn das Experiment Fraends nicht durchgeführt wurde.

*

Mit einem offiziellen Schreiben des Am­tes für technische Erfindungen erschien Zu­haertes im Waffenlabor der Polizei, dem ei­ne Art Patentamt angeschlossen war. Er kannte den Leitenden Ingenieur recht gut, der nur einen kurzen Blick auf das amtliche Dokument warf und fragte:

»Was haben wir denn diesmal, Komman­dant? Wieder eine von den Kanonen? Eine Verbesserung?«

Zuhaertes setzte sich in den angebotenen Sessel. Er wickelte Razamons Strahler aus dem dicken Packpapier und legte ihn auf den Tisch.

»Einen Handstrahler, mehr nicht. Einer

unserer Erfinder – er möchte seinen Namen noch nicht genannt wissen – hat sich mit der Weiterentwicklung unserer herkömmlichen Energiewaffen beschäftigt. Angeblich sind ihm dabei einige Neuerungen eingefallen. Toras von der Regierung hat mich beauf­tragt, das erste Modell dieser Art von Exper­ten prüfen zu lassen. Es geht in erster Linie darum festzustellen, ob es sich um eine ab­solut unabhängige Neuentwicklung handelt, die mit den unseren nichts zu tun hat, oder lediglich um eine Weiterentwicklung des Systems, das wir schon lange benutzen.«

»Aha!« Der Leitende Ingenieur begriff sofort, worum es ging. »Eine absolute Neu­entwicklung wäre natürlich interessanter, wenn das Ding funktioniert. Na, das werden wir gleich haben. Gehen wir zum Schieß­stand, ich werde es gleich selbst ausprobie­ren.«

Der Schießstand befand sich tief unter der Oberfläche und war nach allen Seiten gegen Energiebündelabpraller geschützt. Die Ziele bestanden aus Metallplatten unterschiedli­cher Größe, mit deren Hilfe sich die Wir­kungskraft der zu erprobenden Waffen leicht feststellen ließ. Der Schütze selbst stand hin­ter einer transparenten Schutzscheibe. Nur die Hand, mit einem Lederüberzug verse­hen, war einem Zufallstreffer ausgesetzt.

Nach einer flüchtigen Untersuchung der Waffe meinte der Ingenieur:

»Soweit ich das beurteilen kann, ist das Ding eine Weiterentwicklung, denn die Si­cherung ist ähnlich wie bisher. Der Energie­speicher scheint größer zu sein, aber der Kri­stallverstärker zeigt kaum einen Unter­schied. Na, mal sehen …«

Er nahm sorgfältig Ziel und drückte ab. Der feingebündelte Energiestrahl traf eine

der Platten genau in der Mitte und durch­schlug sie mühelos, ein fingerstarkes Loch hinterlassend. Ohne mit der Wimper zu zucken, schoß der Ingenieur noch einmal. Diesmal wählte er die dickste Platte im lin­ken Eck. Sie bildete kein nennenswertes Hindernis. Das Bündel ging glatt durch.

»Unglaubliche Wirkung, wenn man die

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Handlichkeit der Waffe in Betracht zieht«, gab der Ingenieur erstaunt zu. »Das hätte ich nicht erwartet. Der Erfinder ist ein Genie, auch wenn er nur das bereits Vorhandene le­diglich verbessert hat.«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Zuhaertes. »Bekomme ich nun die Expertise?«

»Gleich. Gehen wir ins Labor.« In dem waffentechnischen Labor erregte

die Waffe einiges Aufsehen, als man von ih­rer Wirkung erfuhr. Die Spezialisten mach­ten sich sofort über sie her, und bereits nach wenigen Minuten stand ihr Urteil fest:

»Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sich um eine Verbesserung des beste­henden Systems handelt, wobei allerdings einige logische Entwicklungsstufen über­sprungen wurden. Wir sollten den Mann, der dieses Modell konstruiert hat, mal an unsere Energiekanonen lassen.«

»Ich brauche ein offizielles Dokument des Gutachtens«, drängte Zuhaertes.

Er bekam es, verabschiedete sich und kehrte hoch befriedigt ins Hotel zurück.

Er wußte, daß eine große Hürde genom­men war.

*

Razamon war der gleichen Meinung. »Fraend wird sich wundern, Zuhaertes,

denn du kannst bezeugen, daß ich die Waffe bei mir hatte, als du mich auffischtest. Das muß auch die größten Zweifler überzeugen.«

»Um ehrlich zu sein«, gab der Komman­dant zu, »ich habe nie an deine Zeitreise ge­glaubt, aber nun sieht die Sache plötzlich ganz anders aus. Hoffentlich gelingt es To-ras und seinen Freunden, die Genehmigung der Regierung hinauszuschieben. Ein einmal gefaßter Beschluß kann nur durch sehr unge­wöhnliche Umstände rückgängig gemacht werden.«

»Die sind ja wohl vorhanden.« Ungeduldig blickten sie immer wieder

hinüber zum Bildschirm, der ein Photo des Sitzungssaals zeigte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt mußte die Sitzung unterbrochen

Clark Darlton

oder das Urteil bekanntgegeben werden. »In wenigen Minuten wird sich alles ent­

scheiden«, sagte Zuhaertes. Dann erschien ein Regierungssprecher im

Bild. Mit nüchternen Worten gab er bekannt, daß die entscheidende Abstimmung erst morgen vorgenommen würde, um den Rats­mitgliedern Gelegenheit zu geben, ihre Ein­stellung zu überprüfen.

Bereits eine halbe Stunde später leuchtete Toras' Name auf dem Türschild auf. Er strahlte über das ganze Gesicht.

»Fraends Plan hat die absolute Mehrheit verloren.« Er setzte sich, nahm einen Schluck des weinähnlichen Getränks, das Razamon ihm anbot und fragte: »Was ist mit der Waffe?«

Zuhaertes zeigte ihm die Expertise. »Ganz in unserem Sinn. Die Experten be­

scheinigen eine logische Weiterentwicklung des herkömmlichen Systems. Damit ist er­wiesen, daß die Parasiten nach der Katastro­phe genügend Intelligenz entwickeln, um solche Waffen zu bauen. Leider haben wir aber nun auch den Beweis dafür, daß sie uns beherrschen werden.«

»Wenn Fraends Experiment stattfindet!« betonte Razamon.

Toras nickte ernst. »Davon bin ich nun auch überzeugt – und

meine Freunde auch. Mit der Beurteilung der Waffenexperten und deiner Zeitge­schichte werden wir morgen den großen Schlag führen, und dann hat Puertas gewon­nen. Noch heute abend werde ich die Verta­gung der Sitzung auf übermorgen beantra­gen und eine wissenschaftliche Diskussion für morgen vorschlagen. Mit dem Hinweis auf eine bevorstehende Sensation sollte das keine Schwierigkeiten bereiten.«

Sie unterhielten sich noch ein wenig und ließen dann Razamon mit der Gewißheit al­lein, daß am nächsten Tag die positive Ent­scheidung fallen würde.

*

Es wurde keine Diskussion, wie es ge­

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plant war, sondern eine eindrucksvolle Rede Razamons, in der er kein Blatt mehr vor den Mund nahm. Eindringlich schilderte er das furchtbare Schicksal der überlebenden Es­htoner, die von den Parasiten – den Krolocs – beherrscht wurden. Als Beweis legte er das Gutachten der Waffenexperten vor. Zu­haertes beschwor, daß er Razamon mit die­ser Waffe zusammen im Weltraum aufge­funden hatte.

Fraend und seine Gruppe waren von der neuen Entwicklung so überrascht, daß kein Gegenargument laut wurde. Einige Vertreter der Regierung steckten die Köpfe zusammen und warfen dann Puertas wohlwollende Blicke zu. Puertas selbst verzichtete eben­falls auf eine Stellungnahme, erhob sich je­doch und ging zu Razamon, um ihm ostenta­tiv die Hand zu drücken. Er sagte nur:

»Danke! Ich glaube, Sie haben soeben un­ser Volk vor der Vernichtung bewahrt.«

Dann erst wurden die Gegenanlagen ein­geschaltet, um der Bevölkerung die Gele­genheit zu geben, eine Meinung zu äußern.

Nur noch zwanzig Prozent waren für Fraend.

Damit war die Entscheidung endgültig ge­fallen, denn die Regierung würde niemals gegen die öffentliche Meinung stimmen.

Toras brachte Razamon in sein Quartier. »Nun kann eigentlich nichts mehr passie­

ren«, sagte er zuversichtlich. »Aber nun bist du zu einer wirklichen Sensation mit wissen­schaftlichem Hintergrund geworden. Die Es­htoner wollen mehr über die Zukunft wis­sen. Es wird notwendig sein, daß du Vorträ­ge hältst und von dem berichtest, was hätte passieren können. Würdest du dazu bereit sein?«

Razamon nickte. »Natürlich, warum nicht. Aber auf der an­

deren Seite beginne ich mir Sorgen um mich selbst zu machen. Was wird aus mir? Werde ich für alle Zeiten bei euch bleiben müssen? In meiner Gegenwart habe ich wichtige Auf­gaben zu erfüllen. Meine Freunde leben in ihr. Ich verzweifle bei dem Gedanken, sie nie mehr wiederzusehen.«

Toras sah an ihm vorbei. »Was sollen wir tun? Was können wir

tun? Dich wieder im Weltraum aussetzen? Das wäre dein sicherer Tod, Razamon.«

»Es muß eine andere Lösung geben.« Tief in seinem Innern ahnte Razamon die­

se andere Lösung, aber sie würde zugleich das Ende der Eshtoner bedeuten, denn diese andere Lösung war Fraends Experiment. Und er selbst hatte dazu beigetragen, dieses Experiment zu verhindern.

Hatte er die Zukunft verändert? Nein, dann würde er überhaupt nicht in

dieser Zeit existieren können. Aber: Das Ex­periment würde nicht stattfinden, und er exi­stierte doch!

In Razamons Kopf wirbelte es wild durcheinander.

Hatte er nun ein Paradoxon hervorgerufen oder nicht?

Nein, natürlich nicht! Er lebte, wenn auch in der Vergangenheit. Aber was war mit Pthor? Der Dimensionsfahrstuhl war im Korridor nicht auf den Stau gestoßen, son­dern durchgerast, direkt in die Schwarze Ga­laxis hinein.

Hatte er das Ende von Atlantis-Pthor be­wirkt?

Nein, auch das war nicht möglich, denn wenn mit Pthor eine andere Entwicklung eingetreten wäre, hätte Razamon nicht hier sein können, denn er wäre niemals in den Korsallophur-Stau geraten oder hätte je von ihm gehört.

Es war ein temporaler Teufelskreis, dem er nicht entrinnen konnte. Wenn er weiter darüber nachdachte, wurde er wahnsinnig.

»Ich sehe keine Lösung«, gab er schließ­lich zu.

»Soweit ich das alles zu verstehen glaube, hast du keinen Einfluß auf die spätere Ent­wicklung, was immer jetzt auch geschehen mag. Ich würde mir an deiner Stelle keine Sorgen machen, früher oder später mußt du in deine Zeit zurückkehren, oder du könntest jetzt nicht hier sein.«

Razamon seufzte: »Wie dem auch sei, wir werden unsere

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bisherige Linie beibehalten. Holst du mich morgen ab?«

»Ja, rechtzeitig. Bringe nur die Expertise mit, die Waffe ist hier in deiner Wohnung besser aufgehoben.«

*

So wirkungsvoll der Videoauftritt Raza­mons auch gewesen sein mochte, sein per­sönliches Erscheinen bei entsprechenden Veranstaltungen hatte noch mehr Einfluß auf die öffentliche Meinung. So blieb es nicht aus, daß er in den folgenden Tagen in Begleitung von Toras mehrere Städte be­suchte und seine Vorträge hielt.

