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AR CHI VAR 04 62. Jahrgang G 4914 November 2009 Heft Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. Zeitschrift für Archivwesen Die Baumaßnahmen des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde Um- und Erweiterungsbauten für das Sächsische Staatsarchiv Die Planung des Erweiterungs- und Umbaus für das Generallandesarchiv Karlsruhe Archivbau im Dienste der Bestandserhaltung: Der Neubau des Archivs des Landschafts- verbandes Rheinland (ALVR) Das neue Haus der Essener Geschichte/ Stadtarchiv

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Zeitschrift für Archivwesen

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ARCHIVAR

0462. Jahrgang G 4914

November 2009 Heft

Herausgeber Landesarchiv Nordrhein-Westfalen VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.

Zeitschrift für Archivwesen

Die Baumaßnahmen des Bundesarchivsin Berlin-Lichterfelde

Um- und Erweiterungsbauten für dasSächsische Staatsarchiv

Die Planung des Erweiterungs- und Umbausfür das Generallandesarchiv Karlsruhe

Archivbau im Dienste der Bestandserhaltung:Der Neubau des Archivs des Landschafts-verbandes Rheinland (ALVR)

Das neue Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv

Titel_Archivar-Heft-4-2009:Layout 1 23.11.2009 15:53 Seite 1

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

EDITORIAL 343

AUFSÄTZE 344

Die Baumaßnahmen des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde 344

Um- und Erweiterungsbauten für das Sächsische Staatsarchiv 351

Räume-Menschen-FunktionenDie Planung des Erweiterungs- und Umbaus für das GenerallandesarchivKarlsruhe 365

Archivbau im Dienste der Bestandserhaltung:Der Neubau des Archivs des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR) 372

Das neue Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv 379

ARCHIVTHEORIE UND PRAXIS 386Archivübergreifende Inventare. Betrachtungen über informationelle Vernetzungen:Literarisches Leben am Rhein · Jenaer Kirchenbücher digital. Ein Projekt der ThüringerUniversitäts- und Landesbibliothek Jena und des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Jena ·Historisches Archiv der Stadt Köln – ein halbes Jahr nach dem Einsturz · 25 Jahre „Arbeitskreisder nordrhein-westfälischen Kreisarchive“ · 10 Jahre Karlsruher Tagung für Archivpädagogik ·Kiepenheuer, Rowohlt & Co. - Bericht über den „Tag der Verlage“ · 17. Sächsischer Archivtag 2009in Freiberg · Standards für Ausbildung und Beruf des Archivars. Internationale Archivkonferenzin Thorn · Rheinischer Archivtag 2009 in Viersen · 4. Norddeutscher Archivtag · 40 Jahre Archiv dersozialen Demokratie (AdsD) – Zur Rolle der Archive der politischen Stiftungen in der Gesellschaft ·Archive und Medien – 69. Südwestdeutscher Archivtag in Münsingen · Filme der Staatssicherheit –Viertes Nutzerforum der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstesder ehemaligen DDR

LITERATURBERICHTE 428

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES LANDESARCHIVS NRW 436

Die Grundsanierung im Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen in Münster 436

Archive und Politik. Internationales Archivssymposion in Münster 2009 443

6. Detmolder Sommergespräch am 24. Juni 2009 446

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA 449

Das Berufsbild von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Archiven 449Beschlüsse der Mitgliederversammlung des VdA 452Kölner Erklärung 453Personenstandsreform - Fortsetzung der Zusammenarbeit von VdA und BDS 454Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 des VdA 455Internationaler Archivrat (ICA) - Sektion der Berufsverbände (SPA) 457

PERSONALNACHRICHTEN 462

NACHRUFE 466

KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES 471

VORSCHAU/IMPRESSUM 473

INHALT

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

EDITORIALLLiieebbee LLeesseerriinnnneenn uunndd LLeesseerr,, lliieebbee KKoolllleeggiinnnneenn uunndd KKoolllleeggeenn,,

Archivbauten haben Konjunktur. Nicht nur, dass sie in der Fachgemeinschaft intensiv diskutiert werden. Siewerden auch tatsächlich gebaut. Das vorliegende Heft stellt einige Neu- bzw. Umbauprojekte aus jüngster Zeit vor.Sebastian Barteleit berichtet über die Baumaßnahmen des Bundesarchivs am Standort Berlin-Lichterfelde; PeterHoheisel, Bernd Scheperski und Petra Sprenger stellen Um- und Erweiterungsbauten für das Sächsische Staatsar-chiv in Freiberg und Dresden vor. Mit dem Erweiterungsbau für das Generallandesarchiv in Karlsruhe beschäfti-gen sich Clemens Rehm und Jürgen Treffeisen. Wolfgang Franz Werner stellt den Neubau des Archivs des Land-schaftsverbandes Rheinland vor, Klaus Wisotzky das neue Haus der Essener Geschichte in einer umgebautenSchule.

Die vorgestellten Projekte sind in ihren baulichen Aufgabenstellungen, ihren Standortvoraussetzungen sowie ihrenGrößendimensionen sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen ein durchgehend hoher Anspruch an die Einhal-tung archivfachlicher Standards bei gleichzeitiger Bereitschaft zu pragmatischen Lösungen, die auch auf dieGrenzen des Budgets Rücksicht nehmen. Archive haben sich in den einzelnen Projekten als kompetente undverhandlungsbereite Gesprächspartner sowohl für ihre Träger als auch für die am Bau beteiligten Architekten undFirmen erwiesen. Überall, wo jetzt noch Bauten geplant oder realisiert werden, können die Beteiligten von denKonzepten und praktischen Erfahrungen der Bauvorhaben aus den letzten Jahren profitieren. Die Ausgangsbedin-gungen für Archivneubauten sind damit so gut wie selten zuvor; diese Erkenntnis mag unschlüssigen Trägern Mutmachen: Archivneu- und -umbauten bedeuten immer einen fachlichen Gewinn für die Archive; sie steigern dasAnsehen der Einrichtungen und somit indirekt, zumal wenn es sich um architektonisch markante Bauten handelt,auch das Ansehen der Träger innerhalb der archivischen Fachwelt und darüber hinaus.

In Köln wird ab demnächst am Eifelwall der Neubau des Historischen Archivs entstehen. Max Plassmann undAndrea Wendenburg berichten im vorliegenden Heft noch einmal über den aktuellen Stand der Bergung und desWiederaufbaus nach dem Einsturz des Archivgebäudes an der Severinstraße. Der Anspruch, Europas sicherstenArchivbau zu bauen, ist ambitioniert. Die Bauvorhaben aus jüngster Zeit zeigen jedoch, dass die Umsetzung derbau- und archivfachlichen Standards, wie sie anlässlich der Expertenanhörung im Juni in Köln noch einmalzusammengetragen und bekräftigt wurden, heute in der Regel möglich ist, ohne dass es zu unüberbrückbarenSpannungen zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren kommen muss.

Für alle archivischen Neu- und Umbauvorhaben dürfte die größte Herausforderung der Zukunft darin bestehen,auch nach Fertigstellung der Gebäude Sorge dafür zu tragen, dass diese auf lange Frist den sich weiterentwickeln-den Standards entsprechen. Dies wird nur möglich sein, wenn die jüngst verstärkt geäußerten Forderungen nacheiner kontinuierlichen Überwachung und Nachsteuerung von Archivbauten von den Archivträgern ernst genom-men und umgesetzt werden.

Redaktion und Beirat hoffen, dass Sie aus der Lektüre des vorliegenden Heftes viele neue Erkenntnisse gewinnen;wir wünschen Ihnen und Ihren Familien schon jetzt eine schöne Adventszeit, geruhsame Feiertage und einenguten Start ins neue Jahr.

Herzlichst, Andreas Pilger in Verbindung mit Robert Kretzschmar,

Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius, Martina Wiech und Klaus Wisotzky

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Leibstandarte Adolf Hitler die Gebäude und in den dreißigerJahren wurde nun auch der dominante neue Eingangsbereichzur Finckensteinallee errichtet. Gegen Ende des 2. Weltkriegesbesetzte zunächst die Rote Armee das Gelände, bevor es dann am4. Juli 1945 an die US Armee übergeben wurde. Diese nutzte dieLiegenschaft unter dem Namen „Andrews Barracks“ als Kaserneund errichtete ebenfalls einige Gebäude zu deren markantesteneine Kirche im Neuenglandstil gehört. Mit Abzug der amerikani-schen Truppen ging das Gelände 1994 in Bundesbesitz über undwurde anschließend zum Berliner Domizil des Bundesarchivs.1

DAS BAUVORHABEN Die Planungen für einen Neubau in der Liegenschaft Berlin-Lichterfelde begannen bald nach dem Einzug des Archivs. ImZentrum standen dabei stets Bemühungen, die an den BerlinerStandorten lagernden Archiv- und Bibliotheksbestände aus denprovisorischen Magazinen in adäquate Lagerbedingungen über-führen zu können. Aus finanziellen Gründen war allerdings auchbald klar, dass nur für die bereits in Berlin vorhandenenArchivalien gebaut und nicht noch eine Reserve für weitereZugänge gebildet werden konnte. Deshalb war es erforderlich fürrd. 90.000 lfm Archivalien sowie etwa 1,7 Millionen Bände derBibliothek optimale Magazinflächen zu errichten, insgesamtbedeutet dies Regalflächen für rd. 125.000 lfm. Zusätzlichbenötigte das Bundesarchiv Flächen für ein modernesDienstleistungszentrum mit Lesesälen und Freihandbereichender Bibliothek und funktionale Räume für rd. 280 Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter. Dabei sollen im Nachgang derBaumaßnahme zwei kleinere Liegenschaften des Bundesarchivsin Berlin geschlossen werden können und die entsprechendenMitarbeiter der Abteilung Filmarchiv ebenfalls nach Lichterfeldeziehen. Auch die Benutzung der filmischen Überlieferung desBundesarchivs wird zukünftig im Dienstleistungszentrum inLichterfelde stattfinden.Die Planungen starteten mit einer Machbarkeitsstudie, in derenRahmen geprüft wurde, wie sich der Bedarf des Bundesarchivs in

AUFSÄTZE

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Als Konsequenz der Deutschen Wiedervereinigung und der da-raus resultierenden Übernahme der zentralstaatlichen Archiveder DDR und der Gründung der Stiftung Archiv der Parteienund Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv sah sichdas Bundesarchiv vor die Aufgabe gestellt, in der jetzigenBundeshauptstadt Berlin eine Dienststelle einzurichten. AmStandort Berlin-Lichterfelde hat das Archiv deshalb in denJahren nach 1994 in einem ehemaligen Kasernengelände denArchivbetrieb aufgenommen. Im Zuge einer gewünschtenKonzentration wurden Archivalien und Bücher aus über 20Liegenschaften in Berlin-Lichterfelde und Hoppegarten – demStandort des Zwischenarchivs für den Berliner Raum – konzen-triert, die Filme des staatlichen Filmarchivs der DDR lagertenweiterhin in Berlin-Wilhelmshagen. Dabei wurde auch in Kaufgenommen, dass diese Archivalien und Bücher zunächst unterprovisorischen Bedingungen in Kasernengebäuden aus dreiunterschiedlichen Epochen eingelagert wurden und denBenutzern zwar den Umständen entsprechend gute, aber ebennicht optimale Bedingungen zum Arbeiten geboten werdenkonnten. Das laufende Bauvorhaben, das im Folgenden vorge-stellt wird, sollte vor allem diesen beiden Missständen ein Endebereiten.

DIE LIEGENSCHAFTIn der Liegenschaft an der Finckensteinallee wurde in den 1870erJahren die Preußische Hauptkadettenanstalt errichtet. Aus dieserZeit steht noch ein denkmalgeschütztes Gebäude, das Teil derBaumaßnahme ist. Mit Ende des 1. Weltkrieges und derEntmilitarisierung Deutschlands musste die Kadettenanstaltgeschlossen und eine zivile Nutzung für die Gebäude und dieLiegenschaft gefunden werden. Auch wenn kurz von Seiten desReichskolonialministers die Nutzung der Räumlichkeiten für dasneu gegründete Reichsarchiv ins Gespräch gebracht wurde, bezogschließlich eine staatliche Schule das Gelände und dasReichsarchiv zog nach Potsdam auf den Brauhausberg. Mit derMachtübernahme der Nationalsozialisten übernahm die SS-

DIE BAUMAßNAHMEN DES BUNDESARCHIVS IN BERLIN-LICHTERFELDE

von Sebastian Barteleit

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der Liegenschaft und besonders unter Berücksichtigung der vor-handenen denkmalgeschützten Gebäude realisieren ließe. DieStudie kam zu dem Resultat, dass zwar für die Mitarbeiter-zimmer und das Dienstleistungszentrum eine Umnutzung derbestehenden Gebäude denkbar und sinnvoll war, das Magazinaber in einem funktional auf die Belange der sicherenVerwahrung und der Logistik ausgerichteten Neubau unterge-bracht werden müsse.Für die Baumaßnahme, die durch das zuständige Bundesamt fürBauwesen und Raumordnung durchgeführt wird, wurden zweiArchitekturbüros gewonnen – Stephan Braunfels Architekten(Berlin/München) für die Gestaltung des Neubaus und RainerSchlenkhoff Architekten (Berlin) für den Umbau zweier denk-malgeschützter Altbauten und die Gestaltung der Außenanlagen.

ARCHITEKTURIm Zentrum der Baumaßnahme steht der Magazinneubau, dem zur Feier des Richtfestes vom Bundesarchiv der Name Ernst-Posner-Bau verliehen wurde.2

Der Ernst-Posner-Bau muss allerdings neben der Unterbringungder Archivalien und Bücher auch noch eine Funktion als er-schließendes Gebäude im Gelenk der drei von der Baumaß-nahme betroffenen Häuser erfüllen. Aufgrund der Forderung des Bundesarchivs, einen zentralen

Haupteingang zu bekommen, der einen personalwirtschaftlichsinnvollen Zugang zu allen drei Gebäuden ermöglicht, wurdeentschieden, den Eingang in den Neubau des Magazins zu inte-grieren. Auch wenn dadurch das Magazingebäude eine zusätzlichNutzung erhält, die es für die Planer anspruchsvoller machte, dieklimatischen und die Sicherheitsanforderungen des Archivs zuerfüllen. Im Ernst-Posner-Bau wurden neben Magazinflächendeshalb der zentrale Haupteingang, ein Multifunktionssaal fürVeranstaltung unterschiedlichster Art, die Ortsleihe für dieBibliothek des Bundesarchivs und der Findmittelbereich sowohlfür das Archiv als auch für die Bibliothek platziert.

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1 Ritter, Ernst: Die Spuren der Vorgänger: die Vergangenheit der LiegenschaftLichterfelde im Überblick, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv Bd. 5, H. 2(1997), S. 23-27; Barteleit, Sebastian: Reichsarchiv – Bundesarchiv –Kontinuität und Diskontinuität der Standorte, in: Mitteilungen aus demBundesarchiv Bd. 9, H. 1 (2001), S. 86.

2 Menne-Haritz, Angelika: Ernst Posner – archivarische Professionalität im 20. Jahrhundert, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Bd. 16, H. 2 (2008),S. 8-15.

Plan der Liegenschaft mit den drei von der Baumaßnahme betroffenen Häusern im Zentrum (Quelle: Stephan Braunfels Architekten)

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AUFSÄTZE

Ein auf der Hand liegendes Problem der architektonischenAufgabe lag in der Minimierung der langen Wege für dieMitarbeiter des Archivs und speziell auch in der Entkoppelungvon öffentlichem und internem Bereich vor allem bezüglich derTransportwege des Archivguts zu den Lesesälen. Letzteres Pro-blem lösten die Architekten durch eine zweigeschossige Aus-führung der Eingangshalle und der Verbindungsgänge, dabeiwird das Erdgeschoss die Anbindung für die Nutzer undBesucher des Archivs ermöglichen, während das erste Ober-geschoss als Verbindung für die Mitarbeiter und die Archivalienfungiert. Auch im Dienstleistungszentrum ist die Trennung zwi-schen öffentlichem und internem Bereich so durchgeführt, dassdas Archivgut erst über die Ausgabetheke des Lesesaals mit denNutzern in Berührung kommt.

Um die langen Wege kommen allerdings weder Nutzer nochMitarbeiter herum, das ist ein kleiner Tribut, den das Archiv aneine großzügige Liegenschaft mit ihren denkmalgeschütztenGebäuden zahlen muss. Von höherer Relevanz wird allerdingsdiese Frage bei weiteren zukünftigen Ausbauschritten werden,doch davon später mehr.Innerhalb des öffentlichen Bereichs des Ernst-Posner-Baus findetsich eine weitere Zonierung. So ist der Eingangsbereich mit demVeranstaltungssaal, dem Foyer und der Ortsleihe für dieAllgemeinheit vollständig offen, das Betreten des Findmittel-bereichs und weiter der Lesesäle wird hingegen den Nutzern vonArchiv und Bibliothek vorbehalten sein. Die Nutzer werden hier

ein Drehkreuz sowohl beim Betreten wie beim Verlassen desLesesaalbereichs passieren. Hier kann auch ein Einhalten derneuen Benutzersaalordnung des Bundesarchivs kontrolliert wer-den – d. h. beispielsweise, dass die Mitnahme von eigenenMaterialien in den Lesesaalbereich nur in transparenten Tütenerfolgen soll, dass sämtliche mitgebrachten Unterlagen in einemgehefteten oder gebundenen Zustand sein sollen etc.3

An dieser Grenze kann auch für Abend- oder Wochenend-veranstaltungen eine bauliche Hürde errichtet werden, die denunkontrollierten Zugang verhindert. Das Foyer und der Ver-anstaltungssaal können deshalb auch unabhängig vom Rest desGebäudes genutzt werden. Ab dem 2. Obergeschoss dominiert dann das Magazin, lediglichim 4. OG direkt unter dem Dach befindet sich noch die Lüftungs-zentrale. Ein wichtiger Aspekt bei der räumlichen Gestaltung desGebäudes war die Sicherstellung, dass es zu keinerlei unnötigerDurchführung von technischen Leitungen oder Rohren durch dieMagazinräume kommt. Erreicht wurde dies durch einen zentra-len Erschließungsgang, an dessen Seiten sich sämtliche Technik-räume befinden, die dann in der Vertikalen die Verteilung durchdas Haus gewährleisten. In die Magazinräume selbst musstendeshalb neben Lüftungs- und Entrauchungskanälen nur dochdie jeweils benötigten Stromleitungen gelegt werden.

Die Lesesäle werden sich komplett im der Finckensteinallee zuge-wandten Haus 906, dem Dienstleistungszentrum, befinden.Dabei ist hervorzuheben, dass das Bundesarchiv in der besonde-

Das Erdgeschoss des Ernst-Posner-Baus mit Anbindung an die beiden Bestandsgebäude (Quelle: Stephan Braunfels Architekten)

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ren Situation eines Archivs ist, in dem gleichzeitig eine mittel-große wissenschaftliche Bibliothek angesiedelt ist. Dem wirddurch eine integrierte Benutzungslandschaft Rechnung getragen,in der die Nutzer gleichzeitig Archivgut und die wissenschaftli-che Literatur zu ihren Themen benutzen können. Daneben wirdes Sondernutzungsbereiche für Karten, Fotos, Mikroformen undden Benutzungsbereich für die filmische Überlieferung geben. InLetzterem wird es eine Mediathek geben, in der viele der zurBenutzung aufbereiteten Filme als DVDs oder Videos für dieNutzer bereitstehen.

TECHNIKIm Zentrum der meisten Archivgebäude steht das Magazin, soauch in diesem Fall. Eine zentrale Forderung an die Planerbestand darin, dass im Magazin die geforderten klimatischenBedingungen über den Einsatz optimaler bauphysikalischerKonzepte und nicht über eine technische Konditionierung derMagazinluft erreicht werden soll. Für die Fragen der Bauphysikwurde das Büro Müller BBM aus München eingeschaltet, diebereits den Neubau für das Landesarchiv Berlin betreut hatten.Das Konzept setzt auf den Einsatz einer erhöhten klimatischenTrägheit des Gebäudes durch die Verwendung von starkenWänden, einer hochdimensionierten Dämmung auch innerhalbdes Gebäudes zwischen Zonen, die dem Öffentlichkeitsbereichangehören, und dem Magazin sowie einer weitgehendenVerwendung diffusionsoffener Materialien und Oberflächen

im Innenbereich. Die Grundkonstruktion des Gebäudes ist ausStahlbeton, mit 30 cm dicken Außenwänden, auf die eine rd. 20 cm starke Wärmedämmung aufgebracht wurde. Danach folgt zur thermischen Entkopplung eine 4-5 cm breiteLuftschicht, die von einer vorgehängten Ziegelfassade nachaußen abgeschlossen wird. Nach Aussage der Bauphysiker ist dieVerwendung von Stahlbeton als Hauptbaustoff unkritisch, dievielfach verbreitete Meinung, dass zwingend Ziegelmauerwerkzum Einsatz kommen müsse, um eine natürliche Klimatisierungzu erreichen, sei hingegen nicht wissenschaftlich zu belegen.Durch die Bauphysik kann also ein erhöhter Wärmeeintrag vonaußen verhindert werden, aber natürlich muss auch derWärmeeintrag durch die Benutzung der Räume soweit wie mög-lich minimiert werden, dazu wurde die Beleuchtungsplanungauch dahingehend optimiert, dass in Bereichen des Magazins, dienicht benutzt werden, das Licht automatisch abgeschaltet wird.In jedem Magazinraum wurden deshalb Bewegungsmelder ein-gebaut, die die Beleuchtung der Magazine steuern. Dadurch istes auch nicht mehr möglich, dass versehentlich vergessen wird,das Licht auszuschalten. Die Simulationen der Planer versprechen, dass aufgrund dieserMaßnahmen die Temperaturen in den Magazinen in dem vomBundesarchiv geforderten Bereich von 18-21°C liegen werden. Das Bundesarchiv hat sich für diese Werte entschieden, da

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Interne Anbindung des Magazins an die Bestandsgebäude im 1. OG (Quelle: Stephan Braunfels Architekten)

3 Die Benutzersaalordnung gilt ab dem 1. Oktober 2009. Siehe dazuwww.bundesarchiv.de/benutzung/rechtsgrundlagen/benutzersaalordnung/index.html (zuletzt besucht am 23.09.09).

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AUFSÄTZE

bei niedrigeren Temperaturen vor allem im Winter ein zu hoherTemperaturunterschied zwischen Magazinen und Lesesaal vorge-legen hätte.4 Die erforderliche Abführung der Feuchtigkeit sollhingegen primär über eine gezielte Belüftung der Magazine mitgefilterter Frischluft zu geeigneten Zeitpunkten geschehen. Dieeingebaute Belüftungsanlage wird zudem in den übrigenZeiträumen für einen Temperaturausgleich innerhalb des gesam-ten Magazins sorgen, indem die Luft innerhalb des Gebäudesdurchmischt und umgewälzt wird. Über die dadurch stattfinden-de Durchlüftung der Räume wird zudem die Bildung von mikro-klimatischen Nischen verhindert. Die Durchlüftung der Räumewird auch dadurch unterstützt, dass bei der Beschaffung derRegalanlagen komplett auf den Einbau von Seitenverblendungenverzichtet wurde.Eine Besonderheit des architektonischen Entwurfes erfordertallerdings zusätzlich den Einbau einer konventionellenKlimaanlage: Der Eingangsbereich wie auch die Verbindungs-gänge werden mit einer großzügigen Glasfassade ausgestattet, die im Sommer natürlich einen sehr hohen Wärmeeintrag in das Gebäude erwarten lässt. Damit im Sommer die Tempera-turen in einem angenehmen Bereich gehalten werden können,muss hier die besagte Klimaanlage zum Einsatz kommen. ImPlanungsprozess wurde entschieden, die Anbindung derKlimaanlage so zu gestalten, dass im „Notfall“ auch die Luft inden Magazinen darüber konditioniert werden kann. Dies ist auchder Grund, warum das Archiv so relativ kurz nach Fertigstellungder Magazine den Einzug wagen wird.5 Für die erste Zeit wird

die Anlage also vermutlich ständig im Betrieb sein, um die nochim Bauwerk vorhandene Feuchte zu entfernen. Neben den klimatischen Bedingungen wird im Magazin in derRegel besonderes Augenmerk auf den Brandschutz gelegt.Dementsprechend war das Thema auch im Projekt von großerBedeutung. Das Bundesarchiv ist dabei von dem Ansatz ausge-gangen, dass ein höchstmöglicher Schutz des Archivgutes mitmöglichst geringem Einsatz von Technik erreicht werden sollte.Gerade in Zeiten, in denen kritisch über die Möglichkeiten einerständigen Verfügbarkeit der Energieversorgung diskutiert wird,kann die Abhängigkeit von technischen Einrichtungen eine trü-gerische Sicherheit vorgaukeln.6 Sowohl perspektivisch steigendeEnergiekosten, als vor allem der im schlimmsten Fall zu erwar-tende Ausfall von Elektrizität über einen längeren Zeitraum,brachten das Archiv in den Planungen dazu, auf den unnötigenEinsatz von Technik zu verzichten. Ziel war deshalb hier, einePlanung zu realisieren, die das Eintreten eines Brandereignissespraktisch ausschließen sollte. Auf eine bauseitig vorgeseheneautomatische Löschanlage sollte im Zuge der Überlegungen ver-zichtet werden. Das Magazin wurde dazu in relativ kleineBrandabschnitte von rd. 300 m2 geteilt. Die Versorgungsleitungenwurden in einen zentralen Flurbereich gelegt, der brandschutz-technisch von den Magazinräumen getrennt ist; in die einzelnenMagazine wurden nur die Leitungen gelegt, die für den Betriebzwingend notwendig sind. Dadurch konnten Wasserleitungenkomplett aus den Magazinen gehalten werden, die Leitungen fürElektrizität beschränken sich auf die Beleuchtung und einzelne

Magazingeschoss (Quelle: Stephan Braunfels Architekten)

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Steckdosen und im Schwachstrombereich auf die Fühler für dieBrandmeldeanlage, für Temperatur und Feuchtigkeit. Bis auf denSchwachstrom werden die Magazine nach Dienstschluss über dieGebäudeleittechnik stromlos geschaltet, um das Risiko von kurz-schlussbedingten Bränden zu minimieren. Selbstredend wurde inden Magazinräumen auf den Einsatz von brennbarenMaterialien beim Bau und der Ausstattung weitestgehend ver-zichtet. Ziel für die Lagerung der Archivalien ist zudem eineflächendeckende Verpackung in Mappen und Kartons, die dasBrandrisiko nochmals signifikant senkt. Im Vorfeld des Umzugswurden dazu noch rd. 20.000 lfm Archivgut entsprechend bear-beitet, so dass nur ein kleiner Teil der Archivalien noch nicht ver-packt ist. Gleichwohl musste für den großzügig gestaltetenöffentlichen Bereich aus brandschutzrechtlichen Gründen eineSprinkleranlage eingebaut werden, die allerdings vom Magazingrundsätzlich getrennt ist.

DIE WEITERE ENTWICKLUNG Der Magazintrakt des Ernst-Posner-Baus ist weitgehend fertigge-stellt und ab November 2009 soll der Einzug der Archivalienund Bücher vonstatten gehen. Da die beiden denkmalgeschütztenGebäude, die danach umgebaut werden sollen, aktuell noch alsprovisorische Magazine genutzt werden, können auch erst nachdem Umzug die entsprechenden Baumaßnahmen durchgeführtwerden. Ein Ende der gesamten Baumaßnahme ist für dasFrühjahr 2012 angesetzt. Dann werden neben dem Magazin auchdie übrigen Flächen der Nutzung übergeben werden.Aber auch 2012 wird nicht den Endpunkt der baulichen Aktivi-täten des Bundesarchivs in dieser Liegenschaft markieren. Wiealle Archive ist auch das Bundesarchiv eine Einrichtung mitwachsendem Bedarf an Magazinflächen und ggf. auch Personal.Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt keine Langfristprognosenüber die Auswirkungen der Umstellung auf digitale Akten-führung abgegeben werden kann, so darf doch festgehalten wer-den, dass in der näheren Zukunft sicherlich mit substantiellemZuwachs an Archivgut gerechnet werden muss. Die Liegenschaft Berlin-Lichterfelde bietet grundsätzlich besteBedingungen für eine langfristige Perspektive des Bundesarchivsan diesem Standort. Deshalb hat sich das Bundesarchiv entschie-den, gemeinsam mit dem Bundesamt für Bauwesen undRaumordnung einen städtebaulichen Wettbewerb über diezukünftige Bebauung des Geländes auszuloben. Der Masterplansoll helfen, verschiedene Fragen zu beantworten. Zum einenbefindet sich die Liegenschaft in einem Gebiet mit überwiegen-der Wohnbebauung. Vor allem der Bezirk Steglitz-Zehlendorf legtdeshalb besonderen Wert auf eine verträgliche Bebauung derLiegenschaft im Zuge der weiteren Verdichtung des Standortes.Im Rahmen des Masterplans soll deshalb geklärt werden, ob und wie die Vorstellungen des Bundesarchivs, hier auf lange Sichtrd. 500.000 lfm Archivalien zu verwahren und Arbeitsplätze fürrd. 850 Mitarbeiter bereitzustellen, auf verträgliche Art realisiertwerden können. Hierzu müssen ggf. auch baurechtliche Vorgabengeklärt werden, damit einem späteren Ausbau nichts im Wegesteht.Zum anderen soll aber diese Planung auch auf die funktionalenAnforderungen des Bundesarchivs optimiert werden. Hier spieltvor allem die Frage nach den Wegen und den Anbindungen derGebäude untereinander eine wichtige Rolle. Ziel sollte es hiersein, eine möglichst kompakte Anordnung der Magazinflächen

zu erreichen, um unnötige Transportwege zu minimieren.Und letztlich soll in dem Masterplan auch eine städtebaulich-ästhetische Antwort auf die Ausbaupläne des Bundesarchivsgefunden werden. Dazu gehört auch die Frage, welche Bereicheder Liegenschaft zukünftig als Parkflächen der Allgemeinheitzugänglich sein sollen und welche Bereiche aus Sicherheits-gründen für die interne Logistik des Archivs reserviert bleiben.Der Wettbewerb befindet sich zur Zeit der Niederschrift diesesTextes in seiner Endphase, das Ergebnis wird voraussichtlichgegen Ende des Jahres 2009 vorliegen.

ARCHIVBAUKOLLOQUIEN In die Diskussion zum Archivbau ist wieder Schwung gekommen– diesen Eindruck konnte man haben, als im Januar 2008 rd. 80Archivarinnen und Archivare aus ganz Deutschland und dembenachbarten Ausland den Weg ins Bundesarchiv nach Berlinfanden. Anlass war das erste Archivbaukolloquium, das alsAuftaktveranstaltung für informelle Treffen der mit Bauvorhabenbetrauten Archivarinnen und Archivare wie auch sonstiger betei-ligter Planer, Bauverwaltungen etc. gedacht war. Angeregt vonKollegen aus dem Berlin-Brandenburger Raum sah sich dasBundesarchiv für die grundsätzliche Koordinierung dieses undder folgenden Kolloquien in der Pflicht.Bei dem ersten zweitägigen Treffen in Berlin, das ausdrücklichauch zu einer interdisziplinären Diskussion anregen wollte,wurde am ersten Tag aus Sicht von Archiven und Fachplanernüber Fragen der Klimatisierung von Magazinen, der Realisierungeines vernünftigen Brandschutzes referiert sowie über die Überar-beitung des DIN Fachberichts 13, der in der Neuausgabe derBau- und Ausstattungsplanung auch der öffentlichen Bibliothe-ken und Archive dienen soll. Der zweite Tag war der informellenAussprache der Teilnehmer zu freien Themen gedacht. DieThemen waren dabei so vielfältig wie die Probleme und Fragender Anwesenden. Der erreichte Erfahrungsaustausch sollte dabeizum einen konkrete Fragen vor Ort klären oder doch zumindestAnregungen bieten und zum anderen der Netzwerkbildung indiesem spannenden fachlichen Bereich dienen.7

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4 Die korrekten klimatischen Bedingungen für die Lagerung papierenenArchivgutes werden immer wieder diskutiert. Nicht ohne Grund sind dieAngaben im Anhang B der DIN 11799 nicht normativ. Auch aus den fachli-chen Diskussionen der Restauratoren häufen sich Aussagen, dass dieTemperatur nicht so zentral für den Erhaltungszustand sei. Zwingend seiallerdings die Konstanz im Bereich der relativen Luftfeuchtigkeit. So zuletztauch eine Aussage von Prof. Fuchs auf einem Kolloquium in Köln im Februardes Jahres 2009.

5 Zwischen Fertigstellung des Rohbaus und dem Einzug liegt rund ein Jahr.Die Entfeuchtung des Gebäudes wurde allerdings auch baubegleitend vorge-nommen. Nach der Fertigstellung einer Geschossdecke wurden in der da-runter liegenden Etage in jedem Magazinraum zwei Entfeuchter gehängt, dierund um die Uhr im Einsatz waren.

6 So skizziert das Gründbuch des Zukunftsforums öffentliche SicherheitSzenarien, die zu einem totalen Stromausfall in Deutschland führen könnten,in diesen Fällen wären technische Lösungen für die Realisierung desBrandschutzes komplett wirkungslos. Siehe Risiken und Herausforderungenfür die öffentliche Sicherheit in Deutschland, hrsg. von Gerold Reichenbach,Ralf Göbel, Hartfrid Wolff und Silke Stokar von Neuforn, Berlin/Bonn 2008,www.zukunftsforum-oeffentliche-sicherheit.de/gb-downloads/(zuletztbesucht am 7.9.2009).

7 Das Programm findet sich unter: www.bundesarchiv.de/aktuelles/neubau/01605/index.html auf der Webseite des Bundesarchivs werden auch die An-kündigungen zu weiteren Kolloquien zu finden sein (zuletzt besucht 8.9.2009).

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AUFSÄTZE

Bereits im Herbst 2008 fand das zweite Kolloquium am Rand desArchivtags in Weimar statt. Der besonderen Situation derArchive, Bibliotheken und Museen Weimars geschuldet, warendie Themen dieses Treffens: Umbau denkmalgeschützterGebäude zu zweckmäßigen Archiv- und Bibliotheksbauten unddie Realisierung von Barrierefreiheit in einem solchen schwieri-gen Umfeld. Eine Aussprache zum Bereich der Adaption beste-hender Gebäude für Archivzwecke folgte im Anschluss an dieVorträge. Abgerundet wurde das Kolloquium durch mehrereFührungen, die durch die Weimarer Kollegen organisiertwurden.8

Im Mai 2009 trafen sich die Kolleginnen und Kollegen im sächsi-schen Freiberg, um über wirtschaftliche Fragen im Umfeld vonBaumaßnahmen zu diskutieren. Dabei reichte die Spannbreiteder Vorträge von der Planung archivübergreifender Archivzentrenbis zu den Anforderungen an eine sinnvolle und wirtschaftlichePlanung der Regalausstattung eines Magazins. Am Vorabend derVeranstaltung gab es die Gelegenheit, den frisch fertiggestelltenMagazinzweckbau des Hauptstaatsarchivs in Dresden zu besich-tigen, dessen Konzept eines Passivhauses auch in einem Vortragim Detail vorgestellt wurde.9

In Freiberg beschlossen die Anwesenden, vom halbjährlichenRhythmus der Veranstaltung auf eine einmal pro Jahr stattfin-dende Tagung zu wechseln. Aktuell ist geplant, das nächsteKolloquium in Nordrhein-Westfalen im nächsten Frühjahr statt-finden zu lassen. Das Thema wird voraussichtlich „Sicherheit imArchiv“ sein; der genaue Termin und der Veranstaltungsort wer-den noch rechtzeitig bekannt gegeben.

Dr. Sebastian Barteleit

BundesarchivReferatsleiter G 3 - BestandserhaltungFinckensteinallee 63, 12205 BerlinTel. 03018-7770-281, Fax 03018-7770-111E-Mail: [email protected]

8 Das Programm findet sich unter: www.bundesarchiv.de/imperia/md/con-tent/abteilungen/abtg/g3/archivbaukolloquium.doc (zuletzt besucht8.9.2009).

9 Das Programm findet sich unter:http://www.archiv.sachsen.de/download/Programm_Baukolloquium.pdf (zuletzt besucht 8.9.2009).

THE NEW BUILDING OF THE BUNDESARCHIV INBERLIN-LICHTERFELDE

The new building of the Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde willgive shelter to approximately 125.000 linear meters of files andbooks. Together with modern facilities for usage of the archives andfunctional rooms for the internal work of the Bundesarchiv thisbuilding will help the archive to face the challenges of the presentand the future. A concept for the future design of the area iscurrently in progress and will guarantee that the Bundesarchiv hasthe opportunity of further capacities for material and people in thenext decades or even centuries. To promote questions related toarchive buildings the Bundesarchiv established a tradition ofconferences to this topic.

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Das die Baumaßnahmen begründende und von Kabinett undLandtag zustimmend zur Kenntnis genommene Gutachten ausdem Jahr 2001 bezieht sich auf den Unterbringungsbedarf desSächsischen Staatsarchivs bis zum Jahr 2020. Es geht vonStandorten in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Freiberg und Werms-dorf aus. Im Ergebnis der Auseinandersetzungen der Archivver-waltung mit dem Landesrechungshof ist für 2010 eine Evaluationder geforderten Magazinkapazitäten geplant.Inzwischen sind, ausgehend von Nutzerforderungen, die unterBeachtung der Spezifik einzelner Archive gleiche Standards füralle Standorte formulierten, baulich fertig gestellte und bezogeneArchivgebäude entstanden, die durch ortstypische Besonder-heiten und die Handschriften der jeweiligen Architekten geprägtsind. Das Bergarchiv Freiberg nutzt statt des ursprünglich geplan-ten Neubaus angemietete Flächen im sanierten Schloss Freuden-stein und befindet sich dort in Gemeinschaft mit einer musealenEinrichtung. Im Frühjahr 2009 wurde dem Staatsarchiv dasArchivzentrum Hubertusburg übergeben, das für alle Standortedes Staatsarchivs die klimatisierten Spezialmagazine, den Bereichder audio-visuellen Medien und die Zentralwerkstatt für Er-haltung von Archiv- und Bibliotheksgut beherbergt. In Dresdenist der Magazinneubau seit November letzten Jahres bezogenund die Sanierungsarbeiten an den Bestandsgebäuden laufenplanmäßig. Für die Abteilung Chemnitz wird seid mehrerenJahren nach einem langfristigen Mietobjekt gesucht. Zwischen-zeitlich konnten in Chemnitz die Arbeitsbedingungen für Benutzer und Archivare durch die Umgestaltung von Öffentlich-keits- und Werkstattbereich deutlich verbessert werden.

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EINLEITUNG

Für die mit Gründung des Freistaates Sachsen an diesen überge-benen staatlichen Archive musste im Jahr 1990 eine den archiv-fachlichen Anforderungen ungenügende bauliche Unter-bringung konstatiert werden.1 Diese Situation verschärfte sichdurch das in Verbindung mit der staatlichen Neuordnung zahl-reich in die Archive strömende Schriftgut aufgelöster Behörden,Parteien und Massenorganisationen sowie ehemals volkseigenerBetriebe. Die Lösung der Unterbringungsproblematik galt daherseit Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts als eine derwesentlichsten Aufgaben im staatlichen Archivwesen Sachsens.Ein erstes funktionsgerechtes Gebäude konnte 1994 an dasStaatsarchiv Leipzig übergeben werden.2 Wurde dieser Bau inner-halb kurzer Zeit geplant und umgesetzt, verzögerten sich alleweiteren Maßnahmen um mehrere Jahre. In Verbindung mit derBildung des Archivverbundes Bautzen gelang es dann 2001 dasArchivgut der Oberlausitz im Magazinneubau für das Staats-filialarchiv Bautzen fachgerecht zu lagern.3

Dauerhafte Lösungen für die Archive in Chemnitz, Dresden undFreiberg zeichneten sich jedoch lange Zeit nicht ab. Die Standorteund der von der Archivverwaltung ermittelte Flächenbedarf wur-den wiederholt hinterfragt. Erst ein im Auftrag des Finanzminis-teriums 2001 von der Firma Arthur Anderson erstelltes Gutachtenführte zum Abschluss des über mehrere Jahre laufenden Abstim-mungsprozesses zwischen Innen- und Finanzressort und zurAnerkennung des Baubedarfs. Die Kabinettsentscheidung vom08.01.2002 gab das Signal, die erforderlichen Baumaßnahmen indie Wege zu leiten. Innerhalb kürzester Zeit konnten auf Grund-lage der bereits erarbeiteten Nutzerforderungen für das Haupt-staatsarchiv Dresden, das Bergarchiv Freiberg und das Archivzen-trum Hubertusburg in Wermsdorf die Bauanträge erstellt und zurGenehmigung vorgelegt werden. Eine Prüfung der Bauvorhabendurch den Landesrechnungshof verzögerte ab Sommer 2003 er-neut die Realisierung des Unterbringungsbedarfs.4 Mit der sym-bolischen Grundsteinlegung in Schloss Freudenstein in Freibergam 01.07.2004 konnten dann die Planungen zunächst nur für dasBergarchiv, später auch für das Hauptstaatsarchiv Dresden unddas Archivzentrum Hubertusburg wieder aufgenommen werden.

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UM- UNDERWEITERUNGSBAUTENFÜR DAS SÄCHSISCHESTAATSARCHIV von Peter Hoheisel, Bernd Scheperski und Pe

tra Sprenger

1 Jürgen Rainer Wolf: Das Sächsische Staatsarchiv: Neuformierung desStaatlichen Archivwesens in Sachsen. In: Der Archivar 59 (2006) H 2, S. 154ff.; ders.: Das Archivwesen im Freistaat Sachsen seit 1990 – eine vorläufigeBilanz. In: Comma, International journal on archives (2004) H. 3-4, S. 125.

2 Volker Jäger: Sächsisches Staatsarchiv Leipzig – Erster Archivzeckbau in denneuen Bundesländern. In: Der Archivar 50 (1997) H. 1, S. 61 ff.

3 Grit Richter-Laugwitz; Eröffnung des Archivverbundes Bautzen. In:Sächsisches Archivblatt (2001) H. 2, S. 1 f.

4 Jürgen Rainer Wolf. Das Sächsische Staatsarchiv (Anm. 1); Volker Jäger:Archivbauten. Möglichkeiten und Grenzen. Erfahrungen aus demSächsischen Staatsarchiv. Vortrag auf dem Sächsischen Archivtag 2009.Druck in Vorbereitung.

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AUFSÄTZE

Zwei aktuelle Beispiele sollen nachfolgend die Umsetzung fach-licher Anforderungen an Archivbauten des Sächsischen Staats-archivs vorstellen: zum einen die Adaption einer Schlossanlagefür das Bergarchiv Freiberg, zum anderen der Erweiterungsneu-bau für das Hauptstaatsarchiv Dresden.

DAS BERGARCHIV FREIBERG IMSCHLOSS FREUDENSTEIN

Das Bergarchiv

Das Bergarchiv Freiberg ist, gemessen am Umfang seinerBestände und an seinen Benutzerzahlen, die kleinste Abteilungdes im Jahr 2005 gegründeten Sächsischen Staatsarchivs. Es istaber auch gemeinsam mit dem Hauptstaatsarchiv Dresden eineder ältesten staatlichen Archiveinrichtungen in Sachsen, die alseigenständige Einheit wahrgenommen wird. Das landesherrlicheBergbauregal setzte sich in Sachsen (im Gegensatz zu anderenTerritorien) vollständig durch, so dass sich im albertinischenSachsen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts eine Bergbau-verwaltung als eigener Zweig der Finanzverwaltung heraus-bildete. Die Unterlagen dieses Verwaltungszweiges wurden in den Bergämtern bzw. im seit Anfang des 17. Jahrhunderts nachge-wiesenen Oberbergamt in Freiberg verwahrt. Im Jahr 1679 wurdeauf Initiative des Oberberghauptmanns Abraham von Schönbergfür das Oberbergamt ein neues Gebäude erworben, das vor allemauch die Möglichkeit eröffnete, die Unterlagen und Risse derBergverwaltung angemessen und sicher zu verwahren. DiesesDokument gilt als erste Erwähnung des Bergarchivs. Angekauftwurde der Schönlebe-Hof in der Freiberger Kirchgasse. Er istnoch heute Sitz des Oberbergamts Freiberg und war gleichzeitigSitz des Bergarchivs bis zum Jahr 2008. Der Zuwachs anUnterlagen, den das Bergarchiv im Jahr 1868 infolge des allgemei-nen sächsischen Berggesetzes erfuhr, führte nicht zu einerVergrößerung der Nutzfläche des Archivs – dieses war zu diesemZeitpunkt im eigentlichen Sinne kein Archiv, sondern dieAltregistratur des Oberbergamts. Zusätzlichen Raumbedarf ver-suchte man durch groß angelegte Kassationen vermeintlich nichtmehr benötigten Registraturgutes zu befriedigen. Dass damitgleichzeitig auch historische Quellen vernichtet wurden, bemerk-ten die Archivare des seit 1834 bestehenden SächsischenHauptstaatsarchivs in Dresden bereits frühzeitig. Alle Versuche,das Archivgut der Bergverwaltung in Freiberg zu sichern unddurch einen Facharchivar bearbeiten zu lassen, führten jedochnicht zum Erfolg. Erst im Jahr 1967 wurde das Bergarchiv aus der Bergverwaltung herausgelöst und der Archivverwaltung derDDR unterstellt. Als rein historisches Archiv war es fortan eineAußenstelle des Hauptstaatsarchivs Dresden. Als nun wiederumim Jahr 1990 durch den Zusammenbruch der staatlichenStrukturen der DDR eine große Menge an Unterlagen an dasBergarchiv abgegeben wurde (der Umfang des verwahrtenArchivgutes verdoppelte sich), wurde etwa 40 Gehminuten vonder Freiberger Innenstadt entfernt ein Depotgebäude angemietet.Die Unterlagen waren damit vorläufig gesichert. Allerdings stelltenun die Benutzung der Unterlagen ein erhebliches Problem dar.Um Transporte von Archivalien so weit wie möglich zu vermei-den, wurde ab dem Jahr 2000 auch im Depot ein Benutzerraum

eingerichtet, der mit dem Benutzerraum im Oberbergamt imWechsel betrieben wurde. Da diese Benutzungsmöglichkeitenalles andere als ideal waren, die Kapazitäten der Magazine inzwischen auch wieder erschöpft waren und zudem vermehrt klimatische Probleme im Magazinbereich auftauchten, die sichnur durch umfangreichere Baumaßnahmen beheben lassen würden, wurde seit dem Jahr 2001 intensiv an den Plänen füreine grundlegende Lösung gearbeitet: einem Neubau. DerArchitektenwettbewerb stand bereits kurz vor der Ausschrei-bung, als sich im Jahr 2004 eine gänzlich neue Perspektive er-öffnete. Die TU Bergakademie Freiberg suchte kurzfristig einenPartner mit großem Raumbedarf, um die Pohl-StröherscheMineraliensammlung im Schloss Freudenstein unterbringen zu können.

Das Schloss Freudenstein in Freiberg

An der Nordwestecke der ehemaligen Stadtbefestigung gelegen,ist das Schloss Freudenstein neben dem Dom der zentraleBaukörper der Freiberger Innenstadt. Im 16. Jahrhundert wurdeauf den Grundmauern der hochmittelalterlichen Freiberger Burgvom wettinischen Baumeister Hans Irmisch ein Renaissance-Schloss errichtet, welches dem Repräsentationsbedürfnis desLandesherrn entsprach. Zwar diente das Schloss weniger alsResidenz (hier waren Torgau und später Dresden bedeutender),allerdings war bis zum Übertritt Augusts des Starken zumKatholizismus der Freiberger Dom die Grablege der albertini-schen Wettiner. Genutzt wurde das Schloss dementsprechend vor allem für die Ausrichtung standesgemäßer Begräbnisfeier-lichkeiten. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts verfiel das Schlosszunehmend und war nach einer preußischen Einquartierunginfolge der Schlacht bei Freiberg im Siebenjährigen Krieg gänzlich ruinös. Eigentümer der Anlage wurde nun der sächsi-sche Militärfiskus, welcher den Gebäudekomplex Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Lagerhaus umbaute. Renaissance-Schmuckelemente verschwanden weitgehend, Stockwerke undTraufhöhen der einzelnen Gebäude wurden einander angepasst,die Deckenkonstruktionen im Inneren wurden entfernt unddurch eine zweckmäßige Lagerhausarchitektur ersetzt. Denneuen, niedrigen Deckenhöhen entsprechend wurden die altenFenster zugemauert und kleine Lagerhausfenster in die Fassadegebrochen. Zwar blieb der Name der Anlage – SchlossFreudenstein – erhalten. De facto war es aber nun ein reinerZweckbau, nach funktionalen Gesichtspunkten ausgestattet.Genutzt wurde er von allem, was in Freiberg Lagerraum benötig-te. Vornehmlich diente er aber der Lagerung von Getreide. Dafür wurde der Bau bis zum Jahr 1979 genutzt, zuletzt durchden „Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetrieb“ VEAB.Nach 1945 wurde in die Erhaltung der Bausubstanz wenig inve-stiert. Zwar war der „Meisterbereich Denkmalpflege“ der StadtFreiberg seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts im Schlossuntergebracht und führte immer wieder auch Sicherungs- undRestaurierungsmaßnahmen durch. Der fortschreitende Verfallder Anlage konnte damit allerdings nicht aufgehalten werden.Nach 1990 gab es immer wieder Ansätze, den Schlossbau für dieunterschiedlichsten Zwecke zu nutzen. Auch für das Bergarchivexistierten schon Anfang der 90er Jahre Vorstellungen, dieses imSchloss Freudenstein unterzubringen. Realisiert wurden dieseersten Pläne nicht.

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Restaurierung und Umbau

Wer letztlich den entscheidenden Anstoß gab, die MineralogischeSammlung der TU Bergakademie Freiberg und das Bergarchivgemeinsam als wesentliche Nutzer im Schloss Freudensteinunterzubringen, ist nicht mehr völlig zweifelsfrei festzustellen.Einen ganz entscheidenden Anteil daran hat mit Sicherheit derdamalige Rektor der Bergakademie, Prof. Georg Unland, dem esgelang, unterschiedliche Partner aus Politik, Verwaltung,Wissenschaft und Kultur für dieses Vorhaben zu begeistern.Einen Großteil der Finanzierung übernahm der „EuropäischeFonds für regionale Entwicklung“ (EFRE). Der Baukomplexwurde im Jahr 2004 von der Stadt Freiberg von einem privatenInvestor zurückgekauft. Die Stadt Freiberg war damit für diebevorstehenden Baumaßnahmen Bauherr und derHauptverantwortliche für das Gesamtgeschehen. Das BergarchivFreiberg als Teil des Sächsischen Staatsarchivs brachte sich alseiner der zukünftigen Nutzer frühzeitig ein, ebenso dieBergakademie Freiberg. Am Gesamtvorhaben waren die verschie-densten Institutionen und Einrichtungen beteiligt. DasStaatsarchiv ist eine nachgeordnete Landesoberbehörde desSächsischen Staatsministeriums des Innern, die Bergakademieeine Körperschaft unter der Aufsicht des SächsischenStaatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Die vomFreistaat über die zukünftigen Nutzer in das Vorhaben einzu-bringenden eigenen Geldmittel wurden koordiniert durch dasSächsische Finanzministerium, d. h. durch den StaatsbetriebSächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB). Im Laufedes Gesamtvorhabens kam noch ein weiterer Partner hinzu: dasausführende Architekturbüro AFF. Diese große Zahl anBeteiligten und ein Investitionsvolumen von rund 34 Mio. €machten es sinnvoll, zur Koordination aller Akteure und derEinzelvorhaben einen professionellen Projektsteuerer zu beauf-tragen. Begleitend koordinierte der Projektsteuerer die Öffentlichkeitsar-beit. In der Stadt wurde ein Infopunkt eingerichtet, in dem überden jeweiligen Stand des Bauvorhabens und über die zukünfti-gen Nutzer des Schlosses informiert wurde. Der Inhalt des Teilsder Präsentation, der sich mit der „eigenen“ Stelle befasste,wurde von den Nutzern eigenverantwortlich gestaltet, alleEinzeldarstellungen wurden dann von einem professionellenAusstellungsgestalter äußerlich aufeinander abgestimmt. DerInfo-Punkt war zunächst im Keller des Baukomplexes unterge-bracht, im gotischen Gewölbe der ehemaligen Schlossgaststätte.Mit zunehmendem Fortschritt der Arbeiten musste derInfopunkt dann in einen Container vor dem Schlosshof umzie-hen, Teile der Ausstellung wurden in der Nikolaikirche gezeigt.Darüber hinaus initiierte und organisierte der Projektsteuerereine Wanderausstellung, welche das Gesamtprojekt in Sachsenund Deutschland vorstellte. Diese Ausstellung war unter anderemin den Dresdener Ministerien und auch im Jahr 2007 im „Hausder Geschichte“ der Freiberger Partnerstadt Darmstadt zu sehen.Ebenso berichtete das Freiberger Lokalfernsehen „eff3“ in regel-mäßigen Abständen über den Baufortschritt und fertigte zumAbschluss eine filmische Gesamtdokumentation an.

Der Architektenwettbewerb

Der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs gingen umfang-reiche konzeptionelle Arbeiten voraus. Als glücklich erwies sichder Umstand, dass bereits im Zuge des Anderson-Gutachtensvon 2001 für sämtliche Standorte des Staatsarchivs eineNutzerforderung erarbeitet worden war, auf die nun zurückge-griffen werden konnte. Damit waren die Größenordnungen,Standards, Anzahl und Funktionalität der Räume sowie ihreZuordnungen zueinander schon sehr früh festgeschrieben. Dieeuropaweite Ausschreibung startete im August 2004 und schlossim Januar 2005 ab. Die Wertungskommission bestand aus fünfFachpreisrichtern (Architekten), vier Sachpreisrichtern und sechsSachverständigen unter dem Vorsitz von Frau Prof. Hilde Léon,Berlin. In langen und teilweise auch kontrovers geführtenDiskussionen einigte man sich auf einen Entwurf desArchitekturbüros AFF der Brüder Martin und Sven Fröhlich ausBerlin. Dieser Entwurf stellte aus Sicht des Bergarchivs einenGlücksfall dar. Zwar schreckte er nicht vor radikalenEinschnitten in die historische Bausubstanz zurück. Allerdingslöste er alle funktionalen Probleme, die ein historischer Bau fürein Archiv mit sich bringt, auf elegante Weise. Der Siegerentwurfschlug einen Neubau vor, der lediglich die Außenhülle desSchlosses weiter nutzte. Auf diese Weise konnten alle technischenVorgaben erreicht werden, was Klimawerte im Magazin,Geschosshöhen, Deckentragfähigkeit und Raumgrößen anging.Nur in wenigen Ausnahmefällen wurden die historischenInneneinbauten (Holz-Speicherkonstruktion) beibehalten. DerEntwurf überzeugte alle Beteiligten, so dass das Büro AFF mitder Ausführungsplanung und gleichzeitig auch mit derBauleitung beauftragt wurde. Insgesamt nutzt das Bergarchiv gut 50 % der vorhandenenNutzfläche, welche das Schloss Freudenstein bietet. Die anderen50 % werden von der „Terra Mineralia“ sowie einemGastronomiebetrieb belegt. Vor Beginn der Bauarbeiten wurdendurch das Landesamt für Denkmalpflege umfangreicheErkundungs- und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Sokonnten beispielsweise im Neuen Schlosshof Grundmauern derFreiberger Burg und des Bergfrieds nachgewiesen und gesichertwerden. Insgesamt erwies sich die Denkmalpflege als ein verläss-licher Partner, der nicht nur von allen Beteiligten Zugeständnisseabforderte, sondern auch seinerseits im Interesse derDurchführung des Gesamtprojektes zu Kompromissen bereitwar. Auch in der Öffentlichkeit sorgte der Umgang mit der histo-rischen Bausubstanz für Diskussionen. Kritisch gesehen wurdeund wird beispielsweise, dass Teile der spätgotischen Kelleranlagebei der Einbringung der statischen Stützkonstruktion für denArchivkörper zerstört und letzte Pfeilerreste der ehemaligenSchlosskapelle entfernt wurden. Andererseits muss den Kritikernentgegengehalten werden, dass Teile der historischenBausubstanz durchaus in den Neubau integriert wurden(Mauerwerk, Holzeinbauten der Speicherkonstruktion) und nurauf diese Weise die Errichtung eines Baukörpers möglich wurde,der allen Anforderungen an einen modernen Archivbau ent-spricht.

