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LANDESARCHIV BADEN-WÜRTTEMBERG Nr. 54 / März 2017 Reformation im deutschen Südwesten Ausstellung Freiheit – Wahr- heit – Evangelium „Catholisch bin ich – catho- lisch bleib ich.“ Häftlingsakten des Konzen- trationslagers Kislau Als die Räder laufen lernten ARCHIVNACHRICHTEN

ARCHIV NACHRICHTEN - landesarchiv-bw.de · im Spiegel der Weißenauer Chronik. Reformation im deutschen Südwesten sowie deren Auswirkungen und Folgen. Von den Anfängen der Reformation

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LANDESARCHIVBADEN-WÜRTTEMBERG

Nr. 54 / März 2017

Reformation im deutschenSüdwesten

Ausstellung Freiheit – Wahr-heit – Evangelium

„Catholisch bin ich – catho-lisch bleib ich.“

Häftlingsakten des Konzen-trationslagers Kislau

Als die Räder laufen lernten

ARCHIVNACHRICHTEN

Archivnachrichten 54 / 20172

Inhalt

Verena Schweizer3 || Editorial

REFORMATION IM DEUTSCHEN SÜDWESTEN

Norbert Haag4 || Zur Reformation in Württemberg.Einführung und Folgen

Erwin Frauenknecht9 || Luthers Schriften flogen über dieKlostermauer

Maria Magdalena Rückert10 || „newer Most ynn allte Heute gefasst“.Schreiben prominenter Reformatoren

Peter Rückert12 || „Wo das hauß nit bawet der Herr“.Neu entdeckte Lieder und Sprüche

Johannes Renz14 || Der radikale Flügel der Reforma-tion. Die Täuferbewegung in Württem-berg

Monika Schaupp16 || Die Einführung der Reformation in der Grafschaft Wertheim und dieWertheimer Synode im Herbst 1524

Udo Wennemuth18 || Die Reformation in Baden

Wolfgang Zimmermann20 || „Catholisch bin ich – catholischbleib ich.“

Alma-Mara Brandenburg22 || Der Sebastianspfeil aus Kloster Bebenhausen

Martina Heine24 || Von Martin Luther und Papisten.Der letzte evangelische Pfarrer in Reicholzheim

Jan Wiechert26 || Feiern als Konfrontation. 100 Jahre Reformation in Hohenlohe

Peter Müller28 || Krawalle um Wallfahrten und Prozessionen

Ulrich Schludi30 || Beerdigung zweiter Klasse. WennKatholiken im evangelischen Hohenlohestarben …

Volker Trugenberger31 || „wollen unß von der KatolischenKirche nicht trennen“. Pietisten im ka-tholischen Hohenzollern

Albrecht Ernst32 || Von US-Soldaten entwendet. Kostbares Zeugnis lutherischer Recht-gläubigkeit in Württemberg

ARCHIV AKTUELL

Robert Kretzschmar34 || Jahresbericht 2016

Robert Kretzschmar37 || Das Selbstverständnis des Landes-archivs

Clemens Rehm38 || Sportgeschichte und Sport-archivierung mit Zukunft

Nadine Seidu39 || Historische Recherche leicht gemacht.

QUELLEN GRIFFBEREIT

Kurt Andermann40 || Karlsruher Urkundenselekte online recherchierbar

Martin Stingl41 || Häftlingsakten des Konzentrations-lagers Kislau

Uwe Hager42 || Stehregistratur der PreußischenRegierung Sigmaringen erschlossen

Albrecht Ernst43 || NS-Gewaltverbrechen – im Faden-kreuz der Justiz

KULTURGUT GESICHERT

Corinna Knobloch / Kai Naumann44 || Digitale Sammlungen der Johan-nes-Wagner-Schule Nürtingen

ARCHIVE GEÖFFNET

Albrecht Ernst / Regina Grünert45 || Gelebte Utopie – Auf den Spurender Freimaurer in Württemberg. Ausstellung im Hauptstaatsarchiv

Josef Wolf / Wolfgang Zimmermann46 || Fließende Räume. Karten des Donauraums 1650–1800. InternationaleWanderausstellung startet im General-landesarchiv Karlsruhe

Eva-Linda Müller47 || Freiheit – Wahrheit – Evangelium.Reformation in Württemberg. Ausstellung im Kunstgebäude Stuttgart

Claudia Wieland48 || Reformation des Klosters Bronn-bach. Ausstellung im ArchivverbundMain-Tauber

JUNGES ARCHIV

Elke Koch49 || Als die Räder laufen lernten. 200 Jahre Fahrradgeschichte

Christina Schlaich50 || „Aufgepasst es geht um Eure Kinder!“ oder etwa doch um mehr? DerKulturkampf in Hohenzollern

GESCHICHTE ORIGINAL: QUELLEN FÜR DEN UNTERRICHT 53

Johannes Gießler51 || Der Bauernkrieg in Oberschwabenim Spiegel der Weißenauer Chronik

Reformation im deutschen Südwestensowie deren Auswirkungen und Folgen.Von den Anfängen der Reformation biszu späteren konfessionellen Konfliktenund Auseinandersetzungen haben wirIhnen vielfältige Geschichte(n) zusam-mengestellt.Im Jahresbericht berichtet der Präsi-

dent des Landesarchivs über die Ent-wicklungen und Ziele unserer Arbeit.Außerdem hat das Landesarchiv mit derSchaffung des Sportarchivs eine neueAufgabe hinzubekommen.In der Rubrik Quellen griffbereit be-

leuchten wir unterschiedliche Bestände:von mittelalterlichen Urkunden bis zuAkten über Ermittlungsverfahren zu na-tionalsozialistischen Gewaltverbrechen.Diese wurden erschlossen und sind nunonline für alle über unser Online-Find-mittel-System recherchierbar.Neben den schon erwähnten Veranstal-

tungen zur Reformation wird diesenSommer im Generallandesarchiv Karls-ruhe eine internationale Wanderausstel-lung zu den Karten des Donauraums er-öffnet und im Hauptstaatsarchiv Stutt-gart wird demnächst eine Schau zu denFreimaurern zu sehen sein.Als Quellen für den Unterricht präsen-

tiert Johannes Gießler Bilder aus derWeißenauer Chronik zum Bauerkrieg inOberschwaben und entwickelt didakti-sche Ansätze zu deren Bildinterpretationund Einsatz im Schulunterricht.Aus der Redaktion grüßt und wünscht

Ihnen eine informative und anregendeLektüre

IhreDr. Verena Schweizer

Archivnachrichten 54 / 2017 3

Editorial

Das Reformationsjubiläum 2017 istschon jetzt – Monate vor dem 500. Jah-restag des Thesenanschlags durch MartinLuther in Wittenberg – in aller Munde.Mit einem ganzen Jubiläumsjahr ge-denkt und feiert vor allem die Evangeli-sche Kirche in Deutschland die Reforma-tion und ihre Wirkungen in der Welt.Doch die Reformation ist nicht nur ein

religiöses und kirchengeschichtliches Er-eignis, sie hat auch eine kulturelle undgesellschaftliche Dimension. Sie markierteinen Aufbruch in der Bildung und mitder Sprache: So entstand durch LuthersBibelübersetzung ein gemeinsamer deut-scher Sprachraum.Schon früh verbreiteten sich reforma-

torische Gedanken auch in unserer Re-gion. Deutlich wird dies beispielsweiseim Bauernkrieg – wobei die Bauern hiereine politische Deutung der neuen Lehreverfolgten. Doch bis zur Einführung derReformation bzw. der tatsächlichenDurchsetzung war es ein langer Weg –dies lässt sich gerade im deutschen Süd-westen gut nachvollziehen.Das Landesarchiv Baden-Württemberg

beteiligt sich am Reformationsjubiläummit der großen kulturgeschichtlichenAusstellung Freiheit – Wahrheit – Evan-gelium. Reformation in Württemberg imKunstgebäude in Stuttgart und in denKlöstern Maulbronn, Bebenhausen undAlpirsbach. Sie ist ab dem 14. September2017 zu sehen (siehe S. 47). Nicht nur inStuttgart, sondern an vielen Standortendes Landesarchivs finden Vorträge undPräsentationen zum Thema Reformationstatt. Zu allen Veranstaltungen sind Sieherzlich eingeladen.Auch diese Archivnachrichten beschäfti-

gen sich im Themenschwerpunkt mit der

Archivnachrichten 54 / 2017 Reformation im deutschen Südwesten4

Archivnachrichten 54 / 2017 5

Reformation ist ein schillernder, viel-deutiger Begriff. Sie kann als Umgestal-tungsprozesse des Kirchenwesens in städti-schen und territorialen Zusammenhän-gen verstanden werden, einschließlichder mit diesen Umgestaltungsprozessenuntrennbar verbundenen politischen,rechtlichen und militärischen Auseinan-dersetzungen (Thomas Kaufmann). ZuLetzteren ist auch der Feldzug des hessi-schen Landgrafen Philipp zu rechnen,mit dem er 1534 dem württembergi-schen Herzog Ulrich (1487–1550) wie-der zu seinen angestammten Landenverhalf. Mit der politischen Restaurationwar die religiöse Innovation untrennbarverbunden: die Einführung der Reforma-tion im Herzogtum Württemberg.

Typen der Reformation

Die Reformation im Herzogtum Würt-temberg verkörpert in nahezu idealerWeise den Typus der Fürstenreformation.Als Landesherr entschied Herzog Ulrichüber die Religion seines Landes, ohnedie Einwilligung der zur Teilhabe an derHerrschaft berechtigten Landstände ein-zuholen, geschweige denn die Unterta-nen zu konsultieren. Motor der reforma-torischen Bewegung im Südwesten desAlten Reiches waren zunächst andere ge-wesen. Allen voran die Reichsstädte, woBürger und Rat mehrheitlich früh fürdie Reformation optierten und in einemkomplexen innerstädtischen Aushand-lungsprozess konkrete Schritte zur Aus-gestaltung des neuen, evangelischen Kir-

spruch und religiöser Sinnhaftigkeit zu.Und sie postulierten ein christlichesFreiheitsverständnis, das eine prinzi-pielle geistliche Eigenständigkeit einesjeden Einzelnen zugleich mit seiner ihmverpflichtend vorgegebenen sozialenVerantwortung im Sinne des Liebesdien-stes an anderen forderte.

Reformation im bürokratischen Vollzug

Die Einführung der Reformation imHerzogtum Württemberg war ein Pro-zess, der sich über mehrere Jahrzehntehinzog, keineswegs gradlinig verlief undmehrfach tiefe Krisen zu bewältigenhatte. Theologen – allen voran der ausKonstanz stammende und von der ober-deutschen Reformation geprägte Am-brosius Blarer (1492–1564) und seinMitstreiter und Widersacher, der Luthe-raner Erhard Schnepf (1495–1558), spä-ter dann der aus Schwäbisch Hall stam-mende Johannes Brenz (1499–1570) –kam im Zusammenspiel mit herzogli-chen Räten und weltlichen Beamteneine maßgebliche, aber keineswegs alleinausschlaggebende Bedeutung bei demVersuch zu, die neue Lehre in die städti-schen und ländlichen Lebenswelten ein-zustiften und das neue Kirchenwesengemäß herzoglichem Willen vor Ortdurchzusetzen. Bereits früh war dasHerzstück des neuen Kirchenwesens, derGottesdienst, im Anschluss an die spät-mittelalterliche Tradition des Prädikan-tengottesdienstes neu geregelt worden(1535). Die Große Kirchenordnung desJahres 1559 sowie der Landtag des Jahres1565 markieren in gewissem Sinn dasEnde jenes Prozesses, den wir als Ein-führung der Reformation zu bezeichnengewohnt sind.

Reformation im deutschen Südwesten

chenwesens eingeleitet hatten. Diesestädtischen Reformation(en) stellen, daauf Teilhabe eines bevorrechtigten Teilsder Bürgerschaft beruhend, die zweiteGrundform dar, wie Reformation in vor-befindliche politische Ordnungsgefügeimplementiert werden konnte: die städti-sche Reformation.

Ein neues Kirchenwesen und seine theologischenGrundlagen

Der Aufbau eines neuen Kirchenwesensin Württemberg war obrigkeitlich ver-antwortet, aber in seinen handlungslei-tenden Ideen jenen theologischenGrundüberzeugungen verpflichtet, diewir mit im Begriff des Reformatorischenzu fassen gewohnt sind und mit Autori-täten wie Martin Luther (1483–1546)und Huldrych Zwingli (1484–1531) inVerbindung bringen. In ihrem theologi-schen Zentrum stehen die reformatori-schen Soli: sola scriptura (exklusiveSchriftbindung), solus Christus (der Wegzum Heil führt allein über Christus)sowie sola gratia und sola fide (dieRechtfertigung erfolgt allein aus Glau-ben, ohne menschliches Mitwirken inForm von Werken). Die religiösen, so-zialen und rechtlichen Konsequenzendieser normativen Zentrierung der reli-giösen Kernaussagen waren ausgespro-chen weitreichend: Sie implizierteneinen tiefen Bruch mit der Institutionder spätmittelalterlichen Kirche undihrer eingelebten, vitalen Frömmigkeits-kultur. Sie brachen mit der überkomme-nen Zweistufenethik und der damit ver-bundenen, rechtlich fixierten Scheidungvon Klerikern und Laien und schriebenden im Alltag sich stellenden Aufgabensignifikant mehr an religiösem An-

1 | Herzog Ulrich von Württemberg, Mischtechnik,spätes 16. Jh.Vorlage: Württembergische Landesbibliothek Stutt-gart, Graphische Sammlungen

Zur Reformation in WürttembergEinführung und Folgen

temberg: Unbeschadet, ob die Beziehun-gen zwischen Herrscher und theologi-scher Elite eher konflikthaft aufgeladenwaren oder auf beiderseitiger Wertschät-zung beruhten, stets stand außer Frage,wer in kirchenpolitischen Grundsatzent-scheidungen den Ton angab. Dazu drei –aufschlussreiche – Beispiele: Auch einHerzog Christoph (1515–1568), der sei-ner Kirche wesentlich wohlwollender ge-genüberstand als sein Vater, verwahrtesich entschieden dagegen, die Verfü-gungsgewalt über den Bann (und damitdie Zulassung zum Abendmahl) denPfarrern zu überlassen. Weiter entschieder sich dafür, für kirchliche Vermögens-werte eine eigene Finanzverwaltung ein-zuführen (der Gemeine Kirchenkasten,1552), aber machte doch die erheblichenSäkularisierungsgewinne, die den Lan-desherren durch aufgehobene Pfarreienund insbesondere Klöster zugeflossenwaren, nicht rückgängig. Und drittenswies die sich im Verlauf der 1550er Jahredefinitiv herauskristallisierende institu-tionelle Leitungsstruktur der württem-bergischen Landeskirche eine stark zen-tralistische Ausrichtung auf, die mit Lu-thers ursprünglichem gemeindebasier-tem Ideal einer Kirche von unten weniggemein hatte und das Amt eines evange-lischen Bischofs nicht vorsah.Zwei besonders bedeutsame Doku-

mente württembergischer Kirchenge-schichte, die Confessio Virtembergica von1551 und die erste für Württemberg be-stimmte Bibel, gedruckt von SigmundFeyerabend im Jahre 1564, zeigen eineandere Facette des obrigkeitlichen Reli-gionsverständnisses: Als einziger evan-gelischer Reichsfürst ließ Herzog Chri-stoph die von Johannes Brenz verfassteConfessio 1552 dem zwischenzeitlichwieder eröffneten Konzil von Trient vor-legen. Er bekundete so seinen dezidier-ten Willen, unbeschadet einer akutenGefährdung der Reformation am Lu-thertum festhalten zu wollen. Und derBibeldruck des Jahres 1564, dem einBrustbild des Herzogs vorangestellt ist,verkörpert wie kaum ein anderes Doku-ment jene Symbiose von Glaube undMacht(-anspruch), die Herzog Chri-stoph auch in seinem reichs- und religi-

Archivnachrichten 54 / 20176 Reformation im deutschen Südwesten

Eine obrigkeitliche Reformation

Die Reformation im Herzogtum Würt-temberg war eine obrigkeitliche Refor-mation: Sie erfolgte nicht nur im Namendes Landesherrn, sie stärkte auch seinePosition. Von entscheidender Bedeutungwar, dass es den protestantischen Für-sten insgesamt in den 1530er und1540er Jahren gelungen war, sich mitHilfe ihrer Juristen auf ein obrigkeitli-

ches Verständnis des Reformationsrech-tes zu verständigen und ihren Anspruchauf die Verfügung über das Kirchengutgegen den Einspruch vorwiegend städti-scher Theologen durchzusetzen.Insofern bestätigte und verstärkte der

Augsburger Religionsfrieden von 1555den Machtzuwachs der Obrigkeit insbe-sondere im territorialen wie städtischenGefüge, der sich im Verlauf der Refor-mation bereits abgezeichnet und viel-fach spätmittelalterliche Wurzeln hatte.Dies gilt auch für das Herzogtum Würt-

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2 | Brustbild Herzog Christophs von Württemberg,handkolorierte Bibel von 1564, gedruckt von Sig-mund Feyerabend, Georg Rab und Weygand HanenErben.Vorlage: Landeskirchliches Archiv Stuttgart

onspolitischen Handeln zur Geltung zubringen versuchte.

Gefährdet: Württemberg 1548 bis 1648

Zwischen 1548, als Kaiser Karl V. nachseinem Sieg über die Protestanten diekaiserliche Kirchenordnung, das soge-nannte Interim, aufzwang, und 1648, als– basierend auf der Verständigung derführenden Mächte Europas – der jewei-lige konfessionelle Besitzstand für diekommenden Jahrhunderte festgeschrie-ben wurde, durchlebte das evangelischeWürttemberg mehrfach Zeiten existen-zieller Bedrohung. Erst seit dem Westfä-lischen Frieden war daher das Luther-tum als Religion des Landes unbestrittenund unangefochten.

Die Konfessionsgesellschaft

Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhun-derts angestoßenen Impulse einer Ver-christlichung der Gesellschaft unterkonfessionellen Vorzeichen reichen bisweit in das 17. und sogar noch das18. Jahrhundert hinein. In einem kom-plexen Aushandlungs- und Aneignungs-prozess sind konfessionsspezifische Ver-änderungen des Alltags unterschiedli-cher Tiefe und Reichweite zu erkennen,die in letztlich signifikant unterschiedli-che Konfessionskulturen einmündeten.Aus der Perspektive der jeweiligen kon-fessionellen Funktionseliten betrachtet,blieben sie allerdings stets defizitär. Inder württembergischen Konfessionskul-tur um 1600 – und keineswegs nur hier– sind bezeichnenderweise neue reli-giöse Akzente zu verzeichnen, die dentradierten Fokus konfessioneller Recht-gläubigkeit (Lehre) zugunsten einesMehr an religiöser Praxis (Leben) zuüberschreiten suchten. Der spätere Hof-prediger und Konsistorialrat Johann Va-lentin Andreae (1586–1654) etwa, einEnkel des bedeutendsten württembergi-schen Theologen aus der zweiten Hälftedes 16. Jahrhunderts (Jakob Andreae,1528–1590), ist dieser um Frömmigkeit

Archivnachrichten 54 / 2017 7

zentrierten Bewegung zuzurechnen.Seine Reformimpulse, praktisch wirk-sam über die neu eingerichteten Kir-chenkonvente (1642/1648), verbliebengleichwohl insofern im Gehäuse ortho-dox-konfessioneller Denkmuster, alsauch sie auf die Verchristlichung der ge-samten Gesellschaft zielten. Grundsätz-lich neue Impulse zu setzen, blieb demin der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun-derts aufkommenden Pietismus vorbe-halten: Mit dem religiösen Anspruch,den er formulierte und geltend machte,und seinen besonderen Versammlungs-formen, zusätzlich zur Kirche (kirchli-cher Pietismus) bzw. neben der Amtskir-che stehenden Konventikeln (radikalerPietismus), setzte er auf die Sammlungder wahrhaft Frommen und die Tren-nung von den Kindern dieser Welt.

„da ist Freiheit“

Das theologische Postulat der Freiheit isteines, wenn nicht das Markenzeichen desProtestantismus jenseits der engeren, lu-therischen Konfessionsfamilie. Aller-dings: Kaum ein anderer theologischerLehrsatz dürfte so anfällig für Missver-

Reformation im deutschen Südwesten

ständnisse sein, oder, anders formuliert,so offen für nichtintendierte Aneignun-gen. Auf die Freiheit – und die göttlicheGerechtigkeit – beriefen sich etwa auchdie Bauern im Aufstand des Jahres 1525.Weil sie Freiheit auch als Aufruf zurNeugestaltung der als ungerecht und wi-dergöttlich empfundenen gesellschafts-politischen Ordnung verstanden, evo-zierten sie die rhetorischen Entgleisun-gen eines Martin Luthers bzw. den mo-derateren Widerspruch andererlutherischer Theologen (etwa eines Jo-hannes Brenz). Sie erlebten aber auchdie Unterstützung durch Prediger imBauernkrieg, keineswegs nur eines Tho-mas Müntzers (1489–1525).In das kollektive Gedächtnis des deut-

schen Protestantismus ist der Bauern-krieg als der Erinnerungsort eingegan-gen, in dem die zuvor auf breiter gesell-schaftlicher Resonanz basierende Refor-mation den Kontakt zum Volk verlorenhabe. Als Gegenpol dürfte das Jahr 1933zu apostrophieren sein, als weite Teileder kirchlichen Elite (keineswegs nur dieDeutschen Christen) den Moment ge-kommen sahen, in der Kooperation mitdem neuen Staat des Nationalsozialis-mus die der Kirche entfremdeten Mas-

3 | Johannes Brenz, kolorierter Kupferstich, nach1568.Vorlage: Landesarchiv HStAS Q 3/36 b Bü 2350

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Archivnachrichten 54 / 20178 Reformation im deutschen Südwesten

sen zurückzugewinnen. Zwischen diesenbeiden Extremen liegen stillere Zeitenevangelischer Kirchengeschichte. Dochauch in diesen war der Ruf zur Freiheitvielfach gefährdet durch den ebenfallslutherischen Imperativ zur Ordnung –und die Schwierigkeiten, christlicheFreiheit in Kirche und Alltag konkreteinzuholen. Seit dem Ende des landes-herrlichen Kirchenregiments 1918 undder Trennung von Staat und Kirche(Verfassung der Landeskirche von 1924)liegt die Verantwortung hierfür alleinbei den Verantwortungsträgern der Kir-che, ihren Gemeinden und ihren Mit-gliedern.

Reformationsjubiläen und die Last der Geschichte

Paul Schempp (1900–1959), der Pfarrerder kleinen, heute kaum mehrere hun-dert Evangelische zählenden Kirchenge-meinde Iptingen (Dekanat Mühlacker),hat inmitten der Irrungen und Wirrun-gen zwischen nationalsozialistischemStaat und württembergischer Landeskir-che den Versuch unternommen, das

Modell einer Kirche von unten zu prak-tizieren. Dazu hatte ihn die Unzufrie-denheit mit der Kirchenpolitik seinesBischofs, Theophil Wurm (1868–1953)veranlasst, die er zu wenig vom Evange-lium bestimmt und zu sehr von Rück-sichtnahmen auf den NS-Staat geprägtsah. Mit dieser Einschätzung dürfte erzwar weder der komplexen kirchenpoli-tischen Lage noch seinem Landesbischofgerecht geworden sein. Gleichwohlwürde man sich gelegentlich mehr anunkonventionellem, durchaus auch Wi-derspruch heischendem Verhalten wün-schen. Paul Schempp berief sich in sei-nem Verhalten übrigens auf den, demim Reformationsjubiläum des Jahres2017 vielleicht sogar zu viel an öffentli-cher Aufmerksamkeit zuteil wird – Mar-tin Luther. In jedem Fall aber machte erdarauf aufmerksam, dass der Wittenber-ger Reformator auch nach vier Jahrhun-derten seiner Kirche etwas zu sagen hat– und zwar jenseits des Mainstreams.Die Reformationsfeierlichkeiten wäreneine Möglichkeit, Luther in seiner An-dersartigkeit, in seinen Abgründen undseinen bleibenden Erkenntnissen, neuzu entdecken.

