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27 1 Aquarellmalerei ist etwas Wunderbares! In diesem Kapitel Grundlagen der Aquarellmalerei verstehen Mythos und Wahrheit über Aquarellmalerei voneinander trennen Grundlegende Elemente der Kunst untersuchen Das erste Projekt in Angriff nehmen J ede Farbe basiert auf Pigmenten. Zur Anfertigung eines Aquarellbildes geben Sie diesen Pigmenten Wasser bei und tragen die Mischung mit einem Pinsel aufs Papier auf. So einfach ist das. Und Malen ist etwas Gutes. Ihr Blutdruck sinkt, Ihr Gehirn wird angeregt, Ihre Gedanken sind aktiv und Ihr Körper ist gefordert. Es liegt an Ihnen, Ihrer künstlerischen Berufung Ausdruck zu verleihen. Tun Sie es, so haben Sie in vielerlei Hinsicht Vorteil davon. Zwei der wichtigsten Dinge, die Sie nicht vergessen sollten, wenn Sie Aquarellmaler werden, sind die, Luft zu holen und Spaß zu haben. Luft holen? Jawohl, wenn Sie sich so schwer konzentrieren, wie Sie es beim Malen tun werden, halten Sie die Luft an. Atmen Sie! Und haben Sie Spaß. Kunst tendiert dazu, pedantisch, prätentiös und kopflastig zu werden. Lassen Sie die Kunstsnobs für den Moment außer Acht! Haben Sie Spaß, genießen Sie die Farben, ihr Zusammenspiel und das Ergebnis. Behalten Sie im Hinterkopf, dass es nur Papier ist und dass Sie einiges an Papier verschwenden müssen, um Kunst hervorzubringen. In diesem Kapitel entdecken Sie das Zusammenspiel der Aquarellfarben, entwickeln ein Ver- ständnis ihrer Eigenschaften, erhalten einen raschen Überblick über den Bildaufbau, einige Ideen davon, was zu malen ist, und tragen dann etwas Farbe für ein schnelles Projekt auf. Aquarellfarbe schätzen lernen Aquarellfarbe hat ihr eigenes Leben. Wenn Sie Farbe auf Aquarellpapier auftragen, setzt sie sich in Bewegung. Geben Sie daraufhin weitere Farbe oder weiteres Wasser hinzu, reagiert die Aquarellfarbe und wirbelt umher. Aquarellmalerei ist ein Tanz; sie ist eine Beziehung zwischen Farbe und Künstler. Wenn Sie Aquarellfarbe aufs Papier bringen, können Sie alles in der Welt geschehen lassen. Abbildung 1.1 zeigt eines der letzten von mir angefertigten Gemälde. Um fair zu sein, sollte ich Ihnen wahrscheinlich eines meiner ersten Bilder zeigen, die ich je malte, aber ich erspare Ihnen die dürftigen Anfänge. Vermutlich war es ein Bild mit Fingerfarbe an der Wand. Aber vertrauen Sie mir: So schlecht Ihr Start auch sein mag, meiner war wesentlich schlechter. Aber c01.indd 27 13.05.2009 11:41:44 Uhr

Aquarellmalerei ist etwas Wunderbares! 1

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1 ➤ Aquarellmalerei ist etwas Wunderbares!

1Aquarellmalerei ist etwas Wunderbares!In diesem Kapitel

Grundlagen der Aquarellmalerei verstehen

Mythos und Wahrheit über Aquarellmalerei voneinander trennen

Grundlegende Elemente der Kunst untersuchen

Das erste Projekt in Angriff nehmen

J ede Farbe basiert auf Pigmenten. Zur Anfertigung eines Aquarellbildes geben Sie diesen Pigmenten Wasser bei und tragen die Mischung mit einem Pinsel aufs Papier auf. So einfach

ist das.

Und Malen ist etwas Gutes. Ihr Blutdruck sinkt, Ihr Gehirn wird angeregt, Ihre Gedanken sind aktiv und Ihr Körper ist gefordert. Es liegt an Ihnen, Ihrer künstlerischen Berufung Ausdruck zu verleihen. Tun Sie es, so haben Sie in vielerlei Hinsicht Vorteil davon.

