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Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention 12,50 Euro | ISSN 2190-0485 Nr. 3 | 2015 Arbeitswelt von morgen – Zukunft der Arbeitsforschung Sonderedition für Ilona Kopp und Dr. Claudius Riegler

Arbeitswelt von morgen – Zukunft der …...Arbeitswelt von morgen – Zukunft der Arbeitsforschung Sonderedition für Ilona Kopp und Dr. Claudius Riegler inhalt 5 præview Nr.3 |

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Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention 12,50 Euro | ISSN 2190-0485 Nr. 3 | 2015

Arbeitswelt von morgen –Zukunft der Arbeitsforschung

Sonderedition für Ilona Kopp und Dr. Claudius Riegler

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3præview Nr. 3 | 20152

Gute Arbeitsforschung entwickelt heute Lösun-gen für die Probleme der Arbeitswelt von mor-gen. Wir müssen der Entwicklung in Wirtschaftund Gesellschaft gedanklich und konzeptionellimmer einige Jahre voraus sein, um mit genü-gendem Vorlauf Gestaltungsmöglichkeiten fürdie Arbeit zu identifizieren, die erst in einigenJahren die Breite der Arbeitswelt erreichen wird.Damit ist der Blick in die Zukunft der Arbeitsweltoriginäre Aufgabe der Arbeitsforschung selbst.

Selten wurde über die Zukunft von Arbeit undGesellschaft mehr diskutiert als in diesen Tagen,wo weltweit agierende Technologiekonzerneuns fast monatlich mit neuen Ideen für technik -basiertes Leben und Arbeiten konfrontieren unduns immer aufs Neue mit deren Realisierungs-und z. T. Reifegrad überraschen. Die Entwick-lungsdynamik hat kaum noch übersehbare Di-mensionen angenommen.

Daher will diese Ausgabe der præview einenBlick nach vorn werfen, in die Zukunft der Ar-beitswelt. Es soll aber nicht nur darum gehen,was technologisch machbar sein wird, sondernauch, was gesellschaftlich wünschenswert ist.Ausgewiesene Arbeitsforscher aus verschiedens-ten Disziplinen haben aus ihrer jeweils eigenenPerspektive die Zukunft der Arbeit und die An-forderungen an eine gestaltende Arbeitsfor-schung beschrieben.

Die Autoren dieser Ausgabe widmen dabei ihreBeiträge Ilona Kopp und Dr. Claudius Riegler,die über viele Jahre im Rahmen ihrer Tätigkeitbeim Projektträger im DLR „Arbeitsgestaltungund Dienstleistungen“ verschiedenste Förder-schwerpunkte und Projekte betreut haben. Siehaben in dieser Zeit viele Themen vorbereitet,viele Wissenschaftler in der Projektarbeit beglei -tet und geleitet und so die gesamte Arbeitsfor-

schung geprägt. Nicht zuletzt ist auch die Grün-dung der Zeitschrift præview nur dank ihrer Un -terstützung und Förderung möglich geworden.

Wir bedanken uns in Namen aller an dieser Aus-gabe der præview Beteiligten bei Ilona Koppund Claudius Riegler für die Jahre der frucht-baren und kollegialen Zusammenarbeit.

Kurt-Georg Ciesinger, Rüdiger Klatt

Herausforderungen für die Arbeitswelt von morgen (und die Rolle der Arbeitsforschung bei deren Bewältigung)

editorial

Herausforderungen für die Arbeitswelt von morgen (und die Rolle der Arbeitsforschung bei deren Bewältigung)

Kurt-Georg Ciesinger, Rüdiger Klatt

Zukunft der Arbeit gestern – heute – morgen?Ilona Kopp

Zukunft der Arbeitsforschung – Zukunft der Politikgestaltung Ursula Bach

Zentrale Herausforderung der Arbeitswelt von morgen: die Förderung guter ArbeitEva Bamberg, Christine Busch, Jan Dettmers

Arbeitsgestaltung für die klimagerechte GesellschaftGuido Becke

Technologie und Dienstleistungen – Gestaltungsbedarfe bei Big Data Daniel Bieber

Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit mit UngewissheitFritz Böhle

Heute Arbeit von morgen gestalten statt Arbeit von gestern korrigierenAngelika C. Bullinger-Hoffmann

Arbeitsschutz und Zukunft der ArbeitsforschungOleg Cernavin

Aufgaben für die Arbeitswelt von morgen Antje Ducki

Neue digitalisierte Arbeit – Neue Soziodemografie-Forschung?Walter Ganz, Jürgen Wilke

Die Interdisziplinarität in der Arbeitsforschung hat Zukunft!Arno Georg

Innovationsideen „auf die Straße bringen“Klaus Henning

Innovationsfähigkeit entwickeln – Innovationen am Arbeitsplatz erforschen und gestaltenJürgen Howaldt

Zentrale Herausforderungen der Arbeitswelt von morgenAndreas Ihm

Kooperationen zwischen Menschen und robotischen Akteuren werden möglichSabina Jeschke

Arbeitsbiografien in der digitalen Ökonomie Rüdiger Klatt

Demografischer Wandel als Gegenstand der Arbeitsforschung. Hat das BMBF genug getan? (1990–2015)

Thomas Langhoff, Ulrike Weber

Führen im Industrie 4.0-Zeitalter: innovativ, balanciert und wertschätzendKathrin Möslein, Sascha Oks, Anke Wendelken

Wie wollen wir arbeiten? Frank Schirmer

Arbeit in komplexen Systemen – digital, vernetzt, human?!Christopher M. Schlick

Wir brauchen eine politikfeldübergreifende Lobby für Sicherheit und Gesundheit bei der ArbeitKai Seiler

„Die“ zentrale Herausforderung für die Arbeitswelt von morgen zu benennen, fällt schwer Bruno Zwingmann

Prioritäre Themen der Arbeitsforschung – oder: „Was ich schon immer mal wissen wollte, aber noch nicht fördern konnte…“

Claudius Riegler

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Art Directors’ CommentSchöne analoge Welt

Ohne die „prädigitale Zeit“ romantisch zu verklären –wie gern erin nern wir uns z.B. an unsere erste eigene„Anlage“, mit Plattenspieler, Radio-Cassettendeck undmächtigen Boxen. Wie schön war es, mit der Spiegel -reflexkamera Fotos zu schießen, vielleicht sogar selbstzu entwickeln und zu vergrößern oder mit der Sofort-bildkamera zu experimentieren.

Retro, nostalgisch, authentisch – so wirkt sie heute, dieanaloge Zeit mit ihren Gerätschaften, die Geschichtenerzählen, die bleiben. Wir laden die Leserinnen und Leserdieser Ausgabe herzlich zu diesem „Zeitsprung“ ein.

Bedanken möchten wir uns bei Hanswalter Dobbelmannvom Verein zur Förderung des Umspannwerks Reckling-hausen e.V. für die freundliche Unterstützung bei derFotografie für diese Ausgabe der praeview.

Renate Lintfert und Hans Waerder, Q3 design

Arbeitswelt von morgen – Zukunft der ArbeitsforschungSonderedition für Ilona Kopp und Dr. Claudius Riegler

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5præview Nr. 3 | 20154

Bei der Frage nach der Zukunft der Arbeit warund ist die Arbeitsforschung aufgefordert, sichaktiv einzumischen. In den diversen vorange-gangenen Programmen (nicht nur des BMBF)gab es hierzu etliche Möglichkeiten. Mit der imMai 2014 vorgelegten Eschborner Erklärung ha-ben die Arbeitsforscherinnen und Arbeitsfor-scher ihren Anspruch, aktiv in die Diskussionund Forschung zur Zukunft der Arbeit einge-bunden zu werden, deutlich gemacht. Und diezu Ehren von Eberhart Ulichs 85. GeburtstagAnfang 2015 veröffentlichte Festschrift „Wirmüssen uns einmischen“ steht dafür, dass es inder Arbeitsforschung nicht nur um das Neuegeht, sondern dass die Betrachtung der Zukunftauch den so wichtigen Blick „zurück“ erforder-lich macht. Constantin Skarpelis sah eine wich-tige Aufgabe aller am Forschungsprozess Be-teiligten darin, aus der Auseinandersetzung mitder Vergangenheit für die Zukunft zu lernenund Klaus Zink hat uns allen in seiner Funktionals Sprecher der GfA gemahnt, dass Arbeitsfor-schung nachhaltig und unabhängig von aktuel -len Modetrends zu erfolgen habe.

In seinem Beitrag zum Abschied von ConstantinSkarpelis schrieb Hans-Jörg Bullinger 2006: „In-novation (meint) das was neu ist, das was Ver-änderung bringt und Veränderung fordert, daswas Wirtschaft und Gesellschaft bewegt. Wel-che technischen und welche sozialstrukturellenVeränderungen gibt es und wie verändern diesedie Arbeit? Unter welchen Bedingungen arbeitenMenschen nicht nur reibungslos, sondern auchkreativ und innovativ zusammen? Wo findensich die Stellschrauben innovativer Arbeits- undOrganisationsgestaltung, die Humanisierungund Wirtschaftlichkeit, die attraktive Arbeitsge -staltung und produktive Arbeitserbringung alszentrale Elemente der Innovationskraft versöh-nen?“. Und er fuhr fort: „Fragen, die bis heute

nichts an Aktualität eingebüßt, ja vielleicht imbeschleunigten Wandel der Veränderung anDringlichkeit noch gewonnen haben.“

Für mich sind diese Formulierungen so hoch ak -tuell, dass ich ihnen nichts hinzufügen möchte.Aufgabe der Arbeitsforschung ist es, diese Aus-sagen mit Leben zu füllen und für die anstehen-den Herausforderungen Lösungen zu suchen.

Den jungen Arbeitsforscherinnen und Arbeits-forschern möchte ich eine Erfahrung mit auf denWeg geben, die alle diejenigen, die schon eineWeile dabei sind, selbst zur Genüge gemachthaben dürften:

Veränderungen brauchen Zeit – viel Zeit!

Die AutorinDipl.-Psych. Ilona Kopp, 1977-1981 Wissen-schaftliche Mitarbeiterin am Institut fürArbeits wissenschaft an der TU Berlin, 1981–1984 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft(ifaa) in Köln. Seit Herbst 1984 beim DLR-Projekt träger Wissenschaftliche Mitarbeiterinim Rahmen des Programms „Humanisierungdes Arbeitslebens“ und der Nachfolgeprogram -me, seit 2007 stellvertretende Abteilungs leite -rin „Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen“.

Zukunft der Arbeit gestern – heute – morgen?Ilona Kopp

Ilona Kopp

Die Theorie lautet: Forschungsergebnisse wer-den vermehrt und verstärkt als Politikgestal-tungsinstrumente verwendet, wenn sie in Kon-texten generiert werden, die unsere komplexeund heterogene Gesellschaft in Ansätzen wi-derspiegeln. Um dies zu erreichen, sind durchauskritische Fragen zu stellen: Wie können for-schungsferne Unternehmen und Mitarbeiter indie Arbeitsforschung integriert werden? Wiewird dem Anspruch, ein Einwanderungsland zusein, Rechnung getragen? In welchem Maßekann Administration verringert werden? Ist derTrend der Citizen Science eine Alternative fürtraditionelle Projektstrukturen? Das betrifft die strukturelle Ebene.