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AUFSÄTZE

Das Bauprinzip

Für das Bergarchiv sah der Entwurf die beiden Gebäudeteile„Kirchenflügel“ und „Großer Turm“ vor. Im Kirchenflügel,benannt nach der Schlosskapelle des Renaissance-Baus, der sichan der Ostseite des Gesamtkomplexes befindet und die Ostseitedes „Neuen Schlosshofs“ begrenzt, sollten die Öffentlichkeitsbe-reiche mit Lesesaal und Ausstellungsfoyer im Erdgeschoss sowieMagazine in den Obergeschossen untergebracht werden. Der„Große Turm“, ein quadratisches Gebäudeteil, das sich imSüdosten an den Kirchenflügel anschließt, war für die Werkstatt,die Verwaltungsbereiche und weitere Magazine vorgesehen. DasBauprinzip ist in beiden Bauteilen gleich: In die historischenAußenmauern wird ein nach funktionellen Gesichtspunktengeplanter Neubau aus Beton gesetzt. Im Kirchenflügel wurde dafür ein „Haus im Haus“ konstruiert,ein Monolith aus Beton, der mit den Außenwänden nur über ein-zelne Verbindungselemente Kontakt hält (s. Abb. oben). Diese „Arche“ ermöglicht es, archivfachliche Anforderungen gutumzusetzen. Der innere Baukörper ist auf Fels gegründet, wel-

cher in Freiberg hoch ansteht und im Stadtgebiet nur wenigeMeter unter der Erdoberfläche zutage tritt. Die Lasten des Maga-zinbaus können so optimal abgefangen werden. Auf alle Ebenenwird eine maximale Deckenbelastbarkeit von 12,5 kN/m²erreicht. Ebenso bewirkt das Haus-im-Haus-Prinzip, dass derinnere Baukörper luftumspült ist und für eine Art natürlicheDämmung der Außenwand sorgt. Die „Arche“ steht auf drei„Füßen“, welche eine lichte Höhe von etwa fünf Metern errei-chen. Die freien Räume, die zwischen den Füßen entstehen, wer-den durch die Öffentlichkeitsbereiche genutzt. Ausstellungsraumund Lesesaal werden durch den Mittelfuß voneinander getrennt.Oberhalb der Öffentlichkeitsbereiche befinden sich imKirchenflügel übereinander vier Magazinetagen. Die „Arche“erreicht eine Gesamthöhe von rund 12 Metern. Da die histori-schen Außenwände und der Innenbaukörper funktionell nichtmiteinander verbunden sind, ist es zwingend notwendig, beideElemente konstruktiv gegeneinander zu sichern, um den auf derAußenfassade lastenden Windruck abzufangen. Dies geschiehtüber Verbindungselemente, die auf der Höhe der ehemaligenSpeicherfenster eingebaut wurden. Diese Verbindungselemente

Bergarchiv Freiberg - Rohbau (Foto: Jens Kugler)

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wurden allerdings weiter aus den Fenstern heraus geführt undsind als „Nasen“ von außen sichtbar (s. Abb. oben). Dies war ausstatischen Gründen nicht notwendig; vielmehr gestalten dieseElemente auf unkonventionelle Weise die Außenfassade, welcheansonsten den Eindruck einer Speicherfassade des 19. Jahr-hunderts vermittelt hätte. Dieses Gestaltungselement wurde von den Architekten „Hutze“ getauft und damit ein neues archi-tektonisches Gestaltungselement kreiert. In der Öffentlichkeitwird diese Fassadengestaltung durchaus kritisch zur Kenntnisgenommen. Sie regt zur Diskussion an und verleiht dem Baugleichzeitig eine gewisse Authentizität: Er lässt deutlich erken-nen, dass sich hinter der historischen Schlossfassade ein moder-ner, funktionaler Bau verbirgt. Der große Turm beherbergt vorrangig die Verwaltungs- undWerkstattbereiche des Bergarchivs. Hier wurden das Haus-im-Haus-Prinzip in abgewandelter Form weitergeführt: DasGebäude wurde ebenfalls entkernt und die Geschosshöhen wur-den modernen Anforderungen angepasst. Allerdings sind hier diehistorische Außenfassade und der innere Baukörper nicht von-einander getrennt; es handelt sich um einen klassischen Einbau

in die vorhandene Bausubstanz. Um die Lichtverhältnisse imBau den Anforderungen an Verwaltungsgebäude anzupassen, wares notwendig, in die historische Fassade neue Fensteröffnungeneinzusetzen. Soweit erkennbar, wurden die Fensterlaibungen desBestandes nach einer Forderung der Denkmalpflege aber nichtentfernt, sondern nur geschlossen und sind somit von außensichtbar. Im Erdgeschoss befinden sich die Werkstatträume. ImVorordnungsraum wurden die vorhandenen hölzernenSpeichereinbauten über eine Höhe von zwei Speichergeschossenbelassen. Die Zwischendielen wurden entfernt, so dass nun dieHolzkonstruktion über zwei Ebenen hinweg sichtbar ist. Überden Werkstattbereichen im Erdgeschoss befinden sich dreiEtagen, in denen der Verwaltungsbereich untergebracht ist. Hierbefinden sich die Mitarbeiterbüros sowie eine Reihe vonFunktionsräumen, wie bspw. der DV-Raum, Kopier- undReprographie-Räume, Bibliotheksraum, ein Besprechungsraumund ein Raum zur Erschließung von großformatigem Archivgut(Karten und Pläne). Neben den acht ständigen Mitarbeitern desBergarchivs sind hier über das Jahr verteilt bis zu 20 Projekt- undAushilfskräfte sowie Praktikanten unterzubringen. Bei der

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Bergarchiv Freiberg - Eingangsbereich (Foto: Sächsisches Staatsarchiv)

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AUFSÄTZE

Bemessung der Raumgröße und der Ausstattung wurde weiter-hin berücksichtigt, dass Archivare bei der Bearbeitung vonArchivgut mehr Raumfläche als normale Verwaltungsmitarbeitersowie zusätzliche Lagerungs- und Ablageflächen benötigen. Über dem Verwaltungsbereich sind zwei weitere Magazinetagenuntergebracht, welche allerdings über weniger Grundfläche ver-fügen als die Magazinetagen im Kirchenflügel.

Funktionalitäten

Das planende und ausführende Büro AFF hat sich soweit wiemöglich bemüht, im vorgegebenen Rahmen der Gebäudestruktureine größtmögliche Funktionalität umzusetzen. Das wurde durchden Umstand erleichtert, dass in großen Teilen für dasBergarchiv im historischen Baukörper ein Neubau entstandenist. Die einzelnen Funktionsbereiche sind klar voneinandergetrennt, aber doch auf kürzesten Wegen miteinander verbunden.Der Besucher betritt das Schloss Freudenstein über den NeuenSchlosshof durch das neu errichtete Eingangsgebäude. VomEingangsfoyer aus erreicht man die „Terra Mineralia“ und dasBergarchiv. Im Erdgeschoss des Kirchenflügels sind die Öffent-lichkeitsbereiche des Bergarchivs untergebracht. Direkt vomFoyer aus ist der 160 m² große Ausstellungsbereich zugänglich,welcher über eine Schiebetür mit dem Lesesaal bei Bedarf ver-bunden werden kann. Ebenso vom Foyer aus erreicht man denLesesaal. Der Benutzer wird von der Lesesaalaufsicht an einerLesesaaltheke empfangen. Der Lesesaal selbst gliedert sich in dreiBereiche: den Risslesesaal zur Einsichtnahme in großformatigeKarten und Risse, der mit großzügig dimensionierten Tischenausgestattet ist, den Aktenlesesaal auf der Empore, an dessenWand die Handbibliothek aufgestellt ist, und denFilmlesesaal/Technischen Lesesaal, der sich unter der Emporebefindet und der mit Türen vom übrigen Lesesaal abgeschlossenist. Im Filmlesesaal sind die Mikroformen – Mikrofilme und dieFiches der Karten und Risse – für die Benutzer frei zugänglichaufgestellt. Lediglich die Reponierung der benutzten Filme undFiches erfolgt durch das Personal des Bergarchivs. Ebenso befin-den sich im Lesesaal oberhalb der Lesesaaltheke zweiBenutzerräume, die für Gruppenarbeiten, AV-Medien oder klei-nere Besprechungen und Beratungen genutzt werden können. Inunmittelbarer Nähe zum Ausstellungsraum befinden sich dieLagerräume für Ausstellungstechnik sowie ein Arbeitsraum zurAusstellungsvorbereitung. Lange Transportwege durch dasGebäude können so weitgehend vermieden werden. Die Magazinräume befinden sich in den Obergeschossen desKirchenflügels und in den beiden obersten Stockwerken desGroßen Turms. Die Lesesaaltheke ist am Mittelfuß desBaukörpers im Kirchenflügel positioniert; direkt hinter derLesesaaltheke befindet sich die Aktenrücklage, von welcher ausdie darüber liegenden Magazinetagen direkt mit einem Aufzugverbunden sind. Durch diese Anordnung sind die Wege vomMagazin in den Lesesaal so kurz wie möglich gehalten. Von kei-ner Stelle des Magazins ist der Lesesaal weiter als höchstens einehalbe Gebäudelänge entfernt. In den Magazinen selbst wurde unter Einbeziehung eines pro-fessionellen Regalplaners auf eine optimale Raumausnutzunggeachtet. Alle Magazinetagen wurden mit Rollregalanlagen aus-gestattet; auf Standregale wurde bewusst verzichtet. Auf dieseWeise wurde es möglich, die Größe der Bediengänge relativ

klein zu halten, da bei Bedarf ja eine Kombination von zweiBediengängen möglich ist. Diesem Umstand kommt im Riss-und Kartenmagazin große Bedeutung zu, da hier mit großfor-matigem Archivgut hantiert werden muss und so ein einzelnerBediengang mit einer Breite von 2,40 m möglich ist. DieMagazinetagen sind mit einer lichten Höhe von 2,30 m verhält-nismäßig niedrig, was eine optimale Ausnutzung mit Regal-anlagen ermöglichte, aber auch bei zusätzlichen Technikein-bauten zu Kompromissen zwang. Da einerseits die Magazin-räume niedrig sind und andererseits für die Klimatisierung einkonstanter Luftstrom garantiert werden muss, sind die Lampennicht im rechten Winkel, sonder parallel zu den Regalwagenangeordnet. Dies führte wiederum dazu, dass in einigen Be-reichen zusätzliche Leuchten installiert werden mussten, umzumindest minimale Lichtbedingungen herstellen zu können.Die Magazine sind aktiv klimatisiert. Um den Wärmeeintrag zuminimieren, wird die Beleuchtung des Hauptbediengangs überBewegungsmelder gesteuert, so dass sich die Hauptbeleuchtungkurze Zeit nachdem der Mitarbeiter das Magazin wieder ver-lassen hat, selbsttätig ausschaltet. Bei Bedarf können für einzelneAbschnitte des Magazins separate Leuchtabschnitte hinzugeschaltet werden, die sich aber ebenfalls ausschalten, sobald sich kein Mitarbeiter mehr dort befindet. Zwei Regaletagen mit vier Räumen sind ausschließlich für dieLagerung von Karten, Rissen und Plänen vorgesehen, fünfRäume dienen der Aufnahme von Akten und ein weiterer Raumumfasst Bibliotheksgut. Bei der Kartenlagerung wurde auf denEinsatz von Kartenschränken bewusst verzichtet. Stattdessenkamen Regalwagen mit großer Tiefe und einer hohen Anzahl vonRegalfächern zum Einsatz, die wiederum über eine geringe Höheverfügen. Die Karten werden in Kartenmappen eingelagert, vondenen jeweils zwei pro Fach Platz finden. Von den rund 65.000Karten und Plänen des Bergarchivs ist der größte Teil plan gelegt,aber für einen geringen Teil (v. a. Überformate) mussten auchMöglichkeiten der Rollrisslagerung geschaffen werden. Erreichtwurde dies ebenfalls durch Regalwagen mit großer Fachtiefe,jedoch größeren Fachhöhen. Bei vier Regalwagen wurden zusätz-lich Möglichkeiten geschaffen, die Wagen bei Bedarf zu koppeln,was allerdings wiederum Sonderkonstruktionen bei derQuerversteifung der Regale erforderte.Der Verwaltungsbereich befindet sich im so genannten „GroßenTurm“ und erstreckt sich über drei Etagen. Die Geschosse sindüber Treppen miteinander verbunden und sind um ein „Atrium“herum angeordnet, einen gemeinsamen Innenhof. DieAtmosphäre ist dadurch ausgesprochen kommunikativ und ent-spricht in angenehmer Weise nicht dem gängigen Klischee tradi-tioneller Verwaltungsbauten. Die Magazine sind von jeder derdrei Verwaltungsetagen bequem zu erreichen. Untergebracht sindim Verwaltungsbereich die Diensträume der Mitarbeiter undAushilfskräfte und Funktionsräume.Ebenso im „Großen Turm“ befindet sich die Werkstatt. DasKonzept für die Restaurierungswerkstätten im SächsischenStaatsarchiv sieht vor, dass Restaurierungsarbeiten vorrangig inder Zentralwerkstatt für die Erhaltung von Archiv- undBibliotheksgut im Schloss Hubertusburg in Wermsdorf durchge-führt werden. Dementsprechend kommen den Hauswerkstättenvor allem koordinierende Funktionen für die Abwicklung vonRestaurierungsaufträgen zu, selber durchgeführt werden dortnur kleinere Sicherungs- und Dokumentationsarbeiten. ZurWerkstatt gehören im Bergarchiv aber auch ein großzügig bemes-

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sener Vorordnungsraum sowie ein mit Absaugtechnik ausgestat-teter „Schmutzraum“ zur Reinigung von verschmutztem undkontaminiertem Archivgut. Der Vorordnungsraum dient derersten Bearbeitung von angeliefertem Archivgut, welches hier vorsortiert, entmetallisiert und verpackt werden kann.Unverpacktes, verschmutztes Archivgut gelangt so nicht mehr in das Magazin. Eine erste Bewährungsprobe bestanden Vor-ordnungs- und Schmutzraum bei der Anlieferung undBearbeitung von umfangreichen Beständen der Lausitzer undMitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) zwischen September 2008 und März 2009.

Formen und Farbgebung

Der gesamte Bau ist charakterisiert durch eine klare, moderneFormensprache und ein Bekenntnis zum Baustoff Beton. Imganzen Gebäude sind die Beziehungen zum Thema Bergbauunverkennbar. Die „Arche“ der Haus-im-Haus-Konstruktionwurde aus einem anthrazit eingefärbten Beton hergestellt, dessenOberfläche an den sichtbaren Stellen mit einer Scharrur versehen

wurde. Im Ergebnis vermittelt die Oberfläche den Eindruckeines Felsens. Im Öffentlichkeitsbereich wurden zudem dieProportionen und räumlichen Gestaltungselemente so gewählt,dass der Eindruck von überdimensionalen, untertägigenStreckenausbauten entsteht. Diese Formensprache wurde auf dieAusstattung des Lesesaals übertragen (s. Abb. oben). Tische und Schrankeinbauten fügen sich mit dem äußeren Baukörperzu einem geschlossenen Ensemble. Dass auch die von denArchitekten gewählte Farbgebung der Räume in dieses Gesamtkonzept hinein gehört, erschließt sich nicht sofort. Dieim Lesesaal dominierenden Farbtöne Anthrazit (Beton) undWeiß (Möbel, historische Außenwände) wirken dezent und aus-gewogen und sind auf das Mineral Calcit bezogen. In krassemGegensatz dazu steht der Farbton des Eingangsfoyers, dessenViolett Bezug nimmt auf den Amethyst und die Farbe derVerwaltung, deren strahlendes Grün sich am Fluorid orientiert.Bergbau allerorten: Die metallenen Trennwände zwischen demLesesaal und dem Ausstellungsbereich wurden mit Durchbrüchen in Form der Bergmannssymbole Schlägel undEisen versehen, dieselbe Symbolik entdeckt man auf demTeppichboden, welcher die Treppe zum Aktenlesesaal bedeckt.

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Bergarchiv Freiberg – Lesesaal (Foto: Hans-Christian Schink)

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AUFSÄTZE

Inbetriebnahme

Der Bau war Anfang 2008 fertig gestellt und wurde im Januardes Jahres an die beiden Hauptnutzer (Staatsarchiv und TUBergakademie Freiberg) übergeben. Testmessungen imMagazinbereich im Februar und März ergaben, dass die gefor-derten Klimawerte erreicht werden, so dass das Bergarchiv denNeubau im April und Mai beziehen konnte. Der Umzug warbereits auf lange Sicht hin vorbereitet worden. Das gesamteArchivgut war sachgerecht verpackt, Anfang der 90er Jahre inNotübernahmen aufgenommenes Schriftgut bewertet. Einebesondere Aufgabe bestand darin, die auf zwei Standorte imFreiberger Stadtgebiet und auf das Staatsarchiv Leipzig verteiltenBestände im Schloss Freudenstein zusammenzuführen. DaUmfang des Archivguts, Abmessungen der Archivkartons und die im neuen Magazin zur Verfügung stehenden Regalanlagenbekannt waren, wurde zunächst das gesamte Archivgut „virtuell“eingelagert und mit den so gewonnenen Informationen eindetaillierter Ablaufplan erarbeitet. Für jeden Standort und jedenBestand war damit nicht nur der Anfangs- und Zielort klar defi-niert, sondern auch die Reihenfolge und damit der Zeitpunkt desUmzugs. Den Umzug des Archivguts selber übernahm eineFachspedition. Insgesamt wurde für das Archivgut ein Zeitraumvon gut drei Wochen benötigt (rd. 4.500 lfm Akten, etwa 65.000Risse, Karten und Pläne, 25.000 Fotografien und 20.000 BändeBibliotheksgut). Erst danach folgte die Büroeinrichtung. DerLesesaal war den gesamten April und Mai hindurch geschlossen.Am 29.05.2008 wurde das Bergarchiv feierlich wieder eröffnet.Die Mitglieder der Historischen Freiberger Berg- undHüttenknappschaft transportierten eine Kassentruhe des 18. Jahrhunderts als symbolische „letzte Archivkiste“ aus demalten Standort in der Kirchgasse in das neue Domizil im SchlossFreudenstein. Gleichzeitig mit der Wiedereröffnung desBergarchivs wurde auch die Zimelienausstellung im neuenAusstellungsbereich für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In den nachfolgenden Wochen und Monaten erfolgte die schrittweise Inbetriebnahme des gesamten Gebäudekomplexes.Was zunächst bei den Mitarbeitern für eine erhebliche Belastungund im Lesesaal zu permanenten Störungen sorgte, war der dau-ernde Verkehr von Handwerkern. Dieses Problem hat sich erstjetzt, nach über einem Jahr Betrieb, normalisiert. Ebenso einQuell ständigen Ärgers war zunächst die Haustechnik.Einbruchmeldeanlage, Brandmeldeanlage, Klimatechnik undelektronische Zugangskontrolle fielen immer wieder einmal aus,sorgten für Fehlalarme oder verhinderten den Zutritt. Auch hierist eine Normalisierung des Betriebs erst nach über einem Jahrzu verzeichnen. Weiterhin schwierig bleibt die Klimatisierung desLesesaals. Die offene Haus-im-Haus-Konstruktion führt zu einerpermanenten Zugluft, was sowohl Mitarbeiter als auch Besucherim Lesesaal häufig frieren lässt. Zur Lösung dieses Problemswird derzeit das Klimatisierungskonzept für den Öffentlichkeits-bereich grundlegend überarbeitet. Insgesamt muss aber betontwerden, dass trotz aller Schwierigkeiten im Detail dieUnterbringung des Bergarchivs sehr viel Vorteile mit sich bringt.Die gesamte Nutzfläche des Schlosses beträgt über 8.000 m². Auf das Bergarchiv fallen dabei über 4.200 m² Nutzfläche; dassdie Inbetriebnahme einer so großen Einheit längere Zeit inAnspruch nimmt, erscheint nicht überraschend.

Erste Erfahrungen

Im Schloss Freudenstein ist das Bergarchiv hervorragend unter-gebracht. Erstmals in seiner 330-jährigen Geschichte ist es miteinem den Bedürfnissen angepassten Zweckbau versehen. Anzentraler Stelle im prominentesten Gebäude der Innenstadt posi-tioniert, erfährt es eine öffentliche Aufmerksamkeit, die für einSpezialarchiv dieser Größenordnung nicht selbstverständlich ist.Die Magazine sind standsicher, klimatisiert und verfügen überausreichende Lagerungsreserven, der Benutzersaal ist gut dimen-sioniert und ausgestattet, die Mitarbeiter arbeiten gemeinsam aneinem Standort in Büroräumen mit einer guten Infrastruktur.Die unkonventionelle Farbgebung, die so gar nicht den gängigenKlischees eines Archivbaus entspricht, war bei den Mitarbeiternnach einer kurzen Eingewöhnungszeit kein Diskussionspunktmehr. Der ganze Bau hat aber das Interesse von Architekten undArchitekturinteressierten hervorgerufen. In Fachzeitschriftenwurde weltweit (bis nach Korea) darüber berichtet.Studentengruppen der Universitäten in Berlin, Dresden undWeimar besuchen inzwischen regelmäßig das SchlossFreudenstein in Freiberg. Um diesem Interesse entgegen zu kom-men, das primär ja gar nichts mit einer klassischenArchivbenutzung zu tun hat, wurden eigens an zwei festenTerminen in der Woche Archivführungen eingerichtet und aufBasis einer geringfügigen Beschäftigung eine Mitarbeiterin zurEntlastung des Stammpersonals befristet eingestellt. Aber auchdie Archivbenutzung hat zugenommen. Die Gründe dafür sindvielfältig. Bestimmt ist manch potentieller Nutzer erst über dieintensive Öffentlichkeitsarbeit im Zuge der Renovierungs- undUmbauarbeiten auf das Archiv aufmerksam geworden. Die zen-trale Lage, ein ungehinderter Zugang zum Lesesaal und ausrei-chende Benutzerplätze haben aber wohl auch dazu beigetragen,Schwellenängste gar nicht erst aufkommen zu lassen. Synergien durch die gemeinsame Unterbringung mit der „TerraMineralia“, der weltweit größten privaten Mineraliensammlung,sind durchaus zu verzeichnen. Es gibt einen gemeinsamenHausmeisterdienst für das gesamte Objekt, der Vortragssaal wirdgemeinsam betrieben, ein wesentlicher Teil der Besucher der„Terra Mineralia“ findet auch den Weg in die Ausstellung desBergarchivs. Bei der technischen Ausstattung des Vortragssaaleswurden durch die TU Bergakademie sehr viel höhere Ansprüchean die Vortragstechnik gestellt als von Seiten des Staatsarchivs.Dadurch werden Horizonte geschaffen, an die aus eigenemAntrieb gar nicht zu denken war. So hat das Bergarchiv nun dieMöglichkeit, AV-Medien aus seinen Beständen mit professionel-ler Vorführtechnik zu präsentieren. Was ebenfalls als Synergiebezeichnet werden kann, ist der Umstand, dass durch die ge-meinsame Unterbringung das Bergarchiv bei der Problem-bewältigung in Bausachen nicht mehr alleine innerhalb desStaatsarchivs agieren muss, sondern als Teil des Staatsarchivsgemeinsam mit einem weiteren starken Partner auftritt. Daserhöht die Aufmerksamkeit und gegebenenfalls auch den Druckzur Problemlösung, setzt aber natürlich entsprechende Ab-stimmungen zwischen den Partnern und einen Willen zumgemeinsamen Handeln voraus. Aber auch Schwierigkeiten sollen nicht verschwiegen werden. Die„Terra Mineralia“ hat als öffentliches Museum einen grundsätz-lich anderen Besucherkreis als das Bergarchiv Freiberg. Währenddie Ausstellung unter anderem eine touristische Zielsetzung hat,richtet sich das Angebot des Bergarchivs in der Regel an konzen-

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triert arbeitende Einzelpersonen. Eine durch das Eingangsfoyertobende Schulklasse oder Museumsbesucher, die sich an derLesesaaltheke über vermeintliche Unzulänglichkeiten der „TerraMineralia“ beschweren, können die Arbeitsmöglichkeiten imLesesaal mitunter massiv beeinträchtigen. Hier waren und sindorganisatorische und auch bauliche Maßnahmen notwendig, umdie Besucherströme eindeutig voneinander zu trennen. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass mit dem Umbau und der Re-novierung von Schloss Freudenstein das Bergarchiv Freiberg eineexzellente Unterkunft erhalten hat. Es kann durchaus als Beispieldafür dienen, dass die Nutzung vorhandener Bausubstanz fürarchivische Zwecke nicht zwingend die zweitbeste Wahl ist.Zudem kann der Bau Mut machen, modern, zeitgemäß und viel-leicht auch architektonisch gewagt zu bauen. Auch von ihrer Bau-substanz her können Archive Zeichen setzen, die in die Zukunftweisen. Archive sind moderne Einrichtungen; die Unterlagen, diesie verwahren, verweisen zwar in der Regel in die Vergangenheit,nicht aber das Archiv an sich. Nach den Freiberger Erfahrungenist es durchaus sinnvoll, sich für sein Vorhaben Partner zu su-chen, auch über den bekannten Zweiklang „Archiv und Biblio-thek“ hinaus. Gemeinsam ist man immer stärker als alleine.

DER ERWEITERUNGSNEUBAU FÜR DAS HAUPTSTAATSARCHIVDRESDENBauhistorie

In der 175-jährigen Geschichte des Hauptstaatsarchivs Dresdensind verschiedene adaptierte Gebäude als Archiv genutzt wor-den.5 In den Jahren 1912 bis 1915 entstand ein auf den neuestenErkenntnissen der Zeit basierender Magazin- und Verwaltungs-bau, der vom Geheimen Baurat Karl Ottomar Reichelt entworfenund nach seinem Tod vom Oberbaurat Heinrich Koch vollendetwurde. „Das für [die] spätere Erweiterung des Hauptstaatsarchivs zurVerfügung zu haltende Flurstück“6 neben demVerwaltungsgebäude musste fast 100 Jahre allen Begehrlichkeitentrotzen, bis am 06.10.2006 der erste Spatenstich für denErweiterungsneubau im Rahmen einer Festveranstaltung symbo-lisch vollzogen werden konnte.

Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte es Bestrebungen gegeben,das Archiv durch einen Neubau auf der freigehaltenen Fläche zuerweitern.7 Mitte der 1990er Jahre waren dann die Lagerungska-pazitäten erschöpft, und wie in solchen Fällen üblich, musstenArchivdepots8 eingerichtet werden. Die Bemühung, die marodenund unter Denkmalschutz stehenden Archivgebäude, die den kon-servatorischen Anforderungen und Sicherheitsstandards schonlange nicht mehr entsprachen, zu sanieren und gleichzeitig einenMagazinneubau zu errichten, mündeten in der Genehmigungdes Bauantrages im Juli 2004. Danach erfolgte die Auslobungeines Architekturwettbewerbes. Die eingereichten Entwürfe ori-entierten sich an der Nutzerforderung aus dem Jahr 2001. DieJury des Preisgerichts kürte den Entwurf des ArchitekturbürosSchweger Assoziierte Gesamtplanung GmbH9 mit dem erstenPreis. Der Siegerentwurf ermöglicht den Ausbau am bisherigenStandort, der zugleich allen Anforderungen an Funktion, künfti-gen Flächenbedarf und technischen Standards gerecht wird. DerBau begann im Oktober 2006 mit dem Aushub der 10 m tiefenBaugrube. Auf die 1,20 m starken Bodenplatte wurden in denFolgemonaten die Geschosse gesetzt. Nach knapp einjährigerBauzeit lud der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Bau-management am 26.10.2007 zum Richtfest ein. Die Bauabnahmedes Erweiterungsneubaus erfolgte im Mai 2008. Während deslaufenden Umzugs des Archivgutes vom Alt- in den Neubau fandam 29.08.2008 die feierliche Übergabe an den Nutzer und dieEinweihung des Erweiterungsbaus statt. Am 11.11.2008 übergabdas Hauptstaatsarchiv das alte Magazin- und Verwaltungsge-bäude an das Hochbauamt. Die Übergabe markierte gleichzeitigden Beginn der Sanierungsarbeiten. Der Magazinneubau dientbis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten als Interim für dasArchivgut aus dem Magazinaltbau.

5 Von 1802 bis 1888 das Ballhaus am Schloss mit mehreren Außenstellen, von1888 bis 1915 das Albertinum.

6 Beschluss des Finanzministeriums vom 13.11.1914 zur Einfriedung derGrundstücke des Hauptstaatsarchivs, Hauptstaatsarchiv Dresden Best. 10976(Bauverwalterei Dresden) Nr. 2.

7 Thesenpapier, Aufgabenstellung und Studie „Magazinanbau an dasStaatsarchiv Dresden“ von H. Just; „Studie zum zweiten Magazinspeicherbaudes Staatsarchivs Dresden“ von E. Ringel; Grundkonzeption für denErweiterungsbau (1983-1987) in Hauptstaatsarchiv Dresden Best. 10707(Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden) Nr. 2047.

8 Depots befinden sich in Kamenz, Leipzig und Dresden (Marienallee).9 Seit Oktober 2008 Namensänderung in Schweger Associated Architects

GmbH.

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AUFSÄTZE

Struktur und Gestaltung des Erweiterungsbaus

In der klaren Form eines Quaders (L 33 m x B 26 m x H 19 m)erhebt sich der Neubau als Kontrast neben dem denkmalge-schützten Gebäudekomplex des Altbaus, der Elemente desJugendstils und späten Historismus aufweist. Durch eine leichteDrehung des Erweiterungsbaus aus der Flucht der bestehendenGebäude wird der Blick auf die historischen Bauten frei gehaltenund die Gewichtung zu den Altbauten gelenkt. Die helle Back-steinfassade im römischen Verband und minimale Lagerungs-fugen, die der sonst nüchternen Fassade Struktur geben, bildennach Absicht der Architekten einen Bezug zu historischen Lager-gebäuden. Mit seiner Kompaktheit bringt der Neubau seineHauptfunktion als Verwahr- und Schutzraum, als Magazin fürdas Archivgut des Freistaates anschaulich zur Geltung. Das mitGesamtbaukosten von 15,5 Mio € errichtete Haus hat eine Brutto-grundfläche von 7.747 m² und einen Bruttorauminhalt von25.556 m³.Der Erweiterungsbau besteht aus neun Geschossen, von denenacht als Magazinräume dienen. Lediglich das Erdgeschoss weichtin seiner Funktion von den übrigen Etagen ab. Hier wurdenFlächen für die Archivgutanlieferung und Vorordnung sowie fürdie Hauswerkstätten geschaffen. Um die vorgegebene Traufhöheeinzuhalten und dennoch die geforderte Lagerungskapazität zuerreichen, befinden sich drei Magazingeschosse unterhalb derGeländeoberfläche. Bodenplatte und Außenwände der dreiUntergeschosse sind mit wasserundurchlässigem Beton gebaut

sowie durch eine Wanne vor dem Eindringen von Grundwassergeschützt. Die große Spannweite der Magazinräume, dergewünschte stützenfreie Bau und die geforderte Traglast stelltenbesondere Anforderungen an die Statik. Zur Realisierung dieserForderungen sind die Decken als Rippendecke mit einemRippenabstand von 30 cm und einer Rippendicke von 54 cmausgeführt. Der Neubau ist weitestgehend in der wirtschaftlichenund zeitsparenden Fertigteilbauweise errichtet worden.Außenwände, Decken und Treppen sind als vorgefertigteElemente auf die Baustelle gelangt. So konnte schon mit demRohbau der Feuchteeintrag minimiert werden. Ergänzend wurdebaubegleitend getrocknet, um einen frühen Bezug des Gebäudeszu ermöglichen.Der Neubau ist klar und funktional gegliedert. Um einen mittigangeordneten Kern, der Treppe, Aufzug und Schächte aufnimmt,gruppieren sich die übrigen Räume. Mit den Bestandsgebäudenist das Haus durch einen breiten Transportgang im ersten Unter-geschoss verbunden. Die Hauptnutzfläche des Neubaus beträgt6.207 m², davon entfallen 230 m² auf den Bereich der Anlie-ferung/Übernahme und 306 m² auf die Hauswerkstätten. In denRegelgeschossen der Magazine ist eine Fläche von 738 m² nutz-bar. Die Anordnung der Magazinräume um den Erschließungs-kern ermöglicht eine effektive und kostensparende Leitungs-führung der Technik. Lediglich das Rauchansaugsystem und dieBeleuchtung sind über den Fahrregalen und damit über Archiv-gut platziert. Alle anderen technischen Einbauten befinden sichim Bereich des Hauptganges. Auf wasserführende Leitungen in

Hauptstaatsarchiv Dresden (Foto: Prof. Jörg Schöner)

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den Magazinräumen konnte verzichtet werden. Besonderes Augen-merk ist außerdem auf die Abdichtung des Erdgeschosses zu dendarunter befindlichen Magazinflächen gelegt worden.Im Vergleich zu den Magazinräumen ist das Erdgeschoss mit dendort gelegenen Arbeitsräumen gestalterisch aufgewertet und ver-fügt über 3 m Raumhöhe. Innenfenster stellen Sichtbeziehungenzwischen einzelnen Arbeitsbereichen her. Für die Arbeit der Haus-werkstätten sind den heutigen Anforderungen und technischenStandards entsprechende räumliche und Ausstattungsvoraus-setzungen geschaffen.

Technische Ausstattung des Gebäudes

Bereits mit Auslobung des Architektenwettbewerbs war seitensder Bauverwaltung die Forderung nach einer energiesparendenBauweise als Wertungskriterium erhoben worden. Dem trug derSiegerentwurf des Architektenbüros Schweger besondere Rech-nung. Der Magazinerweiterungsbau für das Hauptstaatsarchivwurde so zum Pilotprojekt des Freistaates Sachsen für die Ein-haltung des Passivhausstandards. Inzwischen ist das Gebäudeerfolgreich zertifiziert. Der max. zulässige Primärenergiebedarfvon 120 kWh/(m²a) Energiebezugsfläche wird deutlich unter-schritten.10 Nach Einschätzung der beteiligten Ingenieure undArchitekten ergänzen sich die archivfachlichen Anforderungen anstabile klimatische Lagerungsbedingungen und die Passivhaus-bauweise hervorragend, so dass sich Archivmagazine für dieseBauweise nahezu anbieten. Wie wurde der Gedanke des energie-sparenden Bauens nun umgesetzt? Bereits bei der Gebäudehülle,die aus 30 cm Stahlbeton, einer 18 cm starken Schaumglas-dämmung, 11 cm Luftschicht und dann abschließend aus einer11,5 cm dicken Klinkerwand besteht, wurde der Transmissions-wärmeverlust minimiert. Die Schaumglasdämmung wurde voll-flächig auf alle Außenwände, erdberührten Bauteile und dasDach aufgebracht. Fassadenöffnungen sind auf das Notwen-digste begrenzt, ungedämmte Bauteile wie Lichtschächte sindthermisch entkoppelt. Die Gebäudeheizung erfolgt mit Fern-wärme, die aus einem Kraft-Wärme-Kopplungsprozess miteinem Primärenergiefaktor von 0,1 erzeugt wird. Das über eineBrunnenanlage gewonnene Grundwasser deckt den Kältebedarf.Für die Zuluftbefeuchtung werden Kaltdampfbefeuchter einge-setzt. Die Lüftungsanlage verfügt über eine Feuchte- und Wärme-rückgewinnung mittels Rotationswärmetauscher. Auf dem Dachwird ergänzend eine Fotovoltaikanlage installiert. In wieweit und mit welchem Regelungsaufwand die gefordertenKlimawerte in den Magazinräumen dauerhaft stabil erreicht wer-

den, wird der Praxistest ergeben. Dieser Test, der bis zur Prüfungdes Änderungsverhaltens von Temperatur und Luftfeuchte imArchivkarton reicht, wird im Rahmen einer Diplomarbeit wissen-schaftlich begleitet. Die Herausforderung bei dem Erweiterungs-neubau für das Hauptstaatsarchiv Dresden besteht vor allem inder Frage, wie mit dem Pilotprojekt „Passivhaus“ der Spagat zwi-schen umweltgerechtem Bauen, geringen Bewirtschaftungskostenund den für die Erhaltung des Archivgutes erforderlichen klima-tischen Bedingungen erfolgreich gelöst werden kann.Die Gebäudeleit-, Sicherheits- und Brandschutztechnik des Neu-baus befindet sich auf der Höhe der Zeit. Sie wurde geplant undgebaut mit dem Blick auf die gesamte Baumaßnahme, also auchunter Berücksichtigung der Sanierung und des Umbaus derBestandsgebäude. Sicherheit und Funktionalität standen dabeineben ressourcensparendem Vorgehen im Mittelpunkt. So wirdder Neubau unter Brandschutzgesichtspunkten mit Scharf-schließung des Hauses bis auf wenige, vorab definierte Ausnah-men stromlos geschaltet. Die Beleuchtungsanlage in den Maga-zinräumen sichert mit dem Betreten des Raumes zwar die ständi-ge Ausleuchtung der Hauptgänge, schaltet aber nach einem defi-nierten Zeitintervall die Beleuchtung in zonierten Bereichen derFahrregalanlagen automatisch wieder ab.Neben dem baulichen Brandschutz ist der Erweiterungsbau mit einem Rauchansaugsystem ausgestattet. Zur Einsatzunter-stützung der Feuerwehr ist außerdem eine Gebäudefunkanlageauf Grundlage des BOS-Funks eingebaut. Brandversuche an kartonierten Kassanden und der Test verschiedener Löschsys-teme in simulierten Stand- und Fahrregalsystemen haben zu demErgebnis geführt, dass im Neubau ein automatisches Löschsys-tem weder notwendig noch sinnvoll und wirtschaftlich wäre. ImUnterschied hierzu wird die Brandbekämpfung im Magazin-altbau durch eine automatische Hochdruckwassernebenlöschan-lage unterstützt.11 Für den Neubau verfügt die Feuerwehr überdie Möglichkeit, auf den Tank und das Drucksystem des Altbauszurückzugreifen und so Folgeschäden bei der Brandbekämpfungauch im Neubau zu minimieren. Hierfür wurden in denTreppenhäusern des Neubaus spezielle Hydranten sowie Lösch-werkzeuge vorgesehen. Die Handfeuerlöscher beruhen ebenfallsauf dem Hochdruckwasservernebelungssystem.

10 Energieeffizienzbericht 2008. Hrsg. vom Staatsbetrieb SächsischesImmobilien- und Baumanagement, Dresden 2009.

11 Zum Einsatz kommt ein Produkt der Firma Marioff GmbH Deutschland(HI-FOG®).

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AUFSÄTZE

Magazinmanagement

Das Herzstück jedes Archivmagazins ist die eingebaute Regal-anlage.12 Durch eine professionelle Regalplanung kann auf dervorhandenen Hauptnutzfläche13 eine maximale Menge von Ar-chivgut gelagert werden. Der quadratische Grundriss des Neu-baus erlaubt eine optimale Anordnung der Regalanlagen. Da dasArchivgut komplett kartoniert ist, erhielten die Regale keine Vor-satzwände. Diese kommen nur bei den Regalanlagen für dieebenfalls im Neubau untergebrachte Dienstbibliothek undSiegelsammlung zum Einsatz. Auf die Verwendung von Karten-schränken konnte verzichtet werden, da die Regalanlage für dieKartenlagerung besondere Module bot.

Die Fachbodenbleche der Kartenregale haben nur eine Höhe von20 mm, angeordnet in einem lichten Abstand von 60 mm. Fürdie Lagerung der Siegel boten sich nur Festregale an, da die Siegelvor Erschütterungen bewahrt werden sollen. Diese Festregalesind mit zusätzlichen Dämpfern ausgerüstet, welche ein erschüt-terungsfreies Zusammenfahren der Regalwagen an die „Siegel-schränke“ ermöglichen. Für die Siegelsammlung wurden dieAuszugsböden mit Kunststoffschalen bestückt. Die Größe derFächer in der Siegelschale kann durch Leisten im flexiblen

Verstellraster individuell der Siegelgröße angepasst werden.Durch die Verwendung von Kunststoffschalen wird eine mögli-che Kontaktkorrosion zwischen den Siegeln und dem Metall-auszug vermieden. Zusätzlich sind die Siegelregale mit Türen verschließbar und haben dadurch einen schrankähnlichenCharakter. Die Kartenhülsen14 werden in Kragarmregalen, die als Wand-regale ausgebildet sind, gelagert. Zur Unterbringung von überfor-matigem Archivgut bzw. großen Kartenmappen können zwei Kar-tenregale miteinander gekoppelt werden. Die Regale besitzen miteiner Höhe von 2,20 m eine gute Bedienbarkeit. Die Verkehrs-wege, welche sich um den inneren Kern des Gebäudes anordnen,sind mit 2 m so ausgelegt, dass eine Befahrung auch mit Palettenproblemlos möglich ist. Die Bediengänge in den Kartenregalenkönnen je nach Bedarf vergrößert werden. Das Gestaltungskon-zept der Architekten hat eine interessante Farbgebung der Regalezur Folge.15 Die Farbe der Regale im jeweiligen Geschoss findetsich auch in anderen Elementen wie der Beschilderung wieder. Bei einer sehr dichten Lagerung ist es besonders wichtig, dass derLagerungsort der Akten exakt nachgewiesen wird. Dazu mussjedes Fach mit einer Fachnummer zu lokalisieren sein. JedeFachnummer existiert in einem Magazinsaal nur einmal.Darüber hinaus wurden auf der Stirnseite jedes Regals nach denVorgaben des Nutzers bereits im Werk die Regalwagennummernaufgeklebt.

Hauptstaatsarchiv Dresden - Magazin (Foto: Prof. Jörg Schöner)

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Die Planung und Ausführung des VS-Verwahrgelasses für dieArchivierung von Verschlusssachen orientiert sich an denVorgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen unddem vom Landeskriminalamt Sachsen erarbeitetenSicherheitskonzept. Die Regalausstattung ist die gleiche wie inden anderen Magazinen. Das VS-Verwahrgelass ist mit weitererSicherheitstechnik ausgestattet, auch die Zutrittsberechtigungunterliegt besonderen Regelungen. Eine Besonderheit der gegenwärtigen Nutzung desMagazinneubaus ist die Unterscheidung zwischen Interims- undendgültiger Lagerung. Im Magazinaltbau haben die Regale einegenormte Fachgröße. Die lichte Höhe der Fächer, auch als Locatebezeichnet, beträgt ca. 40 cm. In der Regel bestimmt die Größeder Locate das Format der bei der Verpackung des Archivgutesverwendeten Kartons.16 Die verschiedenen Kartongrößen erfor-dern zwingend die Spiegelung des Regalaufbaus im Neubau. Nurso kann der Bestand aufsteigend nach der Archivsignatur amneuen Standort eingelagert werden. Die Bestände im A4-Formatbilden dabei eine Ausnahme.17 Diese Bestände haben im Neubauihren endgültigen Standort eingenommen. Der Umzug von ca. 30 000 lfm Archivgut und ca. 300.000 Stück Karten wurde lang-fristig geplant und in nur 6 Monaten abgeschlossen. Eine unver-zichtbare Voraussetzung war die Verpackung des gesamtenArchivgutes in Archivkartons und Kartenmappen. Dieser Arbeits-prozess erstreckte sich über mehrere Jahre und konnte nur mit

zusätzlich eingesetzten Hilfskräften bewältigt werden. Die Sanierung fordert auch von den Benutzern und Mitarbeiternein hohes Maß an Flexibilität. Die Verwaltung des Hauptstaats-archivs mit all ihren Funktionen wie z. B. dem Benutzersaal musste ebenfalls in einen Interimsstandort umziehen. NachAbschluss der Sanierungsarbeiten im Magazinaltbau erfolgt derRückzug eines großen Teils der Bestände aus dem Neubau. Alsnächster Schritt werden die Depots aufgelöst und das Archivgutnach Dresden am Standort Archivstraße zusammen geführt. DerNeubau hat mit der endgültigen Lagerung eine Kapazität von34.000 lfm Akten und 430.000 Stück Karten.18

12 Arbitec-Forster lieferte FOREG 2000-Fahrregale.13 Hauptnutzfläche: 6207 m²; 1 m² HNF = 9,7 lfm Akten.14 Runde und eckige Kartenhülsen.15 Die Regale sind in jedem Geschoss in einer anderen Farbe lackiert.16 Die Standardverpackung der Bestände pro Locat besteht aus zwei

Archivkartons mit einer Höhe von 15 cm und einen von 10 cm.17 Die Archivkartons im A4-Format haben eine einheitliche Höhe von 10 cm.18 Die Berechnungsgrundlage ist pro Fach 2 Kartenmappen und je Mappe

10 Karten.

Hauptstaatsarchiv Dresden – Kartenregale (Foto: Prof. Jörg Schöner)

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AUFSÄTZE

Sanierung des Altbaus

Neben dem Neubau eines Magazingebäudes umfasst der Umbaudes Hauptstaatsarchivs auch die vollständige Sanierung des altenMagazins sowie des Verwaltungsgebäudes in der Archivstraße 14.Um das Nutzungskonzept für den Magazinaltbau umsetzen zukönnen, sind umfangreiche Veränderungen in der Struktur desGebäudes notwendig. Die klassische Trennung zwischen Ver-waltung bzw. Öffentlichkeitsbereich und Magazin wird aufgege-ben. Die Lesesäle im Verwaltungsgebäude bekommen ebenfallseine neue Nutzung. Der historische Lesesaal mit seinen holzgetä-felten Wänden übernimmt in Zukunft die Funktion eines Vor-trags- und Seminarraumes. Das Hauptstaatsarchiv verfügt dannauch über einen klimatisierten Ausstellungsraum mit festen undtransportablen Vitrinen. Die Ausstellungen finden ihren Platz ineinem Raum, der bis jetzt als technischer Lesesaal genutzt wurde.Die transportablen Vitrinen bieten die Möglichkeit, bei Bedarfdie Ausstellungsfläche bis in den Vortrags- und Seminarraum zuvergrößern. Des Weiteren werden im Verwaltungsgebäude auchder Direktor und die Abteilung 1 des Sächsischen Staatsarchivseinziehen.Der Haupteingang für die Benutzer wird von der Archivstraße anden ehemaligen St.-Privat-Platz19 verlegt. Dazu wird die Fenster-front in Richtung Albertstraße geöffnet. Der Benutzer tritt direktin das Herz des Archivs, das Magazin, ein und kommt über einFoyer, welches durch den Abbruch der Decke zwischen zwei Ge-schossen und der vorhandenen Säulenstruktur wie ein Sakralbauwirkt, in den mit einem Glasdach geschlossenen Lichthof. Umden inneren Lichthof gruppieren sich jeweils fünf Magazinsäleund geben dem Gebäude den Grundriss eines Pentagons. ImAtrium befindet sich die Benutzerberatung mit der Archivgut-ausgabe. Die Lesefilme und ein großer Teil der Findmittel werdenfrei zugänglich sein. Dem Benutzer stehen dann 51 Leseplätze für Standardarchivgut, 9 Plätze für die Kartenbenutzung und 30technische Arbeitsplätze zur Verfügung.20 Durch die Umge-staltung des Öffentlichkeitsbereichs entstehen für die jährlichetwa 1.600 Benutzer des Archivs optimale Arbeitsmöglichkeiten.Darüber hinaus befinden sich in diesem Bereich die Freihand-bibliothek sowie die Benutzergarderobe. Durch den Abbrucheines Viertels der Zwischendecke entsteht in der zweiten Ebeneeine Empore. Der Benutzer kann sich über Treppen und einenAufzug frei zwischen den zwei Ebenen bewegen. Für den neuenÖffentlichkeitsbereich mussten zwei Magazingeschosse geopfertwerden. Die dadurch verlorene Lagerungskapazität wird aller-dings durch optimierte Regale im Neubau kompensiert. DieMagazine des Altbaus erhalten die gleichen klimatischen Rah-menbedingungen wie im Neubau. Der repräsentative Kartensaalsowie der Wappensaal werden unter denkmalschutzgerechtenAspekten saniert und verlieren nicht ihre Funktion. Die vorhan-denen Regale bleiben aufgearbeitet erhalten. Analog zum Neu-bau bekommen die Hauptzugangstüren zu den Magazinsäleneinen motorischen Antrieb. Mit der Sanierung einher geht auchdie Gestaltung der Außenanlagen. Im Hof werden Parkmöglich-keiten sowie Fahrradstellplätze für die Mitarbeiter geschaffen. Die Ein- und Ausfahrt der Fahrzeuge ist durch Richtungsverkehrgeregelt. Die vor dem Neubau angelegte Ruhezone entlang derArchivstraße mit zwei Bäumen und einer Bank wird auch im Hofdes Archivs weitergeführt. Selbstverständlich ist der Zugang fürBenutzer und Mitarbeiter barrierefrei. Die 1912 mit der Er-richtung des Zweckbaus für das Hauptstaatsarchiv begonnenen

Arbeiten auf dem Grundstück werden voraussichtlich Ende 2010abgeschlossen sein. Das in unmittelbarer Nachbarschaft derMinisterien befindliche Archiv ist dann umfassend modernisiertund erweitert. Der Magazinneubau und die Sanierung des denk-malgeschützten Altbaus schaffen zeitgemäße Rahmenbe-dingungen für die Erhaltung wertvoller Dokumente. Damit ist nach fast 100 Jahren der Archivstandort in derDresdner Innenstadt vollendet.

19 Der Platz ist heute als solches nicht mehr ausgewiesen. Während der Bauphase wird intern der Begriff Archivplatz verwendet.

20 Dies bedeutet insgesamt fast eine Verdoppelung der Leseplätze.

Bernd ScheperskiSächsisches StaatsarchivHauptstaatsarchiv DresdenMarienallee 12, 01097 DresdenTel. 0351-8006-154, Fax 0351-802-1274E-Mail: [email protected]

Petra SprengerSächsisches StaatsarchivHauptstaatsarchiv DresdenMarienallee 12, 01097 DresdenTel. 0351-8006-110, Fax 0351-802-1274E-Mail: [email protected]

Dr. Peter HoheiselSächsisches StaatsarchivBergarchiv FreibergSchlossplatz 4, 09599 FreibergTel. 03731-394-610, Fax 03731-394-627E-Mail: [email protected]

RECONSTRUCTION OF BUILDINGS OF THE STATEARCHIVES OF SAXONY

Since the beginning of the 1990s, one of the most pressing challen-ges to the state archives in Saxony has been the housing of itsholdings. The demands placed on archival buildings in Saxony arepresented using two examples: the adaptation of a castle for theSaxon Mining Archives in Freiberg and the new magazine additionto the Saxon Central State Archives in Dresden.The reader is given a short history of the mining archives, alongwith that of Castle Freudenstein, before focus moves on to theinitial architectural drafts, the principles of the final contruction,questions of interior design, building functions, the commencementof operations in January 2009, and to first experiences in use offacility. The article pertaining to the Saxon Central State Archivesin Dresden addresses primarily the conception and history of theoriginal building and the application of modern technology in boththe new magazine and old magazine, now under reconstruction.

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Ein Bau wird geplantDie Bauaufgabe

Die Bauaufgabe „Erweiterungsbau Generallandesarchiv Karlsru-he“ schien nur auf den ersten Blick einfach. Das Ende der 1980erJahre aus allen Nähten platzende Archiv, dessen Archivgut schonauf mehrere Außenlager verteilt werden musste, brauchte v. a.Magazinraum. Der notwendige Raum sollte auf dem Geländeneben dem denkmalgeschützten Gebäude realisiert werden.Relativ schnell war auch klar, dass die rund 100 Jahre zuvorgebauten und nur mit hohem personellen Aufwand zu betreiben-den Funktionsräume im Nutzungsbereich ebenfalls neu zugestalten waren. Und schließlich sollten Räumlichkeiten geschaf-fen werden, in denen sich das Archiv der interessierten Öffent-lichkeit endlich wieder angemessen präsentieren kann. Der1904/05 im damaligen Archivzweckbau eingerichtete – wegwei-sende – Ausstellungsraum war schon seit Jahrzehnten aus Raum-mangel für die Unterbringung der Findmittel zweckentfremdetworden. Und auch der durch die Zusammenlegung von drei

Zimmern im 2. Obergeschoss gewonnene, aber nur mühsamerreichbare „Vortragsraum“ war über Jahrzehnte letztlich nur einNotbehelf. Als auch klar war, dass die Werkstätten – u. a. aus demehemaligen Wintergarten der Direktorenwohnung – in denkünftigen Erweiterungsbau in zweckmäßige Räume umziehensollten, weil z. B. auf schwingenden Altbauböden in der Foto-werkstatt nicht wirklich verwackelungsfreie Aufnahmen zuerstellen waren, bedeutete „Erweiterungsbau“ einen neuen,komplexen Archivzweckbau zu errichten mit fast allen Funktio-nalitäten: Lagerung, Werkstätten, Nutzung, Öffentlichkeitsbe-reich. Allein die Büroräume, die Aktenanlieferung und die Prä-senzbibliothek sollten im Altbau verbleiben. So gingen dieAnforderungen an die Architekten bei der Erweiterung desGenerallandesarchivs von vorne herein deutlich über die Bereit-stellung von Magazinraum hinaus.Dabei hatte die Schaffung von Magazinraum bei der Vorgeschich-te und ursprünglichen Begründung des Bauvorhabens zumeistim Vordergrund gestanden. Diese frühe Phase der Pläne für einenErweiterungsbau reicht weit zurück.

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RÄUME – MENSCHEN –FUNKTIONEN

DIE PLANUNG DESERWEITERUNGS- UND UMBAUSFÜR DASGENERALLANDESARCHIVKARLSRUHE

von Clemens Rehm und Jürgen Treffeisen

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AUFSÄTZE

Die Vorgeschichte

Bei der Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau am24. September 2008 waren über 100 Jahre nach dem Bezug desdamaligen Archivzweckbaus vergangen.1 Dass der Bau und vorallem die Magazine bis Ende der 1980er Jahre gereicht haben, wardem Umstand zu verdanken, dass seinerzeit im gleichen Gebäu-dekomplex für die Badische Oberrechenkammer (Rechnungshof)ein nach damaligem Archivstandard gebautes Aktenmagazinerrichtet worden war. Dem Generallandesarchiv stand ursprüng-lich nur das heute sogenannte Westmagazin zur Verfügung, dassich unmittelbar an den Verwaltungstrakt anschließt. Als aber derRechnungshof des Deutschen Reichs die badische Behörde alsAußenstelle übernahm, wurde die Bearbeitungsweise umgestellt.Die geprüften Rechnungsunterlagen, die bislang eingelagertworden waren, wurden jeweils an das Rechnungsamt oder dierechnungslegende Stelle zurückgegeben.2 Im Magazin des Rech-nungshofs verblieben nur noch nach Fristablauf kassable Rech-nungsunterlagen. Das Generallandesarchiv erhielt zum 1. April1937 die Verfügung über das „Rechnungsarchiv“ – das heutigeNordmagazin – und mit einem damals im Westmagazin vorge-nommenen Mauerdurchbruch auch einen direkten Zugang zudem zusätzlich 9.000 lfm fassenden Magazin.In diesem Magazin wurde nach dem Krieg die ausgebombteLandesbibliothek untergebracht, die auch noch Dienstzimmer imVerwaltungsgebäude bezog, in dem auch noch das Oberschulamtuntergebracht worden war. Im Westmagazin wurde 1959 begon-nen, die Gitterrostböden mit Einlieferungen aufzufüllen und dasArchivgut in verschiedenen Räumen bis zur Grenze der Belas-tungsfähigkeit auf dem Boden zu stapeln.Auch wenn über unzureichende Arbeitsverhältnisse im General-landesarchiv in den 50er Jahren öffentlich geklagt wurde – v. a.der beengte Nutzungsbereich in einer kleinen Kammer bot fürdas Ansehen des Landes einen „unvorteilhaften Eindruck“ – , sowaren es doch die Magazinkapazitäten, mit denen das ThemaErweiterungsbau wieder auf die Tagesordnung kam. Nachdemdie Badische Landesbibliothek im Februar 1965 aus dem Nord-magazin ausgezogen war, konnten erst einmal die bis dahinzurückgestellten Einlieferungen und Rückstände abgearbeitetwerden.Schon 1982 wurde darauf hingewiesen, dass die Magazinkapa-zität unter Ausnutzung aller Reserven auch unter Einbeziehungweiterer Kellerräume im benachbarten Rechnungshof maximalfür 10 Jahre ausreichen würde, die regulären Magazine davon für2 Jahre.3 De facto war die reguläre Kapazität beider Magazine inden 1980ern Jahren erschöpft; es begann die personalintensiveBetreuung von schließlich drei Außenmagazinen.Für das Bauvorhaben richtete sich von Anfang an das Interesseauf eine Erweiterung am Standort, der am Rande der Innenstadtmit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gelegen ist.Eine dauerhafte Lösung mit einem System von Außenmagazinenwurde wegen der hohen Personalbindung abgelehnt, ein kom-pletter Neubau an anderer Stelle gar nicht erst erwogen, nichtzuletzt weil das Generallandesarchiv als Archivzweckbau errich-tet und sowohl das selbsttragende Regalsystem im Magazin alsauch viele Baudetails unter Denkmalschutz standen. Eine Erwei-terung am Standort war deshalb denkbar, weil ein Nachbar seinangrenzendes, hervorragend – und als einziges – geeignetesGrundstück veräußern wollte. Aufgrund der hohen Wohnqualitätdes Viertels sah man allerdings sofort die Gefahr, dass auf dem

freien Markt die Liegenschaft begehrt sein dürfte. In den näch-sten Jahren zogen sich die Kaufverhandlungen hin; das Grund-stück wurde geteilt – letztlich mit dem Ergebnis, dass 1988 wenig-stens das größere Grundstück, Nördliche Hildapromenade 3mit 1.314 qm, vom Land erworben werden konnte. Auf demdahinter liegenden Grundstück wurde zügig ein fünfgeschossigesGebäude mit Eigentumswohnungen errichtet.

Raum-Funktionsanalyse und Grundlagenplanung

Im April 2001 wurde der Planungsauftrag durch das Finanz-ministerium Baden-Württemberg erteilt. Die staatliche Bauver-waltung beauftragte daraufhin das Architekturbüro Auer+Weber+Assoziierte, Stuttgart, mit dem Entwurf. Die spannendeAufgabe bestand nun darin, auf dem begrenzten Grundstück mitklaren städtischen Volumenvorgaben einen funktionalen – undmöglichst auch optisch ansprechenden – Bau zu erstellen. Es galtfür die Archivvertreter, eine gemeinsame Sprache mit den Archi-tekten zu finden. Eine erste Annäherung erfolgte selbstverständ-lich über eine Archivführung und die üblichen Informationsme-dien. Der Faszination, die von dem vorgestellten authentischenArchivgut ausging, konnten sich die Mitarbeiter des Architektur-büros nicht entziehen – wie fast alle, die einmal einen Blick insKarlsruher Magazin werfen durften. Das denkmalgeschützteselbsttragende Magazinregal aus filigranem Eisenstreben tat einÜbriges dazu. Auch wenn diese Faszination keinen „Erkenntnis-fortschritt“ für den zu planenden Baukörper selber bedeutete –eine Bestückung des Magazins mit Standregalen war z. B. völligundenkbar – so hatte man den Eindruck, die Architekten merk-ten, dass sie an etwas Besonderem bauen würden. Dieses sichEinlassen auf das „Archiv“ bot als Grundton eine hervorragendeBasis, stets gemeinsam die überzeugendsten Lösungen zu suchen.Der bisher stehende Bau konnte selbstverständlich nicht alsModell für den Erweiterungsbau herhalten. Folglich beschriebenwir den Architekten die archivischen Aufgabenfelder. Allerdingsmussten wir feststellen, dass weder Aufgabenfelder noch Arbeits-abläufe den Architekten als Planungsgrundlage ausreichenwürden. Dass eine Anlieferung in die Nähe des Magazins ge-hört, scheint logisch, aber welche Arbeitsschritte geschehenzwischen „abladen“ und „regalfertig“ im Magazin? Oder wasbedeutet z. B. ein Arbeitsfeld wie „Ersterwähnungen“ für dieZuordnung von Archivfunktionen? Sollte nicht die Werkstatt fürdie ersten konservatorischen Tätigkeiten in der Nähe der Einliefe-rung sein? Und wenn viele Digitalisate oder Fotos durch Nutzerim Lesesaal in Auftrag gegeben werden, sollte nicht die Werkstattdoch besser beim Lesesaal angesiedelt werden, um unnötig langeWege für das Archivgut zu vermeiden? Solche Fragen, in denensich die Komplexität archivischer Arbeitsabläufe spiegelt, gab undgibt es viele.Den entscheidenden Durchbruch im Gespräch mit den Architek-ten erreichten wir im Herbst 2002 mit einer Funktionsanalyse derarchivischen Tätigkeiten. Dabei wurden unter Einbeziehung derMitarbeiter alle Arbeitsvorgänge eines Archivs auf zwei Kategori-en und ein Zusatzkriterium reduziert:

• Bewegung von Archivgut• Bewegungen von Menschen• und als Kriterium: Findet der Vorgang im öffentlichen oder

nichtöffentlichen Bereich statt?