Zwei der wichtigsten Dinge, die Sie nicht vergessen sollten, wenn Sie Aquarellmaler werden, sind die, Luft zu holen und Spaß zu haben. Luft holen? Jawohl, wenn Sie sich so schwer konzentrieren, wie Sie es beim Malen tun werden, halten Sie die Luft an. Atmen Sie! Und haben Sie Spaß. Kunst tendiert dazu, pedantisch, prätentiös und kopflastig zu werden. Lassen Sie die Kunstsnobs für den Moment außer Acht! Haben Sie Spaß, genießen Sie die Farben, ihr Zusammenspiel und das Ergebnis. Behalten Sie im Hinterkopf, dass es nur Papier ist und dass Sie einiges an Papier verschwenden müssen, um Kunst hervorzubringen.

In diesem Kapitel entdecken Sie das Zusammenspiel der Aquarellfarben, entwickeln ein Ver-ständnis ihrer Eigenschaften, erhalten einen raschen Überblick über den Bildaufbau, einige Ideen davon, was zu malen ist, und tragen dann etwas Farbe für ein schnelles Projekt auf.

Aquarellfarbe schätzen lernenAquarellfarbe hat ihr eigenes Leben. Wenn Sie Farbe auf Aquarellpapier auftragen, setzt sie sich in Bewegung. Geben Sie daraufhin weitere Farbe oder weiteres Wasser hinzu, reagiert die Aquarellfarbe und wirbelt umher. Aquarellmalerei ist ein Tanz; sie ist eine Beziehung zwischen Farbe und Künstler.

Wenn Sie Aquarellfarbe aufs Papier bringen, können Sie alles in der Welt geschehen lassen. Abbildung 1.1 zeigt eines der letzten von mir angefertigten Gemälde. Um fair zu sein, sollte ich Ihnen wahrscheinlich eines meiner ersten Bilder zeigen, die ich je malte, aber ich erspare Ihnen die dürftigen Anfänge. Vermutlich war es ein Bild mit Fingerfarbe an der Wand. Aber vertrauen Sie mir: So schlecht Ihr Start auch sein mag, meiner war wesentlich schlechter. Aber

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ich wollte halt unbedingt malen, so dass ich bei der Stange blieb. Ich habe mich mit Aquarell-malerei beschäftigt, so lange ich zurückdenken kann. Ich bemühe mich immer noch darum, ein großes Gemälde zu erschaffen. Aber es ist ein erfreuliches Bemühen.

Abbildung 1.1: Eines meiner neuesten Aquarellbilder

Transparent-Aquarellmalerei möchte ich Ihnen beibringen. Meiner Ansicht nach handelt es sich hierbei um Aquarellmalerei in Vollendung. Dünne, transparente Schichten von Farbe werden auf weißes, handgeschöpftes Papier mit hohem Hadernanteil aufgebracht. Das Licht kann diese Farbschichten durchdringen und wird vom Weiß des Papiers zum Betrachter zu-rückgeworfen. Das Resultat ist ein Aquarellgemälde, das glänzt und funkelt.

Malerei mit deckenden Farben wird Gouache genannt. Der Aquarellfarbe wird Chinesisch Weiß hinzugefügt, damit ein deckendes (undurchsichtiges) Gouachebild entsteht. Acrylfarbe ist gleichfalls ein deckendes, wasserlösliches Medium. Alle diese Farben lassen sich nebeneinan-der verwenden. Der große Unterschied besteht darin, dass Aquarell- und Gouachefarben nach dem Trocknen erneut Wasser aufnehmen und verschoben werden können. Acrylfarbe ist wie Kunststoff und nimmt kein Wasser mehr auf. Nach dem Trocknen bleibt sie auf der Palette oder dem Bild an Ort und Stelle, und man kann sie nicht schichtweise übermalen. Dieses Medium hebe ich mir für ein anderes Buch auf.