Die prozessuale Ebene muss von einem zukünf-tig gegenseitigen und einem neuen Verständnisder Arbeitsforschung geprägt werden. Das ko-operative und kommunikative Zusammenspielwird auf den unterschiedlichsten Ebenen ge-staltet: Management – Mitarbeiter, Betriebsrat– Geschäftsführende, Produktion – Dienstleis-tung, Gewerkschaften – Arbeitgebervertretun-gen ... Wenn sich auf Augenhöhe begegnet wirdund so Forschungsergebnisse generiert werden,dann kann langfristig für die Unternehmen in-novative Forschung gewährleistet werden. Ne-ben der Unternehmensebene sind weitere ge-sellschaftspolitische Ebenen zu adressieren undim Blick zu halten. Adressieren die Arbeitsge-stalterinnen und Arbeitsgestalter weiterhin die

Politik auf ihren unterschiedlichen Wirkungs-kreisen, gelingt es gute Forschungsergebnissein gute Politikgestaltung zu überführen. Es gehtin diesen Ausführungen weniger darum, mitwem kommuniziert und kollaboriert wird, umForschungsergebnisse zu genieren, sondern wiekommuniziert wird, um die Nachhaltigkeit derErgebnisse auf unterschiedlichen Ebenen zusteigern.

Inhaltlich betrachte ich die neue Balance zwi-schen Partizipation und Führung als wesentli-ches Forschungs- und Handlungsfeld der Zu-kunft. Partizipation und Führung sind auch inder Zukunft kein Widerspruch, sondern eineSymbiose, die Arbeit und Arbeitsgestaltung be-fruchten kann. Eine emanzipierte Belegschaftund eine nahbare Führung stellen Erfolgsgaran -ten dar. Die viel beschworene Generation Y willmit neuen, attraktiven Konzepten der Lebens-und Arbeitsgestaltung abgeholt werden. Hierbietet die Digitalisierung vielseitige Möglich-keiten, die bisher noch nicht in allen Dimensionreflektiert und umgesetzt sind.

Zukunft der Arbeitsforschung – Zukunft der Politikgestaltung Ursula Bach

Die AutorinDr. Ursula Bach ist Wissenschaftliche Mit -arbeiterin beim Projektträger im DeutschenZentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.

In einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm, dessen Gegenstand Arbeit ist, ist dasThema „Zukunft der Arbeit“ allgegenwärtig. Wie viele Zukünfte der Arbeit in den ver -gangenen Dekaden diskutiert wurden und was sich von den Voraussagen bestätigt hat,liegt im Blickwinkel der jeweils Beteiligten. Nützlich sind solche Diskussionen zu jederZeit, jede Gruppierung führt sie aus der ihr eigenen Betroffenheit, und die Kunst bestehtdann für die Verantwortlichen darin, dies alles unter Berücksichtigung der aktuellengesell schaftlichen und politischen Entwicklungen in ein zukunftsorientiertes Förderpro-gramm zu gießen.

Als Politik- und Kommunikationswissen-schaftlerin sehe ich die weitere Demokra-tisierung der Strukturen und Prozesse inder Arbeitsforschung als eine zentrale He-rausforderung. Arbeit und ihre Gestaltungsind wesentliche Komponenten der Zu-kunfts- und Innovationsfähigkeit desWirtschaftsstandortes Deutschland. Diebewegten Zeiten des demografischenWandels, der soziokulturellen Pluralisie-rung, der Globalisierung, zunehmenderKomplexität und der Digitalisierung ma-chen in ihren Auswirkungen ebenfalls kei-nen Halt vor der Arbeitsforschung. Des-halb sind neue Wege der Gestaltung vonArbeitsforschung zu gehen. Hier seien einpaar Ideen holzschnittartig skizziert:

Ursula Bach

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7præview Nr. 3 | 20156

In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Konsenszu den Merkmalen guter Arbeit entwickelt. Esbesteht fundiertes Alltagswissen zu Belastungenund Ressourcen der Arbeit und zu deren Wirkun-gen auf die Gesundheit. Das Alltagswissen be-trifft aber weniger die Frage, wie bei konkretenArbeitstätigkeiten Belastungen reduziert undRessourcen gesteigert werden können. Die Ak-teure der Arbeitswelt stimmen also weitgehendin der Beschreibung guter Arbeit überein. WenigÜbereinstimmung gibt es hinsichtlich der Frage,wie gute Arbeit konkret gefördert werden kann.

Die Diskrepanz zwischen fundiertem Wissen zuguter Arbeit und der geringen Umsetzung diesesWissens wird angesichts der Entwicklungen derArbeitswelt zur besonderen Herausforderung:Wenn Zulieferer über den Globus verteilt sind,wenn Beschäftigte ständig verfügbar sind, wenndie Arbeit zum Teil zu Hause, zum Teil unterwegsund nur zum geringeren Teil am Erwerbs-Ar-beitsplatz geleistet wird, wenn Migrantinnenund Migranten die höchsten Belastungen, aberdie wenigsten Ressourcen haben und die ge-ringste Bezahlung bekommen, wenn Beschäf-tigungsverhältnisse zeitlich befristet sind, wenndie eigene Beschäftigungsfähigkeit permanentgesichert und weiterentwickelt werden muss –wie kann es dann gelingen, Prävention in derArbeitswelt zu verankern, gute Arbeit zu errei-chen? Wie können auch diejenigen davon pro-fitieren, die die höchsten Belastungen und diegeringsten Ressourcen haben? Und schließlich:

Welche politischen Rahmenbedingungen müs-sen gesetzt werden, wenn Organisationen alsinteressierte Ansprechpartner für eine gesundeGestaltung der Arbeit wegfallen, z. B. weil sieihre Beschäftigten nicht mehr direkt steuernoder weil sie vermehrt mit eigenständigen Part-nern zusammenarbeiten?

Fazit: Die Förderung guter Arbeit unter sich än-dernden Arbeitsbedingungen ist eine zentraleHerausforderung der Arbeitswelt von morgen.

Eva Bamberg, Christine Busch, Jan Dettmers

Die zentrale Herausforderung für die Erwerbs-arbeit besteht darin, diesen politischen wie ge-sellschaftlichen Transformationsprozess so zugestalten, dass die Klimaverträglichkeit desWirtschaftens und Konsumierens verbundenwird mit nachhaltiger Arbeitsqualität und sozialinklusiven Beschäftigungsverhältnissen.

Im Kern geht es um die Entwicklung und Ge-staltung arbeitsökologischer Innovationen, d.h.die reflexive Verknüpfung von ökologischen undarbeitsbezogenen Innovationen in Unterneh-men und Wertschöpfungsketten. Reflexivitätbezieht sich darauf, die Aufmerksamkeit aufnicht beabsichtigte Folgen dieser Verknüpfungzu richten und den Blick für emergente Inno-vationspotenziale zu schärfen.

Die „Große Transformation“ in Richtung klima-gerechter Gesellschaft trifft auf die seit dreiDekaden anhaltende Transformation modernerArbeitsgesellschaften und den vielgestaltigenUmbruch der Erwerbsarbeit, der u. a. durchTrends der Flexibilisierung, Entgrenzung, Digi-talisierung und Subjektivierung von Arbeit ge-

prägt ist. Tragfähige arbeitsökologische Innova -tionen sind im Spannungsfeld zwischen diesenbeiden grundlegenden gesellschaftlichen Trans-formationsprozessen zu entwickeln und arbeits-politisch zu gestalten.

Gefragt ist daher eine transformative Arbeits-forschung, welche die gesellschaftlichen He-rausforderungen dieses doppelten Transforma-tionsprozesses aufgreift und dazu beiträgt,arbeitsökologische Innovationen und sie er-möglichende Rahmenbedingungen im Dialogmit gesellschaftlichen Akteuren zu gestalten.Die transformative Arbeitsforschung eröffnetneue praxis- und gestaltungsorientierte For-schungsperspektiven: Sie erforscht z.B., wie Ar-beit und Beschäftigung in Transitionsprozessenzu einem klimaverträglichen Wirtschaften sozialnachhaltig und gerecht gestaltet werden können.Sie untersucht z.B. die Arbeitsqualität, Kom -petenzprofile und Erwerbsformen im Kontextökologischer Dienstleistungsinnovationen undentwickelt auf dieser Basis mit betrieblichenund gesellschaftlichen Akteuren arbeitsökolo-gische Innovationen

Arbeitsgestaltung für die klima-gerechte GesellschaftGuido Becke

Guido Becke

Der AutorPD Dr. Guido Becke ist Koordinator des Forschungsfelds Arbeit und Gesundheit amartec | Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen.

Globalisierung, Digitalisierung, Flexibilisierung,Selbststeuerung – diese Attribute charak teri -sieren die Arbeitswelt von morgen. Die prak -tische Realisierung guter Arbeit als Kernstückvon Prävention wird in der Arbeits welt vonmorgen besondere Relevanz gewinnen, auchwenn sie bereits in der Arbeitswelt von heutewichtig ist.

Die Autorinnen, der AutorProf. Dr. Eva Bamberg, Dr. Christine Busch und Jun.-Prof. Dr. Jan Dettmers arbeiten imArbeits bereich Arbeits- und Organisations -psychologie am Institut für Psychologie derUniversität Hamburg.

Zentrale Herausforderung der Arbeitswelt von morgen: die Förderung guter ArbeitEva Bamberg, Christine Busch, Jan Dettmers

Der globale Klimawandel stellt an moderne Industrie- und DienstleistungsgesellschaftenHerausforderungen, in relativ kurzer Zeit Anpassungs- und Gestaltungsstrategien zu ent-wickeln, die eine Transformation in klimagerechte Gesellschaften ermöglichen. In öko -logischer Hinsicht erfordern darauf bezogene politische Transformationsansätze einentief greifenden Umbau kohlenstoffbasierter Wirtschaftssektoren, den forcierten Ausbauregenerativer Energien und darauf bezogener Infra struktursysteme sowie die Steigerungvon Energieeffizienz.

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9præview Nr. 3 | 20158

Der Dienstleister klassischer Prägung war einDiener seines Herrn und stand in einem direktenpersönlichen Unterordnungsverhältnis zu ihm(„einen Diener machen“). Mit der Durchsetzungder Marktgesellschaft trat der Leistungsaspektder Dienstleistung stärker in den Vordergrund. Dienen wurde zu verberuflichter Arbeit und hiergalten und gelten verstärkt die Vorgaben be-triebswirtschaftlicher Optimierung: Mehr Leis-tung in weniger Zeit.

