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DAS SCHWARZE BARETT NR.42 25 von Siegfried F.Storbeck Festvortrag Jahrestreffen 2009 am 10.Oktober 2009 in Bad Honnef vor der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuz- träger Traditionsgemeinschaft des Ei- sernen Kreuzes. Der Originaltext des Vortrages liegt der Redaktion vor und kann Interessenten zur Verfügung ge- stellt werden. „Politik und die Ethik des Soldaten“ Gedanken zum Soldatsein im Wechsel unserer Geschichte. Alle Rechte der Veröffentlichung liegen beim Verfasser I. V or 70 Jahren gingen junge Soldaten der Wehrmacht voller Idealismus und Vertrauen in seine politische Notwendigkeit in den Krieg. Er endete als 2.Weltkrieg mit 60 Millionen Toten: Zivil- bevölkerung, die dem Terror des Krieges und der Kriegsverbrechen ausgeliefert war; Juden und Menschen im Widerstand, die ermordet wurden und Soldaten, die für ihre Vaterländer tapfer und gehorsam kämpf- ten, fielen oder als Kriegsgefangene star- ben. Die oberste Wehrmachtsführung duldete die expansive Kriegsplanung und -führung Hitlers und schwieg zu den Verbrechen an Juden, Zivilisten in den besetzten Ländern und sowjeti- schen Kriegsgefangenen. Die- se historische Tatsache begründet die Tra- ditionsunwürdigkeit der Wehrmacht für die Bundeswehr, die dazu sagt: „Die Ge- schichte deutscher Streitkräfte hat sich nicht ohne tiefe Einbrüche entwickelt. In den Natio- nalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht.“ Die ohne persönliche Schuld gebliebene Mehrheit der Soldaten der Wehrmacht und Waffen-SS trägt bis heute als Letzte ihrer Generation die Last der Mitverantwortung für diesen politisch gewollten Krieg und die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die- se Soldaten-Generation tritt nun ab. Im Wissen um unsere jüngste Geschichte füh- le ich mich dieser Mehrheit menschlich und als Soldat verbunden – auch, weil ich das Ausblenden und Wegdenken ihres anstän- digen Soldatseins im 2.Weltkrieg nicht ver- stehe. Sie vertraute den Grundwerten sol- datischer Ethik. Sie folgte ihrem Eid und dem militärischen Befehl, weil ihre soldati- sche Erziehung und Ausbildung, ihr Patri- otismus und ihr Vertrauen in das rechtmä- ßige Handeln der politischen und militäri- schen Führung es nicht anders zuließen. Auch der idealistische Glauben und das soldatische Elitedenken vieler junger Solda- ten der Waffen-SS sind so erklärbar. Im späten Bekennen von Günter Grass zu sei- ner Waffen-SS-Zugehörigkeit wird es bei- spielhaft deutlich. Alexander Stahlberg nannte es „Die verdammte Pflicht“. Ihr soldatisches Können, ihre Tapferkeit und Kameradschaft wurden Vorbild. Die inter- nationale Miltärliteratur und meine Erfah- rungen aus Gesprächen mit NATO-Kame- raden, die einst Gegner waren, bestätigen es. Eisernes Kreuz und Ritterkreuz sind auch für sie anerkannte Auszeichnungen für persönlichen Mut und Tapferkeit. Ich hätte mir gewünscht, dass die Redner bei der würdigen Einweihung des “Ehren- mals der Bundeswehr“ im September mit wenigen Worten auch dieser Mehrheit ge- dacht hätten. Deren soldatische Ideale po- litisch missbraucht wurde und für die im Krieg einer verbrecherischen Diktatur an- ständiges Soldatsein Pflicht war. Die nach Rückkehr aus der Gefangenschaft unser geteiltes und zerstörtes Land wieder mit aufbauten; von denen viele nur 10 Jahre nach Kriegsende Entscheidendes zur Kon- zeption und zum Aufbau der Bundeswehr beitrugen. Die Namen Baudissin, de Mai- zière und Kielmannsegg und vorbildliche ehemalige Unteroffiziere und Offiziere als Führer und Ausbilder in der jungen Trup- pe stehen dafür. Unter dem Grundgesetz und mit dem Soldatengesetz, mit dem neuen Konzept der Inneren Führung und des Staatsbürger in Uniform entwickelten sie mit der politischen Führung eine in der NATO schnell anerkannte Bundeswehr als erste Wehrpflichtarmee unserer zweiten deutschen Demokratie. Man hätte in Ber- lin dieser Soldatengeneration vor ihrem Abgang und über die Trennlinie der insti- tutionellen Traditionsunwürdigkeit der Wehrmacht hinweg die Hand zu einem letzten Verstehen reichen können. Es wäre unserer Geschichte und christlichen Kultur, aber auch der soldatischen Kameradschaft würdig gewesen, ohne damit die Schuld der Verbrechen unter dem Diktat des National- sozialismus in Frage zu stellen. II. Wo liegen die Gründe für das Unvermögen der obersten Wehrmachts-Generalität, sich dem Missbrauch der ihr anvertrauten Ar- mee für eine expansive und dann verbreche- rische Kriegsplanung rechtzeitig zu wider- setzen? Wie ihre Vorgänger war sie der sol- datischen Ethik, den Regeln des Kriegs- und Völkerrechts verpflichtet. Ihre Eides- leistung auf Hitler als politischen Führer und obersten Befehlshaber entband sie als Eliten und Vorbilder für die Truppe nicht von ihrer moralischen Verantwortung. Un- sere ab 1650 beginnende preußisch-deut- sche Militärgeschichte ist mit den Namen hervorragender Soldaten verbunden, de- nen wir in der Wehrmacht wieder begegnen. Friderizianische und wilhelminische Zeit kennen viele Beispiele soldatischer Zivilcou- rage gegen königliche Feldherren und deren politische und militärische Autorität. Von ihnen führt eine geistige Linie bis zu Gene- raloberst Ludwig Beck, 1935 Chef des Ge- neralstabs des Heeres, der schon früh seine Bedenken gegen Hitlers Kriegspläne deut- lich machte. Und weiter zu den Männern und Frauen des zivilen und militär- ischen Widerstands: Von Moltke, von Stauffen- berg; von Tresckow und deren Kameraden; zu den Truppenführern, die Hitlers Durch- haltebefehlen widersprachen, die völker- rechtswidrige Durchführung des „Kom- ETHIK DES SOLDATEN