Welche Aspekte machen die Aquarellmalerei für einen Künstler so anziehend? Welcher Mythos lässt einen Künstler vor Aquarellmalerei zurückschrecken? Es gibt viele Schauergeschichten und Fehlinformationen in dieser Hinsicht, aber Aquarellmalerei ist

4 Permanent: Aquarellbilder sind ein dauerhaft. Weil man aber damit auf Papier arbeitet, ist es scheinbar weniger substanziell als ein Werk auf Leinwand. Aber gutes Qualitätspapier besteht zu 100% aus Papier mit hohem Hadernanteil, z. B. Baumwollfasern. In ägyptischen Gräbern hat man solches Papier, 1000 Jahre alt, gefunden.

Aquarellfarbe besitzt außerdem den Ruf, nicht lichtecht zu sein. Und obwohl es stimmt, dass Aquarellgemälde alter Meister oft in den Schubladen der Museen zwischen schwarzem

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Archivpapier aufbewahrt werden, damit sie nicht dem Licht ausgesetzt sind, lautet die gute Nachricht, dass dank der heutigen Technologie und Chemie die Farbpigmente lichtbestän-diger denn je sind. Gegenwärtige Aquarellfarben werden eine sehr lange Zeit überdauern.

4 Transportabel: Aquarellmalerei ist ein transportables Medium. Papier, Farbe, Pinsel und etwas Wasser – mehr brauchen Sie nicht, um ans Werk zu gehen. Die Sachen passen leicht in eine Tasche, und Sie können sie überall hin mitnehmen. Ob Sie also in der Welt umher-reisen oder einfach zum Unterricht gehen, Sie können Ihre Werkzeuge bei sich tragen.

4 Korrigierbar: Aquarellfarbe ist ein veränderbares Medium. Ein Künstlermythos besagt, dass Aquarellfarbe, einmal aufs Papier gebracht, nicht wieder entfernt oder gelöscht werden könne. Na, das stimmt einfach nicht! Sie können das Medium völlig verändern. Sie können radieren. Sie können durch Auftragen von Farbschichten andere Farben hinzufügen oder korrigieren. In Kapitel 3 finden Sie alles übers Löschen.

4 Unmittelbar: Aquarellfarbe trocknet rasch – es ist eine Sache von Minuten. Bei Ölfarbe kann es bis zu sechs Monate dauern, bis sie vollständig getrocknet ist. Wir leben in einer Kultur, die etwas für Unmittelbarkeit übrig hat. Aquarellfarbe erfüllt dieses Bedürfnis.

4 Flüssig: Einige Leute haben Angst vor Aquarellfarbe, weil sie schwierig zu kontrollieren ist. Aquarellfarbe ist in Bewegung. Sie fließt vor und zurück wie Wasser. Genau dieser Aspekt macht ihren Charme aus. Sie reagiert auf Sie. Sie malt von selbst, wenn Sie herausfinden, wie man ihr ein wenig Raum zum Arbeiten lässt.

4 Variantenreich: Aquarellmalerei ist eine intensive Technik. Es gibt eine  Vielzahl von Techniken. Das ist gleichfalls Teil des Charmes der Aquarellmalerei. (In Kapitel 3 und 4 erforschen Sie Techniken.)

Aquarellmalerei ist voller Überraschungen. Sie ist ein großartiges Medium zum Experimen-tieren. Obwohl ich viel Zeit für das Malen realistischer Szenen aufwende, kann abstrakte und experimentelle Malerei damit ebenso viel Spaß bringen.

In die Elemente der Kunst eindringenDie Kenntnis einiger künstlerischer Grundlagen bringt alles in Schwung. Diese Grundlagen werden Elemente des Bildaufbaus genannt. Sie können sie für den Entwurf Ihrer Bilder nutzen. Dieser Abschnitt ist eine Art »Einführung in die Malerei« – Sie können die Informationen hier auf alle Kunstarten mit jedem Medium übertragen.

In Kapitel 6 erkläre ich Ihnen, was Sie mit diesen Elementen des Bildaufbaus anfangen, in dem es um die Prinzipien des Bildaufbaus geht – die Verben, die Sie auf die Elemente des Bildauf-baus anwenden und die ihrerseits die Nomen der Malerei darstellen.

Die grundlegenden Elemente des Bildaufbaus, die ich in den folgenden Abschnitten sowie im gesamten Buch untersuche, sind diese:

4 Form: Ein Kreis, Quadrat oder Dreieck zum Beispiel, oder alle übrigen organischen Formen (Kleckse oder andere unregelmäßige Formen).