Jetzt ging es nicht mehr so sehr um die Verhinderung von Fraends Experiment als darum, die vielen Fragen aus der Bevölke­rung hinsichtlich der – wie man hoffte – »verhinderten Zukunft« zu beantworten.

Die phantastische Möglichkeit, von den Parasiten beherrscht und versklavt zu wer­den, schürte den Haß auf diese Kreaturen und damit auch den Vernichtungsfeldzug. Razamon begann in seinem Unterbewußt­sein zu begreifen, warum die Krolocs in fer­ner Zukunft so radikal gegen die Eripäer vorgingen.

Es war Rache und Vergeltung für die Be­handlung, die ihnen hier und jetzt, in fern­ster Vergangenheit, zuteil geworden war.

Als er am vierten Tag in sein Quartier zu­rückkehrte und im Schrank nachsah, war die Energiewaffe der Krolocs daraus ver­schwunden.

Jemand hatte sie gestohlen, während er unterwegs war.

*

Die Funktion der Nachrichtengeräte war ihm inzwischen vertraut. Er setzte sich so­fort mit Toras in Verbindung und informier­te ihn. Das Gesicht des Freundes verriet Be­sorgnis, als er sagte:

»Der Diebstahl ist ein Beweis dafür, daß Fraend nicht aufzugeben bereit ist. Ohne die

Clark Darlton

Waffe im Hintergrund ist die Expertise nichts wert. Du wirst sehen, daß man erneut zur Offensive vorgeht und die öffentliche Meinung gegen dich beeinflußt. Wir müssen auf alles gefaßt sein.«

Razamon stellte bei sich ganz nüchtern fest, daß ihn nur Toras' vertrautes Gesicht vor einem Wutausbruch bewahrte. Der inne­re Drang, alles um sich herum zu zerschla­gen, wurde fast unerträglich. Wenn er jetzt den Dieb vor sich hätte, würde er ihn in Stücke reißen.

»Was sollen wir tun?« »Nichts! Wir warten ab, bis der Dieb sich

verrät.« »Aber Fraend steckt dahinter, meinst du

nicht?« »Wer sonst? Ich werde mich mit Puertas

in Verbindung setzen. Außerdem haben wir noch immer Zuhaertes und seinen Freund vom Waffenlabor als Zeugen. Unsere Sache ist noch nicht verloren.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Raza­mon bedrückt.

*

Die Aktivitäten der Gruppe um Fraend wurden schon am anderen Tag spürbar. In einer regelmäßigen wissenschaftlichen Sen­dung, die über ganz Buirkaeten verbreitet wurde, nahm Fraend zum ersten Mal wieder Stellung zur Ablehnung seines Projektes.

Er bezeichnete Razamons Auftreten als einen groß angelegten Schwindel und be­stritt die Existenz der fraglichen Waffe, von der man nur flüchtig eine Nachbildung über Video gesehen habe. Auch die Expertise sei eine Fälschung, behauptete er, und fügte hinzu, daß der Kommandant des Patrouillen­kreuzers PERLAENER den Fremden überall und nirgends aufgegriffen haben könnte. Vielleicht, so fügte er mit süffisantem Lä­cheln hinzu, solle man einmal Puertas in die­ser Hinsicht einige peinliche Fragen stellen.

Razamon saß vor dem Videogerät und ballte wütend die Fäuste. Mühsam be­herrschte er sich, um das Gerät nicht mit ei­

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nem Fußtritt zu zertrümmern. Seine Anfälle verschlimmerten sich. Nicht mehr lange, dann wurde er ihrer nicht mehr Herr.

Toras suchte ihn später auf. Er wirkte ner­vös.

»Ich habe nicht geahnt, daß er zu solchen Mitteln greifen würde. Den Diebstahl traute ich ihm zu, auch ein wenig Propaganda, aber nicht die glatte Lüge. Wenn das heraus­kommt, ist er für immer erledigt.«

»Wie soll man ihm den Diebstahl nach­weisen?«

»Indem der Dieb überführt wird.« »So einfach wird das nicht sein sein.« »Vielleicht doch …« Toras entwickelte seinen Plan. Der Dieb­

stahl der Waffe sollte im nächsten Informati­onsdienst bekanntgegeben werden, wobei aber gleichzeitig betont wurde, daß in Wirk­lichkeit zwei dieser Strahler existierten. Der zweite befinde sich diebstahlsicher im Tre­sor von Puertas' Labor.

»Du meinst …?« »Ganz sicher wird Fraend alles daranset­

zen, auch diese zweite Waffe in seinen Be­sitz zu bringen, denn er kennt ihre Beweis­kraft. Da der Tresor von nun an scharf be­wacht wird, dürfte es nicht schwerfallen, den Dieb zu fassen.«

»Und wenn wir den Dieb haben, haben wir auch die Waffe wieder.« Toras wirkte wieder entspannt.

»So ist es, mein Freund. Wir werden Fraend mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Morgen ist endgültig der Tag seiner Nieder­lage.«

Die Nachricht von einer zweiten Waffe rief am Abend einige Verwirrung hervor, besonders bei Fraend und seiner Gruppe. In fieberhafter Eile wurde ein Plan ausgearbei­tet, der noch in der gleichen Nacht verwirk­licht werden sollte.

*

Toras selbst überwachte die Aktion. Rein äußerlich wirkte das Studierzentrum

Puertas verlassen wie immer nachts. Auch

im eigentlichen Labor schien nichts verän­dert zu sein. Der Tresor mit den Untersu­chungsergebnissen Forschungsresultaten stand an seinem Platz. Er ließ sich nur durch ein Kodewort öffnen. Jeder Mitarbeiter Pu­ertas' kannte dieses Kodewort.

Eine Tatsache, die Toras schon jetzt ver­muten ließ, wer der Dieb sein würde heute nacht.

Die ausgesuchten Polizeibeamten warte­ten in ihren Verstecken, von den Wissen­schaftlern war niemand anwesend. Bei ent­sprechenden Nachforschungen würde Fraend feststellen müssen, daß sie alle zu Hause waren.

Einige Stunden vor Sonnenaufgang leuch­tete die winzige Alarmlampe auf. Jemand hatte den abgesperrten Gebäudeteil betreten. Und zwar ordnungsgemäß mit dem richtigen Kodewort, das zum Öffnen der Türen not­wendig war.

Toras' Finger umklammerte die Lähmwaf­fe, während seine Augen versuchten, das Dunkel zu durchdringen.

Weisungsgemäß ließen die überall statio­nierten Posten den Einbrecher passieren, wechselten dann aber ihre Stellung derart, daß der Fluchtweg abgeschnitten wurde.

Da – ein Schatten! Er huschte lautlos an fast unsichtbaren

Hindernissen vorbei, so als kenne er sich hier bestens aus. Kein Zweifel: Es handelte sich um einen Mitarbeiter Puertas – oder um einen ehemaligen Mitarbeiter.

Das war Toras von Anfang an klar gewe­sen. Fraend hatte nur diese eine Wahl treffen können.

Als das Kodewort den Safe öffnete, griff Toras ein.

Ein Scheinwerfer flammte auf und tauchte das Labor in eine grelle Lichtflut. Für einen Augenblick stand Perm wie zu Stein erstarrt in dem weißen Kegel, dann riß er einen Strahler aus dem Gürtel.

Toras zögerte keine Sekunde, ihn zu para­lysieren.

Auf einer Bahre wurde er hinausgetragen. Das bevorstehende Verhör würde Fraends

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Machenschaften entlarven. Aber Toras irrte sich. Er hatte Fraend und

seine fanatischen Mitarbeiter unterschätzt.

6.

Razamon öffnete die Tür, als Toras sich anmeldete.

»Nun? Wie ist es gelaufen? Habt ihr den Dieb?«

Toras wirkte übermüdet und niederge­schlagen. Er nickte.

»Es gelang uns, Perm auf frischer Tat zu ertappen und festzunehmen. Aber …«

»Also Perm war es! Wahrscheinlich muß­te er Fraend seine Ergebenheit beweisen.«

»Weniger wohl deshalb. Aber er war schließlich Mitarbeiter von Puertas und kannte sich in dessen Studierzentrum aus. Das Kodewort ist nicht gewechselt worden, also hätte er den Safe öffnen können.«

»Hat er gestanden, im Auftrag Fraends zu handeln?«

Toras setzte sich. »Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.

Er wurde von mir paralysiert und dann ins Gefängnis gebracht, das übrigens schon seit Jahren leersteht. Das erklärt auch die man­gelhafte Bewachung. Perm erlangte das Be­wußtsein nach Sonnenaufgang zurück und protestierte heftig gegen seine Verhaftung. Er behauptete, er hätte nur seine eigenen Unterlagen aus dem Safe holen wollen, da Puertas ihm die Rückgabe verweigert habe. Man ließ ihm eine Stunde Zeit sich zu erho­len und zu stärken, dann traf ich ein, um mit dem Verhör zu beginnen. Als ich die Zelle betrat, war Perm tot.«

Toras schwieg und sah an Razamon vor­bei, der einige Sekunden benötigte, um sich von seiner Überraschung zu erholen.

»Tot? Wie ist denn das möglich? War der Paralyseschock zu kräftig?«

»Keinesfalls. Er ist vergiftet worden.« »Im Gefängnis?« »Ich betonte schon, daß es leersteht und

ungenügend bewacht wird. Das Essen wurde aus dem nahen Hospital gebracht. Der Vor-

Clark Darlton

gang wird noch untersucht, aber ich be­zweifle, daß wir ihn jemals klären.«

»Fraend?« Toras nickte. »Wer sonst? Er hat seine Leute überall.« »Und was nun?« »Der Dieb ist tot, er kann nichts mehr ver­

raten. Perm war es wohl auch, der die Waffe aus deinem Schrank holte. Wie aber sollen wir das ja beweisen?«

Razamon ballte die Fäuste. Seine Finger­knöchel wurden weiß.

»Ich muß die Waffe wiederhaben, denn ich besitze sie auch in der Zukunft. So ver­rückt das auch klingen mag, aber es ist so: Ohne die Waffe gibt es für mich niemals ei­ne Rückkehr in meine Gegenwart. Wenn der Kreis auch nur an einer Stelle unterbrochen wird, kann er sich nie mehr schließen.«

Toras wechselte abrupt das Thema: »Für heute abend hat Fraend eine Art

Konferenz angekündigt, die übertragen wer­den soll. Er behauptet, mit sensationellen Enthüllungen aufwarten zu können, die Sa­botage seiner Pläne betreffend. Was mag er nur wieder im Sinn haben?«

»Perm ist tot, sein einziger Belastungs­zeuge. Er hat meine Waffe. Also setzt er den Kampf mit den alten Mitteln fort.« Razamon dachte einige Sekunden nach. »Ist es mög­lich, daß wir an der Veranstaltung teilneh­men? Ich möchte es mal mit meinen Mitteln versuchen.«

Toras zögerte, dann erkundigte er sich: »Welche Mittel sind das?« »Überzeugende, wie ich hoffe. Mehr kann

ich dir nicht sagen.« »Warum nicht?« »Weil alles von der jeweiligen Situation

abhängt.« »Vergiß nicht«, erinnerte ihn Toras ernst,

»daß es sich um eine von Fraend veranlaßte Veranstaltung handelt. Wir können nicht mehr als Zuschauer sein.«

»Die kein Recht zu Fragen besitzen?« »Oh doch, in der anschließenden Diskus­

sion.« »Na also, mehr ist auch nicht notwendig.«

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Einigermaßen beruhigt verabschiedete sich Toras mit dem Versprechen, sich sobald wie möglich wieder zu melden, wenn er et­was Neues erfuhr. Er riet Razamon zu einem Spaziergang und zu Gesprächen mit Eshto­nern, um mehr über die Stimmung der Be­völkerung herauszubekommen.