Aus vielen, auch personenbezogenen Dienst-leistungen ist die Technologie nicht mehr weg-zudenken. Überall schiebt sie sich zwischenDienstleistungserbringer und -nehmer. Eine bes-sere Prozessgestaltung kann hier ebenso imZentrum stehen wie eine bessere Abrechnungoder eine optimierte, datengestützte Entschei-dungsfindung. Dabei können bestimmte Fragenkomplett virtualisiert im Internet abgearbeitetwerden: Algorithmen errechnen die Kredit- oderVertrauenswürdigkeit von Kunden. Banken mitNiederlassungen, in denen Kunden beraten wer-den, erscheinen vielen Experten als Auslaufmo-dell. Wissen, das an Menschen gebunden ist,erscheint als fehleranfällig und deshalb als risi-kobehaftet. Die Technologie hat sich hier voneinem Hilfsmittel zur besseren Absicherung vonEntscheidungen zum alles beherrschenden Ele-ment in Arbeitsprozessen gewandelt. Der Com-puter sagt, was zu tun ist.

Big Data generiert aus großen Datenmengenunterschiedlichster Herkunft schnell Informa-tionen: „Die Systeme“ wissen mehr über dieKunden als diese selbst. Dies hat Auswirkungennicht nur für die Gesellschaft insgesamt, son-dern vor allem auch für diejenigen, die in denentsprechenden Branchen oder Bereichen ar-beiten. Die Interaktion zwischen Kunden undMitarbeitern verändert sich grundlegend. Ob

Technologie und Dienstleistungen – Gestaltungsbedarfe bei Big Data Daniel Bieber

Management und Mitarbeiter müssen zuneh-mend in Situationen der Unbestimmtheit undUngewissheit entscheidungs- und handlungs-fähig sein. Dies ist vor allem bei Innovationen,Projektarbeit im internationalen Kontext undDienstleistungen im Kontakt mit Kunden undKlienten der Fall. Aber auch in hochautomati-sierten und standardisierten Prozessen tretenmit zunehmender Komplexität nicht vorherseh-bare und kontrollierbare Unwägbarkeiten auf.Nicht nur die Planung und Instandhaltung, son-dern vor allem auch die Bewältigung von Un-wägbarkeiten in laufenden Prozessen ist undwird eine zentrale Aufgabe menschlicher Arbeit.Management und Mitarbeiter benötigen hierfürbesondere Kompetenzen und es sind spezielleMaßnahmen der Personalpolitik, der Organisa-tion und Technisierung zu ihrer Förderung er-forderlich.

Systematisches Fachwissen muss durch ein be-sonderes Erfahrungswissen ergänzt und dasplanmäßig-rationale Handeln durch ein situa-tives Handeln, Gespür und assoziativ-bildhaf -tes Denken erweitert werden. Gerade angesichtsfortschreitender Digitalisierung werden solchenicht-objektivierbaren und nicht-formalisier-baren Aspekte menschlichen Handelns zuneh-mend bedeutsam. Mitarbeiter sind daher nichtnur als selbstverantwortliche Subjekte einzu-beziehen, sondern es ist auch notwendig, bis -her in der Arbeitswelt nicht beachtete Seitenmenschlichen Arbeitsvermögens und informellerProzesse zu erkennen, zu berücksichtigen undzu fördern.

Für die Arbeitsgestaltung und Arbeitsforschungentstehen neue und teils paradox erscheinen -de Anforderungen: die Organisation und dasManage ment des Informellen, die technischeBerücksichtigung und Unterstützung des Nicht-Technisierbaren, die vertrauensbasierte Regu-lierung von Arbeitsbeziehungen, die Förderungdes Erwerbs und des Austauschs impliziten Er-fahrungswissens.

Damit ergeben sich auch neue Begegnungenzwischen künstlerischem Handeln und der Ar-beit in Industrie und Dienstleistungen.

Entscheidungs- und Handlungs-fähigkeit mit UngewissheitFritz Böhle

Fritz Böhle

Der AutorProf. Dr. Fritz Böhle ist Vorsitzender des Vor-stands des ISF – Institut für Sozialwissen-schaftliche Forschung München e.V. und Leiterder Forschungseinheit für Sozioökonomie derArbeits- und Berufswelt an der UniversitätAugsburg.

bei Banken oder Pflegediensten, in Stadtver-waltungen oder bei Energielieferanten, überallgeht es um ein ausgewogenes Verhältnis zwi-schen Technikeinsatz und menschlicher Kom-munikation. Wie dieses aussehen kann, ist der-zeit nur in Umrissen zu erkennen, nicht zuletzt,weil hier unterschiedliche Logiken und Strate-gien aufeinanderprallen. Da, noch dazu in eineralternden Gesellschaft, auch personenbezogeneDienste digitalisiert und technisiert werdenmüssen, wird der Arbeitsgestaltung die Arbeitso schnell nicht ausgehen. Die Forschung hatsich dem Thema bislang vor allem von zwei Sei-ten genähert, entweder aus der Perspektive desEngineerings von digitalisierten Prozessen oderder Gestaltung der konkreten Interaktionssitua-tion. Es käme darauf an, diese beiden Perspek-tiven zu integrieren.

Der AutorProf. Dr. Daniel Bieber ist Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Sozial forschung und Sozialwirtschaft e.V.(iso) Saarbrücken.

Daniel Bieber

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11præview Nr. 3 | 201510

Von den Schwaben sagt man, sie werden erstmit 40 weise. Auch so lässt sich aber 2015 demProgramm „Forschung zur Humanisierung desArbeitslebens“ und seinen Gestaltern mit Fugund Recht Weisheit zusprechen. Bedeutet dies,dass für die Arbeitsgestalter von heute nichtsmehr zu tun bliebe?

Nun: Einerseits sind wesentliche Fortschritte beider Gestaltung der Arbeitssituation gerade inder Produktionsarbeit erzielt worden. Zuneh-mend ist in den letzten Jahren auch die Dienst-leistung in den Fokus gerückt. Die Arbeitsplätzesind ergonomisch optimiert, ihre Planung digitalperfektioniert, Fehlverhalten trotz präventivemGesundheitsschutz wird u.a. am Arbeitsplatzkorrigiert. Andererseits: Die Möglichkeiten derDigitalisierung, wie sie unter den SchlagwortenIndustrie 4.0 und Open Innovation diskutiertwerden, erfordern eine neue, andere Perspektive.Technologien wie der 3D-Druck, fast selbststeu-ernde Organisationsformen wie Crowdsourcingwirken auf den arbeitenden Menschen am selbstgewählten Arbeitsort mit seinem Flexiarbeits-zeitkonto. Welche Felder gilt es also für die Ar-beitswelt von morgen zu gestalten?

Zunächst die Auswirkungen des demografischenWandels mit allen Facetten: Überalterung derBelegschaften bei geringer Verantwortungs -neigung der Generation Y, Fachkräftemangelbei der bisher höchsten Akademikerquote, Dif-ferenzen in körperlicher und geistiger Belastbar -keit über die Altersgruppen hinweg.

Breitbandinternet, Sensorik und Vernetzung vonMaschinen, Menschen und Daten stellen zwei-tens Fragen zur Datensicherheit, zum Schutz derPersönlichkeit und zur Akzeptanz der resultieren -den Möglichkeiten für freiwillig Nutzende oderfür gezwungen Beobachtete. Was darf, was sollim Rahmen von Industrie 4.0 gesammelt, wasauswertbar sein? Wie schützen sich Individuen,Unternehmen, Städte gegen Hacker angriffe?

Offen ist drittens, wie die Aus- und Weiterbil-dung für übermorgen aussehen kann. Es gilt,Wege zu kontinuierlichem, selbstmotiviertemLernen für den Einzelnen mit angemessenerMedienunterstützung zu ermöglichen, Füh-rungskräfte als Lern-Coaches zu befähigen undWechsel in der Berufsbiografie zu unterstützen,um so Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.

Die Herausforderungen sind vielfältig, die Auf-gaben sind spannend: Machen wir uns heuteauf zur Gestaltung der Arbeit von morgen!

Angelika C. Bullinger-Hoffmann

Für die Arbeitsforschung liegen die Potenziale desArbeitsschutzes vor allem in drei Bereichen:

æ Inhaltlicher Ansatz. Der Arbeitsschutz thema-tisiert Sicherheit und Gesundheit des Menschenbei der Arbeit im gesellschaftlichen und betrieb-lichen Kontext. Dazu gehören nicht nur Technikund Ergonomie, sondern mit der wachsendenBedeutung des Themas Gesundheit und Pro-duktivität auch Aspekte der Führungsqualität,der Kommunikation oder der Unternehmens-kultur. Die zukünftige Arbeitsforschung solltediese sozialpolitischen Potenziale des Arbeits-schutzes systematisch inhaltlich nutzen.

æ Rechtlich-normativer Rahmen. Der Arbeits-schutz beschreibt den gesellschaftlichen Konsenszum Thema Sicherheit und Gesundheit bei derArbeit wie kaum ein anderes gesellschaftlichesHandlungsfeld in rechtlich-normativen Rege-lungen (wie Arbeitsschutzgesetz, Betriebssicher-heits-, Gefahrstoff- oder Arbeitsstättenverord-nung oder auch DGUV-Informationen). DasThema präventive Arbeitsgestaltung wird da-durch mit hohem Handlungsdruck in den Be-trieben versehen. Zukünftige Arbeitsforschungsollte diesem rechtlich-normativen Rahmen ge-zielter als in der Vergangenheit zuarbeiten.

æ Institutioneller Transfer. Der Arbeitsschutz be-sitzt für die Themen der Arbeitsforschung flä-chendeckende institutionelle Transferstrukturen:Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebs-ärzte für fast jeden Betrieb sowie TechnischeAufsichtspersonen (Staat, UVT). Die Möglichkei-ten dieser Transferstrukturen sollten von der Ar-beitsforschung bewusst schon während des For-schungsprozesses stärker berücksichtigt werden.

Bei der Erforschung der Arbeitswelt 4.0 sollte dieArbeitsforschung systematisch und gezielt die Po-tenziale des Arbeitsschutzes mit einbinden, umnachhaltige Effekte zu erzielen.

Arbeitsschutz und Zukunftder ArbeitsforschungOleg Cernavin

Oleg Cernavin

Der AutorOleg Cernavin ist Geschäftsführender Gesell-schafter BC GmbH Forschung und stellvertre-tender Vorsitzender der Offensive Mittelstand.

Heute Arbeit von morgen gestalten statt Arbeit von gestern korrigieren Angelika C. Bullinger-Hoffmann

Bei vielen Projekten der Arbeitsforschung ist zunehmend zu beobachten,dass das Feld des Arbeitsschutzes bestenfalls noch formal eine Rolle spielt.Diese Entwicklung ist für die Zukunft der Arbeitsforschung und für denTransfer ihrer Ergebnisse problematisch. Meine These lautet: Ohne einestarke Koppelung zum Handlungsfeld des Arbeitsschutzes wird die Arbeits-forschung keine nachhaltigen Umsetzungserfolge erzielen.

Die AutorinProf. Dr. Angelika C. Bullinger-Hoffmann leitet die Professur Arbeitswissenschaft undInnovationsmanagement der TU Chemnitz.