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4 Linie: Ein fortlaufender Weg zwischen zwei Punkten.

4 Größe: Die Eigenschaft, groß oder klein zu sein oder irgendwo dazwischen zu liegen.

4 Richtung: Die allgemeine Anordnung von Dingen innerhalb eines Bildes – entweder vertikal, horizontal oder diagonal.

4 Struktur: Die wirkliche oder scheinbare taktile Eigenschaft.

Ein weiteres Element des Bildaufbaus ist die Farbe und macht so viel Spaß, dass ich für die Besprechung das gesamte Kapitel 5 aufwende.

In Formen sehenAls Kind wurde Ihnen beigebracht, geometrische Formen zu erkennen, also bringen Sie schon eine gewisse Voraussetzung für die Arbeit mit diesem Element des Bildaufbaus mit. Aber ich habe noch einige weitere Asse im Ärmel, die Sie gern benutzen dürfen:

4 Alltagsobjekte in vereinfachter Form erkennen. Entwickeln Sie diese Fähigkeit, können Sie rascher und genauer zeichnen. (In Kapitel 8 finden Sie etwas Hilfe beim Zeichnen.)

4 Formen dadurch interessanter gestalten, dass Sie Seiten und Kanten verändern. Quadrate, Dreiecke und Kreise sind gleichseitige Formen und in einem Gemälde weniger interessant als ungleichseitige Formen (siehe Abbildung 1.2). Versuchen Sie, Formen zu erzeugen, die für den Blick anziehender sind, indem Sie Seiten und Kanten verändern.

Sie haben gehört, dass Veränderungen die Würze des Lebens darstellen. In der Kunst ist die Veränderung das Wesen eines interessanten Bildaufbaus. In Kapitel 6 bespreche ich dieses Konzept etwas detaillierter.

4 Gruppieren Sie Elemente Ihres Bilds zu einer Form. Einige Formen sind implizit. Werfen Sie einen Blick auf den Baum rechts in Abbildung 1.2. Er bildet insgesamt gesehen ein Dreieck. Der Baum ist für den Betrachter interessanter, weil das Dreieck nicht gleichseitig ist – die drei Seiten haben verschiedene Längen.

Abbildung 1.2: Gleichmäßige und ungleichmäßige Formen

Größe einschätzenGröße ist genau das, was Sie auch erwarten: groß versus klein. Und ja, in der Kunst zählt die Größe. Gegenstände, welche die Elemente von Linie und Form benutzen, können verschieden groß sein, ebenso wie strukturelle Bereiche.

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Sie können den Blick des Betrachters auf das Wichtigste lenken, indem Sie es größer oder dominant machen. (Weitere Erläuterungen zur Dominanz finden Sie in Kapitel 6.) Eine Blume, die größer als alle übrigen ist, lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich und macht Ihr Bild interessanter, als wenn alle Blumen von derselben Größe sind. Ein Beispiel hierfür ist Abbildung 1.3: Die große Blume ist der Star, und die anderen Blumen unterstützen sie nur.

Abbildung 1.3: Die größere Blume konzentriert den Blick des Betrachters auf sich.

Sie können den Betrachter durch die Größe beeinflussen. Georgia O’Keefe zum Beispiel zwingt Betrachter dazu, sich eine Blume wirklich anzusehen, indem sie das, was normalerweise klein ist, groß macht. Ihre Bilder haben wegen ihres großen Formats eine gewaltige Wirkung. Im Gegensatz hierzu können kleine Bilder Ihren Betrachter in sich hineinziehen und eine intime Beziehung schaffen.

Größenunterschiede sind nett. Schließlich hätten Sie, wenn sämtliche Blumen auf einem Bild von derselben Größe wären, eine Tapete vor sich. Ein hübsches Muster für eine Tapete, gewiss, aber wahrscheinlich kein richtiges Gemälde. (In Kapitel 7 ist die Rede von Komposition sowie dem Anfertigen kreativerer Bildmuster.)