Norbert Haag

Literaturhinweise:Thomas Kaufmann: Geschichte der Refor-mation in Deutschland. Berlin 2016.Martin Brecht und Hermann Ehmer: Süd-westdeutsche Reformationsgeschichte.Zur Einführung der Reformation im Her-zogtum Württemberg. Stuttgart 1984.

4 | Ambrosius Blarer, Kupferstich, 17. Jh.Vorlage: Universitätsbibliothek Tübingen

5 | Erhard Schnepf, Kupferstich von Johann WilhelmBrühl, vor 1763.Vorlage: Universitätsbibliothek Tübingen

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Archivnachrichten 54 / 2017 9Reformation im deutschen Südwesten

28. Oktober 1526 (http://www.landesar-chiv-bw.de/plink/?f=1-521779). Mit derUrfehde schworen die drei Delinquenten,sich in Zukunft nicht mehr an reformato-rischen Umtrieben zu beteiligen. Gegen-über der habsburgischen Herrschaft ver-zichteten sie auf Forderungen wegenihrer Haft. Es lohnt sich, auf den Wort-laut der Urfehde zu achten: ettlich quat-tern von einem luterischen büchlin vonngelüpten der gaistlichen hatten die Dreiüber die Klostermauer geworfen. Nichtverschiedene lutherische Schriften, son-dern offensichtlich mehrere Exemplarevon Luthers Schrift De votis monasticis[...] iudicium, die 1521 gedruckt, raschmehrere Auflagen fand und auch in deut-schen Übersetzungen weit verbreitetwurde. Luthers Werk über Wirkung undGültigkeit monastischer Gelübde entwi-ckelte ungeheuren Einfluss auf das klö-sterliche Leben der Zeit. Auch im KlosterReutin hätte Luthers Schrift den monasti-schen Zusammenhalt gefährden können.Grund genug für die habsburgische Ob-rigkeit, um gegen die Verteiler der Heftevorzugehen.Zumindest einer der drei Büchervertei-

ler war kein Unbekannter. Jakob Lotzeraus Horb stammte aus einer reformati-onsaffinen Familie. Sein älterer BruderSebastian Lotzer gilt als Ideengeber im

Bauernkrieg, bei der Formulierung derMemminger Zwölf Artikel spielte er einezentrale Rolle. Ein weiterer Bruder, Jo-hann, wurde 1512 an der Universität Tü-bingen examiniert, wirkte danach alsLeibarzt in Straßburg und Heidelbergund pflegte Beziehungen zu humanisti-schen Kreisen. Auch Jakob selbst wurde1518 an der Universität Tübingen einge-schrieben und engagierte sich 1526 fürdie reformatorischen Ideen – wie wirsehen – ganz praktisch als Verteiler vonBüchern. Nicht ganz sicher ist die fami-liäre Verortung von Johannes und Hiero-nymus Vetter aus Stuttgart. ZumindestHieronymus wird einige Jahre späternoch einmal aktenkundig. Im Dezember1536 schwört er erneut Urfehde, weil erin Stuttgart wieder ins Gefängnis kam(vmb verschult sachen), nach Fürspracheseiner Eltern aber freigelassen wurde.Die Flugschriften im Wortsinn entfachtenim Kloster Reutin offenbar keine großeResonanz. Eine unmittelbare Wirkung istnicht zu belegen – im Gegenteil: Die Ein-führung der Reformation ging nurschleppend voran, 1535 sperrten sich dieNonnen in Reutin, das evangelische Be-kenntnis anzunehmen und bis 1575 zogsich der Auflösungsprozess des Konventshin.

Erwin Frauenknecht

Die theologischen Vorstellungen Luthersund die anderer Reformatoren wurdenüber Flugschriften, Briefe und Predigt-texte rasch und breit vermittelt. Die Re-formation war auch ein Medienereignis,setzte gar eine Medienrevolution in Gang.Allein die Auflage von Luthers deutscherBibelübersetzung schätzt man auf übereine halbe Million Exemplare. Mit demEdikt von Worms 1521 wurden LuthersSchriften verboten, Besitz und Verbrei-tung reformatorischer Schriften unterStrafe gestellt. Gerade die habsburgische,katholische Statthalterregierung in Würt-temberg verfolgte Vergehen gegen diesesVerbot mit rigoroser Härte. Anhand desQuellenbestands der Urfehden imHauptstaatsarchiv Stuttgart (Landesar-chiv HStAS A 44) lässt sich dieses Vorge-hen beobachten. Rund ein Dutzend Ur-fehden thematisieren Besitz und Verbrei-tung lutherischer Bücher. Ein Beispiel ausdem Dominikanerinnenkloster Reutinbei Wildberg sei hier vorgestellt.1526 kamen Johann und Hieronymus

Vetter aus Stuttgart und Jakob Lotzer ausHorb in Wildberg ins Gefängnis. Sie hat-ten den Klosterfrauen zu Reutin etlichelutherische Büchlein betreffend die Ge-lübde der Geistlichen über die Kloster-mauer hinübergeworfen, so heißt es imbetreffenden Regest der Urfehde vom

Luthers Schriften flogen über die KlostermauerZur Verbreitung reformatorischer Bücher im altgläubigen Württemberg

Johannes und Hieronymus Vetter aus Stuttgart undJakob Lotzer aus Horb schwören Urfehde, 28. Okto-ber 1526.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 44 U 6986

pad aus Basel 1531 Ratschläge an dieUlmer, wie in Glaubenssachen zu verfah-ren sei. Nicht zuletzt ist auch der Züri-cher Ulrich Zwingli im Ulmer Bestandmit zwei eigenhändigen Schreiben von1529 und 1531 vertreten, in denen er dendortigen Prediger Konrad Sam über dieFortschritte der neuen Glaubensrichtunginformiert und Gott dankt, dass er dieUlmer in die erkanntnus siner warheitund gnaden gefuret.Dass den genannten Hauptgestalten

der Reformation auch die übrigenReichsstädte nicht gleichgültig waren,zeigen die von ihnen, aber auch etwa vondem sächsischen Hofprediger Spalatin,im Bestand der Reichsstadt Esslingenüberlieferten Briefe. Besonders hervorzu-

„newer Most ynn allte Heute gefasst“Schreiben prominenter Reformatoren im Staatsarchiv Ludwigsburg

Am 14. November 1536 ermahnte Mar-tin Luther den Rat, die Prädikanten undUntertanen der Reichsstadt Ulm, das sie… dem Satan widerstehen, welcher gernwollte, das newer Most ynn allte Heute ge-fasst, zuletzt alles erger werde und beides –Most und Heutte – zurissen und verschüt-tet weren.Hintergrund des eindringli-chen Schreibens des Reformators war dieam 30. Oktober 1536 erfolgte Zustim-mung der Ulmer zur Wittenberger Kon-kordie, die die Verständigung von Luthe-ranern und Zwinglianern in strittigenGlaubensfragen, vor allem in der Abend-mahlslehre, ermöglichte. In einem weite-ren Schreiben vom 18. April 1539 emp-fahl Luther dem Ulmer Bürgermeisterden ihm wohlbekannten Moritz Kern

zur Anstellung als Pfarrer. Diese beidenim Staatsarchiv Ludwigsburg im BestandReichsstadt Ulm (Landesarchiv StAL B207 Bü 331) aufbewahrten Schreiben –übrigens die einzigen im LandesarchivBaden-Württemberg im Original über-lieferten Lutherbriefe – führen mittenhinein in das Ringen um die Einführungder Reformation und in die Problemeihrer Umsetzung im reichsstädtischenAlltag. Bereits 1532 hatten sich MartinBucer aus Straßburg und Ambrosius Bla-rer aus Konstanz mit der Empfehlungeines Lehrers der griechischen Sprachean den Ulmer Bürgermeister gewandt.Neben Martin Bucer sandten die Straß-burger Theologen Wolfgang Capito undCaspar Hedio sowie Johannes Oecolam-

Archivnachrichten 54 / 201710 Reformation im deutschen Südwesten

1 | Brief Martin Luthers an die Reichsstadt Ulmvom 14. November 1536.Vorlage: Landesarchiv StAL B 207 Bü 331

2 | Brief Ulrich Zwinglis an Konrad Sam zu Ulmvom 30. Juni 1529.Vorlage: Landesarchiv StAL B 207 Bü 331

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oder aber der Umgang mit den Täufern,bei dem der Reformator zur Mäßigungaufrief. Neben einem achteinhalb Seitenumfassenden Gebet von der Hand Bla-rers ist als Anhang zu einem Brief vom1. Mai 1533 ein Lied aus seiner Federüberliefert, das an Himmelfahrt zu sin-gen sei:Freu dich mit Wonne fromme Christenheitund sing mit grossem Schalledas heut ist uffthan Selikaitdie feind sind geschlagen alle…Mit der Abschaffung von Messe und

Bildern war das Werk der prominentenReformatoren eben nicht getan, siemussten vielmehr für den Ersatz deralten durch neue Gebete und Gesängesorgen.

heben ist hier Ambrosius Blarer, der imHerbst 1531 die Aufgabe übernommenhatte, die neue Lehre in der Neckarstadteinzuführen. Von Blarer, der von Zeitge-nossen als Apostel Schwabens bezeichnetwurde, liegt u. a. ein Konvolut von 35Briefen aus der Zeit von 1531 bis 1549vor, die an seinen Freund, den EsslingerStadtschreiber Johannes Machtolf, ge-richtet sind (Landesarchiv StAL B 169Bü 52). Nach seinem Weggang aus Ess-lingen im Juli 1532 versuchte Blarer überMachtolf weiter Einfluss auf die kirchli-che Entwicklung dort zu nehmen. The-men waren u. a. der Esslinger Prädikan-tenstreit zwischen den Predigern Johan-nes Otter und Martin Fuchs, die War-nung vor dem schwenckfeldischen Gift

Archivnachrichten 54 / 2017 11Reformation im deutschen Südwesten

Die erwähnten Schreiben, die nurSchlaglichter auf die Umsetzung derneuen Lehre in den südwestdeutschenReichsstädten zu werfen vermögen, wur-den zusammen mit weiteren die Refor-mation betreffenden Akten der Beständeder ehemaligen Reichsstädte Ulm, Ess-lingen und Heilbronn (LandesarchivStAL B 207, B 169 und B 189 II) imStaatsarchiv Ludwigsburg digitalisiertund aus Anlass des 500-jährigen Refor-mationsjubiläums ins Internet gestellt.Dies wurde u. a. durch die Unterstüt-zung der Stadt Ulm und der StiftungKulturgut Baden-Württemberg ermög-licht.

Maria Magdalena Rückert

4 | Kirchenlied des Ambrosius Blarer zu ChristiHimmelfahrt von 1533.Vorlage: Landesarchiv StAL B 169 Bü 52

5 | Auszug aus Schreiben des Ambrosius Blarer vom1. Mai 1533.Vorlage: Landesarchiv StAL B 169 Bü 52

3 | Martin Luther, Kupferstich nach Cranach vonHans Philip Wald, 1617.Vorlage: Württembergische Landesbibliothek Stutt-gart, Graphische Sammlungen

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Bei den Vorbereitungen zur AusstellungFreiheit – Wahrheit – Evangelium. Refor-mation in Württemberg wurde den zeit-genössischen Liedern und Sprüchen be-sondere Aufmerksamkeit geschenkt.Zum einen erscheint die Reformation alsherausragendes Medienereignis undwird durch die damals kursierenden Lie-der und politischen Sprüche besondersprofiliert. Zum anderen sind diese musi-kalischen und literarischen Äußerungenin ihrer gesellschaftlichen Wirkmächtig-keit kaum zu überschätzen – und trotz-dem kaum bekannt.Immerhin liegen seit den Arbeiten von

Liliencron zu den historischen Volkslie-dern (1869) und von Steiff/Mehring ge-rade für Württemberg (1912) wesentli-che Materialien gesammelt und wissen-schaftlich aufbereitet vor. Doch stellt dieVerbindung von Text und Melodie, dieFrage nach dem Klang der zeitgenössi-schen Stücke und ihrer Rezeption durchdas Publikum, eine aktuelle Herausfor-derung sowohl für die musikwissen-schaftliche wie die philologische und his-torische Forschung dar.In Zusammenarbeit mit dem Musik-

wissenschaftler Andreas Traub ist es ge-lungen, einen intensiven Einblick in daszeitgenössische musikalische Repertoireder frühen Reformationszeit in Würt-temberg zu erhalten. Neben der weit bes-

Auch den Dichter eines spöttischenLiedes auf Herzog Ulrich von Württem-berg (1487–1550), mit dem Beginn Ainnewes Liedlein heb ich an, kennen wirjetzt: Hans Leberwurst, der als Spruch-dichter damals im süddeutschen Raumbekannt war und 1528 offenbar beieinem Brand in Basel ums Leben kam.Dieses Lied wurde hier auf die Vertrei-bung des Herzogs 1519 mit der bekann-ten Melodie Ich stund an einem Morgengesungen und klagt die Schandtaten desHerzogs bitter an.Das politische und religiöse Spektrum

der Lieder und Sprüche spiegelt nichtnur die fließenden Übergänge zwischengeistlicher und weltlicher, höfischer undbürgerlicher Musik wider. Es führt be-sonders eindrücklich die gesellschaftli-chen Dimensionen im Streit um die Re-formation in Württemberg vor Augenund bietet eine authentische Annähe-rung an die dramatischen Vorgänge.Nach ihrer Neuentdeckung werden dieseLieder und Sprüche nun von Studieren-den der Staatlichen Musikhochschule inStuttgart gesungen, gesprochen und ein-gespielt. Ihre audiovisuelle Präsentationin der Ausstellung kann die Reformationin Württemberg für ein breites Publi-kum zu einem besonderen, sinnlichenErlebnis werden lassen.

Peter Rückert

ser bekannten Kirchenmusik, die ja vonLuther selbst und den frühen Reforma-toren auch hier wesentliche Impulse er-hielt, sind einige neue musikalischeZeugnisse und sogar Melodien entdecktworden: So überliefert ein einzelnes Per-gamentblatt, das sich im Hauptstaatsar-chiv Stuttgart als abgelöstes Einband-fragment erhalten hat, das vierstrophigePsalmlied Wo das hauß nit bawet derHerr (Psalm 127). Der Text kann demNürnberger Dichter Hans Sachs (1494–1574) zugewiesen werden und findet sichhier außergewöhnlicherweise mit derMelodie am Fuß notiert.In der Regel wurden die Melodien, ge-

rade zu weltlichen Liedern, nicht aufge-zeichnet. Man kannte sie nur unterihrem Namen bzw. Ton, wovon mehrereverschiedene Töne auch im württember-gischen Liedgut nachzuweisen sind.Diese Töne sind inzwischen mit ein-schlägigen Melodien zu identifizieren,die auch in der zeitgenössischen höfi-schen Musik – etwa durch den bayeri-schen Hofkapellmeister Ludwig Senfl –verarbeitet wurden und in Liederbü-chern überliefert sind. Ein Freudenliedauf den Anbruch der Reformation inWürttemberg 1534 ist etwa in Jörg Schil-lers ton zu singen, nach einem Augsbur-ger Meistersinger, dessen Melodie damalsin Württemberg sehr geläufig war.

Archivnachrichten 54 / 201712 Reformation im deutschen Südwesten

„Wo das hauß nit bawet der Herr“Neu entdeckte Lieder und Sprüche zur Reformation in Württemberg

Archivnachrichten 54 / 2017 13Reformation im deutschen Südwesten

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Weiterführende Literatur:Rochus Freiherr von Liliencron: Die histo-rischen Volkslieder der Deutschen vom 13.bis 16. Jahrhundert. 3 Bde. Leipzig 1869.Karl Steiff und Gebhard Mehring(Bearb.): Geschichtliche Lieder und Sprü-che Württembergs. Stuttgart 1912.

Zur Ausstellung: www.reformation-in-württemberg.de

1 | Text zu dem Lied „Ain newes Liedlein heb ichan“ von Hans Leberwurst, um 1519.Vorlage: Bayerische Staatsbibliothek München I 29,Ausschnitt

2 | Pergamentblatt mit dem Lied „Wo das hauß nitbawet der Herr“, Text und Melodie am Fuß, 16. Jh.Vorlage: Landesarchiv HStAS J 522 A 173

Im Januar 1530 wurde in Lautern (Luter-ach, Blauburer Ampts, heute Stadt Blau-stein) eine Gruppe von Täufern um diebeiden Augsburger Weber AugustinBader und Gall Fischer als Aufrührerverhaftet. Bader, der Wortführer, war alsProphet aufgetreten und sah sich alskünftigen König eines endzeitlichenFriedensreiches an. Beide waren mitihren Ehefrauen um 1526/27 zur Täufer-bewegung gestoßen und hatten seitdemein Leben als Wanderprediger geführt.Sie kamen u. a. nach Esslingen undStraßburg, ehe ihre Gefolgschaft, die sichin einem Haus versammelt hatte, darun-ter auch Kinder, schließlich aufgespürtwurde. Die Blaubeurer Amtleute melde-ten den Vorfall König Ferdinand I., derwährend der Vertreibung Herzog Ulrichsauch Landesherr von Württemberg war.Die verhafteten Täufer wurden nachStuttgart, Tübingen und Nürtingen ver-bracht, wo sie unter der Folter verhört(peinlich befragt) wurden. Die Verhör-protokolle liegen heute im Hauptstaats-archiv Stuttgart. Nicht enthalten, aberhistorisch gesichert, sind die Todesurteilegegen Gall Fischer und Augustin Bader,die am 26. März 1530 in Nürtingen undvier Tage später in Stuttgart vollstrecktwurden. Bereits am 21. Mai 1527 war imnahen Rottenburg das TäuferehepaarMichael und Margaretha Sattler hinge-richtet worden.Wichtigstes Merkmal der um 1525 ent-

standenen Täuferbewegung war die Ab-lehnung der Kindertaufe und die statt-dessen durchgeführte, nochmalige Taufevon Erwachsenen aufgrund eines per-sönlichen Bekenntnisses zum christli-chen Glauben. Dies brachte ihnen diezeitgenössische Bezeichnung Wiedertäu-fer ein. Daneben gab es unterschiedlichradikale Ausprägungen. Gewaltexzesse,wie sie 1534/35 während des sogenann-ten Täuferreichs von Münster stattfanden,waren die Ausnahme. Die nach dem frie-sischen Täuferprediger Menno Simons

benannten Mennoniten oder die nachJakob Hutter benannte Gruppierung derHutterischen Brüder (Hutterer) zeichne-ten sich durch Pazifismus oder eineneinfachen Lebensstil aus. Mit Bezug aufdie neutestamentliche Bergpredigt wei-gerten sie sich, Eide zu schwören. Auchsetzten sie sich für eine konsequenteTrennung von Kirche und Staat ein. Ins-besondere dadurch gerieten sie in einenLoyalitätskonflikt mit der Obrigkeit.Schnell breitete sich die Bewegung in

ganz Mitteleuropa aus. In vielen Gebie-ten kam es zu blutigen Verfolgungen undTodesurteilen, so auch im HerzogtumWürttemberg, das zwischen 1519 und1534 von den Habsburgern besetzt war.In der Martertafel des Geschichtsbuchesder Hutterischen Brüder werden u. a. fürdie württembergischen Orte Illingen undHerrenberg zweistellige Märtyrerzahlengenannt, die jedoch mit Vorsicht zu ge-nießen sind. Aus der Zeit nach 1534 sindfür Württemberg keine Hinrichtungenvon Täufern belegbar, was auch am Ein-fluss der Reformatoren Ambrosius Blarerund Erhard Schnepf gelegen habendürfte, die sich gegen die im Wiedertäu-fermandat von 1529 eigentlich reichsweitvorgesehene Todesstrafe für Täufer aus-gesprochen hatten. Dennoch wurde dieGruppierung auch in Württemberg be-kämpft. In einem Mandat Herzog Chris-tophs vom 25. Juni 1558 wurde auf diereichsrechtliche Regelung verwiesen, derVollzug der Todesstrafe aber nicht expli-zit gefordert. Stattdessen waren bey ver-meidung der inn mehrgemelten Reichsab-schiden bestimpten Leibstraffen verwei-sung unsers fürstenthumbs, Confiscierungund einziehung aller irer haab und guetterund sonsten unserer ferneren ernstlichenungnaad und straff vorgesehen. Inhaftie-rungen, Landesverweisungen und Be-schlagnahmungen von Gütern und Ver-mögen waren auch in den folgendenJahrzehnten die üblichen Maßnahmen.Eine ganze Reihe reuiger Täufer, darunter

auch viele Frauen, musste im Zusam-menhang mit der Rückkehr in die evan-gelische Landeskirche Urfehde schwören.In den Akten der württembergischenKirchenkastenverwaltung ist eine Anzahlvon Wiedertäufer-Zinsbriefen enthalten,welche die Ausleihe beschlagnahmterGüter und Geldbeträge von Täufern inWürttemberg dokumentieren.In den Wirren des Dreißigjährigen

Krieges kam die Täuferbewegung inWürttemberg weitgehend zum Erliegen.Einige ihrer Anliegen in Bezug auf denchristlichen Lebenswandel wurden spä-ter auch vom Pietismus rezipiert.

Johannes Renz

Archivnachrichten 54 / 201714 Reformation im deutschen Südwesten14

Der radikale Flügel der ReformationDie Täuferbewegung in Württemberg im Spiegel der Quellen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart

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Archivnachrichten 54 / 2017 15Reformation im deutschen Südwesten

1 | König Ferdinand ordnet die weitere Untersu-chung gegen die in Lautern verhafteten Wiedertäu-fer an, Prag, 19. Februar 1530.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 43 Bü 4a

3 | Urfehde der Anna Schoen, Ehefrau des HansKetteler aus Feldrennach, 16. Juni 1536. Etwa 90Urfehden von ehemaligen Angehörigen und Sympa-thisanten der Täuferbewegung sind für Württem-berg im Zeitraum von 1528–1563 überliefert.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 44 U 3305

2 | Mandat Herzog Christophs gegen die Wiedertäu-fer, Schwenckfelder und Sakramentierer, Stuttgart,25. Juni 1558.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 63 Bü 22/4

4 | Zinsbrief von Philipp Holder und seiner EhefrauAnna Traub, Einwohner zu Oberlenningen, für 100fl. Kapital aus der Administration wiedertäuferi-scher Güter bei der Vogtei Kirchheim unter Teck.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 65 U 20

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Michael III., die Dynamik abschwächte.1524 hat sich somit die Reformation inWertheim nicht durchgesetzt, ihre erstenAnfänge nahm sie sicher schon früher undzum Abschluss kam sie endgültig erst inder Mitte des 16. Jahrhunderts.