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13præview Nr. 3 | 201512

Resilienzstärkung Lebensqualität wird sich zukünftig wenigerdurch Konsum und Ressourcenverzehr aus-zeichnen, sondern eher durch maßvollen Res-sourcenerhalt und Resilienzstärkung. Hier wirdeine zentrale Herausforderung darin bestehen,die Abkehr von quantitativen Wachstumsmaßenhin zu qualitativen Maßen zu unterstützen unddie generelle Krisenfestigkeit strukturell, wirt-schaftlich, betrieblich und individuell zu erhöhen.Gerade bei der Stärkung der Resilienz ist dieVielfalt der Voraussetzungen unterschiedlichsterBeschäftigtengruppen zu berücksichtigen.

„Digi.reales“ Arbeiten und Leben Der MIT-Professor Erik Brynjolfsson prognosti-ziert ein neues Zeitalter, in dem es nur nochzwei Typen von arbeitenden Menschen gebenkönne: „Die eine Gruppe umfasst Menschen,die den Computern sagen, was sie zu tun haben.

Die andere Gruppe umfasst Menschen, denendie Computer sagen, was sie zu tun haben“ (zit.nach Bienzeisler, 2014, S. 18). Was Menschenzukünftig tun und wie sie es tun, darf nichtdurch technische Möglichkeiten bestimmt wer-den, sondern muss das Resultat bewusster ar-beitswissenschaftlich fundierter Abwägungs-prozesse sein. Von grundlegender Bedeutungscheint hier u.a. die Klärung der Frage zu sein,wie Leiblichkeit und Sinnlichkeit im digitalisier-ten Arbeitsprozess erhalten und sinnhaft ge-nutzt werden können.

Eine weitere Aufgabe der Arbeitsforschung wirdes sein, Gestaltungskriterien zum Umgang mitentgrenzten Arbeits- und Lebensformen zu ent-wickeln. Herausforderungen werden darin be-stehen, die Individualisierungstendenzen zustoppen, soziales Leben auch für Menschen mithohen Mobilitätserfordernissen zu ermöglichen

Aufgaben für die Arbeitswelt von morgen Antje Ducki

Soziodemografie-Forschung endet ja nicht mitder erschreckenden Feststellung, dass die Ge-sellschaft altert und dass Belegschaften altern,was man in den frühen Zeiten der Soziodemo-grafie-Forschung allenthalben lesen konnte. In-zwischen wird wahrgenommen, dass im Ver-gleich zu früheren Zeiten der Anteil an älterenMenschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen,dauerhaft groß sein wird: Die Erwerbstätigen-quoten der 55- bis 69-Jährigen in Deutschlandsteigen seit 2005 deutlich1 und das durch-schnittliche Renteneintrittsalter hat sich faktischnach hinten verschoben. Mick Jagger (71) rocktauf den großen Bühnen der Welt und Heino (76)rockt im Jahr 2015 härter als je zuvor.

Die Rollenzuschreibungen für Ältere haben sichverändert, aber auch die Arbeitsbedingungen inden Werkhallen und Büros haben sich verbessert.Frank-Jürgen Weise, Vorstandschef der Bundes-agentur für Arbeit (BA), plädiert für Model le ei-ner freiwilligen Rente mit 70 und Hans-WernerSinn, Präsident des Münchner ifo-Ins tituts, hatsich für die Abschaffung des gesetzlichen Ren-teneintrittsalters in Deutschland ausgesprochen.Wird es Rentnerinnen und Rent ner im klassi-schen Sinn zukünftig noch geben? Ist das einAlbtraum oder ein Traum? Könnte es sein, dassin Zukunft niemand mehr nach dem Alter fragt?

Auch die aktuell umschwärmte und ins Erwerbs-leben drängende Generation Y, deren Mitgliederauch als Digital Natives bezeichnet werden, weilsie in der computerisierten Welt aufgewachsensind, wird älter. Aber sind damit alle Problemeder digitalisierten Arbeit gelöst, wenn das kenn-zeichnende Merkmal Nummer eins der Gene-ration Y deren Inhomogenität2 ist?

Generationen-Abtrennungen helfen offensicht-lich nicht weiter, wenn man die Digitalisierungder Arbeit in allen Wirtschaftssektoren mitge-stalten will, sodass die Wirtschaft und die Men-schen von den sichtbar werdenden Möglichkei -ten der Digitalisierung profitieren.

Individualisierung der Arbeitsangebote und le-bensphasenorientierte Arbeitsmodelle könntenweiterhelfen. Arbeitsmodelle scheinen möglich,die gleichzeitig persönliche Bedürfnisse und or -ga nisationale Bedarfe weitgehend berücksichti -gen. Gerade dabei kann die Digitalisierung helfen.

Es bewegt sich vieles. Und die Soziodemografie-Forschung? Die sollte vorausgehen!

1 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 2015.2 „Fact 1: Millennials are now the largest, most diverse gene -

ration in the U.S.”, 15 Economic Facts about Millennials. TheCouncil of Economic Advisers, October 2014, Executive of thePresident of the United States.

Neue digitalisierte Arbeit – Neue Soziodemografie-Forschung?Walter Ganz, Jürgen Wilke

Walter Ganz, Jürgen Wilke

Die AutorenWalter Ganz ist Institutsdirektor und Leiterdes Geschäftsfelds „Dienstleistungs- undPerso nalmanagement“, Jürgen Wilke ist Leiterdes Competence Teams „Kompetenzmanage-ment“ am Fraunhofer Institut für Arbeitswirt-schaft und Organisation, Stuttgart.

und die Voraussetzungen für einen sinnhaftenEinsatz digitaler Medien zu schaffen. Nur einkompetenter und an Humankriterien orientier-ter Umgang mit den neuen Medien und densich daraus ergebenden Möglichkeiten sichertuns auch zukünftig gute Arbeitsbedingungen.

Literatur Bienzeisler, B. (2014). Wie smarte Dienste die Arbeit aufmischen.

Mitbestimmung, 6, S. 16-19.

Antje Ducki

Die AutorinProf. Dr. Antje Ducki ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Beuth Hochschule für Technik.

Die Arbeitswelt der Zukunft wird eingebettet sein in eine leistungsorientierteGesell schaft mit hohen Ansprüchen an Lebensbalancen und eine wachsende Ver-schmelzung digitaler und realer Lebens- und Arbeitsformen. Sie wird orchestriertvom demografischen Wandel, Diversifizierung der Belegschaften, zunehmendenKlima schwankungen und geopolitische Krisen. Hieraus ergeben sich verschiedeneHandlungsfelder und Forschungsfragen.

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In den globalen Arbeitsgesellschaften kommtein tiefgreifender Umbruch zum Abschluss, dervor allem durch Prozesse der Flexibilisierung,Entgrenzung und Subjektivierung der Erwerbs-arbeit gekennzeichnet ist. Dieser Bruch hatweitreichende Konsequenzen auch für die ar-beitsbezogenen Wissenschaften. Grenzkonflikteder Arbeit nehmen zu. Herkömmliche Standards,Verfahren und Erkenntnisse der Arbeitsfor-schung stehen zur Disposition, vor allem diezentrale Orientierung an den Arbeitsaufgabenund den darauf bezogenen organisatorisch-qualifikatorischen Gestaltungskonzepten gerätin die Krise. Die zunehmende Unübersichtlich-keit in der Arbeitswelt führt zu einer Subjekti-vierung auch der Arbeitsforschung, die die Ar-beitsverhältnisse zunehmend aus dem Blickgeraten lässt. Mehr denn je ist deshalb inter-disziplinäre Kooperation erforderlich.

In Arbeitsgestaltung und Prävention geht es imKern um eine innovative Neugestaltung von„ganzer Arbeit“, da die ganze Person zunehmendin entgrenzte Arbeitsprozesse hineingezogenwird. Die Perspektive liegt in der eigensinnigenGestaltung entwickelter Technik „von unten”,

entlang der Fähigkeiten und Potenziale derMenschen, ihres Erfahrungswissens, ihrer „tacitskills“ und ihres umfassenden Arbeitsvermö-gens.

Den Wünschen der Beschäftigten an größereHandlungsspielräume stehen tendenziell unge-bremste Zugriffe der ökonomischen Rationalitätauch auf die bisher in der Erwerbsarbeit nichtaktualisierten Potenziale und Motivationen ge-genüber. Die in der Vergangenheit gewonnenenErfahrungen zu den Unwägbarkeiten komplexertechnischer Systeme und der unverzichtbarenRolle menschlicher Arbeitserfahrung verlangennach neuen integrierten Konzepten von Inno-vationsgestaltung, Technikentwicklung und Ge-staltung der Arbeitsorganisation in präventiverHinsicht. Um den Gefahren einer Überforderungund der Zunahme psychosozialer Belastungendurch die erwarteten neuen Arbeitsformen („In-dustrie 4.0“) zu begegnen, ist die Reformulie-rung kollektiver Standards für individualisierteArbeitsverhältnisse nötig. Die bisherige stabileFörderung interdisziplinärer Arbeitsforschung inDeutschland hat dafür günstige Voraussetzun-gen geschaffen, die es weiterzuentwickeln gilt.

Die Interdisziplinarität in der Arbeitsforschunghat Zukunft!Arno Georg

Arno Georg

Innovationen halten Deutschland und Europawettbewerbsfähig. Dass Innovationen nicht aus-schließlich mit moderner Technik, sondern vorallem mit handelnden Menschen und ihren Ar-beitsbedingungen zu tun haben, spricht für dieEntwicklung ganzheitlicher und nachhaltigerLösungen. Dies setzt eine integrierte Betrach-tung der Gestaltungsebenen Mensch – Organi-sation – Technik voraus. Es entstehen komplexeSysteme und Fragestellungen, die nicht längernur von einer Disziplin bearbeitet werden kön-nen. Das gilt in besonderer Weise für Ingenieur-und Naturwissenschaften, die ohne Partner-schaft auf Augenhöhe mit Sozial-, Geistes- undRechtswissenschaften ihre guten Innovations-ideen nicht „auf die Straße bringen“ können.

Um innovationsfördernde Rahmenbedingungenund kohärente Strategien zwischen Wissen-schaft, Wirtschaft und Politik zu gestalten, mussein FuE-Programm selbst lern- und innovations -

fähig sein! Vor allem muss es sich kurzzyklischanpassen können. Dies kann gewährleistet wer-den durch „offene Programmstrukturen“ sowieintegrierte Lern- und Strukturinstrumente, wiesie beispielsweise im FuE-Programm „Arbeiten,Lernen, Kompetenzen entwickeln – Innovations -fähigkeit in einer modernen Arbeitswelt“ (BMBF)implementiert wurden. Gelingende inter- undtransdisziplinäre Forschung ist mehr als das Ne-beneinanderstellen disziplinärer Perspektiven.Solche Ansätze müssen von Anfang an die da-von betroffenen Akteure in den Forschungspro-zess einbinden. Auch hier haben die Programmedes BMBF zur Arbeitsgestaltung bundes- undweltweit Maßstäbe gesetzt.

Innovationsideen „auf die Straße bringen“Klaus Henning

Klaus Henning

Der AutorUniv.-Prof. Dr.-Ing. em. Klaus Henning ist seit 2010 Senior Advisor am InstitutsclusterIMA/ZLW & IfU der RWTH Aachen, das er von 1985 bis 2009 selbst leitete.