Razamon befolgte den Rat, aber das Er­gebnis seiner Gespräche war nicht ermuti­gend. Die Meinungen standen fünfzig zu fünfzig.

*

Fraend wiederholte seine Behauptung von den gefälschten Papieren und der nicht vor­handenen Waffe. Er berichtete vom Tod sei­nes Mitarbeiters Perm, der grundlos festge­nommen und dann im Gefängnis ermordet worden sei. Das alles sei eine Verschwörung Puertas gegen ihn und sein Experiment, das die Zukunft Buirkaetens sichern helfen soll­te.

Frenetischer Beifall belohnte dann seine Ausführungen, in denen er noch einmal die angeblichen Folgen seines Experiments er­läuterte. In den schillerndsten Farben schil­derte er das vermutliche Dasein in der fünf­ten Dimension, die eine neue Heimat der Es­htoner werden sollte.

Razamon konnte kaum noch an sich hal­ten. Toras, der neben ihm sah, bemerkte die sich steigernde Unruhe seines Freundes aus der Zukunft. Sanft legte er ihm die Hand auf den Arm.

»Es ist nur ein vorübergehender Triumph, vergiß das nicht. Gleich beginnt die Diskus­sion. Du wolltest eine Frage stellen?«

Razamon beherrschte sich kaum noch. »Ich werde ihm den Schädel einschla­

gen«, drohte er. Toras wurde blaß. »Wenn du nur die Hand gegen ihn erhe­

ben würdest, wäre unsere Sache verloren. Die Eshtoner sind friedlich, sie würden dir eine Gewalttätigkeit niemals vergessen.«

»Aber Fraend ließ Perm ermorden!« »Das können wir nicht beweisen.«

»Trotzdem muß ich jetzt reden, sonst plat­ze ich.«

»Denke an meinen Rat!« ermahnte ihn Toras verzweifelt.

Razamon wußte, daß ihn nur noch eine hauchdünne Schicht von der absoluten Hem­mungslosigkeit trennte. Der geringste Anlaß würde genügen, ihn zum Berserker werden zu lassen, der er einst war. Der Anfall mußte kommen, früher oder später.

Er stand auf, als er die Redeerlaubnis er­hielt.

»Fraend!« rief er mit lauter Stimme. »Du belügst das Volk der Eshtoner, um dein ka­tastrophales Experiment durchführen zu können. Ich kenne die Zukunft, wie sie sein kann – und wie sie sein wird, wenn es dir gelingt, deinen Plan in die Tat umzusetzen. Laß die Finger davon, Fraend! Wo übrigens hast du die gestohlene Waffe versteckt?«

Als das Gemurmel im Saal verebbte, ant­wortete Fraend kühl und gelassen:

»Du nennst mich einen Lügner, dabei bist du selbst der größte Märchenerzähler aller Zeiten. Von welcher Waffe sprichst du? Hat es denn je eine solche Waffe gegeben? Ich gebe zu, sie wäre ein schöner Beweis für deine Theorie, aber wo ist denn dieser Be­weis? Zeige ihn uns, dann glauben wir dir.«

Razamon trat einen Schritt vor. Er war nur noch wenige Meter von dem Podium entfernt, hinter dem Fraend stand. Davor al­lerdings waren einige Wachtposten mit Lähmstrahlern.

»Perm stahl mir die Waffe, und du hast ihn ermorden lassen, um einen Zeugen los­zuwerden. Fraend, du bist kein Wissen­schaftler, du bist ein Mörder!«

Fraend wurde weiß im Gesicht. Er gab den Wachen einen Wink.

»Bringt diesen Wahnsinnigen aus dem Saal, ehe er noch mehr Lügen erzählt. Bringt ihn fort, ich will ihn nicht mehr sehen.«

Einer der Posten näherte sich Razamon. Die hauchdünne Schicht der letzten Be­

herrschung zerbrach. Mit einem wütenden Aufbrüllen setzte

sich Razamon in Bewegung und rannte den

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Mann mit dem Lähmstrahler nieder. Den zweiten, der sich ihm in den Weg zu stellen versuchte, zertrümmerte er mit einem Faust­hieb den Schädel. Er nahm ihn bei den Bei­nen und schleuderte ihn zum Entsetzen der Zuschauer mitten unter sie.

Dann drang er mit erhobenen Fäusten auf Fraend ein, der durch das Podium noch ge­schützt wurde. Die Wachtposten erholten sich von ihrem Schreck. Hastig entsicherten sie die Waffen und eröffneten das Feuer auf den Tobenden, ehe dieser Fraend erreichen konnte.

Paralysiert brach Razamon vor den Ka­meras zusammen, die diese Szene ohne Un­terbrechung übertragen hatten.

Razamon konnte es nicht wissen, aber diese wenigen Minuten veränderten die Stimmung in der Bevölkerung von Buirkae­ten dermaßen, daß es nun 95 zu 5 für Fraend stand.

Noch niemals hatten die Eshtonern einen derartigen Ausbruch tierischer Instinkte er­lebt.

Sie waren schockiert.

*

Unter den Wachmannschaften befanden sich einige Leute, auf die er sich unbedingt verlassen konnte. Er schärfte ihnen ein, den Gefangenen nicht aus den Augen zu lassen und keinem Fremden den Besuch zu gestat­ten.

Allerdings auch keinem von Fraends Gruppe.

Dann fuhr er hinaus zum Raumhafen. Zuhaertes hatte die Sendung am Videoge­

rät verfolgt und war völlig außer sich. »Warum nur hat er das getan? Er hat alles

verdorben, der Narr!« »Du mußt seine Aufregung und seine Wut

verstehen, Zuhaertes. Er konnte sich einfach nicht mehr beherrschen. Sein Charakter ist anders als der unsere, der von Natur aus friedfertig und sanft ist. Fraend bildet eine Ausnahme, obwohl er kaum mit Razamon zu vergleichen ist. Aber er ist gewalttätig,

Clark Darlton

wenn er sein Ziel erreichen will.« »Wo mag die Waffe stecken?« Toras war ebenso schockiert, aber kaum

überrascht, denn er hatte den Wutanfall fast vorausgesehen. Er kannte diesem Fremdling Razamon besser als jeder andere. Allerdings hätte er niemals geglaubt, daß der Zwischen­fall einem Eshtoner das Leben kosten wür­de.

Der zweite Tote, seit Razamon auf Buir­kaeten war.

Sie hatten ihn ins Gefängnis gebracht, wo man unter strengsten Sicherheitsvorkehrun­gen sein Erwachen abwartete. Um einen er­neuten Giftmord zu verhindern, hatte Toras dafür Sorge getragen, daß die Speisen und Getränke sorgfältigst überprüft wurden. Wenn Razamon ums Leben kam, das hatte er längst begriffen, kam die Zukunft durch­einander.

Toras sah ihn überrascht an. »Was sollte sie jetzt noch nützen? Fraend

hat die Eshtoner und die Regierung auf sei­ner Seite. Im Informationsdienst hast du die allgemeine Stimmung erfahren können. Das Experiment soll so schnell wie möglich ge­nehmigt und durchgeführt werden. Wir wer­den es nicht mehr verhindern können.«

»Die Waffe beweist immerhin, daß Raza­mon nicht gelogen hat.«

»Na und?« »Sie würde aber auch den Beweis dafür

liefern, daß Fraend log!« Toras drei Augen weiteten sich vor Über­

raschung. »Daran habe ich nicht gleich gedacht. Na­

türlich, und wenn Fraend hinsichtlich der Waffe log, dann darf man auch vorausset­zen, daß er in bezug auf sein Experiment und dessen Folgen nicht bei der Wahrheit blieb.«

»Ganz richtig! Wo also ist die Waffe? Ich werde sie besorgen.«

»Besorgen? Das Studierzentrum Fraends gleicht einer Festung. Und dort müßte sie sich befinden, wenn man sie nicht vernichtet hat.«

»Das hat man sicherlich nicht. Forscher

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sind wißbegierig, sonst wären sie keine For­scher. Die Waffe existiert also noch. Laß mich überlegen. Ein Mann in meiner Besat­zung steht in Kontakt mit Fraend, und zwar offiziell. Er gehört meinem wissenschaftli­chen Team an. Da er von Puertas mehr hält als von Fraend, dürfte es mir nicht schwer­fallen, ihn zu überzeugen.«

»Du könntest ihn überreden …?« »Ich werde es versuchen. Schließlich ha­

ben wir ja auf dem letzten Flug eine interes­sante wissenschaftliche Entdeckung ge­macht, die einer vernünftigen Erklärung be­darf.«

»Eine Entdeckung? Welche?« Zuhaertes lachte, und damit löste sich sei­

ne ganze Anspannung. »Razamon, was sonst?«

*

Als Razamon erwachte, war seine Wut verraucht.

Er fühlte sich schwach und elend, als hät­te er seine Freunde verraten. Sein Gefühl täuschte ihn nicht: Er hatte sie und ihre Idee verraten, wenn auch ohne es zu wollen.

Die Lagerstatt war hart und unbequem, die Zelle klein und kahl. Er blieb liegen und versuchte, die Ereignisse zu rekonstruieren. Wenn Toras genügend Einfluß besaß, würde er ihn vielleicht hier herausholen können.

Er wußte, daß er einen Eshtoner getötet hatte. Er hatte es in einem Augenblick der Unzurechnungsfähigkeit getan, was trotz­dem unentschuldbar blieb. Warum hatte er auch nicht auf Toras gehört, der ihn warnte?

Die Tür öffnete sich. Ein Wärter brachte das Essen.

Razamon dachte an Perm und beschloß, keinen Bissen zu sich zu nehmen.

Lieber die Notration anbrechen, die sich noch in seinen Taschen befand …

Ihm stockte der Atem, als er feststellen mußte, daß man ihm den Raumanzug ausge­zogen hatte. Er trug jetzt die leichte Beklei­dung der Eshtoner.

Fast hätte er wieder einen Anfall bekom­

men, als er aufsprang und gegen die Tür trommelte. In Kopfhöhe öffnete sich ein winziger Spalt.

»Ruhe!« sagte jemand: »Ich will mit Toras sprechen! Sofort!« Der Spalt schloß sich mit aufreizendem

Quietschen. Razamon kehrte zum Lager zurück und

setzte sich. Er mußte seinen Raumanzug wiederha­

ben, so schnell wie möglich. Wenn der un­berechenbare Zeitklumpen ihn zurück in die Zukunft warf, konnte er überall und nir­gends rematerialisieren. Auf einem Planeten mit giftiger oder gar keiner Atmosphäre, mitten im Vakuum – oder sonstwo.

Aufmerksam studierte er die Tür. Sie be­stand aus einem Kunstmaterial, das nicht sonderlich widerstandsfähig aussah. Wenn er sich in einen Wutanfall hineinsteigerte, würde er sie zertrümmern können, davon war er überzeugt.