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In einem ersten Schritt wurde jeder Ort, an dem im Archivgearbeitet wird, als „Station“ definiert und einer der Sphären„öffentlich“ oder „nichtöffentlich“ zugeordnet: Magazin undWerkstätten wurden der Kategorie „nichtöffentlich“ zugewiesen,Lesesaal und Vortrags-Mehrzweckraum sowie die Findmittel derKategorie „öffentlich“; Mischzonen, die in beide Kategorienhineinreichten (z. B. gesperrte Findmittel), wurden vermerkt.Danach wurden die Bewegungen von Archivgut zwischen deneinzelnen Stationen ermittelt, z. B. zwischen Magazin und Lese-saal bei der Bestellung der Digitalisate/Fotos von Nutzern;zwischen Magazin und Fotowerkstatt bei der Bestellung vonDigitalisaten oder Fotos per Post; zwischen Restaurierungswerk-statt und Lesesaal bzw. Nutzungsbereich für die Ausstellungsvor-bereitung.Entscheidend war, dass in einem dritten Schritt diese Beziehun-gen zwischen den einzelnen Stationen nach Intensität quantifi-ziert wurden.Dem gleichen Verfahren wurden in Schritt 4 und 5 die Laufwegeder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterzogen. WelcheStrecken wurden dauernd gelaufen – z. B. zum Findmittelraum –,welche Orte wurden kaum angelaufen? Dabei war wiederum dieAufgabe irrelevant. Es kam nicht darauf an, ob der Mitarbeiter

den Weg zurücklegen musste, weil er eine schriftliche Anfrage zubeantworten hatte oder den Raum aufsuchen musste, weil eineAusstellung vorzubereiten war. Auch hier wurde für die Laufwegedie Nutzungsintensität in drei Stufen differenziert.„Archiv“ wurde damit letztlich auf funktional aufeinanderbezogene Raumsituationen reduziert. Die Ergebnisse flossen inein grafisches Funktionsschema ein, das den Architekten alsPlanungsgrundlage diente: Die architektonischen Entwürfekonnten nun anhand dieser Analyse auf ihre Auswirkungen imAlltag überprüft werden. Rückblickend hat diese Analyse nicht nur den Architekten

1 Zur gut dokumentierten Baugeschichte des Generallandesarchivs zuletzt Kat-ja Leiskau: Architektur und Geschichte der staatlichen Archivzweckbauten inDeutschland 1871-1945. Marburg 2008, S. 147-151, im Internet zugänglich un-ter: http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2008/0481/.

2 GLA Karlsruhe 450/153 Das Dienstgebäude, 1924-1960.3 GLA Karlsruhe Reg 3022 vom 8.10.1982.

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Schema zu den Beziehungen der archivischen Funktionsbereiche (Transport- und Laufwege) im Generallandesarchiv Karlsruhe (Vorlage: Clemens Rehm/Landesarchiv Baden-Württemberg)

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AUFSÄTZE

und Statikern ein besseres Verständnis für den Ablauf von archi-vischen Vorgängen ermöglicht, es hat in mehreren Bereichenkonkrete Auswirkungen auf die Planungen gehabt.Vorauszuschicken ist dabei, dass aufgrund des vorhandenen –engen – Grundstücks eine vertikale Trennung von Funktionsbe-reichen, wie sie aus Brandschutzgründen bei Archivbautenüblicherweise angestrebt wird, in Karlsruhe nicht möglich war.Stattdessen wurde von vorneherein eine „Sandwich“-Struktur fürden Erweiterungsbau ins Auge gefasst, bei der die verschiedenenunterzubringenden Funktionen (Magazin, Nutzung, Werkstätten, ...)horizontal abgeschichtet werden sollten.

1. Da große Mengen von Archivgut auch nach Errichtung des Erweiterungsbaus weiterhin im denkmalgeschützten Magazin im Altbau verbleiben werden und zu erwarten ist, dass große Mengen Archivgut sowohl aus dem alten Magazin aus auch dem neuen unterirdischen Magazin im Erweiterungsbau im Lesesaal würden vorgelegt werden müssen, stellte sich die Frage nach der Lage des neuen Lesesaals. Da beide Baukörper – Altbau und Erweiterungsbau – über einen Verbindungsgang im 1. Obergeschoss verbunden werden, wurde angesichts der zu erwartenden Transportwege der Lesesaal, der im Altbau bisher im Erdgeschoss zu erreichen war, im Erweiterungsbau in das 1. Obergeschoss verlegt. Egal aus welchem Magazin die Unterlagen vorgelegt werden, wird trotz zweier Gebäude nun maximal eine Aufzugsfahrt benötigt.

2. Für die Trennung zwischen „öffentlich“ und „nicht-öffentlich“ wurden im Erweiterungsbau mit Blick auf die hohe Zahl von Nutzern und Besuchern zwei verschiedene Aufzüge eingebaut: einer verbindet ausschließlich die öffentlichen Bereiche, einer die Magazine mit dem Lesesaal (Mitarbeiterbereich) und den Werkstätten. Versehentliche Begegnungen von wertvollem oder gefährdetem Archivgut, z. B. mit Nutzern in nassen Regen-capes, werden somit von Vorneherein ausgeschlossen.

3. Die vielfältigen Wünsche der Nutzer nach Reproduktionen aus Archivgut bedeuteten im Altbau, dass die betroffenen Stücke aus dem Lesesaal (EG) durch das Haupt-Foyer des Archivs undeinen öffentlich zugänglichen Aufzug zur Werkstatt (2. OG) transportiert werden mussten. Da dies unhaltbar war und für zeitweise anfallende Rückfragen, die nur am Archivgut zu klären sind, der Weg viel zu lang war, wurden beide Bereiche im Neubau enger zusammengeführt und zudem die Verbin-dung komplett in den internen Bereich gelegt. Ein zusätzlich angedachter kleiner „Archivgut-Aufzug“ vom Lesesaal in die Werkstatt ein Stockwerk höher – ähnlich etwa Küchenauf-zügen – fiel freilich den Sparmaßnahmen zum Opfer.

4. Es stellte sich schließlich heraus, dass derzeit von fast allen Arbeitsbereichen, sei es für Recherche, Ausstellungsvorberei-tung, Familienforschung oder mit Schülergruppen sehr häufig auf die analogen Findmittel zugegriffen wird und diese Situati-on – trotz aller Fortschritte bei der Digitalisierung – noch längere Zeit anhalten würde. Dabei war der Bedarf für Mitar-beiter und Nutzer gleichermaßen hoch. Dieser Befund hatte zur Konsequenz, dass die Findmittel (mit Ausnahme der aus datenschutzrechtlichen Gründen gesperrten) im 1. Oberge-schoss des Erweiterungsbaus im öffentlichen Bereich direkt neben dem Lesesaal untergebracht werden. Das bedeutet schnelle Zugänglichkeit vom Altbau aus, optimalen Zugriff für die Nutzer und kurze Wege bei der Beratung. In der Detailpla-

nung wurde auf einen speziellen Findmittelraum verzichtet. Vielmehr wird der Raum, der als zentraler Flur im 1. Oberge-schoss gedacht war, von dem aus der Lesesaal, der Filmlesesaal,der Katalograum für die gesperrten Findmittel und ein Be-ratungszimmer erschlossen werden, als Findmittelraum ge-nutzt. Er hat gleichzeitig eine optische Verbindung zur Lesesaalaufsicht. Der nicht nur bei Führungen oft gehörte Satz, dass die Findmittel das „Herzstück“ eines Archivs sind, findet nun hier baulich seine Entsprechung. Letztlich bedeutet dies, dass im 1. Obergeschoss kein Flur mehr existiert; der Besucher trifft beim Betreten des Nutzungsbereichs auf die Findmittel und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lesesaals, die schon hier ansprechbar sind.

5. Darüber hinaus sollte der Bau die Funktion eines Archivs in der demokratischen Gesellschaft erkennen lassen. Statt einer „Geheimen Schatzkammer“ sollte ein einladender Ort für die Begegnung mit der Geschichte entstehen, ein Ort an dem gesellschaftliche und politische Prozesse nachvollzogen werden können. Dieses Signal der Offenheit wurde durch eine kom-plette, Transparenz signalisierende Verglasung des Öffentlich-keitsbereichs im Erdgeschoss erreicht.

Diese Beispiele mögen an dieser Stelle genügen; die Praxis wirdvielleicht zeigen, dass manche Einschätzungen und Bewertungensich im Laufe der Zeit ändern. Auch Auswirkungen künftigerEntwicklungen sind nur teilweise abschätzbar. Viele Regale mitFindmitteln werden z. B. nach deren erfolgter Digitalisierung inden nächsten Jahren rechnerunterstützten Arbeitsplätzen wei-chen. An den Abläufen, Funktionen (Recherche etc.) und Trans-portwegen im Archiv selber wird sich aber grundsätzlich nurwenig ändern.Die Baumaßnahme selber wurde in drei Bauabschnitte geglie-dert, die nacheinander durchgeführt werden sollten:

1. Neubau (Erweiterungsbau) mit anschließendem Umzug der Archivalien aus dem Nordmagazin in die neu geschaffenen Magazinflächen. Schaffung eines Übergangs zwischen Alt- undNeubau

2. Umbau des Verbindungsbaus und des Verwaltungstraktes im Altbau

3. Umbau des Nordmagazins im alten BestandIngesamt sollte nach Beendigung der Baumaßnahme 49.000 lfmMagazinkapazität zur Verfügung stehen: 15.150 lfm im Westmaga-zin (Altbestand), im Nordmagazin nach dem Einbau von Rollre-galanlagen 19.000 lfm und im Erweiterungsbau 14.850 lfm. NachBaufertigstellung sollten so genügend Platz für die Aktenzugängeder nächsten 30 - 40 Jahre und dauerhaft angemessene Flächenfür Nutzung und Öffentlichkeitsarbeit geschaffen sein.

DIE KONKRETE BAUPLANUNG(2006 – 2008)Der Erweiterungsbau – Darstellung dereinzelnen Funktionsräume

Nach dem Beschluss über die Etatisierung des Vorhabens konnte2006 mit der konkreten Planung der Bauausführung begonnenwerden. Da im Bau den Funktionen einzelne Geschosse zugewie-sen wurden, lässt sich die Darstellung nach Etagen gliedern.

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Erdgeschoss – Öffentlichkeitsbereich

Das Erdgeschoss dient, wie von Anfang an vorgesehen, ganz derinteressierten Öffentlichkeit. Hier öffnet und präsentiert sich dasArchiv. Trotz dieser Öffnung wird der Zugang, auch wegen dervorgesehenen Ausstellungsaktivitäten, durch eine ständig zubesetzende Pforte kontrolliert. Das Foyer ist an der Westseite miteiner großen klimatisierten Einbauvitrine ausgestattet, die diePräsentation ausgewählter Spitzenexponate ermöglicht. DieExponate werden trotz der Vollverglasung der Fassade durch denaußen angebrachten metallenen Sonnenschutz, Spezialglas sowieeinen vertikal beweglichen Sonnenschutz ausreichend vor schädi-gender Lichteinwirkung geschützt. Die eigentliche Ausstellungs-fläche umfasst 82,3 qm mit einer möglichen Erweiterung durchdie Einbeziehung der beiden Seminarräume.An der Nordseite befinden sich zwei variable Räume, die fürSeminare sowie Vortragsveranstaltungen genutzt werden können.Der kleinere umfasst 44 qm (Seminarraum II), der größere 74 qm(Seminarraum I). Sowohl untereinander sowie auch gegenüberdem Foyer sind beide Räume durch bewegliche Faltwändeabgetrennt. Dadurch können beide Räume zu einem großenVortragsraum mit 118 qm erweitert werden. Die Bestuhlung kannauf eine Kapazität bis knapp 200 Sitzplätze in das Foyer hineinerweitert werden. In besonderen Fällen können durch Zurück-schieben der Trennwand zum Foyer zudem beide Räume alszusätzliche Ausstellungsfläche in den Ausstellungsbereich inte-griert werden. In diesem Fall stehen insgesamt 200,8 qm Ausstel-lungsfläche zur Verfügung. Eine Garderobe mit Schließfächernsowie Sitzgelegenheiten für Nutzer des Generallandesarchivs zumGespräch oder für Pausen vervollständigen den öffentlich zu-

gänglichen Teil des Foyers. Die Toiletten für die Nutzer ein-schließlich des Behinderten-WCs befinden sich hier im Erdge-schoss. Zur gastronomischen Unterstützung für Veranstaltungendient ein 19,8 qm umfassender Vorbereitungsraum mit einerkleinen Catering-Küche. Die Stühle für die beiden Seminarräumekönnen im Stuhllager zwischen Seminarraum I und Vorberei-tungsraum gelagert werden.

1. OG – Nutzungsbereich

Die insgesamt sechs den Nutzern zugänglichen Räume sinduntereinander durch Glaswände abgetrennt. Hierdurch wird einÜberblick aus dem erhöhten Aufsichtsraum über das ganzeStockwerk möglich.Der Nutzer betritt den Nutzungsbereich durch eine sich selbst-tätig öffnende Tür und kommt in den Katalograum II. RechterHand kann ein erster Kontakt mit der Lesesaalaufsicht sowie dieAnmeldung über eine Theke erfolgen. Ein Handwaschbeckendaneben soll zu einem pfleglichen Umgang mit Archivalienbeitragen. Der Katalograum II beinhaltet auf einer Fläche von80,7 qm alle frei zugänglichen Findmittel in konventionellerForm. Hier sind die noch vorhandenen Karteikarten ebenso fürden Nutzer einzusehen wie klassische gebundene Findmittel.Natürlich kann hier auch eine EDV-Recherche an den vorhande-nen PCs (Recherchestationen) durchgeführt werden, über dieauch die Bestellung der Archivalien erfolgt. Der Katalograum Imit einer Fläche von 42,3 qm nimmt weitere Findmittel auf. Am

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Erweiterungsbau des Generallandesarchivs Karlsruhe, Ansicht von Süden (Fotomontage). Foto: Auer+Weber+Assoziierte, Stuttgart

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AUFSÄTZE

Ende des Katalograums II schließt sich ein 23,6 qm großerBeratungsraum an. Hier können die Archivarinnen und Archiva-re einzelne Nutzer oder Nutzergruppen individuell betreuen.An maximal neun Readerprintern können im FilmlesesaalNutzer Archivalien auf den vorhandenen Mikrofilmen einsehenund sich gegebenenfalls selbst Kopien oder Scans anfertigen.Dieser Raum, der alle vorhandenen Mikrofilme enthält sowieweitere dazukommende aufnehmen kann, umfasst insgesamt85,10 qm.Die eigentliche Nutzung der Originale findet im Lesesaal auf77,5 qm an circa 20 Arbeitsplätzen statt. Ein 32 qm großerGruppenraum bietet bis zu 10 weitere Sitzplätze und ermöglichteine gewisse Kommunikation bei der Einsicht von Archivalien.Die Aushändigung der Archivalien sowie die erste Beratung undBeaufsichtigung der Nutzer geschieht von einem erhöhten Raum-teil aus durch grundsätzlich zwei Archivbedienstete. Von hier auserfolgt auch gegebenenfalls die Betreuung des Filmlesesaals. So isthier gewährleistet, dass sich immer mindestens eine Person indiesem 24,2 qm großen Aufsichtsraum aufhält.Archivalien, die sich gerade in der Nutzung befinden, könnenüber Nacht im Rückhalteraum verwahrt werden, so dass aufeinen sofortigen Rücktransport ins Magazin verzichtet werdenkann. Hier konnte auch auf ausdrücklichen Wunsch der Bediens-teten eine kleine Toilette für die Mitarbeiter untergebrachtwerden.

2. OG – Werkstätten

Reprographie, Buchbinderei und Restaurierung sind im Erweite-rungsbau in das 2. OG gelegt worden. In einem 55,7 qm großen

Aufnahmeraum können sowohl Aufnahmen von einem Tisch alsauch von einer Saugwand gemacht werden. Die Kamera bewegtsich auf einer Bodenschiene in Richtung Saugwand. In diesemRaum werden vor allem großformatige Archivalien fotografiertoder gescannt. Zur Anfertigung traditioneller Papierkopien –immer noch die kostengünstigste Vervielfältigungsmethode –dient ein 22,1 qm großer Raum, der mit einem Kopiergerät undeinem Buchscanner ausgestattet ist. Ein traditionelles Entwick-lungslabor (21,3 qm), dessen Zugang nur über den Raum fürMikrofilmaufnahmen möglich ist, ist mit einem Entwicklungs-gerät für Fotopositive und Mikrofilme ausgestattet. Eine Wasser-aufbereitungsanlage gewährleistet die erforderliche Wasserqua-lität. Ein Kühlschrank, Chemikalienbehälter, Duplizier- undVergrößerungsgeräte vervollständigen das klassische Entwick-lungslabor, das trotz zunehmender digitaler Aufnahmen wohlnoch einige Zeit bestehen bleiben wird. In einem eigenen Mikro-raum (20,6 qm) werden Reproduktionswünsche nach Mikro-filmen erfüllt. Für die Mitarbeiter der Fotostelle sind zwei Ge-schäftszimmer im Umfang von jeweils knapp über 21 qm vorge-sehen. Das eine Zimmer dient vorrangig der Erfassung vonDokumenten mit Hilfe eines PC-Scanners, das andere enthälteinen PC-Farbdrucker sowie einen Durchlicht- und Diascanner.In dieser Gebäudeetage arbeitet auch der Sachbearbeiter derReprographie, der für die administrative Abwicklung der Fotoauf-träge verantwortlich ist. Kommunikation auf kurzem Weg wirdhierdurch möglich.Auch das Dienstzimmer des Nutzerreferenten ist hier angesiedelt.So bleibt auch ihm ein kurzer Weg in das darunter liegende1. OG, um in den Lese- und Findmittelräumen präsent zu sein.Da immer wieder ungestörte Gespräche mit Nutzern oderNutzergruppen notwendig werden, ist sein Dienstzimmer mit29,9 qm räumlich großzügiger angelegt.

Erweiterungsbau des Generallandesarchivs Karlsruhe, Grundriss 1. Obergeschoss (Vorlage: Architekturbüro Auer+Weber+Assoziierte, Stuttgart)

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Zwei großflächige Räume belegen die Buchbinderei und dieRestaurierungswerkstatt. Auf 68,5 qm sind in der RestaurierungPappenschere, Stockpresse, hydraulische Zwillingspresse, Schlag-presse sowie hydraulisch-mechanische Presse untergebracht.Dazu kommen noch ein Saugtisch, ein Kühlschrank und einChemikalienschrank. Mehrere Planschränke, die auch als Ablageoder Arbeitstisch genutzt werden können, vervollständigen denRaum. Die Buchbinderei beherbergt auf 56,1 qm eine Pappen-schere, Vakuumpresse, Polarschneidemaschine, Nutmaschine,hydraulische Zwillingspresse, Stockpresse sowie einen manuellenKlebebinder. Planschränke sowie ein Materialregal ermöglichenkurze Wege. Ein 18,3 qm großer Schmutzraum ermöglicht diegesicherte maschinelle Reinigung verschmutzter Archivalien. EinRegallager im Flur des Stockwerks, das zwischen der Restaurie-rung und der Buchbinderei gelegen ist, bietet weiteren Lager-raum. Toiletten für die Bediensteten, ein Putz- und ein EDV-Raum sowie eine Kaffeeküche (17,4 qm) für das im Erweiterungs-bau arbeitende Personal vervollständigen das Raumprogrammdieses Stockwerks.

1. und 2. UG, 3. OG – Magazine

Zwei unterirdische Magazinräume bieten insgesamt rund14.000 lfm Akten Platz. Zwei vollklimatisierte Filmmagazine im2. UG mit einer Fläche von 81,2 und 77,6 qm garantieren kühleLagerung von Fotos. Aus Kostengründen wird zunächst nur dergrößere der beiden Filmmagazinräume in Betrieb genommen.Das 3. OG nimmt das neue Kartenmagazin auf. Auf Rollwägenwerden die Kartenschränke mit einer Höhe von 15 Schubladenplatzsparend untergebracht. In circa 120 Kartenschränken miteiner Kapazität von circa 1.800 Schubladen können normalePläne und Karten magazingerecht verwahrt werden. Ein eigenesRollregal mit den Maßen 5,24 x 1,75 x 1,20 m (B x H x T) bietetoptimale Lagermöglichkeiten für gerollte, (noch) nicht plangelegte Karten. Überdimensional große Karten finden Platz ineinem besonderen Planschrank mit den Maßen 3,5 x 2 x 2,6 m.Ein gleichfalls auf diesem Stockwerk vorhandener Lagerraum miteiner Fläche von 22,1 qm dient der Fotowerkstatt als zusätzlichesLager.

FAZIT

Nach einer relativ langen Wartezeit wurde nach dem Startschuss2002 für den Erweiterungsbau des Generallandesarchivs in zweiPhasen sehr intensiv die Planung aufgestellt. Von Vorteil erwies sichdabei, dass auch das planende Architekturbüro Auer + Weber +Assoziierte, Stuttgart, sowie das ausführende Büro Wenzel undWenzel, Karlsruhe, mit großer Aufgeschlossenheit auf die Vorstel-lungen der Gebäudenutzer eingingen und deren möglichstvollständige Umsetzung anstrebten. Grundlage für die gelungeneKommunikation in der ersten Phase war die gemeinsame Spra-che, die mit einem Funktionsschema der Arbeitsprozesse imArchiv gefunden worden war. Darauf baute die grundsätzlicheRaumverteilung auf, die in der zweiten Phase in eine Detailpla-nung mit intensiven Gesprächen im Mitarbeiterkreis einmündete,sodass ein effektiv zu nutzendes Gebäude geplant werden konnte.

Mit dem Aushub im November 2008 begann die Bauphasedes Erweiterungsbaus, der Ende 2010/Anfang 2011 fertig gestelltsein soll.In einer Archivwelt, in der gerade der Umbruch vom Papierfaszi-kel zum digitalen Archivale erlebt wird, muss der Bau – wennauch architektonisch modern – als „klassisch“ eingestuft werden.Das ist angesichts der konkreten Situation in Karlsruhe mitaktuell aufzulösenden Außenmagazinen und noch über Jahr-zehnte ausstehenden Papierunterlagen in den Behörden auchsachgerecht. Allerdings sind vor allem im Nutzerbereich schondie Voraussetzungen für den Umstieg in die digitale Welt geschaf-fen. Besonders betont werden muss, dass ein Archiv, das sich seitJahrzehnten hoher Nutzerzahlen erfreuen darf, nun endlichRäume für eine ansprechende Öffentlichkeitsarbeit und einenfunktionalen Nutzerbereich erhält – was nun geeignet ist, imLand einen „vorteilhaften Eindruck“ eines staatlichen Archivs zuhinterlassen. Mit der nahezu kompletten Verglasung des Erdge-schosses, durch die sich das Archiv geradezu in alle Richtungenöffnet, ist zugleich ein deutliches Zeichen gegen das überkomme-ne Bild der Archive als verschlossene Bereiche gesetzt und damitihre Transparenz fördernde Rolle in der demokratischen Gesell-schaft durch den Baukörper sinnfällig charakterisiert.

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Dr. Clemens Rehm(Baureferent bis 2005)Landesarchiv Baden-Württemberg- Fachprogramme und Bildungsarbeit -Eugenstr. 7, 70182 StuttgartTel. 0711-212-4288E-Mail: [email protected]

Dr. Jürgen Treffeisen(Baureferent ab 2006)Landesarchiv Baden-Württemberg- Generallandesarchiv Karlsruhe -Nördliche Hildapromenade 2, 76113 KarlsruheTel. 0721-926-2267E-Mail: [email protected]

PLACES – PEOPLE – FUNCTIONS. THE BUILDINGEXTENSION OF THE GENERALLANDESARCHIV INKARLSRUHE

Before planning the building extension of the Generallandesarchivin Karlsruhe an analysis of the space and its function was carriedout, in which the distance employees walk during work and thedistance archive material is transported was analysed. Theseresults flowed into the spatial planning, in order to optimise thedistances covered during work. In the article the process is descri-bed and the spatial concept for the functional areas for publicrelations, utilisation (reading rooms, finding aids), restoration andthe magazine is presented in detail.

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AUFSÄTZE

von Wolfgang Franz Werner

Die nachfolgende Tabelle fasst die baulichen Grunddaten zusam-men.1

ARCHIVBAU IM DIENSTEDER BESTANDSER-HALTUNG: DER NEUBAUDES ARCHIVS DESLANDSCHAFTSVERBANDESRHEINLAND (ALVR)

Ab Anfang 2004 konnte der Neubau des ALVR schrittweisebezogen werden. Er liegt im Schatten der Abtei Brauweiler nurwenige Meter vom alten pro visori schen Ar chivgebäude entferntund bietet der Überlieferung des Land schafts verbandes undseiner Rechts vorgänger eine sichere Zukunft. Mit der Besichti-gung des Archivneubaus am 2. Mai 2005 durch den Bauaus-schuss und den Kulturausschuss des LandschaftsverbandesRheinland wurde das Archiv offiziell eröffnet.

m

10,5

3,5

3,10 Mio €

qm

1080

2379

91

1525

291

62

55

355

2796

1036

1083

2119

cbm

10195

Flächen, Längen, Rauminhalt

Verbaute Grundstückfläche

Maximale Höhe

Umbauter Raum (BRI)

Nettogrundrissfläche (NGF)

NGF Lesesaal

NGF Magazine

NGF Bearbeitungsbereich (davon Büros 161)

NGF Sanitärräume

Haustechnik

Nebenräume (einschl. Lift, Treppen, Flure)

Bruttogeschossfläche

mittlere Geschosshöhe brutto

Fassadenfläche

Dachfläche brutto

Außenfläche

Baukosten Gebäude und Freianlagen

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Entscheidend für die Bestandserhaltung sind die Magazine. DieMagazinfläche teilt sich in zwei je 642 qm große Magazine, diefür Archivgut aus Papier bestimmt sind. Eines davon muss wegender Zurückstellung eines separaten Zwischenarchivmagazinsvorübergehend als Zwischenarchiv genutzt werden. Amtsdruck-sachen und Karten sowie Teile der Fotobestände sind in einem272 qm großen separaten Magazin untergebracht. In einem etwa90 qm großen Sondermagazin mit vier verschiedenen Temperatur-zonen von 2° C bis 15° C sollen besonders empfindliche Materialenaufbewahrt werden. Dass die Bereitstellung eines fachlich einwandfreien Archivgebäu-des die wichtigste Maßnahme der Bestandssicherung bei traditio-nellem Archivgut ist, ist eigentlich selbstverständlich, so selbst-verständlich, dass sie schon wieder vergessen wird. Deshalb seisie hier ausdrücklich genannt und diesem Beitrag vorangestellt.Die Form der Bestandssicherung kann allerdings nur präventivsein, bereits vorhandene Schäden an Archivgut kann auch derbeste Archivzweckbau nicht heilen.Zwar hilft ein Archivgebäude durch seine schiere Existenz auchbei der Erfassung, Erschließung und Nutzung von Archivgut, daes Auffangraum bietet, um die Registraturbildner von überquel-lenden Registraturen zu entlasten. Derselbe Mechanismus derRaumökonomie zwingt dann den Archivar – natürlich nachran-gig im Vergleich zu seinem Berufsethos –, übernommene Mate-rialien zu bearbeiten und zur ständigen Verbesserung des Ange-botes für Benutzer bereitzustellen. Aber in diesem Beitrag soll esum den Teil des Archivgebäudes gehen, der für die Bestandserhal-tung grundlegend ist, nämlich den Magazinbereich. DieserBeitrag wird die wichtigsten Funktionen und Probleme derMagazine diskutieren, grundlegende ältere und neuere Literaturvorstellen und die Lösungen erläutern, die für den Neubau desArchivs des Landschaftsverbandes Rheinland gefunden wordensind. Dabei geht dieser Beitrag davon aus, dass es keine beste Lösunggibt. Das liegt einfach daran, dass es Bedingungen zu erfüllengilt, die sich widersprechen oder gar ausschließen wie Benutzungund Bewahrung. Immerhin kann man Prioritäten aufstellen undzu gewichteten Entscheidungen finden.

Fast zwanzig Jahre lang wurden Archivbauten für das ALVRgeplant. Die erste Konzeption stützte sich vor allen Dingen aufdie dem französischen Archivwesen entstammende Studie vonMichel Duchein2 aus dem Jahre 1977, für weitere Planungen wares dann die völlig neu gestaltete Version dieses Werkes. Dasneueste im Druck vorliegende Werk, das bei der Planung berück-sichtigt wurde, ist das Handbuch von Ted Ling3 aus dem Jahre1998, das die australischen Verhältnisse darstellt, dabei aber diewichtigste Literatur aus dem englischen, französischen unddeutschen Sprachraum berücksichtigt.

STANDORT UND BAUWEISEDie ersten Konzepte für die fachgerechte Unterbringung desArchivs des LVR gingen noch von einer Kombinationslösung aus.Dabei sollte der Magazinbereich entweder ganz neu erstellt oderein bestehender Bereich völlig neu gestaltet werden, während dieübrigen Funktionsbereiche des Archivs in geringfügig zu adaptie-rende bestehende Gebäude integriert werden sollten. Eine solcheAdaptionslösung4 bietet Vor- und Nachteile, die in unserem Fallschließlich keiner speziellen Diskussion bedurften, weil sich die

Bausubstanz der in Aussicht genommenen Gebäude in allenwesentlichen Punkten als ungeeignet herausstellte. Es gab daherkeine Alternative zu einem Neubau, einem Archivzweckbau.

Wegen der Widersprüchlichkeit der Anforderungen wurden diefolgenden Elemente also vorrangig eingestuft. Die Klimatisierungder Magazine sollte eine natürliche sein, aber durch den Einsatzmoderner Steuertechnologie optimiert werden, ohne aber vondieser Technologie funktionsabhängig zu werden. Technik solltenur sparsam eingesetzt werden und der Energieverbrauch sogering wie möglich sein. Beides trägt zur Stabilität inKatastrophen situationen bei, hat gewissermaßen Zukunft si-chernde Funktion. Aufbau und Ausgestaltung sollten die verschiedenen Bereiche desArchivs nach Funktionen klar trennen, ohne dass dadurchAblaufstörungen wie lange Wege entstanden. Sicherheit undSauberkeit ergänzen den Grundkatalog der Anforderungen.Vorrangig war zunächst, einen guten Standort zu finden. Da dieVorgaben der Verbandsleitung des Landschaftsverbandes Rhein-land auf Brauweiler hinausliefen, gab es nicht sehr viel Spiel-raum. Der Wunsch nach der Anbindung an Köln mit dem Sitzder Zentralverwaltung und der optimalen Anbindung für Archiv-benutzer war angesichts der Grundstückpreise in Köln vonvornherein zum Scheitern verurteilt. Immerhin hatte das inAussicht genommene Grundstück in Brauweiler den Vorteil, dasses mit keinem der wichtigsten Ausschlussgründe belastet war. Esgibt in seiner Umgebung weder Feucht- noch Überflutungsgebie-te, keine Erdrutschgefährdung, keine emissionsstarken Industrie-gebiete und, soweit bekannt, auch keine strategischen Ziele, diedem Neubau einen Kollateralschaden bescheren könnten. Nurdie Anbindung an die Zentralverwaltung und für Besucher istnicht optimal.

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1 Für die Zusammenstellung danke ich Krumbe + Schäfer Architekten, Golt-steinstraße 28, 50968 Köln.

2 Michel Duchein: Archive Buildings and Equipment, München 1977. Diese insEnglische übersetzte und erweiterte Version basierte auf der französischspra-chigen Ausgabe von 1966. 1988 erschien die zweite, erweiterte und überarbei-tete Auflage: Michel Duchein: Archive Buildings and Equipment, Münchenu. a. 21988.

3 Ted Ling: Solid, Safe, Secure. Building Archives Repositories in Australia.Canberra 1998. Noch nicht zur Verfügung standen in der Planungsphase diefolgenden wichtigen Werke: Mario Glauert/Sabine Ruhnau (Hg.): Verwahren,Sichern, Erhalten. Handreichungen zur Bestandserhaltung in Archiven. Pots-dam 2005; Gunnar Teske (Hg.): Bau und Einrichtung von Archiven. Erfahrun-gen und Beispiele aus Westfalen. Münster 2007 (=Texte und Untersuchungenzur Archivpflege 20) und Christopher Kitching: Archive Buildings in the Uni-ted Kingdom 1993-2005. Chichester 2007.

4 Archivberatungsstelle Rheinland (Hg): Archivgebäude. Umwandlung undEinrichtung für Archivzwecke. Köln 1993 (=Archivhefte 26).

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AUFSÄTZE

Nachdem die Entscheidung für das Grundstück gefallen war,konnte an die Konstruktion und den Bau gedacht werden. DasKonzept gründete sich auf den als kleinsten Baustein angenom-menen Archivkarton mit den Maßen 40 x 28 x 11 cm. Da dieMasse des Archivgutes Akten sind, die im Wesentlichen ausPapier im Format A4 bestehen, ließ sich dieser Ansatz sehr gutdurchhalten.Wie ein Archiv grundsätzlich konstruiert zu sein hat, beschreibtder britische „Standard for Record Repositories“: „Das Archivund besonders seine Magazine müssen robust (Ziegelstein, Steinoder Beton) konstruiert sein. Dächer, Wände, Böden, Decken undÖffnungen müssen ausreichend Schutz gegen unautorisiertenZutritt, Feuer, Überflutung und Feuchte bieten. Das Gebäudesollte effektiv vor Staub, Luftverschmutzung und Schädlingenaller Art schützen.“5

Massiven Schutz erhält das Archivgut in den Magazinen desALVR durch das Hauptbaumaterial Beton. Die Außenmauernsind 30 cm stark und als Filigranwand aufgebaut, d. h. unterVerwendung von Fertigteilen, die vor Ort montiert und mitOrtbeton verbunden wurden. Die dieser Bauweise eigene Schnel-ligkeit im Aufbau führte im Nebeneffekt auch dazu, dass derWassereintrag ins Gebäude in der Bauphase minimiert und

damit die Phase der Gebäudetrocknung verkürzt werden konnte.Sechs Zentimeter dicke Mineralfaserplatten auf der Außenseitesorgen für eine gute Isolierung, wozu auch eine vier Zentimeterdicke Luftschicht beiträgt, die sich zwischen den Mineralfaser-platten und der vorgehängten Vormauerung befindet, die dieMagazine ganz außen umgibt, aus Vollziegeln besteht und denGesamtschutz verstärkt. Bei dieser Konstruktion konnte auf eineDampfsperre in der Außenwand verzichtet werden. Beim unwahr-scheinlichen Fall der Durchnässung der Mineralfaserplattenreicht die Luftzirkulation hinter der Vormauerung aus, diedünnen Platten schnell wieder zu trocknen. In den Magazinensorgt ein 2,5 cm dicker Kalkzementputz (Sanierungsputz) für dennotwendigen Feuchtigkeitsausgleich. Da nach den Berechnungendes Bauphysikers die Feuchtigkeit maximal 1,5 cm weit eindringt,gab es auch hier keinen Grund für eine Dampfsperre. Die Boden-platte im Untergeschoss enthält eine solche Sperre, um das Auf-steigen von Feuchtigkeit aus dem Boden in den Estrich zu verhin-dern. Auch im Dach ist eine Dampfsperre eingebaut, um dem Ein-dringen von Feuchtigkeit in die Wärmeisolierung vorzubeugen.

Öffnungen im Magazin sind potentielle Gefahrenquellen. Daherwurde die Zahl der Öffnungen auf das fachliche und gesetzlicheMinimum beschränkt. Es gibt neben den Zugangstüren jeweils

Neubau des Archivs des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR), Frontansicht (Foto: Andreas Schiblon/LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

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noch einen Fluchtausgang. Panikschlösser gestatten im Notfalldas Verlassen des Gebäudes ohne Schlüssel. Umgekehrt bietendie reinen Fluchtwegtüren keine Möglichkeit, sie von außen zuöffnen. Die Zugangstüren sichern mit elektronischen Schlösserndas Gebäude nach außen sowie die Übergänge in die verschiede-nen Bereiche. Außerhalb der erweiterten Dienstzeiten sind dieSchlüssel grundsätzlich deaktiviert. Im Falle des Verlustes kannein Schlüssel völlig aus dem System genommen werden. Beidesverhindert bzw. verringert die Gefahr des unberechtigten Zutrittsmit entfremdeten Schlüsseln. Außerdem wird so das Haftungsri-siko für Mitarbeiter bei Verlust eines Schlüssels deutlich gesenkt.

Die wenigen Fenster der Magazine sind schmal und mit Metallvergittert. Die Gitter sind mit Faserzementplatten bzw. Holzla-mellen verkleidet, so dass es nur mit sehr großem Aufwandmöglich wäre, in die Magazine einzudringen. Die Platten verrin-gern zusätzlich den Lichteinfall. Feiner Maschendraht verhindertdas Eindringen von Vögeln ebenso wie von kleinen Schädlingen,wenn die Fenster geöffnet sind. Schließkontakte, Magnetkontak-te, Feuer- und Bewegungsmelder runden die Absicherung ab.

Auf den ersten Blick wirken die Dächer des Archivs flach. Sie sindals leicht gewelltes Walmdach ausgeführt und bestehen ausAluminium und bieten ausreichendes Gefälle für die schnelleAbführung von Regenwasser, das über außen angebrachte Regen-rinnen und Fallrohre in die Kanalisation gelangt. Die ursprüng-lich angedachte Lösung, Regenwasser in einer Rigole versickernzu lassen, wurde wegen der Nähe zu dem Tiefgeschoss-Magazinaufgegeben. Im Magazindach gibt es keine Fenster oder Durch-lässe, so dass von einer hohen Absicherung gegen Wind, Regenund Unwetter gesprochen werden kann. Blitzableiter sorgendafür, dass auch Gewitter keinen Schaden anrichten können.Gitter, Sichtblenden und Maschendraht schützen die Fenster-flächen vor Hagel.

Die Konstruktion dient aber nicht nur dem Schutz allgemein, sieenthält auch Elemente, die für ein stabiles Klima sorgen, was dieLebenserwartung des Archivgutes erhöht. Der Faktor der relati-ven Feuchtigkeit gilt dabei als vorrangig. Zu niedrige relativeLuftfeuchtigkeit verursacht bei vielen Archivalien Austrocknung,Versprödung und Brüchigwerden. Zu hohe relative Luftfeuchtig-keit fördert die Bildung von Schimmel, der mittelfristig dasbefallene Archivale sowie sein Umfeld, also auch Menschen,gefährdet. Starke Schwankungen der relativen Luftfeuchtigkeitüber einen längeren Zeitraum können zu Rissen und Verformun-gen beim Archivgut führen und in speziellen Fällen chemischeReaktionen beschleunigen.6 Um die von der Feuchtigkeit ausge-hende Gefahr gering zu halten, wurde, wie oben geschildert, mitFertigteilen gearbeitet und der Rohbau schnell geschlossen, umeine zusätzliche Durchfeuchtung durch Niederschläge zu verhin-dern. Die Böden wurden in konventionellem Anhydridestrichausgeführt. Hauptvorteile dieses Verfahren liegen darin, dass sichdieser Estrich leicht großflächig aufbringen lässt, dass er span-nungsarm und fast ohne Verformung aushärtet und eine hoheEndfestigkeit erreicht. Er ermöglicht die Schaffung großer,fugenloser Flächen und ist ideal für die streifenweise Verlegungzwischen den Rollregalschienen. Der geringe Anmachwasserge-halt des Estrichs und der frühe Zeitpunkt, von dem an dieserEstrich künstlich getrocknet werden kann, sorgen dafür, dass sichdie Luftfeuchtigkeit in den Magazinen zügig normalisiert.7

MAGAZINKLIMA

In den Magazinen unseres Archivs reguliert der Innenputz(2,5 cm an den Wänden und 1,5 cm an den Decken) die Feuchtig-keit. Er nimmt überschüssige Feuchtigkeit auf und gibt sie beiBedarf wieder ab. Den Putz an den Decken anzubringen, erwiessich als nicht ganz einfach, obwohl nach den Erfahrungen an-dernorts bei unserem Bau von vornherein darauf geachtet wor-den ist, dass der Deckenbeton nicht zu glatt ausgeführt wurde.Dennoch gab es Schwierigkeiten mit dem Aufbringen des Putzes.Wesentlich für das Gelingen war es, dass auf die Glättung desPutzes an der Decke verzichtet wurde. Nun haftete der Putz, dieDecke erinnert allerdings jetzt ein wenig an eine Tropfsteinhöhle.Dies mag ein ästhetischer Nachteil sein, der aber im Nebeneffektzu einer erheblichen Vergrößerung der Putzoberfläche führte, diesich ausgesprochen positiv auf die Feuchtigkeitsregulierungauswirkt. Die relative Luftfeuchtigkeit wird (wie die Temperatur) an zwölfMesspunkten in jedem großen Magazin laufend elektronischüberwacht und gegen den Zielwert 50 % abgeglichen. Reicht derInnenputz für die Regulierung nicht mehr aus, werden dieFenster automatisch geöffnet und durch Querlüftung versucht,überschüssige Feuchtigkeit abzutransportieren. Vorher vergleichtdas System aber die absolute Feuchte innen und außen. Dadurchwird verhindert, dass unerwünschte Feuchtigkeit ins Magazingelangt. Bei extremen Bedingungen können mobile Entfeuchterins Magazin gefahren werden, was im bisherigen regulärenBetrieb jedoch noch nicht notwendig war. Die nachfolgende Grafik für Mai zeigt, dass trotz starker Schwan-kungen der relativen Luftfeuchtigkeit außen (weiß) sich dierelative Luftfeuchtigkeit in den großen Magazinen (schwarz) imidealen Bereich bewegten, nur das kleinere Karten- und Drucksa-chenmagazin war nicht ganz so stabil.8

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5 The National Archives (Hg.): Standard for Record Repositories. London 2004.Abschnitt 5.3.1., meine Übersetzung. Siehe auch:www.nationalarchives.gov.uk/documents/standard2005.pdf.Vgl. dazu auch die Empfehlung der Archivreferentenkonferenz: Notfallvorsorge in Archiven. (Stand 17.11.2004) www.landesarchiv-bw.de/sixcms/detail.php?template=hp_artikel&id=8648&id2=8446&spra-che=de mit vielen Hinweisen auf bauliche Maßnahmen zur Vorbeugung ge-gen Schäden unterschiedlichster Art.

6 Vgl. dazu die Aufstellung bester Erhaltungsbedingungen in: UNESCO(Hg.): Safeguarding Our Documentary Heritage, S. 8/16 –http://webworld.unesco.org/safeguarding/en/index.html. Hilfreich jetztauch Mario Glauert: Klimamessung und Klimaregulierung im Archivmaga-zin. In: Mario Glauert / Sabine Ruhnau (Hg.) (wie Anm. 3), S. 55-72.

7 Industriegruppe Estrichstoffe im Bundesverband der Gips- und Gipsplat-tenindustrie (Hg.): Rohstoffe für Calciumsulfat-Fließestriche – www.calci-umbo.de/PDFs/Rohstoff.pdf. Vgl. außerdem die Pressemeldung von Lanxessvom2.4.2004:www.anhydrit.com/anhydrit/de/publications/press/00.2004/content/index_00276.php.

8 Die Lücken in den Datenreihen resultieren aus Serverproblemen bei der Ein-führung einer Terminal-Server-Umgebung.

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AUFSÄTZE

Bei der Regulierung der Feuchtigkeit wird im Notfall eine Tempe-raturerhöhung über den Richtwert von 17° C in Kauf genommen,da Erwärmung keine so starke Bedrohung darstellt wie zu vielFeuchtigkeit. Dennoch darf man sie nicht unterschätzen. Siebeschleunigt bei fast allen Formen von Archivgut chemischeReaktionen und damit den Zerfall. Bei audiovisuellen Informati-onsträgern muss u. a. mit Deformation und Signalverlust gerech-net werden. Diese Träger neigen bei starken Temperaturschwan-kungen zu Rissen und Schichtablösungen. Die Temperatur wird ähnlich wie die Feuchtigkeit elektronischüberwacht und durch Querlüftung reguliert. Bei extremer Kältewird eine konventionelle Heizung zugeschaltet, die sich vonnormalen, wasserbeschickten Heizkörpern primär dadurchunterscheidet, dass die Vorlauftemperatur hier niedriger ist, weilTemperaturveränderungen behutsam herbeigeführt werdensollen. Das Wasser in dieser Heizung stellt keine Gefahr für das

Archivgut dar. Drucksensoren überwachen das System. Registrie-ren sie eine Druckabfall im Netz, etwa bei einem Leck, wird dasSystem automatisch gestoppt und die austretende Wassermengebegrenzt. Selbst wenn alles Wasser ausflösse, würde es sich imUntergeschoss zu maximal 2,5 cm Höhe aufstauen, ein ziemlichbeherrschbares Risiko, wenn man berücksichtigt, dass der unters-te Regalboden sich 15 cm über der Bodenfläche befindet.

Bei der Ausrichtung des Magazinbaus ist darauf geachtet worden,dass die Südseite der Sonne möglichst wenig Angriffsflächebietet, um dem Aufheizen Grenzen zu setzen. Das Aluminium-dach mit seiner Metallwetterhaut reflektiert das Sonnenlicht stark.Die Mineralfaserdämmung verhindert zusätzlich unerwünschteErwärmung. Die kontrolliert natürliche Klimatisierung zieltnicht nur auf die Einrichtung optimaler Werte, sondern auch aufdie möglichst schwankungsfreie Beibehaltung dieser Werte.9

Magazinklima ALVR, Relative Luftfeuchtigkeit in %

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Die vorstehende Grafik zeigt den Temperaturverlauf im Mai2009.Die Zieltemperatur von 17° Celsius wurde leicht überschritten,liegt aber im tolerierbaren Bereich.Die geforderte leichte Luftbewegung10 zur Vermeidung vonunerwünschten Kleinklimata wird durch die Querlüftungerreicht, die auch für den Luftaustausch sorgt. In den Magazin-teilen, die keine Fenster haben, kann ein elektrischer Lüfter fürdie notwendige Luftbewegung sorgen. Die Durchlüftung wirdunterstützt durch die wandfreie Aufstellung der Rollregalanlagenund durch die Montage von Gittern statt Blechen auf den Stirn-seiten der Regalwagen. Außerdem wird die Belüftung gefördertdurch die Ausrichtung des Archivs. An der West- bzw. Ostseitesind die Fenster angebracht, so dass die Hauptwindrichtung inden Dienst der Belüftung genommen werden kann. Eine Filteran-lage zum Neutralisieren von Gasen oder zum Ausfiltern vonSchwebestoffen usw. ließ sich nicht durchsetzen.Bei Stromausfall werden die Fenster, die für die Querlüftungsorgen, automatisch zugefahren. Das geschlossene System bleibt

aufgrund seiner großen Masse auch ohne Steuerung ziemlichklimastabil. Durch die Fenster bleibt auch ohne künstliches Lichttagsüber die Orientierung möglich. Holz- bzw. Faserzementlamel-len an den Fenstern verhindern die direkte Einstrahlung vonschädlichem (infrarotem oder ultraviolettem) Licht. Die imArchiv verwendeten Neonröhren generieren in ihrem Spektrumkaum ultraviolettes Licht. Der Einsatz von Archivkartons ergänztden Schutz vor Licht. Die Neonröhren haben außerdem eineUmmantelung, die verhindert, dass die Röhren zersplittern undu. U. heiße Bestandteile sich lösen und zu einem Brand führen.

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Magazinklima ALVR, Temperatur in °C

9 Helmut Bansa warnt nicht zu Unrecht vor Zahlenfetischismus und weistdarauf hin, dass z. B. Schimmelfälle in Archiv und Bibliothek in der Regel ausKatastrophen oder groben Verhaltensfehlern resultieren und nicht aus kurzei-tigen Abweichungen von Normwerten: Helmut Bansa: Normen zur Bestands-erhaltung. S. 6 – www.uni-muenster.de/Forum-Bestandserhaltung/grund-lagen/norm-bansa.shtml.

10 Mir erstmals bekannt geworden durch den britischen Archivstandard in derVersion von 1989. Die aktuelle Version ist BS 5454:2000 Recommendations for the storage and exhibition of archival documents. London 2000. Dazu gibt es eine Erläuterung: Archival documents. Guide to the interpretation of BS 5454:2000. Storage and exhibition of archival documents. London 2001.

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AUFSÄTZE

BRANDSCHUTZ UNDLAGERUNGSTECHNIK

Die Zugangstüren zu den Magazinen bieten als Brandschutz-türen 90 Minuten lang Schutz gegen Feuer. Mehr wäre wün-schenswert, aber auch unverhältnismäßig teurer gewesen.Derartige Türen sind außerdem noch schwerer zu bedienen, essei denn, man setzt zusätzliche Technik ein. Da Anlagen mit tech-nischen Öffnungshilfen weder erwünscht noch finanzierbarwaren, blieb es bei dem bescheideneren Standard. AufBrand(schutz)abschnitte in den Magazinen wurde verzichtet, dadiese nur eine Größe von rund 642 qm erreichen.11 Sie sind nichtzwingend vorgeschrieben, wurden von der Feuerwehr auch nichtverlangt und hätten das Durchlüftungssystem beeinträchtigt.Sehr viel wichtiger wäre mir die automatische Brandbekämpfunggewesen. Die jedoch war bei dem engen Finanzrahmen nicht zurealisieren. Die Magazine wie auch die restlichen Räume sind mitBrandmeldern ausgestattet, die auf eine Alarmzentrale im Gelän-de der Abtei Brauweiler geschaltet sind. Diese Zentrale ist ständigbesetzt, so dass im Brandfall sofort reagiert werden kann. ImArchiv selbst stehen Feuerlöscher zur Selbsthilfe zur Verfügung,Schaumlöscher für den Bürobereich, Pulverlöscher für denMagazinbereich.Die Magazine wie die Büros sind mit speziellen, hochbelastbarenKautschuk-Bodenbelägen ausgestattet worden. Dies erleichtertdie Reinigung und die Kontrolle der Magazine auf Schädlings-befall. Das Material ist schwer entflammbar nach DIN 4102/B1.Es enthält weder PVC noch Halogene, so dass bei einem Brandnur Gase frei werden können, die als unbedenklich gelten (DIN4102) und keine Furane, Chlorwasserstoffe oder Dioxine.12

Der überwiegende Teil des Archivguts wird in Rollregalanlagengelagert. Um die Luftzirkulation zu gewährleisten, sind dieRegalwagen an den Stirnseiten mit Gittern statt mit Blechenversehen. Die Regalblöcke halten auf allen Seiten mindestens 40 cm Abstand von der Wand, so dass sich hier keine Feuchtig-keit absetzen kann. Temperatur- und Feuchtigkeitsmessungenauch innerhalb der Regalblöcke sollen unerwünschte Klein-klimazonen erkennbar machen. Die Anlagen entsprechen den berufsgenossenschaftlichen Sicher-heitsbestimmungen.13 Sie besitzen das Gütesiegel GS (GeprüfteSicherheit) und halten den Anforderungen des GütezeichensRAL-RG 614/4 ein. Der unterste Regalboden befindet sich 18 cmüber dem Boden, so dass auch beim unwahrscheinlichen Falleines Wassereinbruches in das Archivmagazin ein erheblicherSicherheitsabstand zur Verfügung steht. Die Wagen sind rd. 6,3 mlang und 2,3 m hoch. Sie werden von Hand verfahren und sindsomit auch bei Stromausfall benutzbar. Der typische Wagenenthält beidseitig je sechs Regale mit jeweils 5 Gefachen. JedesGefach ist 40 cm tief und 1,20 m breit und kann zwölf Standard-Archivkartons aufnehmen. Ein wichtiges Element dieser Lage-rung sind die säurefreien Archivkartons mit ihrer Frontklappe. Sokönnen Archivalien entnommen bzw. reponiert werden, ohnedass die Kartons selbst bewegt werden müssen. Die Gefachbödenund die Aufbauten sind pulverbeschichtet. Damit ist sicherge-stellt, dass von ihnen keine chemische Beeinträchtigung ausgehenkann. Diese kompakte Lagerung hat ihre bauliche Voraussetzungin der Bodenbelastbarkeit von 1.200 kg pro m2.

Nach mehr als vier Jahren Arbeit im und mit dem Archivneubaukann man sagen, dass sich der Aufwand gelohnt hat und das Ziel,der Vergangenheit eine Zukunft zu geben, erreicht worden ist.Nach den Erfahrungen beim Bau des Archivs würde ich heutemanches Detail anders regeln, aber das ursprüngliche Konzeptnicht in Frage stellen.

11 In den Empfehlungen der Archivreferentenkonferenz „Notfallvorsorge in Ar-chiven” (wie Anm. 5) wird in der Anlage 1 verwiesen auf Günter S. Hilbert:Sammlungsgut in Sicherheit. Berlin 32002, S. 421, demzufolge Brandschutzab-schnitte maximal 1600 m2 groß sein sollen.

12 www.nora.com/de/produkte/kautschuk-als-werkstoff.html. Das Nationalarchivder USA hat in seinem Neubau die Böden mit einem speziellen Epoxid-Harz(3505S Epoxy Floor Coating) versiegeln lassen – www.archives.gov/preserva-tion/technical/tip13.pdf, S. 10 (Floor Coating).

13 BGR 234 (früher ZH1/428) „Lagereinrichtung und Geräte“ bereitgestellt vonder Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik –www.bge.de/asp/dms.asp?url=/zh/z428/inhalt.htm.

Dr. Wolfgang Werner LVR-Archivberatungs- und FortbildungszentrumArchiv des LandschaftsverbandesEhrenfriedstr. 19, 50259 PulheimTel. 02234-9854-343, Fax 0221-8284-2974 E-Mail: [email protected]

THE NEW BUILDING OF THE ARCHIVES OF THELANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND

A purpose-built archive is the single greatest measure to ensure thesustained conservation of archival documents. Into such a building,the archives of the Landschaftsverband Rheinland moved in 2004.The storage area comprises approximately 1600 sqm. It combinesthe principle of high thermal mass with the advantages of acomputerized building management system. Overall costs wereslightly above 3 Million €.

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DIE VORGESCHICHTE Anlässlich der Eröffnung des Essener Stadtarchivs im ehemaligenRabbinerhaus der Alten Synagoge verkündete Hermann Schröter:„Nach einer Odyssee von 150 Jahren ist eine Endlösung [sic!]gefunden worden, die den modernen Ansprüchen genügt und einerfolgreiches Arbeiten [...] erlaubt.“1 Der Archivleiter hatte sichnicht nur im Vokabular vergriffen, er irrte auch hinsichtlich derAufnahmefähigkeit des Magazins.Mit der vermehrten Übernahme von Akten der Stadtverwaltungund vor allem bedingt durch die Einrichtung eines Zwischenar-chivs geriet die Lagerkapazität in dem Haus an der Steeler Straßebald an ihre Grenzen, sodass weitere städtische Gebäude zurUnterbringung der Akten genutzt werden mussten. Leider warendie Lagerungsbedingungen an allen Standorten nicht archivge-recht. Die Temperaturschwankungen waren enorm; zudem wareneinige Lagerungsräume derart feucht, dass Unterlagen mitSchimmel überzogen waren und deshalb behandelt werdenmussten. Die Archivberatungsstelle des Landschaftsverbands

Rheinland kam daher 1994 in einem Gutachten zu dem Schluss,dass das Stadtarchiv Essen seinen gesetzlichen Aufgaben nichtnachkäme.Zwar bestand sowohl bei der Stadtverwaltung als auch bei denpolitischen Entscheidungsgremien Einigkeit, dass eine andereUnterbringung notwendig sei, doch mit den Planungen wurdeerst im Jahre 1999 begonnen. Die Konzeption der städtischenBauverwaltung sah ein neues Gebäude an der Segerothstraße, inunmittelbarer Nähe der Universität, vor. Im Jahre 2002 waren diePlanungen abgeschlossen, die Baugenehmigung erteilt worden,doch die Bezirksregierung in Düsseldorf versagte dem Neubauvorerst ihre Zustimmung. Die Stadt sollte vielmehr nach billige-ren Alternativen Ausschau halten.

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DAS NEUE HAUS DERESSENER GESCHICHTE /STADTARCHIV

von Klaus Wisotzky

1 Hermann Schröter: Das Stadtarchiv Essen. Zum Umzug in das neue Archiv-gebäude Steeler Straße 29. In: Der Archivar 15 (1962), Sp. 77-86, hier Sp. 86.

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AUFSÄTZE

Bei der Suche nach anderen Standorten wurde auch die Luisen-schule am Bismarckplatz begutachtet. Ihre Schließung standunmittelbar bevor, da die Anmeldezahlen stark rückläufig waren.Eine erste Kostenabschätzung ergab, dass diese Alternativegegenüber dem Neubau an der Segerothstraße etwas kostengüns-tiger sei. Die Unterbringung des Stadtarchivs an diesem Ort hattezudem den Vorteil, dass das städtische Schulgebäude, dessenälterer Teil aus dem Jahre 1906 unter Denkmalschutz steht,sinnvoll genutzt würde.Während der Diskussion, die Jahre andauerte, ergaben sich fürdie Neukonzeption zwei gewichtige Veränderungen:1. Aufgrund der Umwandlung der Mahn- und Gedenkstätte Alte

Synagoge in ein „Haus der jüdischen Kultur“ musste für die Ausstellung „Verfolgung und Widerstand“, die nicht mehr zur Gesamtkonzeption des neuen Hauses passte, ein neuer Platz gefunden werden. Nach Überprüfung mehrerer Standorte beschloss der Rat der Stadt Essen, die Ausstellung in erweiter-ter und stark veränderter Form (Arbeitstitel: Essen im 20. Jahr-hundert) im neuen Stadtarchiv zu zeigen.

2. In Essen wurde die gesamte stadtgeschichtliche Literatur eben-so wie die Tageszeitungen traditionell in der Stadtbibliothek gesammelt.2 Alle die, die ein historisches Thema bearbeiteten, waren also gezwungen, an zwei Stellen zu forschen. Um diese wenig kundenfreundliche Situation abzuschaffen, schlug der Leiter der Stadtbibliothek vor, sowohl die stadtgeschichtliche Literatur als auch die Zeitungen ins Stadtarchiv zu transferieren.