Sie können auch dafür sorgen, dass etwas Kleines die Aufmerksamkeit erregt. Betrachten Sie Abbildung 1.4 – ein Westernbild mit einem einsamen Cowboy auf einem Pferd im Regen. Alles ist düster und grau, so dass Sie das Wetter und die Kälte spüren, die der Cowboy erfährt. Aber er trägt einen leuchtend gelben Regenmantel, der sofort die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich lenkt, und zwar nicht, weil die Regenkleidung so groß auf dem Bild ist, sondern weil es sich um eine kleine Farbveränderung in einem großen Bereich handelt, der ansonsten völlig gleich gefärbt ist.

Größe ist ebenfalls wichtig für die Etablierung einer Vogelperspektive. Größere Objekte er-scheinen näher und kleinere ziehen sich scheinbar in den Raum zurück. (Eine Besprechung der Perspektive finden Sie in Kapitel 8.)

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Abbildung 1.4: Etwas Kleines kann viel Raum im Auge des Betrachters einnehmen

Ein Blick auf LinienIn der Natur gibt es gar nicht so viele Linien. Sehen Sie sich Kanten einmal genauer an! Gibt es hier Linien? Gewöhnlich bestehen gewisse Unterschiede, aber im Allgemeinen haben Sie keine Linie vor sich – oftmals lediglich eine Veränderung der Farbe oder des Verhältnisses von Licht und Schatten.

Künstler nutzen eine künstliche Linie zur Definition von Kanten und zur Beibehaltung einer gewissen Form, was sehr nützlich ist. Linien sind hilfreich zur Definition eines bestimmten Bereichs und zum Hervorbringen von Details in Dingen wie Haar, Gras, den Adern eines Blatts sowie einer Vielzahl anderer Sachen.

Linie und Form können wirklich sein, wie bei einem Umriss, der sagt, wo zu malen ist, oder implizit, wie bei Dingen in einer Gesichtslinie. Sie können einen Betrachter auch dazu bringen, die Punkte einer impliziten Linie zusammenzufügen. Wenn Sie eine Linie Gänse am Himmel zeichnen, ist es in Wirklichkeit gar keine Linie, aber das Auge wird es als Linie sehen, wenn die Gänse in einer Reihe fliegen. Also werden diese Gänse zu einer impliziten Linie.

Auf Abbildung 1.5 sehen Sie die verschiedenen Typen von Linien:

4 Geschwungene Linien: Bögen, Kreise und krumme Linien bilden weiche Ränder, runde Formen, Wolken, Gestalten und die meisten natürlichen Formen.

Es gibt geschwungene Linien, gerade Linien und gewinkelte Linien

Abbildung 1.5: Krumme Linien sind rund; gerade Linien können  vertikal und horizontal sein; gewinkelte Linien liegen diagonal

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4 Gerade Linien: Horizontale Linien symbolisieren Ruhe, während vertikale Linien eine Aufwärtsbewegung hervorrufen. Es ist sinnvoll, dem einen ein kleines Gegengewicht in Gestalt des anderen hinzuzufügen.

4 Gewinkelte Linien: Diagonalen und Zickzacklinien rufen ein Gefühl von Unbehagen, Aufregung und Aktion hervor.

In der Kunst ist Abwechslung die goldene Regel. Gleichmäßige Formen sind nicht so interessant wie ungleichmäßige Formen. Ungerade Zahlen sind interessanter als gerade Zahlen.

Die Ausrichtung festlegenAusrichtung kann sich auf eine Linie oder die Hauptrichtung des gesamten Bilds beziehen. Die Ausrichtung kann horizontal, diagonal oder vertikal sein, und jede Ausrichtung hat eine andere Funktion.

Sie arrangieren die verschiedenen Teile eines Gemäldes und die Dinge darauf so, dass Sie eine Ausrichtung innerhalb des Bildes erzeugen. (Mehr zu organisatorischen Formaten in Kapitel 7.)

4 Horizontal: Eine horizontale Ausrichtung und Hauptrichtung impliziert Ruhe und Frieden.

4 Vertikal: Ein vertikales Format impliziert Würde.

4 Diagonal: Eine diagonale Hauptrichtung erzeugt Bewegung.

Die diagonale Ausrichtung des Bullen verleiht dem Cowboy in Abbildung 1.6 zusätzliche Bewegung und Erregung.

Abbildung 1.6: Am besten diagonal reiten!