Aber er würde auf Toras warten, bis er es vor Hunger nicht mehr aushielt.

Am meisten beunruhigte ihn die Tatsache, daß er nicht erfahren konnte, was draußen geschah. War es Fraend inzwischen gelun­gen, die Regierungsgenehmigung zu erhal­ten? War er dabei, das Experiment endgültig einzuleiten, das die Katastrophe heraufbe­schwor?

Hatte er jetzt freie Hand? Ohne Ankündigung wurde abermals die

Tür geöffnet. Toras trat ein, von zwei bewaffneten

Wächtern flankiert. Mit ausgestreckten Händen eilte er Raza­

mon entgegen, der sich nur langsam erhob und den freundschaftlichen Druck zurück­gab.

»Keine Sorge, wir werden dich herausho­len, aber es wird eine Weile dauern. Die Öf­fentlichkeit ist empört, wie du dir vorstellen kannst. Fraend hat an Popularität gewonnen. Ganz Buirkaeten will nun das Experiment. Es wird nicht mehr zu verhindern sein.«

Razamon deutete auf die Schüsseln auf dem Stuhl.

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»Was ist damit? Soll ich sterben wie Perm?«

Toras wandte sich an die beiden Wächter: »Perm starb an einer Vergiftung, ob ihr

das glaubt oder nicht. Bringt fabrikverpackte Lebensmittel für den Häftling! Er wird nichts anderes anrühren. Das ist lediglich ei­ne Vorsichtsmaßnahme.«

»Ich weiß nicht …«, begann der eine, wurde aber von Toras grob unterbrochen:

»Geh schon! Oder soll ich die Regierung davon unterrichten, daß in diesem Gefängnis das Leben der Häftlinge leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird? Du kannst auch gleich mitgehen und das Zeug besorgen«, befahl er dem anderen Wächter.

Sie gingen beide, schlossen aber die Tür hinter sich ab.

Toras atmete auf. Leise sagte er: »Hör zu, Razamon! Es besteht keine Aus­

sicht, daß du diesen Bau verlassen kannst, bevor Fraend seine Pläne verwirklicht. Es sieht schlecht aus für unsere Sache. Die von dir vorausgesagte Katastrophe wird also un­abänderlich sein, aber ich will wenigstens dein Leben retten. Ich habe nicht viel von dem verstanden, was du mir über das Zeitpa­radoxon erzählt hast, aber trotzdem will ich es verhindern.«

»Dann bringe mir zuerst meinen Rauman­zug! Ich brauche ihn.«

»Er ist nicht mehr hier. Ich habe ihn abho­len lassen. Er befindet sich auf der PER­LAENER in der Obhut Zuhaertes. In dieser Nacht wird sein Vertrauter die Waffe holen. Er hat schon Kontakt mit Fraend aufgenom­men. Wir hoffen, daß er keinen Verdacht schöpft.«

»Und ich sitze untätig im Gefängnis …!« »Dann bedeutest du auch keine Gefahr«,

sagte Toras und lächelte. »Keine Sorge, wir holen dich rechtzeitig heraus. Jedenfalls vor Beginn des Experiments.«

»Kannst du mich über den Verlauf der Dinge informieren?«

»Ich werde versuchen, die Untersu­chungshaft in Hausarrest umzuwandeln. Das bedeutet, daß man dich in dein Quartier zu-

Clark Darlton

rückbringt. Aber du wirst es nicht verlassen dürfen. Es kann ein paar Tage dauern, fürch­te ich.«

»Besser als nichts«, gab Razamon sich zufrieden.

Die beiden Wärter kamen mit neuen Le­bensmitteln und teilten Toras mit, daß die Sprechzeit beendet sei.

Razamon öffnete die Pakete mit den Kon­zentraten und begann zu essen. Auch die Flaschen mit den Getränken waren versie­gelt.

*

In der regelmäßig stattfindenden Diskus­sion der beiden wissenschaftlichen Gruppen versuchte Puertas noch einmal, das Ruder herumzureißen und gegen Fraend Stimmung zu machen. Der Erfolg war mehr als dürftig. Die Gegensendung zeigte keine Verände­rung der öffentlichen Meinung. Fraend war und blieb der Favorit.

Die Regierung entschloß sich, morgen endgültig das Urteil zu fällen.

Noch am gleichen Abend brachten vier bewaffnete Polizisten Razamon in sein altes Quartier, dessen Tür abgeschlossen wurde. Geräusche verrieten, daß mindestens einer der Eshtoner als Wachtposten auf dem Kor­ridor zurückblieb.

Nun hatte Razamon wenigstens Gelegen­heit, den Informationsdienst über Video zu empfangen. Die verschlossene Tür störte ihn nicht; denn er hätte die Wohnung ohnehin nicht verlassen. Wenigstens nicht ohne einen Begleiter.

Toras meldete sich nicht mehr, wahr­scheinlich um keinen unnötigen Verdacht zu erregen.

Razamon versuchte zu schlafen. Seine Gedanken waren bei dem unbekannten Wis­senschaftler, der im Auftrag Zuhaertes' Fraend aufsuchte, um die gestohlene Waffe an sich zu bringen. Ob ihm das auch gelang, war eine andere Frage. Wenn dieses Unter­nehmen ebenfalls fehlschlug, war so gut wie alles verloren.

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Endlich schlief er ein.

*

Zuhaertes konnte nach einer letzten tech­nischen Inspektion der Werft bestätigen, daß Überholungs- und Reparaturarbeiten zu sei­ner Zufriedenheit ausgefallen waren. Die PERLAENER war wieder voll einsatzfähig. Ein entsprechender Bescheid ging gleichzei­tig an das Raumflottenkommando. Wenig später traf der Einsatzbefehl ein. Das Schiff sollte in zwei Tagen zur Patrouille im Rand­sektor des Schwarms starten.

Obwohl Zuhaertes die Pläne Toras' voll und ganz unterstützte, stand er ihnen skep­tisch gegenüber. Wenn sein Vertrauter, der jetzt an diesem Abend bei Fraend sein muß­te, sein Ziel nicht erreichte und womöglich beim Diebstahl der Waffe ertappt wurde, konnte es Schwierigkeiten geben.

Doch das war es nicht allein, was dem Kommandanten Sorgen bereitete. Toras hat­te ihm Razamons Raumanzug gebracht, und zwar mit einer ganz bestimmten Absicht. Er wollte den Gefangenen aus seinem Zwangs­quartier holen und an Bord der PERLAE­NER bringen, natürlich ohne Wissen oder gar Genehmigung der Regierungsstellen. In dem Patrouillenschiff würde niemand den entführten Gefangenen vermuten, hoffte To-ras.

Zuhaertes war da anderer Meinung. Gera­de in seinem Schiff würde man ihn zuerst suchen, wenn Fraend seine Rolle in der Af­färe durchschaute.

Inzwischen nahmen die Dinge ihren Lauf. Es gelang dem jungen Wissenschaftler

der PERLAENER, Fraend in ein längeres Gespräch zu verwickeln. Ausführlich schil­derte er, wie man Razamon im Raum trei­bend gefunden und aufgenommen habe. Fraend gab zu, daß er keinen Augenblick an der Echtheit des Fremden gezweifelt habe, selbst seine Geschichte hielt er für wahr­scheinlich. Da das Gespräch keine Zeugen hatte, bekannte er sogar offen, daß sein ge­plantes Experiment unter gewissen Umstän­

den den vorausgesagten katastrophalen Ver­lauf nehmen könnte. Das Risiko, so fügte er hinzu, müsse man jedoch in Kauf nehmen. Ein Verbleiben in der vierten Dimension sei auf die Dauer unerträglich.

Der junge Wissenschaftler stimmte dem zu. Er war jedoch von Fraends krankhaftem Ehrgeiz angeekelt. Geschickt brachte er dann das Gespräch auf die Waffe. Wenn es sie wirklich gäbe, was ja nun leider nicht der Fall sei, könne man mit ihrer Hilfe die er­wähnten gewissen Umstände herbeiführen, die eine positive Veränderung der Zukunft bewirken, so daß ein Risiko ausgeschlossen würde.

Das begriff Fraend nicht sofort. »Wieso das? Was hätte die Waffe damit

zu tun?« »Wenn dieser Razamon und seine Ge­

schichte echt wären, dann hätte er auch die Waffe aus der Zukunft mitgebracht. Würde man diese Waffe vernichten, restlos zer­strahlen, gäbe es ein Zeitparadoxon, Fraend. Der Fremde würde, wenn überhaupt, ohne diese Waffe in die Zukunft zurückkehren – in eine andere Zukunft. Vielleicht in unsere Zukunft.«

»Ich versuche es zu verstehen, junger Freund. Diese Möglichkeit bestünde aber nur dann, wenn es diese Waffe wirklich gä­be?«

»Nur dann!« versicherte der Wissen­schaftler überzeugend.

Fraend atmete auf. »Dann muß ich dir ein Geständnis ma­

chen: Ich besitze diese Waffe!« Zuhaertes Mann tat überrascht. »Dann hat dieser Razamon also nicht ge­

logen?« Fraend lächelte hinterhältig. »Der Zweck heiligt die Mittel, das mußt

du dir merken. Ohne meinen Schachzug sä­he die Situation heute anders aus. So stehen unser Volk und die Regierung hinter meinen Plänen. Morgen wird das Experiment end­gültig genehmigt.«

Die Euphorie ließ Fraend noch unvorsich­tiger werden. Stolz und voller Siegeszuver­

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sicht ging er zu einem nicht verschlossenen Wandschrank, holte Razamons Strahler dar­aus hervor und legte ihn auf den Tisch.

»Das ist sie, junger Freund! Glaubst du mir nun?«

»Darf ich sie anfassen?« »Nur zu! Du wirst erkennen müssen, daß

es sich um eine geniale Weiterentwicklung unserer eigenen Energiestrahler handelt. Aber es werden unsere eigenen Techniker sein, die das bewerkstelligen, nicht jene der Parasiten, wie der Verrückte behauptet.«

Aufmerksam untersuchte der junge Wis­senschaftler den Strahler, aber er war kein Waffenexperte. Trotzdem sagte er, während er sie auf den Tisch zurücklegte:

»Erstaunlich! Wir halten etwas in der Hand, das überhaupt noch nicht existiert. Wann wird die Waffe vernichtet?«

»Sobald das Experiment angelaufen ist, nicht eher.«

»Und bis dahin?« Fraend deutete auf den Schrank. »Hier ist sie absolut sicher. Niemand kann

das Studierzentrum betreten, selbst nicht mit dem Kodewort. Ich werde es nach deinem Weggang noch ändern.«

Der Wissenschaftler erhob sich. »Ausgezeichnet, ich bin beruhigt. Aber

ich muß zurück zur PERLAENER. Was soll ich dem Kommandanten berichten?«

Fraend wurde ungewöhnlich ernst. »Nichts! Er steht in enger Verbindung mit

Toras, und der wiederum mit dem Fremden. Wir hatten eine reine Routinebesprechung.« Er gab dem anderen die Hand. »Wenn alles vorüber ist, werde ich dafür sorgen, daß du in meinen Stab aufgenommen wirst.«

»Das wäre eine große Ehre für mich.« Fraend sah ihm mit Befriedigung nach. Er

würde später jeden einzelnen fähigen Mann brauchen, um die Aufgaben der Zukunft be­wältigen zu können.