„Politik und die Ethik des Soldaten“ · für diesen politisch gewollten Krieg und die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die-se Soldaten-Generation tritt nun ab. Im Wissen um

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DAS SCHWARZE BARETT NR.42 2 5

von Siegfried F.Storbeck

Festvortrag Jahrestreffen 2009 am10.Oktober 2009 in Bad Honnef vor derOrdensgemeinschaft der Ritterkreuz-träger Traditionsgemeinschaft des Ei-sernen Kreuzes. Der Originaltext desVortrages liegt der Redaktion vor undkann Interessenten zur Verfügung ge-stellt werden.

„Politik und die Ethik des Soldaten“Gedanken zum Soldatsein im Wechsel unserer Geschichte.

Alle Rechte der Veröffentlichung liegen beim Verfasser

I.

Vor 70 Jahren gingen junge Soldatender Wehrmacht voller Idealismusund Vertrauen in seine politische

Notwendigkeit in den Krieg. Er endete als2.Weltkrieg mit 60 Millionen Toten: Zivil-bevölkerung, die dem Terror des Kriegesund der Kriegsverbrechen ausgeliefert war;Juden und Menschen im Widerstand, dieermordet wurden und Soldaten, die für ihreVaterländer tapfer und gehorsam kämpf-ten, fielen oder als Kriegsgefangene star-ben.