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Struktur hinzufügenStruktur ist ein Gefühl, eine taktile Empfindung. Sie können Ihrer Farbe oder Ihrem Bild Dinge hinzufügen und dadurch Struktur erzeugen. Vielleicht eine echte Struktur, indem Sie Perlen aufnähen, Glasschmuck aufkleben oder irgendetwas anderes unternehmen. Farbzusätze verleihen der Farbe Substanz, so dass sie genügend dick wird, um Struktur hervorzurufen.

Imitationsmalerei erzeugt die Illusion von Struktur. Wenn man beispielsweise die Grobstruk-tur malt und kleine Linien im Detail hinzufügt, wirkt Baumrinde echt. Lassen Sie den Finger über das Papier laufen, so fühlt es sich nicht rau an wie Baumrinde. Es ist einfach eine Illusion. Diese Technik wird in Kapitel 3 beschrieben.

Traditionelle Aquarellmalerei macht nicht viel Gebrauch von echter Struktur. Heutzutage ist alles möglich. Kreativität lautet der Name des Spiels. Sie können Struktur erforschen und Bilder schaffen, wie Sie wollen. Sämtliche bisherigen Grenzen sind geöffnet. Übertreiben Sie’s nur nicht. Wie bei allen guten Dingen kann zu viel das Chaos bedeuten (es sei denn, Sie pflichten Mae West bei, die sagte: »Zu viel des Guten ist wunderbar!«).

Was wollen Sie nun malen?Vielleicht sind Sie der Ansicht, Sie müssten darauf warten, von einer Inspiration gepackt zu werden. Ein wahrer Künstler findet seine Inspiration in einer leeren Schachtel. Sie fällt gewiss nicht vom Himmel. Wenn Sie jeden Tag malen, ob Ihnen danach ist oder nicht, entwickeln Sie Inspiration ebenso wie handwerkliches Können. Möglicherweise haben Sie eine künstle-rische Begabung, aber Sie müssen diese entwickeln, üben und nähren. Wenn Sie Künstler sein wollen, müssen Sie darauf hinarbeiten. Die gute Nachricht? Die Arbeit macht Spaß. Sie werden Enttäuschungen erleben und Bilder produzieren, die eher peinlich als beeindruckend sind. Malen Sie weitere, bis Sie zufrieden sind. Malen Sie Hunderte von Bildern, bevor Sie ein kritisches Urteil darüber abgeben.

Ein großer Teil dieses Buches ist den Themen der Malerei gewidmet. Stillleben, Landschaften, Seestücke und Tiere sind nur ein paar, die ich bespreche (schlagen Sie in den Kapiteln 9, 10, 11 und 12 nach). Nachdem Sie die von mir gewählten Themen ausprobiert haben, schauen Sie sich um, ob Sie ähnliche Themen zum Malen finden, oder wenden Sie die Techniken bei ihren eigenen Themen an.

Wenn Sie zu malen anfangen, sehen Sie auch auf eine neue Weise. Sie betrachten das Licht, den Schatten, Linien und Winkel mit dem Auge eines Malers, und Sie finden Inspirationen zu neuen Bildern in der Alltagswelt rings um Sie her und in der weiten Arena Ihrer Vorstellungskraft.

Vor Jahren habe ich einen guten Ratschlag erhalten: »Male, was du kennst!« Also ist es ebenso ein guter Ratschlag, Ihre Interessensgebiete zu erforschen, weil sie Materialquellen für Bilder werden können. Mein Gatte und ich sind von Muscle-Cars fasziniert. Ich male diejenigen, die ich mir nicht leisten kann. Abbildung 1.7 zeigt einen ungewöhnlichen Blick auf einen Shelby Cobra mit Reflektionen der amerikanischen Flagge im Lack des Fahrzeugs.

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Abbildung 1.7: Malen, was ich will

Folgen Sie Ihrem künstlerischen Instinkt!Im ganzen Buch erläutere ich Ihnen bei jedem Schritt, was Sie malen, in welcher Größe Sie Ihr Bild anfertigen und welche Farben und Techniken Sie anwenden sollen. Sie können völlig außer Acht lassen, was ich Ihnen sage (wer hört mir auch schon zu?) und Ihre eigene Größe, Ihre eigenen Farben und Techniken auswählen.