Die Autorinnen und AutorenArno Georg arbeitet an der Sozialforschungs-stelle Dortmund, Zentrale WissenschaftlicheEinrichtung der Universität Dortmund.

Zur Autorinnen-/Autorengruppe gehören zu-dem Kerstin Guhlemann und Olaf Katenkamp(Sozialforschungsstelle Dortmund) sowie Uwe Dechmann, Christina Meyn und Gerd Peter (Dortmunder Forschungsbüro fürArbeit, Politik und Prävention DO-FAPP).

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Innovationsfähigkeit entwickeln – Innovationen am Arbeitsplatz erforschen und gestaltenJürgen Howaldt

Zentrale Herausforderungen der Arbeitswelt von morgenAndreas Ihm

Andreas Ihm

Der AutorAndreas Ihm, Politologe M.A., ist Leiter desForschungsbereichs Arbeitsgestaltung undDemografie am Institut für Technik derBetriebs führung im Deutschen Handwerks -institut e.V. (itb).

Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Entwicklungen wie der demografische Wandel und die Digitalisierungschaffen grundlegende Umbrüche auf betrieblicher Ebene, die sichunmittelbar auf die Beschäftigten auswirken.

Die Fähigkeit einer Gesellschaft, die vorhandenen Innovationspotenziale zu nutzenund systematisch weiterzuentwickeln, entscheidet über ihre Zukunftsfähigkeit. Allerdings ist die Entwicklung von Innovationsfähigkeit ein voraussetzungsreicherProzess und stellt die beteiligten Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik undGesellschaft vor große Herausforderungen.

Während sich die Debatte um nationale undregionale Innovationssysteme vorwiegend mitden strukturellen, politischen und institutionel-len Voraussetzungen der Innovationsfähigkeitauf nationaler und regionaler Ebene beschäftigt,treten in der wissenschaftlichen Diskussion umein erweitertes Innovationsverständnis zuneh-mend management- und arbeitsbezogene As-pekte der Innovationsfähigkeit in den Mittel-punkt der Aufmerksamkeit.

Auf Ebene der Organisation und des Unterneh-mens setzt dies die Schaffung moderner Ar-beitsumgebungen voraus, die eine stärkereSelbstorganisation ermöglichen und mehr Frei-raum für die individuelle Gestaltung des Ar-beitsplatzes und der Arbeitsprozesse lassen. Vonbesonderer Bedeutung sind dabei Innovationenam Arbeitsplatz. Diese lassen sich als Umsetzungsozialer Innovationen auf Ebene des Unterneh-mens definieren. Innovationen am Arbeitsplatzsetzen eine erhebliche Verschiebung hin zumehr Partizipation, mehr Dezentralisierung vonVerantwortung, mehr Arbeitsautonomie, mehrMöglichkeiten individueller Kontrolle, mehrSelbstorganisation und ein erhöhtes Maß anWeiterbildung voraus. Innovationen am Arbeits-platz streben Win-win-Situationen an, in denensoziale und wirtschaftliche Ziele gleichermaßenBerücksichtigung finden.

Jürgen Howaldt

Der AutorProf. Dr. Jürgen Howaldt ist Geschäftsführen-der Direktor der Sozialforschungsstelle Dort-mund, Zentrale Wissenschaftliche Einrichtungder Universität Dortmund.

Immer mehr Länder haben Programme zur Ar-beitsproduktivität, Kompetenzentwicklung, Bil-dung und Innovation eingeführt oder sind da-bei, diese zu entwickeln. Nicht nur Deutschlandhat eine reiche Tradition an solchen Program-men. Es lassen sich auch Beispiele in Finnland,Schweden, den Niederlanden und Belgien, Irlandund Großbritannien finden. Diese Erfahrungensozialer Innovationen am Arbeitsplatz mitei-nander zu verbinden, Synergiepotenziale zuidentifizieren und die Qualität des Arbeitslebenszu verbessern mit dem Ziel, Innovationsfähigkeitim Sinne intelligenten, nachhaltigen und inklu-siven Wirtschaftens weiter zu erhöhen, dafürsind Investitionen in entsprechende Forschungund Entwicklung notwendig. Insofern ist es fol-gerichtig, dass das Thema „Innovative Arbeits-welt“ einen wichtigen Stellenwert in der neuenHightech-Strategie der Bundesregierung ein-nimmt.

werden von diesen Entwicklungen maßgeblichbeeinflusst. Gerade der Bereich der Gesunder-haltung der Beschäftigten wird durch dieseDurchdringung vor neue Herausforderungengestellt: Die Verschiebung der Belastung wegvon physischen hin zu psychischen Faktorenbedarf neuer Methoden zur Erfassung, Analyse,Prävention und Reduktion dieser „neuen“ Be-lastungsfaktoren und wird die Arbeitswelt unddie Arbeitswissenschaft vor Herausforderungenstellen. Ihre erfolgreiche Bewältigung wird maß-geblich zur Schaffung einer Arbeitswelt beitra-gen, die die betrieblichen Anforderungen unddie Interessen der Beschäftigten vereint.

Dieser stetige Wandel führt zu Herausforde-rungen, die sich auf unterschiedlichen Ebenenmanifestieren: Wissenserhalt im Unternehmen,Fachkräftegewinnung und -sicherung sowie dieGesunderhaltung der Beschäftigten sind nureinige der Facetten des Arbeitslebens des 21.Jahrhunderts.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen sehensich aufgrund struktureller Besonderheiten ge-genüber größeren Unternehmen oftmals bei derBewältigung der Herausforderungen im Nach-teil. Ein Ziel der Arbeitsforschung muss es sein,noch mehr als bisher passgenaue Lösungen un-abhängig von der Betriebsgröße zu finden undso Betrieben jeglicher Größe und ihren Beschäf-tigten zu helfen, sich den Herausforderungenzu stellen, die Risiken dieser Entwicklungen zuvermeiden und ihre Chancen zu nutzen.

Im Fokus der Arbeitswelt des 21. Jahrhundertswird außerdem der Themenkomplex „Digitali-sierung“ stehen. Technologische Entwicklungendurchdringen alle Aspekte des betrieblichen Le-bens. Themen wie Arbeitsgestaltung, Qualifika-tion, Kooperationen und Fachkräftegewinnung

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Die Chiffre „Industrie 4.0“ ist eine Manifestationder vierten industriellen Revolution. Revolutio-nen entstehen weder absichtlich noch willkür-lich – noch sind sie Ausnahmezustand. Sie sindvielmehr Konsequenz technologischer, sozialeroder ökologischer Veränderungen. Und sie sindgekennzeichnet durch ihre ganzheitlichen Aus-wirkungen: Sie betreffen nicht nur einzelne Be-reiche, sondern verändern die Gesellschaft undihre Strukturen an allen Stellen. ,,4.0“ kann als„everything is connected to everything anytime“zusammengefasst werden. Der Begriff adressiertdie Vernetzung intelligenter Komponenten zucyber-physischen Systemen und dem Internetder Dinge. Die Entwicklung trifft zusammen mitder Realisierung erster autonomer Systeme ineiner an vollständig „menschlicher Komplexität“orientierten Umwelt – wie z.B. bei der Fahrt ei-nes autonomen Autos in einer realen Stadt.

Diese „neuen“ Technologien bewirken radikaleVeränderungen auch in der modernen Arbeits-welt. Enge Kooperationen zwischen Menschenund robotischen Akteuren werden möglich undsinnvoll, die bisher aufgrund der „Dummheit“der Automatisierungsanlagen aus Sicherheits-gründen nicht umsetzbar waren. Ergonomischgesündere und inhaltlich ausfüllendere Arbeits-plätze können entstehen, denn in der Vergan-

genheit haben Menschen in der Produktion kei-neswegs diejenigen Aufgaben ausgeführt, diesie besonders interessiert hätten oder für diesie sich körperlich am besten eigneten, sonderndiejenigen, die am schwersten automatisierbarwaren. Diese „Logik des Ausschlussverfahrens“wird nun abgelöst: Eine intelligente Robotik lie-fert die Grundlage für eine echte, also partner-schaftlich orientierte Teamarbeit von Menschund Maschinen. Diese hybriden Systeme sinddie sozio-technischen Systeme der Zukunft!

Eine solche Modellierung setzt jedoch einehoch-konvergente Betrachtung aller beteiligtenAkteure voraus. Die alten Abgrenzungen vonMensch vs. Maschine greifen nicht, doch durchihre Verfestigung – vor allem in unseren Köp-fen – behindern sie den Kommunikationsflussund das Kooperationspotenzial.

Ein solcher Ansatz – die integrierte und sym-metrische Betrachtung aller Arten von Akteurenunabhängig von ihrer Natur – ist gleichermaßenGrundlage für eine an individuellen Kompeten-zen und Bedürfnissen ausgerichtete Tätigkeits-aufteilung, aber auch die Basis für eine opti-male, effiziente Kooperation und damit einentscheidender Beitrag für die Wettbewerbs -fähigkeit Deutschlands.

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Kooperationen zwischenMenschen und robotischenAkteuren werden möglichSabina Jeschke

Im 21. Jahrhundert haben sich Arbeitsbiografienerheblich verändert. Das im 20. Jahrhundert do -minierende Normalarbeitsverhältnis, d.h. dielebens lange, sozialversicherungspflichtige Voll-zeitbeschäftigung in einem Unternehmen, isteiner modernen Erwerbsbiografie in der digita-len Ökonomie gewichen, die geprägt ist durchhäufigere Arbeitsplatz- und Arbeitgeberwechsel,durch Tätigkeits- und Berufswechsel sowiedurch einen Wechsel zwischen Beschäftigungs-formen.

Dieser Trend zu diskontinuierlichen Erwerbsver-läufen birgt Chancen auf sinnerfüllte und gutbezahlte Arbeit, jedoch vor allem für gut quali-fizierte Beschäftigte, den „Jobnomaden“ undder „digitalen Bohème“, die in den wissensinten -siven Branchen und Hochtechnologiefeldernder digitalen Ökonomie unterwegs sind. Er birgtaber Risiken auf eine Prekarisierungsspirale ausDequalifizierung, Arbeitslosigkeit und fehlendersozialer Absicherung im Arbeitsleben und danach,die vor allem die weniger gut qualifizierten Be-schäftigten, die mit familiärer Verantwortung(Kinderbetreuung, pflegebedürftige Angehörige)und Beschäftigte in weniger digitalisierten, we-niger gut bezahlten Branchen trifft.

Die tarifliche Ordnung, die Institutionen desArbei ts- und Gesundheitsschutzes, die Akteureder betrieblichen und außerbetrieblichen Wei -ter bildung und der sozialen Absicherung könnender Entwicklung kaum folgen. Es fehlt an „Leit-planken“ für die Entfaltung einer neuen Norma -lität, die sich nicht nur an den Interessen derUnternehmen, sondern auch an den Gütekrite-rien für Arbeitsfähigkeit, Gesundheit, Le bens -phasengerechtigkeit, Vereinbarkeit von Berufund Privatleben / Familie, Geschlechter- undGene rationengerechtigkeit orientiert.