Weitere Ergänzungen der Bestände ergaben sich aus der Abgabe des Archivs Ernst Schmidt, einer Sammlung zu den Themengebieten „Arbeiterbewegung“, „Widerstand und Verfolgung“,3 durch das Ruhrlandmuseum sowie der Über-lassung der Bücher und Sammlungsunterlagen der Westdeut-schen Gesellschaft für Familienkunde – Bezirksgruppe Essen.Des Weiteren hatte sowohl der Historische Verein für Stadt und Stift Essen als auch die Westdeutsche Gesellschaft für Famili-enkunde beschlossen, ihre Vortragsveranstaltungen in das neu zu schaffende Institut zu verlegen. So erschien es gerechtfertigt, das Stadtarchiv in „Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv“ umzubenennen.Da die Prüfungen des Standortes Luisenschule in mehrfacher Hinsicht positiv ausfielen, revidierte der Rat der Stadt Essen am 14. Juli 2004 seinen Beschluss vom 23. Januar 2002 und entschied nun einstimmig, einen europaweit ausgeschriebenen Planungswettbewerb durchzuführen.Die Aufgabe für die Architekten lautete kurz zusammengefasst:Im teils denkmalgeschützten Gebäude der Luisenschule sind imErd- und Kellergeschoss die Funktionsräume des Stadtarchivs(Lesesaal, Vortrags- und Seminarräume, Büros, Restaurierungs-werkstatt) und Räume für die Ausstellung „Essen im 20. Jahrhun-dert“ einzurichten, wobei die weitgehend originalgetreu erhalte-nen Luftschutzräume des Zweiten Weltkriegs in den Ausstel-lungsparcours einzubeziehen sind. Zweitens ist ein Magazin zuerrichten mit einer Kapazität von etwa 17 Regalkilometern.

Luisenschule in Essen (Foto: Stadtarchiv Essen)

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Aus dem Wettbewerb, zu dem sich 820 Architekten gemeldethatten, von denen 17 ausgelost wurden – hinzu kamen dreigesetzte Essener Büros –, ging als Sieger der Entwurf des Archi-tekturbüros Frank Ahlbrecht/Hermann Scheidt, Essen, hervor. Erüberzeugte die Jury unter dem Vorsitz von Walter von Lom wegenseiner Funktionalität, seines behutsamen Umgangs mit derGebäudesubstanz und wegen des Magazins, eines wegen seinerCortenstahl-Fassade „monolithisch anmutenden Baukörpers“,der sich aber sehr harmonisch in das Gebäudeensemble derLuisenschule einfügte.4 Besonders wusste diese Cortenstahl-Fassade zu gefallen, da sie in mehrfacher Hinsicht symbolischeBedeutung hat. Der Stahl schützt das „Gedächtnis der Stadt“ wieein Tresor. Hier wird das im Laufe der Jahrhunderte angewachse-ne Schriftgut sicher geborgen. Da der Stahl sich permanentverändert und durch Alterung (Korrosion) seine eigene Schutz-schicht bildet, steht er wie kaum ein anderes Material für denWandel der Zeit. Letztendlich ist er auch ein Verweis auf dieVergangenheit der Stadt Essen, die mit Krupp und Stahl identifi-ziert wurde.

Auch wenn fertige Pläne für die Umsetzung vorlagen, so dauertees wieder einige Jahre, ehe der Baubeginnbeschluss am 16. Mai2007 vom Rat gefasst wurde. Zugleich wurden die Baukosten auf6.135.000 Euro „gedeckelt“. Am 27. Mai 2008 erfolgte dann dieGrundsteinlegung durch den Oberbürgermeister WolfgangReiniger, und im Herbst 2009 konnten die Bauarbeiten beendetwerden. Der Dienstbetrieb wird im Dezember 2009 wiederaufgenommen werden.

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Magazinneubau des Stadtarchivs Essen (Foto: Stadtarchiv Essen)

2 Siehe Christian Eiden: Die Heimat im Buch: hundert Jahre lokale und regio-nale Themen im Medienbestand der Stadtbibliothek Essen; Geschichte undPotenzial einer Sachgruppe. In: ProLibris 12 (2007), S. 63-70.

3 Birgit Hartings / Michael Zimmermann: Das Archiv Ernst Schmidt. In: DerArchivar 59 (2006), S. 249 f.

4 Protokoll der Preisgerichtssitzung vom 28.1.2005.www.essen.de/Deutsch/Rathaus/Aemter/Ordner_60/protokoll_preisgerichts-sitzung.pdf [abgerufen am 3.9.2009].

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AUFSÄTZE

DAS HAUS DER ESSENERGESCHICHTE / STADTARCHIV

Das Gebäude der ehemaligen Luisenschule wird multifunktionalgenutzt. Während das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchivdas Erdgeschoss, den Keller und einige Räume im 1. Oberge-schoss nutzt, wird im 1. und 2. Obergeschoss des alten Traktsweiterhin Unterricht abgehalten. Hier ist die Oberstufe desBurggymnasiums untergebracht, da am Standort Burgplatz durchdie Aufnahme der Schülerinnen und Schüler der Luisenschulenicht genügend Räumlichkeiten vorhanden sind. Weitere Klas-senräume im 2. Obergeschoss des neuen in den 1950er Jahrenerrichteten Trakts werden von dem benachbarten Berufskolleggenutzt. Ferner ist im 1. Obergeschoss des neuen Trakts dieHindenburger Heimatstube eingerichtet worden, in der eineAusstellung zu Hindenburg/Zabrze gestern und heute gezeigtwird.Diese multifunktionale Nutzung schafft vielleicht einige Proble-me – dies wird die Zukunft zeigen –, doch sie bietet auch Chan-cen der Zusammenarbeit von Archiv und Schule im Bereich derHistorischen Bildungsarbeit.

Eingänge Der Hauptzugang zum Gebäude liegt am Bismarckplatz, der beider Umgestaltung des Gebäudes auch besonders hervorgehobenwurde. Wir hoffen, dass auch ein markantes Kunstwerk, das DirkHupe konzipiert hat, aufgestellt werden kann. Doch dessenFinanzierung ist leider noch nicht gesichert. Dieser Haupteingang wurde mit einem Behindertenaufzugversehen, sodass der Zugang zum Gebäude für Rollstuhlfahrernun kein Problem mehr darstellt. (Auch innerhalb des Hausesder Essener Geschichte / Stadtarchiv gibt es zur Überwindungvon Stufen Treppenlifte.)Ein weiterer Eingang liegt an der Rückseite des Gebäudes undermöglicht einen schnellen Zugang zum Lesesaal.Die Anlieferung – z. B. von Aktenabgaben der Stadtverwaltung –erfolgt über den Schulhof. An der Schnittstelle von Schulgebäudeund Magazin wurde ein Lastenaufzug eingebaut, der einenbequemen Transport in alle Etagen erlaubt.

FoyerDas beeindruckende Entrée bildet die neugotische Empfangshal-le mit ihren Kreuzgratgewölben. Dieser Raum wurde in Abspra-

Grundriss „Hochparterre“ (Vorlage: Architekturbüro Frank Ahlbrecht)

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che mit der Denkmalbehörde in seine Ursprungsform zurückge-führt.An die Halle schließt sich eine Informationsloge an, die ständigwährend der Öffnungszeiten besetzt ist. Sie dient allen ankom-menden Besuchern als erste Anlaufstelle, um Orientierung zuerhalten. Sie dient aber auch der Sicherheit im Gebäude. Sowerden hier auch die Überwachungsbilder aus den Ausstellungs-räumen aufgespielt.Von der Empfangshalle zweigt eine „Cafeteria“ ab, die mit Ti-schen und Stühlen ausgestattet ist und die durch den Hausmeis-ter der Schule versorgt wird. Hier können Besucherinnen undBesucher des Hauses der Essener Geschichte / Stadtarchiv unddie Schülerinnen und Schüler Getränke und Brötchen kaufenund verzehren.In diesem Raum ist auch ein Teil der Schließfächer unterge-bracht.

LesesaalDer Lesesaal befindet sich in unmittelbarer Nähe des Magazins,sodass die Magaziner von den kurzen Wegen profitieren. Derzweigeteilte Raum ist 240 qm groß. In einem Bereich ist ein Teildes ehemals zur Bibliothek gehörigen Bücherbestands inFreihand aufgestellt. (Diese Bücher sowie die anderen, die aus derBibliothek gekommen sind, können weiterhin ausgeliehen wer-den. Das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv hat denStatus einer Außenstelle der Stadtbibliothek.) Dieser Bereich, indem sich auch der Readerprinter befindet, wird videoüberwacht,da er vom Aufsichtspersonal nicht einzusehen ist.Der eigentliche Lesesaal bietet 20 ständige Benutzerplätze. DerZugang ist nur durch eine Tür möglich, an der auch eine Buchsi-cherungsanlage angebracht ist. Die Aufsichts- und Verbuchungs-theke, an der die Aktenaus- und -rückgabe erfolgt und an der die Bücherausleihe abgewickelt wird, steht in unmittelbarer Nähedieses Ein- und Ausganges.In einem abgesonderten Raum, der nur vom Lesesaal aus zugäng-lich ist, stehen die Findmittel des Archivs. Hier erfolgt auch dieausführliche Benutzerberatung, ohne dass die anderen Lesesaal-besucher gestört werden, und hier kann am Computer in denBeständen des Archivs recherchiert werden.

Ausstellungsräume Ein gewichtiger Teilbereich des neuen Instituts ist die Daueraus-stellung zur Essener Geschichte im 20. Jahrhundert, die imErdgeschoss 340 qm beanspruchen wird. Hinzu kommen dieKellerräume (150 qm), die während des Zweiten Weltkriegs alsLuftschutzräume genutzt worden sind und in denen teilweisenoch die alte Ausrüstung erhalten geblieben ist. In diesen Bun-kerräumen, die nur sehr vorsichtig modernisiert worden sind, umden alten Charakter nicht zu zerstören, wird in einem Bereich dasThemenfeld Zweiter Weltkrieg (Bombenkrieg, Bunkersituation,Zwangsarbeit, Kinderlandverschickung) behandelt. Die zweite Hälfte der Kellerräume kann aus Kostengründen nochnicht bespielt werden. Geplant ist hier, eine Dauerausstellungzum Thema „Jugend und Schule im 20. Jahrhundert“ zu realisie-ren. Im Herbst 2010 wird in diesen Räumen eine Ausstellung zurJugend im „Dritten Reich“ gezeigt, die Martin Rüther vom EL-DE-Haus in Köln konzipiert und der Landschaftsverband Rhein-land finanziell unterstützt hat.

Ein weiterer Raum im Erdgeschoss ist den Wechselausstellungenvorbehalten. So wird hier 2010 die von Schülerinnen undSchülern des Carl-Humann-Gymnasiums erarbeitete Ausstellungzur Geschichte ihrer Schule in der NS-Zeit5 ebenso zu sehen seinwie eine Präsentation von Plakaten, Flugblättern und Karikaturenaus der Zeit der Ruhrbesatzung (1923–1925).

Vortrags- und SeminarräumeDas Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv möchte seinehistorische Bildungsarbeit am neuen Standort intensivieren.Geplant ist neben den Unterrichtsveranstaltungen für Schulenund den Archiveinführungen für Universitätsseminare undandere Gruppen eine Vortragsreihe zur Begleitung der Daueraus-stellung. Für all diese Aktivitäten sind unterschiedliche Räum-lichkeiten vorhanden.Im Vortragsraum im Erdgeschoss (90 qm) sind bei einer Reihen-bestuhlung 80 Plätze vorhanden. Genutzt wird er nicht nur vomHaus der Essener Geschichte / Stadtarchiv, sondern auch vomEssener Historischen Verein und der Westdeutschen Gesellschaftfür Familienkunde. Auch andere Vereine haben bereits ihr Interes-se bekundet, ihre Vereinsaktivitäten hierhin zu verlegen.Für größere Veranstaltungen steht die Aula im 2. Obergeschossmit 250 Plätzen zur Verfügung.Für eine Nachbetrachtung nach einer Ausstellungsführung, aberauch für Arbeitsgruppen von Schülern oder Studenten ist derSeminarraum im Untergeschoss vorgesehen.Im Untergeschoss wird auch ein Computerarbeitsraum eingerich-tet, in dem Schülergruppen eigenständig recherchieren undarbeiten sollen. Allerdings haben wir noch nicht die personellenRessourcen, um die entsprechenden Daten einzugeben.

BürosDie Büroräume im Erdgeschoss sind aus ehemaligen Klassenzim-mern entstanden und weisen daher teilweise etwas länglicheZuschnitte auf. Wichtig war uns, dass alle Räume ein nah gelege-nes Waschbecken besitzen.

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5 Die Ausstellung ist entstanden im Rahmen des Wettbewerbs „Archiv und Ju-gend“. Siehe Monika Josten / Klaus Wisotzky: Eine Auseinandersetzung mitvielen Einzelschicksalen. Ordnung und Auswertung des Schularchivs desCarl-Humann-Gymnasiums in Essen-Steele. In: Industriedenkmalpflege undGeschichtskultur (2009) H. 1, S. 46-48.

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AUFSÄTZE

Werkstätten / Aktenbearbeitung Im Untergeschoss sind die Räume zur Akten- und Archivalienbe-arbeitung eingerichtet. Alle angelieferten Akten werden zunächstin einem separaten Raum zwischengelagert. Ihre Säuberung undUmbettung erfolgt in der Aktenbearbeitung, erst dann kommendie Akten ins Magazin.Für die Restaurierung ist eine 140 qm große Werkstatt eingerich-tet worden, die auch dank einer finanziellen Hilfe des Land-schaftsverbandes Rheinland gut ausgestattet werden konnte.Vorhanden sind u. a. Gefahrstoffarbeitsplatz, Unterdrucktisch,Wässerungsbecken, Planpresse, Heißsiegelpresse.Da das Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv leider einegroße Anzahl verschimmelter Akten besitzt, wurde auch einemikrobiologische Sicherheitswerkbank angeschafft.

Magazin6

Herzstück eines jeden Archivs ist das Magazin, das in Essen neugebaut und an den bestehenden Gebäudekomplex angedocktwurde. Es umfasst vier Etagen zu je 450 qm, die durch Beton-schotts in acht gleiche Abschnitte unterteilt sind. In der Kom-paktusanlage mit handbetriebenen Regalen von 7,20 Meter Längeund 2,32 Meter Höhe können 17 Regalkilometer Akten unterge-bracht werden. Zudem wurden 42 Kartenschränke von 1,50Meter Höhe aufgestellt. Ein Block im 3. Obergeschoss desMagazins wurde freigelassen, um hier auf Spezialregalen Karten-werke in Übergröße, aber auch Teile des Gemäldebestandesunterbringen zu können.

Nach dem Vorbild der Magazine des Westfälischen Archivamtes7

bzw. des LVR-Archivberatungs- und FortbildungszentrumsBrauweiler8 wird auch das Essener Magazin natürlich klimati-siert. D. h. vor einer 24 cm starken Betonaußenwand wurde eine 6 cm starke Wärmedämmung montiert. Die davor gesetzte,hinterlüftete Fassade, die Feuchtigkeit und Aufwärmung durchdirekte Sonneneinstrahlung abhält, ist aus Cortenstahl. DieInnenseite der Außenwände sowie die Stahlbetondecke haben zurLuftfeuchtigkeitsregulierung einen 2,5 cm hochhydraulischenKalkputz erhalten. Die Cortenstahl-Fassade hat schräg eingelas-sene hohe Lüftungsöffnungen, die die direkte Sonneneinstrah-lung bei geöffneten Flügeln vermindern und die, da sie in unter-schiedlichen Richtungen geöffnet sind, die Luftzirkulationunterstützen. Die Öffnung der Flügel erfolgt computergesteuertnach den Messungen der Außentemperaturfühler und der etage-weise installierten Messgeräte.

Kosten Die Umbauarbeiten in der Luisenschule, der Magazinneubausowie ein Teil der Archivausstattung (Kompaktusanlage, Werk-stattausrüstung) waren kostenmäßig mit 6.135.000 Euro „ge-deckelt“ worden. Wegen Nachrüstungen im technischen Bereich(u. a. Videoüberwachung) und einiger nicht vorhersehbarerBauüberraschungen konnte die Bausumme nicht ganz eingehal-ten werden. Sie beläuft sich nach dem Stand vom September2009 auf 6.500.000 Euro. Davon entfallen auf den Magazinneu-bau etwa 2.500.000 Euro.

Grundriss „Souterrain“, Ausschnitt: Werkstätten(Vorlage: Architekturbüro Frank Ahlbrecht)

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AUSSICHTEN

Das neue Domizil bietet alle Voraussetzungen, dass das Haus derEssener Geschichte / Stadtarchiv (HdEG) nunmehr folgendeFunktionen wahrnehmen kann:9

• Das HdEG wird durch die Zusammenfassung der Archivbe-stände mit den unterschiedlichen Sammlungen zur zentralen stadtgeschichtlichen Dokumentationsstelle.

• Das HdEG wird das Informationszentrum für alle Fragen der Stadtgeschichte sein.

• Das HdEG wird die zentrale Forschungsstelle für die Essener Stadtgeschichte sein.

• Das HdEG nimmt museale Funktionen wahr.• Das HdEG ist ein „Lernort“ für Schülerinnen und Schüler.• Das HdEG ist ein Ort der Informationsvermittlung.

Für die Stadt Essen hat ein reflektierter und kritischer Umgangmit der eigenen Geschichte Tradition. Mit dem Haus der EssenerGeschichte / Stadtarchiv, das die Aufgaben der Dokumentation,der Geschichtsforschung und -vermittlung wahrnimmt, wirddiese fortgesetzt. Es leistet zudem einen wertvollen Beitrag für dieStadt. Denn nur wer über ein historisch-politisches Selbstver-ständnis verfügt, kann auch verantwortlich für die Zukunfthandeln.

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6 Vgl. Europaweiter Wettbewerb zum Haus der Essener Geschichte. In: Bauzentrum (2006) H. 9/10, S. 54-56, hier S. 56.

7 Siehe Rickmer Kießling: Der Neubau des Westfälischen Archivamtes. In: Ar-chivpflege in Westfalen und Lippe 50 (1999), S. 9-24.

8 Siehe den Beitrag von Wolfgang Werner in diesem Heft.9 Ausführlicher Klaus Wisotzky: Das neue Haus der Essener Geschichte. In: In-

dustriedenkmalpflege und Geschichtskultur (2007) H. 2, S. 85 f.

Dr. Klaus WisotzkyHaus der Geschichte/StadtarchivBismarckstr. 10, 45121 EssenTel. 0201-88-41300, Fax 0201-88-41313E-Mail: [email protected]

THE NEW ESSEN HISTORICAL CENTRE / MUNICIPALARCHIVES

The new Essen Historical Centre / Municipal Archives incorpora-tes the municipal archives, the library on the history of the cityand its surrounding area as well as the permanent exhibition onthe history of Essen during the 20th century. Show rooms, searchroom, conservation workshop, lecture rooms and offices are housedin a converted school building (Luisenschule). The storage area,however, is new and purpose-built. It can take in up to 17 km ofarchives. The environmental control is based on high thermal masscombined with a computerized building management system.

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GENERALIA

„Gute Inventare“, so äußerte mir gegenüber einmal ein altgedienter Staatsarchivar, „sind das Salz in der Suppe.“ Vielleichtsind sie nicht das Salz für jede Suppe, aber der Vorteil wissen-schaftlicher Inventare liegt auf der Hand: Sie führen zahlreicheBestandsinformationen zusammen, erlauben so einen schnellenÜberblick, etwa über die Inhalte eines einzelnen Archivs. Seltener,komplexer, aber mitunter noch ertragsreicher mögen jedocharchivübergreifende Inventare sein, die unter der Perspektiveeiner spezifischen sachthematischen Fragestellung die Beständezahlreicher Institutionen in den Blick nehmen und auswerten.Denn sie können damit eine Brücken-, ja Scharnierfunktioneinnehmen – zwischen den Archiven und derWissenschaft.Denn nur wenigeWissenschaftler machen sich auf denWeg, diemühsame Identifikation sachdienlicher Quellen über verschiede-ne Archive hinaus zu betreiben. Sie beschränken sich – undkönnen das zeitlich vermutlich auch gar nicht anders leisten –auf das nächstgelegene Archiv und auf dessen Bestände. Ihnenentgeht so die umfassende Vergleichsperspektive, die manchesMal den Befund verändern würde.Will man ein solches archivübergreifendes Instrument erarbeiten,steht man vor zahlreichen Schwierigkeiten. Denn zunächsteinmal befindet man sich in derselben Situation wie der erwähn-teWissenschaftler, man steht vor einer Vielzahl räumlich weitentfernter Institutionen, die nur schwer alle einzeln abzufahrensind, um vor Ort in den Bestandsverzeichnissen zu recherchieren(falls diese nicht schon im Netz greifbar sind, was die Aufgabenatürlich erheblich erleichtert). Man ist dann auf die Mitarbeitder Archivare selbst angewiesen, wodurch individuelle Aspekteeine Rolle spielen können (besondere Überlastung oder aberauch: mangelnde Transparenz eines Archivs), was die Objektivitätder Untersuchung natürlich beeinträchtigt.

Auch jene Archive, die man selber aufsucht, bauen, je nachdem,gewisse Schwellen auf, bergen Stolperfallen. Denn – und das isteine Binsenweisheit – selbstverständlich ist jedes Archiv anders,in Organisation und Aufbau ebenso wie in Anbetracht derexistierenden Findmittel: das können handschriftliche Repertori-en in – je nach Schreiberhand – schwer zu entzifferndem Korrentebenso sein wie benutzerfreundliche Findbücher; die Verzeich-nung kann über Datenbanken und moderne Online-Auftritte mitmehr oder weniger Vorzügen genauso präsentiert werden wieüber uralte Zettelkästen, in die seit hundert Jahren niemandmehr hineingeschaut hat.Die Qualität der Erschließung ist von zentraler Bedeutung, dennselbstverständlich kann der Bearbeiter eines solchen Inventarsnur auf jene Informationen zurückgreifen, die die Archive selbsthervorgebracht haben. Man ist also auf die Richtigkeit dieserAngaben, die sich im Rahmen eines solches Projektes nichtkontrollieren lassen, angewiesen.Eine eigene Schwierigkeit besteht darin, die jeweilige Archivsyste-matik zu erfassen: Erst wenn man einen Überblick über die spe-zifische Tektonik eines Archivs gewonnen hat, kann man ein-schätzen, wie die Recherche in diesem Archiv methodisch aufge-baut werden muss, in welchen Abteilungen und Beständen für dieeigene Frage relevante Daten ermittelt werden könnten. Geradebei großen Staatsarchiven ist das nicht leicht. Erschwert wirddieses Grundverständnis einer bestimmten Institution, wenn esdort zu Umgruppierungen gekommen ist, in näherer oder ferne-rer Vergangenheit, oder noch gravierender: im Augenblick. Dergrößtanzunehmende Unfall wäre, wenn der tektonische Umbauerfolgt, nachdem der Bearbeiter eines Inventars in dieser Instituti-on vorstellig war und somit seine gesamte Systematik womöglichhinfällig wäre. Zum Glück sind gerade bei den großen Archivensolche Umstrukturierungsprozesse vergleichsweise selten, weil siefür das Haus selbst einen großen Arbeitsaufwand bedeuten.

ARCHIVÜBERGREIFENDEINVENTARE

BETRACHTUNGEN ÜBERINFORMATIONELLEVERNETZUNGEN:LITERARISCHES LEBENAM RHEIN

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SPECIALIAa) Zur Methode

Um diese etwas allgemein gehaltenen Beschreibungen etwas zukonkretisieren, möchte ich hier die Vorgehensweise bei der Ab-fassung eines bestimmten Inventars erläutern, das ich selbst maß-geblich bearbeitet habe, nämlich des Inventars „Literarisches Le-ben am Rhein. Quellen zur literarischen Infrastruktur 1830-1945“1.Das Projekt startete im September 2005, gefördert vom Land-schaftsverband Rheinland. Um das Material überschaubar zuhalten, wurde die Untersuchung inhaltlich auf den Aspekt„öffentliche Darstellungsformen von Literatur“ eingeschränkt,also Lesungen,Vorträge, aber auch Radiopräsentationen vonLiteratur. Der Zeitraum wurde von 1830 bis 1945 terminiert, daso die literaturwissenschaftlich noch nicht abschließend er-forschte Zeit des Nationalsozialismus mit einbegriffen wurde, dieZeit nach 1945 jedoch, die aufgrund der geänderten Medien- undÜberlieferungssituation sowie des schwunghaften Anstiegs deskulturellen Lebens eine regelrechte „Quellenexplosion“ hervorge-bracht hat, blieb ausgespart.Das Vorgehen war zweigleisig angelegt, empirisch und theore-tisch:

1. wurde eine flächendeckende Anfrage bei rund 150 Archivengestartet.

2. wurde diese in eine literaturwissenschaftliche Methoden-recherche eingebettet.

Die Anfrage war, da wir noch nicht wirklich zielgenau einschät-zen konnten, wo sich die relevanten Materialien befinden wür-den, relativ global ausgerichtet.Wir fragten nach Daten überkulturelle Zusammenschlüsse, bürgerliche Vereinigungen, Arbei-terkulturvereine, Leseringe. Außerdem wollten wir wissen, ob esggf. Nachlässe von wohl situierten Bürgern oder Unternehmerngebe, die zum Beispiel private Soiréen mit Lesungen u. ä. veran-stalteten. Auch Unterlagen über die Entstehung ortsansässigerBibliotheken und Buchhandlungen waren für uns interessant, dawir diese als potenzielle Veranstalter von Lesungen einschätztenund uns davon zudem Aufschlüsse über die Lesepraktiken derBevölkerung versprachen.Die einlaufenden Ergebnisse waren allerdings nur teilweisebefriedigend, was uns in der Überzeugung bestärkte, dass unsereAnfrage zu allgemein gehalten war, um wirklich die Detailinfor-mationen hervorzubringen, auf die wir abzielten.Was die Archivemeldeten, war sehr punktuell und heterogen, sowohl was dieLaufzeiten anging als auch die Informationen selbst: Rückschlüs-se auf öffentliche Veranstaltungen gab es nahezu keine, zumeistbetrafen die Angaben das Bibliothekswesen sowie Einzelpersonenoder Vereinigungen, die sich in weitestem Sinne literarischbetätigten. Alles in allem ergab sich hier ein ausgesprochendisparates und diskontinuierliches Bild.Dieses Anfrageresultat war jedoch kein Zufall, deckte es sichdoch mit den Ergebnissen der literaturwissenschaftlichen Studie.Hier verfolgten wir zunächst eine komparatistische Linie, indemein Strukturvergleich mit Literaturgeschichten anderer Städteund Regionen gezogen wurde. Schnell wurde dabei klar, dass dieinhaltliche Zuspitzung auf öffentliche Vermittlungsformen vonLiteratur thematisch und quellenkundlich gesehen eine zu starkeVerengung bedeutete, da es schlichtweg nicht möglich ist, die

einzelnen literarischen Aktivitätsbereiche auseinander zu dividie-ren. Aspekte wie Buchhandel, Bibliotheken, literarische Gruppie-rungen, Lesegesellschaften,Vortragswesen, Zeitschriften etc.hängen, schon was die handelnden Personen angeht, untrennbarmiteinander zusammen. In dieser riesigen Datenmenge verlierenund verästeln sich die minimalen Detailinformationen zu Lesun-gen u. ä. notwendigerweise. Es wurde klar, dass es bei solchenAnsätzen um ein ganzes literarisches „Betriebssystem” gehenmuss. Literarisches Leben wäre demnach zu verstehen als einNetzwerk verschiedenartigster Diskurs-, Äußerungs- und Hand-lungsformen, das sich vornehmlich auf die Sphären der Pro-duktion, Distribution und Rezeption von Literatur erstreckt;das bezeichnet – in einem deutlich erweiterten Sinne – das, wasPierre Bourdieu „literarisches Feld“2 nennt. Denn es ist mehr alsnur ein literarisches Feld, um das es hier geht. Vielmehr handeltes sich um einen übergreifenden Kommunikationsbegriff, beidem Literatur als Vehikel zugrundeliegender (ökonomischer,symbolischer oder funktionaler) Interessen dient.Aus diesem Grund ist hier im Untertitel von literarischer Infra-struktur die Rede: diese bezeichnet den ökonomisch-materiellenKomplex, auf dem das literarische Leben als kommunikativesSystem basiert. Anders formuliert: Das literarische Leben istEffekt der kulturwirtschaftlichen Produktivkräfte. Das schlägtsich prinzipiell in historisch variablen Ausprägungen bestimmterProduktions-, Vertriebs- und Vermittlungstypen nieder (bisweilenauch bloß in deren schierer Existenz) – Buch- und Zeitschriftver-lagen, dem Buchhandel, den Leih-, Volks-, Stadt- oderBorromäusbibliotheken,Veranstaltungsorten und Veranstaltern(seien es Einzel-Personen oder Vereine, etwa Lesegesellschaften),all das, was – rein ökonomisch und strukturgeschichtlich be-trachtet – die Entwicklung der Literaturwirtschaft umreißt. DieThemenpalette umfasst die Erforschung des Lesepublikums,Analysen des Verlags- und Bibliothekswesens, sie reicht vonempirischen Untersuchungen des literarischen Marktes bis hinzu Rekonstruktionsversuchen, die soziale Herkunft, Lebens- undArbeitsbedingungen von Autorinnen und Autoren zu dokumen-tieren suchen.Vor diesem Hintergrund wird klar, wie vielgestaltig die Quellensein können. An privaten Nachlässen etwa können solche vonLiteraturveranstaltern, Multiplikatoren oder ganz allgemein:Gestalten des öffentlichen Kulturlebens in Frage kommen, unterUmständen aber auch von normalen Bürgern, die auf diesemGebiet interessiert waren und Sammlungen angelegt haben.Ebenso spielen Materialien und Überlieferungen aus dem Be-reich derWirtschaft, der Verwaltung, der Politik mit hinein.Der Neuansatz der Recherche bezog nun folgerichtig Schriftenaus dem Gebiet der Bürgertumsforschung, der Stadt- und Ver-einsgeschichte mit ein, um ein Geflecht ökonomischer undpolitischer Interdependenzen im Rheinland oder auch innerhalbeinzelner rheinischer Städte zu konturieren.

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1 Enno Stahl (Bearb.): Literarisches Leben am Rhein.Quellen zur literarischenInfrastruktur 1830-1945. Ein Inventar. Bd. 1: Staatliche Archive, Düsseldorf2008; Bd. 2: Kreis-, Kommunal- und Kirchenarchive sowie sonstige Institutio-nen, Düsseldorf 2008; Bd. 3: Kommentar und Register (Register bearbeitet vonKirsten Adamek, Wolfgang Delseit und Ralf Drost), Düsseldorf 2008.

2 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst.Genese und Struktur des literarischenFeldes. Suhrkamp: Frankfurt/M. 2001, S. 15 (ursprüngl. Frankfurt/M. 1999).

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Gerade das so genannte „Wirtschaftsbürgertum” im Rheinland3

ist bemüht gewesen, auch das kulturelle und geistige Leben derRegion zu gestalten und zu strukturieren. Nicht zuletzt, um dasVolk gegen sozialistische Versuchungen zu immunisieren, enga-gierte es sich bei der Gründung von Lesegesellschaften,Volksbil-dungsvereinen oder widmete sich – in oft großzügigerWeise –der Förderung kultureller Unternehmungen. Je mehr sich dasBild einer spezifischen Sphäre städtischer oder regionaler Bürger-kultur verdichtet, desto deutlicher kristallisieren sich die Protago-nisten heraus. In ihren Nachlässen lassen sich dann häufigHinweise über die literarischen und geistigen Aktivitäten am Ortfinden.4

Eine neuerliche, verfeinerte Archivanfrage, die sich nun mehr aufVereinswesen, Buchhandel und Bibliotheken konzentrierte, trugFrüchte. Aber insbesondere die Befragung der staatlichen Überlie-ferungen, zunächst des Landesarchivs NRW/ Abteilung Rhein-land in Düsseldorf, verdeutlichte schnell, welcheAktenzusammenhänge die gewünschten Informationen zurliterarischen Infrastruktur bergen. Da es erst nach dem 2.Welt-krieg eine explizite Förderung von Literatur von Seiten desStaates gab, sind Zeugnisse literarischer Aktivitäten vor dieserZeit vor allem im Bereich der Zensur und Überwachung zusuchen, also bei den preußischen Institutionen (Innen-, Außen-und Kultusministerium), deren Akten im Geheimen StaatsarchivPreußischer Kulturbesitz lagern, aber auch in den Überlieferun-gen der regionalen Regierungsbehörden im LandeshauptarchivKoblenz5 und Landesarchiv NRW/ Abteilung Rheinland.6

Hier wurde das gesamte literarische Feld genauestens in denBlick genommen: das betrifft Zensur, Verbot und Genehmigungvon Schriften ebenso wie die Beobachtung von Vereinsaktivitä-ten, die Überwachung von Buchhandel und Bibliotheksbestän-den. Allein im Geheimen Staatsarchiv harren Hunderte Regalme-ter von Zensurakten ihrer sachthematischen Erschließung, dieeinen großen Teil der deutschen Literatur- und Regionalgeschich-te abdecken würde.7 Auf der kommunalen Ebene setzte dieserEindruck sich fort: Städte und Gemeinden, die über eine eigenePressepolizei verfügten, haben auch deren Akten in ihren Bestän-den, aus denen sich zumindest ex negativo ein literarisches Lebenerschließen lässt.Dasselbe gilt für die Zeit des Nationalsozialismus, einer Phaseallgegenwärtiger Unterdrückung: mehrere Überwachungs-Institutionen betätigten sich gleichzeitig und in Konkurrenzzueinander mit der Bespitzelung aller privaten und öffentlichenÄußerungen, selbstverständlich auch solcher, die dem literari-schen Bereich zuzuordnen waren. Nicht nur im Kontext derReichsschrifttumskammer wurden riesige Bestände gebildet, dieüber das literarische Leben im NS-Staat Auskunft geben und dieheute das Bundesarchiv Berlin beherbergt.Natürlich war es nicht machbar, in der begrenzten Projektdauerwirklich alle Institutionen selbst aufzusuchen, hier musste eineBeschränkung auf die bedeutendsten Einrichtungen erfolgenbzw. war die freundliche Mitarbeit zahlreicher Archive, speziellim Rheinland,Voraussetzung für das Gelingen.8 Ein Vorteil warindes, dass immer mehr Archive ihre Bestände in Onlinefind-büchern zugänglich machen – etwa das Bundesarchiv oder dasLandeshauptarchiv Koblenz. Eine große Hilfe war das „Inventararchivalischer Quellen zur Geschichte des deutschen Buchhan-dels und Verlagswesens im 19. und 20. Jahrhundert“, initiiert vomDeutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei9,das unter einer ähnlichen Fragestellung bereits eine Vielzahl von

Quellen bereitgestellt hat, auch wenn hier nur ein Teil der rheini-schen Archive Berücksichtigung fand.

b) Zur Erstellung und Nutzung des Inventars

Ziel des Projekts war es, Akten zu identifizieren, die im weitestenSinne Informationen über literarisches Leben und literarischeInfrastruktur im Territorium der ehemaligen Rheinprovinzvermitteln. Die Einträge des Inventars sind nach einem einheitli-chen Schema erstellt:

1. Die Bestellsignatur2. Die Laufzeit (Zeitraum, den die in der Akte enthaltenenDokumente umfassen)

3. Der Aktentitel4. „Enthält“- oder „Darin“-Vermerk (soweit vorhanden)

Aktentitel und „Enthält“-Vermerke wurden exakt so übernom-men, wie sie im jeweiligen Archiv vorgefunden wurden, inklusiveveralteter Schreibweisen, spezieller Formatierungen oder Abkür-zungspraktiken. Die „Enthält“-Vermerke wurden zwar nichtverändert, bisweilen allerdings gekürzt, wenn sie für diesenZusammenhang irrelevante Informationen enthielten.Anhand der übermittelten Angaben (Zeitraum, Betreff, ggf.inhaltliche Daten) sollte der Nutzer einschätzen können, ob dieAkte für ihn interessant sein kann. Mit Hilfe der Signaturenanga-be lässt sich die jeweilige Akte beim Archiv bestellen – auch vonextern, also im Vorgriff auf einen zukünftigen Archivbesuch.Signaturen wie Aktentitel wurden von den Bearbeitern auf Basisder vorhandenen Findmittel (Findbücher, Online-Datenbanken,Karteien, Repertorien etc.) aufgenommen und nach Möglichkeitmit den Mitarbeitern der Archive abgeglichen, um größtmöglicheKorrektheit zu gewährleisten. Unmittelbare Einsicht in die Aktenwurde nicht genommen; allenfalls in Sonderfällen, etwa beiprivaten Nachlässen, in denen man relevante Materialien vermu-ten, dies den Findmitteln aber nicht entnehmen konnte, erfolgteeine Einsichtnahme.Im dritten Band des Inventars wurden die jeweiligen Archivberei-che und Bestandstypen kommentiert sowie erste Perspektivmus-ter skizziert, wie und für welche kulturwissenschaftlichen Fra-gestellungen die Ergebnisse des Inventars fruchtbar gemachtwerden könnten. Ein sachthematisches Glossar bietet demKulturwissenschaftler einen inhaltlichen Zugang. Auf bestimmteInteressensperspektiven hin orientiert – sei es das System derZensur, sei es das Bibliothekswesen oder Lesegesellschaften –wurden die Akten hier thematisch zugeordnet. Dieses Register istes vor allem, was das Inventar für die historische und kulturwis-senschaftliche Forschung nutzbar machen dürfte, da es bis inminimale Details hinein Themenstellungen der verschiedenstenVarietäten durch konkrete Akten zu untermauern hilft.10 Hierwird vorrangig die zugrunde liegende Absicht des Inventarssichtbar, nämlich forschungsinitiativ zu wirken – dabei zu helfen,die Barriere zwischen Universität und Archiv abzubauen.

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RESÜMEEMeines Erachtens könnte das Projekt insofern repräsentativ fürarchivübergreifende Inventare sein, als dass viele der hier angeris-senen Fragestellungen und Vorgehensweisen generalisierbar sind– das gilt einmal, wie schon angedeutet, für andere territorialeEingrenzungen, also andere Regionen, aber auch für andere sach-thematische Ausrichtungen. Die Methodik wäre nämlich relativleicht auf ähnliche Inventare aus Bereichen wie Musik, BildendeKunst,Wissenschaftsgeschichte oder Architektur zu übertragen.Solche Projekte müssten selbstverständlich auf Basis ihres spezi-ellen historisch-ästhetischen Instrumentariums das Forschungs-feld definieren, auch werden im Einzelfall andere Typen vonGedächtnisinstitutionen (Musikarchive, Kunstmuseen), für dieeigene Systematiken zu erarbeiten wären, in Betracht kommen.Quellenkundlich wird es Unterschiede geben, weil – neben vielen

Gemeinsamkeiten – etwa für Musikalien doch andere Bedingungengelten als für literarische Reliquien. Doch auch hier wäre es wohlgeraten, nicht zu sehr vom Kunstwerk selbst auszugehen (etwaeiner Partitur) als von den Bedingungen, in denen diese Artefakteexistierten und wirkten, also etwas allgemeiner: vom historisch-kulturellen Feld der jeweiligen Künste. Damit würde weiter reichen-den Forschungen derWeg bereitet, die in einer bislang ungeahntenWeise dazu mithelfen könnten, den gesamten sozialen Erlebnis-kosmos früherer kulturbürgerlicher Schichten zu rekonstruieren.

Enno Stahl, Düsseldorf

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3 Klara von Eyll: KölnsWirtschaftsbürgertum im19. Jahrhundert (bis 1914). In:Karl Möckl (Hg.):Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten im19. undbeginnenden 20. Jahrhundert. München 1996, S. 251-279.

4 Ein gutes Beispiel dafür ist GustavMevissen,Reichstagsabgeordneter und un-ter vielem anderen Präsident der Rheinischen Eisenbahngesellschaft, dessenNachlass im Historischen Archiv der Stadt Köln liegt (ob er aus der Katastro-phe unbeschadet hervorgegangen ist, ist mir nicht bekannt). Beziehungen zurKultur hatte Mevissen nicht nur durch seine Mitarbeit bei der „RheinischenZeitung”, sondern auch dadurch, dass er in herausragenderWeise an den kul-turellen Belangen in KölnAnteil nahm.Er warMitglied wissenschaftlicherVer-einigungen und historischer Gesellschaften, unterstützte Bibliotheken und Stif-tungen, machte sich für Dichter-Denkmäler stark – all diese Aktivitätenschlagen sich in den Nachlassmaterialien nieder.

5 Bestände 402 (Oberpräsidium des Großherzogtums Niederrhein) und 403(Oberpräsidium der Rheinprovinz).

6 RegierungenAachen,Düsseldorf und Köln sowie bei den Polizeibehörden ver-schiedener Hierarchiestufen

7 Es ist an dieser Stelle wohl nicht unnötig zu erwähnen, dass nach demselbenMuster unseres Inventars auch die Aktenbestände zu anderen Regionen aufge-arbeitet werden könnten, etwa zur ProvinzWestfalen,Ostpreußen, eben zu allenRegionen, die im 19. Jahrhundert zum preußischen Hoheitsbereich gehörten.

8 Allerdings konnten durch den Einstieg von Cornelia Ilbrig in das Projekt (April2007 bis April 2008) auch viele Bestände, speziell der Stadtarchive und ande-rer wissenschaftlicher Institutionen vertieft, ergänzt bzw. hinzugefügt werden,

dieseAngaben wurden durch eine telefonische Schlussredaktion noch einmalüberprüft. Frau Dr. Schwabach-Albrecht (Düsseldorf) steuerte im Rahmen desProjekts „Literarisches Leben in Düsseldorf im Spiegel von Zeitungen undVer-einen“ Angaben aus dem Düsseldorfer Stadtarchiv bei. Ihre Ergebnisse prä-sentierte Susanne Schwabach-Albrecht inzwischen auch in den Beiträgen: Li-terarisches Leben in Düsseldorf im Spiegel von Presse und Vereinsakten1850-1950. In: Cornelia Ilbrig, Bernd Kortländer und Enno Stahl (Hg.): Kul-turelle Überlieferung. Bürgertum, Literatur und Vereinswesen im Rheinland1830-1945. (=Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Archiv Bibliothek Muse-um. Herausgegeben von Joseph A. Kruse, Band 12). Düsseldorf 2008 sowie:Düsseldorf – Das „Bayreuth am Rhein“. Der Rheinische Goethe-Verein fürFestspiele in Düsseldorf1899-1934. In: Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Ge-schichte des Niederrheins 78 (2008), S. 53-85. Last, but not least verifizierteStefanMaurer (Wien) eine Reihe vonAkten aus demWiener Haus-,Hof- undStaatsarchiv.

9 Vgl. http://tamino.ddb.de:1900/ddbarchiv/index.htm.10 Ein Beispiel: schon kurz nach Fertigstellung des Inventars glückte es Jan-Chris-toph Hauschild, einem Kollegen aus dem Heine-Institut auf Basis der Inven-tar-Informationen bislang unbekannte Texte von B. Traven und Joseph Rothim Bundesarchiv aufzufinden. Das Inventar gab ihm zudem eine erste Hilfe-stellung dabei, dasVerwirrspiel um RetMaruts/B.Travens unbekannte Jugend-zeit mit neuen biographischen Informationen zu entwirren, vgl. Jan-ChristophHauschild: Wer ist dieser Mann? In: FAZ 20. Juni 2009, Nr. 140 (Bilder undZeiten Z 3).

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PROJEKTVORSTELLUNG

Im Sommer 2008 ist innerhalb der University Electronic Multi-media Library of Jena (UrMEL) eineWeb-Seite eingerichtetworden, die einen Zugang zu Online-Beständen der Kirchenar-chive des Kirchenkreises Jena bietet. Das digitale Archiv „Kir-chenarchive Jena“ wird von der Thüringer Universitäts- undLandesbibliothek Jena (ThULB) betrieben und stellt ein Gemein-schaftsprojekt der ThULB und des Evangelisch-LutherischenKirchenkreises Jena dar. Mit der Digitalisierung und Online-Aufbereitung von Beständen aus den Jenaer Kirchenarchiven sollkirchliches Kulturerbe erfasst und verfügbar gemacht werden.Neben Akten umfasst diese digitale Sammlung ca. 30,7 laufendeMeter Kirchenbücher mit einem Gesamtumfang von rund132.000 Doppelseiten – und damit eine Quellengattung, welcheeinen elementaren Bestandteil der Kirchenarchive bildet und diedurch jährlich zahllose Benutzungsanfragen besonders starkfrequentiert wird. Die in UrMEL zukünftig komplett verfügbarenKirchenbücher aus Jena decken einen Zeitraum von nahezu vierJahrhunderten ab (1606 bis ca.1900) und enthalten die Angaben

über Geburten, Heiraten und Todesfälle unter den Gemeindean-gehörigen. Rund ein Jahr nach der Einrichtung von „Kirchenar-chive Jena“ bietet sich der willkommene Anlass, Zwischenbilanzzu ziehen und einen Überblick über das bisher Geleistete zugeben.1

Mit dem ehrgeizigen Ziel der digitalen Erfassung und virtuellenAufbereitung kirchlichen Kulturerbes ist das Projekt in dieinzwischen zahlreich laufenden Initiativen zur Digitalisierungvon historischem Schriftgut einzuordnen. Man staunt nichtschlecht über die Vielfalt der Projekte, über die Entschlossenheit,strategische Partnerschaften zu schließen, und über die Bereit-schaft, Kooperationen über traditionell getrennte Sparten hinauseinzugehen. Ein Blick auf die in Deutschland laufenden Projektezur Digitalisierung von Kulturgut2 bestätigt, wie folgenreich undherausfordernd sich der Medienwandel für Bibliotheken, Archiveund Museen gestaltet, gleichzeitig aber auch, welche Chancenihnen zur neuen konzeptionellen Ausrichtung daraus erwachsen.

JENAER KIRCHENBÜCHERDIGITAL

EIN PROJEKT DER THÜRINGERUNIVERSITÄTS- UND LANDES-BIBLIOTHEK JENA UND DESEVANGELISCH-LUTHERISCHENKIRCHENKREISES JENA

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In diesem Sinne stellt die Digitalisierung der Jenaer Kirchen-bücher einen fast schon klassischen Fall von institutionellerGrenzüberschreitung dar.3 Diese interinstitutionelle Annäherungist zugleich Ausdruck eines gemeinsamen Problembewusstseins,denn Bibliotheken, deren Aufgabe es ist, das literarische Erbe zubewahren und zugänglich zu halten, kämpfen heute mit ganzenormen Problemen, die in ähnlicher Form auch Archive be-schäftigen: So erfreulich sich das überaus rege Interesse an derNutzung der Bestände wie Kirchenbücher auch gestaltet, so istdie hiermit verbundene physische (Über-)Beanspruchung derMaterialien umso beklagenswerter, sofern die Originale zurVermittlung der Inhalte herangezogen werden müssen.(Kirchen-)Bücher und andere Materialien sind derartig massivvom Zerfall bedroht, dass ein Zugriff auf die Originale im Sinnedes notwendigen Schutzes der Überlieferung in zahlreichenFällen nicht mehr verantwortbar ist und die Digitalisierung vonArchivgut eine sinnvolle Ergänzung zu konventionellen Schutz-verfahren darstellt.Die Vorteile dieser medialen Verwandlung liegen keineswegsoffen auf der Hand, sondern bedürfen der Erklärung und könnenim Einzelnen benannt werden. Zunächst erhalten die Materialiendurch ihre Verfügbarkeit im Internet einen ubiquitären Status, siesind also zeit- und ortsunabhängig nutzbar. Digitalisierte Texteschützen bzw. retten die Originale, was besonders bei starkgenutzten Beständen wie Kirchenbüchern in Betracht zu ziehenist. Darüber hinaus können häufig beklagte Hindernisse in derherkömmlichen Nutzung wie komplizierte Zugangsmöglichkei-ten, Zeitverluste sowie sonstige Einschränkungen auf Seiten der(End-)Nutzer entfallen. Zudem werden infolge der optimiertenSichtbarkeit der Sammlung im Internet und in den wissenschaft-lichen Informationssystemen neue Nutzergruppen erschlossen.

Die Digitalisate werden inhaltlich aufbereitet, also mit sämtlichenrecherchierbaren, bibliografischen Materialien aus ihrem Umfeldverknüpft. Eine Besonderheit des Projektes besteht zudem darin,die in den Kirchenarchiven überlieferten unterschiedlichenMaterialien (Kirchenbücher, Akten u. a.) gemeinsam mit derenBeschreibungen (Metadaten) in einem System zusammenzu-führen und diese über eine gemeinsame Suchmaske recherchier-bar zu machen. Materialien liegen damit nicht „einfach so“ imInternet herum, sondern sind im Rahmen wissenschaftlicherInformationssysteme erschlossen und zugänglich.

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Startseite „Kirchenarchive Jena“

1 Zugang zum digitalen „Kirchenarchiv Jena“ erhält man über die Homepageder ThULB: www.thulb.uni-jena.de oder direkt über: www.urmel-dl.de(Collections@UrMEL, Kirchenarchive Jena). Zugriffsdatum aller im Beitraggenannter Internetquellen: Januar 2009. Für zahlreiche gewinnbringendeAn-regungen undHinweise bedanken sich dieAutoren bei Herrn Klaus Ries (wis-senschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sonderfor-schungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“) sowie bei FrauHannelore Schneider (Leiterin des Landeskirchenarchivs der EvangelischenKirche in Mitteldeutschland).

2 Informationen zu laufenden und abgeschlossenen Initiativen zur Digitalisie-rung von Kulturgut in Deutschland bietet: www.kulturerbe-digital.de.Kultur-erbe-digital.de ist ein Projekt von EUBAM (AG EuropäischeAngelegenheitenfür Bibliotheken, Archive, Museen und Denkmalpflege).

3 Zur Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken undArchiven sieheMichael Lör-zer undThomas Mutschler: Grenzüberschreitung erwünscht.NeueWege derZusammenarbeit bei der Aufbereitung und Online-Präsentation kulturellerÜberlieferung, in: Ludger Syré (Hg.): Dichternachlässe: Literarische Sammlun-gen undArchive in den Regionalbibliotheken von Deutschland,Österreich undder Schweiz, Frankfurt am Main 2009 (Zeitschrift für Bibliothekswesen undBibliographie, Sonderband 98) [im Druck].

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FORSCHUNGEN ÜBER UND MITKIRCHENBÜCHER(N)

Mit ihren mehr oder weniger kontinuierlich geführten Registernzur Beurkundung von Taufen, Trauungen und Sterbefällen dienenKirchenbücher heute als Auskunftsmittel zur Beantwortungzahlloser Anfragen eines genealogisch bzw. familiengeschichtlichinteressierten Publikums. Gleichzeitig gelten sie als eine derwichtigsten Quellen der historischen Demographie. Frühe Exem-plare sind im deutschsprachigen Raum vereinzelt bereits aus demspäten Mittelalter erhalten, die Überlieferung in der Flächebeginnt jedoch nicht vor dem 16. Jahrhundert und wurde starkbefördert durch die Reformation und die anschließende Konfes-sionalisierung. Erst mit der Einführung des staatlichen Personen-standswesens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verlieren dieKirchenbücher ihren amtlichen Charakter. Danach setzte (zumin-dest vorerst) ihre Historisierung ein.4

Ältere Darstellungen zu Kirchenbüchern liegen für eine Reihethüringischer Städte (Altenburg, Erfurt, Jena, Mühlhausen,Weimar u. a.) und Territorien vor.5 Das aktuelle Interesse andieser Quellengattung dokumentiert eine Fülle kleinerer Publika-tionen aus unserer Region. Hier ist vor allem die verdienstvolleArbeit etlicher familiengeschichtlicher und genealogischer Verei-ne hervorzuheben, ohne deren Engagement zahlreiche Editionenundenkbar blieben.6 Vielfach speisen sich diese Initiativen auseinem persönlichen Interesse an der Geschichte der eigenenFamilie, des Ortes, der Gemeinde, zu der man sich zugehörigfühlt. Kirchenbuchforschung ist in diesem Rahmen demnachimmer auch Ausdruck einer ausgeprägten lokalen Identität.Entsprechend vielfältig ist das Bündel an Fragestellungen, unddas methodische Spektrum reicht von der Genealogie und derDemographie (als den traditionellen Arbeitsfeldern) über migrati-ons-, orts- und familiengeschichtliche Ansätze bis hin zu moder-nen sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Zugangswei-sen. Als Folge der breiten außerakademischen Nutzung derKirchenbücher wird das Interesse an den Kirchenbüchern vonentsprechenden Abhandlungen zu den historischen Hilfswissen-schaften flankiert,7 was einmal mehr die Benutzungsfrequenz imarchivischen Alltagsgeschehen unterstreicht.

Potenzielle Interessenten erhielten mit der Revitalisierung regio-nalhistorischer und heimatgeschichtlicher Arbeit in Thüringen inden vergangenen beiden Jahrzehnten zahlreiche neue Impulse.Arbeiten zu und mit Kirchenbüchern wurden in vielen Fällenvon der Basis angeregt und spiegeln sich in einer entsprechendenZahl von Publikationen wider. Dies umso mehr, als wir imsächsisch-thüringischen Raum in der glücklichen Lage sind,geradezu über ein „Kirchenbuchterritorium“ mit hoher Überlie-ferungsdichte zu verfügen. Die Zeit des Dreißigjährigen Kriegesund das 17. Jahrhundert stehen seit ehedem im Fokus der Kir-chenbuchforschung.8 Dies allein schon aus dem Grund, da die

Überlieferungsdichte seit dieser Zeit deutlich zunimmt. Demo-graphische Untersuchungen wurden mit Hilfe der Auswertungvon Kirchenbüchern für einzelne Städte und Landschaftenangestellt. Vereinzelt finden sich darunter auch methodischeÜberlegungen zur Bedeutung dieser Quellengattung für diejeweilige Ortsgeschichte9 und Stadtgeschichte10.

Auch die universitäre geschichtswissenschaftliche Forschungerkannte und erkennt den Quellenwert der Kirchenbücher fürihre Arbeit, und zwar nicht nur als empirisches Material im Sinnerelevanter „Fallzahlen“ für entsprechende bevölkerungsstatisti-sche Arbeiten. Kirchenbücher werden zunehmend auch zurQuellenbasis qualitativ-differenzierender Untersuchungen. Alsunverzichtbar erweisen sich die Jenaer undWeimarer Kirchen-bücher beispielsweise für den seit 1998 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) angesiedelten und von der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungs-bereich (SFB) 482 „EreignisWeimar-Jena. Kultur um1800“.Ohne die Kirchenbücher als Datenbasis wären grundlegendeFragestellungen nach der Beschaffenheit des Sozialgefüges derbeiden Städte für die Jahre zwischen 1770 und 1820/30 schlicht-weg nicht zu beantworten:Wie gestaltete sich der Verlauf derGeburtenrate, der Eheschließungen und Sterbefälle?Wie dasKonnubium?Wie waren die sozialen Netzwerke beschaffen?Werübernahm Patenschaft bei wem und welche Rückschlüsse erge-ben sich hieraus für die Beurteilung der sozialen Mobilität be-stimmter Bevölkerungsgruppen?Waren Universität bzw. Hof undStadt um1800 zwei mehr oder weniger getrennt nebeneinanderexistierende Sozialeinheiten oder durchdrangen sie einander?11

Wie fruchtbar der Ertrag derartiger Fragestellungen bzw. For-schungen ausfällt, beweisen die aus dem SFB hervorgegangenenund geplanten Arbeiten und Dissertationen.12 Es ist davon auszu-gehen, dass in dem „Laboratorium der Aufklärung“ auch nachdem Auslaufen des SFB entsprechende Forschungsdesiderateaktuell bleiben.Mit der Einrichtung eines einheitlichen staatlichen Personen-standswesens und der Standesämter im Deutschen Reich im Jahr1876 verloren Kirchenbücher zwar ihren amtlichen Charakter,gerieten im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts jedoch in dasVisier der nationalsozialistischen Politik. Vor diesem Hintergrundheißt Kirchenbuchforschung auch, kritische Fragen nach ihrerRolle im Nationalsozialismus zu stellen. Es ist bestürzend zu er-fahren, dass die Kirchenbücher nach 1933 auch in Thüringen fürzahllose „Ariernachweise“ herangezogen wurden und damit invielen Fällen auch die Grundlage für die rassistisch motivierteund pseudowissenschaftlich begründete Ausgrenzungspolitik desnationalsozialistischen Regimes bildeten. Dieser Komplex istbisher wenig erforscht, doch zeigen die ersten Ergebnisse, welchdifferenziertes Bild sich im Hinblick auf die damaligen Akteurebei genauerer Betrachtung ergibt.13 Aus dieser Richtung wünschtman sich weitere Beiträge und vor dem Hintergrund eines viel-fach unreflektierten Umgangs mit der älteren Literatur auch eineRezeption dieser Ergebnisse.

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DER BESTAND

Die Reihe der Eintragungen in den Trau-, Tauf- und Totenregis-tern beginnt im Jenaer Bestand mit dem Jahr 1606 und erstrecktsich mit Blick auf die einzuhaltenden Schutzfristen im digitalenBestand bis ca.1900.

14Insgesamt umfasst die Jenaer Sammlung

302 physische Bestandseinheiten, welche in digitaler Gestaltsukzessive in UrMEL verfügbar gemacht werden. Alle Originalewerden in den Archiven der Kirchengemeinden des Jenaer Kir-chenkreises verwahrt. Dort findet sich neben den unmittelbarenJenaer Beständen auch solche der eingemeindeten Vororte.Digitalisiert werden diese Bestände im Digitalisierungszentrumder ThULB.

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5 Siehe auch Karl Güldenapfel: Die evangelischen Kirchenbücher Thüringens,Görlitz 1934 (=Archiv für Sippenforschung und alle verwandten Gebiete 8,1931).Vgl. die folgendeAuswahl an älterer Literatur zu einzelnen Städten undTerritorien im Thüringer Raum: Johannes Müller: Die Kirchenbücher desEichsfeldes, in: Unser Eichsfeld 28 (1933), S.161-162; GustavWillgeroth: Beiträ-ge zurWeimarer Familienkunde.Aus den Kirchenbüchern,Volkszählungslis-ten, dem Stadtbuch und anderen Quellen zusammengestellt,Weimar 1932. J.Biereye: Die Kirchenbücher der Thomasgemeinde zu Erfurt, in: Ekkehard 7(1931), S. 136; Johannes Müller und G. Wolpers: Die katholischen Kirchen-bücher des Eichsfeldes, in: Unser Eichsfeld 22 (1927), S. 171-173; W. Suchbier:Die Erfurter Kirchenbücher, in: Ekkehard 3 (1927), S. 66; Franz Brumme: DieKirchenbücher der Landeskirche des Herzogtums Gotha, Friedrichswerth1909; F. Priegel: Die Kirchenbücher in Reuß ältere Linie, in: Jahresbericht undMitteilungen des Vereins für Greizer Geschichte 4 (1909), S. 5 ff.; HeinrichBerthold Auerbach: Die Kirchenbücher im Fürstentum Reuß jüngerer Linie,in: Jahresbericht des vogtländischen altertumsforschendenVereins zu Hohen-leuben 74/75 (1905), S.1-53.

6 Namentlich hervorgehoben seien an dieser Stelle die „Arbeitsgemeinschaft fürMitteldeutsche Familienforschung“ sowie die „Arbeitsgemeinschaft Genealo-gie Thüringen“ mit den von ihnen aktuell herausgegebenen Periodika.