Er vertiefte sich noch in einige Unterla­gen, legte die Waffe schließlich in den Schrank zurück, veränderte das Kodewort und verließ das Studierzentrum.

Der junge Wissenschaftler der PERLAE-

Clark Darlton

NER wartete, bis die Luft rein war, dann kroch er aus seinem Versteck. Durchaus möglich, so hatte er kalkuliert, daß niemand das Zentrum unbefugt betreten konnte, aber sicherlich konnte man es unbemerkt verlas­sen.

Eine Minute später schob er die Waffe Razamons in seinen Gürtel und erreichte durch einen Entlüftungsschacht das flache Dach des Gebäudes, ohne einen Alarm aus­zulösen. Schwieriger war es dann schon, die tief unten gelegene Straße zu erreichen und ein Automat-Taxi zu finden, das ihn zurück zum Raumhafen brachte.

Zuhaertes, der vor Unruhe nicht hatte schlafen können, empfing ihn mit unbe­schreiblicher Erleichterung.

Ohne die Waffe näher in Augenschein zu nehmen, verschloß er sie in seinem Safe.

7.

Je länger Razamon darüber nach dachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß eine Veränderung der Zukunft durch einen Rückgriff in die Vergangenheit un­möglich war. Was immer er auch in der jet­zigen Gegenwart unternahm, es würde ver­geblich sein. Es gab kein Paradoxon!

So sehr ihn diese Erkenntnis auch beru­higte, sie verwirrte ihn zugleich auch. Seine Bemühungen, die Eshtoner vor einem schrecklichen Schicksal zu bewahren, waren vergebens gewesen. Seine Freunde Toras, Zuhaertes und alle anderen Eshtoner waren zum Tode verurteilt, wenigstens die meisten von ihnen. Es mußte Überlebende geben, sonst würde in der Zukunft niemals die Eripäer existieren. Aber vielleicht starben nur die Bewohner von Buirkaeten, während es Überlebende auf den anderen Planeten gab.

Wie auch immer: Die Katastrophe würde eintreten.

Den ganzen Tag über ließ sich niemand bei ihm sehen. Lebensmittel waren noch ge­nügend vorhanden, so daß er sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen brauchte.

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Die Informationssendungen unterrichteten ihn lediglich davon, daß die Regierung über Fraends Projekt bereit.

Am frühen Nachmittag erschien Fraend auf dem Bildschirm, um noch einmal einen jetzt total überflüssigen Angriff auf Puertas zu starten. Er wirkte allerdings sehr nervös und zerfahren, was Razamon sich nicht er­klären konnte. Er wußte ja nichts von dem gelungenen Diebstahl seiner Waffe aus Fraends Laborzentrum.

Abends wurde die Entscheidung der Re­gierung verkündet.

Fraend wurde angewiesen, das Experi­ment am nächsten Tag einzuleiten und die entscheidende Phase, wie versprochen, in­nerhalb von zwei Tagen herbeizuführen.

In drei Tagen sollte der Sternschwarm in den Dimensionskorridor gleiten.

*

Razamon verbrachte eine weitere Nacht in Ungewißheit. Mehrmals versuchte er, To-ras über den Kontakttaster zu erreichen, aber der Anschluß blieb tot. Die Posten vor seiner Tür lösten sich in regelmäßigen Abständen ab.

Inzwischen, das wußte Razamon auch, war Fraend mit seinen Spezialisten aufge­brochen, um die einzelnen Zapfstellen zu aktivieren. Erst wenn das geschehen war, konnte er die Zusammenführung aller Ener­gieträger durchführen, deren geballte Kraft den Prozeß der Dimensionsveränderung be­wirkte.

Zwei Tage … Razamon schrak zusammen, als das

Schild über der Tür aufleuchtete. Toras. Toras trat ein, nickte Razamon zu und

setzte sich. Er wirkte zur Überraschung des nun sehr ruhigen Berserkers durchaus nicht niedergeschlagen, wie es zu vermuten gewe­sen wäre.

»Es klappt alles nach Plan«, sagte er und schlug die Beine übereinander. »Das Experi­ment allerdings läßt sich nicht mehr verhin­dern, aber das war von vorneherein klar. Pa­

radoxon, du weißt.« »Ja, ich weiß. Aber zumindest habe ich es

versucht. Doch nun bedrückt mich eine an­dere Sorge, und der Anlaß wird dir sehr egoistisch erscheinen. Es geht um mich selbst.«

»Die Rückkehr in deine Gegenwart? Oh nein, das ist alles andere als egoistisch. Es ist nur vernünftig. Du hast in der Zukunft existiert und kamst aus ihr, also wirst du auch zurückkehren.«

»Das ist nicht sicher.« »Es ist klar«, sagte Toras, ohne den Ein­

wurf zu beachten, »daß du nicht auf Buir­kaeten sein darfst, wenn der Planet birst. Und das wird er ja wohl. Du mußt dich dann im Weltraum befinden. Entweder werden dich die dann entstehenden Energiefelder n­dimensionaler Natur in die Zukunft zurück­schleudern, oder du wirst Zeuge der Kata­strophe und zugleich ihr Opfer. Wenn du in diesem Gefängnis bleibst, sind die Chancen des Überlebens also geringer.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Raz­amon, der schon längst ahnte, worauf Toras hinauswollte.

»Du wirst in dieser Nacht fliehen und an Bord der PERLAENER gehen. Es ist alles vorbereitet. Zuhaertes weiß Bescheid und ist einverstanden. Dein Raumanzug ist eben­falls im Schiff.«

»Die Waffe!« Razamon fiel es brennend heiß ein. »Ohne die Waffe gibt es meine Rückkehr in die Zukunft nicht. Zumindest würde sie sehr unwahrscheinlich.«

»Ach, ja, die Waffe!« Toras schien sich über die gelungene Überraschung zu freuen. »Sei beruhigt, sie ist wieder in unserer Hand. Zuhaertes bewahrt sie in seinem Safe in der Kommandozentrale der PERLAENER auf. Raumanzug und Waffe erwarten dich auf seinem Schiff.«

»Ihr habt sie also doch diesem Fraend ab­geluchst?«

»So kann man es auch bezeichnen. Jeden­falls hat er sie nicht mehr. Für sein Vorha­ben spielt das nun keine Rolle mehr, und ich glaube nicht, daß er sich groß Gedanken

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deswegen macht. Er hat sein Ziel erreicht.« »Und wie soll ich hier herauskommen?« »Ich selbst werde dich holen. Heute

nacht.« »Der Posten?« »Ein Freund. Er wird sich widerstandslos

einschläfern lassen.« Razamon sah ihn an. »Deine Verbindungen müssen sehr weit­

reichend sein, Toras. Hat jedes Mitglied eu­rer Regierung so einen großen Einfluß?«

»Nein, sicher nicht. Wenigstens hoffe ich das.«

»Warum gerade du?« Toras trank einen Schluck, dann erwiderte

er: »Weil ich der Regierungschef bin, Raza­

mon.«

*

Die Video-Informationen brachten Bilder von den anderen Planeten, auf denen Zapf­stellen installiert worden waren. Man sah Fraends Leute bei der Arbeit. Zwischen­durch wurden vorbereitete Trickfilme gesen­det, die den Übergang zur fünften Dimensi­on und das neue Leben im Korridor in den schillerndsten Farben zeigten.

Razamon fragte sich, wie es wohl Puertas in diesen Stunden zumute sein mochte. Alle seine Warnungen waren ungehört verhallt. Er hatte seinen Kampf verloren.

Gegen Mitternacht öffnete sich ohne Vor­warnung die Tür.

Aber es war nicht Toras, der in den Raum trat. Es war ein Razamon völlig Unbekann­ter, der eine Energiewaffe in der Hand hielt und auf ihn richtete.

»Komm mit!« sagte er nur. Razamon richtete sich langsam auf. »Wer

bist du? Und was willst du von mir?« »Komm mit!« wiederholte der Unbekann­

te. »Erklärungen folgen später, wenn über­haupt.«

Razamon wagte nicht zu fragen, ob er im Auftrag Toras' kam. Er wollte den Verdacht nicht unnötig auf den Freund lenken, denn er ahnte instinktiv, daß etwas schiefgelaufen

Clark Darlton

war. Er stand auf. »Wohin bringst du mich?« »An einen Ort, der sicherer ist als dieser.

Beeile dich!« Razamon nahm alles, was er bei sich ge­

habt hatte, an sich und stopfte es in seine Ta­schen. Er wollte nichts zurücklassen, das nicht in diese Gegenwart gehörte. Eine Vor­sichtsmaßnahme, die er instinktiv befolgte, ohne darüber nachzudenken.

Der Wachtposten vor der Tür lag bewußt­los auf dem Korridor.

»In den Lift!« Razamon gehorchte ohne Widerrede. Die

auf ihn gerichtete Waffe war deutlich genug. Der Lift glitt in die Tiefe und hielt an. Der

Eshtoner dirigierte Razamon mit dem Lauf der Waffe zu einem geparkten Fahrzeug, das in einer der Ausbuchtungen wartete.

»Einsteigen!« Mit der freien Hand schaltete der Entfüh­

rer die vorprogrammierte Fahrtautomatik ein, ohne seinen Gefangenen aus den Augen zu lassen. Der Wagen setzte sich in Bewe­gung.

Razamon konnte nicht erkennen, wohin die Fahrt ging. Jede der unterirdisch ange­legten Straßen sah aus wie die andere. Es war auch unmöglich, sich die Richtung zu merken, denn mehrmals bog der Wagen in Seitenstraßen ein, so daß Razamon jede Ori­entierung verlor.

Razamon fragte sich vergeblich, warum man ihn jetzt noch entführte, wo doch alles gelaufen war. Fraend hatte seinen Willen durchgesetzt, und das Experiment würde stattfinden. Nichts mehr konnte es verhin­dern?

Die Straße stieg leicht an und endete schließlich an der Oberfläche. Jetzt erkannte Razamon sie wieder.

Sie führte direkt zum Raumhafen.

*

Eine halbe Stunde nach Mitternacht schob sich Toras' Beauftragter vorsichtig aus dem Lift und betrat den Korridor, der zum Quar­

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tier des Gefangenen führte, den er befreien und zum Raumhafen bringen sollte.

Verblüfft hielt er an, als er den Wachtpo­sten am Boden liegen sah. Der Mann begann sich gerade zu rühren. Die Paralyse fiel von ihm ab. Er kam wieder zu sich.

Der Beauftragte bückte sich und rüttelte ihn, bis er mühsam seine drei Augen auf­schlug.

»Was ist geschehen, Mann?« Der Wachtposten starrte ihn an. »Wie ver­

einbart … wer bist du überhaupt?« »Toras schickt mich. Das ist das Kenn­

wort.« Der Wachtposten schüttelte den Kopf und

setzte sich hin. »Der andere schien es nicht zu kennen,

obwohl ich ihn danach fragte. Er paralysier­te mich.« Er sprang plötzlich auf. »Der Ge­fangene …!«

Toras' Beauftragter durchfuhr ein eisiger Schreck. Hastig öffnete er die Tür zu Raza­mons Wohnquartier und trat ein. Nichts deu­tete auf einen Kampf hin. Razamon mußte freiwillig mit dem Entführer gegangen sein, den er sicherlich für seinen Befreier gehalten hatte.