Monika Schaupp

Die Einführung der Reformation in der Grafschaft Wertheim und die WertheimerSynode im Herbst 1524

Mandat gegen das Schwören 1524). Und1521 enden die Eintragungen im Toten-messbuch der Fischerbruderschaft – auchein Hinweis darauf, dass sich reformatori-sches Gedankengut durchzusetzen be-gann.Doch welche Lehre predigten die Pfarrer

in den Kirchen der Grafschaft in dieserUmbruchsphase? Darüber gibt das Proto-koll der Wertheimer Synode Auskunft, zuder Graf Georg die Pfarrer der Grafschaftsowie Vertreter der Klöster Bronnbach,Grünau und Holzkirchen 1524 einberief,wie es den Reichsständen auf dem voran-gegangenen Reichstag zu Nürnberg aufer-legt worden war. Die Beratungen fandenam 22. September und – nach der erbete-nen Bedenkzeit und ein Verbot des Würz-burger Bischofs ignorierend – am 9. Okto-ber statt. Mehrheitlich bekennen sichdarin die Geistlichen zur bisherigen, altenLehre. Der Dertinger Pfarrer meint diecristlich kirch sey wol geordnet, dobey lossers pleiben, und der Waldenhäuser ergänzt,biß bessers herfur broht werde, dem wolle ergehorchen. In den Äußerungen ist aberVerunsicherung spürbar – ein typischesÜbergangsphänomen, wenn sich die Pfar-rer für unverstendig halten und auf einkünftiges Konzil beziehen. Dessen Be-schlüssen wollen sie folgen, denn auch inder Vergangenheit wurden etliche conciliendurch die andern verworffen. Immerhinfordert der Dekan der Stiftskirche, dass diemissbreuch abgethanwerden sollten. So hatdie katholische Glaubenspraxis in derGrafschaft Wertheim, insbesondere in denLandgemeinden, noch einige Zeit weiterbestanden.Die Einführung der Reformation in der

Grafschaft Wertheim ist damit als allmäh-licher Wandel zu begreifen, vor allem dasich nach 1530, durch den Tod des fürneue Ideen offenen Grafen Georg und inder folgenden langen Vormundschaftsre-gierung für den minderjährigen Grafen

Archivnachrichten 54 / 201716 Reformation im deutschen Südwesten

Anno 1524 hat die Evangelisch Lehr hie an-gefangen, heißt es im Wertheimer BraunenBuch, einer Sammelhandschrift, die auchStadtsatzungen und chronikalische Auf-zeichnungen ab 1463, ausführlich ab 1592enthält. Leider werden zu dieser retrospek-tiven Aussage keine näheren Umständeangeführt. Man fragt sich daher heute,woran dieses Datum festgemacht wurde.Verordnungen und Mandate mit refor-

matorischem Hintergrund gab es in derGrafschaft Wertheim in dieser frühen Zeiteinige: Bereits 1518 erließ Graf Georg II.ein Mandat gegen aufwendige Begräbnisseund Stiftungen für Totenmessen, das un-mittelbar beeinflusst scheint von Luthers95 Thesen gegen den Ablasshandel, aberauch im Trend der Zeit lag. Der selbstbe-wusste und bedeutende Graf lernte aufdem Wormser Reichstag 1521 Luther per-sönlich kennen und erscheint von dieserBegegnung stark beeindruckt. 1524 folgtsein Mandat gegen das gottschwüren, dasFluchen mit Gottes Namen, 1525 eine Po-liceyordnung, 1526 das Verbot von Stiftun-gen, 1528 eine Feiertagsordnung, 1529 einMandat gegen die Zwietracht wegen derungleichen lähre und 1530 eine Eheord-nung. Eine regelrechte Kirchenordnung istfür diese Zeit nicht überliefert. In einemBericht des von Luther empfohlenen Pre-digers Franz Kolb von 1524 sind jedochInformationen über den evangelischenGottesdienst in der Stadt enthalten, dieauch als erste Wertheimer Kirchenord-nung bezeichnet werden.Doch mit der neueren Reformationsfor-

schung muss auch für Wertheim gefragtwerden, was Einführung der Reformationkonkret bedeutete – konkret für die Men-schen der Zeit? Denn eine neue Glaubens-überzeugung lässt sich nicht so einfacheinführen und verordnen. Auf jeden Fallwurden die kirchlichen Reformen in Wert-heim heiß diskutiert, sodass man sichwechselseitig als ketzer beschimpfte (vgl.

1 | Inschrift-Epitaph für Graf Georg II. von Wert-heim (+ 1530) in der Stiftskirche Wertheim.Vorlage: Landesarchiv StAWt-S N 70, Ordner 88,Foto 2750/2; Foto: Hans Wehnert

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Archivnachrichten 54 / 2017 17Reformation im deutschen Südwesten

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2 | 1522 ließ sich Graf Georg II. von Wertheim vonLuther einen Prediger empfehlen, der jedoch nichtlange blieb. Ihm folgte 1523 für zwei Jahre der ehe-malige Kartäusermönch Franz Kolb (1465–1535).1526 kam Johann Eberlin von Günzburg, der nuneine besondere reformatorische Wirkung entfaltete.Vorlage: Landesarchiv StAWt-A 56, Nr. 109

3 | Einberufung der Wertheimer Synode auf den22. September 1524.Vorlage: Landesarchiv StAWt-G Rep. 47, Nr. 25

4 | Stellungnahme des Pfarrers von Hasloch vom9. Oktober 1524. Es solle nur das „pur lauter evan-gelium“ und was klar und dem „gemeinen crist-glaubigen volck verstendig dorauß fleust“ von derKanzel verkündet werden. Die strittigen Artikel zumheiligen „sacrament des leybs und bluts Cristi“ soll-ten von einem „frey gemein cristenlich concilium“beraten und entschieden werden.Vorlage: Landesarchiv StAWt-G Rep. 102, Nr. 3565

5 | Im Nachgang zur Wertheimer Synode 1524 übersendet der Abt von Bronnbach die vom Grafengeforderte weitere Stellungnahme. Er zieht sich elegant aus der brisanten Lage: Aufgrund seinerumfangreichen Aufgaben und seiner Erkrankungkonnte er sich damit nicht beschäftigen und verweist daher auf die „doctorn uff den hohen schulen“.Vorlage: Landesarchiv StAWt-G Rep. 32 I, Nr. 4

6 | Auszug aus dem Protokoll der Wertheimer Syn-ode vom 22. September 1524. Rechts unten die Aus-sage des Wertheimer Dekans, er glaube, dass dieOrdnung der Kirche nicht verbessert werden könne,die Missbräuche jedoch abgeschafft werden sollten.Vorlage: Landesarchiv StAWt-G Rep. 102, Nr. 3565

Dem Reformationsprozess wird in Wert-heim in einer Reihe von Vorträgen undWorkshops mit Archivalien nachgespürt.Weitere Informationen https://www.lan-desarchiv-bw.de/staw

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Archivnachrichten 54 / 201718

nicus, der Luthers Heidelberger Disputa-tion im April 1518 miterlebt hatte, inBaden-Baden seit 1522 einen evangeli-schen Hofprediger. Wie sein KanzlerHieronymus Vehus steht Philipp für einevermittelnde Position im Reich, in sei-nem Land mahnte er zur christlichenEintracht. Auch wenn er schriftgemäße,also evangelische, Predigt forderte, diePriesterehe und in Ausnahmefällen auchdas Abendmahl unter beiderlei Gestalterlaubte, hielt er doch an den alten Zere-monien fest. Auch als er seit 1528 mitRestriktionen auf die Verbreitung derevangelischen Lehre reagierte, kam es zukeinem Verbot, doch wurden zuneh-mend oberdeutsch geprägte Pfarrer ent-lassen.Sein jüngerer Bruder Ernst öffnete sei-

nen Herrschaftsbereich der oberenMarkgrafschaft (Hachberg und Rötteln-Sausenberg) wegen der Nachbarschaft zuBasel der evangelischen Predigt, bliebaber selbst altgläubig. Auch sein ältererBruder Bernhard III. hegte Sympathienfür die Reformation, doch setzte diebayerische Vormundschaft nach dessenTod 1535 wieder eine altgläubige Politikin Baden-Baden durch. Trotz der katho-lischen Erziehung der Prinzen duldeteauch Philibert, der älteste Sohn Bern-hards III., nach seinem Herrschaftsan-tritt 1565 die evangelische Predigt. Inden Kondominaten Eberstein, Lahr-Mahlberg und Sponheim wurde die Re-formation sogar offiziell eingeführt. DiePolitik des Gewährenlassens förderte inder Markgrafschaft Baden-Baden ein all-mähliches Hinübergleiten (Armin

Mit Erlass der Kirchenordnung am1. Juni 1556 führte Markgraf Karl II. vonBaden-Pforzheim-Durlach die Reforma-tion in seinem Fürstentum ein. Dies ge-schah fast zeitgleich mit der Einführungder Reformation in der Kurpfalz durchKurfürst Ottheinrich, mit dem Karl ver-schwägert war. Beide übernahmen fürihr Territorium die von Johannes Brenzverantwortete württembergische Kir-chenordnung von 1553 fast unverändert.Trotz Drängens durch Herzog Christophvon Württemberg ließ Karl seit seinemRegierungsantritt 1553 mehrere Jahrevergehen, ehe er sich zur Einführung derReformation durchrang. Dabei war ihmdie Beseitigung von Irrtümern und Miss-ständen in der Kirche seines Herrschafts-bereichs, wie er im Vorwort seiner Kir-chenordnung betonte, ein grundlegendesAnliegen, das angeblich bereits sein VaterErnst verfolgt habe. Erst der Abschlussdes Augsburger Religionsfriedens 1555gab Karl jedoch die Sicherheit, in seinemLand ohne Gefahr die Reformationdurchführen zu können. Die starke habs-burgische Präsenz in den badischenOberlanden hatte Karl bis dahin zögernlassen.Der sehr späten Einführung der Refor-

mation ging in der 1515 und 1535 geteil-ten badischen Markgrafschaft eine mehrals drei Jahrzehnte währende Phase einerVorreformation voraus. Der seit 1515 diebadischen Kernlande regierende Mark-graf Philipp (I.), als Statthalter beimReichsregiment in die kaiserliche Politikeingebunden, blieb zwar altgläubig. Je-doch beschäftigte er mit Franciscus Ire-

Die Reformation in Baden

Kohnle) in die Reformation, das freilichvon der zweiten bayerischen Vormund-schaft ab 1569 unterbunden wurde. Den-noch blieb Baden-Baden ein katholischesTerritorium mit einem starken evangeli-schen Bevölkerungsanteil.Für die Durchführung seiner Reforma-

tionsentscheidung in der MarkgrafschaftBaden-Pforzheim-Durlach war ErnstsSohn Karl II. auf die Mitwirkung vonTheologen aus Württemberg, Kurpfalzund Sachsen angewiesen, was zu heftigentheologischen Auseinandersetzungenführte. Entscheidend wurde die Durch-führung der Reformation im badischenUnterland letztlich von dem württem-bergischen Theologen Jakob Andreaeund Karls Kanzler Martin Achtsynit be-fördert. Für das badische Oberland hatteKarl den Basler Theologen Simon Sulzerals Generalsuperintendenten eingesetzt.Obgleich auch Sulzer ein überzeugterLutheraner war, haben die unterschiedli-chen Prägungen durch (überwiegend)württembergische und Basler Theologendoch die konfessionellen Mentalitäten inden Landesteilen bestimmt. Trotz Beden-ken unterzeichnete die MarkgrafschaftBaden-Durlach unter der Vormund-schaftsregierung für Karls Söhne dieKonkordienformel. Der Übertritt Mark-graf Ernst Friedrichs zur reformiertenKonfession blieb hingegen Episode. Nachseinem Tod 1604 wurden die baden-dur-lachischen Herrschaftsteile unter dem lu-therischen Markgrafen Georg Friedrichwieder vereinigt.

Udo Wennemuth

Reformation im deutschen Südwesten

1 | Deckblatt der Kirchenordnung für die Markgraf-schaft Baden-Pforzheim-Durlach von 1556.Vorlage: Landeskirchliche Bibliothek Karlsruhe

2 | Bildnis von Markgraf Karl II. von Baden-Pforz-heim-Durlach.Vorlage: Landeskirchliches Archiv Karlsruhe

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Archivnachrichten 54 / 2017 19Reformation im deutschen Südwesten

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Zeit der Apostel und der Kirchenväter bisauff die stundt die zentralen Inhalte desGlaubens treu bewahrt. Für Jakob stehtdie katholische Kirche für Tradition undTreue im Glauben – gegen alle reforma-torischen Anfragen. Der schriftliche Dia-log zwischen den Geschwistern endet beialler gegenseitigen Sympathie in Trauerund Not, weil die Sorge um das Heil imDenken des konfessionellen Zeitaltersnur eine richtige Antwort zuließ, die eineVerständigung zwischen Bruder undSchwester nicht möglich machte.Wenige Tage später starb Jakob III. am

17. August 1590. Eine Obduktion durchdie Mediziner der Universität Freiburgmachte eine Vergiftung durch Arsenikfür den überraschenden Tod verantwort-lich. Während die katholische Seite dieseErklärung – Mord aus religiösen Moti-ven! – schnell publizistisch verbreitete,spottete der protestantische Gegenpart,der Markgraf habe wohl bei seiner Kurzu viel Mineralwasser getrunken. Ineinem persönlichen Bekenntnis auf demSterbebett hatte Jakob nochmals seinenÜbertritt zum Katholizismus bekräftigt:Catholisch bin ich – catholisch bleib ich –catholisch will ich sterben – Da helf mitGott zuo.. Dies hinderte seine Brüder je-doch nicht daran, den Leichnam – gegenden ausdrücklichen Willen des Verstor-benen – zur Bestattung in die evangeli-sche Pforzheimer Schlosskirche, also indie markgräfliche Grabstätte, zu verbrin-gen. Erste Maßnahmen zur (Wieder-)Einführung des Katholizismus im hach-bergischen Landesteil wurden sofortrückgängig gemacht. Nach dem Tod sei-nes Bruders Ernst Friedrich (1560–1604)wurde für die beiden Geschwister einaufwendig gestaltetes Grabmal errichtet:Die Inszenierung dynastischer Gemein-samkeiten und Kontinuitäten überdecktedie tatsächlichen religiösen Differenzen.

Wolfgang Zimmermann

War die Markgrafschaft Baden Mitte des16. Jahrhunderts katholisch oder evange-lisch? Der Historiker zögert, wenn er diekonfessionelle Landkarte des Oberrhein-gebiets für diese Jahrzehnte mit eindeuti-gen Zuweisungen belegen soll. Natürlichgalt auch hier ab 1555 der Grundsatz desAugsburger Religionsfriedens, der demLandesherrn die Entscheidung über dasBekenntnis seiner Herrschaft und seinerUntertanen zuwies. Aber damit began-nen die Schwierigkeiten: Die Markgraf-schaft Baden war seit 1535 in zwei Liniengeteilt, in Baden-Baden (bernhardinischeLinie) und Baden-Durlach (ernestini-sche Linie). Während sich Baden-Dur-lach unter Markgraf Karl II. (1529–1577)in der Kirchenordnung von 1556 auf daslutherische Bekenntnis festgelegt hatte,rückte in Baden-Baden Philipp II.(1559–1588) von der protestantischen,zugleich aber auch toleranten Haltungseines Vaters Philibert (1536–1569) abund machte aus seinem Landesteil einkatholisches Territorium. Die bis in dieNeuzeit anhaltende Trennung der Mark-grafschaft in einen katholischen undeinen evangelischen Landesteil zeichnetesich erstmals ab.Nach dem Tod von Markgraf Karl II.

wurde 1584 der durlachische Landesteilzunächst unter seinen drei Söhnen auf-geteilt. Jakob III. (1562–1590), der alsHerr über die hachbergischen GebieteEmmendingen zur Stadt erhob und zuseiner Residenz ausbaute, zeigte seit 1587Sympathien für die katholische Kirche.Seine persönlichen Aufzeichnungen las-sen erkennen, wie er sich intensiv mitden konfessionellen Streitfragen seinerZeit beschäftigte: Listen von Bibelstellensind den einzelnen Themen zugeordnet,Kirchenväter werden als Garanten derwahren Lehre zitiert.Während katholische Fürsten – wie

etwa der Herzog von Bayern oder Erz-herzog Ferdinand von Österreich –Markgraf Jakob in seinen Absichten un-terstützten, vermischten sich in denSchreiben seines Bruders Ernst Friedrich

theologische Einwände mit kaum ver-deckten Drohungen. Zwei Religionsge-spräche (colloquia) in Baden(-Baden)und Emmendingen (1590) sollten dieEntscheidung bringen. Bei diesen Dispu-tationen ging es weniger um ein ergeb-nisoffenes Austauschen von Argumentenzwischen den eingeladenen Theologenals vielmehr um eine öffentliche Bestäti-gung der eigenen Position. Der Show-down der konfessionellen Auseinander-setzung verlief hart und scheute auchnicht vor persönlichen Diffamierungenzurück. Jede Partei reklamierte für sichden Punktesieg und verspottete den Ge-genpart. Unterstützt durch seinen Hof-prediger Johann Zehender und seinenBerater Dr. Johannes Pistorius vollzogJakob III. kurz danach im Juli 1590 seineKonversion in der ZisterzienserabteiTennenbach.In den Unterlagen von Markgraf Jakob

findet sich neben den üblichen, allge-mein gehaltenen Schreiben ein Brief-wechsel mit seiner Schwester Elisabeth(1570–1611), der einen Blick auf die Per-sönlichkeit und die Gefühlswelt der Ge-schwister in jenen aufwühlenden Tagenzulässt. Elisabeth fordert in zum Teil un-gelenker Sprache ihren Bruder eindring-lich auf, sich durch die Konversion nichtvon Jesus Christus loszusagen. Sie könnezwar nicht wie ein Theologe argumentie-ren, doch sei sie in ihrem Glauben als einarmer ley so fest verankert, dass sie bis inden Tod nicht von ihrem Erlöser wei-chen werde. Heil und Erlösung durchJesus Christus waren für sie untrennbaran das evangelische Bekenntnis gebun-den. Die Antwort des Bruders nahm die-sen Gedanken auf und wendete ihn insGegenteil: Niemand dürfe von ihm den-ken, dass er sich gegen sein Gewissenvon Jesus abwenden wolle. Die Abkehrvon der lutherischen religion sei keineAbkehr vom Erlöser, sondern wer sichvon der rechten Kirche, als der gespons[Braut] Christi, abwende, der verrate inWirklichkeit Christus. Aus seiner Sichthabe nur die katholische Kirche seit der

„Catholisch bin ich – catholisch bleib ich.“Das Emmendinger Religionsgespräch von 1590 und die Konversion des Markgrafen

Jakob III. von Baden-Durlach

Archivnachrichten 54 / 201720 Reformation im deutschen Südwesten

Archivnachrichten 54 / 2017 21Reformation im deutschen Südwesten

1 | Markgraf Jakob III. von Baden-Durlach (1562–1590), Kupferstich, aus: Dominicus Custos: Atriumheroicum (…). Augsburg 1600–1602.Vorlage: Landesarchiv GLAK J-Aa-J/3

2 | Bekenntnis des Markgrafen Jakob III. auf demSterbebett, 15. August 1590.Vorlage: Landesarchiv GLAK 46/4944, Nr. 75a (Ei-gentum des Hauses Baden)

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gen Adam von Ow, dessen Familie demKloster Bebenhausen immer eng verbun-den gewesen war. In Hirrlingen erfuhrder Pfeil dann in den folgenden Jahrhun-derten weitere repräsentative Wertschät-zung: Das zu seiner Präsentation gefer-tigte Armreliquiar, eine eigens für ihn er-richtete Kapelle sowie eine ihm zu Ehrengegründete Bruderschaft zeugen davon.Ein württembergischer Beamter, der

1725 die Urkunde Stechers kopierte, ur-teilte mit harscher Notiz: Es ist nicht zuglauben, dass der tapfere Abbt Joh. Stecher[…] denen Papisten diesen Pfeil um 500fl. Verkaufft und noch dazu dieses atte-stum zu vermehrung der mit diesem Pfeiltreibend Abgötterey sollte ertheilt haben.Aus heutiger Sicht muss das Vorgehen

des Abts Johannes Stecher als Glücksfallbetrachtet werden, der das Überlebendes Pfeils über die Reformation hinaussicherte. So lässt sich durch diese Reli-quie noch ein kleiner Eindruck vom ehe-mals reichen liturgischen Leben des Klosters gewinnen. Der Sebastianspfeilmit Armreliquiar und Urkunde kann imRahmen der Ausstellung Freiheit – Wahr-heit – Evangelium. Reformation in Würt-temberg von September 2017 bis Januar2018 wieder an seinem ursprünglichenPlatz, im Kloster Bebenhausen, bewun-dert werden.

Alma-Mara Brandenburg

des Kreuzgangs, dessen Abschnitt geradein dieser Zeit errichtet wurde.Die zweite Regierungszeit Herzog Ul-

richs (ab 1534) bedeutete einen Bruchmit diesen Glaubenstraditionen und bis-heriger liturgischer Praxis. Aus dem Exilzurückgekehrt, führte Ulrich die Refor-mation in Württemberg ein und war be-strebt, die Klöster aufzulösen. Der Be-benhäuser Konvent verlor noch im sel-ben Jahr seinen für den alten Glaubenkämpfenden Abt Johann von Fridingenund die Mönche waren in zwei Lager ge-spalten. Während einige die angeboteneAbfindung annahmen, teilweise in denevangelischen Kirchendienst traten oderan die Universität wechselten, musstendie altgläubig gebliebenen Mönche ihrKloster verlassen. Den Sebastianspfeilmit auf diesen ungewissen Weg zu neh-men, scheint dem verbliebenen Konventzu riskant gewesen zu sein. Stattdessenwurde er auf dem Klostergelände ver-steckt und blieb es offenbar etwa siebzigJahre lang.Für den evangelischen Abt Johannes

Stecher besaß der Pfeil bei seiner Wie-derauffindung keinerlei liturgischeFunktion mehr, er erkannte aber dessenhistorischen Wert und entschied sich, die Umstände dieses Fundes in einemSchriftstück festzuhalten. Mit diesem Attest der Echtheit veräußerte er denPfeil an den altgläubig gebliebenen Adli-

Archivnachrichten 54 / 201722

Ein außergewöhnliches Objekt mit einerwechselvollen Geschichte wird heute vonder katholischen Kirchengemeinde Hirr-lingen bei Rottenburg verwahrt. Deretwa 37 cm lange, aus einer Eisenspitzeund einem Holzschaft bestehende Pfeilist aus dem Kloster Bebenhausen dort-hin gelangt. Eine ebenfalls in Hirrlingenverwahrte Urkunde bringt Licht in einenTeil seiner Geschichte: Im Jahr 1606 ent-deckte der evangelische Bebenhäuser AbtJohannes Stecher auf dem Klosterge-lände einen Pfeil, den er zunächst säu-berte und vom Rost befreite. Mit Hilfeeines kleinen Zettels, der sich dabei be-funden haben soll, identifizierte der Abtihn als Reliquie des Hl. Sebastian undSchenkung von Papst Pius II. (1405–1464) an das Kloster Bebenhausen.In den Schriftquellen haben sich zwar

kaum Mitteilungen über Reliquienvereh-rungen in Bebenhausen erhalten, den-noch muss es in Anbetracht der ehemalszahlreichen Altäre der Klosterkircheeinen umfangreichen Bestand an Reli-quien gegeben haben. Der Hl. Sebastiangalt als Schutzpatron gegen die Pest undwurde in Notzeiten vermehrt um Hilfeangerufen. In Bebenhausen nahm seineVerehrung besonders mit der TübingerPestepedemie von 1482/83 zu. Dies un-terstreichen auch die Darstellungen sei-ner Person auf einem Fresko im Chorder Kirche sowie auf einem Schlussstein

Reformation im deutschen Südwesten

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Der Sebastianspfeil aus Kloster BebenhausenEine Reliquie übersteht die Reformation

Archivnachrichten 54 / 2017 23Reformation im deutschen Südwesten

1 | Der Sebastianspfeil aus Kloster Bebenhausen,um 1400.Vorlage: Diözesanmuseum Rottenburg

2 | Das Armreliquiar für den Sebastianspfeil,17. Jahrhundert.Vorlage: Diözesanmuseum Rottenburg

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Als sich Valentin Purmann, evangeli-scher Pfarrer in Nassig in der GrafschaftWertheim, im Jahr 1658 bei den evange-lischen Grafen auf die vakante PfarreiReicholzheim bewirbt, ahnt er vermut-lich nicht, was auf ihn zukommt. Im Jahr1660 tritt er sein Amt an. Am Anfangscheint das Zusammenleben der Ge-meinde, die bei wechselnden Herrschaf-ten auch jedes Mal die Konfession än-dern muss, mit dem neuen Pfarrer nochzu funktionieren. Der Schultheiß berich-tet jedenfalls, dass der Geistliche regel-mäßig mit Brennholz aus den Gemein-dewaldungen versorgt wird.An den zunehmenden Händeln in den

folgenden Jahren ist der Abt von Bronn-bach, der in seinem ehemaligen Kloster-dorf auf keinen Fall an Einfluss verlierenwill, nicht ganz unschuldig. Im Oktober1662 bringt Purmann bei den Grafenvon Wertheim folgende Umtriebe zurAnzeige: Als drei Reicholzheimer Jungenbei der Weinlese in den Klosterweinber-gen helfen, werden sie von BronnbacherMönchen Glaubensproben unterworfenund beleidigt, unter anderem mit derFrage, warum die Prädikanten so kurzeRöcke trügen. Die Antwort laute, Luthersei nach seinem Verlassen des Klosters ineine Kloake gefallen und habe sich sei-nen Rock entsprechend kurz abschnei-

Archivnachrichten 54 / 201724 Reformation im deutschen Südwesten

Von Martin Luther und PapistenDer letzte evangelische Pfarrer in Reicholzheim bei Wertheim

Die Grafschaft Wertheim gehörte zu denTerritorien, die sich gleich beim Auf-kommen der neuen Lehre zuwandten.Rund 150 Jahre später lagen das KlosterBronnbach und die evangelische Graf-schaft im Streit um drei Ortschaften, dieursprünglich zum Kloster gehört hatten.Eine davon war Reicholzheim. Nach län-geren Auseinandersetzungen wurde es ineinem Urteil des Reichskammergerichtsvon 1672 der katholischen Seite zuge-sprochen. Neben den großen Konflikten,die auf Reichsebene ausgefochten wur-den, gab es aber auch die kleinen Alltags-geschichten, die ein Bild von den Um-wälzungen jener Zeit wieder geben.