Die oberste Wehrmachtsführung duldetedie expansive Kriegsplanung und -führungHitlers und schwieg zu den Verbrechen anJuden, Zivilisten in den besetzten Ländernund sowjeti- schen Kriegsgefangenen. Die-se historische Tatsache begründet die Tra-ditionsunwürdigkeit der Wehrmacht fürdie Bundeswehr, die dazu sagt: „Die Ge-schichte deutscher Streitkräfte hat sich nicht

ohne tiefe Einbrüche entwickelt. In den Natio-nalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaftverstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht.“Die ohne persönliche Schuld gebliebeneMehrheit der Soldaten der Wehrmacht undWaffen-SS trägt bis heute als Letzte ihrerGeneration die Last der Mitverantwortungfür diesen politisch gewollten Krieg und dieVerbrechen des Nationalsozialismus. Die-se Soldaten-Generation tritt nun ab. ImWissen um unsere jüngste Geschichte füh-le ich mich dieser Mehrheit menschlich undals Soldat verbunden – auch, weil ich dasAusblenden und Wegdenken ihres anstän-digen Soldatseins im 2.Weltkrieg nicht ver-stehe. Sie vertraute den Grundwerten sol-datischer Ethik. Sie folgte ihrem Eid unddem militärischen Befehl, weil ihre soldati-sche Erziehung und Ausbildung, ihr Patri-otismus und ihr Vertrauen in das rechtmä-ßige Handeln der politischen und militäri-schen Führung es nicht anders zuließen.Auch der idealistische Glauben und dassoldatische Elitedenken vieler junger Solda-ten der Waffen-SS sind so erklärbar. Imspäten Bekennen von Günter Grass zu sei-ner Waffen-SS-Zugehörigkeit wird es bei-spielhaft deutlich. Alexander Stahlbergnannte es „Die verdammte Pflicht“. Ihrsoldatisches Können, ihre Tapferkeit undKameradschaft wurden Vorbild. Die inter-nationale Miltärliteratur und meine Erfah-rungen aus Gesprächen mit NATO-Kame-raden, die einst Gegner waren, bestätigenes. Eisernes Kreuz und Ritterkreuz sindauch für sie anerkannte Auszeichnungenfür persönlichen Mut und Tapferkeit.

Ich hätte mir gewünscht, dass die Rednerbei der würdigen Einweihung des “Ehren-mals der Bundeswehr“ im September mitwenigen Worten auch dieser Mehrheit ge-dacht hätten. Deren soldatische Ideale po-litisch missbraucht wurde und für die imKrieg einer verbrecherischen Diktatur an-ständiges Soldatsein Pflicht war. Die nachRückkehr aus der Gefangenschaft unsergeteiltes und zerstörtes Land wieder mitaufbauten; von denen viele nur 10 Jahrenach Kriegsende Entscheidendes zur Kon-zeption und zum Aufbau der Bundeswehrbeitrugen. Die Namen Baudissin, de Mai-zière und Kielmannsegg und vorbildliche

ehemalige Unteroffiziere und Offiziere alsFührer und Ausbilder in der jungen Trup-pe stehen dafür. Unter dem Grundgesetzund mit dem Soldatengesetz, mit demneuen Konzept der Inneren Führung unddes Staatsbürger in Uniform entwickeltensie mit der politischen Führung eine in derNATO schnell anerkannte Bundeswehr alserste Wehrpflichtarmee unserer zweitendeutschen Demokratie. Man hätte in Ber-lin dieser Soldatengeneration vor ihremAbgang und über die Trennlinie der insti-tutionellen Traditionsunwürdigkeit derWehrmacht hinweg die Hand zu einemletzten Verstehen reichen können. Es wäreunserer Geschichte und christlichen Kultur,aber auch der soldatischen Kameradschaftwürdig gewesen, ohne damit die Schuld derVerbrechen unter dem Diktat des National-sozialismus in Frage zu stellen.