»Er ist weg! Jemand ist uns zuvorgekom­men. Fraend …?«

»Wer kann davon gewußt haben?« »Möglicherweise ein Zufall. Du bleibst

hier, ich werde Toras unterrichten. Er kann ganz offiziell eine Suche einleiten. Razamon muß gefunden werden, ehe es zu spät ist.«

»Zu spät? Wofür?« Toras' Mann gab keine Antwort. So

schnell er konnte, lief er zum Lift und fuhr damit hinab zur Straße, wo sein Wagen stand.

Toras war niedergeschmettert, als er von dem Vorfall erfuhr. Er fragte sich, ob die halbe Stunde Zeitunterschied bei der Entfüh­rung reiner Zufall war oder nicht. Jedenfalls war man ihm zuvorgekommen.

Nur Fraend konnte dahinterstecken, wenn das Motiv auch unklar war. Was hatte er da­von, Razamon in seiner Gewalt zu wissen?

»Gut«, sagte er schließlich. »Ich werde

sofort die notwendigen Schritte einleiten. Ei­ne Routineüberprüfung hat ergeben, daß der Gefangene befreit wurde. Vielleicht erhalte ich sogar die Genehmigung, Fraends Zen­trum durchsuchen zu lassen.«

Wenig später wurde der Alarm ausgelöst.

*

Razamon schöpfte neue Hoffnung, als er die PERLAENER erblickte, die auf einer der hier üblichen Startrampen lag. Aber der Wagen des Entführers schlug eine andere Richtung ein. An dem Schiff Zuhaertes' vor­bei näherte er einem kleineren Raupenrau­mer und hielt an.

»Aussteigen!« befahl der Eshtoner. Razamon begann zu ahnen, was Fraend –

kein anderer konnte hinter dem Anschlag stehen – im Sinn hatte. Der Wissenschaftler hatte erfahren, daß man ihm die Waffe aus der Zukunft gestohlen hatte. Da er Raza­mons Geschichte Glauben schenkte, mußte er auch davon überzeugt sein, daß nur ein Paradoxon die Katastrophe verhindern und zumindest eine Parallelentwicklung einleiten konnte. Da aber nun die Waffe fehlte, mußte er dafür sorgen, daß Razamon mit in die an­dere Dimension überführt wurde.

So oder doch so ähnlich stellte Razamon sich Fraends Überlegungen vor, und damit war er nicht sehr weit von der Wahrheit ent­fernt, wie sich bald herausstellen sollte.

Widerstrebend ließ er sich an Bord des Schiffes führen, aber er sah keine Möglich­keit zur Flucht. Dabei war die PERLAENER kaum zweihundert Meter entfernt. Vielleicht hatte Toras inzwischen von der Entführung erfahren und handelte entsprechend.

Der Eshtoner brachte ihn in die Komman­dozentrale. Er schien allein an Bord zu sein, denn sie begegneten niemandem. Überhaupt wirkte alles so, als sei kein sofortiger Start beabsichtigt.

»Setzen!« Razamon nahm vor dem Panoramaschirm

Platz. Ein paar Schaltungen, und schon erschien

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auf der großen Mattscheibe das Gesicht Fraends. Er lächelte triumphierend. Ohne Einleitung hielt er einen kurzen Vortrag über seine Zeittheorie und bestätigte damit Raza­mons Vermutung. Dann fuhr er fort:

»Um sicherzugehen, habe ich angeordnet, daß man dich vor Beginn des Experiments, also in etwa sieben Stunden, mit dem Schiff zu einem unbewohnten Planeten bringt. Dort wird man dich aussetzen. Ohne deinen Raumanzug und deine Waffe. Der Planet ist unbewohnt und hat eine atembare Atmo­sphäre. Du bist also nicht in Gefahr. Nach der geglückten Transmission in den Korri­dor werde ich dich abholen lassen. Das ist alles.«

»Einen Augenblick!« rief Razamon. »Du weißt so gut wie ich, daß du einen glatten Mord begehst. Der Planet wird zerbersten und keine Atmosphäre mehr haben.«

»Das ist deine Theorie, nicht meine, Raz­amon. Ich würde dir ja Raumanzug und Waffe lassen, wenn ich nur wüßte, wo bei-des ist.«

»An Bord der PERLAENER«, hätte Raz­amon beinahe verraten, besann sich aber rechtzeitig, als er Fraends wahre Absicht be­griff. Der Wissenschaftler wollte nur wissen, wo sich die beiden wertvollen Gegenstände befanden.

»Nun?« fragte Fraend hinterhältig. »Keine Ahnung?«

»Nein! Woher soll ich das wissen?« »Na schön, dann frage ich in einer Stunde

nochmal nach. Und dann jede weitere Stun­de, bis das Schiff startet. Das dürfte in etwa sechs Stunden der Fall sein. Hoffe nicht, daß deine Freunde dich vorher finden. Man wird dich vielleicht in der Stadt suchen, nicht aber auf dem Raumhafen, und schon gar nicht in einem der Forschungsschiffe.«

Der Bildschirm verdunkelte sich, ehe Razamon etwas antworten konnte.

Hoffnungslosigkeit bemächtigte sich sei­ner. Zwar mußte seine Entführung früher oder später entdeckt werden, aber Fraend hatte recht: Hier würde ihn keiner vermuten.

Der Eshtoner setzte sich in einiger Entfer-

Clark Darlton

nung in einen Sessel und hielt die Waffe auf ihn gerichtet.

Razamon spürte, wie sich seine Hoff­nungslosigkeit ganz allmählich in Verzweif­lung und dann in Wut zu verwandeln be­gann.

Er machte nicht den Versuch, seine Ge­fühle zu unterdrücken.

*

Toras selbst leitete die Suchaktion, denn er wußte nur zu genau, was von Erfolg oder Mißerfolg abhing. Nicht für ihn und sein Volk, aber für den Freund Razamon, den ein unbegreifliches Schicksal Zeuge der Ge­schehnisse hatte werden lassen.

Die ganze Stadt wurde durchgekämmt. Die beiden Studierzentren Fraends und Pu­ertas' blieben nicht verschont, aber auch hier fand man nicht die geringste Spur des Ent­führten.

Als der Morgen graute, kehrte Toras in seine Wohnung zurück. Der automatische Aufzeichner verriet ihm, daß Zuhaertes in der Zwischenzeit versucht hatte, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Natürlich, der Kom­mandant wartete vergeblich auf das Eintref­fen Razamons.

Fast hätte Toras das vergessen. Er stellte die Verbindung her. Zuhaertes

schien erleichtert, Toras zu sehen. Er lächel­te sogar flüchtig.

»Ich habe zehnmal versucht, dich zu er­reichen, aber offiziell ausrufen lassen wollte ich dich auch nicht. Aus verständlichen Gründen, wie du dir denken kannst. Ich wür­de mich freuen, wenn du mir jetzt einen Be­such abstatten würdest.«

»Jetzt? Ich bin todmüde. Du hast viel­leicht gehört, daß man den Gefangenen Raz­amon entführt hat.«

»Ich hörte davon«, erwiderte Zuhaertes scheinbar gleichgültig. Man wußte nie, wer das Gespräch mithörte, nachdem allgemei­ner Alarm gegeben worden war. »Vielleicht kannst du trotzdem kommen. Es erscheint mir wichtig.«

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»Wie wichtig?« Toras wußte, daß sie ver­schlüsselt reden mußten.

»Zeitwichtig«, sagte der Kommandant und zwinkerte mit dem dritten Auge.

»Ich mache mich auf den Weg. Erwarte mich in Kürze.«

»Bringe einen Blankodurchsuchungs­schein mit«, empfahl Zuhaertes ohne weitere Erklärung und schaltete ab.

Toras runzelte die Stirn, wodurch sein Auge in einer Falte verschwand.

Er öffnete seinen Safe, nahm ein Formu­lar heraus und versah es mit dem Regie­rungsstempel.

Dann verließ er in aller Eile das Haus.

*

Fraend nahm jede Stunde Verbindung auf und stellte die gleichen Fragen. Razamon machte noch einmal den Versuch, ihn umzu­stimmen, aber erfolglos. Dann gab er es auf und überließ sich wieder seinen Gefühlen, die bald nicht mehr dem Verstand, sondern dem Urinstinkt gehorchten.

Bis der Ausbruch kam … Der Entführer, den die scheinbare Harm­

losigkeit seines Gefangenen arglos werden ließ, erschrak fast zu Tode, als dieser sich plötzlich mit fürchterlichem Wutgebrüll auf ihn stürzte, ihm die Waffe aus der Hand schlug und ihn dann aufhob, als wiege er nichts. Mit voller Wucht schleuderte Raza­mon den heftig um sich Schlagenden quer durch die Kommandozentrale gegen eine mit Instrumenten bedeckte Wand.

Mit einigen gebrochenen Knochen fiel der Eshtoner bewußtlos zu Boden, wo er reglos liegenblieb.

Razamons Wut verrauchte sofort. Die Überlegung kehrte zurück.

In wenigen Minuten würde Fraend sich wieder melden. Er durfte nichts von dem Vorfall erfahren, das gab eine Stunde Vor­sprung. Also setzte er sich wieder auf seinen Platz vor den Bildschirm und wartete.

Fraend war pünktlich. Er schöpfte keinen Verdacht, stellte seine vergeblichen Fragen

und schaltete wieder ab. Razamon wollte gerade aufatmen, als ein

Signal ertönte und unter einem kleinen Schirm das Licht aufleuchtete. Verwirrt überlegte er, was zu tun sei, als er eine frem­de Stimme hörte:

»Hier ist die Polizei! Öffne die Einstieglu­ke! Wir haben einen Durchsuchungsbefehl.«

Er stand auf, nahm den Strahler seines Entführers vom Boden und verließ die Zen­trale. Womöglich war er nun vom Regen in die Traufe geraten. Jedenfalls schien es nun unmöglich geworden zu sein, vor Ablauf der Frist, die Fraend gestellt hatte, unbemerkt in die PERLAENER zu gelangen.

Hastig eilte er durch die Korridore und Sektionen, bis er die Luftschleuse erreichte. In ruhiger Überlegung betätigte er den Handmechanismus, der die Luke aufschwin­gen ließ. Mit der Waffe im Anschlag wich er zur Seite, wo er nicht gesehen werden konn­te.

Die Eshtoner draußen mußten annehmen, daß die Luke von der Zentrale aus geöffnet worden war, denn arglos kamen zwei von ihnen in die Schleusenkammer, während die anderen außerhalb des Schiffes blieben.

Razamon hoffte, daß sie an ihm vorbei­gingen, ohne ihn zu sehen, aber er täuschte sich. Der eine ließ eine Lampe aufleuchten und entdeckte ihn. Razamon hielt den Strah­ler auf ihn gerichtet.

»Laßt die Waffen fallen!« befahl er. »Was ist los?« rief eine Stimme von drau­

ßen. »Geht weiter!« »Der Entführte …«, stammelte einer der

Polizisten. »Er ist hier und bedroht uns.« »Razamon?« Razamon wußte plötzlich, warum ihm die

Stimme bekannt vorkam. Die Waffe noch immer auf die beiden Eshtoner gerichtet, trat er vor und sah hinaus.

Toras schob zwei andere Männer beiseite, die vor ihm standen.

»Wir wollten dich holen, Razamon. Hast du dich selbst befreien können?«

»Mein Entführer bedarf ärztlicher Hilfe, Toras. Ich wollte gerade mein Gefängnis

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verlassen.« »Komm heraus.« Und zu den Polizisten

gewandt, sagte er: »Der Einsatz ist beendet. Ich werde mich selbst um den Gefangenen kümmern. Keine Sorge, er wird nicht mehr fliehen. Holt einen Arzt.«

Zögernd nur befolgten die Polizisten den ungewöhnlichen Befehl, aber sie kannten Toras und seine Funktion. Wenig später fuh­ren sie mit dem Wagen davon, während To-ras und Razamon die kurze Strecke bis zur PERLAENER zu Fuß zurücklegten.