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den lassen müssen. Außerdem berichtetder Pfarrer, wie liederlich sich die Mön-che gegenüber den Jungs über Brot undWein in der Kirche geäußert hätten.Zudem habe ein Bronnbacher Mönch et-liche Jungs auf dem Feld angesprochenund versucht, sie durch Drohungen zumwahren Glauben zu bekehren, denn dieLutherischen werden (S.V.) dem Teufel inHintern fahren müssen. Der Streitigkeitenwohl müde, versucht Purmann bereitsim Mai 1663 auf die Pfarrstelle nachKreuzwertheim zu wechseln, was ihmaber nicht gelingt.Brisant wird für Purmann die Lage im

Jahr 1674. Er berichtet nach Wertheimvon Eingriffen des Bronnbacher Abtes insein Amt. Außerdem fühlt er sich ver-leumdet. So soll er die Ältesten des Dorf-gerichts als Alte Mamelucken titulierthaben. Dafür wird ihm vom Abt eineStrafe von 15 Gulden auferlegt. Purmannschildert sich aber als notleidenden Pre-diger und außerstande, so viel zu bezah-len. Das Gehalt des Pfarrers wird offen-

sichtlich nicht regelmäßig ausgezahlt, so-dass er Schulden machen muss. Erneutsucht Purmann Unterstützung bei denGrafen und bittet um Schutz vor denProceduren des Prälaten. Für den Fall denOrt räumen zu müssen, ersucht er umAnstellung als Hilfsgeistlicher in Walden-hausen oder anderwärts.Kurz darauf meldet sich Pfarrer Pur-

mann wieder zu Wort: Der Katholizis-mus sei kaum noch aufzuhalten und dieBevölkerung inzwischen gegen ihn ein-gestellt. Er könne sein Dasein nicht län-ger in Reicholzheim fristen, fühle sichverfolgt und Lebensmittel sowie ordent-liche Besoldung würden ihm entzogen.Er bittet für sich und seine Familie umHilfe aus dem Spital oder dem Kirchen-almosen. Der Abt lässt Purmann wissen,er solle sich seine Besoldung bei denenholen, denen er diene.Das Elend findet erst ein Ende, als Va-

lentin Purmann im Dezember 1674 diePfarrei Reicholzheim verlässt und nachOberndorf bei Schweinfurt geht. Von

dort aus versucht er noch jahrelang, sei-nen Besoldungsrückstand einzufordern.Aber erst 1682 wird der Chorverwalterangewiesen, Purmann mit der Auszah-lung von 50 Gulden zufriedenzustellen.

Martina Heine

Reformation im deutschen Südwesten Archivnachrichten 54 / 2017 25

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1 | Eine seiner Bittschriften unterzeichnet Purmannals „der Zeit betrangt und nothleidenter Pfarr zuRicholtsheim“.Vorlage: Landesarchiv StAWt-F Rep. 231 Nr. 1642

2 | In seinem Strafbefehl an den ReicholzheimerPfarrer klärt Abt Franz Wundert auf: „Mameluckenseind Türcken und Saracener, keine Christen, kön-net hinführo euren ungewaschenen Mund beßerverwahren.“Vorlage: Landesarchiv StAWt-F Rep. 231 Nr. 1642

3 | Die auf einer Karte von 1817 dargestellte Kircheentspricht nicht dem Bau, in dem Valentin Pur-mann wirkte. Der Neubau wurde unter Abt JosephHartmann (1699–1724) begonnen und 1713 voll-endet.Vorlage: Landesarchiv StAWt-R K Nr. 396

1 | Flugblatt zum ersten Gedenken der Veröffentli-chung der Thesen Martin Luthers 1517, 16. Jh.Vorlage: Georg Buchwald, Karl Stockmeyer: Die Ge-

schichte der deutschen Kirche und kirchlichen Kunstim Wandel der Jahrhunderte. Köln 1927.

Archivnachrichten 54 / 201726 Reformation im deutschen Südwesten

Feiern als Konfrontation100 Jahre Reformation in Hohenlohe

Es werden uff künfftigen Freytag (da wirsolchen Tag durch Gottes gnadt erleben)100 Jahr verfloßen sein, das der barmher-zige Gott seinen darzu erwehlten Werkh-zeug, den hochgelerten theuren Mann, Dr.Martin Luthern […] erwecket, welcher zuWittenberg in Sachsen das leidige verfüh-rische Papstum zum erstenmahl aus Got-tes wortt mit einer offentlich Schrifft ange-griffen […] hatt.Mit diesen Worten be-ginnt eine Denkschrift zur Ausrichtungdes Reformationsjubiläums von 1617 inHohenlohe. Man solle, so das ungezeich-nete Schreiben weiter, in allen Orten derGrafschaft predigen, singen, spielen, auffOrgeln und allerhand seiten Spielen, bit-ten, betten, und also Gott den Herren mitMundt und Hertzen frölich anrueffen.Über die konkrete Gestaltung der Fei-

erlichkeiten herrschte bei den Grafenvon Hohenlohe zunächst Unklarheit. Er-haltene Dokumente belegen, dass mansich beim Herzog von Württemberg undder Reichsstadt Hall nach deren Plänenfür das anstehende Fest erkundigte undzwei Druckschriften aus Sachsen heran-zog.Soweit es sich aus den erhaltenen Do-

kumenten ersehen lässt, begannen dieFeierlichkeiten in Hohenlohe mit einerVesper am Abend des 30. Oktobers 1617,der nach dem julianischen Kalender aufeinen Donnerstag fiel. An den drei Folg-etagen wurden allerorten festliche Pre-digten abgehalten. Zumindest im Lan-desteil Hohenlohe-Weikersheim, ver-mutlich aber in ganz Hohenlohe, war dasmusikalische Programm fest vorgegeben.Nebst anderen Stücken sollten freilichauch Kirchenlieder aus Luthers Feder ge-sungen werden, darunter das unvermeid-liche Ein feste Burg ist unser Gott und Er-halt uns, Herr, bei Deinem Wort, das denPapst und die Türken in einem Atemzugnennt und den Katholiken entsprechendbitter aufstieß.Ob die Predigttexte gleichfalls durch

die Obrigkeit ausgewählt wurden, wie esaus anderen Herrschaften belegt ist, istungewiss. Eine Textstelle deutet auf einegewisse Wahlfreiheit der Pfarrer hin:Während Johann Christian Wibel 1

Archivnachrichten 54 / 2017 27

(1711–1772) als früher Chronist der ho-henlohischen Kirchengeschichte für denFreitag eine Stelle aus Daniel nennt (Dan11,44–45), sollte laut ihm am Sonntag,dem 2. November 1617, Offenbarung14,8 als Thema der Predigt verwendetwerden: VND ein ander Engel folget nach/ der sprach / Sie ist gefallen / sie ist gefal-len / Babylon / die grosse Stad / Denn siehat mit dem Wein jrer Hurerey getrencketalle Heiden. Der markige Bibelvers, dendie Lutheraner natürlich auf den Heili-gen Stuhl in Rom bezogen, lässt tief bli-cken. Dass 400 Jahre später ein Papst zumDialog zwischen Katholiken und Prote-stanten aufrufen und die Gemeinsamkei-ten der Konfessionen in den Mittelpunktder Betrachtung stellen würde, dürfteseinerzeit, am Vorabend des Dreißigjäh-rigen Krieges, die Vorstellungskraft derMenschen überfordert haben.Im Übrigen richteten die Organisato-

ren des Reformationsjubiläums in Ho-henlohe ihre Aufmerksamkeit auch aufganz praktische Dinge. Aus Sicht derzahlreichen Weinbauern der Regionhatte Martin Luther den Zeitpunkt fürseinen Thesenanschlag denkbar schlechtgewählt. Die oben erwähnte Denkschriftschlägt explizit vor, den Untertanen nachden Gottesdiensten die Arbeit am Wein-berg zu erlauben. Das Dokumentschließt mit den hoffnungsfrohen Wor-ten: Welchem nun unter uns allen, dasheilige von Gott durch Lutherum uns wie-derub zugesandte seeligmachende Evange-lium eiferig zu Herzen gehet: solchen wirdtder Christlich eifer, alß ein brennendesFeuer in seinem Herzen, selbst nun außdem Hauß od Kälter zur Kirch jagen.Andere Zeiten brachten andere Formen

des Gedenkens an den Beginn der Refor-mation hervor. Für 1717 ist im Hohenlo-hischen die Verteilung von Wecken undBrezeln an Schulkinder und die Prägungvon Gedenkmünzen belegt. Die Feiernzum 300. Jahrestag des Thesenanschlagsstanden vielerorts unter dem Eindruckder gerade überwundenen Hungerkrisevon 1816/17.

Jan Wiechert

Reformation im deutschen Südwesten

2 | Keine Spur von Ökumene: Anlässlich des erstengroßen Reformationsjubiläums von 1617 setztenprotestantische Herrschaften klar auf Konfronta-tion. In gedruckten Pamphleten steht die PersonMartin Luthers im Vordergrund der Betrachtung.Vorlagen: Landesarchiv HZAN La 5 Bü 605

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Archivnachrichten 54 / 201728

Wer sich mit den konfessionellen Strei-tigkeiten nach der Reformation beschäf-tigt, hat dabei meist die großen politi-schen Auseinandersetzungen vor Augen,die im Dreißigjährigen Krieg ihren Hö-hepunkt fanden. Dass das Nebeneinan-der von Katholiken und Protestanten an-gesichts der territorialen Gemengelageinsbesondere im deutschen Südwestenauch im Alltag zu mancherlei Problemenführte, gerät dabei leicht aus dem Blick,obwohl die Akten in den Archiven vollvon solchen Konflikten sind.Besonders dramatische Formen konn-

ten die Auseinandersetzungen anneh-men, wenn der Vollzug bestimmter litur-gischer Aktivitäten die territorialenRechte benachbarter Herrschaften tan-gierte. Das kam häufig bei Prozessionen

und Wallfahrten vor, die durch aneinan-dergrenzende Territorien führten. Diesich daraus ergebenden Konflikte be-schäftigten nicht nur die Amtsstuben derbetroffenen Herrschaften viele Jahre,sondern häufig auch die Reichsgerichte.Wie heftig so ein Streit ausfallen

konnte, das dokumentieren beispiels-weise Akten aus den Beständen derReichsstadt Schwäbisch Hall und desStifts Comburg im Staatsarchiv Ludwigs-burg. Da dieser Konflikt am Ende vordem Reichskammergericht ausgetragenwurde, existiert zudem eine Akte des Ge-richts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.Anlass für den Konflikt war die jährlicheWallfahrt von Hintersassen des StiftsComburg auf den Einkorn südlich vonSchwäbisch Hall, wo das Stift 1681 eine

Kapelle eigens für die Wallfahrt gebauthatte. Diese wurde von Katholiken indem nördlich von Schwäbisch Hall gele-genen Großallmerspann, heute Ilshofen,jährlich am Sonntag Exaudi – dem6. Sonntag nach Ostern – durchgeführt.Der etwa 20 Kilometer lange Weg, dendie Prozession von Großallmerspann auszu nehmen hatte, führte durch das Terri-torium der protestantischen StadtSchwäbisch Hall. Viele Jahre hielten sichdie Katholiken während des Durchque-rens dieses Gebiets mit Gesängen zurückund präsentierten auch nicht die mitge-führten Fahnen und das Kruzifix. In densiebziger Jahren des 18. Jahrhundertskam es dann aber wiederholt zu Misshel-ligkeiten, die vermutlich einigen Eiferernauf beiden Seiten zu verdanken waren.

Reformation im deutschen Südwesten

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Krawalle um Wallfahrten und ProzessionenZwistigkeiten im religiösen Alltag

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Archivnachrichten 54 / 2017 29

schiedenen Abschnitten ihres Wegs ver-halten hatten und wer für die Eskalationdes Streits verantwortlich war. Das Rechtzu solchen Prozessionen konnte Com-burg am Ende behaupten. Die umfang-reichen Akten, die diese und ähnlicheandere Auseinandersetzungen hinterlas-sen haben, bezeugen bis heute, wie sehrder konfessionelle Gegensatz den Alltagder Menschen in der frühen Neuzeitprägte und wie wenig friedlich man auchnoch Jahrzehnte, nachdem im Westfäli-schen Frieden das konfessionelle Mitein-ander geregelt worden war, miteinanderumgegangen ist.

Peter Müller

Im Jahr 1773 gipfelte der Streit in Ge-walttätigkeiten, als der Gruppe von Wall-fahrern Soldaten aus Hall sowie zahlrei-che Schaulustige kurz vor dem Ziel aufhellischem Territorium entgegentraten.Wechselseitige verbale Provokationenfolgten; schließlich versuchten die Solda-ten, die Wallfahrer mit Gewalt am Auf-richten der Fahnen und des Kruzifixes zuhindern. Bei den sich anschließendenTumulten gab es eine Reihe von Verletz-ten. Die Empörung aufseiten Comburgswar selbstverständlich groß. Es kam zurEinschaltung des Reichskammergerichts,wo die Reichsstadt und das Stift auchwegen einer Reihe anderer religiös moti-vierter Konflikte Prozesse führten. Minu-tiös versuchte man nun zu rekonstruie-ren, wie sich die Wallfahrer auf den ver-

Reformation im deutschen Südwesten

1 | Karte des Gebiets der Reichsstadt SchwäbischHall (mit Großallmerspann oben rechts und demEinkorn unten links), 1762.Vorlage: Landesarchiv HStAS N 100 Nr. 100

2 | Notariatssignet von Bernhard Wolff, der als Registrator des Stifts Comburg an den Tumultenpersönlich beteiligt war. Das Signet zeigt eine Ansicht des Stifts Comburg. Vorlage: Landesarchiv StAL B 375 L Bü 653

3 | Kapelle auf dem Einkorn, Lithographie, um1830.Vorlage: Württembergische Landesbibliothek, Gra-phische Sammlungen Schef. fol. 7424

4 | Fragenkatalog für ein Zeugenverhör während desRechtsstreits wegen der Tumulte bei der Wallfahrtauf den Einkorn im Jahr 1773.Vorlage: Landesarchiv StAL B 375 L Bü 651

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Zwei Konfessionen in direkter Nachbarschaft: Bar-tenstein, Residenzstädtchen der katholischen LinieHohenlohe-Waldenburg-Bartenstein, mit der 1711erbauten katholischen Schlosskirche und das zuBartenstein gehörende Ettenhausen mit der evange-lischen Pfarrkirche.Vorlage: Landesmedienzentrum Baden-Württem-berg, Luftbild LMZ 493116, Aufnahme: Arnim Wei-scher

nen evangelischen Mitchristen bestattetwerden; auch sollten bei der Sterbelitur-gie die üblichen Lieder gesungen undeine Predigt von der Kanzel gehaltenwerden. Wer sich jedoch dem evangeli-schen Geistlichen auch auf dem Sterbe-bett verschloss, für den sang man Buß-und Passionslieder, hielt lediglich eineAnsprache vor dem Altar und begrubden Leichnam zwar auf dem Kirchhof,aber an einer gesonderten Stelle.Der Umgang mit konfessionsverschie-

denen Untertanen war allerdings nichtnur in den evangelischen Linien, son-dern genauso unter den 1667 katholischgewordenen Grafen von Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein und -Schil-lingsfürst eine heikle Angelegenheit. Diemassive Bevorzugung des katholischenBekenntnisses führte hier immer mehrzu Konflikten mit den fast ausschließlichevangelischen Untertanen, schließlich zuausgeprägten Auseinandersetzungenzwischen den hohenlohischen Linien –und letzten Endes sogar zum Auseinan-derbrechen des einheitlichen hohenlohi-schen Grafenhauses. Aber das ist eine an-dere Geschichte.

Ulrich Schludi

Archivnachrichten 54 / 201730

Der Umgang mit den Untertanen der jeanderen Konfession war auch nach denRegelungen im Westfälischen Frieden1648 ein Thema, das in den Territoriensehr ernst genommen und entsprechendaufmerksam behandelt wurde. So hatteman damals festgelegt, dass die Aus-übung einer Konfession, die dem Be-kenntnis des Territorialherrn entgegen-stand, zwar jedem Untertan zustand,aber im jeweiligen Territorium im Priva-ten ausgeübt werden musste. Doch gabes immer wieder Situationen, in denendieser geschützte private Raum vom je-weiligen Untertan bewusst gesprengtoder notgedrungen verlassen wurde.Ein alltägliches Beispiel dafür ist der

Todesfall: Was sollte geschehen, wenn einKatholik, ob auf der Durchreise oder imHerrschaftsbereich einer evangelischenLinie der Hohenloher wohnend, seinLeben beendet hatte? Sollte er wie seineevangelischen Mituntertanen in allenEhren und mit dem üblichen Zeremo-niell beigesetzt oder ohne jede Feierlich-keit an einem anderen Ort bestattet wer-den? Die Praxis vor Ort war in den Herr-schaftsgebieten der evangelischen Linienin Hohenlohe lange sehr unterschiedlich.

Verzichtete der eine Ortsgeistliche aufKerzen und Kreuz, so behalf sich dernächste mit der Auslassung einiger Lied-strophen im zeitgenössischen Beerdi-gungslied Nun lasst uns den Leib begra-ben, während ein anderer einen entspre-chend konnotierten Bibeltext zur Lei-chenpredigt heranzog und ein Vierterdas unveränderte Zeremoniell anwandte,womit er in der Folge schweren Tadel derObrigkeit auf sich zog.Nach dieser lange Zeit sehr disparaten

Praxis traf sich schließlich im Frühjahr1725 eine Kommission der evangelischenLinien und legte folgenden Grundsatzfest: Verstorbene Katholiken solltendurchaus mit Respekt und ehrenvoll be-graben werden, doch sollte zwischenihrem und dem Begräbnis evangelischerUntertanen trotz allem ein Unterschiedbestehen. Konkret wollte man bei ver-storbenen Katholiken künftig zwischeneinem ehrenvolleren Begräbnis undeinem ehrenvollen Begräbnis unterschei-den. So sollte derjenige, der die Gottes-dienste besucht und den Zuspruch desevangelischen Ortsgeistlichen dankbarangenommen hatte, zwar nicht mit demvollen Geläut, aber immerhin unter sei-

Reformation im deutschen Südwesten

Beerdigung zweiter KlasseWenn Katholiken im evangelischen Hohenlohe starben …

Archivnachrichten 54 / 2017 31Reformation im deutschen Südwesten

Am 9. Februar 1819 wandten sich zehnEinwohner des Dorfes Bietenhausen beiHaigerloch in einer Eingabe an ihrenLandesherrn, den Fürsten von Hohenzol-lern-Sigmaringen, und legten in seinenväterlichen Schoos die unterthänigste Bittenieder, ihnen gnädigst den Zutritt zuein-ander und das Lesen der heiligen Schrift zugestatten, um nicht wegen Gewissenszwang[…] in fremde Staaten pilgern zu müssen.Seit einiger Zeit hatten sie sich nachts oftbis in den Morgen hinein zu pietistischenStunden getroffen. Gelegentlich waren sieauch über Nacht ins Württembergischegegangen, um an Andachtsstunden teil-zunehmen, die der Zuchtarbeitshausspei-semeister Schmid in Rottenburg und dersogenannte Heilige Mann Christian Kuß-maul in Bondorf hielten. Der Haigerlo-cher Oberamtmann hatte diese Aktivitä-ten kritisch beäugt, weil man nicht genauwusste, was bei diesen Zusammenkünf-ten vorging. Zudem befürchtete er, daßdie Mitglieder dieser Versammlungendurch ihre öftere Entfernung von Kirchenund Schulen, Müßiggang, Verschwendungund Zurüksetzung ihrer wahren Berufsge-schäfte ihre Haushaltungen zu Grunderichten. Schließlich waren ihnen die Zu-sammenkünfte und das Besuchen auswär-tiger Versammlungen bei Androhung eineröffentlichen Arbeits- oder Zuchthausstrafeverboten worden. Zur Durchsetzung desVerbots wurden ihre Wohnungen sogarmit Polizeiwachen besetzt.Obwohl die Bittsteller darauf hinwiesen,dass sie diejenigen Ruhestunden, welcheuns die Arbeit übrig läßt und die von denAnderen in rauschenden Gesellschaftenvergeudet werden, zum Lesen und Betrach-ten der Worte Gottes und der HeiligenSchrift verwenden, kam ihnen der Fürstnur wenig entgegen. Die Hausandachtenwurden ihnen zwar gestattet, allerdingsbeschränkt auf Hausangehörige. Da siesich nicht daran hielten, kamen siebenBrüder Ende April für einige Wochen inArrest.

Immerhin hatte man zwischenzeitlichfestgestellt, dass es sich um Pietisten,nicht um radikalere Separatisten han-delte, und so ließ man sie schließlich ge-währen, nicht zuletzt weil die katholi-schen Geistlichen bis hin zum Bistums-offizial Hermann von Vicari der Ansichtwaren, diese Leute verdienten einige Scho-nung auch darum […] , weil Strenge sieverhärten, oder ihnen Anlaß geben dürfte,daß sie sich für imaginärische Märtyrerhalten.Hinzu kam, dass sie erklärten, siewollten sich von der Katolischen Kirchenicht trennen und gehen auch allzeit indie Kirchen. […] Im übrigen wollten siegetreue und gehorsahme Unterthanenseyn.Anhänger des Pietismus gab es im Für-

stentum Hohenzollern-Sigmaringenauch im Bietenhausener Nachbarort Hö-fendorf sowie in den zum Oberamt Glattgehörenden Dörfern Dettingen undDettlingen. Der Glatter OberamtmannMattes sah die Bewegung ebenfalls kri-tisch, wenn er 1821 meinte: Ihre Ideen<[…] so scheinen sie zwar nichts Verdäch-tiges noch Gefährliches in sich zu enthal-ten – allein der Geist, der solche Ideen er-zeugt, scheint mir gefährlich werden zukönnen – Es sind die nemlichen Sym-ptome jenes democratisch demagogischenGeistes, welcher wirklich [=gegenwärtig]ganz Europa von den Pyrenäen bis zumBalkangebirge beherrscht. Eines Geistes,der sich von aller Auctorität in politischer,sonders in religiößer Hinsicht loßzuma-chen strebt, und seine eigene Erkenntnißüber alles positive sezt.Versuche der katholischen Kirche in

den 1850er Jahren, die Pietisten wiederauf den Boden der katholischen Lehr-meinung zurückzuholen, bewirkten dasGegenteil: Sie konvertierten zur evangeli-schen Kirche. In Bietenhausen und Det-tingen entstanden evangelische Kirchen-gemeinden.