7 Zum Beispiel Roger P. Minert: Alte Kirchenbücher richtig lesen. Hand- undÜbungsbuch für Familiengeschichtsforscher, 2. Aufl., Wuppertal 2005.

8 Vgl. Detlev Pleiss: Bevölkerungsschwund undWiederbevölkerung des Hen-neberger Landes1631-1660 im Spiegel der Kirchenbücher, in: Jahrbuch des Hen-nebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins19 (2004), S.155-217; Helga Rasch-ke: Die Interpretation von Gothaer Sterberaten aus dem 17./18. Jahrhundertanhand von Kirchenbüchern und zeitgenössischen Quellen, in: Gudrun Brau-ne und Peter Fauser (Hgg.): Lebensende. Kulturgeschichtlich-volkskundlicheAspekte von Sterben, Tod, Trauer, Bestattung, Erfurt 2003 (= ThüringerHefte für Volkskunde 8/9), S. 79-91.

9 Vgl. Helmut Godehardt: Zur Bedeutung der Kirchenbücher als Quellen fürdie Ortsgeschichtsschreibung. Aufgezeigt am Beispiel der Überlieferung derPfarrkuratie Breitenholz, in: Eichsfeld-Jahrbuch 10 (2002), S. 131-143.

10 Vgl. Katja Deinhardt: Kirchenbücher als Quelle für eine stadtgeschichtlicheStudie am Beispiel Jenas um1800, in: Klaus Ries (Hg.): Zwischen Universitätund Stadt. Aspekte demographischer Entwicklung in Jena um 1800,Weimar2004 (Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte 7), S.155-178.

11 Vgl. Klaus Ries (Hg.): Zwischen Universität und Stadt. Aspekte demographi-scher Entwicklung in Jena um 1800, Weimar 2004 (Bausteine zur JenaerStadtgeschichte 7); darin Klaus Ries: Zur Jenaer Bevölkerung um1800.Ein Pro-blemaufriß, S. 7-18; als Anregung zum obigen Fragenkatalog siehe folgende indiesem Sammelband enthaltenen Beiträge von Falk Burkhardt: Spuren undFährten.Auf der Suche nach der Jenaer Handwerkerfamilie Bohme, S.135-154;Julia Frindte: Heiraten und Patenschaften. Verflechtungen zwischen Univer-sität und Stadt in Jena um 1800, S. 51-75; Katrin Pöhnert: Die Bevölkerungs-entwicklung der Universitätsstadt Jena um 1800. Vitalstatistische Auswer-tung der Kirchenbücher, S.19-50.

12 Klaus Ries (Hg.): Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialge-schichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800,Weimar undJena 2007; Katja Deinhardt: Stapelstadt desWissens. Jena als Universitätsstadtzwischen1770 und1830,Köln,Weimar,Wien 2007 (Veröffentlichungen der His-torischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 20). Nach Auskunft vonKlaus Ries aktuell in Bearbeitung: Katrin Pöhnert: Hofhandwerk im Ereignis-raumWeimar-Jena um1800; Sebastian Hunstock: Geschichte der StadtWei-mar um1800.

13 Vgl. Hannelore Schneider: Thüringer Kirchenbücher im Visier nationalsozia-listischer Sippenforschung, in: Manfred Gailus (Hg.): KirchlicheAmtshilfe.DieKirche und die Judenverfolgung im „Dritten Reich“, Göttingen 2008, S. 101-130. Die Rezension zum obigen Sammelband „Kirchliche Amtshilfe“ unter-streicht das aktuelle Interesse an der zeithistorischen Entwicklung: Rudolf Lill:Ein Pfarrer als Sippenforscher. Kirchenbücher und die nationalsozialistischeJudenverfolgung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.12.2008,Nr. 302, S. 7.

14 Zu den Jenaer Kirchenbüchern vgl.Herbert Koch: Die Jenenser Kirchenbücher,in: Familiengeschichtliche Blätter 12 (1914), Nr. 3, S. 98-103; siehe auch Ders.:Leichenreden und Kirchenbücher (Univ. Jena), in: Mitteldeutsche Familien-kunde 10 (1969), S. 401.

4 Bibliographischer Überblick bei Eckart Henning und ChristelWegeleben: Kir-chenbücher. Bibliographie gedruckterTauf-,Trau- undTotenregister sowie derBestandsverzeichnisse im deutschen Sprachgebiet,Neustadt an derAisch1991(Genealogische Informationen 23).Aus der Fülle der (kirchen-)geschichtswis-senschaftlichen Handbuchliteratur sei folgender Artikel stellvertretend ange-führt: Wilko Schröter, Art. Kirchenbücher, in: Enzyklopädie der Neuzeit 6,Stuttgart 2007, Sp. 636-638.Übergreifende Darstellungen zumThema (inAus-wahl): Peter Becker: Leben, Lieben, Sterben.DieAnalyse von Kirchenbüchern,St. Katharinen 1989 (Halbgraue Reihe zur Historischen Fachinformatik, Se-rie A: Historische Quellenkunde 5); Heinrich Börsting: Geschichte der Ma-trikeln von der Frühkirche bis zur Gegenwart, Freiburg 1959; Karl ChristianBecker: Wissenschaftliche Darstellung der Lehre von den Kirchenbüchern,Frankfurt am Main 1831.

Jenaer Kirchenbuch von 1606 (Taufen)

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Jena bestand ab dem18. Jahrhundert aus zwei Kirchengemeinden– nämlich die der Stadt- und der Garnisonkirche.15 Während derstädtische Bestand bis zum Beginn des 17. Jahrhundertszurückreicht, beginnt die kontinuierliche Führung von Kirchen-büchern der Garnisonsgemeinde mit deren Gründung erst 1743.Orts- und Zeitangaben sind zu den jeweiligen sakramentalenAmtshandlungen (Taufe, Konfirmation, Trauung, Beerdigung)verzeichnet, ergänzend dazu die Angaben zu den unmittelbarbeteiligten Personen. Hinzu kommt eine Fülle weiterer personen-relevanter Daten: Bei Täuflingen die Väter und die Paten, im Fallunehelicher Geburten auch Informationen zur Mutter, bei Ehe-leuten ebenfalls die Väter sowie Angaben zu etwaigen Schwanger-schaften, bei Verstorbenen eine männliche Bezugsperson (Vateroder Ehemann); bisweilen informieren die Registerreihen auchüber Aufenthaltsorte, Berufsangaben sowie Rechtsstand, und eslassen sich aus diesen Angaben weiterführende Rückschlüsse aufden Sozialstatus der beteiligten Personen ableiten. In zunehmen-dem Maß setzte in der Registrierungspraxis mit dem ausgehen-den 18. Jahrhundert eine Standardisierung ein, und es kamenweitere Angaben hinzu, so zum Beispiel im Fall unehelicherGeburten, wenn diese im Jenaer „Accouchierhaus“, einer Entbin-dungsanstalt zur Ausbildung von Medizinern und Hebammen,erfolgten. Auch die Todesursachen wurden in den Jenaer Sterbere-gistern ab 1791, nicht wie zuvor nur sporadisch, sondern regel-mäßig erfasst (mit einer Lücke von 1794 bis 1801).

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Registrierungspraxisfür die ältere Zeit insgesamt nicht statisch verhält, sondern dasssie gegen Ende des 18. Jahrhunderts in erweiterter, zusehendsschematisierter Form stattfand. So begegnet ab diesem Zeitraumin den Jenaer Kirchenbüchern auch eine formularartige Aufnah-me der weiterhin handschriftlich verfassten Eintragungen.Darüber hinaus enthält der Bestand diverse zu Beginn des19. Jahrhunderts erstellte alphabetische Namensregister, welcheim Rahmen des Projektes ebenfalls digitalisiert werden. DieseRegister sind bis 1791 nach Jahren und alphabetisch geordnet,dann aber gibt es nur alphabetische Register, in denen die Jahregleich nebeneinander stehen.

ARBEITSPROGRAMMProgrammtechnische Umsetzung undErschließung

Im Anschluss an die Sichtung der Jenaer Kirchenbücher wurdedamit begonnen, ein Datenmodell für deren bibliografischeErfassung zu erstellen und dieses programmtechnisch umzuset-zen. Das erarbeitete Datenmodell bildet den Ausgangspunkt fürdie Erfassung der Beschreibungsdaten (Metadaten) und damitauch für die jetzigen Recherchemöglichkeiten. Es wurde bei derprogrammtechnischen Umsetzung des Projektes auf die Erfah-rungen zurückgegriffen, welche durch die Implementierunganderer Archivanwendungen in UrMEL vorhanden sind. Dennseit 2007 haben sich die Thüringer Staatsarchive mit der ThULBin gemeinsamen Projekten verbunden. Die Basis für sämtliche inUrMEL aktuell verfügbaren Archivsammlungen bildet das dortimplementierte Datenmodell für Akten. In diesem Kontextgelangt auch der im Archivwesen verbreitete Metadaten-Standardzur Beschreibung von Findmitteln „Encoded Archival Descripti-

on“ (EAD) zur Anwendung. Das technische System basiert aufder „Extensible Markup Language“ (XML) und der Software„MyCoRe“16. Die Präsentation der digitalen Jenaer Kirchen-bücher erfolgt im Rahmen des Portals „Kirchenarchive Jena“ imSegment Collections@UrMEL. Letzteres ist konstitutiver Be-standteil von UrMEL und bietet eine Infrastruktur für daselektronische Publizieren digitalisierter Bestände verschiedenerSparten. Archivmaterialien sind im Rahmen vonCollections@UrMEL bereits jetzt verfügbar; in Kürze werdendies auch Alte Drucke, Handschriften und weitere historischeDokumententypen sein.Der Zugriff auf die digitalen Kirchenbücher wird zum einen übereine bequeme Suchmaske realisiert, welche gleichzeitig denkomplexen Anforderungen bei der Recherche nach historischenDokumenten entspricht. Hier kann bei der Recherche in denbibliografischen Daten der Kirchenbücher auf eine Suchmaskezurückgegriffen werden. Zum anderen verfügt das Online-Archivüber eine Stöberfunktion („Browsing“) über Bestände. Hiermitwird eine übersichtliche und nach Gemeindeorten systematisierteZugriffsmöglichkeit auf die Kirchenbücher geboten. Die Binnen-ordnung innerhalb des jeweiligen Teilbestandes orientiert sich ander kirchlichen Registrierungspraxis und ist somit unterteilt inTaufen, Trauungen, Bestattungen, sofern verfügbar auch inKonfirmationen (z. B. Jena). Die weitere Gliederung innerhalbdieser Ordnungseinheiten ist nach chronologischen Parametern(jahrhundertweise) strukturiert. So bleibt gewährleistet, dassman beim Durchstöbern der Bestände die Orientierung behältund in überschaubaren Ergebnislisten recherchiert.

In der untersten Ebene werden Kirchenbücher in Form vonJahrgängen präsentiert. Die Objektbeschreibungen setzen sichaus verschiedenen Elementen zusammen und enthalten folgendeAngaben: Titel, Aktennummer, Laufzeit, lokaler Hinweis, Be-standsnachweis sowie technische Metadaten. Ein Hyperlink führtzum Volltext, also zum einzelnen digitalisierten Kirchenbuch,welches in einem Bildbetrachter virtuell durchblättert werdenkann. Der Zugang zu den digitalisierten Beständen ist derzeitnach dem Modell einer „Einzelplatzlizenz“ auf den Nutzerbe-reich der Abteilung Handschriften und Sondersammlungen derThULB sowie die Räume des Evangelisch-Lutherischen Kirchen-kreises Jena beschränkt. Von außerhalb dieser IP-Adressenberei-che ist der Zugriff auf die Volltexte nur über Benutzerkennungund Passwort möglich, damit ein Datenmissbrauch verhindertwird. In Zukunft soll dieser Zugriff kostenpflichtig sein.Das offene und erweiterbare Konzept von UrMEL sowie dieAnwendung internationaler Erschließungsstandards sollen dieVerknüpfung mit weiteren Informationssystemen und Informati-onsverbünden ermöglichen.Dazu gehört auch die geplante Implementierung der FormateMETS und MOTS, um die Datenpakete nach dem Vorbild ande-rer UrMEL-Anwendungen in übergeordnete Fachportale undwissenschaftliche Informationssysteme einzuspeisen sowie diedamit mögliche Unterstützung des DFG-Viewers für die einheitli-che webbasierte Betrachtung der Digitalisate im Internet zugewährleisten. Gleichzeitig ist mit der Verwendung entsprechen-der Standards die Austauschbarkeit der Metadaten zwischendigitalen Repositorien (Interoperabilität) möglich.Vor diesemHintergrund wäre es zudem sinnvoll, den Bestand im „Archiv-portal Thüringen“17 zu verzeichnen und nachzuweisen.Ergänzend kommt ein PICA-Nachweis zur Gesamtsammlung

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hinzu, so dass der Bestand im OPAC der ThULB und in der Titel-datenbank des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV)18übereine Stichwortsuche aufgefunden werden kann. Über die imple-mentierbaren Standardschnittstellen der „Open Archive Initiative“(OAI), Z39.50 und nach Projektabschluss auch über XML-Exportoder XML-Import wird es jederzeit möglich sein, die Metadatenzu den Jenaer Kirchenbüchern in dem vomVerband kirchlicher Ar-chive aufzubauenden Kirchenbuchportal19 abzurufen bzw. dorthinzu exportieren. Darüber hinaus werden Suchanfragen (zu Metada-ten) auch von kommerziellen Suchmaschinen (Google) aus bedient.

Digitalisierung und Bestandserhaltung

Begleitend zur programmtechnischen Umsetzung wurde imZusammenspiel der beteiligten Akteure einWorkflow für dieDigitalisierung der Kirchenbücher entwickelt. Sämtliche Materia-lien, sowohl Kirchenbücher als auch Akten, werden von ihremphysischen Aufbewahrungsort zur Bearbeitung in das Digitalisie-rungszentrum der ThULB Jena verbracht. Parallel dazu werdendie Originaldokumente von der Restaurierungswerkstatt derThULB unter dem Blickwinkel der Bestandserhaltung betreut.

15 Hierzu und zum Folgenden siehe Pöhnert: Bevölkerungsentwicklung, S.19 ff.(wie Anm.11).

16 Vgl. www.mycore.de. Mycore ist ein System zur Entwicklung von Doku-menten- und Publikationsservern, Archivanwendungen, Sammlungen vonDigitalisaten oder vergleichbaren Repositorien.MyCoRe wird auf Open SourceBasis von verschiedenen Universitäten und Bibliotheken unterhalten.

17 Vgl. www.archive-in-thueringen.de.18 Vgl. www.gbv.de.19 Vgl. www.kirchenbuchportal.de.

Stöberfunktion

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Deshalb steht am Beginn des Digitalisierungsprozesses unterHinzuziehung entsprechender Fachkompetenz die physischeEvaluierung jedes einzelnen Bandes bzw. Konvolutes, zunächstunter dem Blickwinkel konservatorischer Aspekte und ihrerDigitalisierbarkeit, sodann hinsichtlich der Zuordnung dieserMaterialien zum dafür in Frage kommenden Scanner. ZumEinsatz kommen je nach Beschaffenheit der Vorlage verschiedeneHochleistungsscanner. Die in der Regel durch jahrhundertlangeBenutzung physisch stark beanspruchten Kirchenbücher sind inden meisten Fällen im Folioformat überliefert.

Die weiteren Stationen des Digitalisierungsprozesses wurden inder ersten Projektphase noch mittels eines Laufzettels erfasst undfestgehalten. Ab dem ersten Quartal 2009 wird der Digitalisie-rungsworkflow (und ausschließlich dieser) mit Hilfe der an derNiedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen(SUB) entwickelten Software „Goobi“ abgebildet und organisiert.Jede aufgeschlagene Doppelseite eines Kirchenbuches wirdgetrennt digitalisiert (in 300 dpi). Somit bildet letztere das Grund-element der Dateigruppen, die in ihrer Summe jeweils ein Kir-chenbuch bilden. Diese Einheiten werden bei der Aufbereitungdes digitalisierten Materials zur besseren Übersichtlichkeit in derTrefferliste nach Jahrgängen gruppiert. So erhält man bei derBenutzung des Bestandes zu Jena beispielsweise Zugriff auf dasKirchenbuchmaterial der unterschiedlichen Gattungen (Taufen,Trauungen, Bestattungen); in einem nächsten Schritt gelangt manzu den jeweiligen Jahrgängen (zum Beispiel: „Jena KirchenbuchTaufen 1606“).Wird auf dieseWeise eine neue nutzerfreundlicheAufbereitung des Bestandes geboten, so bleiben sämtliche Kir-chenbücher über die erfasste Archivnummer in ihrem ursprüngli-chen physischen Kontext rekonstruierbar. Das Projekt folgt damitauch den Empfehlungen der jeweiligen Fachausschüsse derArchivreferenten-Konferenz.20

Nutzung, Daten-Archivierung undLangzeitsicherung auf Mikrofilm

Das Elbe-Hochwasser 2002, der Brand der Herzogin AnnaAmalia Bibliothek 2004 sowie der Einsturz des Kölner Stadtar-chivs 2009 haben binnen weniger Jahre drastisch vor Augengeführt, dass durch völlig unterschiedliche Szenarien Kulturgutin großem Umfang vernichtet werden kann. Dies mahnt, ange-sichts eines stets drohenden Verlusts von Originalen, für eineoptimale Sicherung der in ihnen beinhalteten Informationen zusorgen.Die Vorzüge eines Digitalisats bestehen vor allem in der schnellenVerfügbarkeit als Nutzungsmedium. Um eine optimale Datensi-cherheit zu garantieren, werden die digitalen Objekte auf RAID-Systemen des Universitätsrechenzentrums Jena (URZ) gespei-chert, die über Fibre Channel an die UrMEL Produktionsserverangebunden sind (Hochgeschwindigkeitsübertragung). DieseSpeichersysteme werden über den IBM Storage SUN VolumeController (SVC) verwaltet, virtualisiert und gespiegelt. Zusätz-lich wird zur Synchronisation der Daten täglich ein sogenannter„Schnappschuss“ auf ein Speichersystem des URZ vorgenom-men. Mit diesen beiden Sicherungsarten ist sowohl eine Archivie-rung als auch eine hohe Ausfallsicherung gegeben. Darüberhinaus ist vorgesehen, die gesamte Langzeitarchivierung vonUrMEL in Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek

(DNB) und der SUB Göttingen in die nationale Strategie zurLangzeitarchivierung digitaler Bestände einzubetten.Trotz der technischen Möglichkeiten der digitalen Langzeitarchi-vierung stellt es besonders im Archivwesen nach wie vor einegängige Praxis dar, von historischen Dokumenten Sicherheitsfil-me anzufertigen. Der auch durch noch so hoch entwickelte IT-Systeme im Hinblick auf die Sicherung bisher nicht zu überbie-tende Vorteil liegt darin, dass unabhängig von rasanten Verände-rungen bei der Hard- und Software die auf 35mm-Film analoggespeicherten Daten auch noch nach Jahrhunderten praktischohne weitere Hilfsmittel gelesen werden können.Von diesenFilmen können allerdings auch bei Bedarf wiederum digitalePräsentationsformen für die Internetbereitstellung erzeugt wer-den. Dies ist inzwischen in Schwarz/Weiß wie auch in Farbemöglich und stellt eine weitere Option zum Schutz von Kulturguteiner höherenWertkategorie dar. In Pilotprojekten wurde damitbegonnen, schriftliche Überlieferung aus thüringischen Archivenmit hochwertiger Technik zu scannen und anschließend aufeinen alterungsbeständigen 35mm-Farbmikrofilm auszubelich-ten. Die Ausbelichtung erfolgt in diesem Falle über den vomFraunhofer-Institut in Freiburg entwickelte ARRI-Laser.21 DerWorkflow für die Ausbelichtung einschließlich der Metadatenwurde von dem Institut für Erhaltung von Archiv- und Biblio-theksgut der Landesarchivverwaltung BadenWürttemberg inLudwigsburg entwickelt. Bei der Entscheidung für eine Farbaus-belichtung spielt natürlich die Frage der Kosten eine Rolle. BevordieserWeg beschritten wird, gilt es daher zunächst zu klären, obdie jeweiligen Materialien überhaupt unverzichtbare Farbinfor-mationen enthalten, wie dies beispielsweise bei Kartenwerken zuerwarten ist. Bei den Kirchenbüchern ist dies jedoch in der Regelnicht der Fall. Daher sollen in diesem Projekt in Abstimmung mitdem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenab-wehr22 die digitalisierten Kirchenbücher auf Schwarz/Weiß-Mikrofilm ausbelichtet werden, um die Langzeitsicherung derInformationen über eine Einlagerung im Oberrieder Stollen23 zugarantieren. Dafür ist es notwendig, zuvor die Metadaten mit dendazugehörigen Digitalisaten als XML-Export in strukturierterForm auszugeben, damit eine sinnvolle Anordnung der Daten aufdem Film sichergestellt werden kann.

ZUSAMMENFASSUNG UNDPERSPEKTIVEN

Das im Rahmen von UrMEL zugängliche Online-Archiv „Kir-chenarchive Jena“ ist ein Beispiel für institutionenübergreifendeZusammenarbeit bei der Digitalisierung und Archivierunghistorischer Sammlungen. Neben Akten sind im Rahmen derdigitalen Archivanwendung vor allem die Jenaer Kirchenbücherzugänglich, deren Digitalisierung in der ThULB vor dem Ab-schluss steht. Insgesamt handelt es sich um 302 Kirchenbücher,die einen Zeitraum von nahezu vier Jahrhunderten (1606 bis ca.1900) abdecken. Nicht nur für die zahllosen genealogischenInitiativen und Vereine sind Kirchenbücher ein hervorragenderQuellenfundus, sondern auch für die universitäre geschichtswis-senschaftliche Forschung. Insofern stellen sie einen Quellenbe-stand dar, welcher in der archivischen Benutzungspraxis beson-ders stark frequentiert ist und entsprechend physisch bean-sprucht wird. Die Online-Aufbereitung der digitalisierten Jenaer

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Kirchenbücher erfolgt auf der Basis der Erfahrungen mit anderenin Collections@UrMEL verfügbaren archivalischen Sammlungen.Das heißt, sämtliche im elektronischen Volltext zugänglichenMaterialen sind mit ihren dazugehörigen Objektbeschreibungen(Metadaten) aufbereitet und im Fall der Kirchenbücher imRahmen eines differenzierten Rechtemanagements zugänglich.Das offen angelegte Konzept von UrMEL sowie die Anwendunginternationaler Erschließungsstandards ermöglichen die Integra-tion in weitere Informationssysteme und -verbünde. Ergänzendzur digitalen Langzeitarchivierung der Materialen auf Speicher-systemen des URZ Jena sollen von sämtlichen digitalisiertenKirchenbüchern im weiteren Verlauf des Projektes alterungsbe-ständige Sicherungsfilme angefertigt werden.Die im Beitrag skizzierte Ausgangslage legt – in Abstimmung mitweiteren kirchenarchivischen Digitalisierungsinitiativen – dieErgänzung des zunächst auf Jena bezogenen Angebotes um dieBestände weiterer kirchlicher Archiveinrichtungen aus der Regionnahe. Darüber hinaus sind die innerhalb universitärer Projektegewonnenen Primärdaten und ihre mögliche Migration nachUrMEL als Perspektive zurWeiterentwicklung des Systems in denBlick zu nehmen. Dies aus zwei Gründen, weil erstens mit einersolchen Maßnahme das in den Forschungsprojekten gewonnenepersonenrelevante Datenmaterial somit online verfügbar gemachtwerden könnte, und hierdurch zweitens das bereits rudimentär inUrMEL vorhandene (Meta-)Datenmaterial im Sinne einer Perso-nendatei angereichert werden könnte, um perspektivisch nochbessere Recherchemöglichkeiten anbieten zu können.

Namentlich handelt es sich hierbei um die im Sinne sozialhistori-scher Grundlagenforschung am SFB „Weimar-Jena“ (auf Basisvon MS-Access) erstellte Personendatenbank, in welcher dieBevölkerung Jenas für die Zeit um 1800 erfasst wurde. DieArbeiten sind für die Jenaer Stadtgemeinde nach Informationenvon Klaus Ries nahezu abgeschlossen, die Erfassung der JenaerGarnisonsgemeinde steht bevor. Vergleichbares wird derzeit fürdieWeimarer Kirchengemeinden geleistet. Eingang finden in dieDatenbasis alle in den Kirchenbüchern vorgefundenen personen-relevanten Daten, so dass sich deren Gesamtzahl am Ende derErfassung auf eine fast sechsstellige Anzahl erstrecken würde.Was liegt da näher, als die Kirchenbücher der thüringischenResidenzstadtWeimar in UrMEL zu integrieren…

Thomas Mutschler, Michael Lörzer, Hagen Naumann, JenaBernhard Post,Weimar

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20 „Digitalisierung vonArchivgut im Kontext der Bestandserhaltung.Gemein-sames Positionspapier derARK-Fachausschüsse „Bestandserhaltung“ und „Si-cherung und Nutzung durch bildgebendeVerfahren-Fototechnik vomMärz2008“, vgl. www.landesarchiv-bw.de/sixcms/detail.php?template=hp_arti-kel&id=17537&id2=&sprache=de.

21 Vgl. www.ipm.fraunhofer.de/fhg/ipm/anwendungen_maerkte/laserbelich-tung/arrilaser/index.jsp.

22 Vgl. www.bbk.bund.de.23 Zum Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland, dem Barbara-

stollen in Oberried bei Freiburg im Breisgau vgl. www.uni-muenster.de/Fo-rum-Bestandserhaltung/downloads/oberriedstollen.pdf.

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Das Ende der ersten Bergungsphase und der Beginn der Planun-gen für das weitere Vorgehen beimWiederaufbau des am 3. März2009 eingestürzten Historischen Archivs der Stadt Köln gebenAnlass, das bisher Erreichte zu resümieren und die ersten Kon-zepte für die Zukunft vorzustellen. Zum Einsturz liegen bereitsmehrere Publikationen vor, die indes noch nicht mit einer ab-schließenden Bilanz undWertung aufwarten können, sonderndem Informationsbedürfnis des Augenblicks gedient haben.1

Auch dieser Beitrag kann nur einen Zwischenstand referieren,allerdings in einem entscheidenden Stadium am Übergang vonder unmittelbaren Katastrophenbewältigung hin zur systemati-schenWiederaufbauarbeit.

STAND UND BILANZ DER BERGUNG

Bis Ende Juli konnten ca. 85 Prozent des Archivguts geborgenund bis Ende August erstversorgt, d. h. grob gereinigt, grob re-gistriert und entweder als trocken in einem von 19 Asylarchivenin Nordrhein-Westfalen sowie in Schleswig und Freiburg einge-lagert oder als feucht klassifiziert eingefroren werden. Parallel zurEinlagerung ist zunächst bei den LandschaftsverbändenWestfa-len-Lippe und Rheinland die Gefriertrocknung der etwa 2.500 lfm.Bergungsgut, die als nass oder mikrobiell befallen eingefrorenworden sind, erfolgt. Hier ist Eile geboten, weil nach ca.18 Monaten eingefrorenes Archivgut Folgeschäden erleidet. Die

Entscheidung, statt massenhaft einzufrieren eine Trocknungs-möglichkeit für nur leicht feuchtes Bergungsgut zu schaffen,bewährt sich hier, da sonst noch wesentlich größere Mengen indieser kurzen Zeitspanne zu bewältigen wären.Ca.10 bis 15 Prozent des Archivgutes – dies ist abhängig vomnoch nicht genau absehbaren Umfang der Totalverluste – liegennoch im Einsturzkrater unterhalb des ehemaligen Archivgebäu-des im Grundwasser. Diese können erst geborgen werden, wennein Sicherungsbauwerk in Form einer sogenannten Bohrpfahl-wand errichtet wurde, die ein Abrutschen des Erdreichs verhin-dert. In seiner Sitzung vom10. August hat der Hauptausschussder Stadt Köln die Errichtung eines solchen Bauwerkes beschlos-sen. Die Verwaltung und ein speziell beauftragtes Ingenieurbürohaben umgehend mit der Vorbereitung begonnen. Aufgrund derstatischen und technischen Schwierigkeiten wird jedoch eineBergung voraussichtlich erst im Verlaufe desWinters möglichsein.Bei den bereits geborgenen Archivalien ist eine erste grobeEinschätzung der entstandenen Schäden erfolgt. Diese liegenzum einen im Bereich der Verunordnung aller Bestände, zumanderen im Bereich der tatsächlichen Schädigung der Archivalienselbst, die häufig multiple Schadensbilder aufweisen. AllesBergungsgut ist verstaubt, und zwar durch alkalischen Beton-staub, der auf Dauer Papier, Pergament und insbesondere AV-Medien schädigt. Schon allein deshalb muss dieser entferntwerden, allerdings kann der Staub voraussichtlich nicht durch

HISTORISCHES ARCHIVDER STADT KÖLN

EIN HALBES JAHRNACH DEM EINSTURZ

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oberflächliches Abbürsten beseitigt werden. Hier wird mit Druck-luft oder Absauganlagen zu arbeiten sein. Angesichts der Mengenlohnt sich die Entwicklung neuer Reinigungstechniken, diediesen Prozess zu beschleunigen vermögen. Im einfachsten Fall istmit einer solchen Reinigung die Arbeit beendet. Das könnte beietwa 15-25 Prozent der Archivalien der Fall sein.35 Prozent weisen demgegenüber schwerste mechanischeund/oder durch Feuchtigkeit verursachte Schäden auf, währendbei 40-50 Prozent Schadensbilder von mittlerer Schwere eingetre-ten sind. Diese bestehen meist aus Kombinationen von Knicken,Rissen und Stauchungen mit Schmutz und Staub oder Feuchtig-keitsschäden. Zur schwersten Schadenskategorie gehören auchdie auf mehrere Millionen zu schätzenden Fragmente, Fetzen undsonstigen Archivalienreste. Hier handelt es sich indes – abgesehenvon der Masse – weniger um ein technisches Problem der Restau-rierung als vielmehr und zunächst um ein archivisches im enge-ren Sinne: derWiederherstellung der Ordnung.

Dabei sind die fragmentierten Archivalien nur einTeil des Verunord-nungsproblems. Sowohl auf der Ebene ganzer Bestände als auch aufder einzelner Archivalieneinheiten bis hin zum Einzelblatt und Frag-ment ist eine sehr weitgehende Durchmischung des Bergungsgutseingetreten, die eine Neuordnung des Gesamtbestands bzw. eineWiederzuordnung der bekannten Erschließungsinformationen zuden aktuellen Lagerorten in den19 Asylarchiven notwendig macht.Denn so gut wie kein Bestand konnte geschlossen oder wenigstensin größeren Partien zusammenhängend geborgen werden. Auchnur leicht beschädigte Archivalien können daher erst dann wiederbenutzt werden, wenn ihr derzeitiger Standort festgestellt wurde.Die Tatsache, dass ein Stück geborgen, erstversorgt und eingelagertwurde, sagt also noch nichts über seinen Zustand und über dieFrage aus, ob es denn jetzt überhaupt aufgefunden werden könnte,wenn man es suchen würde, denn die im Zuge der Bergung untererheblichem Zeitdruck geführten Listen sind der Natur der Sachenach kein Instrument einer zuverlässigen, systematischen Recherche.

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1 Vgl. u. a. Bettina Schmidt-Czaia [u.a.]: Zum Einsturz des Historischen Archivsder Stadt Köln, in: Archivar 62 (2009), S. 148-152; Ulrich Fischer [u.a.]: DieKatastrophe von Köln: Bergung – Erstversorgung – Zwischenbilanz, in: Jour-nal of Paper Conservation – IADA Reports 10 (2009), Heft 2, S. 8-14; MarcusStumpf: Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln – Eine Kata-strophe und ihre Konsequenzen, in: Archivpflege in Westfalen und Lippe 70(2009), S. 2-3; Johannes Kistenich: Phasen der Bergung und Erstversorgungdes Archivguts aus dem Historischen Archiv der Stadt Köln, in: Archivar 62(2009), S. 305-313.

Typische Schädigung einer Handschrift: Im Falz, zwischen den einzelnen Seiten, befinden sich Schutt und Steine (Foto: Rebecka Thalmann/Historisches Archiv derStadt Köln)

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KATASTROPHENMANAGEMENT

Bilanz zu ziehen ist auch hinsichtlich der Frage, wie sich dieVerfahren und Methoden von Bergung und Erstversorgungbewährt haben und welche Lehren für künftige Katastrophenfäl-le zu ziehen sind. Eine abschließende Beurteilung dieser Fragenist zwar derzeit noch nicht möglich. Sicher wird man nebenErfolgen auch Fehlentscheidungen zu analysieren haben. EinigeLehren können jedoch bereits jetzt formuliert werden. Dazugehört die Erkenntnis, dass Katastrophen- und Notfallpläne nichtallzu sehr ins Detail gehen und nicht zu komplex, alle Eventua-litäten berücksichtigend sein dürfen, wenn sie funktionierensollen. Schon dasWort trifft nicht den Kern der Sache, denn eineKatastrophe ist nicht planbar. Kein noch so gut erdachter Plankann den ersten Kontakt mit der Realität ohne Modifikationenüberleben. Der Akzent der Vorbereitung sollte daher vor allemauf Notfallprävention,Vorbereitung von flexiblen Führungsstruk-turen, Ausbildung und Übungen denn auf konkreten Maßnah-men liegen, damit im Fall der Fälle möglichst viele Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter, aber auch Feuerwehr und Hilfsdienste, inder Lage sind, flexibel sachgerechte und der jeweiligen aktuellenLage angepasste Entscheidungen zu treffen.Ein Beispiel aus der frühen Phase der Bergung vermag dies zuillustrieren. Dieses hat über den Einzelfall Köln hinaus Bedeu-tung, weil es sich um eine Lage handelte, die so ähnlich auchandernorts anzutreffen sein könnte, ohne dass gleich ein Gebäu-de zusammengestürzt sein muss: Hierbei handelt es sich um die

Sicherung der Urkunden aus dem Keller des stehengebliebenenGebäudeteils, die während der ersten Nacht und zu Beginn deszweiten Tages erfolgte. Vom Ergebnis her ist hier zu beklagen,dass die betreffenden Urkunden nunmehr zwar gesichert sind,jedoch in ziemlicher Unordnung. Dadurch ist ein erheblicherSortieraufwand entstanden. Die Schlussfolgerung, man hättediese Unordnung durch den Bau provisorischer Gestelle für eineHängung in Signaturenreihenfolge vermeiden können, ist daherisoliert betrachtet richtig. Nichts wäre jedoch in der konkretenSituation falscher gewesen, als im Hinblick auf spätere Ord-nungsaufwände die Bergung auch nur für kurze Zeit zu verzö-gern:Zunächst einmal standen die Maßnahmen unmittelbar nach demEinsturz unter erheblichem Zeitdruck, da die Feuerwehr so raschwie möglich die stehengebliebenen Gebäudeteile einreißenmusste, um schweres Gerät bei der Suche nach den vermisstenPersonen einsetzen zu können. Es war daher zu Beginn nichteinmal sicher, ob alle Urkunden würden evakuiert werdenkönnen. Mehrfach mussten die Räumungsarbeiten unterbrochenwerden, weil ein Abrutschen der Keller in den Trichter befürchtetwurde. Dank des zügigen Beginns konnte bis zum Start derAbrissarbeiten fast alles Archivgut aus den Kellern geborgenwerden. Jede Verzögerung am Anfang wäre angesichts der unkla-ren Gesamtlage fahrlässig gewesen – für eine mögliche Bergungder Personen und für die Sicherung unersetzlichen Archivgutes.Doch die Diskussion dieser Frage ist ohnehin müßig, dennForderungen der Archivare sind für die Einsatzleitung der Feuer-wehr alles andere als bindend. Diese konzentriert sich aus gutenGründen auf die unmittelbare Gefahrenabwehr, nicht auf dieFolgemaßnahmen. Das gilt grundsätzlich, aber natürlich auch fürdie Durchführung der eigentlichen Bergung:Wer die – auchfreiwilligen – Einsatzkräfte der Feuerwehr beobachtet hat, dieunter hohem Einsatz bis an den Rand der Erschöpfung Archivgutaus den Kellern schleppten, der würde niemals die Forderung andiese richten wie bei einem normalen Archivumzug zu arbeiten –im Stil bezahlter Möbelpacker. Dieses hätte ihre Kräfte mehr alsunmittelbar notwendig beansprucht, zudem hätte man mit einersolchen Forderung bei der Einsatzleitung auch kein Gehörgefunden.Das Beispiel der Urkunden ist nur eines von vielen, die immerwieder unterstreichen, dass die Katastrophe und der wirklicheNotfall zur Sphäre des Improvisierens gehören; sie verlangen einständiges lagebedingtes Neuorganisieren und liegen weitab vonjeglicher systematischer Planbarkeit. Die Notfallmaßnahmenstanden so lange, wie Schäden von Archivgut durch raschesHandeln abzuwenden waren, unter der Prämisse der ständigenlagebedingten Anpassung und Änderung der Vorgehensweise.Das bedeutet in unserem konkreten Fall: bis Ende August wardas letzte Stück so erstversorgt, dass die Schimmelgefahr durchRestfeuchtigkeit abgewendet wurde. Im Rahmen der Erstversor-gung zu berücksichtigende Faktoren waren daher Menge, Schädi-gungs- und Feuchtigkeitsgrad der aktuell zu bearbeitendenArchivalien, aber auch die jeweils verfügbaren Personalkapazitä-ten in quantitativer und qualitativer Hinsicht. So liegt die Idee,Kompetenzteams von Restauratoren einzusetzen, die sich gezieltz. B. um AV-Material kümmern, zwar nahe, konnte aber mangelsentsprechender Fotorestauratoren nur selten umgesetzt werden.Es stand daher jeden Tag und in jeder Schicht erneut die Ent-scheidung darüber an, ob und welche besonderen Arbeiten anz. B. AV-Material, mittelalterlichen Urkunden oder Großformaten

Typische Schäden an einer Handschrift: Innerhalb des Buchblocks findensich durch Erdreich stark verschmutzte Bereiche. (Foto: Rebecka Thal-mann/Historisches Archiv der Stadt Köln)

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überhaupt wie durchführbar waren, und auch die Steuerung derDurchsatzmengen musste täglich den Gegebenheiten angepasstwerden.Die Erarbeitung von komplexen Ablaufdiagrammen erübrigtesich daher genauso wie das Entwerfen von Organigrammen,denn sie hätten nur selten Gültigkeit über den Tag ihrer Erstel-lung hinaus behalten. Das Gegenteil ist der Fall: Der Versuch, dieständig wechselnden Anforderungen sowie Sachzwänge unddamit auch Arbeitsweisen in festen Ablaufdiagrammen zu pla-nen, würde dazu führen, wertvolle Kraft auf die Aktualisierungvon Diagrammen mit kurzer Reichweite zu verschwenden. Damitwürde man ständig hinter der aktuellen Lage herhinken und sodie Initiative verlieren.Die Arbeit in der Katastrophe ist Handeln ins Ungewisse, erfor-dert Führung statt Befolgung von theoretischer Planung, Flexibi-lität statt unbedingter Grundsatztreue und unabhängiges Den-ken. Die Vorbereitung auf eine solche Situation kann auf archivi-scher Seite nur in einer fundierten Ausbildung und Personalaus-wahl sowie Übungen und groben Absprachen zur Einrichtungvon Führungsstrukturen liegen, nicht aber Sache einer theoreti-schen, vorausgehenden Planung sein. Zu bemerken ist außerdem:

Archivare stoßen überall dort an ihre Grenzen, wo vertiefteKenntnisse zur Materialität der Archivalien erforderlich sind.Modern ausgebildete Restauratoren mit Hochschulstudium sindihnen hier auf jeden Fall überlegen. Die enge, gleichberechtigteEinbindung von Restauratoren ist daher gerade im Katastrophen-fall notwendig.Schließlich ist mit Blick auf die Zusammenarbeit mit ehrenamtli-chen „Amateuren“ wie mit zur Hilfeleistung angereisten Kolle-ginnen und Kollegen zu konstatieren: DieWahrnehmung von(Führungs-)Aufgaben muss gerade bei der Bewältigung vonKatastrophen mit der Übertragung entsprechender Verantwor-tung einhergehen. Nur wo Leitung und Verantwortung klargeregelt sind, offen und deutlich kommuniziert werden, kanneffektiv gearbeitet werden, finden die zahlreichen ehrenamtlichenHelfer ihre Ansprechpartner und können gemeinsam Verbesse-rungen im Prozess entwickelt und erfolgreich umgesetzt werden.Die Entwicklung und Kommunikation von Verantwortlichkeitenund Führungsaufgaben in den ersten Tagen nach dem Einsturzhaben erst den Einsatz von insgesamt fast 2.000 Helfern bei derBergung an der Severinstraße und im Erstversorgungszentrum zueiner Erfolgsgeschichte werden lassen.

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Der Trümmerberg im Süden der Einsturzstelle mit Folienabdeckung gegen den Regen (Foto: Jürgen Schütze/Berufsfeuerwehr Köln)

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WIEDERAUFBAU

Die Folgen des Einsturzes stellen das Historische Archiv vor –nach Art und Umfang – so umfassende Aufgaben, dass ihnennicht im Rahmen der üblichen Aufbauorganisation begegnetwerden kann:• Wiederzusammenführung der Bestände,• ihre Restaurierung sowie• Wiederbenutzbarmachung (zunächst über Schutz- undSicherungsmedien sowie ggf. deren Massendigitalisierung)

• und nicht zuletzt der notwendige Neubausind zusammen mit einer Reihe von begleitenden Aufgaben alsEinsturzfolge wie etwa• der Koordination auswärtiger Hilfsangebote,• der Betreuung der beunruhigten Nachlassgeber undDepositare,

• derWeiterentwicklung der Archiv-Software und• der Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeitzu den vorherigen Tätigkeiten hinzugekommen. Die klassischenTätigkeiten, also v. a. Übernahme und Bewertung, Erschließungund Benutzung sowohl der neu hinzukommenden Bestände(auch elektronischer Unterlagen) als auch der nach und nachwieder zugänglich zu machenden geborgenen Archivalien, kön-nen und sollen nicht eingestellt werden. Denn es handelt sichteils um gesetzliche Pflichtaufgaben, teils um Selbstverständlich-keiten. Insbesondere die rascheWiederbenutzbarmachungmöglichst vieler Archivalien ergibt sich schon als Verpflichtungaus dem Einsatz der zahlreichen Freiwilligen, die die Bergungunterstützt haben und schnelle Ergebnisse erwarten.Um auf diese neue Aufgabenvielfalt reagieren zu können, wurdendie direkt mit den Einsturzfolgen zusammenhängenden Arbeitenin eine Projektstruktur überführt, die neben der bisherigen, dielaufenden Geschäfte wahrnehmenden Linienorganisation steht.Beide Bereiche stehen als große, jeweils verschiedene Projektgruppenoder Fachabteilungen umfassende Organisationseinheiten untereigener Leitung. Die Archivleitung, der überdies eine wesentlichverstärkte Verwaltungsabteilung zugeordnet wird, erhält so zweiStellvertretungen für Projekt und Linie, die sie von manchenTagesgeschäften entlasten. Da sich sowohl bei den Fachaufgabenals auch bei Verwaltung, Haushalt und Personal eine bisher nichtgekannte Vielfalt und Komplexität ergeben hat, ist so die Voraus-setzung für eine sinnvolle Aufgabenteilung geschaffen worden.Unterstützung und Begleitung desWiederaufbauprozesseskommt auch von einem Unternehmensberater sowie von einemFachbeirat, der Anfang September durch den Oberbürgermeisterder Stadt Köln konstituiert wurde. Hier sind Experten aus demArchivwesen, der Restaurierungswissenschaft, von Universitätenund der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter Leitung desPräsidenten des Landesarchivs NRW versammelt, um die Kon-zepte des Historischen Archivs zu begutachten, zu diskutierenund so dazu beizutragen, dass der vielfältig auf auswärtigeUnterstützung und Kooperation angewieseneWiederaufbaupro-zess im Konsens mit der Fachwelt beschritten wird.Die Planung ist auf dieseWeise angelaufen, jedoch noch keines-wegs abgeschlossen. Die bevorstehenden komplexen und beispiel-losen Aufgaben wollen gut bedacht sein. Gleichwohl soll derohnehin auf Jahrzehnte angelegteWiederaufbauprozess so raschwie möglich anlaufen, nicht zuletzt um Erfahrungen zu sam-meln, die dann wiederum in die Verbesserung der Konzepte undder Verfahrensweisen einfließen können.

Zunächst wird damit begonnen, die in den Asylarchiven eingela-gerten Archivalien zu erfassen. Das Archivgut liegt derzeit inBergungseinheiten vor, die mit früheren Archivalieneinheitenidentisch sein können, aber nicht müssen. Die Bergungseinheitenwerden in einer eigens erstellten Datenbank erfasst sowie perBarcode identifizierbar und auf dieseWeise über eine Notsigna-tur wieder auffindbar gemacht. Dabei wird sowohl der Versuchunternommen, so viel wie möglich direkt dem richtigen Bestandoder der früheren Signatur zuzuordnen. Mit Förderung derDeutschen Forschungsgemeinschaft wurde zur Unterstützungdieser Aufgabe die Retrokonversion sämtlicher, auch vorläufigerFindmittel, eingeleitet. Gleichzeitig mit der Zuordnung wird auchein Schadenskataster nach vorgegebenen Kategorien erstellt. SindProvenienz oder Bestand nicht unmittelbar zu ermitteln, wird dieBergungseinheit virtuell derjenigen Fachabteilung zugeordnet, inderen Kompetenz die späteren genauen Recherchen liegen. Durchdie digitale Aufnahme von nicht eindeutig zu identifizierendenArchivalien und deren Speicherung direkt in der Datenbankkönnen diese Zweifelsfälle auch ohne erneuten Zugriff auf dieOriginale geklärt werden. Auf dieseWeise können später dieFachleute – angestrebt ist hier mittelfristig die Einbeziehungauswärtiger Experten durchWeb 2.0-Funktionalitäten – direktauf die Problemfälle angesetzt werden, während in der erstenErfassungsphase unterschiedslos Archivarinnen und Archivare,gegebenenfalls unterstützt durch freiwillige Helferinnen undHelfer, eingesetzt werden können, ohne dass diese mit Spezialfra-gen belastet werden.Sobald diese dezentrale Bergungserfassung eine gewisse kritischeMasse erreicht hat, kann sowohl mit der zunächst virtuellen,später auch der physischen Zusammenführung der Beständebegonnen werden. Darüber hinaus wird so die Grundlage für einsystematisches Restaurierungsmanagement geschaffen. Ange-sichts der gewaltigen Aufgaben ist hier streng zu priorisieren.Neben technischen und finanziellen Sachzwängen und Fragensind auch Interessen der verschiedenen Benutzergruppen zuberücksichtigen. Zudem ist zu entscheiden, welchen Teil dernotwendigen Arbeiten wo und durch wen durchgeführt werdensollen. Angesichts der Mengen liegt es auf der Hand, dass einDrei-Säulen-Modell mit Bearbeitung im Haus,Vergabe an ge-werbliche Restaurierungsbetriebe und Kooperation mit denRestaurierungseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft zurAnwendung kommen muss. Umfang und genaue Ausgestaltungder Anteile für jede dieser drei Säulen müssen noch genauerabgestimmt werden. Sie werden allerdings immer wieder imLichte der tatsächlichen – nicht zuletzt finanziellen – Rahmenbe-dingungen neu zu bestimmen sein. Ziel muss es auch sein, imSinne einer Priorisierung Bestände möglichst vollständig oder inmöglichst großen Partien geschlossen in die Restaurierung zugeben. Das ist nicht nur wirtschaftlicher, es stellt auch die schnel-lere Benutzbarkeit wichtiger Bestände im Hinblick auf Benutzer-interessen sicher.Wenn nämlich die Kartons mit Bergungsguteinfach ihrer Lagerreihenfolge nach abgearbeitet würden, würdeerst in Jahrzehnten mit der Verfügbarkeit geschlossener Beständezu rechnen sein. Benutzungsvorhaben wären also vom Zufall derLagerreihenfolge abhängig. Deswegen könnten viele Fragestellun-gen der Benutzer nicht bearbeitet werden, weil einzelne Akten ausgrößeren Beständen in den meisten Fällen keine sinnvolle Arbeitermöglichen. Darüber hinaus sind vielfach einzelne Archivali-eneinheiten verstreut, und zwar durchaus auch über verschiedeneAsylarchive. Ein Vorgehen nach Lagerort könnte daher bedeuten,

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dass aus einer Akte ein Eingang bereits im nächsten Jahr, diedarauf folgende Verfügung aber erst 2020 zugänglich würde.Rasche Fortschritte in der systematischen Erfassung sind daherVoraussetzung für alle weiteren Arbeiten.Ebenso notwendig ist indes die Einrichtung einer provisorischeneigenen Liegenschaft, in der Lose und Partien zusammengestelltwerden können, in der aber auch die vorbereitenden Prozesse fürVergaben und Verteilung sowie die Qualitätskontrolle undschließlich die sachgerechte Lagerung der restaurierten Stückeangesiedelt werden können. Da eine solche Liegenschaft bei allerImprovisation archivische Standards in den Bereichen Klimatisie-rung, Sicherheit und Arbeitsschutz erfüllen muss, kann sie nichtvon heute auf morgen eingerichtet werden. Es steht aber zuhoffen, dass sie im Verlaufe der ersten Jahreshälfte 2010 zurVerfügung steht. Bis dahin sollten so viele Archivalien in denAsylarchiven erfasst sein, dass gezielte Restaurierungsmaßnah-men eingeleitet werden können. Daneben wird in Kooperationu. a. mit der FH Köln und der RWTH Aachen an der Entwick-lung von wirtschaftlichen Reinigungsverfahren für die Archivali-en gearbeitet, die den Kölner Schadensbildern nach Art undUmfang angepasst sind.Schließlich soll möglichst in der gleichen Liegenschaft ein Lese-saal eingerichtet werden, der den seit Juni bestehenden Mikro-filmlesesaal des Historischen Archivs der Stadt Köln ablöst.Dieser soll seinerseits ab Jahresbeginn 2010 in einer innerstädti-schen Liegenschaft als digitaler Lesesaal weiterbetrieben werden.Bis etwa Mitte 2010 wird eine Vorlage von Originalen nichtmöglich sein. Diese Einschränkung ist nicht nur im Mangelgeeigneter Räume begründet – hier hätten sicher schnellereImprovisationsmöglichkeiten bestanden –, sondern es ist aucheine Folge der Verstaubung und Verunordnung der Bestände.Das bedeutet, wenn jetzt ein Lesesaal betrieben würde, könntentrotzdem so gut wie keine Archivalien vorgelegt werden.Wederkönnte man sie – von geringen Ausnahmen abgesehen – bedarfs-gerecht auffinden, noch könnte man sie verstaubt vorlegen. Dasgilt selbst für leichte Schadensfälle, die außer der Verstaubungkeine weiteren Schäden aufweisen. Der mögliche Einwand,staubige Archivalien würden allerorten vorgelegt und ein grobesAbbürsten würde schon reichen, ist in diesen Zusammenhangnicht stichhaltig. Es handelt sich um einen tief haftenden Beton-staub, der nicht durch eine oberflächige Reinigung zu entfernenist, der aber im Zuge einer Benutzung teilweise freigesetzt unddamit auch eingeatmet werden würde. Mundschutz, Kittel undHandschuhe müssten also in jedem Fall bei der Einsichtnahmegetragen werden. Der Lesesaal würde zu einer verschmutztenZone, in der keine sauberen Archivalien vorgelegt werden könnten.Diese Diskussion ist indes ohnehin akademisch, weil erst nachder systematischen Bergungserfassung die Lagerorte von wenigs-tens Teilen der Bestände wieder bekannt sein werden. Die grobenListen, die im Zuge der Erstversorgung erstellt wurden, sindkeine Grundlage für systematische Recherchen, sondern nur einsehr ungenauer Notbehelf, der in den Jahren bis zur Erfassungaller Kartons mit Bergungsgut einen groben Überblick erlaubt.Benutzung im größeren Stil wird daher noch über einen längerenZeitraum auf die Mikrofilme der Sicherungsverfilmung angewie-sen sein. Hier stehen ca. 20 Mio. Aufnahmen zur Verfügung mitder Masse der Altbestände und in wesentlich geringerem Umfangder Überlieferung des 19. Jahrhunderts. Sie werden derzeit mitUnterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und desLandes NRWdigitalisiert, um im Verlaufe der ersten Monate des

Jahres 2010 im Internet und im digitalen Lesesaal verfügbar zusein. Ziel ist nicht nur eine Verbesserung der Zugänglichkeit,sondern auch die Erleichterung von Identifizierung und Zuord-nung von Originalen, bei der dann auch ortsungebunden aufVorlagen zurückgegriffen werden soll. Beiden Zielen wird auchdie spätere Digitalisierung von restauriertem Archivgut dienen,die derzeit konzipiert wird und die eine Einbindung zahlreichervon Benutzerseite zur Verfügung gestellter Digitalisate berück-sichtigt.2 Digitalisierung könnte auch der Schlüssel zur wenigs-tens virtuellen, aber auch physischen Zusammenführung dermehr als 3 Mio. Fragmente sein. Die Möglichkeiten hierzu wer-den derzeit in Kooperation mit der Stasi-Unterlagenbehörde unddem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstrukti-onstechnik IPK geprüft.Konzeptionell ist der langeWeg zurWiederherstellung desHistorischen Archivs der Stadt Köln nunmehr eingeschlagenworden. Die jüngsten Beschlüsse des Rats der Stadt geben darü-ber hinaus Anlass zur Hoffnung, hier auch zum Ziel zu kommen:Zum einen wurde Anfang September beschlossen, den notwendi-gen Neubau auf einem sicheren und verkehrsgünstig gelegenenGrundstück am Eifelwall, in der Nähe von Südbahnhof und Uni-versität, zu errichten. Zum anderen wurde derWeg zur Grün-dung einer Stiftung freigemacht, die der Bereitstellung der Mittelfür die Restaurierung und Beständezusammenführung jenseitsder Haushaltsmittel einen organisatorischen Rahmen geben wird.Die Zeichen für ein rasches Vorankommen sind gut.

Max Plassmann/AndreaWendenburg, Köln

2 Derzeit noch unter www.historischesarchivkoeln.de.Hier werden auch die di-gitalisierten Mikrofilme präsentiert, zudem werden sie überwww.archive.nrw.de verlinkt.

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ARCHIVTHEORIEUND PRAXIS

Vor fünfundzwanzig Jahren wurde die „Arbeitsgemeinschaft dernordrhein-westfälischen Kreisarchivare“ formell aus der Taufegehoben. Zwar organisierte dasWestfälische Archivamt schonseit 1960 mehr oder weniger regelmäßige Arbeitsgespräche, aufLandesebene traf man sich aber erstmals im November 1983 inAltena. So kam es, dass sich am 29. März 1984 in Kempen imKreis Viersen Kreisarchivare aus dem Rheinland und ausWestfa-len zur Gründung einer Facharbeitsgemeinschaft zusammenfan-den. Diese sollte, so hieß es im Protokoll der Gründungssitzung,„zur Koordination der Interessen und zum Erfahrungsaustauschder Kreisarchivare insbesondere als Verbindungsorgan zu denanderen archivarischen Arbeitsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen sowie zum Kommunalen Spitzenverband, dem Land-kreistag NW fungieren“.Mit der Zeit verfestigten sich die organisatorischen Strukturen.Wurde noch in der Gründungssitzung mit dem Viersener Kreis-archivar Paul-Günter Schulte, einem aus dem Rheinland stam-menden Sprecher, und einem ausWestfalen stammenden Stellver-treter quasi eine Doppelspitze installiert, so wechselt das Amt desSprechers heute im Abstand von zwei Jahren zwischen einemKreisarchivar aus dem Rheinland und einem ausWestfalen. Aufder Frühjahrssitzung 1986 wurde – nach dem Vorbild der übrigenbeim LKT angesiedelten Arbeitskreise – das Amt eines Vorsitzen-den eingeführt. Mit dem Soester Oberkreisdirektor RudolfHarling konnte eine Person gewonnen werden, die diese Funkti-on mit hohem Engagement bis Ende 1993 ausübte. HarlingsNachfolger wurde der Kulturdezernent des Kreises Viersen, Prof.Dr. Leo Peters, der jetzt am 20. April 2009 auf der 49. Arbeitssit-

zung des AKKA in Paderborn verabschiedet wurde, da er mitAblauf des Monats September in den Ruhestand tritt. Er hat ins-gesamt 15 Jahre lang – in 29 Sitzungen – die Geschicke des AKKAgeprägt. Seine Nachfolge wird im Herbst der Schul- und Kultur-dezernent beim Rhein-Kreis Neuss, Tillmann Lonnes, antreten.Der „Arbeitskreis der nordrhein-westfälischen Kreisarchive“ hatsich inzwischen zu einer festen und anerkannten Größe ent-wickelt und steht heute gleichberechtigt neben den beiden an-deren, beim Städtetag bzw. Städte- und Gemeindebund NRWangesiedelten Archivarbeitskreisen, der Arbeitsgemeinschaft derStadtarchive des Städtetages NRW (ARGE) und der Arbeitsge-meinschaft der Stadt- und Gemeindearchive beim Städte- undGemeindebund (ASGA). Dabei sind die Kreisarchive ja eine rechtjunge Archivgattung. Die meisten verdanken ihre Entstehung be-kanntlich der Kommunalen Neugliederung der 1970er Jahre. Inden Sitzungsprotokollen spiegeln sich die intensiven fachlichenDiskussionen der vergangenen Jahre. Auf den zweimal jährlichabwechselnd inWestfalen und im Rheinland stattfindenden Ar-beitstreffen wurden und werden Fragen der Bestandserhaltung,der Öffentlichkeitsarbeit oder der Historischen Bildungsarbeitebenso behandelt wie die Einführung neuer kommunaler Finanz-und Steuerungssysteme. Das Themenspektrum reicht vom Ein-satz der Elektronischen Datenverarbeitung im Archiv bis hin zurLangzeitarchivierung elektronischer Unterlagen. Auf der letztenSitzung im April 2009 in Paderborn standen die Novellierung desnordrhein-westfälischen Archivgesetzes sowie die Umsetzung desPersonenstandsreformgesetzes im Mittelpunkt.