II.Wo liegen die Gründe für das Unvermögender obersten Wehrmachts-Generalität, sichdem Missbrauch der ihr anvertrauten Ar-mee für eine expansive und dann verbreche-rische Kriegsplanung rechtzeitig zu wider-setzen? Wie ihre Vorgänger war sie der sol-datischen Ethik, den Regeln des Kriegs-und Völkerrechts verpflichtet. Ihre Eides-leistung auf Hitler als politischen Führerund obersten Befehlshaber entband sie alsEliten und Vorbilder für die Truppe nichtvon ihrer moralischen Verantwortung. Un-sere ab 1650 beginnende preußisch-deut-sche Militärgeschichte ist mit den Namenhervorragender Soldaten verbunden, de-nen wir in der Wehrmacht wieder begegnen.Friderizianische und wilhelminische Zeitkennen viele Beispiele soldatischer Zivilcou-rage gegen königliche Feldherren und derenpolitische und militärische Autorität. Vonihnen führt eine geistige Linie bis zu Gene-raloberst Ludwig Beck, 1935 Chef des Ge-neralstabs des Heeres, der schon früh seineBedenken gegen Hitlers Kriegspläne deut-lich machte. Und weiter zu den Männernund Frauen des zivilen und militär- ischenWiderstands: Von Moltke, von Stauffen-berg; von Tresckow und deren Kameraden;zu den Truppenführern, die Hitlers Durch-haltebefehlen widersprachen, die völker-rechtswidrige Durchführung des „Kom-

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missarbefehls“ im Russlandfeldzug igno-rierten und zu den Soldaten, die verbreche-rische Befehle verweigerten. Beck trat 1938zurück, ging in den Widerstand und wur-de am 20. Juli nach versuchtem Freitod alserster erschossen.

Auch wenn der politisch-diktatorische Pri-mat Hitlers fordernder und gefährlicherwar, als jeder staatliche Loyalitätsanspruchzuvor – wo blieb die Rückbesinnung un-serer militärischen Eliten auf unsere natio-nale, christliche Kultur, auf Ehre und Wür-de, auf die sittlichen Vorbilder in unsererGeschichte, die sie ebenso hätten sein müs-sen? Diese Mitschuld verdeutlicht zugleichden Missbrauch loyaler Staatstreue des Sol-daten durch Hitler. Zu allen Zeiten, in allenLändern fordert der Eid den loyalen Ge-horsam des Soldaten gegenüber dem Staat.Seit dem 17.Jh. vertraute der Soldat darauf,dass die christliche Moral und ein soldati-scher Ehrenkodex im Felde beachtet wur-den. Doch immer kam es besonders aufdas persönliche Ehrbewusstsein besondersdes Offiziers als Führer und Vorbild an.Wir ahnen aus den Aufzeichnungen derOffiziere des Widerstandes gegen Hitler,wie schwer ihnen der Bruch ihrer Eides-pflicht, der Hochverrat und damit der Aus-tritt aus der soldatisch- en Kameradschaftwurde. Mit dem allmählichen Erkennen dermoralischen Verkommenheit Hitlers undseiner Gefolgschaft forderte ihnen ihrechristliche Erziehung und soldatischeEthik diese Entscheidung ab. Es ging nichtzuletzt um die moralische Integrität desSoldatseins.

Stärker als je zuvor wissen wir heute, dasssich alles politische und soldatische Denkenund Handeln an den Normen des Rechts-staats und völkerrechtlicher und humanitä-rer Konventionen orientieren müssen.Unser demokratischer Primat der Politikkann für seine sicherheitspolitischen Ent-scheidungen, Loyalität, Gehorsam undKönnen seiner Soldaten nur unter dieserPrämisse einfordern. Doch wir wissen auch,dass die Durchsetzung und das Handelnnach moralischen Werten immer wiederabhängig ist von der Zivilcourage, demMut Einzelner, die so Vorbild und Wegbe-reiter für die Schwächeren und Gleichgülti-gen werden.