Volker Trugenberger

„wollen unß von der Katolischen Kirche nicht trennen“Pietisten im katholischen Hohenzollern

Eingabe von zehn Einwohnern des Dorfes Bieten-hausen an den Fürsten von Hohenzollern, „in ihrenWohnungen ungestört religiöse Versammlungenhalten zu dürfen“, 9. Februar 1819.Vorlage: Landesarchiv StAS Ho 80 A T 2 Nr. 1162

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Archivnachrichten 54 / 201732

scher Offiziere, die sich als Vertreter derMilitärregierung in das historische Ver-zeichnis, das sie womöglich für ein Gä-stebuch hielten, einschrieben.Doch dann, im Herbst 1947, tauchtenDie symbolischen Bücher aus Stuttgartganz unvermutet in Frankfurt am Mainauf. Gemeinsam mit seiner deutschenFreundin erschien ein junger US-Leut-nant in der Praxis des Arztes Dr. GustavAdolf Gratz, um sich von einer Ge-schlechtskrankheit kurieren zu lassen.Als Gegenleistung für die Behandlungs-kosten offerierte er dem Mediziner dasbesagte Buch, das er als sein rechtmäßigerworbenes Eigentum ausgab. Überdiesließ er sich als Mehrwert 10.000 Reichs-mark in bar auszahlen.Als der Frankfurter Arzt das kostbare

Stück nach der Währungsreform zu Geldmachen wollte, hatte er das Nachsehen.Nach mehr als einjährigem Rechtsstreitunterlag er vor dem Landgericht Stutt-gart, das dem Staatsministerium Baden-Württemberg die ausschließlichen Ei-gentumsrechte zuerkannte. Im Oktober1953 wurde das Buch schließlich demHauptstaatsarchiv übergeben und in diearchivalische Überlieferung des Gehei-men Rates (Landesarchiv HStAS A 202Bü 513) eingereiht.

Albrecht Ernst

Reformation im deutschen Südwesten

Von US-Soldaten entwendetKostbares Zeugnis lutherischer Rechtgläubigkeit in Württemberg

Am 12. Februar 1952 beschlagnahmtedie Stuttgarter Kriminalpolizei ein wert-volles, in dunkles Leder gebundenes undmit dreiseitigem Goldschnitt verziertesBuch. Der Verdacht lag nahe, dass es sichbei dem mehr als 1.000 Seiten zählendenQuartband, den ein Mittelsmann demHauptstaatsarchiv zum Kauf angebotenhatte, um Hehlerware handelte. Auf demRücken des voluminösen Werkes war derin Gold geprägte Buchtitel Die symboli-schen Bücher zu lesen.In der Tat enthielt der Band ein 1681

bei Johann Weyrich Rößlin in Stuttgartgedrucktes Exemplar des Konkordienbu-ches. Diese vollständige Sammlung derlutherischen Bekenntnisschriften hatteman einst als symbolische Bücher be-zeichnet. Den theologischen Texten warein von Herzog-Administrator KarlFriedrich von Württemberg-Oels am28. Dezember 1743 unterzeichnetes undgesiegeltes Dekret vorangestellt, das alleBeamten im Lande auf die lutherischeLehre verpflichtete. Mit dieser Anord-nung wollte Karl Friedrich – dem Drän-gen der Landstände folgend – die Phaseder vormundschaftlichen Regierungnach dem Tod des katholischen HerzogsKarl Alexander (1733–1737) dazu nut-zen, die Stellung der evangelischen Kir-che im Land zu stärken. Nachdrücklichpochte er darauf, die aus der Übung ge-ratene Unterzeichnung der Formula

Concordiae durch alle fürstlichen Räteund nachgeordneten Beamten wiedereinzuführen. Bei jeder Neueinstellungund Vereidigung sollten die Staatsdienerangehalten werden, ihres Glaubens Con-fession [...] zu bezeugen. Auch die schonim Amt befindlichen Personen mussten,sofern noch nicht geschehen, ihre Zu-stimmung zum lutherischen Bekenntnismit der eigenhändigen Unterschriftnachholen.Hunderte Beamte der herzoglichen

Zentralbehörden, aber auch der lokalenVerwaltungen trugen sich in der Zeit von1744 bis 1805 auf den zahllosen leerenBlättern im hinteren Teil des Buches einund legten damit ein öffentliches Zeug-nis ihrer Rechtgläubigkeit ab. Unterihnen begegnen viele klangvolle Namender württembergischen Geschichte, soetwa der Kabinettsminister FriedrichSamuel Graf von Montmartin, der Ge-heimrat und herzogliche Freund Karlvon Zeppelin oder der Rentkammerse-kretär Georg Ludwig Hegel, der Vater desgroßen Philosophen.Während des 19. Jahrhunderts verblieb

der Band, für den man eigens einSchutzbehältnis hatte anfertigen lassen,in der Obhut des Geheimen Rates. Spä-ter gelangte er in die Bibliothek desWürttembergischen Staatsministeriumsin der Villa Reitzenstein. Dort erregte er1945 die Aufmerksamkeit amerikani-

Archivnachrichten 54 / 2017 33Reformation im deutschen Südwesten

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1 | Zeugnis lutherischer Bekenntnistreue im Herzog-tum Württemberg, 1681.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 202 Bü 513

2 | Titelblatt des 1681 in Stuttgart nachgedrucktenKonkordienbuches.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 202 Bü 513

3 | Konkordienbuch, Unterschriftenseite mit EintragGeorg Ludwig Hegels.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 202 Bü 513 fol. 93v

4 | Konkordienbuch, Unterschriftenseite mit Eintragamerikanischer Offiziere.Vorlage: Landesarchiv HStAS A 202 Bü 513 fol.335r

Neue Entwicklungen und kontinuierlich verfolgte ZieleJahresbericht des Landesarchivs Baden-Württemberg für 2016

Archivnachrichten 54 / 201734 Archiv aktuell

Zum Jahresende hat das Landesarchivdem Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst Baden-Württembergeinen Entwurf zur Novellierung des Lan-desarchivgesetzes vorgelegt. Er wird An-forderungen an das Archiv im digitalenZeitalter sowie rechtlichen Veränderun-gen gerecht und benennt deutlicher alsbisher die Aufgaben des Landesarchivsauf den Arbeitsfeldern der landeskundli-chen Forschung und der historischenBildung. Dies entspricht dem zu Jahres-beginn ergänzten Selbstverständnis desLandesarchivs (siehe folgender Artikel).Neue Wege geht das Landesarchiv bei derÜberlieferungssicherung von Unterlagendes Sports, nachdem 2016 im Anschlussan fruchtbare Gespräche mit dem Wis-senschaftsministerium, dem Kultusmi-nisterium und dem Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e. V. einneues Sachgebiet Sportarchiv im Haupt-staatsarchiv Stuttgart eingerichtet wer-den konnte; es wird vor allem koordinie-rend und beratend tätig sein.Mit dem fortgesetzten Aufbau digitaler

Bestände wurden wiederum wesentlicheFortschritte bei der Archivierung genuindigitaler Unterlagen erreicht. Inzwischenwird diese Aufgabe in allen Abteilungendes Landesarchivs wahrgenommen. 2016ist darüber hinaus die schon länger vor-bereitete Kooperation mit den Kommu-nalarchiven in die Praxisphase eingetre-ten. Bis Jahresende wurden 15 Verträgemit Kommunalarchiven über die Nut-zung der vom Landesarchiv in Koopera-tion mit den Archivverwaltungen Hessenund Bayern entwickelten und gepflegtenSoftware DIMAG geschlossen. Die Ko-operation mit dem Entwicklungspartner

Die acht baden-württembergischen Referendarin-nen und Referendare mit ihren Kurskollegen des 51. wissenschaftlichen Lehrgangs zu Beginn destheoretischen Ausbildungsabschnitts an der Archiv-schule Marburg – Hochschule für Archivwesen.Vorlage: Archivschule Marburg

gebnisse 2017 im Netz freigeschaltet wer-den. Abgeschlossen wurde das von derDFG geförderte Projekt Produktivpilot:Digitalisierung archivalischer Quellen,mit dem Parameter für eine zukünftigeFörderung von Digitalisierungsvorhabendurch die DFG erarbeitet wurden. Starkengagiert war das Landesarchiv auchweiterhin beim Aufbau des Archivpor-tals-D (https://www.archivportal-d.de/)– zum einen durch die Mitarbeit im Vor-stand der Deutschen Digitalen Biblio-thek (DDB) und in Arbeitsgruppen desKompetenznetzwerks der DDB, zum an-deren durch den Betrieb der FachstelleArchiv, die wesentliche Funktionen beider Einspeisung von Daten aus dem Ar-chivbereich erfüllt. Nicht unerwähnt soll

Digitale Archivierung Nord (DAN), zudem sich Bundesländer im NordenDeutschlands zusammengeschlossenhaben, wurde auf eine neue Grundlagegestellt. Zahlreiche weitere Archive ausdem In- und Ausland haben Interesse anDIMAG bekundet, woraus zum Teil Ge-spräche resultierten, die 2017 fortgeführtwerden.Sehr aktiv war das Landesarchiv wie-

derum bei der Digitalisierung von Ar-chivgut. Die Zahl der Digitalisate imNetz betrug zum Jahresende 20167.808.026 (gegenüber 6.250.460 im Vor-jahr). Hierzu trugen besonders die vomWissenschaftsministerium bereitgestell-ten Sondermittel für das Projekt Von derMonarchie zur Republik bei, dessen Er-

Archivnachrichten 54 / 2017 35

bleiben, dass das Archivportal-D 2016mit dem Heritage in Motion Award aus-gezeichnet wurde, der von der EuropeanMuseum Academy gemeinsam mit demeuropäischen Denkmalverbund EuropaNostra vergeben wird.Auch das Ziel, den Umfang der erschlos-senen und sachgerecht konservierten Be-stände zu erhöhen, um Rückstände ab-zubauen und keine neuen Rückständeentstehen zu lassen, wurde erreicht.2.316 Regalmetern an neu hinzugekom-menem Archivgut stehen 4.959 Regalme-ter an neu erschlossenem und 2.340 Re-galmeter an fachgerecht verpacktem Ar-chivgut gegenüber. Bezüglich der On-line-Bereitstellung von Findmittelnkonnte der Anteil des erschlossenen Ar-chivguts auf 56,2% des Gesamtumfangserhöht werden – nicht zuletzt dank derfortgesetzten Unterstützung seitens derDeutschen Forschungsgemeinschaft(DFG). Dass das Ziel bei der Konservie-rung „gerade noch“ erreicht wurde, er-klärt sich aus dem 2016 besonders hohenZuwachs an Archivgut. Er ergab sich auszahlreichen besonders umfangreichenAblieferungen in verschiedenen Berei-chen.Besondere Bedeutung hat vor diesem

Hintergrund das Ziel, die vorliegendenBewertungsmodelle kontinuierlich zuevaluieren. 2016 wurde hier ein Schwer-punkt auf die Überlieferung der Schulenund die Massenakten der Justiz gelegt.Bei Letzteren hat sich die automatisierte

Unterstützung der Bewertung mittels derSoftware Selesta bewährt, die bei Kolle-ginnen und Kollegen im In- und Aus-land auf großes Interesse stößt.Eine im wahrsten Sinne des Wortesgrundlegende Veränderung ergab sichbei der IT-Infrastruktur, die nun beimZentrum für Datenverarbeitung der Uni-versität Tübingen angesiedelt ist.Im Grundbuchzentralarchiv Kornwest-heim wurden 2016 wiederum rund36.000 Regalmeter eingelagert. Der Ge-samtumfang der dort verwahrten Unter-lagen betrug zum Jahresende 113.228Regalmeter und wird im laufenden Jahrden Umfang des Archivguts im Landes-archiv übertreffen. Bei der elektroni-schen Grundakte (G-DIMAG) wurde derRegelbetrieb aufgenommen.In den Lesesälen des Landesarchivs

blieb die Nutzung auf hohem Niveaukonstant; erneut erhöht hat sich die Zahlder abgegebenen Reproduktionen(401.441 gegenüber 384.289 2015 und362.954 2014). Gestiegen ist auch derZugriff auf die Seiten des landeskundli-chen Informationssystems LEO-BW,Landeskunde entdecken online (www.leo-bw.de). Für das mit vielen anderen Ein-richtungen betriebene Angebot konntenneue Partner gewonnen werden und diePortalsoftware wurde weiterentwickelt.Im Oktober konnte ein neues Projektzum Aufbau einer auf den deutschen Süd-westen bezogenen archivalischen Quellen-kunde in LEO-BW gestartet werden, das

vom MWK im Rahmen der Landesinitia-tive Kleine Fächer gefördert und in Ko-operation mit dem Institut für Geschicht-liche Landeskunde und Historische Hilfs-wissenschaften der Universität Tübingendurchgeführt wird (https://www.landes-archiv-bw.de/web/61066). Bis Jahresendewurden zahlreiche Autorinnen und Au-toren für Artikel zu einzelnen Quellen-gattungen und Archivalientypen gewon-nen, deren Bandbreite vom Mittelalterbis in die unmittelbare digitale Gegen-wart reicht.Die Angebote und Veranstaltungen des

Landesarchivs in der historischen Bil-dungsarbeit waren wiederum vielfältig.Die Archivabteilungen haben sich mitFoyer- oder Wanderausstellungen daranbeteiligt, wie aus den Berichten in denjüngsten Ausgaben der Archivnachrich-ten sowie den Jahresberichten der einzel-nen Häuser im Netz deutlich wird. DasZiel, die Angebote landesweit verstärktzu verzahnen, wurde insbesondere durchverschiedene Aktivitäten im Kontext desReformationsjubiläums 2017 umgesetzt,die in einem gemeinsamen Flyer darge-stellt sind.Die Zahl der Print-Publikationen des

Landesarchivs beläuft sich für 2016 aufsechs, wobei es sich um vier Ausstel-lungskataloge bzw. Begleitbücher zuAusstellungen und zwei Tagungsbändehandelt. Um dem Ziel gerecht zu werden,Veröffentlichungen, die im Druck er-schienen sind, verstärkt auch im Netz

Archiv aktuell

Die acht Anwärterinnen und Anwärter des 52. Fachhochschullehrgangs anlässlich der Zeug-nisübergabe in Stuttgart mit Verantwortlichen für die Ausbildung.Vorlage: Landesarchiv

zugänglich zu machen, wurden zwölfPublikationen online gestellt.Im Frühjahr hat der im Berichtsjahr

neu bestellte Leiter des Instituts für Er-haltung von Archiv- und Bibliotheksgutden Vorsitz des Fototechnischen Aus-schusses der Konferenz der Leiterinnenund Leiter der Archivverwaltungen desBundes und der Länder (KLA) über-nommen. Insgesamt haben zahlreicheMitarbeiterinnen und Mitarbeiter desLandesarchivs ihre Fachkompetenz innationale und internationale Gremieneingebracht. Auch war das Landesarchivwiederum mit Beiträgen auf archivwis-senschaftlichen und historischen Fachta-gungen sehr präsent, um den Erfah-rungsaustausch zu pflegen und die aufdas Archiv bezogene Forschung voranzu-bringen. Dies geschieht aus der Überzeu-gung heraus, dass die tägliche Arbeitdavon profitiert. Im Interesse des deut-schen Archivwesens insgesamt hat sichdas Landesarchiv wieder in hohem Maßean der Ausbildung angehender Archiva-rinnen und Archivare beteiligt. Im Maitraten acht Referendarinnen und Refe-rendare ihre praktische Studien im Lan-desarchiv an. Im September beendetenacht Anwärterinnen und Anwärter ihreAusbildung zum Gehobenen Archiv-dienst. Zum 1. Oktober wechselten dannzeitlich wiederum acht Anwärterinnenund Anwärter für die theoretischen Stu-dien nach Marburg.Herzlich gedankt sei am Ende dieses

Berichts allen Mitarbeiterinnen und Mit-

Archivnachrichten 54 / 201736 Archiv aktuell

Das Landesarchiv in Zahlen

Das Wesentliche auf einen BlickGesamtumfang des Archivguts am 31. Dezember 2016 (in Metern) 152 284Urkunden (Stück) 313 613Karten, Pläne (Stück) 354 664Bilder (Stück) 1 304 002Gespeicherte elektronische Unterlagen (in Gigabyte) 4 997Gespeicherte elektronische Unterlagen (in Millionen Datensätzen) 224Auslastung der Magazine (in %) 93,9 %Zu betreuende Registraturen 2 667Erschlossenes Archivgut (leicht zugänglich) 87,8 %In online verfügbaren Findmitteln erschlossenes Archivgut (in % des Gesamtumfangs) 56,2 %Digitalisate von Archivgut im Internet 7 808 026Zahl der Stellen im Haushaltsplan (inkl. Vorbereitungsdienst, Stand: 31.12.2016) 179

Unsere Leistungen im Jahr 2016Nutzungen 11 667Vorgelegte Archivalien 71 306Abgegebene Reproduktionen 401 441Schriftliche Auskünfte der Archivabteilungen 10 720Online-Zugriffe auf Informationsangebote (in Mio.) 59,4davon Zugriffe auf Findmittelseiten (in Mio.) 52,1

Neu hinzugekommenes Archivgut (in Metern) 2 316Fachgerecht verpackte Archivalien (in Metern) 2 340Erschlossenes Archivgut (in Metern) 4 960Ausstellungen und Präsentationen 18Besucher bei Ausstellungen und Präsentationen 34 294Führungen 671Geführte Personen 15 114davon Schüler/innen 2 724

Der vollständige Jahresbericht mit den ausführlichen Berichten der einzelnenAbteilungen und weiteren statistischen Daten sind auf der Website des Landesarchivs(www.landesarchiv-bw.de) unter „Das Landesarchiv –> Jahresberichte“ abrufbar.

Die acht Anwärterinnen und Anwärter mit ihrenKurskollegen des 54. Fachhochschullehrgangs zu Beginn ihrer theoretischen Ausbildung in Marburg.Vorlage: Archivschule Marburg

Archivnachrichten 54 / 2017 37Archiv aktuell

Seit Jahren hat sich das Selbstverständnis des Landesarchivs, das im Kontext der Ver-waltungsstruktur-Reform von 2005 entwickelt wurde, als Grundlage der Arbeit bewährt.2016 wurde es in Abstimmung mit den Abteilungsleitungen ergänzt und geringfügig modifiziert, um eingetretenen Entwicklungen zu entsprechen. Nachstehend ist die neueFassung abgedruckt.

Als landeskundliches Kompetenzzentrum und Forschungsinfrastruktureinrichtungsorgt die Archivverwaltung dafür, Archivgut als Teil des kulturellen Erbes und der Erinne-rungskultur zu sichern, zu erhalten und zugänglich zu machen. Es dient damit auch derretrospektiven Transparenz des Regierungs- und Verwaltungshandelns.

Davon abgeleitet sind die folgenden Ergebnisziele: 1. Aus analogen und digitalen Unterlagen von Justiz und Behörden wird authentischesArchivgut gebildet. Durch die Übernahme ergänzender Unterlagen wird es komplet-tiert.2. Das Archivgut ist konservatorisch dauerhaft gesichert.3. Das Archivgut ist erschlossen und für jedermann nach dem Landesarchivgesetz nutzbar.4. Informationen zu dem Archivgut und zum Teil das Archivgut selbst sind der Öffent-lichkeit digital zugänglich.5. Bezogen auf seine Aufgaben und Bestände beteiligt sich das Landesarchiv an der Forschung und der historisch-politischen Bildung. Es regt die Öffentlichkeit und inter-essierte Zielgruppen zu eigenen Nachforschungen an.

Robert Kretzschmar

arbeitern des Landesarchivs für ihre en-gagierte Arbeit bei der Umsetzung derZiele, aber auch für die Kreativität, mitder im Alltag viele Probleme gelöst undimmer wieder neue Entwicklungen an-gestoßen werden. Dank sei auch den vie-len Partnern des Landesarchivs aus denanbietungspflichtigen Dienststellen, an-deren Archiven, Gedächtnis- und Bil-dungseinrichtungen, Schulen und Hoch-schulen ausgesprochen für die harmoni-sche und fruchtbare Zusammenarbeitauf den verschiedensten Feldern. Undnicht zuletzt gebührt ein herzliches Dan-keschön allen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern im Ministerium für Wissen-schaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die sich für die Belangedes Landesarchivs einsetzen.

Robert Kretzschmar

Das Selbstverständnis des LandesarchivsBaden-Württemberg

Archivnachrichten 54 / 201738 Archiv aktuell

Strukturen geschaffen worden, die so-wohl dem Sport als auch der Landesge-schichte dienen. Ansprechpartner vonSportorganisationen und Sportinteres-sierten bleibt der Verein IfSG, der weiter-hin am bisherigen Standort in Maul-bronn beheimatet ist.Ein perspektivenreicher Schritt hin zu

dem gemeinsamen Ziel, die Geschichtedes Sports als der größten Bürgerinitia-tive des Landesmöglichst vielfältig alsTeil des Gedächtnisses des Landes zu si-chern und für Zwecke der Forschungebenso wie für Vereinsaktivitäten (z. B.Jubiläen, Festschriften) zugänglich zumachen, ist gelungen.