Wilhelm Grabe, Paderborn

25 JAHRE „ARBEITSKREIS DERNORDRHEIN-WESTFÄLISCHENKREISARCHIVE“

Sitzung des „Arbeitskreises dernordrhein-westfälischen Kreisarchive“in Paderborn (April 2009)mit Prof. Dr. Leo Peters (1. von rechts)(Foto: Kreis Paderborn)

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In schnelllebiger Zeit zeugt ein 10jähriges Tagungsjubiläum schonvon einer kleinen Tradition und so wurde dieses Ereignis imRahmen der Tagung am 3. April 2009 mit einem Festakt began-gen. An dieser Stelle soll nun ein Rückblick gewagt werden,verbunden mit der Frage, ob diese Veranstaltung noch zeitgemäßist. Gewagt ist die Frage sicher, weil offenkundig ist, dass eszumindest bundesweit heute weniger Archivpädagogen gibt alsvor 10 Jahren. Nähern wir uns also skeptisch:Was sollte mit derTagung erreicht werden, was wurde erreicht, was hat sich verän-dert?

ZIELE

Die Karlsruher Tagung wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen,weil die damals täglich spürbare Sprachlosigkeit zwischen Archi-ven und Schulen aufgebrochen werden sollte.1 Wenn die Funktio-nen von „Archiv“ in der Öffentlichkeit intensiver beachtet wer-den, wenn archivische Aufgaben und Möglichkeiten stärker inden allgemeinen Bildungskanon eingebracht werden sollten, warderWeg über die Schulen unumgänglich. Das seinerzeit verkün-dete – und noch heute gültige – Ziel, „jeder Schüler soll einmalwährend seiner Schulzeit ins Archiv“, konnte aber mit denwenigen Archivpädagogen, die in einigen Bundesländern einge-setzt wurden, nicht erreicht werden. Insofern wurden mit derTagung von vorneherein mehrere Ziele verfolgt.1. Grundsätzlich solltenWege eröffnet werden, die Schwellen-angst vor dem unbekannten, vielleicht auch geheimnisvollenArchiv zu reduzieren und schließlich ganz zu nehmen.

2. Gleichzeitig sollten Veränderungen im Archiv erreicht werden:Das Bewusstsein für die Bedeutung der Schulen und derInstitutionen der Lehrerausbildung als Zielgruppen für archivi-sche Bildungsaufgaben sollte geweckt und gefördert werden.

3. Zum Dritten sollten aufgeschlossene LehrerInnen und Archiva-rInnen konkret für dieses Arbeitsfeld gewonnen werden.Wiebei allen neu zu bestellenden Feldern war klar, dass dies vorallem mit über das übliche Maß Engagierten würde gelingenkönnen.

4. Von vorneherein war viertens beabsichtigt, langfristig eineVerstetigung dieses Arbeitsfeldes durch Institutionalisierung zuerreichen, zum einen durch die Gewährung zusätzlicherDeputatsermäßigungen für „Archiv“-Lehrkräfte und durch dieVerankerung von entsprechenden Lehrinhalten und zumanderen durch entsprechende Stundenkontingente in derLehrerausbildung (PH oder Seminar).

10 JAHRE KARLSRUHER TAGUNGFÜR ARCHIVPÄDAGOGIK

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1 Ausführliche Literaturliste zumThema unter www.archivpaedagogen.de. Be-richte über die KarlsruherTagungen unter www.landesarchiv-bw.de/web/46206[abgerufen am 30.09.2009] bzw. z. T. im Archivar: Ein Blick auf die Originalefördert Engagement von Schülern. Schulgeschichte – ein ideales Feld der Ar-chivpädagogik [2.Tagung] (2002, S. 41-43),Ortsgeschichte – pädagogische Her-ausforderung und archivische Chance. 3.KarlsruherTagung fürArchivpädago-gik findet überregionales Interesse (2002, S. 245-246), 4.KarlsruherTagung fürArchivpädagogik.Das Eigene und das Fremde: Migration –Vertreibung –Ver-schleppung (2004, S. 57-58),Außerschulischer „LernortArchiv“ etabliert. 5.Karls-ruher Tagung für Archivpädagogik bietet Antworten (2004, S. 332-334), 6. Karls-ruher Tagung für Archivpädagogik. Geschichtswettbewerbe – Chance für dieBildungsarbeit? (2005, S. 299-301), Steter Tropfen höhlt den Stein – und lässtneue Ströme fließen.Hoffnungsvolle Entwicklungen in der Archivpädagogik[8.Tagung] (2007, S. 352-354), Ermutigung für die Annäherung an Quellen. 9.Karlsruher Tagung für Archivpädagogik am 7. März 2008 (2008, S. 409 f).

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SCHWELLENANGST UNDENGAGEMENT

Rahmenbedingungen

Für die ersten drei Punkte kann heute unbestritten feststelltwerden, dass das „Archiv“ heute für Lehrkräfte grundsätzlichkein ferner, fremder Ort mehr ist. Das liegt zum einen daran, dasssich die Öffentlichkeitsarbeit der Archive sowohl vor Ort als auchüberregional deutlich verbessert hat. Lokale Initiativen und auchder bundesweite „Tag der Archive“ zielen nicht mehr nur auf einewissenschaftliche oder lokalhistorisch interessierte Klientel,sondern auf jederfrau/jedermann. Zum anderen ist bei Lehrplan-entwicklungen der letzten Jahre neben derWissensvermittlungzunehmend der Kompetenzerwerb ins Zentrum gerückt. Dabeierhielten die Museen und Archive ein didaktisches Etikett –„außerschulischer Lernort“ – und wurden Teil des Kurrikulums.Mit diesen Lehrplanentwicklungen sind nicht alle Schwierigkei-ten zwischen Archiven und Schulen überwunden, aber es hatgleichsam eine grundsätzliche Beweislastumkehr stattgefunden:Der „archivinfizierte“ Lehrer muss bei seiner Schulleitung nichtmehr um das Recht auf einen Archivbesuch kämpfen, sondernder „archivscheue“ Kollege muss begründen, warum er keineaußerschulischen Lernorte aufsucht. Als Hindernisse für ausblei-bende Kontakte zwischen Archiv und Schule sind heute erfah-rungsgemäß vor allem die engen Stundenpläne, besonders imG8-Gymnasium, und die Furcht vor zuviel Unterrichtsausfall zunennen.Die aber im Grundsatz positive Einstellung zu Archiven alsBildungsinstitutionen ist bundesweit zu beobachten; Zeichensind z. B. die Ausschreibung desWettbewerbs „Archiv undJugend“ seit 2007 in NRW2 und das 2006 beim Kultusministeri-um in Baden-Württemberg eingerichtete „Kompetenzzentrum fürGeschichtliche Landeskunde im Unterricht“3, das ein Lehrer inTeilzeit betreut.Und auch in den Archiven werden Schülerinnen und Schüler inder Regel nicht mehr als ungeliebte Störenfriede in der Alltagsar-beit angesehen. DasWerben der Archivpädagogen in Bremen,NRWund Hessen (erste bundesweite Archivpädagogenkonferenz1988) und die gut besuchten Veranstaltungen des VdA-Arbeits-kreises Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit auf denDeutschen Archivtagen seit 1999 haben sicher zu diesemWandelbeigetragen.4 Aber auch die auf der Karlsruher Tagung präsentier-ten qualitätsvollen Beiträge haben hier gezeigt, dass sich dieJugend nicht hinter anderen Nutzergruppen im Archiv versteckenmuss.

Themen und Zielgruppen:Vom Alltag zum Projekt

Der Beitrag der Karlsruher Tagung an dieser Entwicklung be-stand in den ersten Jahren darin, über Themen aus dem unmit-telbaren Erfahrungshorizont von Lehrern und Schülern einenEinstieg in die Archivarbeit zu ermöglichen.Von Anfang anwurde dabei auf eine Kombination von einführenden Vorträgenund einer Projektpräsentation gesetzt. Das theoretische Konzeptund dieWissensvermittlung sollten stets mit einer Überprüfung

an der Praxis einhergehen. „Schulgeschichte“, „Ortsgeschichte“und „Biografie“ lauteten daher die Themen der ersten dreiTagungen.Vor allem die Quellenlage stand in diesen erstenJahren im Vordergrund, geleitet von der Überlegung, dass derWeg zur Quelle nicht zu weit sein durfte. So boten sich dasGemeindearchiv und der örtliche Rathauskeller z. B. zu denThemen „Schulhausbau“ oder „Stundenplan der Großeltern“ an.Auf zwei weitere Aspekte wurde ebenfalls von Beginn an geach-tet: Erstens ist der Einsatz von Archivquellen in Schule undAusbildung nicht auf das Fach Geschichte beschränkt. DieSpannbreite der vorgestellten Projekte reichte daher von derKartografie von Besitzverhältnissen im Erdkundeunterricht biszum Nachbau von historischen Möbeln einer Berufsschulklassevon Schreinern. Zum Zweiten war klar, dass als Zielgruppe beider Projektvorstellung nicht nur Schüler der gymnasialen Ober-stufe angesprochen werden sollten.5 Da die archivische Arbeit mitSchülern ursprünglich aus der Projektarbeit von Einzelnenbestand – sei es alsWettbewerbsprojekt oder als freiwilligeArbeitsgemeinschaft –, waren sowohl die Archive als auch dieschulischen Betreuer auf diese Schülergruppe fixiert: hochenga-gierte Jugendliche der gymnasialen Oberstufe und am Ende desProjektes vorzeigbare Ergebnisse. Die Beteiligung am Geschichts-wettbewerb des Bundespräsidenten zeigt bis heute diese bedauer-liche Schieflage.6 Da aber Schüler aller Schulformen angespro-chen werden sollten, wurden zu den Tagungen immer wiederganz bewusst Projekte von Real- und Hauptschulen eingeladen.In vielen Fällen gelang es sogar, Initiativen von Grundschulenvorzustellen. Vor dem Hintergrund, jeden Schüler das Archiverleben zu lassen, war es natürlich noch günstiger, die Schülerin-nen und Schüler vor der schulischen Differenzierung, also in derGrundschule zu erreichen.Waren hier Modelle anfangs Mangel-ware, so zeigt sich in den letzten Jahren recht deutlich, dass mitaltersgemäßer Ansprache archivische Themen problemlos vermit-telt werden können und auch ansprechende Projekte realisiertwerden können.„Funktionieren“ im Sinne des Austauschs konnte die Tagungallerdings nur, wenn sie von den angesprochenen Zielgruppen –Archivmitarbeitern und Lehrkräften in Beruf und Ausbildung –tatsächlich angenommen wurde. Die diesbezügliche anfänglicheSorge erwies sich als völlig unbegründet. Da an der Tagung schonbeim ersten Mal gleichermaßen Lehrkräfte aller Schultypen undArchivmitarbeiter vieler Archivsparten teilnahmen, entwickeltesich unter den regelmäßig rund 100 bis 130 Teilnehmern einbefruchtender Dialog.Weniger gelungen ist bis heute die Anspra-che von Lehramtsstudenten und Referendaren, die trotz direkterKontakte zu den Lehrerausbildungsinstituten in Karlsruhe dieTagung nur sehr sporadisch als Fortbildung nutzen – angeblichwegen voller Stundenpläne. Aber auch eine Verlegung der Tagungin die erste vorlesungsfreieWoche nach dem Semester brachtekeine Änderung.Ab 2003 erfolgte die Projektvorstellung systematisch durch dieJugendlichen selber, was noch einmal zur Intensivierung derGespräche beitrug. Die anfängliche Präsentation einzelner Projek-te durch betreuende Lehrer oder Tutoren im Plenum hatte sichnicht bewährt. Interessant ist, dass die Jugendlichen inzwischen(2009) neben dem Interesse an Themen der Geschichte denErwerb von Kompetenzen – intensives Recherchieren / „For-schen“, Zeitplanung, Gruppen-Organisation, Präsentation –selber als Motivation für ihr Engagement bei Archivprojekten

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angeben. Den anwesenden Schülern wurde am Vormittag parallelzum Vortragsprogramm eine gern angenommene Archivführungim Generallandesarchiv angeboten, das nahe dem Tagungsort,dem Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (LMZ), liegt.Gefreut haben wir uns, dass das Tagungskonzept bei Kollegenund Kolleginnen, von Bildungseinrichtungen aller Art im In- undAusland Anklang gefunden hat und auch als Plattform fürBeiträge sowohl am Vormittag als auch auf der Projektmessegenutzt worden ist.Voraussetzung für ein Gelingen der Tagung und vor allem derProjektmesse war neben dem hohen Engagement aller Beteiligtendie hervorragend geeignete technische und logistische Infrastruk-tur des LMZ,Abt. Karlsruhe. Dass die engen Verbindungen desLMZ zur Lehrerschaft Baden-Württembergs für eine breiteInformationsstreuung und zurWerbung für die Tagung genutztwerden konnten, war ein wichtiger Beitrag für den Erfolg derTagung.Förderlich war zudem, dass die Veranstaltung stets wohlwollendvon der Schulverwaltung begleitet und unterstützt wurde, erstauf der Ebene des Oberschulamtsbezirks Karlsruhe, späterlandesweit; äußeres Zeichen für die Kooperation waren die oftpersönlich vorgetragenen Grußworte der Vertreter der Schulver-waltung.Rückblickend erscheint es, als ob das Angebot der KarlsruherTagung gerade im richtigen Moment gekommen wäre. DasEngagement einzelner in Archiv und Schule erhielt Unterstüt-zung durch eine Öffnung der Archive und durch eine Verschie-bung der Lehrplanakzente in der Schule. Archivpädagogik wurdevom belächelten Exotenfach zur prüfungsrelevanten Option.

Lernort Archiv

Auch wenn bei dieser Betrachtung die schulische Seite stärker imVordergrund steht, so soll nicht verschwiegen werden, dassselbstverständlich von archivischer Seite auch Vorbehalte gegendie archivpädagogische Arbeit geäußert wurden. Die Störungdurch nicht-wissenschaftliche Benutzer wurde ebenso beklagtwie die fehlende Zeit für die Erarbeitung zusätzlicher Angebotefür Schulen. Die auf der Projektmesse vorgestellten Initiativenhaben aber dazu beigetragen, auch auf archivischer Seite Befürch-tungen abzubauen. Nicht zuletzt, weil die Bandbreite des Archiv-kontakts von einer Standardführung bis zu einem Projekt reichenkann, dessen Forschungsergebnisse respektabel sind.Für die Archive bedeutet die durch Lehrpläne geförderte Einbin-dung von Archivarbeit in den Bildungsauftrag, dass sie statt derfrüher im Bedarfsfall angebotenen, aufwändigen Einzelführungvermehrt standardisierte Angebote vorbereiten müssen, die beisteigendem Bedarf abgerufen werden können.7 Herausforderun-gen entstehen den Archiven bei Anfragen zu den beliebtenFacharbeiten bzw. Präsentationen, die zunehmend notenrelevantwerden (z. B. GFS: „Gleichwertige Feststellung von Schülerleis-tungen“). In diesen Kontext lassen sich die verschiedenen histori-schen Schüler-Wettbewerbe hervorragend einbauen. Allen voranist hier der alle zwei Jahre ausgeschriebene Geschichtswettbewerbdes Bundespräsidenten zu nennen, der inzwischen ebenfalls indie Notengebung einfließen kann und vielerorts durch archivi-sche Veranstaltungen für Lehrer und Tutoren begleitet wird.

TAGUNG IM UMBRUCH

Überblickt man die Schwerpunkte und die rund 200 Projekte, diein den 10 Jahren vorgestellt wurden, sind mancherlei Entwicklun-gen und Auffälligkeiten zu vermerken. Es hat sich auf jeden Fallbewährt, mit den Angeboten zu den unmittelbaren Lebensweltender Schülerinnen und Schüler zu beginnen. Schnell bildete sichein kleiner Stamm von Interessierten – Lehrkräfte und Archiv-mitarbeiter – heraus, der mit immer wieder neu Hinzugekomme-nen einen intensiven Austausch begann. Schnell wurde auch derBlick auf Metathemen wie „oral history“ (2003), „Geschichts-wettbewerbe“ (2005) und später auf „Lesen alter Schriften“(2008) und „Quellen im Zeitalter des Internet“ (2009) gelenkt.Spätestens als Lehrplanziele und die Möglichkeiten der Archiv-pädagogik in diesem Rahmen diskutiert wurden (2006), hattesich aus einer einfachen Austauschplattform ein bundesweitbeachtetes Forum entwickelt. Diese Akzeptanz, die sich schon zuBeginn vereinzelt mit Projektpräsentationen aus anderen Bundes-ländern abgezeichnet hatte, wurde auch durch ein breites Spek-trum der Referenten aus ganz Deutschland offenkundig. In dieserFunktion als Forum, auf dem aktuelle Fragen und Entwicklun-gen diskutiert werden, wird auch künftig die Bedeutung derTagung gesehen werden müssen.Es hat sich bewährt, die Projekte von den Schülerinnen undSchülern selber vorstellen zu lassen. Der unmittelbare Eindruckvon Schülererfahrungen mit Archivarbeit ist nicht durch noch sodetaillierte Tutorenberichte zu ersetzen, wie sie auf den erstenTagungen eingebracht wurden. Die Interessen und die Erfahrun-gen beider Gruppen – Tutoren resp. Lehrer / Schüler – sind dafürzu unterschiedlich.Wenn man bedenkt, dass Projekte wie Fachar-beiten oderWettbewerbsbeiträge, die mit großem Aufwandentstanden sind, vielfach nur einmal, z. B. im Unterricht, vorge-stellt werden, kann die motivierendeWirkung einer Vorstellungin großem, „offiziellen“ Rahmen nicht hoch genug eingeschätztwerden. Das gilt nicht nur für die Schüler, sondern auch für dieauf ihre Projekte stolzen Schulen.

2 Eine erste Evaluation demnächst von Gunnar Teske, Der Landeswettbewerb„Archiv und Jugend“. Eine Zwischenbilanz. In: Archivar 63 (2010) H. 1.

3 www.schule-bw.de/unterricht/faecheruebergreifende_themen/landeskunde/impressum_ordner/kompetenzz.htm [abgerufen am 30.09.2009].

4 Vgl.Günther Rohdenburg, „... sowohl historisch als auch pädagogisch, didak-tisch und archivarisch qualifiziert ..." Zur Geschichte der „Archivpädagogen“als Mitarbeiter der historischen Bildungsarbeit an Archiven, in: Der Archivar53 (2000), S. 225-229; vgl. auch neuere Leitfäden: Martin Burkhardt,Arbeitenim Archiv, Paderborn 2006; Beate Sturm, Schüler ins Archiv – Archivführun-gen für Schulklassen, Berlin 2008.

5 Clemens Rehm, „Nicht nur für Gymnasiasten". Grundsatzüberlegungen zuZielgruppen archivpädagogischer Arbeit.Online-Publikation 2000.www.lan-desarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/47281/rehm_grundsatz_zielgrup-pen.pdf [abgerufen am 30.09.2009].

6 Vgl. dazu Claudia Tatsch, Zwischen Lust und Frust. Archivarbeit in derWer-tung von Preisträger/innen des Geschichtswettbewerbs der Körber-Stiftung, in:Clemens Rehm,Historische Bildungsarbeit – Kompass für Archive?, Stuttgart2006, S. 25-34, u. a. S. 31.

7 Vgl. Peter Müller und Elke Koch,Archivpädagogik ohne Archivpädagogen? –Neue Wege der kulturellen Jugendbildung im Staatsarchiv Ludwigsburg, in:Der Archivar 59 (2006), S. 348-355.

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Diese Möglichkeiten, eigene archivpädagogische Ergebnisseöffentlich vorzustellen, werden auf lokaler Seite zunehmendgesucht. Die Tagung bietet ein solches „Schaufenster“ für einenNachmittag. Zu überlegen wäre, ob es nicht Möglichkeiten gäbe,diese sehenswerten und vorbildlichen Engagements entweder amStandort länger oder in anderer Form (z. B. im Internet) langfris-tig zugänglich zu machen. Als Beispiel könnte auch die Präsenta-tion der von Münsteraner Schulen erstellten Arbeiten für denGeschichtswettbewerb des Bundespräsidenten durch das Stadtar-chiv Münster dienen.Auf eine dramatische Veränderung muss noch hingewiesenwerden, die schleichend geschah und erst im Rückblick gravie-rend wirkt: Sorgten auf den ersten Tagungen klemmende Diasnoch für stressende und/oder erheiternde Momente, wurden2009 Projekte von Jugendlichen präsentiert, denen diese Medienvollkommen fremd sein mussten; in nicht einmal 10 Jahren hattesich bei den Präsentationen ein radikaler medialer Umbruchvollzogen. Heute sind neben klassischen Papierarbeiten Projekt-präsentationen auf CD oder im Internet an der Tagesordnung.Diese öffentliche Vorstellung dient wiederum – ähnlich wie vonArchiven für die Schule aufbereitete Quellen im Internet –wiederum als Anreiz, in den Archiven zu arbeiten. Erfreulicher-weise werden archivische Arbeitsergebnisse aber auch zuneh-mend in neuen, kreativen Formen wie in Theaterstücken aufbe-reitet. Impulse aus der Theater- und Museumspädagogik findennun auch im Archiv Eingang.8 Interaktion und Kommunikationwerden als neue Vermittlungsformen entdeckt.

NACHHALTIGKEIT UNDPERSPEKTIVEN

So positiv diese Zwischenbilanz klingt, so deutlich muss nach derDauerhaftigkeit und Etablierung dieses Sprosses archivischer

Bildungsarbeit gefragt werden. „Archiv“ ist einer von vielenmöglichen schulischen Lernorten. Archive stehen dabei in einemWettbewerb, weil angesichts größerer Freiräume für Schulen undInstitute der Lehrerausbildung bei ihrer Profilierung bzw. Schwer-punktsetzung eine verlässliche organisatorische Verankerung derArchivpädagogik im Schulalltag derzeit kaum möglich scheint.Die Option „Archiv“ kann eben auch ignoriert werden – sie istkein Teil eines verpflichtenden Kanons. Nüchtern ist festzustellen,dass die regional und lokal zu erarbeitende Verankerung derArchivpädagogik und die darauf aufbauende zusätzliche Etablie-rung von Archivpädagogen in diesen 10 Jahren nur sporadischerfolgt ist; von einem flächendeckenden System, wie wir es von„service educativ“ in Frankreich kennen, sind wir noch weitentfernt. Inwieweit Archive künftig Projekte für Betreuungsange-bote im Rahmen der Ganztagsschule anbieten sollen oder kön-nen, ist derzeit noch offen. Erste Anfragen an Stadtarchive liegenbereits vor. Ähnliche positive Zeichen lassen sich im universitärenBereich ausmachen, wo durch die Umstellung auf Bachelor- undMaster-Studiengänge und die damit einhergehende stärkerePraxisorientierung die Archivpädagogik derzeit in den Fokus derLehre gerät. Hier sind in den nächsten Jahren positive Entwick-lungen zu erwarten.Für die Begleitung dieser Prozesse wird die Karlsruher Tagung fürArchivpädagogik weiterhin als Forum dienen und so ihren Platzals Austauschplattform über die Grenzen der Fachkollegenschafthinaus behaupten.

Clemens Rehm, Stuttgart

8 Vgl. auch die Diskussion auf der 23.Archivpädagogenkonferenz 2009 in Lud-wigsburg. Die Aufbereitung von historischem Geschehen in dialogischenFormen wird in allen Schulstufen genutzt, eignet sich aber besonders für Grup-pen, die über einen „spielerischen“ Zugang gewonnen werden müssen.

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„Verlage bereiten geistigen Schöpfungen einen Markt, sie sindKulturvermittler undWirtschaftsunternehmen zugleich“ – sowerden die Verlage auf derWebsite des Börsenvereins des Deut-schen Buchhandels charakterisiert. Diese Zwitterstellung bringtfür die Archivierung von Verlagsunterlagen spezifische Herausfor-derungen mit sich, dies wurde auf dem „Tag der Verlage“ am 7.und 8. Mai 2009 deutlich. Das Institut für Buchwissenschaft ander Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das DeutscheLiteraturarchiv Marbach hatten Verleger, Archivare und Buchwis-senschaftler eingeladen, um über Fragen der Erwerbung undErschließung von Verlagsarchiven sowie Methoden und For-schungsprobleme der Verlagsgeschichtsschreibung zudiskutieren.1

Nach der Begrüßung durch den Leiter des Deutschen Literaturar-chivs Marbach, Ulrich Raulff, und einer kurzen Einführung derMit-Veranstalterin, Ute Schneider vom Mainzer Institut fürBuchwissenschaft, begann ein erster Block mit drei Vorträgen,deren verbindendes Element ein Bezug zur ostdeutschen Verlags-bzw.Archivlandschaft war. Zunächst informierte Thekla Kluttigunter dem Titel „Überreste einer Buchstadt“ über die Verlags-überlieferung im Sächsischen Staatsarchiv – Staatsarchiv Leipzig.Bedingt durch die Verstaatlichung vonWirtschaftsbetrieben inder DDR und das DDR-Archivrecht war das Staatsarchiv Leipzigbis 1990 für zahlreiche, zum Teil ausgesprochen bedeutendeLeipziger Verlage zuständig. Zwar wurden nach 1990 einigeVerlagsbestände an die früheren Eigentümer zurück übertragen,verblieben aber mit einer Ausnahme als Depositum im Staatsar-chiv Leipzig, das nun eine reiche Verlagsüberlieferung mit 40Beständen und über 1000 lfm Umfang archiviert.2 Am Beispiel(und aus traurigem aktuellen Anlass) der jüngst nach Verkaufgeschlossenen Leipziger Brockhaus-Redaktion stellte Kluttig dieBewertung und Übernahme von Verlagsunterlagen vor, amBeispiel eines Nachtrags zum Bestand Gustav Kiepenheuer Verlagdie Erschließung und Auswertung. Im Anschluss berichtete derBerliner Verleger Christoph Links auf der Grundlage seinerjüngst erschienenen Dissertation3 über das Schicksal der Archiveder ehemaligen DDR-Verlage. Von den ehemals 78 lizenziertenVerlagen der DDR existiert in eigenständiger Form kaum nochein Dutzend, die Altregistraturen oder Archive der Verlage sindteilweise verloren, teilweise nur bruchstückhaft überliefert oderbefinden sich in prekären Verhältnissen. Ein Teil der Archivekonnte aber auch durch die Übernahme in öffentliche Archive

und wissenschaftliche Bibliotheken gesichert werden, als vorbild-liches Beispiel nannte Links das Archiv des bedeutenden Aufbau-Verlages. Links mahnte Verleger und Verlags-Eigentümer, beiVerkäufen oder Fusionen immer klare Regelungen zum Verbleibder Akten zu treffen – zu häufig gingen kulturgeschichtlichwertvolle Unterlagen durch Unachtsamkeit und Desinteresseverloren.Mit dem Verlagsarchiv Gebauer & Schwetschke stellte MarcusConrad einen vor allem für die Erforschung der Geistesgeschich-te des 18. Jahrhunderts überaus bedeutenden Bestand vor, dersich im Stadtarchiv Halle/Saale befindet. Conrad arbeitet an einerDissertation über die Publikationsgeschichte der berühmten„AllgemeinenWelthistorie“ und erschließt in diesem Zusammen-hang den bemerkenswert dicht überlieferten Verlagsbestand. DieimWesentlichen nach Jahrgängen geordneten Manuskripte undKorrespondenzen werden intensiv indiziert (Absender, Adressat,erwähnte Personen,Werke, Orte, Institutionen, Dokumentenart);dies allerdings mit dem Nachteil einer entsprechenden Bearbei-tungsdauer. Bisher wurde rd. ein Viertel des Bestands bearbeitet,die Verzeichnungsangaben zu 16.000 Objekten sind über dieArchivdatenbank des Stadtarchivs im Internet recherchierbar.Der zweite Block bot die Möglichkeit eines Blickes über dieGrenze(n): Mit Volker Kaukoreit und IrmgardWirtz Eybl warendas Österreichische und das Schweizerische Literaturarchiv aufder Tagung vertreten. Kaukoreit stellte zunächst das Sammlungs-profil des erst vor 13 Jahren gegründeten Österreichischen Litera-turarchivs vor, das die Archive von Literaturverlagen, die öster-reichische Autoren verleg(t)en, übernimmt. Bisher wurde Archiv-gut von vier Verlagen, darunter der Paul Zsolnay Verlag, über-nommen. Kaukoreit thematisierte offen die Probleme, die sichaus der auch bei der Erschließung von Verlagsarchiven weitverbreiteten Orientierung an den „Regeln zur Erschließung vonNachlässen und Autographen“ (RNA) ergeben. Zu Recht wies er

KIEPENHEUER, ROWOHLT & CO.

BERICHT ÜBERDEN „TAG DER VERLAGE“

1 Die Beiträge sollen auf derWebsite des Deutschen Literaturarchivs publiziertwerden, siehe www.dla-marbach.de. Ein Bericht über die Tagung findet sichauch auf derWebsite von http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/.

2 Genannt seien die historischenArchivbestände von F.A. Brockhaus und demBibliographischen Institut (Meyers Lexikon, Duden), des Gustav Kiepen-heuer Verlags sowie der international bedeutenden Musikverlage Breitkopf &Härtel und C. F. Peters.

3 Christoph Links: Das Schicksal der DDR-Verlage.Die Privatisierung und ihreKonsequenzen, Berlin 2009.

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auch auf die Spezifika der Benutzung von Verlagsüberlieferunghin, nicht zuletzt die Beachtung von Urheber- und Verwertungs-rechten.IrmgardWirtz Eybl berichtete anschließend über die Situationim Schweizerischen Literaturarchiv, das 1991 in der Schweizeri-schen Nationalbibliothek eröffnet wurde. Den Anstoß zur Grün-dung gab Friedrich Dürrenmatt, der 1989 seinen literarischenNachlass der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter derBedingung vermacht hatte, dass ein Schweizerisches Literaturar-chiv gegründet werde. „Rösser aus Papier“ – so charakterisierteWirtz Eybl Verlagsüberlieferungen, die aufgrund ihres Umfangseine nur schwer zu meisternde Herausforderung für ein Litera-turarchiv seien. Das Schweizerische Literaturarchiv hat bisherkeine Verlagsarchive übernommen, erarbeitet aber derzeit Samm-lungsprofil und Erwerbungsstrategie.Den zweiten Tag der Fachtagung leiteten mit Gunilla Eschenbachund Stephan Füssel Vertreter der einladenden Institutionen ein –sie berichteten unter dem Titel „1000 Kästen Rowohlt“ über dieÜbernahme und Erschließung des Rowohlt Verlagsarchivs.4 FürBefürworter des Provenienzprinzips sehr befremdlich wurde dasArchiv des Rowohlt-Verlags geteilt: Das Deutsche Literaturarchivübernimmt die Unterlagen von Verlagsleitung und Lektorat mitdem Schwerpunkt Belletristik, das Institut für Buchwissenschaftder Universität Mainz Unterlagen zu „Trivialliteratur“ (z. B.Jugendbüchern) sowie betriebswirtschaftliche Unterlagen, z. B. zuHerstellung und Vertrieb. Im Mittelpunkt des Vortrags vonEschenbach standen die Organisation der Übernahme und dieFein-Bewertung (u. a. von Doppelstücken, Fax-Sendeberichtenoder inhaltsleeren „post-it“-Notizzetteln). Füssel, Direktor desInstituts für Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, berichtete über den Aufbau eines Archivsan diesem Institut. Durch die Vergabe von Qualifizierungsarbei-ten ist die „fallbezogene“ sukzessive Erschließung der Unterlagenvorgesehen. Neben der Übernahme von Teilen des Rowohlt-Verlagsarchivs ist die Übernahme weiterer Verlagsunterlagengeplant und teilweise schon erfolgt.Einen lebendigen Einblick in die Arbeit eines Unternehmensar-chivs, der erst 2002 errichteten Abteilung „Corporate History“der weltweit agierenden Bertelsmann AG, ermöglichte derenLeiterin Helen Müller. Eindrucksvoll stellte sie die besonderenBedingungen vor, unter denen das Abteilungsteam aus sechsMitarbeitern täglich seinen Nutzen unter Beweis stellen muss. Zudem Konzern mit rd.100.000 Mitarbeitern gehört mit RandomHouse die größte Publikumsverlagsgruppe derWelt, die rd. 6000Mitarbeiter beschäftigt.„Das Historische Archiv des Börsenvereins des deutschen Buch-handels – ein Branchenarchiv?“ fragte Hermann Staub, seit 1986Archivar des Börsenvereins. Am Beispiel des Bergbau-ArchivsBochum erläuterte er eingangs die Charakteristika eines Bran-chenarchivs und stellte dann die wechselvolle und komplizierteBestandsgeschichte und die Sammlungsgrundsätze in der Deut-schen Nationalbibliothek Frankfurt vor. Teile der Buch- undArchivbestände befinden sich heute im Sächsischen Staatsarchiv– Staatsarchiv Leipzig, im Deutschen Buch- und Schriftmuseumbei der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, in der DeutschenNationalbibliothek Frankfurt sowie im Institut für Stadtgeschich-te Frankfurt. Staub beantwortete die im Vortragstitel gestellteFrage mit einem „Jein“ und diagnostizierte abschließend einensignifikanten Verlust von historischem Bewusstsein in der Buch-und Verlagsbranche.

Wichtige Verlagsbestände befinden sich nicht nur in Archiven.Das verdeutlichte auch der Beitrag von Ralf Breslau über „Ver-lagsarchive des 18. bis 20. Jahrhunderts. Verwaltung und Er-schließung, gezeigt u. a. an den Archiven desWalter de Gruyter-Verlages, des Nachlasses Friedrich Nicolais sowie des Archivs desAufbau-Verlages in der Staatsbibliothek zu Berlin“. Die Verlagsar-chive sind der Handschriftenabteilung und dort den „Nachlässenund Autographen“ zugeordnet.5 Seit etwa 2004 erfolgt die Einga-be der Verzeichnungseinheiten in Kalliope, der zentralen Daten-bank für Nachlässe und Autographen in Deutschland. Gegenwär-tig nutzen rd. 50 Institutionen eine Redaktionsschnittstelle vonKalliope zur Erfassung und Pflege ihrer Daten. Die im Verbund-katalog Kalliope erfassten Daten sind mit normierten Personen-und Körperschaftsdaten verknüpft und nach den Regeln für dieErschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) erschlos-sen.6 Bemerkenswert waren die Ausführungen Breslaus zurVerfilmung und Digitalisierung des Archivs des Aufbau-Verlages,die in Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Bevölke-rungsschutz und Katastrophenhilfe, der Aufbau VerlagsgruppeGmbH, der Firmen MFM Hofmaier GmbH & Co. KG undMikro-Univers GmbH sowie der Staatsbibliothek zu Berlin 2006abgeschlossen werden konnten.1,2 Millionen Blatt wurdenzunächst digitalisiert; ausgehend von den Digitalisaten entstan-den Sicherungsfilme, die im Barbarastollen bei Freiburg i. Br.eingelagert sind. Die Digitalisate können in der Staatsbibliothekzu Berlin genutzt werden.7

In seinem die Tagung abschließenden Vortrag stellte NicolaiRiedel von der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs aus-führlich die dort integrierten Produktionsarchive von Verlagenvor. Die insgesamt rd. 31.000 Medieneinheiten, die den „verlagso-rientierten Sammlungen“ zugeordnet werden, bilden rd. 4 % desgesamten Buchbestandes.Eine abschließende Diskussion war im Programm nicht vorgese-hen und fand angesichts der fortgeschrittenen Zeit auch nichtstatt. Zum Bedauern zahlreicher Teilnehmer, denn im Verlauf derTagung waren einige zu diskutierende Fragen aufgeworfenworden. Genannt seien die aus Sicht der Verf. wichtigsten:1.Was ist ein „Verlagsarchiv“? Sind damit alle Unterlagen inklusi-ve der Publikationen gemeint, die bei einem Verlag entstehen?Sind die Publikationen (auch „Bucharchiv“ oder „Produktions-archiv“ genannt) gemeinsam mit dem Schriftgut zu archivie-ren? Sind Unterlagen aus den Bereichen Herstellung oderVertrieb überhaupt archivwürdig oder soll man sich auf dieVerlagsleitung, Autorenkorrespondenzen und Manuskriptekonzentrieren? Fragen der Bewertung und Bestandsbildungalso, die für die Überlieferung von Verlagen bisher kaumöffentlich und nachvollziehbar diskutiert worden sind – dassdie Positionen hierzu erheblich differieren, wurde auf derTagung sehr deutlich.8

2.Wie kann man das Bewusstsein der Verlage für den kulturge-schichtlichenWert ihrer Unterlagen schärfen und wer ist fürdie Archivierung zuständig? Hier wurde nun sehr klar artiku-liert, dass der Strukturwandel, wenn nicht gar „Struktur-bruch“,9 im deutschen Verlagswesen negative Folgen zeitigt –die Identifikation des Verlegers mit „seinem“ Verlag schwindet,wichtige Dokumente der eigenen Geschichte werden vernach-lässigt, vergessen und vernichtet.10 Für die weit überwiegendeMehrheit der Verlage gibt es aber keine archivische „Zuständig-keit“ – dem Verlagsunternehmen ist es freigestellt, ob es seineUnterlagen – und falls ja, durch wen – archivieren lässt. So

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befinden sich Verlagsarchive heute in Archiven verschiedenerSparten, in Bibliotheken, Museen und selbst an Instituten fürBuchwissenschaft, genannt seien nur Mainz und Leipzig.11

3.Wie sollen Verlagsarchive erschlossen werden?Weit verbreitetist die Orientierung an den „Regeln zur Erschließung von Nach-lässen und Autographen“ (RNA), die für die Bearbeitung vonNachlässen und Autographen in Archiven, Bibliotheken, For-schungseinrichtungen und Museen entwickelt wurden. So warauf der Tagung auch der Begriff „Verlagsnachlass“ zu hören. DieRNA verstehen unter einem Nachlass „die Summe aller Unter-lagen, z. B. Manuskripte und Arbeitspapiere, Korrespondenzen,Lebensdokumente, Sachakten und Sammlungen, die sich beieinem Nachlasser zusammengefunden haben (echter Nachlass)oder nach seinem Tode hinzugefügt worden sind (angereicher-ter Nachlass)“. Dass es bei der Anwendung der RNA auf einenWirtschaftsbestand „knirschen“ muss, verwundert nun nicht.Weder die Empfehlungen zur inneren Ordnung eines Bestan-des noch die durch die RNA angelegte Orientierung auf das ein-zelne Schriftstück als Ebene der Verzeichnung sind aus Sichtder Verfasserin für die Anwendung auf Verlagsarchive geeignet.Dabei bleibt natürlich unbenommen, dass bei bestimmten Un-terlagengruppen wichtiger Bestände eine intensive Verzeichnungim Sinne einer Einzelblattverzeichnung sachlich angemessensein kann.12 Vor dem Hintergrund der strikten Orientierung an

den RNAwurde der Verfasserin jedenfalls verständlicher,warum den vertretenen Literaturarchiven Verlagsarchive wiebedrohliche „Rösser aus Papier“ (Wirtz Eybl) erscheinen. Auchdie Teilung des Rowohlt-Archivs unter Missachtung des Prove-nienzprinzips kann vor diesem Hintergrund gesehen werden.13

4.Wie kann der wissenschaftlichen Forschung ein schneller undmöglichst vollständiger Überblick über den Verbleib von Ver-lagsarchiven ermöglicht werden? Dieses Ziel war ein zentralesAnliegen des Instituts für Buchwissenschaft der UniversitätMainz; organisatorische und technische Möglichkeiten einerLösung wurden kontrovers diskutiert. In diesem Zusammen-hang wurde auch auf die Ergebnisse eines von der DFGgeförderten Projektes hingewiesen, in dem zwischen 1992 und1997 bundesweit Archivalien zur Buchhandelsgeschichte ineiner Datenbank des Deutschen Buch- und Schriftmuseumserfasst wurden.14

Bilanzierend kann festgehalten werden: Das von den Veranstalterngesteckte Ziel, einen Austausch zwischen denjenigen zu ermögli-chen, die mit Verlagsarchiven arbeiten, wurde zweifellos erreicht;die positive Resonanz zum Abschluss der Tagung war eindeutig.Und doch kann angesichts der oben skizzierten losen Fäden mitBrecht festgestellt werden, „wir stehen selbst enttäuscht und sehnbetroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen“.

Thekla Kluttig, Leipzig

4 Die „Kästen“ spielen auf die im Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA)traditionell zur Kartonierung verwendeten und speziell für das DLA angefer-tigten grünen Kästen an.

5 S. http://handschriften.staatsbibliothek-berlin.de/de/nachlaesse_autogra-phen/nachlaesse.php.

6 S. http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/.7 S.www.bbk.bund.de/nn_398806/DE/04_Presse/01_Pressemitteilungen/2006/04121200_Archiv_Aufbau-Verlag.html.

8 So wurde die sinnvolle und notwendige Unterscheidung zwischen den aktu-ellen Unterlagen, einer Altablage oder Altregistratur für die Dauer gesetzlichvorgeschriebener oder inhaltlich sachgerechter Aufbewahrungsfristen und ei-ner Endarchivierung dauerhaft archivwürdiger Unterlagen von verschiedenenTeilnehmern nicht vorgenommen.

9 Siehe hierzu ein Interview mit Joachim Unseld vom Juni 2008 auf derWeb-site des Goethe-Instituts, www.goethe.de/kue/lit/thm/mes/de3436252.htm.

10 Dieser Befund wurde nach der Tagung in einemAufruf an die deutschenVer-lage aufgegriffen, der unter demTitel „Verlage brauchen ein Gedächtnis!“ aufder Fachgruppenversammlung derVerlage auf den Berliner Buchhändlertagenim Juni 2009 verteilt wurde.

11 Siehe zu diesemThema auch einen Artikel der Verf. im Börsenblatt des Deut-schen Buchhandels, Heft 33 (2009), S. 23 f.

12 So wurden im Staatsarchiv Leipzig Korrespondenzakten bedeutender Verlageerweitert verzeichnet.

13 Ein anderer Grund ist sicher die inhaltliche Ausrichtung, das „Sammlungs-profil“, des Deutschen Literaturarchivs Marbach.

14 http://tamino.ddb.de:1900/ddbarchiv/regframe.htm.

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Dem Thema „Archivbau als Gestaltungsrahmen“ widmete sichder 17. Sächsische Archivtag, der vom15. bis 17. Mai 2009 inFreiberg stattfand. Der Vorsitzende des Landesverbandes Ray-mond Plache konnte rund 150 Archivarinnen und Archivaresowie Gäste aus Sachsen und anderen Bundesländern, aus derSchweiz und Tschechien begrüßen. Freiberg wurde nicht zufälligals Tagungsort gewählt. Hier investierten Freistaat und StadtMillionenbeträge, um das Schloss Freudenstein neben der Mine-raliensammlung insbesondere auch für das Bergarchiv zu adap-tieren. Dafür wurde ein Betonbau in die Schlossmauern gesetztund die sogenannte Haus-im-Haus-Lösung praktiziert. Durchdas Luftpolster zwischen der Schlossaußenwand und der desMagazins können Klimaschwankungen gemindert werden, waszur Energieersparnis führt und ideale klimatische Bedingungenfür die Aufbewahrung der Unterlagen schafft. Freiberg ist außer-dem Standort weiterer bedeutender Archive wie des Stadtarchivs,des Kreisarchivs, des Archivs der TU-Bergakademie und desEphoralarchivs.Unter dem Titel „‚Vollendet das ewigeWerk!’ – ZielgerichteteZukunftsplanungen als Voraussetzung für Archivbauten“ ver-weist Raymond Plache (Sächsisches Staatsarchiv, StaatsarchivChemnitz) zunächst auf die unterschiedliche Betrachtungsweiseeines Bauvorhabens seitens der Bauherren und der Architekten.Am Beispiel des Umbaus des Schlosses Freudenstein in Freibergerläuterte er, wie in Abstimmung mit den allgemeinen Nutzerin-teressen ein Konzept mit klaren Zielen und konkreten techni-schen und archivfachlichen Anforderungen erarbeitet wurde. MitdenWorten „Nur wenn wir wissen, was wir wollen, können wirvermitteln, was wir brauchen“ fasste der Referent allgemeingülti-ge Erfahrungen aus dem Archivbau der letzten Jahre zusammen.Diese reichen von klaren Forderungen für die Standortwahl, dentechnischen Voraussetzungen für die Magazinflächen, derBerücksichtigung innerarchivischer Arbeitsabläufe bis hin zurEntwicklung der Archive als Häuser der Geschichte und Dienst-leistungszentren. In diesem Zusammenhang sollte auch dieGebiets- und Funktionalrefom in Sachsen sowie die Aufgabener-

weiterung im Zuge der Personenstandsrechtsreform als Chancegesehen werden, den Nutzen der Archive stärker ins öffentlicheBewusstsein zu transportieren und sich den Aufgaben mit hoherfachlicher Kompetenz und persönlichem Engagement zu stellen.Die erste Arbeitssitzung fand unter Leitung von Gabriele Viertel(Stadtarchiv Chemnitz) statt. Burkhard Nolte (SächsischesStaatsarchiv, Zentrale Aufgaben, Grundsatz) widmete sich derFrage von Archivbauten unter prozessoptimierten und wirtschaft-lichen Gesichtspunkten. Dabei steht nicht nur der Archivkörperals Ganzes in der Betrachtung, sondern insbesondere die Infra-struktur mit den verwaltungsinternen Prozessen innerhalb derEinrichtung selbst. Ziele müssen die Optimierung der Kapa-zitätsauslastung, die Minimierung der Durchlaufzeiten sowie dieMaximierung der Qualität sein. Gerade deshalb ist eine Untersu-chung der Arbeitsabläufe bereits vor dem eigentlichen Bauunabdingbar, um Effizienzverluste zu vermeiden. Dafür bietenbetriebswirtschaftliche Methoden eine Reihe von Ansätzen.Typische Leitfragen, wie „Wer bearbeitete was, wann, wo undwarum“ sind kritisch zu prüfen. Für die meisten Archivare botdieser Vortrag, der die Bereitschaft der Führungskräfte undMitarbeiter zur konstruktiven Auseinandersetzung mit dereigenen Arbeit voraussetzt, neue Denkanstöße.Anschließend berichtete Beate Berger (Stadtarchiv Leipzig) überdie Planung von Flächen für Magazine, Arbeits- undWerkstatt-räume sowie die Bereiche der Öffentlichkeitsarbeit. Das Stadtar-chiv war bereits 1994 in ein für Archivzwecke umgebautes Gebäu-de gezogen, dessen Magazinkapazität mittlerweile völlig ausge-schöpft ist. Am neuen Standort sollen außer den Magazinflächeninsbesondere die Bereiche der Restaurierungswerkstatt sowie dieRäume für die Bestandsbearbeitung im Zuge der Übernahme,Reinigung und Verpackung von Archivalien wesentlich vergrößertwerden. Im Zuge der Erstellung des Raumbuches ist darüberhinaus die erforderliche Ausstattung der Arbeits-,Werkstatt-,Magazin- und der öffentlich nutzbaren Räume und der dafürbenötigte finanzielle Aufwand zu kalkulieren. Nicht unterschätztwerden darf die eigentliche Umzugsplanung im Detail, die die

17. SÄCHSISCHER ARCHIVTAG2009 IN FREIBERG

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Verpackung der Archivalien, die Auswahl der Umzugsfirma oderdie Information der Öffentlichkeit wegen Schließzeiten desArchivs umfasst. Das Stadtarchiv Leipzig arbeitet dabei eng mitder eigenen Stadtverwaltung sowie beauftragten Architektur-büros und Firmen zusammen. Da bisher noch keine Standortent-scheidung erfolgte, wird die Planung des neuen Objektes weiter-hin ein Aufgabenschwerpunkt bleiben und erhebliche Kapazitätender Mitarbeiter binden.Die Mittagspause nutzten die Teilnehmer des Archivtages zumBesuch der mit zahlreichen Firmen vertretenen Archivmesse.Anschließend wurde die Tagung unter Leitung von Petra Sprenger(Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden) fortgesetzt.Völker Jäger (Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig) bilan-zierte Möglichkeiten und Grenzen beim Archivbau aus Sicht desSächsischen Staatsarchivs. Nach der Einrichtung der neuen Ge-bäude der Abteilungen in Leipzig und Freiberg sowie des Staats-filialarchivs in Bautzen konnte mit den Erweiterungs- und Umbau-maßnahmen für das Hauptstaatsarchiv in Dresden und demArchivzentrum Hubertusburg eine den Anforderungen entspre-chende Unterbringung für das staatliche Archivgut fortgesetztwerden. Die Erfahrungen im Umgang mit Problemen, wie siezum Beispiel die Klimatisierung mit erheblichen Folgekosten mitsich bringt, wurden für die neuen Planungen genutzt und diePlanungen entsprechend modifiziert. Da sich die Standortent-scheidung nicht immer durch die Archivare beeinflussen lässt, istes umso wichtiger, permanent auf die Einhaltung aller archiv-fachlichen Standards wie beispielweise der DIN ISO 11799 zudringen. Der Referent forderte die Archivare auf, selbstbewusstForderungen zum Schutz des verwahrten, wertvollen Kulturguteszu stellen und als Partner bei der Suche nach wirtschaftlichenLösungen zu fungieren.Dass die sächsischen Archivare nicht nur bei der Nachnutzungvon Schlössern, sondern auch anderer historischer Gebäudepositive Ergebnisse erzielten, bewies Thomas Kübler (StadtarchivDresden). Er stellte die im Jahr 2000 umgesetzte Adaption desGetreidespeichers der Dresdner Heeresbäckerei für das Stadtar-chiv vor und bestätigte die bereits im vorangegangenen Beitragvermittelten Grundsätze zu Fragen der Zugangssicherheit unddes Brandschutzes sowie zu Vor- und Nachteilen technischerEinrichtungen wie der Klimatisierung oder von Alarmierungs-

und Löschsystemen. Angesichts der gewachsenen Archivbeständeund der angestrebten Unterbringung des Zwischenarchivs amStandort ist es vorteilhaft, dass im Rahmen eines Investorenpro-jektes schrittweise weitere Flächen angemietet werden können, sodass bis 2010 ein benachbartes Gebäude für Archivzwecke umge-baut und mit dem Hauptgebäude über einen unterirdischenGang verbunden wird. Positiv wirkte sich die Einbeziehung allerArchivmitarbeiter in der Erarbeitung des Raumbuches aus. ZurSicherheit der Archivalien tragen auch veränderte interne Maß-nahmen wie die Zugangsregelung für die Magazine oder dieOptimierung der Anordnung der Lesesaalplätze bei. Die Bau-maßnahmen und die Ausstattung sind sichtbarer Ausdruck desWertes, den der Archivträger seinem Stadtarchiv beimisst.Dies wurde auch im nachfolgenden Beitrag von Sigrid Unger(Historisches Archiv des Vogtlandkreises) deutlich. Sie stelltezunächst nach einem Rückblick auf die ursprünglichen Archiv-standorte die heutige Struktur und die Aufgaben des Kreisarchivsdar. Nur durch den engagierten Einsatz der Archivmitarbeiterbeim Aufbau des zentralisierten Archivs des Vogtlandkreises aufSchloss Voigtsberg gelang der sprichwörtlicheWeg „Vom Keller-kind zum Schlossgeist“. Dabei mussten bisherige Arbeitsabläufeteilweise den gegebenen Räumlichkeiten angepasst, aber auchunvorhergesehene Entscheidungen im Bauablauf ständig beglei-tet werden, um innerhalb des vorgegebenen räumlichen undfinanziellen Rahmens eine optimale Lösung zu finden. Mit derweiteren Nutzung des gesamten Schlossensembles für die kultu-relle Arbeit in Oelsnitz und für den Vogtlandkreis selbst findetdas Kreisarchiv seinen Platz unter Partnereinrichtungen, was sichkünftig positiv auf die Öffentlichkeitsarbeit auswirken soll.In seinem Schlusswort plädierte Raymond Plache für die Nach-nutzung der bisher gewonnenen Erkenntnisse in Sachsen beimAus- bzw. Neubau von Archivgebäuden. Gleichzeitig gilt esFragen derWirtschaftlichkeit noch stärker in den Fokus derBetrachtung zu stellen als bisher. Gerade der Einsturz des Histo-rischen Archivs der Stadt Köln verpflichte die Archivare undArchivträger, die sichere Unterbringung ständig auf den Prüf-stand zu stellen. Dass sich die Archivare hier als verlässlichePartner mit Fach- und Sachverstand den beteiligten Planungs-und Baufirmen präsentieren, ist auch eine Chance für die Aner-kennung der archivfachlichen Arbeit.

Birgit Horn-Kolditz, Leipzig

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Das Seminar für Management der Dokumentation und Archivin-formation an der Nikolaus Copernicus Universität (NCU Thorn)und der Verband Polnischer Archivare waren die Organisatorender Internationalen Archivkonferenz (Frühlingsarchivtreffen III.),die unter dem Thema „Standards der Ausbildung und des Berufsdes Archivars“ (Standardy edukacji i zawodu archiwisty) am20.-21. Mai 2009 mit rund 70 Teilnehmern in Thorn stattfand.Es wurden an den beiden Tagen insgesamt 20 Referate zumKonferenzthema gehalten. Die Referenten repräsentierten in derMehrheit polnische Hochschulen und Archivinstitutionen:Ökonomische Universität in Krakau, Adam Mickiewicz Univer-sität in Posen, Pommersche Akademie in Stolp und StettinerUniversität; aus anderen Ländern: Fakultät der Archivwissen-schaften Bukarest (Rumänien), Universität Prešov (Slowakei). Vonden Archivverwaltungen waren vertreten: Direktion der polni-schen Staatsarchive, Archiv der Polnischen Akademie derWissen-schaften (APAW), Staatsarchive in Bromberg und in Petrikau,Digitales Staatsarchiv (Warschau) sowie die Archive der RepublikSlowenien.Die Vorträge am ersten Tag wurden von Halina Robótka (NCU)und nach der Pause von Hanna Krajewska (APAW) moderiert.Nach dem Grußwort von Halina Robótka wurden acht Referategehalten, u. a. über Standards und Standarisierung der akademi-schen Ausbildung der Archivare (z. B. vergleichbare/kompatibleStudienprogramme zum Archivwesen an den Universitäten inPolen), über den Status und die Ausbildung der Archivare unterdem anstehenden Archivgesetz in Polen und über den Einflussdes Internets (in seinen vielfältigen Möglichkeiten) sowie über dieStandards der Arbeit der Archivare (z. B. Information Manage-ment, Metadaten und Internet in der Archivarsausbildung). Eswurden viele Parallelen in der Standarisierung des Berufs desArchivars mit den Entwicklungen bei den Bibliothekaren undMuseumsmitarbeitern besprochen. Im zweiten Teil konnte manVorträge über die Ausbildung der Archivare hören: Matevž Koširreferierte über die Archivwissenschaften in Slowenien. HannaKrajewska sprach über die Entwicklung des Archivwesens und

der Archivschulen vom19. Jahrhundert bis in die Gegenwart inDeutschland. In den Diskussionen des Hauptthemas dominier-ten das zukünftige polnische Archivgesetz und sein Einfluss aufdieWahrnehmung des Berufs der Archivare in Polen, zumaldarin die Beschreibung von Berufskompetenzen für Archivareerwartet wird. Der zweite Tag wurde mit der Berichterstattungüber die VII. Europäische Konferenz zum Thema „Archivar:Beruf der Zukunft Europa“ (18.-20. Mai 2006Warschau) begon-nen. Dann wurden Aktivitäten des Verbands der PolnischenArchivare besonders im Bereich der Standardisierung der Ausbil-dung vorgestellt. Speziell wurde über Standards des Studiums(welche Kompetenzen sollen die Absolventen der Universitätenmit Bachelor- und Master-Titel erwerben?) sowie über die PR-Arbeit im Archiv gesprochen.Vor der Pause berichtete ein Referatüber die Ausbildung der Archivare in den Vereinigten Staaten inden letzten hundert Jahren. Im zweiten Teil wurden die Arbeits-bedingungen im modern eingerichteten Staatsarchiv in Brombergerläutert. Anschließend wurde das wichtige Problem der Rolleder Staatsarchivare in der Ausbildung der Archivare behandelt. Ineinem weiteren interessanten Vortrag wurden der „Digitalarchi-var“ und seine Zukunft vorgestellt. Am Ende der Tagung wurdeein Referat über das notwendige Engagement der Studenten imBeruf des Archivars gehalten. Nach allen Vorträgen wurde überdie heutige Ausbildung der Archivare an den Hochschulen inPolen diskutiert und es wurden Rückfragen zum Referat über dieArchiv-Standards in den Vereinigten Staaten gestellt. Der zweiteTag wurde von den beidenWissenschaftlern der NCU, RobertDegen undWanda Roman, moderiert.Die Konferenz zeigte, wie problematisch und kompliziert dasProblem der Standarisierung in den Feldern der Ausbildung undder Praxis des Archivars ist, wobei der Schwerpunkt der Betrach-tung auf der Situation in Polen lag. Jedoch zeigte der internatio-nale Austausch, dass sich die breit gefächerte Archivarsausbil-dung in Polen dieser aktuellen archivarischen Herausforderunginteressiert und bewusst stellt.

Anna Sobczak, Stettin

STANDARDS FÜR AUSBILDUNGUND BERUF DES ARCHIVARS

INTERNATIONALEARCHIVKONFERENZ IN THORN

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Am 4. und 5. Juni waren Archivarinnen und Archivare aus demRheinland zum 43. Mal zum Rheinischen Archivtag des Land-schaftsverbandes Rheinland (LVR) eingeladen, der in diesem Jahrim Kreishaus in Viersen stattfand. Die Tagung stand unter demMotto „Netzwerken – Kooperieren – Delegieren. Handfeste Mittelzum Optimieren der Archivarbeit“.