»Es war reiner Zufall«, erklärte der Re­gierungschef fast erheitert, »daß Zuhaertes eine von Fraends Sendungen mit dir auffing. Er wartete auf dein Eintreffen und konnte nicht schlafen. Um sich die Zeit zu vertrei­ben, schaltete er den Bildempfänger ein und wanderte durch die Frequenzen. Fraend war unvorsichtig genug, die im Raum übliche zu benutzen. So erfuhr Zuhaertes natürlich, was geschehen war und wo du versteckt gehalten wurdest.«

»Er wollte mich auf einem unbewohnten Planeten aussetzen.«

»Ich weiß. Er wollte mit aller Gewalt ein Paradoxon herbeiführen, um unsere Zukunft anders und vielleicht besser zu gestalten. Damit hat er bewiesen, daß er deiner Ge­schichte Glauben schenkt. Um so größer ist sein Verbrechen.«

»Ist das Experiment nicht mehr zu verhin­dern?«

»Unmöglich! Es ist bereits angelaufen und kann nicht mehr gestoppt werden. Selbst ein Regierungsbeschluß könnte das nicht.«

Sie hatten die PERLAENER erreicht. Razamon blieb stehen und blickte Toras an.

»Ist das nun der Abschied?« fragte er. Toras lächelte und schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Razamon. Ich werde mit an

Bord kommen. In wenigen Minuten werden wir starten.«

»Du willst mich begleiten?« »Was soll ich noch hier? In einigen Stun­

den wird Buirkaeten nicht mehr existieren. Ich bin fest davon überzeugt, daß alles so

Clark Darlton

geschehen wird, wie du vermutest. Und ich bin auch überzeugt, daß du im Augenblick der Transmission des Schwarms in den Di­mensionskorridor in deine Zeit zurückgeholt wirst – wie auch immer. Ich möchte Zeuge sein.«

Razamon nahm seine Hand und drückte sie fest.

»Ich werde niemals vergessen, was du für mich getan hast. Aber ich bin traurig dar­über, daß ich euch nicht helfen konnte.«

»Du hast es wenigstens versucht …« Zuhaertes erwartete sie am Einstieg. »Es wird höchste Zeit. Wir starten in we­

nigen Minuten.« »Starterlaubnis vorhanden?« »Schon seit zwei Tagen, Toras. Ein Routi­

neflug, sonst nichts.« Ein Routineflug … dachte Razamon, als er

in die Schleusenkammer ging und den Kom­mandanten begrüßte. Welch eine maßlose Untertreibung!

Die Luke schloß sich und wurde automa­tisch abgedichtet.

Anders als beim ersten Mal wurde Raza­mon diesmal von den Besatzungsmitgliedern freundlich begrüßt. Die Situation hatte sich grundlegend geändert, obwohl sie alle wuß­ten, was ihnen – vielleicht – bevorstand. Draußen im freien Weltraum fühlten sie sich sicherer.

Als erstes entledigte sich Razamon der es­htonischen Bekleidungsstücke, die er noch vom Quartier her trug. Mit einem Gefühl der Erleichterung legte er den Raumanzug wie­der an und schob seinen Strahler in die Gür­teltasche. Eine nochmalige Überprüfung er­gab, daß nichts fehlte von dem, was er aus der Zukunft mitgebracht hatte.

In der Kommandozentrale war alles für den Start bereit.

Auf dem Bildschirm war eine Ringsen­dung der Stationen Fraends zu sehen, die sich auf verschiedenen Planeten, Raumsta­tionen und Schiffen befanden. In erster Linie wurden Daten ausgetauscht.

»In zwanzig Minuten wird er wieder Ver­bindung mit mir aufnehmen wollen«, sagte

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Razamon voller Genugtuung. »Ihm steht ei­ne Überraschung bevor.«

»Bis dahin befinden wir uns schon weit draußen im Raum. Du kannst ihm einen Gruß übermitteln.« Zuhaertes setzte sich. »Nehmt Platz, Freunde. Wir haben vielleicht nur noch Stunden zu leben, genießen wir al­so die verbliebene Zeit.«

»Ich bin optimistischer«, gab Toras zu. Er wirkte heiter und gelassen, als sei eine große Bürde von seinen Schultern genommen wor­den. »Selbst wenn Buirkaeten zerplatzt, wer­den uns die Trümmerstücke nichts anhaben können.«

»Der größte Teil des Schwarms wird ber­sten«, erinnerte ihn Razamon ernst. »Aber wenn es der PERLAENER gelingt, den Trümmerstücken rechtzeitig auszuweichen, wird das Schiff zur Arche. Ihr werdet, da auch weibliche Besatzungsmitglieder an Bord sind, die Urahnen der Eripäer sein.«

Der Start verlief reibungslos, und zehn Minuten später war Buirkaeten nur noch der hellste Stern im Raum.

Sie wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu.

Die Daten sagten dem Laien nichts, aber Fraend schien offensichtlich zufrieden zu sein. Als seine von ihm selbst festgesetzte Frist von einer Stunde verstrichen war, rief er sein Schiff auf dem Raumhafen.

Zuhaertes nahm eine längst geplante Schaltung vor und stellte den direkten Kon­takt her. Razamon meldete sich:

»Hallo, Fraend. Läuft alles zur Zufrieden­heit?«

Der Wissenschaftler auf dem Bildschirm antwortete nicht sofort. Seine drei Augen waren vor Erstaunen weit aufgerissen, als er den Entführten in seinem Raumanzug und mit der Waffe an der Seite in einer ihm un­bekannten Bordzentrale sitzen sah. Es dauer­te lange Sekunden, ehe sein Verstand zu den richtigen Schlüssen kam.

»Sie haben dich also gefunden? Aber es ist zu spät, für euch und für mich. Wenn nun die prophezeite Katastrophe eintritt, so trage ich keine Schuld. Ich habe sie zu verhindern

versucht.« »Die ganze Schuld trifft dich allein!« gab

Razamon kalt zurück. »Auch meine Gefan­gennahme hätte nichts daran geändert. Du hättest vielleicht meine eigene Zukunft be­einflussen können, nicht jene deines Volkes. Sein Schicksal ist besiegelt.«

»Wir werden sehen.« »Du nicht mehr, Fraend. Du sitzt unmit­

telbar an der Quelle des Unheils. Keiner dei­ner Zapfplaneten wird heil bleiben. Zumin­dest das wirst du noch erleben, aber es wird das letzte Erlebnis deines Daseins werden.«

Fraends Gesicht verzerrte sich. »Wer hat dich befreit?« fragte er.

»Ich habe mich selbst befreit. Dein Wär­ter war leichtsinnig.«

»Du bist in einem anderen Schiff?« »Ich bin dort, wo alles begann«, sagte

Razamon nur. Zuhaertes schaltete ab, ehe er weiterspre­

chen konnte.

*

Experiment oder nicht, die PERLAENER flog auf dem beabsichtigten Kurs weiter und näherte sich jenen Koordinaten, bei denen sie den letzten Patrouillenflug beendet hatte. Es war der Sektor, in dem Razamon aufge­fischt worden war.

Toras' gelöste Heiterkeit war verschwun­den. Er wirkte wie ein Mann, der alles verlo­ren hatte. Mit verdüstertem Gesicht saß er zusammengesunken in seinem Sessel neben Razamon. Zuhaertes war mit den Kontrollen und Meßinstrumenten vollauf beschäftigt.

»Was hast du, Toras?« fragte Razamon besorgt. »Wir konnten nicht mehr tun. Dich trifft kein Vorwurf.«

»Das ist es nicht«, gab der Chef der Re­gierung zu, von dem die wenigsten gewußt hatten, daß er ihr vorstand. »Es ist die Tren­nung von dir. Sie bedeutet zugleich das En­de meines Volkes.«

»Nicht das endgültige«, erinnerte ihn Raz­amon sanft. »Außerdem steht nicht fest, daß ich in die Zukunft zurückkehre. Sicher, es ist

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wahrscheinlich, daß der Schock mich zu­rückschleudert. Mein Bein beginnt auch wieder zu schmerzen.«

Toras sah ihn verständnislos an. »Dein Bein schmerzt? Was hat das damit zu tun?«

Razamon seufzte, dann versuchte er, To-ras die ihm selbst unbekannten Zusammen­hänge zu erklären. Natürlich ohne Erfolg.

»Immerhin«, so schloß er, »ist der Schmerz das Anzeichen dafür, daß mir eine neuerliche Zeitversetzung bevorsteht. Ich bin sicher, daß der Dimensionsschock eine temporale Transition verursachen wird.«

»Ich werde mich über nichts mehr wun­dern, Razamon. Wenn es geschieht, ver­sprichst du mir dann etwas?«

»Selbstverständlich. Was?« »Kümmere dich um unsere Nachfahren,

die Eripäer.« In dieser Hinsicht konnte Razamon ihn

beruhigen. Sein eigenes Schicksal und das von Balduur, Atlan und Pthor hingen davon ab, daß die Eripäer den Krolocs widerstan­den.

Von den Kontrollen her sagte Zuhaertes: »Wir haben die Koordinaten erreicht. Re­

lativgeschwindigkeit beträgt nun Null. Fraend gab soeben bekannt, daß die abgelei­tete Energiemenge reichen müßte, die end­gültige Transition einzuleiten.«

»Es kann also jeden Augenblick passie­ren«, stellte Razamon nüchtern fest. »Laß mich aus dem Schiff.«

»Aus dem Schiff?« Zuhaertes starrte ihn verblüfft an. »Warum denn das nun wie­der?«

»Wir müssen genau den ehemaligen Zu­stand herstellen.«

»Es ist gefährlich …« »Was ist daran gefährlich? Behaltet mich

auf dem Bildschirm. Wenn nichts geschieht, holt mich wieder zurück.«

Er nahm bewegt Abschied von Toras und dem Kommandanten und ließ sich aus­schleusen. Eine Weile noch schwebte er scheinbar unbeweglich dicht neben dem Schiff, dann ließ ihn ein schwacher Schub davontreiben. In einiger Entfernung glich er

Clark Darlton

seine Geschwindigkeit wieder der des Schif­fes an. Über den Helmfunk fragte er:

»Gut so?« »Wir haben dich groß auf dem Bild­

schirm. Übrigens können wir erste Schock­wellen n-dimensionaler Natur registrieren. Die Sendungen Fraends sind ausgefallen. Nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören.«

»Fraend lebt schon nicht mehr«, sagte Razamon bitter. »Schade, denn nun sieht er nicht mehr, was er angerichtet hat. Der Tod kam zu schnell für ihn, viel zu schnell.«

»Du meinst …?« »Die Schockwellen sind überlichtschnell.

Sie stammen von den ersten geborstenen Planeten. Der Schmerz in meinem Bein wird stärker …«

»Und wann passiert es bei uns?« rief To-ras dazwischen.

Razamon holte tief Luft und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren.