III.Wir haben diese Vorbilder in unserer Ge-schichte. Christopher Duffy, englischer Mi-litärhistoriker, belegt an Beispielen aus derfriderizianischen Zeit den Wertekanon despreußischen Offizierkorps und seines Kö-

nigs: Der Kavalleriegeneral von Seydlitzverweigerte 1758 in der Schlacht bei Zorn-dorf aus besserer taktischer Einsicht denköniglichen Befehl zur Attacke mit denWorten:“Sagen sie dem König , nach der Schlacht steheihm mein Kopf zu Befehl, in der Schlacht abermöge er mir noch erlauben, dass ich davon für sei-nen Dienst guten Gebrauch mache.“ Und wei-ter „Die preußischen Offiziere, so rasch bei derHand, wenn es galt, auf königliches Geheiß Le-ben, Gesundheit und Freiheit zu opfern, behiel-ten trotz allem ein Gefühl von Eigenwürde undGemeinschaftsgeist bei, die der König nicht zubeeinflussen mochte. Im Siebenjährigen Kriegbestärkte es sie in ihrer gemeinschaftlichen Wei-gerung, das auszuführen, was gemessen an Maß-stäben des 20. Jahrhunderts im Krieg eine höchstalltägliche Sache ist, damals aber als Gräueltatgalt: Die Zerstörung und Verwüstung königli-cher Schlösser in Sachsen. Jeder Offizier der re-gulären Armee, den der König beauftragte, ver-weigerte ohne zu zögern den Gehorsam und er-klärte sich bereit die Konsequenzen dafür auf sichzu nehmen. Oberstleutnant von Saldern fasste esangesichts des Königs in die Worte: “Eure Ma-jestät schicken mich, stehenden Fußes den Feindund seine Batterien anzugreifen, so werde ichherzhaft gehorchen; aber wider Ehre, Eid undPflicht kann ich nicht, darf ich nicht.“ FürMänner dieses Schlages „war Loyalität gegen-über dem Monarchen Teil ihres Verhaltensko-dex, aber nicht bis zur Selbstverleugnung. Ehrewar ein Gut, das sie bei sich trugen und nicht et-was, was sie jemand anderem zur Aufbewahrunganvertrauten. Hier lag ein wesentlicher Unter-schied in der ethischen Einstellung eines frideri-zianischen zu der eines SS-Offiziers, für dengemäß dem Wahlspruch seiner Organisation„Unsere Ehre heißt Treue“ die beiden Begriffeidentisch waren“.

Auf dem Grabstein des GeneralmajorsJohann Friedrich von der Marwitz steht„Er wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehrebrachte“. Als Kommandeur des „Garde-Regiments Gensdarmes“ hatte auch er ei-nen Plünderungsbefehl verweigert.Nach der Niederlage Preußens gegen Napo-leon entwickelten unter König Wilhelm III.die preußischen Reformer von Stein, Har-denberg, Scharnhorst, Gneisenau, Boyen,Grolman und Clausewitz das Konzept derWehrpflicht im Rahmen einer fortschrittli-chen Reorganisation der Armee. Das hattemaßgeblichen Anteil an der patriotischenVolksstimmung und dem späteren Siegüber Napoleon. Ludwig Yorck von Warten-burg schloss am 30. Dezember 1812 alsKommandeur des preußischen Hilfskorpsder „Grande Armée“ politisch eigenmäch-

tig mit den Russen die Konvention vonTauroggen und ermöglichte so 1813 dieBildung der ostpreußischen Landwehr.Carl von Clausewitz erkannte in seiner Ab-handlung „Vom Kriege“, bei der Untersu-chung des Verhältnisses von Politik undKrieg, dessen politischen Instrumentalcha-rakter und die Unterordnung des Militärsunter die Politik. Gegen starken Wider-stand des Adels wurde dem Bürgertum derZugang zum Offizierkorps geöffnet. Clau-sewitz verlangte:“Militärisches Führertum be-ruht nicht auf rationalem Kalkül, spezialisier-tem Fachwissen und technischer Routine, sondernauf hoher Geistigkeit, vereint mit Charakterund Seelenstärke.“