Die Moderation und Gestaltung des ersten Veranstaltungstageslag in den Händen von Carmen Thomas, Leiterin der 1. Moderati-onsAkademie für Medien undWirtschaft. Die aus Hörfunk undFernsehen bekannte Moderatorin führte zunächst in das Themaein und erklärte den Ablauf des Tages. Anders als an den vorange-gangenen Archivtagen sollten an diesem ersten Tag vor allemArbeits- und Kommunikationsformen im Mittelpunkt stehen.Anschließend begrüßte Carmen Thomas Peter Ottmann, denLandrat des Kreises Viersen, auf der Bühne. In einem lockerenGespräch mit der Moderatorin berichtete Ottmann von seinenguten Erfahrungen mit Archiven und hob dabei die erfolgreicheArbeit des Kreisarchivs hervor. Er betonte die Notwendigkeit, inseinem Beruf immer wieder neue Netzwerke zu knüpfen undKräfte und gemeinsame Interessen zu bündeln. Als Beispielnannte er unter anderem die erfolgreiche Gründung des Zweck-verbandes Naturpark Schwalm-Nette, dem der Kreis Viersenangehört. Kooperieren bedeute auch, sich mit anderen abzustim-men und Kompromisse zuzulassen.Wichtig sei für ihn, dass stetsdie Sache und nicht die handelnden Personen im Mittelpunktständen und die Verbundenheit mit der Region bei der Arbeit nieverloren gehe.Dann führte Thomas ein Interview mit JürgenWilhelm, demVorsitzenden der Landschaftsversammlung Rheinland.Wilhelmwies auf die hohe Bedeutung von Archiven hin und forderte, dasssie ihre Attraktivität verbessern und sich nicht als rein wissen-schaftliche Institutionen verstehen sollten. Im Bezug auf dasThema des Archivtages erklärte er, dass seine Erfahrungen mit

Netzwerken stets positiv gewesen seien – schließlich beruhe auchder Landschaftsverband Rheinland auf dem Prinzip der Koopera-tion zwischen Städten, Kreisen und Gemeinden. Nur durch dieseKooperationen sei es möglich, optimale Ergebnisse etwa imBereich der Behindertenschulen und psychiatrischen Kliniken zuerzielen. Als zukünftige Herausforderung sehe er die Digitalisie-rung von Archivgut an. Dafür sagte er die Bereitstellung finanziel-ler und personeller Ressourcen zu. Auf den Einwand von CarmenThomas, dass die Digitalisierung in der Fachwelt ja durchauskritisch betrachtet werde, entgegnete er, dass er in der Digitalisie-rung stets nur eine wertvolle Ergänzung, niemals aber einenErsatz für das Original sehe.Dritter Interviewpartner war Arie Nabrings, Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums in Pulheim-Brau-weiler. Als Tagesziel formulierte er denWunsch, dass die Teilneh-menden die Gelegenheit zur Begegnung und zu Fachgesprächennutzen, um daraus Motivation für die eigene Arbeit zu ziehen,aufeinander zuzugehen und miteinander zu kommunizieren. Allesollten zu der Erkenntnis gelangen, dass man von anderen lernenkönne: „Der Archivtag ist das Forum, um Gruppenklugheit zuaktivieren undWissen zu vereinen.“ Besonderen Bedarf imBereich der Archivarbeit sehe er in der Bestandserhaltung. Eben-so wieWilhelm betonte er die hohe Bedeutung der Digitalisie-rung. Abschließend appellierte er an das Publikum, die Problemeder Zukunft gemeinsam anzugehen und zusammen nach Lösun-gen zu suchen.Nach den Gesprächen hatten die Teilnehmerinnen und Teilneh-mer Gelegenheit, den drei Interviewpartnern selbst Fragen zustellen. Dabei wurden unter anderem Sorgen über die personelleEntwicklung der Archive in der Zukunft formuliert. So werdetrotz neuer Aufgabengebiete – wie z. B. die Digitalisierung – undzunehmender Arbeit – etwa durch die Übernahme von Personen-standsregistern – in vielen Städten und Gemeinden Personalabgebaut. Außerdem wurde gefragt, wann die Digitalisierung vonArchivbeständen beginnen und wie diese finanziert werden solle.Die Antwort von JürgenWilhelm war deutlich: „Da muss Geld

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in die Hand genommen werden und wir sind in einem vertretba-ren Rahmen bereit dazu.“ Das weit verbreitete „Kirchturmden-ken“ müsse abgelegt und Kooperationen institutionalisiertwerden. Ferner wünsche er sich, dass die Solidarität, die bei derBergung der Archivalien des Kölner Stadtarchivs gezeigt werde,nicht ein Einzelereignis bleibe, sondern Teil des Selbstverständ-nisses der Archivare werde. Arie Nabrings erklärte, er habedurchaus Mut für die Zukunft, wenn er sehe, dass die Bereit-schaft zum Erfahrungsaustausch offensichtlich vorhanden sei.Man müsse miteinander reden, um Lösungen zu finden.Im Anschluss an das Plenumsgespräch wurde das Publikum vonCarmen Thomas aufgefordert, vorbereitete Klebezettel, auf dienach jedem Interview eine zentrale Aussage des Interviewten undeine Frage geschrieben werden sollten, auf Papierwände aufzu-kleben. Diese „Allee der Einsichten“ solle die Erkenntnisse derTeilnehmenden bündeln und den Referenten offene Fragenvermitteln.

NEUE WEGE FÜR ERFOLGREICHESNETZWERKENEs folgte ein Impulsvortrag von Carmen Thomas, in dem sieKommunikationsstrategien für erfolgreiches „Netzwerken“vorstellte. Man müsse lernen, „Menschen zu lesen“. Es gelte, mitden Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen. Dies müsseständig geübt werden. Außerdem sei es wichtig, eine gewisseVerhaltenskultur zu entwickeln. Dazu gehört laut Thomas, dasswährend eines Gesprächs oder Vortrags alle zuhören, niemandaufsteht oder sich unterhält und keine Handys klingeln, sonderndem Redner allein Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nebenschau-plätze sollten nicht geduldet werden. Schließlich warnte sie dieTeilnehmer vor Enttäuschungen: Innovationen vorzubringenbedeute oft, Grenzen zu überschreiten, und berge das Risiko,ausgelacht oder bekämpft zu werden.Dann gab Thomas Tipps, wie man eine Sitzung oder Präsentationattraktiver und innovativer gestalten könne. Das Fazit ihrerDarstellung fasste sie in Merksätzen zusammen:•„Veränderungen fangen im Kopf an“•„Keiner ist so klug wie alle“•„Ändern geht“ und•„Wer sich bewegt, bewegt das Ganze“.Sie erläuterte das psychologische Phänomen der Reaktanz sowiedas Symbol „Yin und Yang“: Menschen und Situationen seienniemals nur schwarz oder weiß. Es sei wichtig, immer in allemden weißen Punkt, d. h. das Gute, zu sehen. So werde jede Krisezu einer Chance.Am Ende ihres Vortrages erklärte Thomas den Teilnehmern die„1-Minuten-Kompetenz“. Bei dieser Technik wird innerhalb nureiner Minute alles, was einem Menschen zu einem bestimmtenThema einfällt, notiert.Wichtig sei dabei, dass man „hirnge-recht“ schreibe, d. h. ohne Rücksicht auf Rechtschreibung oderStil, und dass man unentwegt schreibe. Für den Fall, dass einemeinmal nichts einfalle, verriet Thomas dem Publikum den „Eski-mo-Kniff“: Man solle solange dasWort „Eskimo“ schreiben, bissich die Blockade gelöst habe. Nach dem einminütigen Brainstor-ming müssten die Notizen ausgewertet werden. Dabei solle ankeinem Einfall Kritik geübt werden, sondern stets nach demPrinzip des Yin und Yang das Positive darin gesucht werden. Bei

einem anschließenden Test kamen die anwesenden Archivarinnenund Archivare im Durchschnitt auf ca.15 bis 20Wörter. Thomaserklärte, dass ein geübter Brainstormer bis zu 80Wörter in derMinute schreiben könne und ermunterte die Teilnehmenden, dieTechnik weiter zu üben. Im weiteren Verlauf des Tages bot sichdem Publikum mehrmals die Möglichkeit dazu.Während ihrer Präsentation bezog die Moderatorin immerwieder das Publikum ein. Ein Hilfsmittel dazu war ein „Janus-kopf“, mit dem die Teilnehmenden ihre Pro- oder Contra-Mei-nung ausdrücken konnten.

BEISPIELE FÜR ERFOLGREICHESNETZWERKENNach der Mittagspause folgten fünf Kurzvorträge, in denenBeispiele für erfolgreiches Vernetzen dargestellt wurden. Als ersteserläuterte Raimund Bartella vom Städtetag Nordrhein-Westfalendas Konzept des Städtetages, der ein Netzwerk aller Städte inNRWdarstelle. Bei seiner Arbeit müsse er immer wieder Koope-rationen initiieren und begleiten. Dabei sei es besonders wichtig,die richtigen Leute am richtigen Ort zusammenzubringen.Jacques van Rensch vom Regionaal Historisch Centrum Limburgin Maastricht sprach über erfolgreiche Vernetzung über Landes-grenzen hinweg. Er erzählte von den engen Verbindungen zwi-schen der Provinz Limburg und dem Rheinland, die nicht zuletztdurch die gemeinsame Geschichte bis ins 19. Jahrhundert begrün-det seien. Seit ca. 50 Jahren träfen sich Archivarinnen und Archi-vare aus dem Rheinland und den Benelux-Staaten jährlich beimsog. „BeNeDeLim-Konvent“ zum gegenseitigen Gedankenaus-tausch. Dabei ständen nicht nur fachliche Themen im Mittel-punkt, sondern vielmehr gelte es persönliche Kontakte zu knüp-fen und zu pflegen. Außerdem gebe es grenzüberschreitendeKooperationen bei der Verzeichnung von Beständen, wie etwaden Akten der Maastrichter Reichskammer.Van Rensch räumtejedoch auch ein, dass Kooperationen zeit- und kostenintensivseien und Projekte manchmal schlechter gelängen, wenn vieleLeute daran beteiligt seien.Über Vernetzung mithilfe der neuen Medien berichtete KlausGraf, Geschäftsführer des Hochschularchivs der RWTH Aachen.In seinen Augen ist Öffentlichkeitsarbeit ein bedeutender Teil derArchivarbeit. Das Archiv der RWTH Aachen betreibt seit 2008auf seiner Homepage als erstes deutschsprachiges Archiv einenWeblog, in dem neben Mitteilungen aus dem Archivbetrieb unteranderem auch Hinweise auf Internetseiten mit Bezug zur Univer-sitätsgeschichte veröffentlicht werden (www.hochschularchiv-aachen.blogspot.com). Zudem wird dort regelmäßig eine „Archi-valie des Monats“ vorgestellt. Durch diese innovative Öffentlich-keitsarbeit, die durch kleine Ausstellungen im Haupteingang derHochschule ergänzt werde, sei das Archiv in den Köpfen derStudierenden und der Hochschulverwaltung immer präsent. Grafist außerdem Administrator desWeblogs „Archivalia“, einemMeinungsportal zu Themen rund um das Archivwesen (www.ar-chiv.twoday.net). Dieses Forum, das von jedem Interessierten mitInhalten gefüllt werden kann, habe sich mit einigen hundertBesuchern pro Tag als wertvolles Mittel zur Vernetzung derArchivare etabliert.Als nächstes schilderte Bettina Schmidt-Czaia, Leiterin desHistorischen Archivs der Stadt Köln, ihre Erfahrungen mit dem

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Aufbau neuer Netzwerke in einer „fremden“ Stadt. Als sie 2005nach Köln kam, um die Leitung des Stadtarchivs zu übernehmen,fehlten ihr zunächst Kontakte in die örtliche Szene der Archivareund Historiker. Mit der Hilfe verschiedener Kooperationspartnerwie den Universitäten Köln und Bonn, dem Arbeitskreis derKölner Archivarinnen und Archivare und den örtlichen Ge-schichtsvereinen gelang es ihr schließlich in relativ kurzer Zeit,Fuß zu fassen. Ihr Ziel, das Kölner Stadtarchiv zu einem Bürger-archiv zu machen, rückte mit der Gründung eines Fördervereinsim Jahr 2006 ein großes Stück näher.Christina Halstenberg-Bornhofen von der Kulturabteilung derStaatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen sprach über dieBedeutung von Netzwerken in der Politik. Für jede Gesetzesvorla-ge, die sie vorbereite, müsse sie neue Netzwerke aufbauen, umkompetente Berater zu finden. Sie lobte das Netzwerk der Archi-vare, dass sie „wie eine Familie“ empfinde. Im Anschluss an dieKurzvorträge konnten die Teilnehmenden Fragen an die Referen-tinnen und Referenten richten.

ARCHIV-MODELLE FÜR MEHRZUKUNFTNach einer Kaffeepause übernahm Carmen Thomas erneut dasMikrofon. Unter dem Motto „Gibt's nicht, gibt's nicht“ zeigte sieMöglichkeiten für innovative Archivarbeit auf. Vor den Augen derTeilnehmer entwickelte sie das Modell „Kinder führen Kinder“,nach dem Kinder andere Kinder selbstständig durch das Archivführen sollen.Nach der Veranstaltung waren alle Teilnehmerinnen und Teilneh-mer zu einem gemeinsamen Abendessen im NiederrheinischenFreilichtmuseum in Grefrath eingeladen, wo der Tag ausklang.Die Moderation des zweiten Veranstaltungstages lag in denHänden vonWolfgang Schaffer vom Archiv des LVR in Pulheim-Brauweiler.

ARBEITSMITTEL KOOPERATION UNDDELEGATIONAls ersten Referenten begrüßte Schaffer Marcus Ewers vom Stadt-archiv Viersen, der über die erfolgreiche und gewinnbringendeIntegration ehrenamtlicher Kräfte bei der Erstellung von Publika-tionen und Ausstellungen sprach. Lange Zeit habe das ViersenerStadtarchiv allein in den Händen ehrenamtlich arbeitender Per-sonen gelegen, was mangels fachlicher Ausbildung zu erheblichenDefiziten bei der Verzeichnung und Restaurierung geführt habe.Erst mit der Einstellung eines qualifizierten Archivars habe sichdiese Situation verbessert. Angesichts der knappen Stellenbeset-zung bliebe diesem jedoch kaum Zeit für Tätigkeiten außerhalbder „klassischen“ Archivarbeit, so dass die Hilfe von Ehrenamt-lichen weiterhin unerlässlich sei. Derzeit gebe es im StadtarchivViersen vier aktive Arbeitskreise, die weitgehend selbstständigAusstellungen und Publikationen erarbeiteten.Aus seiner eigenen Erfahrung gab Ewers Tipps, wie motiviertesund fachlich geeignetes ehrenamtliches „Personal“ gewonnenwerden könne. Bewährt habe sich ein „Tag der offenen Tür“ oderdirektes Ansprechen einzelner Personen.Wichtig sei es, die Zu-

sammenarbeit zu pflegen, zum Beispiel durch regelmäßigeArbeitstreffen im Archiv. Seitens des Archivars müsse außerdemein hohes Maß an sozialer Kompetenz vorhanden sein: „DieArbeit mit ehrenamtlichen Kräften unterscheidet sich grundle-gend von der mit hauptamtlichen, denn man hat keinerlei Sankti-onsmöglichkeiten.“ Ewers riet den anwesenden Archivarinnenund Archivaren, keine zu strengen fachlichen Kriterien anzule-gen, möglichst keinen Druck aufzubauen und Projekte stetsgroßzügig zu terminieren. Da die ehrenamtlichen Mitarbeitermeist ältere Personen mit unterschiedlichen Hintergründen undCharakteren seien, müsse man manchmal auch in der Lage sein,auf möglichst diplomatischemWeg Konflikte zu lösen. Daszentrale Anliegen der Ehrenamtlichen sei Annerkennung undWertschätzung, auch durch vorgesetzte Stellen, welche ihnen stetsin ausreichendem Maß entgegengebracht werden sollten. Beiallen Vorteilen, welche die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichenMitarbeitern biete, warnte Ewers davor, den Arbeitsaufwand fürden Archivar zu unterschätzen. Schließlich präsentierte er einigedurch ehrenamtliche Arbeitskreise erstellte Publikationen.Im nächsten Vortrag schilderte Ulrich Helbach vom HistorischenArchiv des Erzbistums Köln seine Erfahrungen mit Projektarbei-ten im kirchlichen Archivwesen. Solche Projekte würden imBereich Bestandserhaltung, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit unddigitale Schriftgutverwaltung bereits seit längerer Zeit erfolgreichdurchgeführt. Nun sei das Archiv des Erzbistums Köln auchdazu übergegangen, archivische Kernaufgaben wie Bewertung,Kassation und Verzeichnung auf externe Kooperationspartner zuübertragen. Als Beispiel nannte Helbach einen Nachlass, derhauptsächlich Material zur katholischen Jugend in Köln in derZeit des Nationalsozialismus enthält. Bei dessen Bewertung undVerzeichnung kooperiere man mit einem Mitarbeiter des KölnerNS-Dokumentationszentrums, der dafür nicht nur kompetentersei, sondern auch größere Zeitressourcen habe. Zugleich werdeder Nachlass für eine Doktorarbeit benutzt, so dass es auch zueiner inhaltlichen Erschließung komme.Ein anderes Kooperationsprojekt bestehe im Bereich der Pfarrar-chivpflege. So würden seit einigen Jahren freiberuflich arbeitendequalifizierte Kräfte zur Bewertung und Verzeichnung der Altregis-traturen in den zahlreichen Pfarrarchiven im Erzbistum Kölneingesetzt. Dieses Projekt sei so erfolgreich, dass es in Zukunftnoch weiter ausgeweitet werden solle. Am Ende seines Vortragsmachte Helbach den Anwesenden Mut, innovativeWege wie diesezu gehen und an Stellen, an denen man es nicht selbst machenkönne, es auch mal „machen zu lassen“.Gerhard Rehm vom Archiv des Kreises Viersen in Kempenerläuterte das Modell des kreiszentralen Verbundarchivs. DieStadt- und Gemeindearchive des Kreises Viersen – mit Ausnahmeder Stadtarchive Viersen undWillich – werden seit einigenJahrzehnten im Kreisarchiv betreut. Er sieht in diesem Konzeptklare Vorteile: Die Kommunen im Kreis Viersen bräuchten keineeigenen Archive und könnten so Kosten für Personal, Archivge-bäude und Magazine einsparen. Zugleich habe die Zusammenle-gung zu einer fachlichen Professionalisierung geführt.Währendkleinere Kommunen oft keine ausreichend qualifizierten Perso-nen einstellten, sei dies im Kreisarchiv durchaus möglich, woderzeit zwei ausgebildete Archivare tätig seien. Auch habe sichdort die Einstellung eines Pädagogen und eines Beauftragten fürÖffentlichkeitsarbeit sowie die Einrichtung einer Restaurierungs-werkstatt gelohnt. Somit sei ein Optimum an Benutzerfreund-lichkeit und Konservierung gewährleistet.

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Voraussetzung für den Erfolg eines Verbundarchivs sei jedoch,dass die Kommunen eigene Zwischenarchive hätten. Außerdemkönne die Einrichtung von Gemeinschaftsarchiven nur freiwilligerfolgen.Wichtig sei auch, dass es klare Absprachen bezüglichFinanzen, Ausnahmeregelungen für Benutzer und der Bewertunggebe. Einen Nachteil des Konzepts sieht Rehm darin, dass dieArchivare in den Kommunen nicht direkt „vor Ort“ seien undsomit weniger auf die Verwaltungen einwirken könnten. Außer-dem müssten Benutzer stets denWeg nach Kempen auf sichnehmen. Dieser Nachteil sei andererseits für Genealogen einVorteil, weil sie eine zentrale Anlaufstelle hätten. Resümierendmachte er deutlich, dass aus seiner Sicht die organisatorischenund konservatorischen Vorteile des Verbundarchivs klar überwie-gen. Er frage sich, warum es im Rheinland immer noch so wenigeArchivkooperationen gebe, während dies in anderen Bundeslän-dern bereits weiter verbreitet sei.Auf Rehms Vortrag folgte eine kontroverse Diskussion über dieVor- und Nachteile des vorgestellten Modells. Arie Nabrings stellteabschließend fest, dass aus seiner Sicht ein kreiszentrales Ver-bundarchiv nur dann Sinn mache, wenn vor Ort ein gut geordne-tes Kommunalarchiv nicht gewährleistet werden könne.Als letzter an diesemVormittag betrat Leo Peters, ehemaliger Kreis-archivar, langjähriger Schul- und Kulturdezernent des KreisesViersen und Mitglied der Landschaftsversammlung Rheinland,die Bühne. Er stellte die Schriftenreihe des Kreises Viersen vorund zeigte daran auf, wie wichtig die Kooperation zwischenArchiven, Universitäten, behördlichen Institutionen wie etwadem Landeskonservator und den Autoren für das Gelingen jederPublikation ist. Anhand zahlreicher Beispiele machte er die großeVielfalt der Publikationen deutlich. Darüber hinaus nannte erBeispiele für die Kooperation mit Doktoranden, deren Disserta-tionen in der Schriftenreihe des Kreises Viersen veröffentlichtwurden.Wenn das Thema Nähe zum eigenen Archivbestandhabe, entstehe daraus immer eine „Win-Win-Situation“. Ebensoerfolgreich sei die Zusammenarbeit mit örtlichen Vereinen undZeitzeugen. Manchmal müsse man dabei ein gewisses Fingerspit-zengefühl beweisen: „Mit kommunalpolitischen Interessen undAutoreneitelkeiten umzugehen, lernt man nicht auf der Archiv-schule.“Zum Schluss ging Peters noch auf das Heimatbuch des KreisesViersen ein, das er seit 1976 redaktionell betreut und das 2009schon zum 34. Mal erschienen ist. Auch hier sei die Pflege einesNetzwerkes von Autoren, zu denen meistens Archivare, Historikerund Kunsthistoriker, aber auch qualifizierte Laien gehörten, vongroßer Bedeutung.Peters verabschiedet sich in diesem Jahr aus seinem aktivenDienst. Nicht zuletzt zu seinen Ehren fand der Rheinische Ar-chivtag in der Heimat des verdienten Archivars statt. Die anwe-senden Archivarinnen und Archivare würdigten ihn mit einemlangen Applaus.In der darauf folgenden von PeterWeber, LVR-Archivberatungs-und Fortbildungszentrum, vorbereiteten und moderierten „Aktu-ellen Stunde“ wurden in Kurzreferaten mit anschließenderDiskussion verschiedene Themen angesprochen, welche dieFachwelt derzeit bewegen.Zuerst berichtete Bettina Schmidt-Czaia über den Einsturz desKölner Stadtarchivs am 3. März 2009 und dieWege aus der Krise.Anhand von Fotos und Zeichnungen erklärte sie, wie es offen-sichtlich zu dem Unglück gekommen ist. Außerdem erläuterte siedie bisher erfolgten Bergungsmaßnahmen unter der Leitung der

Feuerwehr. Die erste Bergungsphase, bei der alle Fundstücke ober-halb des Grundwasserspiegels geborgen wurden, sei nun abge-schlossen. Probebohrungen hätten ergeben, dass sich unterhalbdes Grundwasserspiegels Archivgut aus allen sechs Stockwerkenbefände. Dessen Bergung werde derzeit geprüft.Das Erstversorgungszentrum, in dem die Archivalien grob gerei-nigt, in Listen erfasst und verpackt werden, soll noch etwa 10 bis12Wochen bestehen bleiben. Insgesamt seien die gerettetenKölner Archivalien bislang in 10 externe Archive ausgelagertworden. Über den Zustand der geborgenen Materialien könne siekeine Angaben machen, da dieser stark unterschiedlich sei.Ebenso wenig könne sie bislang eindeutig sagen, welche Archiva-lien erhalten und welche verloren seien, da die Bestände starkauseinandergerissen seien. Glücklicherweise sei wohl viel mehrerhalten als zunächst angenommen worden war.Parallel zur Bergung und Erstversorgung des Archivgutes werdederzeit bereits ein Neubau geplant. Im Moment werde vor allemein passender Standort dafür gesucht. Außerdem solle Mitte Juniin Köln-Deutz ein Benutzerzentrum mit einem digitalen Lesesaaleingerichtet werden, in dem Benutzer Digitalisate und Mikrofil-me einsehen könnten. Auch die Büros der Mitarbeiter sollten hieruntergebracht werden. Das Benutzerzentrum solle eine zentraleAnlaufstelle für Bürger undWissenschaftler werden. Darüberhinaus plane man ein Restaurierungs- und Digitalisierungszen-trum, das etwa zwei Jahre lang in Betrieb sein solle. Eine dauer-hafte Einrichtung eines solchen Zentrums sei nicht angedacht,da der normale Bedarf im Rheinland bereits ausreichend gedecktsei. Für das Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum müs-sten rund 12,5 Millionen Euro aufgebracht werden. Gegenwärtigwerde deshalb ein Finanzierungsplan erarbeitet. Es werde außer-dem derzeit die Möglichkeit geprüft, einzelne Bestände an einemOrt zusammenzuführen und zur Benutzung frei zu geben.Am Ende ihres Vortrages dankte Schmidt-Czaia für die umfang-reiche Hilfe, die dem Stadtarchiv und seinen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern entgegengebracht worden sei. Auch wenn dasErstversorgungszentrum derzeit personell gut aufgestellt sei, seiman langfristig weiterhin auf die Unterstützung von Seiten derArchivare und Restauratoren angewiesen.Ein weiteres aktuelles Thema war die Novellierung des Archivge-setzes NRW. Der Sachstand wurde von Jens Metzdorf, Vorsitzen-der der Arbeitsgemeinschaft der Stadtarchive des StädtetagesNRW, dargestellt. Metzdorf lobte die bisherige Arbeit am Gesetz-entwurf. Sowohl die kommunalen Spitzenverbände als auch dieLandschaftsverbände seien von Anfang an daran beteiligt wor-den. Das neue Gesetz sei logisch und übersichtlich gestaltet. Einklarer Fortschritt gegenüber dem alten Gesetz sei die Präzisie-rung des Begriffs „Archivgut“. Es sei nun festgeschrieben, dassdarunter nicht nur Registraturgut, sondern auch Sammlungsgutzu verstehen sei. In die Definition seien außerdem elektronischeÜberlieferungen aufgenommen worden.Wichtig sei auch, dassdie Unveräußerlichkeit von kommunalem Archivgut gesetzlichgarantiert sei. Ferner werde es den kommunalen Archiven durchdas Gesetz erlaubt, in Ausnahmefällen Archivgut staatlicherProvenienz zu übernehmen.Jeder Bürger habe nun das Recht zur Benutzung von Archivgut,ohne dass er das im alten Gesetz geforderte „berechtigte Interes-se“ nachweisen müsse. Die Anbietungspflicht des gesamtenRegistraturgutes sei festgehalten worden. Außerdem führe dasnovellierte Archivgesetz zurWeiterentwicklung von archivfachli-chen Standards im kommunalen Bereich. Den Archivberatungen

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der Landschaftsverbände komme hierbei durch die Beratung einewichtige Rolle zu.Nicht zu akzeptieren sei, so Metzdorf, dass die Unveräußerlich-keit im kommunalen Bereich nur auf Archivgut aus städtischerProvenienz bezogen sei und somit Sammlungsgut theoretischveräußert werden könne. Dies widerspreche der neuen Definitionvon Archivgut und müsse weiter diskutiert werden. Ein großesProblem sei auch die im Gesetz geforderte Anonymisierung vonUnterlagen aus Gesundheits- und Jugendeinrichtungen. Damitbeschreite das Land Nordrhein-Westfalen einen bundesweitenSonderweg. Es bestehe nicht nur die Gefahr, dass die Abgabesolchen Registraturgutes stark einbräche, da die zeitaufwändigeAnonymisierung durch die abgebenden Stellen nicht geleistetwerden könne, sondern sie würde auch eine starke Einschrän-kung der Forschung und Benutzung, auch durch die Betroffenenselbst, bedeuten. Ein weiterer Diskussionspunkt sei, dass dasneue Archivgesetz nicht mit dem InformationsfreiheitsgesetzNRWharmoniere. Eine Entscheidung des Landtags über dasGesetz werde zum Ende des Jahres erwartet, so dass es voraus-sichtlich zum1. Januar 2010 in Kraft treten werde.Anlässlich einer kürzlich durch das Land Nordrhein-Westfalenerfolgten, teilweise irritierenden Umfrage zum Stand der Digitali-sierung in den NRW-Archiven sprach Bert Thissen vom Stadtar-chiv Kleve über die Initiative zur digitalen Langzeitarchivierung.Er plädierte für eine sinnvolle Zusammenfassung der bestehen-den Initiativen zu diesem Thema. Nur so seien Synergieeffekte zuerzielen und konstruktives Arbeiten möglich. Handlungsbedarfbestehe auf jeden Fall. Nun müsse noch geklärt werden, wie dieArbeit organisiert werden solle, d. h. ob es kleine regionale

Projekte oder ein großes Digitalisierungszentrum geben soll.Auch die Frage der Finanzierung sei noch offen.Wolf-RüdigerSchleidgen, Leiter des Projektes „Digitales Archiv NRW“ derStaatskanzlei des Landes NRW, berichtete über den aktuellenStand der Landesinitiative und warb angesichts des hohen Hand-lungsbedarfs für eine breit angelegte Kooperation beim Aufbaueines landesweiten Kompetenznetzwerks, durch das modellhaftDigitalisierungsstrategien entwickelt werden. Sie ersetzten nichtdie konkreten Digitalisierungsprojekte vor Ort, erleichterten aberderen Realisierung. Insoweit könne bei der Digitalisierungsinitia-tive auch nicht von einer landesweiten Zentralisierung gespro-chen werden.Peter Weber rief die Teilnehmer noch einmal dazu auf, sich amWettbewerb „Archiv und Jugend“ zu beteiligen.10.000 Eurostehen in einem Fördertopf bereit. Außerdem fragteWeber dasInteresse an einemWorkshop im Herbst über das neue Personen-standsrechtsreformgesetz ab, bei dem erste Erfahrungen undProbleme thematisiert werden sollen.Am Ende der Veranstaltung dankte Arie Nabrings den Anwesen-den für ihren Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung und demKreis Viersen für seine Gastfreundschaft. Norbert Schloßmachervon Stadtarchiv und Stadtbibliothek Bonn lud zum nächstenArchivtag in Bonn-Bad Godesberg ein. Der Termin wird rechtzei-tig bekannt gegeben.Im Anschluss hatten die Teilnehmer noch die Möglichkeit,wahlweise an einer Führung durch das Stadtarchiv Viersen oderden Skulpturenpark teilzunehmen.

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Ulrike Holdt/Ivana Zelek, Pulheim

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Der 4. Norddeutsche Archivtag fand vom16. bis 17. Juni in Bremenim Haus derWissenschaft statt und wurde in diesem Jahr vomStaatsarchiv Bremen ausgerichtet. Nachdem Konrad Elmshäuseralle Teilnehmer begrüßt hatte, wurde der 4. Norddeutsche Ar-chivtag von Bürgermeister Jens Böhrnsen, Präsident des Senatsder Freien Hansestadt Bremen und Senator für Kultur, eröffnet.Robert Kretzschmar richtete an die Teilnehmer Grußworte als Vor-sitzender des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare.Den Auftaktvortrag zum Thema „Norddeutschland als histori-sche Kulturlandschaft“ hielten Franklin Kopitzsch und NorbertFischer von der Universität Hamburg. Anschaulich wurden hierlandschaftshistorische Fallstudien zu Region, Natur und Kulturvorgestellt.Die erste Sektion des Norddeutschen Archivtags stand unterdem Thema „Wirtschaft und Internationales“. In dieser Sitzungging es vor allem um die Bedeutung und die Aufgaben derWirtschaftsarchive im norddeutschen Raum. Den Anfang machteSilke Trösch von Kraft Foods Germany/Switzerland/Austria mitihrem Vortrag über Firmenarchive und ihre Bedeutung für„Historical Branding“ in einem internationalen Markenartikel-unternehmen. Im Anschluss daran referierte Brage bei derWieden vom Niedersächsischen Landesarchiv Hannover überdie Stiftung NiedersächsischesWirtschaftsarchiv (NWA). DasNiedersächsischeWirtschaftsarchiv Braunschweig wurde imJahre 2005 als gemeinnützige Stiftung privaten Rechts errichtet.Stifter waren das Land Niedersachsen, das mit den Ressourcendes StaatsarchivsWolfenbüttel für zunächst 20 Jahre die not-wendige Infrastruktur einbringt, die Norddeutsche Landesbank-Girozentrale, die Öffentliche Versicherung und die Industrie-und Handelskammer Braunschweig, die zum Aufbau desSitftungskapitals beisteuerten. Bei derWieden führte aus, dassdas NWA Bestände im Umfang von 650 lfm. (33.000 Verzeich-nungsdatensätze) verwahrt und durch Fachkräfte des Staats-archivsWolfenbüttel und Drittmittelpersonal betrieben wird.Der nächste Vortrag wurde gemeinsam von Christian OstersehlteundWaldemar von Gruchala bestritten. Referiert wurde überdie Archive der Lürssen-Werft in Bremen und der Meyer-Werftin Papenburg. Ostersehlte stellte in seinem Vortrag zunächst dieGeschichte der Lürssen-Werft dar, bevor er über seine Tätigkeitim historischen Archiv berichtete. In dem Parallelvortrag zurMeyer-Werft in Papenburg sprach von Gruchala zunächst überdieWerftgeschichte und den FirmengründerWillm Rolf Meyer,im zweiten Teil des Vortrags stellte er das noch jungeWerftarchivvor. Zum Abschluss zeigte von Gruchala einige Fotos besondererSchiffe der Meyer-Werft.Mit dem Erfahrungsbericht von Martin Schoebel vom Landes-archiv Greifswald über die deutsch-polnische Archivkooperationschloss die erste Sektion.Am nächsten Tag wurde die zweite Sektion, die unter dem Titel„Berufspraxis und Rechtsfragen“ stand, mit dem Vortrag vonMeinhard Motzko eröffnet. Herr Motzko stellte mit seinenAusführungen zur Aufbau- und Ablauforganisation in Archiveninteressante Thesen zur Diskussion. Der anschließende Doppel-vortrag von Sabine Graf vom Niedersächsischen LandesarchivHannover und von Brigitta Nimz vom Staatsarchiv Bremenbefasste sich mit dem Thema „Softwareprogramme als Gesamt-

lösung für den archivischenWorkflow“. Graf berichtete über dieArchivsoftware AIDA, die in den niedersächsischen Staatsarchi-ven zum Einsatz kommt und Nimz lieferte einen Erfahrungsbe-richt über die Einführung von Augias-Archiv im StaatsarchivBremen.Im nächsten Vortrag von Julia Brüdegam vom StaatsarchivHamburg ging es um ein Thema, das in letzter Zeit besondereBedeutung für Archive erlangt hat: „Die Informationsfreiheits-gesetze und das Archivrecht“. Sie referierte über Erfahrungen imZusammenwirken von Hamburgischem Informationsfreiheitsge-setz und Hamburgischem Archivgesetz.Mit der Novellierung des Personenstandsgesetzes und der damitverbundenen Pflicht der Standesämter, die Personenstands-register und die Sammelakten den Archiven anzubieten, stehendie Archive in diesem Jahr vor neuen Herausforderungen.Eva Drechsler vom Staatsarchiv Hamburg gewährte einen Ein-blick in die Übernahme der Personenstandsbücher durchdas Staatsarchiv Hamburg. Das Staatsarchiv hat bisher ca. 420 lfm.Erstbücher und 41 lfm. Namensverzeichnisse übernommen(Geburtenbücher von 1874 bis 1898, Heiratsbücher von 1874 bis1928 und Sterbebücher von 1874 bis 1978). Zusätzlich wurden325 lfm. Zweitbücher mit abgelaufener Fortführungsfrist an dasStaatsarchiv abgegeben. Das Staatsarchiv Hamburg plant, diePersonenstandsbücher zum Juli 2009 für die Benutzung bereit-zustellen. Dabei hat man sich für die direkte Vorlage der Erst-bücher zur Eigenrecherche im Lesesaal entschlossen.Zum Abschluss dieser Sektionssitzung referierte Bernd Kappel-hoff vom Niedersächsischen Landesarchiv Hannover über dieÜbernahme der Grundbuchüberlieferung in Niedersachsenund Hamburg.Die dritte Sektion war dem Thema „Benutzung und Öffentlich-keit“ gewidmet. Rainer Hering eröffnete die Sektion mit einemsehr aufschlussreichen Vortrag über die Möglichkeiten desOpen-Access-Publishings für Archive.Becky Haglund Tousey vom Kraft Foods Global Archive undBärbel Kern vom Kraft Foods Company Archive Bremen er-örterten in einem Doppelvortrag Fragen von Benutzung, Zugangund Öffentlichkeit in Firmenarchiven. Deutlich wurde hier dieRolle der Firmenarchive für Markenbewusstsein und Marketing.Im Anschluss daran referierte Karljosef Kreter vom StadtarchivHannover über das Zusammenspiel von Archivarbeit und Erin-nerungsarbeit am Beispiel des Projekts Stolpersteine in Hannover.Manuela Nordmeyer-Fiege vom Landeskirchlichen ArchivHannover stellte die Fotodatenbank vor, die in Zusammenarbeitmit der Informations- und Pressestelle, dem Kunstreferat, demLandeskirchlichen Bauamt und dem Landeskirchlichen Archiventwickelt worden war.Im Anschluss an die aktuelle Stunde, in der Ulrike Vogel von derArchivschule Marburg das Retrokonversionsprojekt der DFGvorstellte, luden Jan Lokers vom Archiv der Hansestadt Lübeckund Rainer Hering vom Landesarchiv Schleswig zum5. Norddeutschen Archivtag 2012 nach Lübeck ein.Die Beiträge des Norddeutschen Archivtags werden wieder alsSonderband der Zeitschrift „Auskunft“ erscheinen.

Brigitta Nimz, Bremen

4. NORDDEUTSCHER ARCHIVTAG

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Aus Anlass des 40. Jahrestages der Gründung des AdsD undder offiziellen Verabschiedung des langjährigen ArchivleitersMichael Schneider veranstaltete das Archiv am 17. Juni diesenJahres in Bonn eine Fachtagung mit mehr als 100 Teilnehme-rinnen und Teilnehmern. Unter der Moderation von Anja Kruke,neue Archivleiterin des AdsD, erhielten die Archive der

politischen Stiftungen erstmals die Gelegenheit, ihre Arbeit,Bestände und Projekte gemeinsam vorzustellen; ihre Bedeutung,ihre Rolle in der bundesdeutschen Gesellschaft und ihreFunktion innerhalb der deutschen und internationalen Archiv-landschaft wurden aufgezeigt und kritisch diskutiert.

40 JAHRE ARCHIV DER SOZIALENDEMOKRATIE (ADSD) –ZUR ROLLE DER ARCHIVE DERPOLITISCHEN STIFTUNGEN INDER GESELLSCHAFT

Am Rednerpult Robert Kretzschmar (Foto: Bernd Raschke/AdsD)

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ARCHIVTHEORIEUND PRAXIS

Zunächst würdigte Roland Schmidt, Geschäftsführendes Vor-standsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) das AdsD alsungedrucktes Gedächtnis der deutschen und internationalenArbeiterbewegung. Im Anschluss dankte Robert Kretzschmar alsVorsitzender des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archi-vare (VdA) dem AdsD, das den VdA stets unterstützt und in denArbeitskreisen Berufsbild und Tarif an maßgeblicher Stelleverdienstvolle Beiträge geleistet habe. Kretzschmar betonteaußerdem, dass die zentrale Aufgabe der in der Fachgruppe 6(Archive der politischen Parteien, Stiftungen und Verbände) desVdA repräsentierten Archive politischer Stiftungen darin bestehe,die Entscheidungsprozesse innerhalb der politischen Parteienselbst sowie deren Rolle in der Regierungsverantwortung inBund und Ländern transparent zu machen. Die Stiftungsarchivefür die historisch-politische Forschung und Bildungsarbeit seienmit ihren archivalischen Überlieferungen von Parteien,Verbän-den und politischen Mandatsträgern aus der bundesdeutschenArchivlandschaft nicht wegzudenken.Dass die Stiftungsarchive neben ihrer nationalen archivarischenVerbands- und Gremienarbeit auch für die internationale Interes-senswahrnehmung archivischer und archivarischer Anliegen vongroßer Bedeutung sind, betonte Günter Buchstab in seinerFunktion als langjähriger Vorsitzender der Fachgruppe 6 des VdAund „Gründungsvater“ der Section of Archives and Archivists ofParliaments and Political Parties (SPP) im International Councilon Archives (ICA).Den Reigen der sich mit ihrer Arbeit vorstellenden Stiftungsarchi-ve eröffnete Monika Fassbender, Leiterin des Archivs des Libera-lismus (ADL) der Friedrich-Naumann-Stiftung. Neben dennationalen Bestandszuwächsen bei den Gliederungen der FDPsind inzwischen auch Zunahmen bei den Überlieferungen derinternationalen Liberalismusorganisationen sowie bei denentsprechenden Personenbeständen zu verzeichnen. Mit dem indiesem Jahr in Gummersbach eröffneten Erweiterungsbau stehenkünftig bessere Rahmenbedingungen bei der Sicherung, Magazi-nierung und Aufbereitung für die historisch-politikwissenschaft-liche Forschung zur Verfügung.Christoph Becker-Schaum vom Archiv Grünes Gedächtnis derHeinrich-Böll-Stiftung skizzierte als „Gründungsarchivar“ derGrünen die Schwierigkeiten beim Aufbau des Archivs und stellteim Überlieferungsprofil des Archivs Grünes Gedächtnis insbeson-dere die individuellen Eigenheiten von Personen und Kleinstor-ganisationen im Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen heraus.Diese im Archiv in ihrer jeweiligen archivalischen Überlieferungabzubilden, stelle nach wie vor eine große Herausforderung dar.In den Sektionssitzungen des Nachmittags präsentierte zunächstJochenWeichold das Archiv Demokratischer Sozialismus (ADS)der Rosa-Luxemburg-Stiftung als jüngstes Stiftungsarchiv. Inseinem Beitrag umrissWeichold Aufbau,Tektonik und Bestands-zuwächse im vergangenen Jahrzehnt. Derzeit arbeitet das ADS anverschiedenen Projekten zur Erschließung und Digitalisierungseiner Bestände. Seit Jahresbeginn 2009 fördert die Rosa-Luxem-burg-Stiftung das Projekt „Digitales Archiv: PDS und Die Linkeim Fernsehen“: Mitschnitte von Fernsehbeiträgen über die PDSaus den Jahren 1989-2004 und über die Partei DIE LINKE 2006-2007 werden hierbei digitalisiert, erschlossen und verzeichnet.Renate Höpfinger, Leiterin des Archivs für Christlich-SozialePolitik (ACSP) der Hanns-Seidel-Stiftung, betonte in ihren Aus-führungen, dass für die Überlieferungen christlich-sozialer Politikin ihrem Hause personenbezogene Bestände in Form von Nach-

lässen und Deposita (verstanden als Überlieferungsform nochlebender Personen) von zentraler Bedeutung seien. InsbesondereAusstellungen spielten in diesem Zusammenhang eine zuneh-mend wichtigere Rolle für dieWahrnehmung undWertschätzungdes Archivs innerhalb der eigenen Stiftung sowie nach außen fürdie politisch handelnden Akteure der CSU. Problematisch sei,dass die Arbeit an Ausstellungen vor dem Hintergrund knapperpersoneller und materieller Ressourcen die eigentliche Archivar-beit zumindest temporär stark beeinträchtige.Es folgte die Vorstellung des Archivs für Christlich-Demokrati-sche Politik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung durch dessenlangjährigen Leiter Günter Buchstab. Er stimmte seiner Vor-rednerin zu, dass die Bedeutung politisch-historischer Bildungs-arbeit für die Archive der politischen Stiftungen immer mehrzunehme. Hierdurch fänden die Interessen des Archivs bei denpolitischen Entscheidungsträgern der politischen Stiftungenselbst und den Hinterlegern – Parteien, Verbänden und Personen– besser Gehör, als dies allein durch die eigentliche Archivarbeitjemals gelingen könne. Dieses Dilemma gelte für alle politischenStiftungsarchive.In der letzten Sektionssitzung referierte zunächst Hans-HolgerPaul über das AdsD, seine Geschichte als ältestes Archiv derpolitischen Stiftungen, seine Akquisitionspolitik und nichtzuletzt über seine Funktion als Motor jüngsterWeb- und Digitali-sierungsprojekte, die im Verbund mit den anderen Stiftungsarchi-ven oder auch solitär in der Archivwelt auf große Aufmerksam-keit gestoßen seien.Auf die besondere gemeinsame Geschichte von Archiv undBibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (die beide lange Zeit eineAbteilung waren und erst mit wachsender Größe und der damitverbundenen Bedeutung in den 1980er Jahren in zwei eigenstän-dige Abteilungen aufgeteilt wurden) ging Rüdiger Zimmermann,Leiter der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, ein. SowohlArchiv wie auch Bibliothek bildeten das gedruckte und unge-druckte Gedächtnis der deutschen und internationalen Arbeiter-bewegung mit den Schwerpunkten „Sozialdemokratie“ und„Gewerkschaftsbewegung“ im gemeinsamen Überlieferungspro-fil. Die Bibliothek als wissenschaftliche Spezialbibliothek mitspezifischem Sammlungsprofil führt ebenfalls etliche Digitalisie-rungsprojekte mit nationalen und internationalen Partnerndurch; hierbei ist die Förderung durch die Deutsche Forschungs-gemeinschaft (DFG) besonders hervorzuheben.In seinem Schlusswort hob der langjährige Leiter des AdsD,Michael Schneider, die Gemeinsamkeiten in der Aufgabe, Zielset-zung und Überlieferungsbildung der politischen Stiftungsarchivehervor. Diese hätten sich national wie international eine sehr guteReputation in der archivischen Fachöffentlichkeit erarbeitet undseien in ihrer Funktion als quellenspezifische Überlieferungsträ-ger der politischen Entscheidungsprozesse und Handlungsabläu-fe der Parteien für die historische und politikwissenschaftlicheForschung unentbehrlich. Vor dem Hintergrund stets knapperwerdender finanzieller Mittel müsse besonders betont werden,dass die parteiübergreifende Solidarität der politischen Stiftungs-archive in derWahrung gemeinsamer archivischer Interessen beiden Zuwendungsgebern der politischen Stiftungen beispielge-bend sei.In der abschließenden Diskussion wurden die jeweiligen Spezifi-ka der einzelnen Archive erörtert und ihre gemeinsam erarbeite-ten Projekte diskutiert, u. a. am Beispiel der von der DFG geför-dertenWeb-Archivierung der jeweiligen Parteiauftritte im Inter-

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net durch die Archive der politischen Stiftungen. Man war sicheinig darin, dass die Stärke der Archive der politischen Stiftungenin ihrer spezifischen Überlieferungsform liege, ohne die keinzutreffendes Bild der politischen und gesellschaftlichen Entwick-lungen der letzten hundert Jahre gezeichnet werden könne. DieseÜberlieferungen spiegeln die internen Meinungs- undWillensbil-dungsprozesse in den politischen Parteien sowie deren Interakti-on in den Parlamenten wider. Motive und Verhalten von Spitzen-politikerinnen und -politikern inWechselwirkung mit anderenOrganisationen und Institutionen werden hierdurch transparent.Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung kamen in

ihrem Fazit zu dem Schluss, dass die Archive der politischenStiftungen durch die Sicherung und Bereitstellung entsprechen-der Archivalien und mit ihrer weitgefächerten historisch-politi-schen Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungs-kultur und damit zur politischen Kultur unserer Demokratieleisten.Das AdsD wird in seiner Schriftenreihe „Beiträge aus dem Archivder sozialen Demokratie“ einen Archivführer der Archive derPolitischen Stiftungen veröffentlichen, der die einzelnen Tagungs-beiträge berücksichtigt.

Harry Scholz, Bonn

Michael Schneider(Foto: Bernd Raschke/ AdsD)

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Die gegenwärtige Konjunktur historischer Themen in den Medi-en, etwa in Form verschiedener Geschichtsformate im Fernsehen,belegt das wachsende Interesse breiter Bevölkerungskreise anGeschichte. Die Archive mit ihrem Angebot an historischenInformationen und Dokumenten aller Art werden in diesemZusammenhang für die Medien immer interessanter. Parallel zumverstärkten Auftreten von Medienvertretern als Archivbenutzernbemühen sich die Archive selbst seit einiger Zeit, verstärkt an dieÖffentlichkeit zu treten und nutzen die Medien im Rahmen einerprofessionalisierten Öffentlichkeitsarbeit zur Vermittlung archiv-spezifischer Inhalte.Bereits die an den Beginn der Tagung (19.-20.6.2009) gestelltePodiumsdiskussion mit dem Journalisten Sven-Felix Kellerhoff(Berliner Morgenpost/DieWelt) steckte die Spannweite derBeziehungen zwischen Archiven und Medien ab und definierteam Beispiel des Geschichtsfernsehens die Kriterien „sachgerecht,mediengerecht und publikumsgerecht“ als Prüfsteine einer fürbeide Seiten gewinnbringenden Kooperation. Deutlich wurde,dass für die Medien eine individualisierte, an Einzelschicksalenorientierte Behandlung historischer Themen von besonderemInteresse ist. Biographisch und familiengeschichtlich interessierteForscher sind gleichzeitig die am stärksten wachsende Zielgruppeder Archive. Insoweit bedienen die Medien Trends, die auch denArchiven zugute kommen können.Thematisiert wurden in demPodiumsgespräch auch mögliche Interessenskollisionen zwischenden wirtschaftlichen Interessen der Medien – Stichwort Quote –und dem Bedürfnis der Archive, auch sperrigere Themen einembreiteren Publikum zu vermitteln. Allgemein befürwortet wurdeeine bessere Fortbildung von Journalisten auf dem Feld derArchivrecherche.Die anschließenden Tagungsvorträge gliederten sich in zweiTeilbereiche. Am Anfang stand eine Reihe theoretischer Überle-gungen, welche die Rahmenbedingungen des Umgangs vonArchiven und Medien zu umreißen versuchten. Zunächst skiz-zierte Norbert Schneider (Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen) die Folgen der digitalen Revolution für Medien undArchive. Er konstatierte die schrittweise Auflösung der Druck-schriftlichkeit als Kennzeichen der Medienrevolution, bei der dieBedeutung der Schrift in ihrer Funktion als „Speicher- undFunktionsgedächtnis“ nachlässt und gleichzeitig eine Dynamisie-

rung von Texten stattfindet. Die zunehmende Digitalisierungkann vor diesem Hintergrund mit der Einführung eines neuenAlphabets verglichen werden, das nur noch aus 1 und 0 bestehtund dem langfristigen Ziel dient, in der digitalenWelt jede Formvon Information jederzeit und überall verfügbar zu machen. MitBlick auf die Archive wirft dies eine Reihe von Fragen auf, etwaauf welcheWeise mit den hierdurch entstehenden Datenmengenumzugehen ist und was und wie viel davon gespeichert werdenmuss. Neue Probleme entstehen zudem bei der Bestimmung desUrsprungsorts von Daten und den wachsenden Schwierigkeitenbei der Bestimmung von Original und Kopie.Im Anschluss widmete sich Arnd Vollmer (Sächsisches Staatsar-chiv, Hauptstaatsarchiv Dresden) den juristischen Aspekten beider Nutzung von Archiven durch Medien. In einem ersten Schrittging er der Frage nach, ob Medien vor dem Hintergrund der inArt. 5 GG bestimmten Pressefreiheit sowie der Informationsfrei-heitsgesetze des Bundes und mehrerer Länder juristisch alsbesonders zu behandelnde Nutzergruppe gelten müssen. Dabeiergab sich der Befund, dass die einzelnen Archivgesetze diepresserechtlichen Auskunftsansprüche überlagern und somit ausarchivrechtlicher Sicht den Medien grundsätzlich kein Sondersta-tus einzuräumen ist. Allerdings ist bei der Entscheidung überAnträge auf eine Verkürzung von Sperrfristen bei Medienvertre-tern das grundgesetzlich garantierte Recht der Pressefreiheit beider Abwägung gegenüber anderen Interessen besonders zuberücksichtigen. Darüber hinaus wurden weitere Problemfelderthematisiert, so das Gebot der Gleichbehandlung von ökono-misch miteinander konkurrierenden Medien im Fall identischeroder sehr ähnlicher Nutzungsvorhaben.Der zweite Block der Tagung bot eine Reihe konkreter Beispiele,bei denen sehr unterschiedliche Formen der Kooperation zwi-schen Archiven und Medien vorgestellt wurden. Eine Folge derMDR-Produktion „Die Spur der Ahnen“ (www.mdr.de/ahnen/)bot Einblick in eine Variante der Zusammenarbeit mit Archivenim Rahmen des Geschichtsfernsehens. Im Verlauf der überwie-gend kritischen Diskussion wurde problematisiert, dass Archivekaum Einflussmöglichkeiten auf die endgültige Form von Fern-seh- und Rundfunkproduktionen ausüben können. Interessens-konflikte können entstehen, wenn Archive sich einerseits ver-stärkt bemühen, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit bekannt

ARCHIVE UND MEDIEN

69. SÜDWESTDEUTSCHERARCHIVTAG IN MÜNSINGEN

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zu machen, Massenmedien wie das Fernsehen aber andererseitsarchivische Arbeit und Forschungen im Archiv in ein oft irre-führendes, wenn nicht gar falsches Licht rücken oder eine ange-messene Darstellung historischer Themen durch ein Übermaß anInszenierung bis hin zum Voyeurismus verhindern.Ein innovatives Beispiel für die Zusammenarbeit von Archiv undZeitung präsentierten Thomas Faltin (Stuttgarter Zeitung) undJürgen Lotterer (Stadtarchiv Stuttgart). Sie stellten das Online-Portal „Von Zeit zu Zeit“ (www.von-zeit-zu-zeit.de/) vor, bei demLeser aufgefordert waren, vor allem Bilder zur Geschichte derStadt Stuttgart direkt ins Internet hochzuladen und mit Beschrei-bungen zu versehen. Unterstützt durch eine regelmäßige Bericht-erstattung in der Printversion, entstand auf der Homepage derStuttgarter Zeitung im Laufe eines knappen Jahres eine mehr als7.000 Bilder umfassende Datenbank von Bildern und Zeitzeugen-berichten, die etwa 430.000 Zugriffe im Monat verzeichnen kann.Nach Abschluss des Projekts soll die so entstandene Sammlungvom Stadtarchiv Stuttgart in elektronischer Form als eigener Be-stand zur Archivierung übernommen und weiter verwaltet wer-den. Beide Seiten zogen eine eindeutig positive Bilanz der Koope-ration, deren offensichtlicher Nutzen auch für das kooperierendeArchiv gewisse juristische Probleme (vor allem bei Fragen desUrheberrechts und des Rechts am eigenen Bild) sowie vereinzeltearchivfachliche Defizite bei der Einordnung und Beschreibungder Bilder durch die Zeitungsleser bei weitem überwog.Über die Kooperation des Bundesarchivs mit der Onlineenzyklo-pädieWikipedia berichtete Oliver Sander (Bundesarchiv Koblenz).Ziel des Projekts war es, Teile der Fotosammlung des Bundesar-chivs unter einer sogenannten Creative-Common-Lizenz auf denSeiten vonWikipedia verfügbar und über die direkte VerbindungmitWikipedia-Artikeln schneller und komfortabler nutzbar zumachen (www.bild.bundesarchiv.de/). Auch hier trat der erhoffteEffekt ein, indem die Zahl der Zugriffe und Anfragen beim Bild-archiv des Bundesarchivs insgesamt enorm anwuchs. Neben einerEffizienzsteigerung und einem besseren Nutzerservice versprichtsich das Bundesarchiv zudem, über das Spezialwissen vonWiki-pedia-Nutzern (etwa im Bereich der Technikgeschichte) dieBeschreibung von Bildern zu verbessern, unbekannte Personen,Orte etc. zu identifizieren und so die Erschließung des Bildarchivszu verbessern.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Grundsatzreferat von PeterHaber (Universität Basel), der die Auswirkungen desWeb 2.0skizzierte und Überlegungen zu neuen Recherchegewohnheitenund -möglichkeiten der Internet-Nutzer und deren Auswirkungenauf die Archive anstellte. Eine zentrale Rolle spielte dabei dieTendenz, dass bei der Durchführung von Recherchen die Bedeu-tung von Experten (etwa in Archiven und Bibliotheken) zuneh-mend durch den Einsatz von Suchmaschinen zurückgedrängtwird. Zudem vollzieht sich eine Entwicklung, bei der das Internetinzwischen oft früher Informationen und Unterlagen zur Nut-zung anzubieten vermag als Archive und Bibliotheken. Auf deranderen Seite wurde festgestellt, dass die „digitale Revolution“den Archiven auch neue Möglichkeiten und Chancen bietet, etwaindem Bilder, Filme und Töne über das Internet als Sammlungs-gut an die Archive gelangen und von diesen daraus neue Bestän-de gebildet werden können.Insgesamt bot die auch aus dem benachbarten Ausland besuchteTagung ein breites Panorama möglicher Kooperations- undÜberschneidungsfelder zwischen Archiven und Medien, selbstunter dem Gesichtspunkt der bewusst vollzogenen Ausklamme-rung der Rolle von Medienarchiven. Es wurde deutlich, dass dieKooperationsmöglichkeiten zwischen Archiv und Medien weitüber den zuletzt immer wichtiger gewordenen Aufgabenbereichder archivischen Öffentlichkeitsarbeit hinausgehen. Als zentralesErgebnis bleibt festzuhalten, dass über gezielte Kooperationenvor allem im digitalen Bereich neue Überlieferungsformen ent-wickelt und so die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses alsKernbereich des Archivwesens um neue und zugleich innovativeElemente bereichert werden kann. Der Schlüssel zum Erfolgscheint ein offener Umgang zwischen Archiven und Medien, derbeiden Seiten die Möglichkeit bietet, ihrem Auftrag erfolgreichund effizient nachzukommen. Dabei dürfen sich die Archivenicht auf die passive Rolle des Anbieters von Informationenbeschränken, sondern müssen auch ihrerseits Gelegenheitensuchen und nutzen, über die vielfältigen Kooperationsmöglich-keiten mit Medien ihrem Auftrag noch besser gerecht zu werden.Ein Tagungsband befindet sich in Vorbereitung.