Wenn es nicht gelingt, Erwerbsverläufe in denBlick zu nehmen, kann die Arbeitsforschung nurwenig über Erfolgsfaktoren und Kriterien desScheiterns, aber auch über langfristige Effekte(für Kompetenzen, soziale Sicherheit, Familie,Gesundheit) aufklären und Gestaltungsvor-schläge entwickeln.

Es können daher auch kaum Prognosen überdie Veränderung der Erwerbsverläufe und überdie darauf bezogenen Auswirkungen auf andereHandlungsfelder (z.B. Prävention, Kompetenz-entwicklung, Arbeitsgestaltung) und Lebens -bereiche (z.B. Familie, Nacherwerbsphase) abge -leitet werden. Der Forschungs- und Gestaltungs-bedarf ist deshalb erheblich.

Die Veränderung der Erwerbsverläufe ist Aus-druck einer neuen, gefährdeten Normalität inder Arbeitswelt. Eine wirksame Unterstützunggelingender Erwerbsverläufe gehört daher zuden größten Herausforderungen der Arbeitsge-staltung in der digitalen (und nicht-digitalen)Ökonomie.

Arbeitsbiografien in der digitalen Ökonomie Rüdiger Klatt

Kurt-Georg Ciesinger

Der AutorDr. Rüdiger Klatt ist Geschäftsführer und Vor-standsvorsitzender des Forschungsinstitutsfür innovative Arbeitsgestaltung und Präven-tion (FIAP) e.V. in Gelsenkirchen.

Die AutorinUniv.-Prof. Dr. rer. nat. Sabina Jeschke istDirek torin des Institutscluster IMA/ZLW & IfU der RWTH Aachen University, Fakultätfür Maschinen wesen.

Technische Komponenten bei Industrie 4.0 sind so intelligent, dass sie sich untereinander autonomvernetzen können und eine zentrale Steuerungzuneh mend obsolet wird.

Wir sollten für die Arbeitswelt von morgen ernst-haft darüber nachdenken, ob wir diese Autonomienicht auch den Menschen im Arbeits prozess zu -gestehen wollen.

Kurt-Georg Ciesinger ist Geschäftsführer dergaus gmbh – medien bildung politik beratung,Dortmund.

Rüdiger KlattSabina Jeschke

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Im Jahr 1990 hatte das FuE-Programm Arbeitund Technik das Programm Humanisierung desArbeitslebens abgelöst. Erstmalig wurden darinauch demografische Trends und Auswirkungenauf Arbeitsbedingungen und Beschäftigungs-strukturen angesprochen. In einem ersten Pro-jekt zum demografischen Wandel unter Betei-ligung des IAO-FhG Stuttgart und der GfAHDortmund entstand dann abschließend der ersteDemografie-Kongress „Alter und Erwerbsarbeitder Zukunft – Arbeit und Technik bei veränder-ten Alters- und Belegschaftsstrukturen“ im No-vember 1992 in Berlin, auf dem im Kontext desdemografischen Wandels neue Themenfelderund Forschungsansätze erschlossen wurden.

Es folgte dann 1994 die erste Bekanntmachung„Demographischer Wandel und die Zukunft derErwerbsarbeit im Standort Deutschland“. Diewichtigsten Ergebnisse der dabei gefördertenVerbundprojekte wurden im „Zukunftsreportdemographischer Wandel – Innovationsfähig-keit in einer alternden Gesellschaft“ veröffent-licht und im November 1999 vom BMBF auf deminternationalen Fachkongress „Altern und Ar-beit“ in Berlin der Fachöffentlichkeit vorgestellt.In der Öffentlichkeit war das Thema Demogra-fischer Wandel bisher nicht angekommen undwenn, dann ging man davon aus, dass eineschrumpfende Gesellschaft doch zum Abbau derhohen Zahl Arbeitsloser führen würde.

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts starte -te das BMBF mit zwei „Demografie-Initiativen“,die von den drei Berufsverbänden VDMA mitmittleren Unternehmen, ZVEI mit großen undklei nen Unternehmen und dem ZVHSK mitKleinstunternehmen aus dem Handwerk durch-geführt wurden. Mit der ersten Initiative konnten130 KMU direkt in die Förderung eingebundenwerden. Es wurde erstmals ein Problembewusst-sein auf breiter Ebene bei den Unternehmen er -zeugt, wenn auch noch mit bescheidenem Aus-maß. Der Megatrend Demografischer Wandelfand Eingang in das Management, es wurdenerste Instrumente (z.B. Altersstrukturanalyse)entwickelt und erprobt, aus denen heraus be-gründete Maßnahmen für alternde Belegschaf-ten abgeleitet werden konnten (Mischarbeit mitorganisiertem Belastungswechsel, gesundheits-förderliche Arbeitsgestaltung, Qualifizierung imErwerbsverlauf, horizontaler Tätigkeitswechsel).

Mit einem neuen Ansatz des Transfers von For-schungsergebnissen wurden zwanzig der erfolg -reich erprobten Werkzeuge zusammengestelltund für die Praxis in einem Werkzeugkoffer auf-bereitet (www.demowerkzeuge.de). Flankiertwurde dies mit einer Öffentlichkeits- und Mar-ketingstrategie (www.demotrans.de), um einenbreitenwirksamen Transfer herzustellen.

Seit dieser Zeit ist der Megatrend Demogra -fischer Wandel quasi als DemografiefaktorBestand teil jeder Bekanntmachung gewesen:„Inno vationsstrategien jenseits traditionellenManagements“, „Innovationsfähigkeit im de-mografischen Wandel“, „Betriebliches Kompe-tenzmanagement im demografischen Wandel“,„Präventive Maßnahmen für die sichere undgesunde Arbeit von morgen“ und aktuell „Arbeitin der digitalisierten Welt“, dessen noch zu för-dernde Projekte bis 2020 reichen werden.

Damit wurden allein in den letzten zehn Jahrenweit über 100 Verbundprojekte mit zahlreichenForschungs- und Betriebspartnern zum Themades demografischen Wandels gefördert. Hinzukommen Dutzende von Fachtagungen und Kon-gresse, die das Wissen verbreitet haben.

Demografischer Wandel als Gegenstand der Arbeitsforschung. Hat das BMBF genug getan? (1990–2015) Thomas Langhoff, Ulrike Weber

Thomas Langhoff, Ulrike Weber

In den vergangenen Jahren haben vielfältigeEntwicklungen in Wirtschaft und Technik zugravierenden Umbrüchen in der Arbeitswelt ge-führt. Unternehmen wie Beschäftigte musstensich den veränderten Rahmenbedingungen vonu. a. verkürzten Produktentwicklungszyklen,vola tileren Märkten und erhöhtem globalerenWettbewerb stellen. Einhergehend mit diesenHerausforderungen stieg der Bedarf nach in-novativen Konzepten, die Flexibilität und Sta-bilität der Arbeits- und Produktionsbedingungenbalancieren, stetig an.

Gleichzeitig machen sich die Konsequenzen desdemografischen Wandels in Deutschland be-merkbar. Alle Altersklassen müssen an Wissens-generierung und -erhalt beteiligt und in orga-nisatorische Innovationsprozesse einbezogenwerden. Unternehmen stehen zunehmend vorder Herausforderung, Führungskonzepte zur In-tegration und Wertschätzung der Innovations-leistung aller Mitarbeiter sowie interner undexterner Grenzinnovatoren zu implementieren.

Besondere Brisanz entsteht nun zusätzlich durchdie fortschreitende Digitalisierung der Arbeits-welt. Die Thematik Industrie 4.0 basierend aufcyber-physischen Systemen dominiert die Dis-kussion bezüglich der zukünftigen Gestaltungder fertigenden Industrie. Gerade für Deutsch-land, als Standort weltweit führender Fabrik-ausrüster mit innovativen Automatisierungs-technologien, bietet diese Entwicklung großePotenziale.

Während die technologischen Voraussetzungen,wie Sensorik und Aktuatorik sowie die digitaleInfrastruktur für die vernetzte Wirtschaft vonmorgen, bereits bestehen, so fehlt es noch anfundierten innovativen, flexiblen und gleich-zeitig stabilisierenden Führungskonzepten und-kompetenzmodellen zur Integration und Wert-schätzung der Innovationsleistung aller Mitar-beiter und Mitwirkenden. Wirtschaft, Gesell-schaft, insbesondere aber Unternehmen, stehenvor der Kernherausforderung eben solche Füh-rungskonzepte und -kompetenzmodelle zuetablieren, um die Potenziale des Industrie 4.0-Zeitalters zu verwirklichen.

Kathrin Möslein, Sascha Oks,Anke Wendelken

Die Autorinnen, der AutorProf. Dr. Kathrin M. Möslein ist Inhaberin desLehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, insbes.Innovation und Wertschöpfung am Fach -bereich Wirtschaftswissenschaften der Uni-versität Erlangen-Nürnberg und Forschungs-professorin und Mitglied im Direktorium desCenter for Leading Innovation & Cooperation(CLIC) an der Handelshochschule Leipzig.

Dipl.-Kffr. Anke Wendelken und M.Sc. SaschaJulian Oks sind wissenschaftliche Mitarbeiteram Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik derUniversität Erlangen-Nürnberg.

Die Autorin, der AutorProf. Dr. Thomas Langhoff und Dipl.-Betriebs-wirtin Ulrike Weber sind GeschäftsführendeGesellschafter der Prospektiv GmbH – Gesell-schaft für betriebliche Zukunftsgestaltungenin Dortmund.

Führen im Industrie 4.0-Zeitalter: innovativ, balanciert und wertschätzend Kathrin Möslein, Sascha Oks, Anke Wendelken

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Die Arbeitswelt steht wieder einmal vor folgen-reichen Veränderungen. Sie kündigen sich mitBegriffen wie „Industrie 4.0“ oder „Internet derDinge“ an. Die Mutmaßungen über deren Folgenfür die Arbeitenden sind weitreichend. Vom so-zialen und ökonomischen Abstieg der Mittel-schicht, fortschreitender Fragmentierung vonKarrieren, der Totalprotokollierung und -kon-trolle von Arbeit und Leben ist die Rede, bis hinzur dunklen Vision der umfassenden Substitu-tion menschlicher Arbeit durch effiziente Al-gorithmen, jenseits demokratischer Kontrolle –einerseits.

Andererseits scheint auch ein neues Reich derFreiheit anzubrechen, in dem zwar nicht Milchund Honig fließen, aber Big Data. Kreative Wis-sensarbeiter/-innen nutzen diese Daten für In-novationen, neue Geschäftsmodelle und neueOrganisationsformen, arbeiten selbstbestimmtund selbstorganisiert, bringen nebenbei Arbeitund Leben in Einklang. So weit, so ungewiss.Komplexität und Ambivalenz gehen hier Handin Hand.