Der Widerstandskämpfer Oberst Henningvon Tresckow gab seinen Söhnen 1943 beiihrer Konfirmation in der GarnisonkirchePotsdam folgendes mit auf ihren Lebens-weg: „Es (das Preußentum) birgt eine großeVerpflichtung in sich, die Verpflichtung zurWahrheit, zur innerlichen und äußerlichen Dis-ziplin, zur Pflichterfüllung. Aber man sollniemals von Preußen sprechen, ohne darauf hin-zuweisen, dass es sich damit nicht erschöpft. Eswird oft missverstanden. Vom wahren Preußentumist der Begriff der Freiheit niemals zu trennen.Wahres Preußentum heißt Synthese zwischenBindung und Freiheit… Ohne diese Verbindungläuft es Gefahr, zu seelenlosem Kommiss undengherziger Rechthaberei herab zu sinken. Nurin der Synthese liegt die deutsche und europäischeAufgabe des Preußentums, liegt der preußischeTraum.“

Der Portalspruch der HauptkadettenanstaltBerlin-Lichterfelde lautete:“Der preußischeGehorsam ist der einer freien Entscheidung,nicht der einer unterwürfigen Dienstwilligkeit.“Hitler setzte die soldatischen Tugenden fürseine Ziele rhetorisch immer wieder ge-schickt ein.Das aus seiner Militärgeschichte über Jahr-hunderte gewachsene Vertrauen des Volkesund seiner Soldaten in die Moral seinerpolitischen Führer und die daraus geübteLoyalität wurden so über lange Zeit ge-täuscht. Als das moralische Versagen undder Missbrauch durch den Nationalsozia-lismus immer deutlicher wurden, kämpfteder Soldat vor den eigenen Grenzen umsein Vaterland. Soldatische Loyalität undGehorsam, Vertrauen in die Politik warenda bereits zur politischen Mitschuld gewor-den.

IV.Die Bundeswehr hat den Primat der Poli-tik nach Clausewitz verstanden. In das Sol-datengesetz wurden die soldatischen Tu-

INNERE FÜHRUNG

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genden übernommen, die ihr Missbrauchnicht entwerten konnte und nach denen derSoldat nicht erst seit heute denken und han-deln muss: Treue, Tapferkeit, Gehorsam, Ka-meradschaft, Wahrhaftigkeit, Verschwiegenheit,zu der auch die Bescheidenheit gehört und dasVorbild in charakterlicher Haltung und fachli-cher Leistung besonders jedes Vorgesetzten mitseiner ständigen Fürsorge für die Mannschaft.Im Kontext mit der Inneren Führung undals Staatsbürger in Uniform hat unsereBundeswehr Anspruch auf nationales undpolitisches Vertrauen. Sie dient bescheidenund unter Einsatz von Leben und Gesund-heit ihrer Soldaten und Soldatinnen. Bun-despräsident Köhler mahnte zu Recht, dassunser Volk sich stärker mit der Bundes-wehr und ihrer Aufgabe identifizieren soll-te. Und Bundeskanzler Kohl beklagteschon früher den Verlust des Patriotismus,zu dem auch die Verbundenheit mit derArmee gehört. Unsere jüngste Geschichtemit ihren Lehren und die Hinwendung zuEuropa dürfen unsere ganze Geschichte,ihre daraus entwickelten Werte, und unserenationale Tradition nicht verdrängen. Wirlaufen sonst Gefahr, unsere Fähigkeit zumPatriotismus zu verlieren. Er aber ist gera-de in der Demokratie über alle parteipoliti-schen Grenzen hinweg die notwendigeKraft für das Einstehen für unser Land,unseren Staat und das Handeln nach vornmit gleichgesinnten Partnern.