Clemens Rehm

Wer das Gedächtnis einer Gesellschaftaufbauen und sichern will, muss nebender amtlichen Überlieferung z. B. vonBehörden eine Vielfalt der Lebensweltenim Blick haben. Bei der Archivierungvon Unterlagen zur Sportgeschichte undder Erforschung der regionalen Sportge-schichte in Baden-Württemberg setztseit über 20 Jahren das Institut für Sport-geschichte Baden-Württemberg e. V.(IfSG) bundesweit Maßstäbe – bisher al-lerdings mit nicht gesicherten Projekt-mitteln. Nun ist es gelungen, im Landes-archiv Baden-Württemberg, AbteilungHauptstaatsarchiv Stuttgart, ein Sachge-biet für die Betreuung der Unterlagendes Sports einzurichten. Die dafür not-wendigen Mittel werden vom Wissen-schaftsministerium bereitgestellt.Damit stehen Sportarchivierung und

Sportgeschichte in Baden-Württembergkünftig auf zwei Säulen: Die regionaleSportgeschichtsschreibung wird im IfSGund die Archivierung im Landesarchivsicher in die Zukunft geführt. Dasbaden-württembergische Modell derKombination aus einerseits öffentlicherarchivischer Grundlagenarbeit und derKontaktpflege zu den Sportorganisatio-nen durch das IfSG andererseits ist ein-malig in Deutschland. Die vereinbarteKooperation ist das Ergebnis einer lang-jährigen Zusammenarbeit des IfSG mitdem Landesarchiv. Ab diesem Jahr wirddie inhaltliche Erfassung der histori-schen Dokumente zum baden-württem-bergischen Sport in Stuttgart koordi-niert. Am Modell der dezentralen Aufbe-wahrung wichtiger Vereins- und Ver-bandsunterlagen in den regionalzuständigen Kommunal- und Kreisarchi-ven bzw. den Abteilungen des Landesar-chivs wird weiterhin festgehalten. Damitverbleiben die Unterlagen im Umfeldihrer Entstehung und können dort ge-nutzt werden.Mit der Anbindung an das Landesar-

chiv sind verlässliche und ausbaufähige

1 | Der Schweizer Turner Eduard „Edi“ Steinemann(1906–1937) bei einer Kürübung am Reck, wohl1920er Jahre.Vorlage: Landesarchiv HStAS P 47 SchwäbischerTurnerverbund e.V. Bü 236

2 | „Programmheft zum Verbandstag 1931 des Süd-deutschen Fußball- und Leichtathletik-Verbandse.V.“Vorlage: Bibliothek des IfSG, TV Mannheim 1846Nr. 87

Sportgeschichte und Sportarchivierung mit ZukunftKooperation des Instituts für Sportgeschichte

Baden-Württemberg e.V. mit dem

Landesarchiv Baden-Württemberg

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Archivnachrichten 54 / 2017 39

Forscher, Genealogen und historisch In-teressierte kennen die Herausforderun-gen, die eine Archivrecherche mit sichbringen kann. Sucht man zum Beispielnach Quellen zu einer historischen Per-sönlichkeit, wie dem ersten Reichspräsi-denten der Weimarer Republik FriedrichEbert, stellt sich zunächst die Frage: Woüberhaupt mit den Nachforschungen be-ginnen? Vielleicht in seiner GeburtsstadtHeidelberg? Oder in Hannover und Bre-men, wo der Politiker lange Zeit lebte?Eventuell wird man aufgrund seinesAmtes im Bundesarchiv fündig?Um einen zentralen und bundesweiten

Zugang zu digitalisiertem Archivgut zuschaffen, wurde seit 2012 das Archivpor-tal-D als Teilprojekt der Deutschen Digi-talen Bibliothek umgesetzt. Das seit 2014freigeschaltete, kostenfreie Angebot ent-hält mittlerweile mehr als 11 MillionenObjekte von über 110 Archiven, die Find-mittel, Erschließungsinformationen unddigitalisiertes Archivgut online zur Nut-zung bereitstellen. Ein weiterer Service isteine Archivliste, welche die Kontaktdatenvon über 2.500 deutschen Archiven ent-hält.Wer im Portal Informationen zur deut-

schen Archivlandschaft sucht, kann dieErgebnisse nach Bundesländern, Spartenoder Anfangsbuchstaben der Einrichtun-gen gliedern. Die Volltextsuche ermög-licht zudem eine umfassende Recherchenach Objekten, die bestimmte Orte, The-men oder Personen betreffen. Dabei wirdstets angezeigt, in welchen teilnehmen-den Archiven passende Quellen zu findensind und um welche Bestände es sichhandelt. Der Kontext, in dem sich dieDokumente, Urkunden und Fotografienbefinden, gibt Hinweise darauf, ob nochweitere relevante Archivalien in der je-weiligen Einrichtung vorhanden seinkönnten und sich ein Besuch vor Ortlohnt. Häufig sind auch Digitalisate on-line abrufbar, sodass eine Ansicht derQuellen bereits im Internet möglich ist.Eventuell unbekannte archivische Fach-ausdrücke werden im Glossar erklärt.

Die neu entwickelten Personenseiten bie-ten nicht nur einen Überblick über wich-tige Lebensdaten, sondern auch über per-sonenrelevantes Archivgut und weiter-führende Links zu derzeit über 12.000Persönlichkeiten. Neben einer Auflistungeinschlägiger Archivalien im Archivpor-tal-D geben die auf Normdaten basieren-den Seiten Hinweise, in welchen Archivenund Datenbanken eine weitere Recherchesinnvoll ist. Darüber hinaus können Nut-zerinnen und Nutzer mit dem Portalweg-weiser auch international auf die Suchenach Kulturgut gehen.Regelmäßige Besuche lohnen sich, denn

das Portal und dessen Inhalte werden stetig weiterentwickelt und erweitert. Sogibt es immer wieder Neues zu entde-cken.

Nadine Seidu

Archiv aktuell

Historische Recherche leicht gemachtMit dem Archivportal-D bundesweit nach Archivgut und Archivinformationen suchen

1 | Startseite des Archivportals-D mit Archiv- undVolltextsuche.

2 | Ergebnisliste mit zahlreichen Filtermöglichkeitenund Übersicht über datenliefernde Archive.

3 | Detailobjektseite mit Abbildung der GoldenenBulle.

4 | Neu im Portal: Personenseiten mit Lebensdatenund relevanten Verlinkungen.

Vorlagen: Landesarchiv

Weiterführende Links:Archivportal-Dwww.archivportal-d.dehttps://twitter.com/archivportalDeutsche Digitale Bibliothekwww.deutsche-digitale-bibliothek.dehttps://twitter.com/ddbkultur

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Archivnachrichten 54 / 201740 Quellen griffbereit

Karlsruher Urkundenselekte online recherchierbarDie ältesten Kaiser-, Königs-, Papst- und Privaturkunden des Generallandesarchivs Karlsruhe

Selektbestände sind im archivischen All-tag nichts Ungewöhnliches. Sie könnenaus lagerungstechnischen, konservatori-schen oder inhaltlichen Gründen gebil-det werden. In jedem Fall entstehen sie,indem man einzelne Stücke aus ver-schiedenen Archivkörpern mit demZweck entnimmt, sie separat zu lagernund zu erschließen.Im 19. Jahrhundert war es beliebt, vor

allem als besonders kostbar angeseheneArchivalien zu separieren. So entstandbeispielsweise im Königlich BayerischenReichsarchiv in München ein Kaiser-Ludwig-Selekt, in dem alle in den staat-lichen Archiven Bayerns aufgefundenenOriginalurkunden des für das bayerischeSelbstverständnis besonders wichtigenKaisers Ludwig des Bayern (1314–1347)zusammengeführt wurden.Aus der Dynastie der Markgrafen von

Baden ist zwar kein römisch-deutscherKaiser oder König hervorgegangen, aberdie allerältesten Urkunden waren im

19. Jahrhundert auch den Karlsruher Ar-chivaren so wichtig, dass sie diese sepa-rierten und in großformatigen Reperto-rien besonders sorgfältig verzeichneten:die ältesten Herrscherurkunden vor1200 (Landesarchiv GLAK Bestand A; ab705 bzw. 724), die ältesten Papsturkun-den vor 1198 (B; ab 1084), die ältestenUrkunden sonstiger Aussteller, soge-nannte Privaturkunden vor 1200 (C; ab1020), die Kaiser- und Königsurkundenvon 1200 bis 1519 (D) und die Papstur-kunden von 1198 bis 1302 (E). Vereinigtwurden in diesen Selekten Urkundenaus allen großen, im Generallandesar-chiv zusammengeflossenen Provenien-zen, sowohl weltlichen als insbesondereauch geistlichen – insgesamt nahezuzweitausend Stücke.Im Zuge der Konversion der hand-

schriftlichen Findbücher wurden diedort vorgefundenen, in der Regel knappformulierten Regesten so belassen. AlsHilfestellung für die Nutzer wurden

Hinweise auf die Druckausgaben vonEditionen und Regesten hinzugefügt,vor allem Links auf online verfügbareEditionen, namentlich der MonumentaGermaniae Historica, der Regesta Impe-rii und des Württembergischen Urkun-denbuchs.Diese Online-Präsentation der Find-

mittel zu den Karlsruher Selekturkun-den ist aber nur ein erster, vorbereiten-der Schritt. Diesem wird in absehbarerZeit die Online-Präsentation der Urkun-den selbst folgen, womit neben dem in-haltlichen ein weiterer archivischerZweck von Selekten erfüllt sein wird –der konservatorische.

Kurt Andermann

Privileg Kaiser Friedrichs I. Barbarossa für die Kon-stanzer Kirche, 1155.Vorlage: Landesarchiv GLAK A Nr.138

Archivnachrichten 54 / 2017 41Quellen griffbereit

Zu den Kennzeichen des nationalsozialis-tischen Regimes zählte, dass es unlieb-same Minderheiten zu Staatsfeinden er-klärte, auch wenn diese gar nicht dieMachtmittel besaßen, um gefährlich zuwerden. Ein Beispiel dafür sind die Bi-belforscher, die oft nicht ganz korrektgleichgesetzt werden mit den Zeugen Je-hovas. Man schätzt, dass über ein Drittelvon ihnen in Gefängnissen und Konzen-trationslagern inhaftiert war. Gemessenan der deutschen Mitgliederzahl – nuretwa 30.000 – litten sie in extremer Weiseunter der Verfolgung.Hinter solchen abstrakten Zahlen ste-

cken konkrete menschliche Schicksale.Einer von ihnen war der MalermeisterJosef Franz Thoma. Er war 1887 in Has-lach im Kinzigtal als Kind katholischerEltern zur Welt gekommen. 1923 trat eraus der Kirche aus. Staatsfeindlich warich noch nie und werde es auch nie sein,schrieb er in seinem Lebenslauf, der inseiner Gefangenenakte überliefert ist. Erwolle von Politik nichts wissen; nur zureigenen religiösen Erbauung lese er inden Schriften der Bibelforscher. Auch

wenn er sich selbst als unpolitisch ver-stand, war seine Zugehörigkeit zu denBibelforschern in den Augen der Macht-haber eine so große Gefahr, dass er nichtnur zu einer Haftstrafe verurteilt wurde,sondern nach Strafverbüßung in dasLager Kislau eingewiesen und von dortnach Dachau verschubt wurde.Während sich Thomas Prozessakten

des Sondergerichts Mannheim schonlängst im Generallandesarchiv Karlsruhebefinden, schien seine Kislauer Gefange-nenakte, die zusätzlich den Transportnach Dachau dokumentiert, verloren.Nur eine Karteikarte mit ThomasNamen schien die Zeiten überstanden zuhaben. Im Herbst 2015 wurde dem Ge-nerallandesarchiv Karlsruhe bekannt,dass sich in der Stuttgarter Landesge-schäftsstelle der Vereinigung der Verfolg-ten des Naziregimes (VVN) Akten ausKislau befanden. Der VVN war bereit,die Akten dem Landesarchiv zu übereig-nen. Im September 2016 wurden sieübernommen und als Nachträge demBestand Kislau zugewiesen, der ebensowie die Akten des Sondergerichts Mann-

heim durch ein Online-Findmittel imInternet erschlossen ist. Mit dem VVNwurde vereinbart, die von dort über-nommenen Akten zu digitalisieren. Siesind nun auch ins Internet eingestelltworden und stehen rund um die Uhr derÖffentlichkeit zur Verfügung.

Martin Stingl

Erkennungsdienstliche Fotos von Josef FranzThoma.Vorlage: Landesarchiv GLAK 521 Nr. 8598

Häftlingsakten des KonzentrationslagersKislauAktenübernahme vom VVN-Landesverband Baden-Württemberg

Die Akten von Kislau sind über ein On-line-Findmittel erschlossen. LandesarchivGLAK Bestand 521 Kislau: Arbeitshaus,Schutzhaftlager, Konzentrationslager,Durchgangslager für Fremdenlegionäre,Strafgefängnis, Laufzeit: 1831–1962 (–1984), 27,6 lfd. Meter Umfang, 8.624Verzeichnungseinheiten.http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-4429&a=fb

Geheimer Bericht des Landrats in Hechingen anden Sigmaringer Regierungspräsidenten vom5. April 1933 über den Versuch von nationalsozia-listischen Funktionären als Kommissare in die Ver-waltung einzudringen.Vorlage: Landesarchiv StAS Ho 235 T 37–42 Nr.441

Archivnachrichten 54 / 201742 Quellen griffbereit

zusammengebunden und in Paketen ein-gelagert. Ein Behördenfindbuch im en-geren Sinn war nicht vorhanden, son-dern nur der allgemeine preußische Ak-tenplan von 1932, der eine sehr ober-flächliche Erschließung bot. Zum einenwaren nicht alle Punkte besetzt, zum an-deren sagte der Aktenplan nichts überUmfang und konkrete Inhalte der Aktenaus.Beherrschende Themen der gesamten

Überlieferung der Stehregistratur sinddie Errichtung und Auswirkungen dernationalsozialistischen Diktatur. Schonvor, aber noch wesentlich intensiver nachder Einführung des Gesetzes über dieWiederherstellung des Berufsbeamtentumswurde von den Parteiorganisationen andie Verwaltung die Forderung herange-tragen, freie Stellen bevorzugt mit Partei-genossen und Alten Kämpfern zu beset-zen. Ausgrenzung, Entrechtung und Ver-folgung von Juden, der allgegenwärtigeZwang, in jeder Lebenslage die Zugehö-rigkeit zur Volksgemeinschaft nachzuwei-

sen, die Anmaßung der nationalsozialis-tischen Akteure, sich ohne Sachkenntnisund legale Autorität in jegliche Form vonEntscheidungsfindung einzumischen,sind in zahlreichen Akten im Übermaßdokumentiert.Daneben steht das Bemühen der Beam-

tenschaft, die gewohnten Verwaltungstä-tigkeiten möglichst reibungslos fortzu-führen. Insbesondere nach Kriegsaus-bruch gestaltete sich dies wegen des um-fangreichen Personalverlusts durch dieMobilmachung immer schwieriger. NachNiederlage und Zusammenbruch kamenneue Probleme der Not- und Mangel-wirtschaft und der Umgang mit derfranzösischen Besatzungsmacht. Gleich-zeitig musste die Frage der staatlichenZukunft des verwaisten Regierungsbe-zirks entschieden werden. Der Beschluss,Hohenzollern im neuen BundeslandWürttemberg-Hohenzollern aufgehen zulassen, bedeutete dann auch formal dasEnde der Präsidialregierung.

Uwe Hager

Dank der Förderung der Stiftung Kultur-gut konnten nunmehr im StaatsarchivSigmaringen die letzten unverzeichnetenTeilbestände der Überlieferung der Preu-ßischen Regierung Sigmaringen archiv-gerecht erschlossen werden, darunter diesogenannte Stehregistratur, die für dieZeit des Nationalsozialismus in Hohen-zollern eine wichtige Quelle darstellt(Landesarchiv StAS Ho 235 T 37–42).Zum 1. Januar 1932 wurde im Regie-

rungsbezirk Hohenzollern, wie in jenerZeit auch sonst in der preußischen Ver-waltung, die Aufstellung der laufendenAkten in Form einer sogenannten Steh-registratur eingeführt. Anstelle der bishe-rigen fadengehefteten preußischen Ak-tenbündel, die flach in Regalen gestapeltwurden (Bodenregistratur), wurden dielaufenden Vorgänge von nun an gelochtund in stehenden Ordnern verwahrt, wasden Zugriff und die Ergänzung erheblicherleichterte. Nach der Abgabe ins Archivwurden die Papiere aus den Ordnernentnommen, an den Löchern mit Fäden

Stehregistratur der Preußischen RegierungSigmaringen erschlossen

Online-Findbuch zum Bestand Landes-archiv StAS Ho 235 T 37–42:http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-4691&a=fb

Archivnachrichten 54 / 2017 43

Mit einem Umfang von knapp siebenRegalmetern ist der im Hauptstaatsar-chiv Stuttgart neu erschlossene BestandEA 4/412 durchaus überschaubar. Dochdie in den Akten dokumentierten Grau-samkeiten und das dadurch ausgelöstemenschliche Leid sind unermesslich.Entstanden sind die rund 1.250 Einzel-fallakten zwischen den Jahren 1958 und1980 beim Justizministerium Baden-Württemberg. Sie informieren ausführ-lich über die von den Staatsanwaltschaf-ten des Landes eingeleiteten Ermitt-lungsverfahren wegen nationalsozialisti-scher Gewaltverbrechen.Die Aktenserie beginnt mit dem Ulmer

Einsatzgruppenprozess, der eine Zäsurin der juristischen Aufarbeitung des NS-Unrechts darstellt und zur Errichtungder Zentralen Stelle der Landesjustizver-waltungen zur Aufklärung nationalsozia-listischer Verbrechen in Ludwigsburgführte. Sie endet mit einer Reihe vonRechtshilfeersuchen anderer Staaten beider Verfolgung deutscher Kriegsverbre-chen. Dazwischen finden sich unzähligeErmittlungen, die von Hinrichtungenund Massakern in Norwegen und Polen,

in der ehemaligen Sowjetunion, in Grie-chenland und anderen Teilen Europasberichten. Allein die Unterlagen zu Tö-tungen und Misshandlungen, die Wach-leute und SS-Angehörige im KZ Natz-weiler und seinen Nebenlagern verüb-ten, füllen mehr als 100 Aktenhefte. Vonbeklemmender Widerwärtigkeit sind dieVerbrechen einzelner Mediziner, darun-ter die KZ-Ärzte Josef Mengele undHorst Schumann, die irrsinnige Men-schenversuche vornahmen und jüdischeHäftlinge nur deshalb ermorden ließen,um wissenschaftliche Skelettsammlungenanzulegen.In den Unterlagen begegnet aber auch

Kritik an der bundesdeutschen Justiz,die sich dem Verdacht ausgesetzt sah,Ermittlungen nicht mit dem nötigenNachdruck betrieben zu haben. ImSommer 1966 wandte sich die SPD-Landtagsfraktion in einer Großen An-frage gegen den zu milden Umgang mitnationalsozialistischen Straftätern, dieallzu oft vorzeitig aus der Haft entlassenoder für haftunfähig erklärt wordenwaren. Schon fünf Jahre zuvor hatte dieVereinigung der Verfolgten des Nazire-

gimes Anzeige gegen den baden-würt-tembergischen Staatssekretär SeppSchwarz erstattet, dem man vorwarf,1941 dem Einsatzstab Rosenberg in Grie-chenland angehört zu haben. Das Ver-fahren wurde schon bald eingestellt.Ähnlich verliefen die Ermittlungengegen den Oberstaatsanwalt ErwinSchüle, dem man 1965 Kriegsverbrechengegenüber russischen Zivilisten zur Lastlegte. Höchst pikant war allerdings, dassausgerechnet er als damaliger Leiter derZentralen Stelle in Ludwigsburg vor-stand.Der vorgestellte Aktenbestand bietet derhistorischen Forschung einen wertvollenÜberblick über die von der baden-würt-tembergischen Justiz in den 1960er und1970er Jahren verfolgten NS-Gewaltver-brechen. Er liefert vielerlei Hinweise aufTausende von Tätern und auf Zehntau-sende zumeist namenloser Opfer. Nichtzuletzt lenkt er den Blick auf die eigent-liche Überlieferung der Staatsanwalt-schaften, die in den Staatsarchiven inLudwigsburg, Karlsruhe, Freiburg undSigmaringen aufbewahrt wird.

Albrecht Ernst

NS-Gewaltverbrechen – im Fadenkreuz derJustiz

Quellen griffbereit

Forderung des Rechtsanwalts Dr. Robert Kempner(Frankfurt am Main) nach Wiederaufnahme vonErmittlungen zu den Todesumständen des General-feldmarschalls Erwin Rommel, 1969.Vorlage: Landesarchiv HStAS EA 4/412 Bü 31

44 Kulturgut gesichert

nerstruktur mit den vorliegenden Be-nennungen lieferte hierfür erste Ansätze.Da insbesondere in den letzten Jahrenimmer mehr Digitalfotos gefertigt wor-den waren und diese in die Dateisamm-lung Eingang gefunden hatten, wurdenzu den einzelnen Ereignissen (z. B.Schulfeste, Ausflüge, Sporttage, Arbeits-gemeinschaften) nur einige aussagekräf-tige Fotos übernommen. Letztlich wur-den 4.362 Fotos sowie ca. 20 StundenFilm und Video für eine dauerhafte Nut-zung gesichert. Das sogenannte Schul-portfolio, eine digitale Wissenssamm-lung über alle Aspekte des Schullebens –3.535 Einzeldokumente ab 1999 – wurdeinhaltlich nicht angetastet. Es entsprächeausgedruckt fünf bis zehn lfd. Meter Pa-pier. Das Findmittel ist mit papiernenund digitalen Anteilen online, die Unter-lagen selbst sind aus Datenschutzgrün-den noch nicht im Internet verfügbar.

Corinna Knobloch / Kai Naumann

Einen lebendigen Einblick in die wech-selvolle Geschichte der schulischen Bil-dung von Hörgeschädigten und Sprach-behinderten bietet die Überlieferung derJohannes-Wagner-Schule in Nürtingen,einem staatlichen Internat mit entspre-chendem Schwerpunkt. Die seit wenigenJahren im Staatsarchiv Ludwigsburg ver-wahrten Unterlagen reichen bis in dasJahr 1844 zurück. Unter anderem enthal-ten sie eine aussagekräftige Überliefe-rung zum Schulleben, der Tätigkeit derTaubstummenlehrer und dem Schulge-bäude. Neben der analogen Überliefe-rung sichert das Landesarchiv seit März2015 regelmäßig Spiegelungen derSchulhomepage.Im Jahr 2016 erhielt das Staatsarchiv

Ludwigsburg von der Schule einen wei-teren interessanten Zugang: Auf einer ex-ternen Festplatte befand sich eine Datei-sammlung mit Fotos, Videos und Office-Dateien. Auch digitalisierte Schmalfilmewaren dabei, die bis ins Jahr 1960 zu-rückdatieren. Ursprünglich handelte es

Digitale Sammlungen der Johannes-Wagner-Schule NürtingenEin internationales Projekt zur Bewertung und Erschließung digitaler Unterlagen

Archivnachrichten 54 / 2017

sich um 677 Gigabyte, die auf 65.057Einzeldateien und 3.638 Ordner verteiltwaren. Erste Sichtungen zeigten, dassviele Daten – wie es auf Festplatten vor-kommt – mehrfach vorhanden waren.Im Rahmen einer Kooperation des

Staatsarchivs Ludwigsburg mit SusanneBelovari Ph.D. von der University of Illi-nois Urbana Champaign wurden dievorliegenden Daten bei der Bewertungverschiedenen Prüf- und Bereinigungs-schritten unterzogen. Zunächst wurdenleere Ordner entfernt und Doppelungengefunden und gelöscht. Dabei wurde je-weils die Datei mit dem jüngsten Ände-rungsdatum beibehalten. Diese Maßnah-men bewirkten bereits eine deutliche Re-duzierung der vorliegenden Daten-menge. Nun bestanden noch 20.302Einzeldateien und 1.509 Ordner. Ge-löscht werden konnten auch leere Da-teien und solche mit rein technischer Be-deutung.Nach diesen Schritten folgte die klassi-sche archivarische Bewertung. Die Ord-

Zum Bestand:Landesarchiv StAL FL 240/4 I Johannes-Wagner-Schule Nürtingenhttp://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-3143537

1 | Screenshot aus dem Bewertungswerkzeug.

2 | Lob vom Ministerpräsidenten in den 1970er Jah-ren.Vorlage: Landesarchiv StAL FL 240/4 I DO 150

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Archivnachrichten 54 / 2017 45

Verschworen, geheim, verborgen – dieVorstellungen, die sich an Freimaurerknüpfen, sind vielfältig und verraten dochmehr über Skepsis und Neugier der Au-ßenstehenden als über die verschwiegenenLogenmitglieder selbst. Da bietet das 300-jährige Jubiläum der 1717 gegründetenLondoner Großloge einen willkommenenAnlass, auch in Württemberg den Spurender Freimaurerei nachzugehen, um mehrüber Vergangenheit und Gegenwart einerGemeinschaft zu erfahren, die heute wiegestern die Phantasie vieler beflügelt.Den Anstoß zur historischen Ausstellungim Foyer des Hauptstaatsarchivs gab dieStuttgarter Loge Zu den 3 Cedern. Dieseist eine der ältesten freimaurerischen Ver-einigungen im deutschen Südwesten,denn ihre Wurzeln reichen bis ins Jahr1774 zurück. Aus ihren Beständen stam-men zahlreiche Exponate, die in der Prä-sentation zu sehen sind: vom symbol-trächtigen Arbeitsteppich bis zum reichbestickten Maurerschurz, vom Ritualbuchdes 18. Jahrhunderts bis hin zu Logenpäs-sen und -abzeichen, den sogenannten Bi-joux. Ganz jenseits der viel beschworenenGeheimnisse gewährt der partielle Nach-bau eines Tempels einen annäherndenEinblick in die freimaurerische Ideenweltund die daraus resultierenden Praktiken.