Eine zentrale Herausforderung der Arbeitsfor-schung wird sein, sich den Ambivalenzen imVerhältnis von Arbeit und Algorithmen, vonZweck und Mittel zu stellen. Im Leitbild vom„Internet der Dinge“ taucht der Begriff „Arbeit“nicht einmal auf. Aber der Begriff „Zerschla-gung“ (von etablierten Märkten) genießt beiTechnologieunternehmen fast Heiligenstatus,wie Jaron Lanier einmal bemerkte. Und die Zer-schlagung von Märkten bleibt selten folgenlosfür die Arbeitenden.

In unserer Arbeitsgesellschaft aber wird Ein-kommen auch weiterhin an Arbeit gebundensein, sie wird sinn- und identitätsstiftend sein.In diesem Szenario kann sich die künftige Rolleder Arbeitsforschung nicht darin erschöpfen,Effizienzwissen zur digital getriebenen, sozial-technologischen Rationalisierung von Arbeitbereitzustellen. Aufgabe von Forschung ist auch,freies Denken und Handeln zu ermöglichen. DieArbeitsforschung sollte auch dazu beitragen,emanzipatorische Potentiale digitalisierter Ar-beitswelten und die Bedingungen zu erhellen,

Wie wollen wir arbeiten?Frank Schirmer Frank Schirmer

Während wir in einigen Arbeitsbereichen – im-mer noch oder auch wieder – mit Hilfe klassi-scher Arbeitsstrukturierungsmaßnahmen ver-suchen, Monotonie und einseitige Belastungenzu reduzieren, sehen wir uns in anderen Tätig-keitsfeldern mit einer stark zunehmenden Kom-plexität konfrontiert. Globalisierung, Individua-lisierung, Digitalisierung und Vernetzung – dieseTrends gehen u.a. einher mit extrem dynami-schen Kunden- und Nutzergruppen, einer stei-genden Zahl an Kooperationspartnern und -be-ziehungen, verkürzten Innovationszyklen, großenInformationsmengen, hochflexiblen Arbeitspro-zessen und in der Folge mit immer vielfältigerenund schnell wechselnden Anforderungen, Bedürf -nissen, Interessen, Aufgaben und Prioritäten.

Im positiven Fall führt Komplexität zu abwechs-lungsreicheren, anspruchsvolleren Arbeitstätig-keiten, zu besseren Ergebnissen und kreativerenLösungen (z.B. in heterogenen Teams). Im ne-gativen Fall kann sie allerdings auch zu insta-bilen Systemen, zu chaotischen Prozessen,zu überfordernden Belastungssituationen,zu falschen Entscheidungen und Handlun-gen bis hin zur völligen Entscheidungsun-fähigkeit (z.B. aufgrund von Intransparenzoder unkla ren Prioritäten) führen.

In zahlreichen Arbeitssystemen in Ent-wicklung, Produktion und Service wirddie Herausforderung darin bestehen, ver-meidbare Komplexität zu identifizierenund zu reduzieren sowie unvermeidbare– gewollte und ungewollte – Komple-xität beherrschbar zu machen.

Es ist zwar vereinzelt gelungen, Komplexitäts-probleme formal zu beschreiben und zu lösen,aber die Entwicklung von Methoden und Ver-fahren für die arbeitswissenschaftliche Analyseund Bewertung sowie die Ableitung adäquaterGestaltungsempfehlungen für die betrieblichePraxis stehen noch am Anfang. Hier eröffnensich für die Arbeitswissenschaft große For-schungs- und Gestaltungsfelder, die sicher nurmultidisziplinär bearbeitet werden können.

Arbeit in komplexen Systemen – digital, vernetzt, human?!Christopher M. Schlick

Christopher M. Schlick

Der AutorUniv.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. ChristopherMarc Schlick ist Direktor des IAW der RWTH Aachen sowie stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE).

Der AutorProf. Dr. Frank Schirmer ist Professor fürBetriebs wirtschaftslehre, insbesondereOrganisa tion an der Technischen UniversitätDresden.

unter denen selbstorganisiertes und selbstbe-stimmtes Handeln mehr umfasst als die Freiheitzur Produktivitätssteigerung. Wie und zu wel-chen Zwecken wir künftig arbeiten wollen, da-rüber ist ein Diskurs mit Hilfe der Arbeitsfor-schung dringend geboten.

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Wir brauchen eine politikfeldübergreifende Lobbyfür Sicherheit und Gesundheit bei der ArbeitKai Seiler

Es gibt eine Liste von Herausforderungen fürdie Arbeitswelt von morgen, die in der einenoder anderen Gewichtung aktuell diskutiertwird. Hier werden z.B. genannt die Digitalisie-rung der Arbeit, der Strukturwandel RichtungDienstleistung, die Globalisierung und Interna-tionalisierung, auf der Arbeitskraftseite die de-mografische Entwicklung und der Fachkräfte-mangel sowie in jüngerer Zeit immer stärkerdas Thema Diversity mit seinen verschiedenenFacetten.

Diese Beispielliste stellt natürlich nur eine kleineAuswahl dar. Das gilt auch noch für komplexereDarstellungen wie die Liste von Megatrends desIAO, die auch Aspekte wie die Mobilität undVerstädterung hinzunimmt, die allesamt auchHerausforderungen für die (Arbeits-)Welt vonmorgen benennen. Schon vor über einem Jahr-zehnt hat der Philosoph Bernhard Mutius ver-sucht, die „Verwandlung der Welt“ insgesamt zukartieren mit einer der wohl komplexesten Listenüber die Herausforderungen der Welt und d.h.fast immer auch der Arbeitswelt von morgen.

Und überhaupt ist die Zukunft bekanntlich auchnicht mehr das, was sie mal war! „Alte“ Heraus-forderungen der Arbeitswelt von morgen, die vornoch nicht einmal 30 Jahren (!) vorne auf dieserListe platziert waren, existieren irgendwie weiter,wie z.B. die chemischen und Strahlenrisikenoder die der Bio- und Gentechnik. Im Katastro-phenfall würden sie schnell wieder vorne aufder Liste erscheinen. So „belegen“ ja auch dieInfektionsrisiken immer mal wieder ihre Aktua-lität als Herausforderung für die Arbeitswelt.

„Die“ zentrale Herausforderung für die Arbeits-welt von morgen zu benennen, fällt vor diesemHintergrund schwer. Was wäre ein Kriteriumfür diese Schlüsselstellung? Dies kann einmaldie Schwergewichtigkeit der Konsequenzen,zum anderen die übergreifende Bedeutung odereine Kombination aus beidem sein.

Unter diesen Gesichtspunkten nimmt die Digi-talisierung der weltweit vernetzten Arbeit inder Tat eine Sonderstellung unter den Heraus-forderungen für die Arbeitswelt von morgenein, verbunden mit der Frage, wie menschenge -rechte, gute und existenzsichernde Arbeit füralle Beschäftigten bei uns und letztlich weltweitgewährleistet werden kann.

„Die“ zentrale Herausforderung für die Arbeitsweltvon morgen zu benennen, fällt schwer Bruno Zwingmann

Bruno Zwingmann

Der AutorBruno Zwingmann ist Geschäftsführer derBundesarbeitsgemeinschaft für Sicherheitund Gesundheit bei der Arbeit (Basi) e.V.

In den gegenwärtigen Diskussionen um die Zu-kunftsszenarien der Arbeitswelt zeichnen vieleExpertinnen und Experten ein Bild, das über-wiegend von soziodemografischen, geopoliti-schen und informationstechnisch/digitalen He-rausforderungen geprägt ist. Alles wird für diebetroffenen Akteure komplexer, dynamischerund schwerer zu durchschauen. Zudem steigtder Grad der Subjektivierung von Arbeit – dasbirgt Chancen mit Blick auf mehr Handlungs-spielraum und Selbstbestimmung, aber auchRisiken, etwa Selbstausbeutung sowie Rollen-und Aufgabenunklarheiten. Neue Arbeitsver-hältnisse sind immer häufiger atypisch – sieunterscheiden sich teils deutlich hinsichtlichOrt, Zeit und Inhaltsqualität vom sogenanntenNormalarbeitsverhältnis. Diese atypischen Ver-hältnisse werden häufig beim Arbeitsschutz undbei der betrieblichen Gesundheitsförderungvernach lässigt, wie Befragungen des LIA.nrwzeigen. Hier zeichnet sich ein Weiterentwick-

Kai Seiler

Der AutorDr. Kai Seiler leitet die Stabstelle „Transfer undWissenschaft“ sowie die Fachgruppe „Gesund-heitsmanagement, psychosoziale Faktoren“am Landesinstitut für Arbeitsgestaltung desLandes Nordrhein-Westfalen.

lichkeiten oft gezwungen, nur arbeitsgestalteri -sche Teillösungen für ein System zu optimieren,das seine bedeutsamen Risiken oft auch nochwoanders trägt.

Die zentrale Herausforderung wird es daher inZukunft sein, eine politikfeldübergreifendeLobby für Sicherheit und Gesundheit bei derArbeit zu schaffen, um die gesellschaftliche Re-levanz zu erreichen, die zu wirksamen und zeit-gemäßen Konzepten und Maßnahmen sowieSchutzrechten führt. Das verlangt den Blick ausder Vogelperspektive und nicht nur fachliches„Klein-Klein“. Das beabsichtigte BMBF-Pro-gramm „Zukunft der Arbeit“, die GemeinsameDeutsche Arbeitsschutzstrategie sowie regionaleAktivitäten – wie z. B. die Landesinitiative „Arbeitgestalten NRW“ – bergen Chancen, dass die Be-arbeitung der Zusammenhänge konstruktiv an-gegangen wird.

lungsbedarf für die beteiligten Institutionen ab(Schutzrechte, Sozialversicherung, Arbeits- undGesundheitsförderung). Die bisherige überwie-gende Fokussierung auf das industriell geprägte,sozial abgesicherte und mitbestimmte Arbeits-verhältnis männlicher Prägung steht dem oftim Weg.

All diese Entwicklungen machen deutlich, dasses in Zukunft stärker denn je auf das Empower -ment und die Kompetenzentwicklung der Be-schäftigten ankommen wird, um sich einbrin-gen, sich weiterentwickeln und sich schützenzu können – mit Blick auf diese spreche ich hiervon Partizipationskompetenz in der Arbeitswelt.Auf der anderen Seite müssen die Sozialpartnerund die Politik für eine gute Arbeitsqualität sor-gen, denn nur so kann der Erhalt und die Förde -rung von Beschäftigungsfähigkeit gewährleistetwerden. Man ist jedoch aufgrund der Rahmen-bedingungen sowie der fehlenden Einflussmög-

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Prioritäre Themen der Arbeitsforschung– oder: Was ich schon immer mal wissen wollte, aber noch nicht fördern konnte …Claudius Riegler

Der AutorDr. phil. Claudius H. Riegler, geb. 1950 in Grett-stadt/Bayern. Studium der Geschichte, Wirt-schafts- und Sozialgeschichte, Politikwissen-schaft und Soziologie an den UniversitätenErlangen-Nürnberg und Stockholm. Wissen-schaftliche Tätigkeiten mit den SchwerpunktenArbeitsmigration, Arbeitsbedingungen und Ar-beitsorganisation am WissenschaftszentrumBerlin (WZB), Swedish Center for Working Life,Swedish Environment Fund und National Insti -tute für Working Life (Stockholm) sowie freibe-rufliche Beratungs- und publizistische Arbeit.Projektmitarbeit in Projekten des Programms„Humanisierung des Arbeitslebens (HdA)“1983–1985, bei der Evaluation des schwedi-schen LOM-Programms und des „Working LifeFund“, im EU-ADAPT-Programm (1996–2000)sowie im „European Work & Technology Con-sortium“. 2001–2015 wissenschaftlicher Mit-arbeiter beim PT-DLR Arbeitsgestaltung undDienstleistungen (Programmförderung). Veröf-fentlichungen zur Migrations- und modernenSozialgeschichte, zur Arbeitspolitik sowie zurEntwicklung des Wohlfahrtsstaats in Skandi-navien, u.a. „Reformen des öffentlichen Sektorsin Skandinavien“ (mit F. Naschold, 1997) und„Schweden im Wandel“ (mit O. Schneider, 1999).