Ich unterbreite Ihnen Vorschläge, die Ihnen helfen sollen, erfolgreich ein Bild zu vollenden, wie ich es gemalt habe. Sie können Ihre eigene Kreativität einsetzen und sich etwas aussuchen, was Sie lieber sehen würden. Das ist Kunst, und Kunst hat nun wirklich keine Regeln.

Nachdem das einmal gesagt worden ist, überreiche ich Ihnen auf allen Seiten dieses Buchs ein ganzes Bündel an Regeln. Erfreuen Sie sich daran! Genießen Sie sie. Analysieren Sie sie. Machen Sie sich damit vertraut. Dann, wenn sie Ihnen vertraut sind, können Sie jede beliebige Regel brechen, weil Sie rechtfertigen können, warum diese Regel Ihnen nicht zusagt.

Viele Regeln sind lediglich Worte und Konzepte, die Künstler (Sie eingeschlossen) benutzen, um in einer Sprache über Kunst zu sprechen. Kunstjargon bedeutet eloquente Anwendung dieser Konzepte. Je besser Sie den Kunstjargon beherrschen, desto größeren Beifall werden Sie erhalten und desto besser können Sie die höheren Preisschilder auf Ihren Meisterwerken rechtfertigen.

Projekt: Erschaffung eines BlütengartensIn einem Garten ist eine Blüte eine schöne Blume. In der Aquarellmalerei kann eine Blüte eine Technik bedeuten, die Spaß macht, die geschieht, wenn Sie nasse Farbe auf eine trockenere Farbe tropfen lassen.

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Vielleicht glauben Sie, zum Malen noch nicht bereit zu sein, aber wenn Sie ein wenig Farbe und einen Pinsel haben, sind Sie für dieses kleine Projekt bereit. Sie können einfach keinen Fehler begehen, wenn Sie diesen Garten aus Blüten erschaffen. Ich sage Ihnen in Kapitel 2, wie Sie Ihre Palette anordnen müssen, also benutzen Sie jetzt bloß ein paar Farben, mit denen Sie spielen können. Sie wählen aus, welche Farben der Garten aufweisen soll. Genießen Sie, wie die Farbe mit anderen Farben und mit Wasser reagiert!

1. Nehmen Sie ein Stück Aquarellpapier von etwa 10 × 15 Zentimeter.

2. Streichen Sie das Papier mit einem 20-Millimeter-Flachpinsel mit klarem Wasser ein.

3. Nehmen Sie das Papier auf und lassen Sie das Wasser in Ihren Behälter abtropfen.

Das Papier sollte überall glänzend und feucht sein, ohne Lachen.

4. Streichen Sie das ganze Papier mit einer beliebigen Farbe ein.

Mischen Sie genügend Wasser in diese Farbe, damit sie transparent ist. Keine dicke Farb-schicht nötig. Nehmen Sie dazu Ihren 10-Millimeter-Flachpinsel, damit Sie rasch arbeiten können, bevor die Farbe trocknet.

5. Bevor das Papier trocknet, lassen Sie Wasser und andere Farben nacheinander in das Bild tropfen, immer einen Tropfen auf einmal.

Lassen Sie klares Wasser in die Farbe tropfen und beobachten Sie, wie es eine Blüte aus-bildet. Sie können weitere Farben oder weiteres Wasser hineintropfen lassen, bis die Farbe und das Papier trocken sind.

6. Lassen Sie die Farbe völlig trocknen.

Abbildung 1.8: Ein wenig Wasser, ein wenig Farbe … ein Aquarell!

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7. Signieren Sie unten rechts.

Signaturen sollten klein sein und in einer Ecke liegen, normalerweise unten rechts. Signieren Sie leserlich, wenn jemand wissen soll, wer das Werk geschaffen hat. Wenn es zu schwierig ist, mit dem Pinsel zu signieren, benutzen Sie einen Kugelschreiber oder Bleistift, der sich abhebt.

8. Kleben Sie Ihr Gemälde auf eine Postkarte und schicken Sie diese an jemanden, um ihm den Tag ein wenig zu verschönern.

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