Faszinierende Ausstellungsstücke aus Ar-chiven, Bibliotheken und Museen illu-strieren die wechselvolle Geschichte derFreimaurerei in Württemberg. Sie lenkendie Aufmerksamkeit auf Riten und Sym-bolik, die nicht wenig zum Bild einer ge-schlossenen Gesellschaft beitrugen. DieMystifizierung der Freimaurer erhieltihren Auftrieb aber auch durch antimaso-nistische Propaganda, die zuletzt in derNS-Zeit zur Auflösung von Logen und zurVerfolgung ihrer Mitglieder führte. Ausge-wählte Einzelschicksale, darunter auch dieder späteren Landespolitiker ReinholdMaier und Gotthilf Schenkel, verleihendiesen ein Gesicht und regen dazu an,Mitmenschlichkeit, brüderliche Gemein-schaft und symbolisches Erlebnis als zen-trale Anliegen der Freimaurerei wahrzu-nehmen.Zur Ausstellung erscheint eine reich bebil-derte Begleitpublikation, die neben denBeschreibungen der Exponate mehrereBeiträge zur Geschichte und Gegenwartder Freimaurerei in Südwestdeutschland,zu Mozarts Zauberflöte in Hohenlohesowie zu Freimaurern in Politik, Wirt-schaft und Kunst enthält.

Albrecht ErnstRegina Grünert

Die Arbeit am „rauen Stein“, Gemälde von Eber-hard Frank, 2003.Vorlage: Loge „Zu den 3 Cedern“, Stuttgart

Archive geöffnet

Gelebte Utopie – Auf den Spuren der Freimaurer in WürttembergEine Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart

AusstellungGelebte Utopie – Freimaurer in Württemberg

Öffnungszeiten24. Mai 2017 – 22. September 2017Montag 10.00 – 17.00 UhrDienstag und Mittwoch 8.30 – 17.00 UhrDonnerstag 8.30 – 19.00 UhrFreitag 8.30 – 16.00 Uhr

Informationen und Anmeldung zu FührungenLandesarchiv Baden-Württemberg- Hauptstaatsarchiv Stuttgart -Konrad-Adenauer-Straße 470173 StuttgartTelefon 0711/212-4335Telefax 0711/212-4360E-Mail: [email protected]: www.landesarchiv-bw.de/hstas

Zur Ausstellung erscheint eine Begleit-publikation.

Archivnachrichten 54 / 201746 Archive geöffnet

Landkarten prägen unsere Vorstellungvon historischen Räumen. Sie legitimie-ren herrschaftliche Ansprüche und kul-turelle Abhängigkeiten. Moderne For-schungen belegen: Die Macht der Karto-grafen ist subtil und deshalb in besonde-rer Weise wirkungsvoll. Karten, die denDonauraum zeigen, belegen dies in ein-drücklicher Weise.Mit dem Donauraum verbinden wir in

der Gegenwart eine europäische Land-schaft, deren Zentren Wien und Buda-pest zugleich Mittelpunkte des Habsbur-gerreiches bildeten. Das war nicht immerso: Erst durch die militärischen Ausein-andersetzungen mit dem OsmanischenReich wurden seit dem späten 17. Jahr-hundert weite Teile Südosteuropas fürden Kaiser erobert.Die Werke von Kartografen brachten

die unbekannten Landschaften ins Bildund erfanden neue Regionen. Die Donauwar das verbindende Element, das die imZuge der Türkenkriege neu erworbenenLandschaften zu einem einheitlichen eu-ropäischen Raum machte: vom Ur-sprung des Flusses bei Donaueschingenbis zur Mündung in das Schwarze Meer.Die Ausstellung im GenerallandesarchivKarlsruhe, in Kooperation mit dem In-stitut für donauschwäbische Geschichteund Landeskunde in Tübingen erarbei-tet, zeichnet anhand einer Vielzahl vonwertvollen, oft erstmals ausgestellten

Kartenwerken die Erfindung des Donau-raumes nach. Grundlage bildet die um-fangreiche Sammlung von Karten, Plä-nen und Skizzen, die von den badischenMarkgrafen, allen voran durch MarkgrafLudwig Wilhelm von Baden-Baden(1655–1707), den sog. Türkenlouis, zumilitärischen Zwecken angelegt wordenwar. Ebenfalls werden Stücke aus derSammlung des Tübinger Instituts undprivater Sammler gezeigt.Nach der Eröffnung in Karlsruhe

macht die Präsentation als internationaleWanderausstellung in zahlreichen Städ-ten des Donauraums Halt. Sie lädt ein zueiner Reise in ein vielfach unbekanntesEuropa wie auch zum Nachdenken dar-über, was wir in der Gegenwart alsEuropa begreifen und mit welchen kul-turellen Konnotationen wir einzelne Re-gionen verbinden.

Josef Wolf / Wolfgang Zimmermann

Frederik Otten, Flussgott „Danubius“, La Haye1741.Vorlage: Institut für donauschwäbische Geschichteund Landeskunde, Tübingen

AusstellungFließende Räume.Karten des Donauraums 1650–1800

Öffnungszeiten29. Juni – 6. Oktober 2017Dienstag – Donnerstag 8.30 – 17.30 UhrFreitag 8.30 – 19.00 UhrSonntag 13.00 – 17.30 Uhr

Landesarchiv Baden-Württemberg- Generallandesarchiv Karlsruhe -Nördliche Hildapromenade 376133 KarlsruheTel. 0721/926 2206E-Mail: [email protected]/glak

Ab 2017 weitere Stationen der interna-tionalen Wanderausstellung in Öster-reich, Serbien, Rumänien, Kroatien undUngarn.

Zu der Ausstellung erscheinen folgendeBegleitpublikationen:Fließende Räume. Karten des Donau-raums 1650–1800. Hg. von Josef Wolfund Wolfgang Zimmermann. Regens-burg 2017 (Englische Ausgabe: FluidSpaces. Maps of the Danube Region1650–1800).Die Türkenkriege des 18. Jahrhunderts.Wahrnehmen – Wissen – Erinnern. Hg.von Wolfgang Zimmermann und JosefWolf. Regensburg 2017.

Fließende Räume. Karten des Donauraums 1650–1800Internationale Wanderausstellung startet im Generallandesarchiv

Karlsruhe

Archivnachrichten 54 / 2017 47

Zum Reformationsjubiläum 2017 berei-tet das Landesarchiv Baden-Württem-berg eine breit angelegte kulturhistori-sche Ausstellung zur Frühzeit der Refor-mation in Württemberg vor. Diese wirdzeitgleich in Stuttgart sowie in Koopera-tion mit den Staatlichen Schlössern undGärten Baden-Württemberg in den Klö-stern Maulbronn, Bebenhausen und Al-pirsbach von September 2017 bis Januar2018 zu sehen sein. An jedem der Aus-stellungsorte werden unterschiedlicheInhalte und Schwerpunkte vorgestellt.Damit soll ein ganzheitlicher Blick ausverschiedenen Perspektiven auf die An-fangsjahre der Reformation in Württem-berg eröffnet werden.Die zentrale Ausstellung in Stuttgart

bietet einen historischen Einstieg undÜberblick über die dramatischen undfolgenschweren Ereignisse der frühenReformation in Württemberg (1517–1550) in ihren gesellschaftlichen Dimen-sionen. Unter den Begriffen Freiheit,Wahrheit und Evangelium, die als zen-trale Themen der Reformationszeit imgesellschaftlichen Diskurs bis heute vonBedeutung sind, werden die Vorgängeum die Einführung der Reformation be-leuchtet. Hierbei werden zunächst dieVoraussetzungen der Reformation prä-sentiert: So vermittelt die berühmteHolzschnittfolge der Apokalypse von Al-brecht Dürer die endzeitliche Stimmungum 1500 in grandioser künstlerischerAusdruckskraft. Kirche und Frömmig-keit vor der Reformation stehen dabei imFokus und werden in zeitgenössischen li-turgischen Büchern und sakralen Gerä-ten bis hin zu prächtigen Skulpturen undFlügelaltären veranschaulicht.Vor diesem historischen Kontext gera-

ten Martin Luther und seine neue Lehrein den Blick: Die Bannandrohungsbulle,die Papst Leo X. 1520 gegen Luther er-ließ, bietet hier die authentische An-knüpfung. Luthers Gegenschrift Von derFreiheit eines Christenmenschen und wei-tere zentrale Schriftdokumente der Re-formatoren geben einen Einblick in die

dramatischen Auseinandersetzungenzwischen Luther, seinen Anhängern undder Papstkirche, die bis nach Württem-berg hineinwirkten. Luthers neues Ver-ständnis von geistlicher Freiheit wurdezudem im Südwesten des Reiches baldaufgegriffen und sollte im Bauernkrieg1525 eine bedeutende Argumentations-rolle einnehmen. Zu diesem großen Auf-stand können auch die Äußerungen derbeteiligten Bauern aus den zeitgenössi-schen Dokumenten, wie etwa den be-rühmten 12 Artikeln, in der Ausstellungangehört werden. Es waren viele mit derReformation sympathisierende Stim-men, die jedoch von der damals amtie-renden habsburgischen Regierung inStuttgart unterdrückt wurden. Zeitge-nössische Lieder und Sprüche vermittelnden Streit um die Reformation beson-ders eindrücklich. Durch Einblattdruckeund Notenblätter – die für die Ausstel-lung neu entdeckt und eingespielt wur-den – kann die damalige Stimmung ein-prägsam vermittelt werden.Als der zuvor verbannte Herzog Ulrich

1534 nach Württemberg zurückkehrteund anschließend die Reformation ein-führte, kam es zu Auseinandersetzungenzwischen den Vertretern der unterschied-lichen evangelischen Richtungen. Wich-tige Reformatoren – neben Martin Lu-ther und Philipp Melanchthon – werdenanhand persönlicher Artefakte, Schriftenund Bilder ausführlich vorgestellt. Derehemalige Mönch Ambrosius Blarer undder lutherisch ausgerichtete ErhardSchnepf stehen dabei im Blickpunkt.Der Widerstand gegen die Reforma-

tion, der sich vor allem in den Klösternregte, wird in den parallel präsentiertenAusstellungen in den Klöstern Maul-bronn, Bebenhausen und Alpirsbach inseinen individuellen Ausrichtungen the-matisiert. Hier werden erstmals wiedereinstige Ausstattungsstücke der Klöster,die während der Reformation entferntworden waren, an ihren Herkunftsortenzu sehen sein: Reliquien und Glasfenster,Bücher, Handschriften und Liturgica.

Damit bieten die Ausstellungen die Gele-genheit, diese Klöster als bedeutende Re-formationsorte in Württemberg neu zuerleben.Die Ausstellung wird gefördert durch

das Ministerium für Wissenschaft, For-schung und Kunst. Sie steht unter derSchirmherrschaft des Ministerpräsiden-ten von Baden-Württemberg, WinfriedKretschmann.

Eva-Linda Müller

Archive geöffnet

Ausschnitt aus dem Mömpelgarder Altar, Tafel 12:Der zwölfjährige Jesus im Tempel, Heinrich Füll-mauer und Werkstatt.Vorlage: KHM-Museumsverband GG 870

AusstellungFreiheit – Wahrheit – Evangelium. Reformation in Württemberg

Öffnungszeiten13. September 2017 – 19. Januar 2018Stuttgart, KunstgebäudeSchlossplatz 2, 70173 StuttgartDienstag, Donnerstag bis Sonntag: 11.00 – 18.00 UhrMittwoch 11.00 – 20.00 Uhr

Kloster Maulbronn14. September 2017 – 19. Januar 2018

Kloster Bebenhausen15. September 2017 – 19. Januar 2018

Kloster Alpirsbach16. September 2017 – 19. Januar 2018

Informationen zu allen vier Ausstellun-genLandesarchiv Baden-Württemberg- Hauptstaatsarchiv Stuttgart -Telefon: 0711/212-4335E-Mail: [email protected]: www.reformation-in-württem-berg.de

Zur Ausstellung erscheint ein Katalogund ein Aufsatzband.

Freiheit – Wahrheit – Evangelium. Reformation in WürttembergEine Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg

Archivnachrichten 54 / 201748

Die reformatorische Bewegung, die ihrenAusgang mit der Veröffentlichung der 95Thesen Martin Luthers 1517 in Witten-berg nahm, erreichte wenige Jahre späterauch Wertheim und den tauberfränki-schen Raum. Waren die WertheimerGrafen wohl sehr früh der neuen Lehrezugetan, blieb Kloster Bronnbach zu-nächst beim katholischen Glauben. Der1548 neu gewählte Abt Clemens Leusserjedoch wandte sich dem Protestantismuszu und reformierte sein Kloster. Im Ge-gensatz zur Grafschaft Wertheim hattedie Reformation in Bronnbach jedochkeinen dauerhaften Bestand. Dies ist vorallem auf familiäre Konstellationen unddamit verbundene machtpolitische Ver-änderungen im Wertheimer Grafenhauseinerseits und dem hiermit in engem Zu-sammenhang stehenden wachsendenEinfluss des Bischofs von Würzburg an-dererseits zurückzuführen.In der kleinen Ausstellung im Foyer des

Archivverbunds Main-Tauber werden

heim gezogen, verzichtete schließlich1560 auf sein Amt und wandte sich einerbürgerlichen Karriere zu. Er starb 1572im Alter von 53 Jahren und wurde aufdem Bergfriedhof in Wertheim begra-ben. Sein noch erhaltenes Grabmalwurde mittlerweile aus konservatori-schen Gründen in die Wertheimer Kili-anskapelle transferiert. Das umfang-reichste Dokument in der Ausstellung,das zugleich einen intensiven, wenn auchwohl nicht ganz objektiven Einblick indie Reformation des Klosters Bronnbachbietet, ist seine handschriftliche Autobio-grafie. Diese hatte er 1568 verfasst. SeineNachfolger im Amt des Abtes und dieMönche der kommenden Generationenbetrachteten die kurze evangelischePhase Bronnbachs naturgemäß eher ne-gativ. Ein Spottgedicht in Form einesAkrostichons auf Clement Leuser zu Har-ten findet sich daher ebenso in der Aus-stellung wie eine Rechnung, die ihn alsapostatirten Abt d. h. abtrünnigen Abtbezeichnet.

Claudia Wieland

Originaldokumente aus der kurzenevangelischen Phase des Zisterzienser-klosters an der Tauber gezeigt. Abt Cle-mens Leusser hatte um 1552/53 im Klo-ster eine evangelische Schule initiiert, die24 armen und 12 reichen Knaben eineAusbildung vermitteln und sie zumPfarr- und Verwaltungsdienst befähigensollte. Wurden die reformatorischen Ak-tivitäten des Abtes von den Grafen vonWertheim als Schirmherren des Klosterspositiv aufgenommen, so teilten nichtalle Konventualen des Klosters die neuenreligiösen Ansichten. Darin unterstütztwurden sie vom Würzburger Bischof, dersich schließlich als bestimmenderMachtfaktor für das Kloster positionie-ren konnte. Die Einsetzung eines neuenkatholischen Abtes 1558 durch Würz-burg und dessen Einzug in Bronnbachim Jahr darauf läuteten schon das Endeder Reformation Bronnbachs ein. AbtLeusser, bereits 1554 aus Sicherheits-gründen in seinen Klosterhof nach Wert-

Archive geöffnet

Reformation des Klosters Bronnbach – Dokumente einer kurzen evangelischen Phase im Zisterzienserkloster an der TauberEine Ausstellung im Archivverbund Main-Tauber

Titelschild der Rechnung des Bronnbacher Kloster-hofs in Würzburg von 1547 mit Verweis auf den„apostatirten Abt“ Clemens Leusser, 18. Jh.Vorlage: Landesarchiv StAWt-R R 80, Jg. 1547

AusstellungReformation des Klosters Bronnbach – Dokumente einer kurzen evangelischenPhase im Zisterzienserkloster an der Tauber

Öffnungszeiten17. Januar 2017 – 3. November 2017Dienstag bis Freitag 8.30 – 16.30 Uhrund nach Vereinbarung

InformationenLandesarchiv Baden-Württemberg- Staatsarchiv Wertheim im Archivverbund Main-Tauber -Bronnbach 1997877 WertheimTelefon: 09342/915 920E-Mail: [email protected]: www.landesarchiv-bw.de/staw

Archivnachrichten 54 / 2017 49

200 Jahre Fahrrad – Wir haben’s erfun-den. Am 12. Juni 1817 fuhr Karl Draiserstmals auf einer Laufmaschine (Drai-sine) durch Mannheim, und ganzBaden-Württemberg feiert dieses Jubilä-umsjahr mit zahlreichen Aktionen.Wie aus dem Veloziped unser heutigesFahrrad wurde, ist eine ungemein span-nende Geschichte, die sich in den Unter-lagen der staatlichen Archive findet.Dramatische Verkehrsunfälle, dasSchimpfen über die rücksichtslosenRadfahrer und aufregende technischeErfindungen gehören dazu. Das Fahrradwar in seiner Geschichte ein Luxusgerätfür reiche Sportsfreunde und ein Fortbe-wegungsmittel für arme Leute. Es sollteein sicheres Verkehrsmittel werden undspielt heute mehr denn je eine wichtigeRolle für die menschliche Mobilität.Der Seminarkurs des Technischen Gym-nasiums Umwelttechnik der Ludwigs-burger Oscar-Walcker-Schule wird am21. März 2017 eine Ausstellung zu alldiesen Aspekten der Mobilitätsge-schichte im Ausstellungsraum desStaatsarchivs Ludwigsburg eröffnen. Sieentsteht natürlich gestützt auf Quellenaus dem Archiv, aber auch in Koopera-tion mit zahlreichen anderen Partnern;dazu gehören unter anderem der Lud-wigsburger Radsportverein RSC Kometund das ebenfalls hier ansässige Zedler –Institut für Fahrradtechnik und -Sicher-heit. Hier machen Schüler Geschichte –aus ihrer Perspektive, jung und unkon-ventionell. Erste Erfahrungen haben dieTeams aus dem Seminarkurs und demStaatsarchiv bereits durch ihre Teil-nahme am landesweiten Tag der Ver-kehrssicherheit gesammelt, der im Sep-

tember 2016 vom Polizeipräsidium Lud-wigsburg organisiert worden war. DasPublikum war begeistert von einer Ge-schichtsvermittlung, bei der die Aktenlebendig wurden und Fahrversuche aufeiner nachgebauten Draisine oder einemHochrad angestellt werden durften.Während der Ausstellung zur Fahrrad-geschichte wird im Staatsarchiv Lud-wigsburg am 30. März 2017 eine landes-weite Fortbildung für Lehrkräfte allerSchularten angeboten, die in Zusam-menarbeit mit der Beauftragten für Ver-kehrserziehung des Regierungspräsidi-ums Tübingen, Frau Dr. Sylvia Thonak,stattfindet.Speziell an die vierten Klassen derGrundschulen richtet sich das neueModul der Archivpädagogik. Wie dasFahrrad laufen lernte ist ein Ausflug indie Kultur- und Technikgeschichte derMobilität, der ergänzend und begleitendzur Radfahrausbildung unternommenwerden kann.

Elke Koch

Junges Archiv

Als die Räder laufen lernten200 Jahre Fahrradgeschichte

Das Team der Oscar-Walcker-Schule: AnnetteKnorr, Dennis Meier, Benedikt Enderle, Mathis Eh-renberg, Sabrina Lhotak, Jörg Gerste, Felix Weiss,David Czarnacki (es fehlt Eduard Iamandi).Aufnahme: Sandra Maier/OWS Ludwigsburg

Landestag der Verkehrssicherheit am 17.09.2016 im Hof des Ludwigsburger Schlosses.Aufnahme: Jörg Gerste

AusstellungAls die Räder laufen lernten

Öffnungszeiten21. März – 30. Juni 2017

InformationenLandesarchiv Baden-Württemberg- Staatsarchiv Ludwigsburg -Arsenalplatz 371638 LudwigsburgTelefon: 07141/64854-6310E-Mail: [email protected]: www.landesarchiv-bw.de/stal

Lehrerfortbildung 200 Jahre Fahrradgeschichte30. März 2017, Staatsarchiv LudwigsburgInformationen und Anmeldung überLFB-Online

Archivpädagogisches Modul für Grund-schulklassenInfos unter [email protected].: 07141/64854-6336 oder -6318

Archivnachrichten 54 / 201750 Junges Archiv

Als am 17. Mai 1877 das Königlich preu-ßische Kreisgericht zu Hechingen 22 An-geklagte aus ganz Hohenzollern, 20Geistliche und zwei Laien, wegen ver-läumderischen Beleidigungen gegen diekönigliche Regierung zu Sigmaringen […]mit Vergehen wider die öffentliche Ord-nung verurteilte, hatte der seit 1871 imReich und in Hohenzollern wütende bis-marcksche Kulturkampf einen weiterenHöhepunkt erreicht.Die Angeklagten hatten ein Flugblattmit dem Titel Aufgepasst es geht um EureKinder! vor dem Hintergrund der Wah-len zum preußischen Abgeordnetenhausim Oktober 1876 verfasst oder verteilt.Möchten wir das vielerorts verteilteFlugblatt auf vier Hauptaugenmerke re-duzieren, so können wir von einem viel-seitigen Programm sprechen. Diesesrückte wirtschaftliche, kultur-, sozial-und kirchenpolitische Themen – letzte-res vor Aktualität, im Hinblick auf dieals Schulinspekteure tätigen, mannig-fach entlassenen Geistlichen, nur sobrennend – in den Fokus. Gleich zu Be-ginn heißt es: Katholische Männer! Beiden Wahlen zum Landtag handelt es sichnicht bloß um Euren Geldbeutel, nichtbloß um die bürgerlichen Rechte und Frei-heiten, deren Rest der Liberalismus voll-ends zu Grabe tragen will, sondern EuerBestes und Liebstes ist in Gefahr; – EureKinder; ihr Wohl und Weh steht bei demWahlkampf auf dem Spiele. Jenes polari-sierende Flugblatt zeigt weiter auch mitwelcher Polemik der damalige Wahl-kampf von dem gesamten Parteienspek-trum, als auch von den Zeitungen – ge-

spalten in katholisch und liberal – ge-führt wurde.Und tatsächlich: Ein Blick auf die Wahl-ergebnisse verrät, dass sich die Bevölke-rung der Hohenzollernschen Lande1876 größtenteils für das katholischeZentrum entschied. Gerade mit jenerWahl trat eine Zäsur ein. Nun war es dasZentrum, welches mittels kontinuierli-cher Wahlerfolge den RechtsliberalenHohenzollern als uneinnehmbare Hoch-burg strittig machte und schließlich festin seinen eigenen Besitz brachte. Genaudieser schnelle Aufstieg von einer losenpolitischen Gruppierung zur ersten klas-senübergreifenden Partei (man musshier freilich auch bedenken, dass es dochgerade Bismarcks Ziel war, dieses Phä-nomen zu verhindern) lässt sich übri-gens im ganzen Deutschen Kaiserreichfeststellen. Und noch weiter: Diese Eta-blierung hatte bis in Weimarer Zeit hin-ein Bestand, was wiederum für den par-lamentarischen Betriebsablauf, um esmit Thomas Nipperdey zu sagen, eineBlockade und ein Unglück zugleich war.Vor dem Hintergrund dieser Erkennt-nis und um dem erheblichen Ausmaßedes Kulturkampfes gerecht zu werden,gilt es den Blickwinkel zu weiten. Kön-nen wir auf der Ebene des ruhelosen Rei-ches (Michael Stürmer) die innere Inte-gration der katholischen Minderheitfeststellen, so ist dies auch auf Hohen-zollern kongruent zu übertragen, nurdass hier die Katholiken eindeutig in derMehrheit waren.