Vor einem Jahr haben acht kluge Wissenschaftler/-innen einen ganzen Katalog von Themen genannt, die auf Jahre hinaus in die Zukunft Orientierungsrahmen für kritischeArbeits forschung sein könnten. Sie müssen es sein. Ich greife die neun wichtigsten heraus:

Bezugsadresse /Kontakt: Redaktion præviewgaus gmbh – medien bildung politikberatungMärkische Straße 86-88, 44141 Dortmundfon 0231/47 73 79-30, fax 0231/47 73 [email protected], www.zeitschrift-praeview.de

Die Artikel dieser Ausgabe der præview basieren unmit -telbar oder mittelbar auf den Ergebnissen und Erfah-rungen von Vorhaben, die im Rahmen verschiedenerFörderschwerpunkte des Bundesministeriums für Bil-dung und Forschung, z.T. kofinanziert aus Mitteln derEuropäischen Union, gefördert wurden. Die Projekte wurden vom Projektträger im DeutschenZentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. „Arbeitsgestal-tung und Dienstleistungen“ betreut.

impressum

præview – Zeitschrift für innovative Arbeits-gestaltung und Prävention6. Jahrgang 2015 – ISSN 2190-04850Erscheinungsort DortmundHerausgeber: Dr. Rüdiger Klatt, GelsenkirchenVerlag: gaus gmbh – medien bildung politikberatungVerantwortlicher Redakteur:Kurt-Georg Ciesinger, DortmundOnline-Redaktion: Pia Rauball, DortmundLektorat: Ursula Meyer, BonnKorrektorat: Sabine SchollasDruck: Hitzegrad Print Medien & Service GmbHLayout: Q3 design GbR, DortmundBildnachweis: Porträts: Claudia Fahlbusch, S. 5 (Bach);Studioline Photoagentur Hamburg, S. 6 (Busch); FabianSommer, S. 6 (Dettmers); iso-Institut, S. 8 (Bieber); ISF,S. 9 (Böhle); Sebastian Scholz, S.10 (Bullinger-Hoffmann);Die Hoffotografen Berlin, S.11 (Ducki); Zuckerfabrik Foto -design©Fraunhofer IAO, S.13 (Ganz); Carl Brunn, S.15(Henning); Fotostudio Barth, S.16 (Howaldt); FotostudioBauer Karlsruhe, S.17 (Ihm); Peter Winandy, S.18 (Jeschke);Siebecke, S.19 (Klatt, Ciesinger); 4co-gestaltung, Dort-mund, S. 20 (Langhoff, Weber); Ludwig Harren GmbH &Co. KG, Nürnberg, S. 21 (Wendelken); HHL, S. 21 (Möslein);RWTH, S. 23 (Schlick); Fotostudio Hosenfeldt Wuppertal,S. 24 (Seiler); DGUV-Stephan Floss, S. 25 (Zwingmann);Ursula Bach, S. 27 (Riegler). Fotolia.com: offbeatmedia,S.16; flexmedia, S. 22; Valentyne1, S. 20; Kramografie, S. 28.

DLR

Claudius Riegler

1. Erwerbsarbeit in einer klima gerechtenGesellschaft (Eva Senghaas-Knobloch)Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf dieFrage, wie der Übergang in eine klimagerechte,d.h. klimaverträgliche und sozial gerechte Ge-sellschaft mit Blick auf die Erwerbsarbeit ge-staltet werden kann. Zu untersuchen ist hierbeivor allem, welche Arbeits- und Organisations-konzepte und beruflichen Kompetenzprofile die-sen Übergangsprozess unterstützen können.

2. Sinnhaftigkeit von Arbeit (Astrid Schütz)Wie können Unternehmens- und Führungskul-turen zu einem gesunderhaltenden Arbeitsum-feld beitragen? Welche Kulturen sind für dieneuen Herausforderungen der Digitalisierungund Globalisierung geeignet, um die Balancezwischen Wertschöpfung und Gesunderhaltungder Beschäftigten zu gewährleisten? Welchepersönlichen und organisationalen Ressourcenspielen dabei eine Rolle? Ist E-Coaching einehilfreiche Option? Welche Arbeitsplätze sindprädisponierend für einen frühzeitigen Arbeits-ausfall (z.B. Pflegepersonal, Lehrkräfte, Füh-rungskräfte)? Welche Probleme stehen im Mit-telpunkt (z.B. Burnout)? Wie kann Präventionaussehen und welche Ressourcen sind relevant(z.B. Stressbewältigung, Emotionsregulation)?Wie können im Graubereich zwischen starkerAlltagsbelastung und ersten KrankheitsfolgenBetroffene besser, früher und ohne Stigmatisie -rung identifiziert und unterstützt werden?

3. Vertrauen und soziale Verantwortung(Martin Schweer)Es gilt zu klären, wann Verantwortung im Ar-beitsleben angezeigt ist, wer Verantwortungträgt, ob es sich dabei um Eigenverantwortung

oder Verantwortlichkeit handelt, wie Fremd-und Eigenverantwortung in Arbeitskontextenwirken und welche Ressourcen unterstützendsein können. Vertrauen stellt diesbezüglich einevon mehreren Formen des Umgangs mit Ver-antwortung dar.

4. Neue Kompetenzen in der Arbeitswelt:Arbeiten mit Ungewissheit (Fritz Böhle)Es ist zu untersuchen, mit welchen kognitivenund normativen Orientierungen erfolgreichesHandeln mit Ungewissheit möglich ist. Nebenethisch-moralischen Orientierungen sind insbe -sondere menschliche Fähigkeiten zu berücksich -tigen, die bisher im Arbeitsbereich weitgehendausgespart werden (Intuition, Gespür, implizitesWissen, Improvisation usw.). Es ist zu fragen, inwelcher Weise solche Fähigkeiten gefördert undin der Praxis in Unternehmen einge setzt undbeurteilt werden können.

5. Effizienzsteigerung durch demokratischeDialoge (Werner Fricke)Die Sozialwissenschaft kann durch die Organi-sation demokratischer Dialoge zwischen allenAkteuren einen bedeutenden Beitrag zu einernachhaltigen Gestaltung von Arbeit und Produk -tion leisten. Ziel ist, dass alle Akteure (Manage-ment, Betriebsräte und Vertrauensleute, Beschäf -tigte auch in transnationalen Zusammenhängen)Entscheidungen über die zukünftige Orga nisa -tion der Arbeit gemeinsam treffen.

6. Künstlerische Praxis und Arbeit: Neue Begegnungen, Ähnlichkeiten undKorrespondenzen (Fritz Böhle)Es ist zu untersuchen, in welcher Weise in derkünstlerischen Praxis bei Unbestimmtheit,

Offen heit und Ungewissheit Ziele erreicht undProbleme gelöst werden, in welcher Weise einTransfer künstlerischer Praktiken in die Arbeits-welt möglich ist und in welcher Weise spezielldie Improvisation eine Handlungsweise ist, beider Korrespondenzen zwischen unterschiedli-chen künstlerischen Praktiken (Musik, Theater,Tanz u.a.) einerseits und neueren Entwicklungenin der Arbeitswelt andererseits bestehen.

7. Orte der Arbeit (Kathrin M. Möslein)Wo ist grundlegendes Wissen herzunehmen,das Organisationen die gezielte Gestaltung vonArbeitsorten im Kontext der Digitalisierung undinteraktiven Wertschöpfung ermöglicht? Wieverändern sich Orte der Arbeit in Geschäftsmo-dellen der Industrie 4.0? Wie lassen sich im Zu -ge der Digitalisierung Arbeitsorte in z.B. ländli-chen Regionen oder zentralen Innenstadtlagenbewusst als wertschöpfende Arbeitsorte ge -stalten? Welche Veränderungen bringen neueFormen interaktiver Wertschöpfung für die Vor-teilhaftigkeit alternativer Arbeitsorte? Wie er-möglicht eine Neugestaltung von Arbeitsortendie engere Verzahnung?

8. „Mikrostrukturelle Netzwerke“ / „Communities of Collaboration“ (Rudi Schmiede)Wie entstehen „Communities of Practice“ (zu-weilen auch „Communities of Collaboration“oder „Communities of Communication“ ge-nannt)? Hier werden die Kooperationsprozesseim Einzelnen – oft mittels teilnehmender Beob -achtung oder ähnlichen qualitativen Verfahren– im Hinblick auf die sozialen und persönlichenBeziehungen, den Umgang mit Hierarchie undOrganisation, Erfahrungsaustausch und Lernen

thematisiert, die zunehmend eine Schlüsselrollefür das Verständnis heutiger qualifizierter Ar-beitsprozesse gewinnen. Dazu ist es erforderlich,die jeweiligen Prozesse, Organisationsteile undInformationsströme in ihrer Einbettung in dieGesamtorganisation zu betrachten. Nur so kannes gelingen, ihre Bedeutung im Hinblick auf dieInteressenlagen der unterschiedlichen Beteilig-ten zu verstehen und abzuschätzen. Und nur sogelangt man auch zur notwendigen Identifika-tion der als Knoten erwähnten Übersetzungs-/Vermittlungsstellen und -tätigkeiten, die dieVerbindung zwischen Arbeitsprozessen und Or-ganisation herstellen. Es gibt bisher wenig ver-lässliche Informationen und Einschätzungen,insbesondere zum Verhältnis dieser beidenStröme.

9. Wertschöpfung als fluide Ko-Konfi gu -ration und „Hybrid Agency“ – Implikationen für Personal- und Organi-sationsmanagement (Frank Schirmer)Wie wird grenzüberschreitende und fluide Ko-Konfiguration organisiert, vor allem intern?Welch e Rolle spielt dabei die Digitalisierung derArbeit? Woran orientiert sich bei fluider Ko-Konfiguration und „Hybrid Agency“ die Orga-nisation von Arbeitsprozessen, wenn die tradi-tionellen Konzepte wie z.B. Stelle und Rolle,Vorgesetzter und Mitarbeiter, Beruf und Aufga -be, Abteilung, Organisation und deren Grenzenan Orientierungs-, Gestaltungs- und Bindekraftverlieren?

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