»Ich sagte, daß die Schockwellen über­lichtschnell sind, denn sie bewegen sich be­reits in der nächsthöheren Dimension durch den Raum. Die Trümmerstücke der Planeten hingegen bleiben bei Unterlicht. Sie werden diesen Sektor erst später erreichen. Wie weit sind wir von Buirkaeten entfernt?«

»Gute sieben Lichtstunden«, gab Zuhaer­tes Auskunft. »Warte, ich schalte den Bild­schirm ein. Die Übertragungswellen sind überlichtschnell und …« Er verstummte plötzlich. Razamon ahnte, was der Kom­mandant sah.

»Und?« Ein Stöhnen war die Antwort, dann sagte

Zuhaertes mit gepreßter Stimme: »Buirkaeten … Buirkaeten ist geborsten.

Er ist einfach auseinandergeplatzt. Tausende von Asteroiden sind entstanden, die in alle Richtungen fliegen. Und Staubwolken. Das ist alles …«

»Alles Leben wurde vernichtet.« Raza­mon gab sich Mühe, Mitgefühl zu zeigen, aber welchen Sinn hatte das noch? Sie hat­ten alle gewußt, was geschehen würde. Der winzige Rest Hoffnung, den jeder heimlich

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in sich getragen hatte, war nun auch erlo­schen. »Aber es wird genügend Eshtoner ge­ben, die überlebten. Und Parasiten.«

»Was macht dein Bein?« fragte Toras. Das war typisch für ihn. Seine Heimat­

welt war zerstört worden, aber er dachte an das Bein des Freundes.

»Es ist noch auszuhalten, aber der Zug wird spürbar. Habt ihr mich noch auf dem Schirm?«

»Deutlich und gut sichtbar.« Zuhaertes mischte sich wieder ein und be­

richtete: »Die Schockwellen verraten, daß fast alle

Welten des Schwarms das Schicksal Buir­kaetens teilen. Sie kommen von allen Seiten mit unterschiedlicher Stärke. Außerdem be­stätigen die Fernorter das Verschwinden von Sonnen. Was hat das zu bedeuten?«

Razamon versuchte, den ziehenden Schmerz zu ignorieren. Dann sagte er:

»Die Sonnen gleiten zuerst in den Dimen­sionskorridor, nehme ich an. Außer der zu­geleiteten Energie besitzen sie noch ihre ei­gene, das beschleunigt den Vorgang. Die Trümmer der Planeten folgen später. Aber auch die Sterne bleiben nicht alle heil. Die meisten von ihnen sammeln sich in einem Sektor, den wir später ›Lichtung‹ nennen, die anderen verschwinden einfach. Viel­leicht in einer Dimension, die noch höher liegt und die für uns unerreichbar bleibt.«

»Wie sollen wir ohne Sonnen überleben?« »In der Lichtung, Freunde. Sucht die

Lichtung. Ihr werdet sie leicht finden. Der helle Schein durchdringt die kosmischen Staubwolken. Alle überlebenden Eshtoner müssen sich in ihr sammeln, bevor die Para­siten es tun. Und genauso wird es auch ge­schehen, denn ich weiß es.«

»Wenigstens ein Trost!« meinte Zuhaer­tes.

Razamon war froh, daß sie jetzt schwie­gen. Er wartete auf den Augenblick, in dem die PERLAENER transparent zu werden be­gann, aber noch geschah nichts dergleichen. Wenige hundert Meter neben ihm stand das Raupenschiff klar und deutlich im Raum, in

dem die Sterne erloschen waren. Aber das war mit bloßem Auge noch

nicht wahrzunehmen, denn das Licht brauchte seine Zeit, um diesen Sektor zu er­reichen. Sonnen, die längst nicht mehr in dieser Dimension vorhanden waren, spende­ten noch immer ihr Licht.

»He, Razamon!« Die Stimme von Toras war schreckerfüllt und voller Unglauben. »Razamon, deine Konturen verschwim­men!«

Razamon sah hinüber zur PERLAENER. Das Schiff begann sich ebenfalls zu ver­

ändern. Lag es vielleicht daran, daß es schon dabei war, in die fünfte Dimension zu glei­ten, oder war er es, Razamon, der in die an­dere Zeitebene hinüberwechselte?

»Der Abschied, Toras! Er ist da! Viel Glück …«

»… auch … nicht mehr … Zukunft …« Dann Schweigen. Die PERLAENER wurde unsichtbar.

8.

Razamon vergaß die Schmerzen im Bein, als er Zeuge der Vernichtung einer Kleinga­laxis wurde. Mit dem Wechsel in die fünfte Dimension begann zugleich die Zeit an ihm vorbeizurasen. Er stürzte in die Zukunft, aber diesmal verlor er nicht das Bewußtsein.

Er konnte sehen. Gleichzeitig mit den Sternen und bersten-

den Planeten ließ er Gegenwart und Vergan­genheit hinter sich. Im Korridor befanden sich schon andere Gegenstände und Körper, die er nicht identifizieren konnte. Sie kolli­dierten mit den Trümmerstücken des Schwarms und wurden wie diese in Staub­wolken verwandelt.

Sonnen rasten an ihm vorbei und verloren sich in der Ferne. Aber Razamon wußte, daß es nur die ungemein schneller vergehende Zeit war, die diesen Effekt verursachte.

Er fiel und fiel … Längst schon hatten die Zusammenstöße

aufgehört. In scheinbar geregelten Bahnen zogen Staubwolken und Asteroiden dahin,

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ohne Atmosphäre und ohne Leben. Und dann sah er die erste Flugscheibe der

Krolocs. Er hatte sein Ziel erreicht …

*

Balduur mußte hilflos zusehen, wie Raza­mons Konturen sich verwischten, sein Kör­per zu einem Schemen wurde und schließ­lich verschwand. Noch einmal hörte er in seinem Helm den gequälten Aufschrei des Freundes, der seinen Namen rief.

Dann war Stille. Um Balduur herum hatte sich nichts ver­

ändert. Weit vor ihm schimmerte die Lich­tung durch die Dämmerung des Dimensions­korridors, und immer noch zogen in einiger Entfernung die Felsbrocken vorbei.

Er hütete sich, Richtung oder Geschwin­digkeit zu verändern, denn er ahnte, daß Razamon möglicherweise an dieser Stelle plötzlich wieder auftauchen konnte.

Trotzdem sah Balduur keine andere Mög­lichkeit, als weiterhin der rettenden Lichtung zuzustreben. Nur dort war er in Sicherheit, wenn es im Dimensionskorridor überhaupt so etwas wie Sicherheit gab.

Er trieb auf eine ausgedehnte Wolke Me­teoritenstaub zu und wich ihr nicht aus.

Mehrere Minuten trieb er durch den Staub, der ihm seiner geringen Geschwin­digkeit wegen nichts anhaben konnte. Die Sichtweite betrug höchstens zweihundert Meter. Was weiter entfernt war, verlor sich wie in einem dichten Nebel.

Er hatte das Funkgerät im Helm nicht aus­geschaltet, denn noch war es nicht nötig, sparsam mit den Energievorräten umzuge­hen. Außerdem erschien ihm Razamons Ge­schichte mit dem Zeitklumpen reichlich phantastisch. Es mußte eine andere Erklä­rung für das Phänomen geben.

»Balduur? Bist du da?« Der Sohn Odins reagierte nicht sofort,

denn er mußte einem kleineren Asteroiden ausweichen, der genau auf seiner eigenen Flugbahn lag und mit dem er sonst unwei-

Clark Darlton

gerlich zusammengestoßen wäre. Aber als er Razamons Stimme das zweite Mal hörte, antwortete er:

»Wo steckst du denn? Ich glaube, du hast dir einen Scherz mit mir erlaubt. Wie kann man sich unsichtbar machen, was? Eine gute Scherzfrage.«

»Hinter mir ist eine dichte und ausge­dehnte Staubwolke. Vor mir schimmert die Lichtung.«

»Dann warte, bin gleich bei dir. Wird schon heller.«

Balduur war ärgerlich. Da hatte er sich wohl fünf Minuten lang echte Sorgen um Razamon gemacht, und nun tauchte der Bur­sche sogar noch ein Stück voraus wieder auf. Er mußte innerhalb der Wolke an ihm vorbeigeflogen sein.

Aber vorher …? War er da nicht vor seinen Augen unsicht­

bar geworden? Was für ein Trick! Er glitt aus der Wolke heraus und sah

Razamon keine hundert Meter vor sich schweben. Nichts an ihm hatte sich verän­dert. Er sah genauso aus wie vor fünf Minu­ten.

»Schön, Razamon, du hast deinen Spaß gehabt, wenn ich auch meine, daß die Zeit denkbar ungünstig für Späße ist. Wir werden jetzt beschleunigen, damit wir baldmöglichst die Lichtung erreichen.«

Razamon wartete, bis Balduur herange­kommen war. Er hakte das Seil ein, das sie verband.

»Wir bleiben jetzt besser zusammen, Bal­duur. Wieviel Zeit ist inzwischen vergan­gen?«

»Wieviel Zeit? Was meinst du?« »Wann bin ich verschwunden? Wie lange

ist das her?« Balduur räusperte sich vorwurfsvoll. »Das weißt du genausogut wie ich: kaum

fünf Minuten! Willst du mich noch weiter auf den Arm nehmen?«

Razamon schwieg eine Weile, dann be­gann er stockend zu berichten, was er inzwi­schen erlebt hatte. Balduur wollte ihn mehr­

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mals unterbrechen, kam aber nicht zu Wort. Schließlich gab er die Versuche auf und hör­te stumm zu, bis Razamon fertig war.

»Ist das alles?« fragte er dann lakonisch. Razamon seufzte. »Ich kann dich nicht zwingen, mir zu

glauben, außerdem habe ich mich in den vergangenen Tagen daran gewöhnt, auf Un­glauben zu stoßen. Wie lange brauchen wir noch bis zur Lichtung?«

»Wenn keine Krolocs auftauchen und wir die Geschwindigkeit erhöhen – ein paar Stunden vielleicht. Warum?«

»Weil ich Hunger habe.« »Gute Idee, ich nämlich auch. Wir haben

ja noch genügend Vorräte übrig.« In diesem Augenblick durchfuhr es Raza­

mon siedend heiß. Er hatte auf Buirkaeten alle Konzentrate aus dem Raumanzug ge­nommen und nach Perms Gifttod aus Furcht vor einem ähnlichen Anschlag verzehrt. Er besaß keinen Brocken mehr.

»Du mußt mir ein Päckchen durch die Ta­schenschleuse schieben.«

»Wieso denn das?« »Weil ich nichts mehr habe. Du vergißt,

daß ich einige Tage weg war.« Balduur brummte etwas Unverständliches

in seinen Helm, aber dann löste er das ho­

senähnliche Verbindungsstück und befestig­te es an Razamons Taschenschleuse. Als die Übergabe beendet war, meinte er:

»Sobald wir in Sicherheit sind, werde ich mich davon überzeugen, daß du mich nicht angelogen hast. Aber ich muß zugeben, daß deine Geschichte in manchen Punkten wahr­scheinlich klingt. Und weißt du auch wa­rum?«

»Keine Ahnung.« Balduur sagte langsam und mit einem

Tonfall, als sei er über sich selbst verwun­dert:

»Weil du plötzlich mindestens einen Zwei-Tage-Bart hast, deshalb.«

Razamon zerkaute den Konzentratwürfel und sah nach vorn.

Vor ihnen lag wieder eine dichte Wolke kosmischen Staubs. Vielleicht stammte er von Buirkaeten …

Das Leuchten der Lichtung dahinter war heller geworden.

Es war wie ein Hoffnungsschimmer.

ENDE

E N D E