Christina Schlaich

Urteil des Kreisgerichts Hechingen gegen den ka-tholischen Dekan Heinrich Heyse von Grosselfingenund andere Angeklagte wegen verleumderischer Be-leidigung der preußischen Regierung zu Sigmarin-gen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung.Vorlage: Landesarchiv StAS Ho 235 T 3 Nr. 468

„Aufgepasst es geht um Eure Kinder!“ oder etwa doch um mehr?Der Kulturkampf in Hohenzollern und seine Folgen

Quellen für den Unterricht 53

Quellen für den Unterricht 53 Johannes Gießler

Abt Jakob Murer dokumentierte die Ereignisse des Frühjahrs 1525 in seinerWeißenauer Chronik:

Nota, wie die Bauern ein ungeschicktesWesen gehabt haben in dem Gotteshausmit Essen und Trinken, voll sein, einanderschlagen, Türen zerschlagen der Küche

und der Bäckerei, da zu nehmen, wasihnen gefiel, mit Fischen, führen und tra-gen aus dem Kloster Frauen und Männer,Wein und Brot. (Abb. 1).

Der Bauernkrieg in Oberschwaben im Spiegel der Weißenauer Chronik

Archivnachrichten 54 / 2017 51

1 | Weißenauer Chronik von Jakob Murer, Kopie Sebastian Abt, 1725, Blatt 6: Plünderung des Klos-ters Weißenau.Vorlage: Landesarchiv HStAS B 523 Bd. 58 Bl. 6

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nenseiten die bildliche Darstellung.Bei der bildlichen Darstellung gibt es

einige Besonderheiten: Die Chronikspiegelt eine reine Männerwelt wider –Frauen und Kinder kommen in ihr nichtvor. Dies ist – neben der starken Be-schränkung auf die Geschehnisse in derUmgebung des Klosters – eine Auswahl,die der Chronist getroffen hat. Auch diegeografischen Gegebenheiten wurden soangepasst, dass sie dramatisch in Szenegesetzt werden konnten. Damit wurdenzusammenhängende Ereignisse, die ei-gentlich räumlich voneinander getrenntwaren, trotzdem auf einem Papierbogendargestellt. Bei der Darstellung der Ortebeschränkte sich der Chronist auf diewesentlichen Gebäude, die zur Wiederer-kennung nötig waren. Nebensächlichesließ er weg. Besonders interessant undwichtig für die Erschließung der Chronikist die Tatsache, dass sie innerhalb einesBildes häufig mehrere aufeinanderfol-gende Ereignisse abbildet. Es werden alsonicht nur gleichzeitige Geschehnisse ge-zeigt, sondern vielmehr wird eine Ge-schichte erzählt.Es mag überraschend sein, dass der Abt

dabei augenscheinlich Verständnis fürseine Untertanen zeigte – zumindest un-terstrich er immer wieder seine Bemü-hungen um Vermittlung und Versöh-nung in den Darstellungen der Chronik.Dennoch wird seine Ablehnung gegen-über den Zielen und dem Vorgehen derBauern deutlich.Die Chronik des Abts Jakob Murer ist

heute im Besitz der Fürsten von Wald-burg-Zeil, in deren Bibliothek sie sichbefindet. Die hier gezeigten Abbildungenstammen aus einer Kopie von Jakob Mu-rers Bauernkriegschronik, die zur 200-jährigen Wiederkehr des Bauernkriegesim Jahr 1725 angefertigt wurde und sichheute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart be-findet. Diese Version der Chronik ist fürden schulischen Gebrauch besonders ge-eignet, da die Darstellung sehr anspre-chend und klar gehalten ist.

sieren. Es entstanden verschiedene Bau-ernhaufen: der Rappertsweiler- oder See-haufen am Bodensee, der BaltringerHaufen in der Nähe von Biberach undder Allgäuer Haufen, ausgehend vom Ge-biet des Klosters Kempten. Um ihre In-teressen gegenüber dem SchwäbischenBund besser durchsetzen zu können, bil-deten die drei Haufen die Christliche Ver-einigung.Anfang März 1525 beschlossen Dele-

gierte der drei Haufen in Memmingendie sogenannten Zwölf Artikel, die ihr ge-meinsames Programm festhielten – einSchlüsseldokument des Bauernkriegesund deutscher Geschichte. Hier wurdenerstmals in Europa Menschenrechte alsNaturrecht festgeschrieben!Tatsächlich dauerte der eigentliche Auf-

stand im südlichen Oberschwaben nurkurz – nämlich knapp sechs Wochen.Gerade sein schnelles Ende in diesemRaum war wichtig und vielleicht sogarentscheidend für den weiteren Verlaufdes gesamten Bauernkriegs. Ein ganzzentrales Dokument dieser Tage ist derWeingartener Vertrag. Vor dem KlosterWeingarten bei Ravensburg war esOstern 1525 zum Aufeinandertreffenvon Bundesheer und großen Abteilun-gen der Aufständischen gekommen.Nach anfänglichen Scharmützeln zwi-schen den beiden Heeren blieb aber dort(überraschend?) die große Schlacht aus.Stattdessen kam es zu Verhandlungen,die in einem Abkommen, dem Weingar-tener Vertrag, mündeten. Dieser Vertragbeendete den Bauernkrieg in Ober-schwaben und leitete die Wende zugun-sten der Herren im Bauernkrieg ein.

Die Weißenauer Chronik: Der Autor – Das Thema – Die Handschrift

Die Weißenauer Chronik beschäftigt sichmit dem Bauernkrieg in der Umgebungdes Prämonstratenserklosters Weißenau,in der Nähe von Ravensburg, aus derSicht der Obrigkeit. Der Verfasser derChronik war Jakob Murer, der Abt desKlosters. Er interessierte sich bei seinerDarstellung fast ausschließlich für dieUmgebung des Klosters und damit fürdie Gebiete, in denen das Kloster seinePfarreien und seinen Grundbesitz hatte.Insgesamt besteht die Chronik aus 12Papierbögen. Die Außenseiten der Bögenenthalten den Text der Chronik, die In-

Archivnachrichten 54 / 201752 Quellen für den Unterricht 53

Historischer Hintergrund

Anno domini 1525, in anfang diß jars,entstund eine grosße, ungehörte entpo-erung des gemeynen manns allenthalbenin gantzem Germanien (Stumpfs Refor-mationschronik, S. 261f.).Zwar hatte es im Mittelalter immer

wieder Aufstände von Bauern gegeben,doch das Ausmaß, das der Bauernkriegmit sich brachte, suchte seinesgleichen.Von Trient bis nach Leipzig, von deroberösterreichischen bis zur lothringi-schen Grenze erstreckte sich das Auf-standsgebiet im Frühjahr 1525. Zeitge-nossen summierten die Zahl der Totendieser Konfrontation zwischen Bauernund deren Herren auf 100.000 Men-schen, die meisten davon gehörten demBauernstand an.Die Gründe für diesen großen Aufstand

waren vielfältig und unterschieden sichlokal. Unter anderem sorgte ein starkesBevölkerungswachstum für Landknapp-heit, sodass immer mehr Menschen vonden Erträgen eines Hofes leben mussten.Viele Grundherren erhöhten die Last derAbgaben für ihre Untertanen. WolltenHerren eine Gebiets- oder Landesherr-schaft aufbauen, dehnten sie oft ihrenEinfluss auf Kosten der Untertanen ausund mischten sich beispielsweise in diedörfliche Selbstverwaltung ein. Gegensolche Neuerungen sträubten sich dieMenschen oftmals und pochten auf ihrGewohnheitsrecht, ihr altes Recht. Zu-sätzlich wurde selbstverständlich auchdie Leibeigenschaft für viele besondersdrückend.Ein Merkmal dieser ersten Massenbe-

wegung der deutschen Geschichte stelltdie enge Verbindung mit der Reforma-tion dar. Für viele Bauern und Unterta-nen klangen Luthers Worte von der Frei-heit eines Christenmenschen verlockend.Dem Beispiel Luthers folgend, der dieBibel zum Maßstab für Glaube und Kir-che gemacht hatte, wollten sie ihre kon-kreten Lebensverhältnisse am göttlichenRecht der Bibel messen.Die Bauern erhoben sich beinahe

gleichzeitig in unterschiedlichen Gegen-den, besonders aber im SüdwestenDeutschlands. Dabei kam es zu Aus-schreitungen, militärischen Konfronta-tionen, Plünderungen von Klöstern undBelagerungen von Schlössern. In Ober-schwaben, dem Land zwischen Donau,Iller und Bodensee, begannen sich Dorf-gemeinschaften ab Ende 1524 zu organi-

Archivnachrichten 54 / 2017 53

2 | Weißenauer Chronik von Jakob Murer, Kopie Sebastian Abt, 1725, Blatt 4: Flucht der Herren.Vorlage: Landesarchiv HStAS B 523 Bd. 58 Bl. 4

Am linken Bildrand erkennt man dieReichsstadt Ravensburg (Abb. 2). Einigemarkante Bauwerke sind sorgfältig ge-zeichnet, etwa der Obertorturm oder deralles überragende Mehlsack, und habeneinen hohen Wiedererkennungswert.Am rechten Bildrand ist das Kloster Wei-ßenau abgebildet. Drei Personengruppensind zu unterscheiden: In Begleitungeines bewaffneten Knechts verlässt AbtJakob Murer zu Pferd das Kloster undreitet Richtung Ravensburg. Außerdemerkennt man die Mönche des Konvents,wie sie fluchtartig das Kloster verlassen.Dabei tragen sie verschiedene, nurschwer deutbare Gegenstände. Vor dem

Klostertor hat sich ein Bauernhaufenversammelt. Vor den bewaffneten Bau-ern steht in Rednerpose ihr AnführerStefan Rahl.

Quellen für den Unterricht 53

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Archivnachrichten 54 / 201754

3 | Weißenauer Chronik von Jakob Murer, Kopie Se-bastian Abt, 1725, Blatt 8: Die Kapitulation derUmmendorfer.Vorlage: Landesarchiv HStAS B 523 Bd. 58 Bl. 8

Im Zentrum des Geschehens befindetsich Ummendorf (Abb. 3, Nr. 10), er-kennbar an der markanten Kirche. Imlinken Bildhintergrund ist die Ankunftdes Schwäbischen Bundesheeres darge-stellt. Es wird durch einen Trompeterund drei weitere Reiter angekündigt.Dieses Bild der Chronik zeigt deutlich,wie der Chronist innerhalb einer Abbil-dung aufeinanderfolgende Ereignissedarstellt. Im Vordergrund sieht mannämlich die zeitlich nachgeordnete Un-terwerfung der Ummendorfer, die sicheben jenen Truppen des SchwäbischenBundes ergeben. Die Bauern haben ihre

Waffen abgegeben und heben nun dierechte Hand, um ihre Unterwerfung undneuen Gehorsam zu beschwören.Nun kommt sogar noch eine dritte Zeit-ebene hinzu: Nach der Inbesitznahmevon Ummendorf durch den Schwäbi-schen Bund wird das Dorf geplündert.Ein in der Chronik namentlich genann-ter Flüchtiger wird von einem Reiter er-stochen (Abb. 3, Nr. 9), ein Kirchendiebwird gehängt (Abb. 3, Nr. 16) und in un-mittelbarer Umgebung wird ein weitererFlüchtiger ermordet.

Quellen für den Unterricht 53

Archivnachrichten 54 / 2017 55

4 | Weißenauer Chronik von Jakob Murer, Kopie Se-bastian Abt, 1725, Blatt 9: Das Bundesheer undBauernheer vor Weingarten.Vorlage: Landesarchiv HStAS B 523 Bd. 58 Bl. 9

Das Bild zeigt eine sehr kritische Situa-tion, die sich an Ostern 1525 in der Nähedes Benediktinerklosters Weingarten(Abb. 4, Nr. 5) immer weiter zuspitzte.Nach einigen raschen Siegen wurde dasHeer des Schwäbischen Bundes, ange-führt durch Truchsess Georg von Wald-burg, genannt Bauernjörg, von einemgroßen Bauernheer von ca. 12.000 Mannerwartet. Die Truppen des SchwäbischenBundes lassen sich gut an der Bundes-fahne erkennen und auch der Truchsessist auszumachen. Sowohl das Bundes-heer als auch die Bauern verfügen überArtillerie.

Eine wichtige Rolle spielen nun die dreiReiter (Abb. 4, Nr. 8), die am rechtenBildrand – von Ravensburg aus kom-mend – zwischen den Bauern und denBundestruppen vermitteln. Tatsächlichdürfte diese Verhandlungsdelegationdeutlich umfangreicher gewesen sein.Diese Vermittlungen, die dann im be-rühmten Weingartener Vertragmünde-ten, verhinderten eine kriegerische Aus-einandersetzung bei Weingarten und be-endeten den Bauernkrieg faktisch imsüdlichen Oberschwaben.

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ihre Kopfbedeckungen abgenommenund die rechte Hand zum Schwur erho-ben. Hoch über den Untertanen stehendie Herren: Der Abt befindet sich in derMitte, umrahmt von seinem Notar, derden Untertanenvertrag in der Hand hält,und einem sehr vornehm gekleidetenHerrn. Mit diesem Bild endet die Chro-nik und hält damit das Ende des Bauern-kriegs in der Umgebung des Klostersfest.

5 | Weißenauer Chronik von Jakob Murer, Kopie Se-bastian Abt, 1725, Blatt 11: Unterwerfung undTreueid der Weißenauer.Vorlage: Landesarchiv HStAS B 523 Bd. 58 Bl. 11

Der Kontrast zwischen diesem Bild undder Darstellung der Plünderung des Klo-sters Weißenau durch zügellose Bauern(Abb. 5 und Abb. 1) könnte nicht größersein.Auf der linken Seite des Bildes ist wie-

der die Stadt Ravensburg mit den mar-kanten Türmen abgebildet. Inner- undaußerhalb der Stadtmauern befindensich Truppen des Schwäbischen Bundesund verdeutlichen den militärischenDruck auf die Weißenauer.Im Vordergrund des Bildes steht klar

das Kloster Weißenau. Die Untertanenhaben sich dort versammelt, wiederum

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Verwendung im Unterricht

Der Bauernkrieg als Thema im schuli-schen Unterricht ist im Bildungsplan2016 im Standard Wende zur Neuzeit –neue Welten, neue Horizonte, neue Gewaltverankert. Konkret lautet der Standard:Die Schülerinnen und Schüler können dieReformation als Umbruch charakterisie-ren und ihre politischen Folgen erklären.Die Chronik bietet mehrere Lernchancenfür Schülerinnen und Schüler. Zumeinen zeigt sie den Niederschlag der gro-ßen Geschichte auf lokaler Ebene undzum anderen sind die Geschehnisse auflokaler Ebene in diesem Fall von großerBedeutung für die überregionale Ebene.Diese Wechselwirkungen lassen sich amBeispiel des Bauernkriegs exemplarischherausarbeiten. Offenkundig kann mitder Chronik v. a. eine Methodenkompe-tenz geschult und trainiert werden: Einmethodischer Zugriff über die Bildana-lyse liegt bei der Beschäftigung mit denverschiedenen Bildern der Chronik nahe.Darin kann insbesondere auf die Zeit-und Standortgebundenheit des Verfas-sers eingegangen und eine Quelle exem-plarisch dekonstruiert werden. Durchden unterschiedlichen Schwierigkeits-grad beim Analysieren der verschiedenenBilder lässt sich diese Methodenschulungdifferenziert durchführen.Die Darstellungsweise der Kopie derWeißenauer Chronik von 1725 ist fürSchülerinnen und Schüler leichter zu-gänglich als die des Originals, da sie denheutigen Sehgewohnheiten eher ent-spricht. In gewissem Sinne ist die Arbeitmit der Kopie von 1725 daher ein Kom-promiss zwischen Authentizität derQuelle und Verständlichkeit für Schüle-rinnen und Schüler.Es bietet sich im Anschluss an die Ar-

beit mit der Chronik an, das Ergebnisdes Bauernkrieges in Oberschwaben in-tensiver unter die Lupe zu nehmen. DerWeingartener Vertrag wurde lange Zeit inder Forschung sehr negativ bewertet. DieAuseinandersetzung mit dem Vertragund verschiedenen Beurteilungen schärftdie Reflexions- und Urteilskompetenz.Zu guter Letzt ist das Ringen um (poli-

tische) Partizipation nach wie vor regio-nal, national und global höchst aktuell.Die im Grundgesetz verfassten Grund-rechte erachten die meisten Schülerin-nen und Schüler als selbstverständlich.Dass diese aber in jahrhundertelangemRingen erkämpft und verteidigt wurden

und sich ihre frühen Wurzeln bis ins Jahr1525 und in die heimatliche Region zu-rückverfolgen lassen, ist vielen jedochunbekannt. Es lohnt sich, diese Zusam-menhänge in der Schule zu behandeln.Bundespräsident Johannes Rau formu-lierte im Jahr 2000 anlässlich der Feier475 Jahre Zwölf Memminger Bauernarti-kel in Memmingen: Als die Mütter undVäter den Artikel 1 des Grundgesetzes for-muliert haben – ‚Die Würde des Men-schen ist unantastbar‘ –, war das auch einfernes Echo der Bauernartikel. […] DieBauern haben 1525 mit der politischenund militärischen Auseinandersetzung zuTausenden ihr Leben verloren. Ihre Ideeaber war letztlich weder zu besiegen nochzu erschlagen. In gewisser Weise ist wahrgeworden, wenn es in dem bekanntenBauernlied heißt: ‚Geschlagen ziehen wirnach Haus, die Enkel fechten's besser aus.‘

Arbeitsschritte

1. Verortung in Raum und Zeit: Vergleichder Darstellungen der Chronik mit topo-grafischen Karten und Bildern.2. Gruppenarbeit zur Weißenauer Chro-nik und ereignisgeschichtlicher Über-blick mit methodischem Schwerpunktauf der Analyse von Bildern.3. Die Weißenauer Chronik als Quelle:Der Verfasser der Chronik, Abt JakobMurer, hatte keinen neutralen Blick aufdie Ereignisse. Beispielhafte Dekonstruk-tion einer Bildquelle.4. Die Entscheidungsschlacht von Wein-garten (… findet nicht statt) und Rollen-spiel zum Zustandekommen des Wein-gartener Vertrags: Mithilfe eines Rollen-spiels können die Schülerinnen undSchüler Möglichkeiten und Grenzen in-dividuellen und kollektiven Handelns ineiner historischen Situation erkennenund alternative Handlungsmöglichkeitenerörtern.5. Das Ergebnis: Der Weingartener Ver-trag. Abgleich der Ergebnisse des Rollen-spiels mit den Bestimmungen des Wein-gartener Vertrages.6. Reaktionen auf den Vertrag: Anhandder Reaktionen zum Weingartener Ver-trag lassen sich Zeit- und Standortge-bundenheit von Urteilenden verdeutli-chen.7. Gescheitert aber nicht umsonst: Ab-schließende Beurteilung und Bewertungdes Bauernkrieges.

Quellen und Literatur-hinweise

Jacob Murers Weißenauer Chronik desBauernkrieges von 1525. Hg. Von Gün-ther Franz unter Mitarbeit von Wer-ner Fleischhauer. Faksimile. Text undKommentar. Sigmaringen 1977.

75 Jahre Bauernkrieg in Oberschwaben1525–2000. Vortragsreihe der Kreisspar-kasse in Zusammenarbeit mit der Gesell-schaft Oberschwaben und der VHSWeingarten. Hg. von Hans Ulrich Ru-dolf. Ravensburg 2000.

Bauernkrieg in Oberschwaben 1525. Der Bauernkrieg in Oberschwaben 1525im Spiegel der Weißenauer Chronik desAbtes Jacob Murer. Diaserie mit Begleit-buch. Hg. von Landesbildstelle Würt-temberg. Auswahl und Kommentar vonHans Ulrich Rudolf. Stuttgart 1989.

Der Bauernkrieg in Oberschwaben. Hg. von Elmar L. Kuhn in Verbindungmit Peter Blickle. Tübingen 2000.

Johannes Stumpfs Schweizer- und Refor-mationschronik. 1. Teil. Hg. von ErnstGagliardi, Hans Müller und FritzBüsser (Quellen zur Schweizer Ge-schichte. Neue Folge. Abt. 1, Chroniken5). Basel 1952.

Peter Blickle: Der Bauernjörg. Feld-herr im Bauernkrieg. München 2015.

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Der AutorJohannes Gießler ist Landeskunde-beauftragter des KultusministeriumsBaden-Württemberg im Regierungs-bezirk Tübingen und Gymnasiallehrer in Ravensburg.

Das Unterrichtsmodul auf dem Landes-bildungsserver:http://www.schule-bw.de/unterricht/fae-cheruebergreifende_themen/landes-kunde/modelle/module/themen_bp2016/wende_zur_neuzeit/reformation/der-bauernkrieg-in-oberschwaben-im-spie-gel-der-weissenauer-chronik/

Repräsentation und Erinnerung. Herr-schaft, Literatur und Architektur imHohen Mittelalter an Main und TauberHerausgegeben von Peter Rückert und Monika Schaupp in Verbindung mit Goswin von MallinckrodtVerlag W. Kohlhammer 2016329 Seiten, gebunden€ 35,–ISBN 978–3–17–031539–6

Neue Veröffentlichungen des Landesarchivs Baden-Württemberg

„Eine der edelsten Schöpfungen deut-scher Renaissance“. Das neue Lusthauszu StuttgartBegleitbuch und Katalog zur AusstellungBearbeitet von Nikolai ZieglerVerlag W. Kohlhammer 2016176 Seiten, kartoniert€ 18,–ISBN 978–3–17–031540–2

Evangelisch in HohenzollernKatalog zur AusstellungHerausgegeben von Volker Trugenbergerund Beatus WidmannVerlag W. Kohlhammer 201684 Seiten, kartoniert€ 10,–ISBN 978–3–17–032132–8

Die Bände sind im Buchhandel oder direkt beim Verlagerhältlich.

Alle Neuerscheinungen finden Sie auf der Homepage desLandesarchivs Baden-Württemberg (www.landesarchiv-bw.de) unter „Aktuelles > Neue Publikationen“.

Archivnachrichten und Quellen für den Unterricht findenSie auch auf der Homepage des Landesarchivs Baden-Würt-temberg (www.landesarchiv-bw.de) unter „Landesarchiv > Publikationen“.

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Landesarchiv Baden-Württemberg,Eugenstraße 7, 70182 Stuttgart,Telefon 0711/212-4238,Telefax 0711/212-4283,E-Mail: [email protected],Internet: www.landesarchiv-bw.de.

Redaktion: Dr. Verena SchweizerGestaltung: volker müller grafik design, Königsbach-SteinDruck: Printsystem GmbH, Heimsheim

Das Heft erscheint halbjährlich und wird kostenlos abgegeben.ISSN 1437-0018

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Impressum

Titelfoto: Johannes Brenz, kolorierter Kupferstich,nach 1568.Vorlage: Landesarchiv HStAS Q 3/36 bBü 2350

Der Wunschlose. Prinz Max von Badenund seine WeltBegleitbuch und Katalog zur Ausstellungdes Landesarchivs Baden-Württemberg,Generallandesarchiv KarlsruheBearbeitet von Konrad KrimmVerlag W. Kohlhammer 2016232 Seiten, fester Einband/Fadenheftung€ 24,–ISBN 978-3-17-031764-2

Vernetzung und Kollaboration von ArchivenVorträge des 75. Südwestdeutschen Archivtags am 18. und 19. Juni 2015 in Rottenburg am NeckarHerausgegeben von Anna Pia Maissenund Peter MüllerVerlag W. Kohlhammer 201683 Seiten, kartoniert€ 10,–ISBN 978-3-17-030882-4

Kaiser Karl IV. (1316–1378) und dieGoldene BulleBegleitbuch und Katalog zur Ausstellungdes Landesarchivs Baden-Württemberg,Hauptstaatsarchiv StuttgartBearbeitet von Erwin Frauenknecht undPeter RückertVerlag W. Kohlhammer 20162. Auflage 2017156 Seiten, kartoniert€ 15,–ISBN 978-3-17-033202-7

Colombistraße 479098 Freiburg im BreisgauTelefon: 0761/38060-0Telefax: 0761/38060-13E-Mail: [email protected]

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