Die Politik muss dafür Klarheit und Trans-parenz ihres politischen Auftrages an dieArmee schaffen, damit das Volk ihn verste-hen kann. Und Politik und Soldat müssenunter neuen globalen Voraussetzungenund Kriegsszenarien enger zusammenar-beiten, um historisch bedingtes, gegensei-tiges latentes Misstrauen, auch gegenübermilitärischem Führungsdenken, weiter ab-zubauen.Auch für unsere Söhne und Töchter alsSoldaten gelten die Werte anständigen Sol-datseins. Im Krieg in Afghanistan gehörenHass, Vernichtungswillen und mörderischeHeimtücke unter Einbeziehung unschuldi-ger Zivilbevölkerung zur hinterhältigenTaktik der Taliban. Dieser Bruch sämtlicherKonventionen durch den Gegner wird fürunsere Soldaten und ihre Führung nichtnur zur harten Prüfung ihres Könnens undihrer Tapferkeit, sondern auch ihrer morali-schen Festigkeit.

V.Die nun gehenden letzten Soldaten derWehrmacht haben im Einsatz an vielenFronten bis zum bitteren Ende des 2. Welt-krieges erfahren, welches Maß an morali-scher Kraft und persönlichem Mut für einanständiges Soldatsein jedem Soldaten undbesonders dem militärischen Führer abver-langt werden. Jeder, der diese Prüfung vordem Feind, sich selbst und seinen Kamera-

General der Panzertruppen a.D. Nehring mitGenralmajor Guderian, General der Kampftruppen,beim Abschreiten der Front anlässlich desVolkstrauertages 1973 an der Panzertruppenschulein Munster. Generalmajor Guderian, Sohn desGeneraloberst Heinz Guderian, Schöpfer derdeutschen Panzerwaffe, hat als hochdekorierterWehrmachtsoffizier maßgeblich die Panzertruppe derBundeswehr mit aufgebaut.

Siegfried F. StorbeckGeneralleutnant a.D.

Militärischer WerdegangGeboren am 25.11.1932 in Berlinverheiratet, 3 KinderJanuar 1956 Eintritt Bundeswehr1.OffzAnwärter-Lehrgang in Andernach,Zugführer im PzBtl 13, Flensburg,FmOffz, S2/S1 Offz und KpChef PzBtl 183,Boostedt,1964 Generalstabsausbildung FüAkBw, Hambgdanach Attachégehilfe in London/ GB1968 G1 6.PzGrenDiv in Neumünster,1969 G3 6.PzGrenDiv,1970 Kommandeur PzBtl 183, Boostedt,danach Hilfsreferent Führungsstab d. Heeres,1973 Adjutant Stellv. Generalinspekteur,1975 Heeresattaché in Washington/USA,1978 Kdr PzBrig 36, Bad Mergentheim1980 Stabsabteilungsleiter IV (Organisation) im Führungsstab des Heeres,1983 General der Kampftruppen Heeresamt,1984 Kommandeur 12. Panzerdivision,1986 Chef des Stabes Führungsstab der Streitkräfte im BMVG1987 Stellvertreter des Generalinspekteurs Bw1991 Ruhestand

den bestanden hat, ist nicht mehr abhän-gig von äußerlichen Ehrungen und Aner-kennungen. Er steht mit seinem Charakter,seiner Würde und Ehre für sich und ist sostilles Beispiel für die Jüngeren – zusam-men mit den vorbildlichen Soldaten inunserer Militärgeschichte, die ihre soldati-sche Ethik über den unehrenhaften Gehor-sam stellten.

Siegfried F. Storbeck

ETHIK DES SOLDATEN