Peter Müller/Andreas Neuburger,Ludwigsburg/Stuttgart

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Die DDR-Staatssicherheit hinterließ nicht nur fast 160 kmSchriftgut, sondern auch in großem Umfang audiovisuelleÜberlieferungen.1 Einen kleineren, jedoch wichtigen Teil davonstellen neben den Ton- und Fotoüberlieferungen die mehr als2.000 Filme und Videos dar. Die Möglichkeiten, aber auch metho-dischen Schwierigkeiten bei der Interpretation des Mediums Filmals historische Quelle machen dessen ganz besonderen Reiz aus,insbesondere, wenn es sich um Filme eines Geheimdienstes undeiner politischen Geheimpolizei handelt.Auch im Bereich der Bestandserhaltung stellt diese Quellengat-tung den Archivar vor besondere Herausforderungen.2 Entspre-chend groß war das Interesse am vierten Nutzerforum, zu demdie Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) MarianneBirthler am 1. Juli 2009 wieder zahlreiche Gäste begrüßen konnte,nebenWissenschaftlern und Archivaren auch Medienvertreterund Mitarbeiter von Einrichtungen der politischen Bildung.Mit der Veranstaltung setzte die Behörde die vor sechs Jahrenmit dem ersten Forum begonnene Tradition erfolgreich fort.Dazu lud die BStU in ihre Räumlichkeiten im zentralen Archivam ehemaligen Sitz des Ministeriums für Staatssicherheit an derNormannenstraße ein.Nach der Begrüßung durch Frau Birthler skizzierte die Leiterinder Archivabteilung, Birgit Salamon, einführend den gegenwärti-gen Stand, die Besonderheiten und erschwerten Bedingungenbei der Erschließung der Unterlagen des Ministeriums für Staats-sicherheit (MfS). Das neue Findmittel zu den archivwürdigenFilmen und Videos des MfS in Berlin und in den Bezirksverwal-tungen wurde von der Leiterin des Referates für audiovisuellesArchivgut, Silvia Oberhack, und ihrer Mitarbeiterin, KatrinRübenstrunk, vorgestellt.3 Der Bestand umfasst den Zeitraumvon 1933 bis 1990, wobei der Schwerpunkt der Überlieferungzwischen 1970 bis 1989 liegt. Referiert wurden u. a. Bestandsge-

schichte, Überlieferungsumfänge, Erschließungsmethodik unddie aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Verzeichnung.Neben der fotografischen und akustischen Überwachung nah-men Video- und Filmtechnik im Gesamtspektrum der Überwa-chungsmethoden der Staatssicherheit einen untergeordnetenRang ein, nicht zuletzt, weil die erforderliche Ausstattung nur mitgroßem Aufwand zu beschaffen war. Dennoch vermittelt diesevergleichsweise kleine Sammlung von weit über 2.000 Dokumen-ten einen einmaligen Einblick in die Arbeitsweise und dasSelbstverständnis des MfS.Die Staatssicherheit setzte Film- und Videotechnik schwerpunkt-mäßig für folgende Aufgaben ein: Überwachung mit fest instal-lierter oder mobiler Kameratechnik, Dokumentation von Ermitt-lungen, Festnahmen,Vernehmungen und Prozessen, Rekonstruk-tion von Havarien und Unfällen, Schulung zur Abwehr vonSpionage4, Traditions- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Aufzeich-nung von Fernsehbeiträgen. So ließ sich beispielsweise dersowjetische Geheimdienst KGB vom MfS mit Mitschnitten desWestfernsehens versorgen. Daneben sind auch Filme zu sog. „NS-und Kriegsverbrechen“ aus der Tätigkeit der hierfür zuständigenHauptabteilung IX/11 überliefert.Die vorgeführten Film- und Videoausschnitte trafen auf großesInteresse beim Publikum. Die Beispiele umfassten die Bilder ausfesten Beobachtungsstützpunkten gegenüber des Einganges derUS-amerikanischen Botschaft nahe der Berliner Friedrichstraßebis hin zu den wackligen Aufnahmen von den Massendemonstra-tionen des Herbsts 1989. Enthalten waren auch Mitschnitte vonGesprächen des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, mitverdienten Mitarbeitern und aus der Bundesrepublik zurückgezo-genen Informanten sowie eine Dokumentation, die in einemGerichtsverfahren gegen vermeintliche Agenten westlicher Ge-heimdienste als Beweismittel dienen sollte. Die Betrachtung des

FILME DER STAATSSICHERHEIT

VIERTES NUTZERFORUM DERBUNDESBEAUFTRAGTENFÜR DIE UNTERLAGEN DESSTAATSSICHERHEITSDIENSTESDER EHEMALIGEN DDR

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teils ungeschnittenen, teils vom MfS bearbeiteten Materialsvermittelt – bei Beachtung der methodischen bzw. quellenkriti-schen Kautelen – aufschlussreiche und weitgehend ungefilterteEinblicke in die Arbeitsprozesse und Beobachtungstechnikendieser Geheimpolizei der zweiten deutschen Diktatur.Leider gelang es bislang nur punktuell, im Schriftgut Hinweisezur Entstehung einzelner Filme zu ermitteln. Darüber hinaus gibtes nur wenige Erkenntnisse zu den inhaltlichen Verlusten, die1989/90 durch Überspielen oder Löschen der Aufzeichnungen imMfS entstanden. Zur Vollständigkeit der Überlieferung aus denBezirksverwaltungen können bisher gar keine Aussagen getroffenwerden.Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte der Leiter der Auskunfts-abteilung, Joachim Förster, die Grundsätze bei der Nutzung vonbildlicher Überlieferung des MfS vor. Die besondere Qualitätdieser Quellen als Resultat geheimpolizeilicher Tätigkeit erforderteinen sehr sorgsamen Umgang zum Schutz von personenbezoge-

nen Daten, wie ihn das Stasi-Unterlagen-Gesetz vorschreibt.Fragen und Verfahren des Zugangs sowie der ggf. notwendigenAnonymisierungen nahmen daher in diesem Referat einenbreiten Raum ein.Im Dialog mit der Historikerin Anette Neff, die für die Evangeli-sche Kirche in Hessen und Nassau die Beziehungen zur Kirchen-provinz Sachsen während der Zeit der deutschen Teilung unter-sucht, stellte die Referatsleiterin des Bereichs für Forschungs-und Medienanträge, Karin Kopka, typische Fragestellungen vor,die sich während Antragsstellung und Nutzung der Unterlagendes Staatssicherheitsdienstes aus den Archiven der BStU ergeben.Im Anschluss an die Ausführungen bestand Gelegenheit zurNachfrage und Diskussion, die von den Teilnehmerinnen undTeilnehmern ausgiebig genutzt wurde. Beendet wurde die Tagungmit Führungen durch das neu eingerichtete Ton-Digitalisierungs-studio und die Magazinräume des Archivs.

Ralf Blum/Karsten Jedlitschka, Berlin

Bestandserhaltung zuletzt Egbert Koppe: Bestandserhaltung im Filmarchiv desBundesarchivs. Beschreibung technischer Aspekte, in: Archivar 62 (2009),S. 6-15.

3 BStU – Abteilung Archivbestände: Verzeichnis der Filme und Videos desMinisteriums für Staatssicherheit. Bearbeitet von Renate Hedli, Juni 2009,Einleitung von Katrin Rübenstrunk. Download unter www.bstu.bund.de/cln_028/nn_1201790/DE/Archiv/Findhilfsmittel/Aktenverzeichnisse/aktenver-zeichnis_mfs_filme_videos,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/aktenverzeichnis_mfs_filme_videos.pdf.

4 Ein Beispiel eines vomMfS produzierten Schulungsfilms ist nun von der BStUals DVD für die politische Bildung publiziert worden: „Revisor“. Überwa-chung, Verfolgung, Inhaftierung durch das MfS: Ein Fallbeispiel für den Un-terricht, hg. BStU (Quellen für die Schule 4), 2 DVD, Berlin 2008. Siehe auchwww.bstu.bund.de/cln_028/nn_714160/DE/Bildung/Unterrichtsmaterialien/unterrichtsmaterialien._inhalt.html_nnn=true#doc1013962bodyText2.

Funde von Film- und Tontechnik in der früheren Schule der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA – Auslandsspionage) in Gosen im Jahr 2006 (Foto: BStU)

1 Die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in denArchiven der BStU habeneinen Gesamtumfang von rund 111Kilometern Schriftgut (einschließlich derüber 39Millionen Karteikarten, die etwa12 Kilometern entsprechen). Bei Hin-zurechnung des verfilmten Schriftguts (auf Papier umgerechnet) ergibt sichein Gesamtumfang von 158 Kilometern. Hinzu kommen derzeit noch etwa15.500 Behältnisse mit zerrissenen Unterlagen. Überliefert sind zudem rund1,4 Millionen spezielle Informationsträger.Weiterführende Angaben zu Um-fängen, Erschließungsmethoden und -beständen in denArchiven der BStU in:Neunter Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu-blik, Berlin 2009, S. 21-43,111-130.

2 Zur Quellenkritik siehe etwa Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als his-torische Quelle, Berlin 2003; Gernot Heiss: Film als Quelle, in: Wiener Zeit-schrift zur Geschichte der Neuzeit 6 (2006), S. 99-108; IrmgardWilharm: Be-wegte Spuren. Studien zur Zeitgeschichte im Film, Hannover 2006. Zur

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LITERATURBERICHTE

ARCHEIONBand 109: Archiwa a prywatnosc. Hrsg. von der NaczelnaDyrekcja Archiwów Panstwowych.Warschau 2006. 408 S., kart. ISSN 0066-6041

Der vorliegende Band beschäftigt sich zunächst mit den Proble-men des Schutzes persönlicher Daten, die zwei unterschiedlichePhilosophien beim Umgang mit Archivbeständen sichtbar ma-chen und das Parlament und die höchsten Entscheidungsträgerin Polen berühren. Dabei geht es um den Versuch, die maximaleÖffnung der Dokumente im Interesse ihrer Benutzer und die Re-spektierung der Privatsphäre auf einen Nenner zu bringen, undum die Beantwortung der Frage, ob Personen mit Funktionen imöffentlichen Leben einen ähnlichen Datenschutz wie andere Bür-ger in Anspruch nehmen können. Zur Beseitigung hier entstehen-der Komplikationen ist eine Präzisierung des geltenden Rechtserforderlich, die möglichst im Einklang mit den Regulierungen inanderen Ländern der EU stehen soll. Dieses Anliegen war Themaeiner im November 2005 in Warschau organisierten Tagung,dessen Komplexität die Beiträge von Archivaren aus Polen, Öster-reich, Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn widerspiegeln.Wichtige Aspekte sind die in Polen bestehenden Ausnahmen desdirekten Zugangs zu Archivalien, wenn diese jünger als 30 Jahresind und der Benutzer kein polnischer Staatsbürger ist, der Um-gang mit Geheimarchiven in totalitären Ländern, die im deutschenBundesarchiv praktizierte Elastizität in der Öffnung personenbe-zogener Archivbestände auf Grundlage gesetzlicher Regelungen,wofür das Stasi-Archivgesetz ein Beispiel ist, und die Regelungdes Schutzes persönlicher Daten in Form eines allgemein verbind-lichen Kodexes in Italien, der von den staatlichen und privatenArchiven sowie den Repräsentanten der nationalen Historikerver-bände gemeinsam getragen wird.Im zweiten, der Restitution von Kulturgütern gewidmeten Teil wer-den die Verluste in schlesischen Klosterbeständen anhand ihrerim Staatsarchiv Breslau überlieferten Repertorien – insgesamt 77Bände – aufgezeigt. Sie wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahr-hunderts im Zusammenhang mit der damals erfolgten Säkulari-sierung der schlesischen Klöster und ihres in das Breslauer Archivgelangten Schriftguts von den preußischen Historikern und Archi-varen Johann Gottlieb Büsching und Johann Karl Friedrich Jarickangelegt und zeichnen sich durch eine übersichtliche Gliederungund detaillierte Informationen aus. Die einzelnen Reposituren wer-den in ihrer alten Nummerierung aufgeführt, die heute im Bres-lauer Archiv nicht mehr gültig ist. Verdienstvoll sind die zahlrei-chen Tabellen, in denen die Verluste im Einzelnen sichtbar ge-macht werden und die dabei zwischen mittelalterlichen und neu-zeitlichen Unterlagen unterscheiden. Die gesamten Verluste wer-den auf 9.731Dokumente beziffert. Infolge der Revindikation vonArchivgut aus der damaligen DDR1981 konnten allerdings einigeKlosterbestände wieder komplettiert werden. Ein weiterer zu die-sem Komplex gehörender Beitrag behandelt die Rückgabe franzö-sischer Archivalien aus dem Sonderarchiv in Moskau, die einelange Odyssee hinter sich haben, wurden sie doch nach ihrer Weg-führung durch die deutschen Okkupanten im Zweiten Weltkriegaus Frankreich aus Sicherheitsgründen nach Schlesien verbrachtund fielen dort den Russen in die Hände. Dabei handelte es sichhauptsächlich um Bestände jüdischer Organisationen, Freimaurerund politischer Parteien, aber auch um Dokumente zur Spionageund Gegenspionage. Der französisch-russische Vertrag von 1991sah die Restitution von insgesamt 7.000 lfm. Schriftgut vor, wovon

auf Kosten Frankreichs Mikrofilme zum Verbleib in Russlandgefertigt werden sollten. Obwohl diese Aktion erst nach Überwin-dung zahlreicher Hindernisse realisiert werden konnte, zählt siebis jetzt im Vergleich zu anderen Ländern zu den erfolgreichstenUnternehmen dieser Art.Der folgende Abschnitt des Bandes analysiert die Archive derkirchlichen Dekanate in Russisch-Polen im 19. Jahrhundert, dieaufgrund der damaligen Rechtsverhältnisse in die Verfügungsge-walt der zaristischen Behörden gelangten. Nach dem gescheiter-ten polnischen Januaraufstand 1863/64 wurde ihr Schriftwechselzunehmend in russischer Sprache abgefasst, was als Beleg für dieUnterdrückungspolitik der Teilungsmacht im kirchlichen katholi-schen Bereich dienen kann. Dagegen führt der Artikel über die Or-ganisation und Archivbildungsprozesse der Kreisstarosteien inder Wojewodschaft Lodz (1945-1950) in die ersten Nachkriegsjah-re. Hier wird die unmittelbare Anknüpfung an die Administrati-on der Zweiten Polnischen Republik in der Zwischenkriegszeitdeutlich, in der die Starosteien die erste Ebene der Staatsverwal-tung gebildet hatten. Im März 1950 wurden sie in ihrer bisherigentraditionellen Form aufgehoben und durch Organe des gleichge-schalteten kommunistischen Verwaltungsapparats ersetzt.Danach erfolgt ein Blick auf Benutzungsprobleme personenbezo-gener Bestände in Frankreich – ein Beitrag, der eigentlich in denersten Teil des Bandes gehört hätte. Ihre Ursache liegt in denlangen Sperrfristen, die im Archivgesetz vom 3. Januar 1979festgelegt wurden und gelegentlich zu spektakulären Prozessenführten. Der Erlass neuer Regularien soll hier Abhilfe schaffen.Die im Zusammenhang mit dem Projekt „Reconstitution of theMemory of Poland“ stehenden Berichte über Polonica im WienerDiözesanarchiv und im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf belegen dieDichte der Informationen über die historischen Beziehungen zuPolen, was im Fall der umfangreichen Düsseldorfer Archivbestän-de besonders signifikant ist. Der Schwerpunkt der Überlieferungliegt in der Zeit von den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhundertsbis 1945, vor allem infolge des Zustroms polnischer Industrie-und Wanderarbeiter, aber auch aus älteren Epochen, z. B. über diepolnische Königswahl 1573, finden sich hier Hinweise.Im Rezensionsteil wird auf polnischer Seite dem Artikel des be-kannten Göttinger Völkerrechtlers Michael Silani in der Archiva-lischen Zeitschrift 85/2003 über die Folgen der Staatensukzessionfür die Archive auf Grundlage der Wiener Konvention vom 8.April 1983 besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Kritik wird vorallem an seinen als „Sophistik“ bezeichneten Bemühungen geübt,Polen das Recht auf den Archivfonds in den früheren deutschenOstgebieten abzusprechen. Als entscheidendes Kriterium für dieÜbernahme von Archivalien wird nicht ihr Inhalt, sondern ge-mäß dem Grundsatz der territorialen Pertinenz der Sitz des„Aktenbildners“ bezeichnet, eine Theorie, die im Gegensatz zuminternational anerkannten Provenienzprinzip steht und die Ver-bindung der Menschen zu den Akten, die sie produziert haben,infrage stellt.Die Chronik am Schluss des Bandes gibt Aufschluss über diewichtigsten Ereignisse im polnischen Archivwesen im Jahr 2005.Erwähnenswert ist hier zunächst eine Konferenz polnischer Archi-vare mit einer Delegation des Staatsarchivs des Bezirks Kalinin-grad über die Realisierung des 1991 geschlossenen Vertrags derZusammenarbeit beider Seiten, auf der beschlossen wurde,Ver-treter des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz undder Föderalen Archivverwaltung Russlands im Rahmen einerinternationalen Konferenz zum Thema „Das archivalische Erbe

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des früheren Ostpreußen“ in die Beratungen einzubeziehen. DasZiel soll sein, allen Partnern den unbegrenzten Zugang zu denKönigsberg betreffenden Beständen zu garantieren. Des Weiterenwerden Ausstellungen und Forschungsprojekte genannt, die fürdeutsche Archivare und Historiker interessant sind, z. B. die Er-schließung des Nachlasses der zweiten Frau Kaiser Wilhelms II.,Hermine von Reuß, im Staatsarchiv Grünberg, die Präsentationunbekannter Dokumente zum150-jährigen Jubiläum der Schich-auwerft in Marienburg, eine wissenschaftliche Konferenz anlässlichder 55-jährigen polnischen Verwaltung der Häfen in Stettin undSwinemünde und der Besuch einer Delegation des deutschenGeneralkonsulats im Staatsarchiv Breslau, das den Gästen diewertvollsten Schätze seines Fonds offen legte. An zahlreichen Be-legen wird deutlich, dass die polnische Archivverwaltung auchdie Zusammenarbeit mit anderen Nachbarländern, z. B. den bal-tischen Staaten, der Ukraine und Tschechien, fördern will.

Stefan Hartmann, Berlin

ATLAS ZUR KIRCHE IN GESCHICHTE UNDGEGENWARTHeiliges Römisches Reich – Deutschsprachige Länder.Hrsg. von Erwin Gatz. Schnell + Steiner, Regensburg2009. 376 S., 217 Karten, Ln. 56,-€. ISBN 978-3-7954-2181-6

Nur selten finden umfangreiche Forschungsarbeiten ihren Nieder-schlag auf so geringem Raum wie bei der Erstellung eines Atlasses,zumal wenn es sich um einen historischen Atlas handelt. Infor-mationen zur Erstellung von Karten müssen aus unspezifisch kon-zipierten Werken extrahiert oder aus dem Wortlaut von Quellenzu geographischen Räumen entnommen und anschließend in dergewünschten Weise arrangiert werden. Erwin Gatz hat sich dieserAufgabe als Herausgeber an der Spitze einer Vielzahl von Autorengestellt und dabei vor allem ältere Arbeiten kritisch bewertet undneu in Kartographie umgesetzt. Neben den Grundlagen, die Gatzin seinen Beschreibungen der Bistümer des heiligen römischenReiches selbst gelegt hat, stützt sich das Werk ausweislich derLiteraturliste vor allem auf Handbücher und ältere Kartenwerke.Der Atlas selbst folgt einem epochalen Aufbau. Zwei einleitendeKapitel beschäftigen sich mit der Zeit bis etwa 1000. „Zu denAnfängen des Christentums in der Zeit des späteren Reiches“(S. 25-38) widmen sich die Autoren den spätantiken Wurzeln dermittelalterlichen Kirche in ausgewählten Städten des späterenReiches. Die vergleichsweise umfangreichen Erläuterungen zuden Karten bieten durchweg eine Auswertung sowohl archäologi-scher wie auch historischer Erkenntnisse. Im folgenden Kapitel„Die kirchliche Erschließung des Heiligen Römischen Reiches biszum Ausgang des Mittelalters“ (S. 39-45) wird eine Übersicht überverschiedene Phasen von Bistumsgründungen sowie der Ausbrei-tung der Zisterzienser im Reichsgebiet geboten. Damit vermeidetGatz, der in der Einleitung betonte: „Obwohl die Bistümer imMittelpunkt dieses Atlasses stehen, sind auch weitere kirchlicheFelder berücksichtigt“ (S.13) eine Doppelung etwa mit Anliegendes Atlasses zur Kirchengeschichte von Hubert Jedin (1970) oderdem zweiten Band des Großen Historischen Weltatlasses des BSV(2. Aufl. 1979), die etwa die Ausbreitung von Orden im hohen und

späten Mittelalter bereits umfangreich thematisieren.Die einzige Art von Wegen, die Gatz neben den Straßen derStadtpläne von Kathedralstädten wiedergibt, sind Autobahnen.Andere Fernwege, die bereits im Mittelalter eine große Bedeutungfür Wirtschaft und Verkehr haben, vermisst man daher im drittenKapitel des Werkes, das sich den Zielen von Wallfahrten widmet(S. 49-55). In diesem Kapitel, welches das Jahr 1450 als Stichjahrwählt, sowie in dem über die Kirche im Reich um1500 (S. 57-143)wählt Gatz bewusst einen spätmittelalterlichen Zeitschnitt.Wichtigste Stationen der Genese der Territorien von Bistümernund Hochstiften werden in den Erläuterungen erklärt, dieZugehörigkeiten der umliegenden Gebiete werden in den Kartengenannt und ermöglichen, auch in Bezug auf die Chronologieihrer Genese, einen Abgleich mit Werken wie etwa dem histori-schen Lexikon deutscher Länder oder Gatz' eigenen Bänden zuden Bistümern. Dass dieses Kapitel mit fast 90 Seiten eineninhaltlichen Schwerpunkt des Atlasses ausmacht, verwundertnicht, denn, so Gatz: „Der hier vorgelegte Atlas entstand imAnschluss an das von mir 2003 bis 2005 herausgegebene Lexikonder Bistümer im Hl. Römischen Reich bzw. in den deutschspra-chigen Ländern.“ (S.11) Im Anschluss erläutert Gatz überzeugendseine großen zeitlichen Schnitte mit dem Abschluss der mittelal-terlichen Territorialisierung der geistlichen Gebietskörperschaf-ten um1500 und dem Abschluss konfessionell bedingter Verände-rungen um1750. Für diese beiden Stichdaten in der Zeit des AltenReiches gibt Gatz einen Überblick über alle Bistümer. Ereignissedanach betrachtet er zeitlich differenziert nach ihrem Eintreten.Die Ereignisse von der Säkularisation bis zum Ersten Weltkrieg(S. 253-277) und vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart (S.279-291) werden so ihrer geschichtlichen Relevanz entsprechendgewürdigt. Mit einer Betrachtung der gegenwärtigen Situation (S.292-366) schließt der Atlas, wobei auch hier noch jüngere histori-sche Veränderungen in zusätzlichen Karten gewürdigt werden.Unter den dargebotenen Orten finden sich viele Namen gebendeSitze von Dekanaten. Durchgehend gelingt dies jedoch nicht,weshalb Gatz wohl darauf verzichtet, hier einen Anspruch aufVollständigkeit zu erheben. Der Wert einer solchen Arbeit wäreohnehin fragwürdig, denn Gatz berücksichtigt in seiner Karteden bei Abschluss seiner Arbeiten am Lexikon gültigen Stand derDekanatssitze. Diese haben sich jedoch schon 2006 wiederverschoben. Solche und ähnliche Änderungen sind im Zugepastoraler Neuplanungen derzeit in vielen Diözesen im Gangeund werden, wenn sich die Arbeiten daran auf einem für das 21.Jahrhundert langfristig haltbaren Stand konsolidiert haben,genug Material für die Gestaltung eines eigenen Atlasses liefern.Die Karten sind in diesem Atlas durchgehend auf einer reinhydrographischen Basis erstellt, die eine gute erste Orientierungim Kartenbild ermöglicht. Des Weiteren sind wichtige Orte zurOrientierung angegeben. Die farbliche Differenzierung derFlächen dient meist ausschließlich der Abgrenzung der Territori-en von Bistümern, Hochstiften, Reichsstädten, geistlicher Territo-rien sowie in Einzelfällen weltlicher Territorien. Alle anderenGebiete sind in einheitlicher Farbe mit ihren Grenzen erfasst undteils über Haken verbunden. Zu ihrer Identifikation ist in einigenFällen die Zuhilfenahme eines anderen historischen Atlasseserforderlich. Dies, genau wie das Fehlen wichtiger Bodenrelief-strukturen wie Hoch- und Mittelgebirge erschwert zwar biswei-len eine rasche räumliche Orientierung, halten die Karten jedochstets übersichtlich. Die Auswahl der dargebotenen kartographi-schen Informationen wirkt dadurch gut durchdacht.

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„Ziel der hier präsentierten Karten ist es, das kirchliche Gefügedes Mittelalters und der Frühen Neuzeit von späteren territorial-,partikular- oder nationalstaatlichen Überschichtungen zu befrei-en, aus der betont ‚staatsnahen’ Optik des 19. und 20. Jh.s heraus-zulösen und als raumordnenden Faktor von eigenem historischenWert wieder (oder überhaupt erstmals) sichtbar zu machen.“ (S.13)So hatte Gatz das Anliegen des Atlasses zur Kirche in Geschichteund Gegenwart formuliert und dies ist ihm, dem KartographenKarsten Bremer, seinen Mitherausgebern Rainald Becker, ClemensBrodkorb und Helmut Flachenecker sowie den zahlreichen Auto-rinnen und Autoren umfassend gelungen. Mit dem Atlas ist eindringend benötigtes Standardwerk entstanden, auf das die For-schung von nun an für lange Zeit zugreifen kann.

Arnold Otto, Paderborn

IAN BATTERHAM, THE OFFICE COPYING REVOLUTIONHistory, identification and preservation. A manual forconservators, archivists, librarians and forensic docu-ment examiners. National Archives of Australia, Can-berra 2008. XIII, 200 S., zahlr. Abb., kart. 59,95 A$.ISBN 978-1-920807-63-4

Was veranlasst das Nationalarchiv von Australien, eine Publika-tion herauszugeben, die auf den ersten Blick aussieht wie eineKulturgeschichte der Kopiermaschinen? Die Antwort ist relativeinfach: Hier werden wichtige Materialien geliefert, die die Identi-fizierung von Schriftstücken des 19./20. Jahrhunderts ermöglichen.Die Typologie, die das Buch bietet, ist mustergültig und decktnicht nur den englischsprachigen Raum ab.Vorgeschaltet ist eine kurze Geschichte der Anfertigung von ma-schinenhergestellten Kopien in Schreibstuben und Büros seitetwa 1700. Ausgespart bleiben handschriftliche kaufmännischeBriefkopierbücher, die eine ältere Tradition haben. In elf großenKapiteln werden Kopierprozesse mit den dazu gehörigen Maschi-nen und den Produkten beschrieben. Ein strenger Aufbau ist deneinzelnen Abschnitten unterlegt: Für jeden Kopierprozess wird ins-besondere die „Laufzeit“, der Verbreitungsgrad in Stufen von1bis 5,Funktionsweise, Materialien, die durch sie bedingte Haltbarkeitsowie die konservatorischen Maßnahmen beschrieben. Am An-fang stehen die Schreibmaschine, deren Vorstufen bis in das Jahr1714 zurückgehen, und die auf Kohlepapier erzeugten Kopien. Esfolgt die mit dem Namen James Watt verbundene Kopierpresse,die spezifische Erhaltungsprobleme auslöst, hektographierte unddurch Spirtusmaschinen angefertigte Kopien, sodann der Matri-zendruck, lichtempfindliche Prozesse (Blaupause, Diazokopiensowie die fotografischen Verfahren), Lithographie, Typographie,Thermofax-Kopien, elektrostatische Prozesse, die (vorläufig) beimLaserdrucken enden, sowie Tintenstrahldruck. Zwei Anhänge ent-halten Hinweise, wie undatierte Kopien identifiziert werdenkönnen, sowie ein Verzeichnis („Glossary“), in dem die gebräuch-lichsten Handelsmarken und Hersteller aufgeführt sind. DiesesVerzeichnis umfasst offenbar nur die in Australien marktüblichenHersteller, darunter einzelne deutsche. Der Band ist so reichbebildert, dass er quasi ein Bestimmungsbuch für Australien ist.Ob es je etwas Vergleichbares für Deutschland gibt?

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

DOKUMENTATION FÜR ARCHIVE WISSENSCHAFTLI-CHER HOCHSCHULENEine Handreichung von Thomas Becker (Bonn), WernerMoritz (Heidelberg), Wolfgang Müller (Saarbrücken),Klaus Nippert (Karlsruhe) und Max Plassmann (Düssel-dorf). Hrsg. von der Universität des Saarlandes. 76 S.,geh.

Dokumentationsprofil – Handreichung – Bewertungsmodell?Wie auch immer man das Ergebnis einer Gruppe von Hochschul-archivaren nennen möchte: Vor uns liegt eine fundierte Analyseder bei den Universitäten zu erwartenden Aufgaben, Kompeten-zen und der daraus entstehenden Unterlagen. Gegliedert ist das„Dokumentationsprofil“ nach den einzelnen Aufgabenbereicheneiner wissenschaftlichen Hochschule, hier „Dokumentationsbe-reiche“ genannt. Der erste Teil analysiert die zu erwartendenInstitutionen einer Universität. Der zweite Teil widmet sich derim Rahmen der Forschung und Lehre entstehenden Unterlagen,der dritte den Organisationen der Studierenden. Einen breitenRaum, typisch für den spezifische Charakter von im Umfeldeiner Universität entstehenden Unterlagen, nimmt Teil 4 Nach-lässe und Teil 5 Sammlungen ein.Akribisch und fundiert werden in allen Teilen jeweils die Aufga-ben analysiert, die zu erwartenden Unterlagen beschrieben undkonkrete Bewertungsvorschläge unterbreitet. Den Abschluss bil-det eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Bewertungs-vorschläge. Diese sind sinnvoller Weise in vier Kategorien unter-teilt: 1 = Vollarchivierung, 2 = Sample-Bildung, 3=Auswahlarchi-vierung, 4=Totalkassation, eventuell Archivierung einzelner Form-beispiele. Letzteres könnte man auch als Evidenzwert bezeichnen.Man kann dieses fundiert erarbeitet und sehr überzeugende„Dokumentationsprofil“ als beispielhaft hervorheben, auchwenn der Begriff Bewertungsmodell hier eher zu verwenden ist.

Jürgen Treffeisen, Karlsruhe

LA GAZETTE DES ARCHIVES

Revue de L’Association des Archivistes Français.No 209-212. Erschienen 2008. 70,-€ (Jahresabonne-ment) ISSN 0016-5522

In einem Doppel- und zwei Einzelbänden ist der Jahrgang 2008der von der französischen Archivarsvereinigung herausgegebenen„Gazette des Archives“ pünktlich erschienen. In Themenbändenwerden dabei einzelne Aufgabengebiete und Arbeitsbereiche abge-handelt, die auch diesseits des Rheins den wissenschaftlichen wiepraktischen Diskurs bestimmen. Der Doppelband 209-210 wid-met sich dabei der Bestandserhaltung oder der vorsorglichen Kon-servierung (la conservation préventive) der den Archiven als Kul-turgüter anvertrauten Unterlagen. Dabei befasste sich die Jahres-versammlung der Departementalarchivarinnen und -archivare,deren Beiträge diesem Band zugrunde liegen, unter drei Aspektenmit demThema. Im ersten Teil werden die neuesten französischenEntwicklungen im Bereich des Archivbaus behandelt, ehe imzweiten Teil Werkstattberichte sich mit den Unterlagen selbst undihren unterschiedlichen bestandserhalterischen Erfordernissen be-

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fassen. Auch wenn das praktische Beispiel dominiert, wird demaufmerksamen Leser schnell klar, dass nachhaltige Ergebnisse nurdann erzielt werden können, wenn die Bestandserhaltung als stra-tegisches Ziel vermittelt wird, das in allen archivischen Arbeitsbe-reichen – vom vorachivischen Records-Management über dieÜbernahme, die Erschließung bis hin zur Nutzung – als Leitlinieakzeptiert und umgesetzt wird. Der dritte Teil beschäftigt sich mitder Risikovorsorge und den Notfallplänen in den Archiven, wobeiwiederum Erfahrungsberichte dominieren. Zahlreiche Abbildun-gen zu neuen Archivbauten und zu den in den Lesesälen der De-partementalarchive zur Anwendung kommenden Handreichungenüber den richtigen (= bestandserhaltenden) Umgang der Nutzermit den Unterlagen unterstreichen die Bemühungen unserer links-rheinischen Kolleginnen und Kollegen, auch im Bereich der Be-standserhaltung zu nachhaltigen und damit volkswirtschaftlichgünstigen Ergebnissen zu gelangen.Der dritte Teilband (211) vereinigt die Beiträge der Jahrestagungder Archivarinnen und Archivare der Kommunen und der kom-munalen Gebietskörperschaften. Diese beschäftigten sich mit derSammlung, Konservierung und Bewahrung der mündlichen Über-lieferung, also einem Aufgabengebiet, das auch diesseits des Rheinseher am Rande der Überlieferungsbildung rangiert, wenn esdenn überhaupt in öffentlichen Einrichtungen praktiziert wird.Neben praktischen Fragen – so widmet sich ein Beitrag den rich-tigen Aufnahmetechniken bei Zeitzeugenbefragungen, ein andererbeschäftigt sich mit der Erschließung und Aufbewahrung der da-bei gewonnenen Überlieferungsteile – standen bei den Erörter-ungen der französischen Kollegen vor allem methodisch-archiv-wissenschaftliche Fragen über den Stellenwert der mündlich er-innerten Überlieferung im französischen Archivwesen sowie Fra-gen des wissenschaftlichen Austauschs mit unterschiedlichen Dis-ziplinen – Ethnologie,Migrationsforschung usw. – im Mittelpunktder Beiträge. Die dabei für Frankreich – v. a. im Vergleich zu denUSA, Lateinamerika und Spanien – festgestellten Defizite, was diesystematische Erhebung, die Bestandsbildung und Konservierungvon Quellen zur oral history anbelangt, lassen sich sicherlich auchin Deutschland beobachten. In wie weit es den französischen Ar-chiven gelingt, diese bei unterschiedlichen Gelegenheiten entstan-denen Quellen tatsächlich in ihre Obhut zu nehmen, bleibt abzu-warten. Angesichts der auch bei unserem Nachbarn zu konstatie-renden chronischen Unterfinanzierung des Archivwesens istSkepsis angebracht.Auf Entdeckungsreise begibt sich der vierte Teilband (212) derGazette des Archives. Die weit verstreuten, unterschiedlich be-kannten und ebenso unterschiedlich erschlossenen und damitder Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung stehenden Archiveder geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungseinrichtun-gen stehen im Fokus dieser Reise. Neben der Vorstellung einigerFonds in staatlichen Archiven, Museen, Universitäten, öffentli-chen Forschungseinrichtungen sowie privatrechtlichen Sammlun-gen dient der Band in erster Linie der Information und derNetzwerkbildung. Denn wichtigste Voraussetzung für ein strategi-sches Herangehen an diese bislang vernachlässigten Überlieferun-gen ist das Wissen, wo und in welchem Umfang solche Fondsvorhanden sind. Mit der dem Band beigegebenen Umfrage wirdBasisarbeit im wahrsten Sinne des Wortes geleistet. Dies ist fürFrankreich umso dringlicher, als unsere Nachbarn bislang keineeigenständigen Universitätsarchive kennen, die als erste An-sprechpartner für die Verwahrung ähnlicher Unterlagen vonForschungseinrichtungen und privater Forschernachlässe dies-

seits des Rheins in Frage kommen. Anregend für die archivfachli-che Diskussion ist der Teilband allemal, zumal er die Vielfalt undden Reichtum solcher Fonds vermittelt.

Kurt Hochstuhl, Freiburg

WAVERLY LOWELL, TAWNY RYAN NELB,ARCHITECTURAL RECORDSManaging Design and Construction Records. Society ofAmerican Archivists, Chicago 2006. 237 S., zahlr. Abb.,geb. 62,- US-$. ISBN 1-931666-19-9

Architekturbestände vereinigen eine Vielzahl jener Herausforde-rungen, mit denen Archivare üblicherweise umzugehen haben:heterogene Bestände mit einer Vielzahl von Formaten und Mate-rialien, mitunter konservatorisch bedenklich gelagert und kaumvorerschlossen, zudem nicht selten so umfangreich, dass sich dieFrage der Archivwürdigkeit ihrer Bestandteile früh stellt. Begegne-te man diesen Problemen in der Vergangenheit mit einer Konzen-tration auf die Planbestände, so hat sich mittlerweile in der Samm-lungspraxis von Architekturbeständen die Erkenntnis durchge-setzt, dass es nicht nur um die Überlieferung des „schönen Plans“als Architekturgrafik gehen könne, sondern der Planer als Wirt-schaftsbürger und Akteur im Bauwesen abzubilden sei. Entspre-chend vertieft und verbreitert sich heute der überlieferungswürdi-ge Bestand; zudem treten bei der Überlieferung architekturbezo-gener Bestände neben den „klassischen“ Architektennachlass ver-stärkt auch diejenigen von Bauingenieuren und Baufirmen, Fach-planern und Bauverwaltungen hinzu.Vor diesem Hintergrund konzipierten Lowell und Nelb das hier be-sprochene Handbuch, zu dem die beiden fachlich ausgewiesenenAutoren jeweils namentlich zugeordnete Kapitel beisteuerten.Ansprechend bereits in der Umschlaggestaltung, ist das ruhige, an-genehme Layout mit einer Vielzahl von Abbildungen versehen, diedie Kapiteltexte ergänzen (wenn auch mitunter eher als schöneIllustrationen). Nur die aus heutiger Sicht etwas anachronistischenFarbtafeln in Buchmitte stellen sich (sowohl in der Bildauswahl alsauch in der grafischen Anordnung) als eher unruhige Zusammen-stellung dar, die wie die Endnoten an den Kapitelenden in derHandhabung etwas unbequem sind. Dennoch ein Buch, das in derAufmachung Freude macht (wenn auch nicht unbedingt im Preis).Einleitend zeigen sich die Autoren auf der Höhe der Diskussionund werfen einen ersten Blick auf die Vielfalt der Artefakte undBestandsbildner, immer im Hinblick auf die US-amerikanischeArchitekturproduktion und deren Archivierung. Ein nationalerRahmen, der sowohl in der Einleitung deutlich wird, die die dies-bezügliche US-amerikanische Fachdebatte der letzten dreißig Jahreumreißt, als auch in dem ersten Kapitel, das – mit „Kurze Ge-schichte der westlichen Architekturpraxis“ benannt – die (euro-päische) Architekturproduktion vor 1800 in einem großen Schrittdurchmisst, um dann die Herausbildung der Architektenprofessionund deren Arbeitsweise am US-amerikanischen Beispiel vorzu-stellen. Bei der Vorstellung der Professionsgeschichte wird bereitsdeutlich: Dieses Handbuch ist vor allem den architekturbezoge-nen Unterlagen gewidmet, die in den letzten 120 Jahren entstan-den, und bedient vorrangig den Archivar, der mit Beständen diesesZeitraums zu tun hat. Dabei wird im Weiteren der Fokus auf die

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unterschiedlichen Artefakte der Architekturproduktion gelegt,zugleich aber – eher unausgesprochen – wieder verstärkt derArchitekt in den Mittelpunkt gerückt, nachdem die Einleitunghier auch die breitere Diskussion anderer Akteure des Bauwesens(und deren Spezifika) erwarten ließ.Die folgenden zwei Kapitel (von insgesamt acht) gehen dann de-taillierter auf die unterschiedlichen Materialien architekturbezo-gener Bestände ein. Obwohl die Autoren eingangs auch hier denBlickwinkel weiten und ausdrücklich neben den projektbezogenenUnterlagen auch diejenigen einbeziehen, die etwa mit der Betriebs-führung eines Büros oder dem privaten Netzwerk eines Planerszu tun haben, geht es hier imWeiteren vorrangig um den Entwurfs-prozess und dessen Hinterlassenschaften. Im zweiten Kapitelstellt Lowell die Phasen der Architekturproduktion (wiederumprimär bezogen auf Architekturbüros) und die jeweils dabei ent-stehenden Unterlagen vor, im dritten Kapitel schreitet Nelb dieeinzelnen Kategorien ab – vor allem Zeichnungsformen, von derPräsentationszeichnung bis zum Werkplan. Bei beiden Kapitelnhätte sich vielleicht eine zusammenfassende Straffung angeboten,zumal die hier insgesamt etwas an der Oberfläche bleibende Dar-stellung eher etwas für diejenigen Leser bereithält, die kaum etwasvon Architektur und deren Produktionsweise wissen.Dichter wird die Darstellung im vierten Kapitel, das mit „Bewer-tung“ überschrieben ist. Die eigenständige Bewertung der Archiv-würdigkeit, die gerade die u. a. durch eine Ausweitung der Repro-duktionstechniken stark angewachsenen jüngeren Architekturbe-stände größerer Architekten- und Ingenieurbüros, Baufirmen undVerwaltungen bedürfen, ist hier zentrales Thema.Die oberste Ebene bei der Bewertung stellt, so Lowell, das Samm-lungskonzept des Archivs dar, das idealerweise diejenigen Bestän-de definiere, deren Übernahme grundsätzlich angestrebt sei –auch, um bei unangefragt angebotenen Beständen eine bessereHandhabe für Ablehnungen zu haben. Ausdrücklich enthalten istauch der interessante Hinweis, dass bei der Auswahl auch nach derVerankerung des jeweiligen Bestandsbildners im professionellenund sozialen Netzwerk zu fragen sei, um „bedeutendere“ potenti-elle Bestandsgeber nicht abzuschrecken (S. 72). Empfohlen werdendie Verknüpfung mit berufsständischen Organisationen und dieBildung von beratenden Kuratorien, allerdings ohne dass Auswir-kungen solcher Strukturen auf die flächendeckende Archivpraxis(etwa durch homogenisierende Tendenzen) diskutiert werden.Auch in diesem Kapitel werden die personenbezogenen Unterlageneines Planers nur kurz angerissen, eingehender wird der Umgangmit projektbezogenen Unterlagen betrachtet.Auswahlprozesse – soLowell – seien dabei vor allem für materialreiche Projekte not-wendig, wobei der ursprünglichen Planung eines Bauwerks Vor-rang vor späteren Umbauten und Ergänzungen, dem PlanoriginalVorrang vor Kopien eingeräumt wird. Hier gilt Lowells besonde-res Augenmerk den Planbeständen, da ihre Lagerung besondersaufwändig sei; Lowell gibt hier wie auch zu anderen Material-gruppen Hinweise für Auswahlkriterien. Die schwierige Balancezwischen allgemeinen Hinweisen zur Archivwürdigkeit, die Be-stände unter Umständen nach einem einheitlichen Muster abma-gern (siehe Liste S. 84-85), und einer Vielfalt der Überlieferung, diean geeigneter Stelle z. B. (von Lowell im Grundsatz verschmähte)Installations- und Detailplanungen bewahrt, kann auch Lowellnicht gänzlich lösen: Gerade für existierende Gebäude mit um-fangreicheren Unterlagen wird letztlich die eher klassische Re-duktion auf einen Kernbestand um die ausgeführte Planungherum empfohlen. Hintergrund für diese Unterscheidung zwi-

schen gebauter/vorhandener und ungebauter Architektur istdabei erkennbar eine (zukünftige) Nutzung der Archivalien auchals Quellen für den Umgang mit den Bauten selbst (von Lowellexemplarisch ausgeführt an Fundamentplänen) – einer vonsieben vorgeschlagenen Faktoren für die Planauslese.Das folgende fünfte Kapitel ist der Archivpraxis für architekturbe-zogene Bestände nach dem Provenienzprinzip, den unterschiedli-chen Formaten und Objektgruppen gewidmet. Für die persönli-chen wie auch die betrieblichen Unterlagen wird einmal mehr aufdie Prinzipien verwiesen, die für solche Bestände erarbeitet seien.Für die projektbezogenen Archivalien hingegen wird eine Beschrei-bungshierarchie skizziert, wobei Lowell eine – arbeitsextensive –Beschreibung auf Projektebene favorisiert; eine Verzeichnung etwaauf Planebene wird mit dem Hinweis verworfen, dass der Nutzerzumeist ohnehin alle Pläne zu einem Projekt sehen wolle. Ent-sprechend knapp fällt die Diskussion zu Datenbanken und derenNutzung aus.Auch im sechsten Kapitel von Nelb zu schädigenden Einflüssenauf architekturbezogene Archivalien, deren Konservierung undRestaurierung, finden sich eher einführende Erläuterungen alsvertiefte fachliche Hinweise, wobei konsequenterweise auf dieEinbindung von Fachrestauratoren verwiesen wird. Abermalssteht der Plan im Mittelpunkt, es werden Hinweise zur liegendenAufbewahrung wie zur Rollenlagerung gegeben, und abschließendwird kurz – unter eher technischen Gesichtspunkten – auf dieReproduktion mittels Fotografie, Mikrofilm und Digitalisierungeingegangen. Daran knüpft das siebte Kapitel an, das nun einzel-ne Planträgermaterialien (sowohl für Zeichnungsoriginale alsauch für Kopien) mit Angaben zur Beständigkeit und zu Re-staurierungstechniken vorstellt. Gerade hier offenbart sich derHandbuchcharakter mit kompakten Informationen. Eingebettetist ein ausführlicher Abschnitt, der sich mit der Konservierungdigitaler Daten, insbesondere CAD, und den unterschiedlichenUS-amerikanischen Initiativen in diesem Feld beschäftigt. DerBezug zu den Nachlassgebern zeigt sich hier in Ratschlägen, wieeine dauerhaftere Archivierung durch ein entsprechendes Archi-vierungsverhalten der Bestandsbildner unterstützt werden könne– etwa durch ein Speichern von bedeutsamen Projektphasen inpotentiell langlebigeren Formaten wie TIFF oder PDF. Im letzten,achten Kapitel schließlich werden – teilweise wiederum eherallgemeine – Hinweise zur allgemeinen Archivpraxis gerade unterden Bedingungen „unhandlicher“ Archivalien gegeben. DreiAnhänge – darunter eine Kategorisierung architekturbezogenerMaterialien – und eine Bibliographie neuerer US-amerikanischerLiteratur zum Thema schließen das Buch ab.Den intendierten Charakter eines Handbuchs erfüllt diese Publi-kation in seinen stärkeren Kapiteln ganz sicher; erkennbar vorallem auf eine mit dem Bauwesen und dem Entwurfsprozess einesBauwerks unerfahrene Leserschaft ausgerichtet, verengt sich dieDarstellung jedoch immer wieder – entgegen einleitend formulier-ter Intentionen – auf das Architekturbüro und auf die unterschied-lichen Planmaterialien. Hier könnte die solide, gute Einführungin die Thematik stärker sein: Gerade für die Bestandsbildungwichtige Aspekte wie eine Verbreiterung architekturbezogener For-schung, die nicht mehr nur den Architekten in seiner Selbststili-sierung als Künstler wahrnimmt und den repräsentativen Plan alswesentlichen Untersuchungs- und Überlieferungsgegenstand an-nimmt, sind nur begrenzt angesprochen. Einem beratenden Hand-buch für den Architekturarchivar hätte es vermutlich nicht ge-schadet, mögliche Sammlungsstrategien (und damit auch Bewer-

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tungsmaßstäbe) eingehender vor dem Hintergrund neuer, insbe-sondere auch wirtschafts- und sozialhistorischen Fragestellungen zubetrachten. Die Verknüpfung mit den aktuellen Bestandsbildungs-prinzipien gerade der Wirtschaftsarchive und deren Bewertungder Archivwürdigkeit, wie sie – so die Autoren selbst – analogetwa für Bauunternehmen angewandt werden sollten, hätten hierunterschiedliche Strategien für Architekten- und Ingenieursnach-lässe (gerade im Bezug auf die Aktenüberlieferung) gefördert unddas Handbuch sicher bereichert und abgerundet.

Stephan Strauß, Krefeld

GRAHAM MATTHEWS, YVONNE SMITH, GEMMAKNOWLES: DISASTER MANAGEMENT IN ARCHIVES,LIBRARIES AND MUSEUMSAshgate Publishing, Aldershot 2009, 244 S., geb. 55,- £ISBN 978-0-7546-7273-9

Das vorliegende Buch erschien einen Monat nach der Kölner Ar-chivkatastrophe und verdient schon deshalb erhöhte Aufmerksam-keit, auch in Deutschland. Es geht auf einen Forschungsauftrag andie Universität Liverpool aus dem Jahr 2006 zurück, der 2008 ab-geschlossen wurde. Ziel war es nicht nur, die aktuelle Situation inGroßbritannien zu beschreiben, sondern auch die Erfahrungen welt-weit einzubringen. Die letzte vergleichbare britische Publikationvon Graham Matthews und John Feather (Disaster Managementfor Libraries and Archives,Ashgate 2003) datiert aus dem Jahr 2003.Seither sind weltweit in beängstigend schnellem Rhythmus natürli-che Katastrophen eingetreten und haben weitere kriegerische Aus-einandersetzungen stattgefunden, aus denen Erfahrungen gewon-nen wurden, die in dieses Buch eingeflossen sind. Es stiftet nichtzuletzt wegen des großen Nachweises an englischsprachigen Online-Publikationen, u. a. zum Brand der Anna-Amalia-Bibliothek, zumThema großen Nutzen. Der Kern des Buches ist aber das Ergebniseiner Umfrage bei britischen Archiven, Bibliotheken und Museennach einem vorformulierten Fragekatalog aus dem „Disaster con-trol plan“. Dieser kann hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden,zeigt aber mit einer Abfolge von „Prevention“, „Preparedness“,„Reaction“ und „Recovery“ Charakteristika, die deutschen Archivennicht fremd sind. Im Gegensatz zu einschlägigen deutschen Plänenfällt auf, dass dem Bereich „Recovery“ vergleichsweise breiterRaum zugestanden wurde. Dahinter steckt die Überlegung, dassnach einer Katastrophe das Interesse der Öffentlichkeit wach ge-halten werden muss.Wenn Benutzersäle geschlossen sind, ist nie-mandem geholfen, vor allem auch nicht den Kultureinrichtungen,die sich in einerWiederaufbauphase befinden. Für solche Fragenbietet das vorliegende Buch eine Fülle von Handreichungen undAnschauungsmaterial, denn es zitiert z.T. ausführlich, allerdingsanonymisiert, aus den Antworten und liefert so Beispiele für „goodand bad practice“. Für die nähere Zukunft haben die Autoren dieBewusstseinsbildung beim „Disaster Management“ groß geschrie-ben, denn sie schreiben nach eigenem Bekunden für ein Publikum,das praktische Notfallübungen absolviert bzw. dafür ausgebildetwird.Wegen der nach dem Erfurter Archivtag und nach Kölneinsetzenden intensiven Diskussion in den deutschen Archivensind diesem Buch auch hierzulande viele Leser zu wünschen.

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

THOMAS VOGTHERR, URKUNDENLEHREBasiswissen. Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hanno-ver 2008. 125 S., zahlr. Abb., kart.14,80 €. ISBN 978-3-7752-6133-3 (Hahnsche Historische Hilfswissenschaf-ten Band 3)

Thomas Vogtherr setzt sich mit seiner 112-seitigen „Urkundenlehre“das Ziel, dem Interessierten „eine knappe Einführung in die Diplo-matik“ zu bieten. Der Autor ist sich darüber im Klaren, dass dasbei einem Fach mit einer über 300-jährigen Forschungstätigkeitund -tradition kein leichtes Unterfangen ist, und er konzentriertsich deshalb in dem in der Reihe „Hahnsche Historische Hilfs-wissenschaften“ erschienen Band im Kern auf die „urkundlicheÜberlieferung im Fränkisch-Ostfränkisch-Deutschen Reich desMittelalters […] ergänzt um die Diplomatik der Papsturkunden“.Die Ausführungen gliedern sich in 11 Kapitel, die nach einemdefinitorischen Abschnitt zu Urkunden und zum Forschungsge-genstand der Diplomatik einen kurzen Abriss über die wichtigs-ten Forscherpersönlichkeiten und ihre Forschungsthemen geben.Es folgen Ausführungen über die Entwicklung des mittelalterli-chen Urkundenwesens aus seinen antiken Wurzeln und über denEntstehungsweg der Urkunde am königlichen bzw. päpstlichenHof sowie ein kurzer Exkurs zu städtischen Kanzleien. Danachgeht es um die äußeren und inneren Merkmale der Urkunden,die Urkundensprache – hier von den eigenen Vorgaben abwei-chend mit einem Ausflug ins englische Urkundenwesen – undschließlich um Überlieferungsformen von Urkunden und ihreFälschungen, die an den drei bekanntesten mittelalterlichen undmodernen Fällen exemplifiziert werden. Kapitel 11 ist mit „Neu-zeitliches Urkundenwesen“ überschrieben. Ergänzt werden dieAusführungen um ein an den Kapiteln orientiertes Literaturver-zeichnis und einen Index.Erfüllt diese Einführung ihre selbstgesteckten Ziele? Sie bringtdem Leser den Forschungsgegenstand „Diplomatik“ von den An-fängen bis zu den jüngsten Entwicklungen im Bereich der diplo-matischen Semiotik näher und vermittelt einen Grundstock anhilfswissenschaftlichem Know-how, den viele Universitäten durchden Abbau der Hilfswissenschaftlichen Professuren und Lehran-gebote nicht mehr vermitteln (können). Dass Vogtherr angesichtsder wenigen zur Verfügung stehenden Seiten zu Verknappungenund auch zu verallgemeinernden Aussagen kommt, ist schwer zuvermeiden und soll nur an einem Beispiel weiter verfolgt werden:Die Abbildung 1 (S. 24-25) zeigt die letzte original erhaltene Ur-kunde Karls des Großen aus dem Jahr 813 (heute: LandesarchivNRWAbteilung Westfalen, Fürstabtei Corvey, Urkunde 1a). Anihr werden die äußeren Merkmale der karolingischen Königsur-kunde aufgezeigt. Nun handelt es sich bei dem gut erhaltenenStück just um ein sogenanntes „kleines Privileg“ ohne Signumzeile– ein Beleg für die fein abgestufte Hierarchie königlicher Gunstbe-weise der früh- und hochkarolingischen Zeit. Auf diese bereits vonHenri Bautier in BECh 1984 herausgearbeiteten Varianten möchteder Autor nicht eingehen, sondern bildet auf S. 27 ein Mono-gramm Karls von einem anderen Stück ab und konstatiertdaneben: „Das normalerweise auf dieser Höhe zu erwartende[...] Monogramm Karls des Großen fehlt auf dieser Urkunde“und suggeriert damit dem Leser, dass es sich um eine fehlerhafteoder unfertige Ausfertigung handelt. Gerade diese Aussagestimmt für das kaiserliche Privileg von 813 nicht: das königlicheHandmal wird in der Bekräftigungsformel bei den normalen undfeierlichen Privilegien in aller Regel angekündigt, während ein

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LITERATURBERICHTE

unangekündigt auftauchendes Monogramm einen Fälschungs-verdacht begründen würde. Das Stück ist kanzleikonform.Die Auflockerung des dichten Textes durch die genannten Abbil-dungsseiten, auf denen die Urkundentypen mit ihren wichtigstenäußeren Merkmalen behandelt werden, ist didaktisch gelungen.Weniger gelungen ist, dass bei den Abbildungen und in der erstenBuchhälfte das Fachvokabular der Urkundenbestandteile Verwen-dung findet, in das erst in der zweiten Hälfte des Buches systema-tisch eingeführt wird (Kapitel 6.1/6.3). Manche Fachtermini wie„Petent“, „Impetrant“ oder „Intervenient“ (S. 37) werden zwar be-nutzt, aber gar nicht näher erläutert. Andere Phänomene wie dieBeglaubigungsform des Chirograph (carta partita/Zerter) oderdie Verbindung zweier inhaltlich aufeinander bezogener Urkundenan den Presseln als sogenanntes Transfix werden überhaupt nichtthematisiert. Ein weiteres Manko entspricht dem der diploma-tischen Forschung allgemein: Sie verkürzt die Urkundenlehre aufdie früh- und hochmittelalterlichen Urkunden und blendet diespätmittelalterlichen und neuzeitlichen Entwicklungen aus undverweist auf die dominierende Aktenüberlieferung. Der Quellen-typ Urkunde bleibt aber bis zum Ende des Alten Reichs und da-rüber hinaus in Gebrauch, um bestimmten Rechtsgeschäften einebesondere Form zu geben und Beweiskraft zu verleihen. Mit derLibellform reagierten die Kanzleien auf das Bedürfnis, Rechtsin-halte in Urkundenform zu bringen, die nicht „auf eine Kuhhaut“gingen (z. B. im Bereich der Königskanzlei bei Standeserhöhungenoder bei umfänglichen Verträgen). Urkunden wurden früh zuMassenschriftgut, bei dem die festgefügten Formularteile als Vor-druck vorlagen, und nur noch Namen und bestimmte dispositiveTeile handschriftlich ergänzt wurden (Ablass-, Offizialats- undLehnsurkunden). Rein mengenmäßig nahm die Urkundenprodu-ktion – wenn auch nicht im Umfang der Aktenüberlieferung – bisin die jüngste Vergangenheit zu; Urkunden sind also ein „lebender“,sich entwickelnder Zweig der Überlieferung, der gerade vor demHintergrund mehr Aufmerksamkeit verdient, dass die Geschichts-forschung sich in stärkerem Maße mit dem Spätmittelalter undder frühen Neuzeit beschäftigt.Die „Urkundenlehre“ geht schließlich nicht auf die Frage ein, wieUrkunden in die Archive gelangt sind, nach welchen Kriterien siedort geordnet werden und mit welchen Suchstrategien sie ein In-teressent dort finden kann. Offen bleibt auch, was ein Regest undwas eine Edition ist und welche Informationen man darin erwar-ten kann (und welche nicht).Ein an manchen Stellen etwas ausführlicherer Text und ein Glossarder Fachbegriffe würden dieser Einführung in die Diplomatik guttun und sie zu einer wertvollen und handlichen Hilfe für Studentenund für die Benutzer von Urkundenbeständen in den Archivenmachen.

Peter Worm, Münster

WHAT ARE ARCHIVES?Cultural and Theoretical Perspectives: A Reader. Editedby Louise Craven. Ashgate Publishing, Aldershot 2008.XVII, 196 S., geb. 60,- £. ISBN 978-0-7546-7310-1

Der anzuzeigende Band ist weniger ein Reader als vielmehr Ergeb-nis einer Konferenz der britischen Society of Archivist im Jahr

2006.Vorausgegangen waren auf der Insel interdisziplinäre Kon-ferenzen über „The Philosophy of the Archive“ und „The Ontolo-gy of the Archives“, in denen aus der Außenperspektive großeintellektuelle Aktivität auf die Archive verwandt wurde. Diebritischen Archivarinnen und Archivare sahen sich herausgefor-dert und nutzten die Gelegenheit zur Standortbestimmung ihrerProfession. Eine Leitfrage war: In welchem Maße können undmüssen Archive aus der Historizität und Rückwärtsgewandtheitihres Handels ausbrechen und nach vorne schauen? Die Heraus-geberin, und nicht nur sie, befand: „The time is right for debateand discussion and the realization that a new set of answers tothe question ‚What are archives?’ is beginning to emerge” (S. XVI).Wie sehen die Antworten aus? Die Herausgeberin sieht sich durchdie von Foucault und Derrida inspirierten Überlegungen aufge-fordert, ein Forum zum interdisziplinären Austausch zu schaffen.Weiter fordert sie, größeres Wissen über die anderen Gedächtnis-institutionen zu erwerben.Noch größer sind die Herausforderungendurch elektronische Unterlagen und die erfolgreiche Einbindungder Archive in die Medien. Sie verweist auf den Publikumserfolg„Who Do Think You Are?“ Andrew Prescott setzt sich mit der„Textualität“ der Archive auseinander. Das Angebot „Your Archi-ve“ des Nationalarchivs lade im Sinne von Barthes, Foucault undDerrida die Benutzer zur aktiven Mitwirkung an Erschließungs-arbeiten ein. Er hält das für sinnvoll, denn Archive sollten nichtals bürokratische Mediatoren auftreten, sondern die Lust am Ar-chiv fördern. Caroline Williams stellt den Archiven, die aus offi-ziellen Organisationen erwachsen, privates Schriftgut („personalpapers“) als wichtige Quelle gegenüber. Sie betont seinen Wertund sucht nach Lösungen für seine Sicherung im digitalen Zeit-alter. Michael Moss’ Beitrag steht unter dem Motto „OpeningPandora’s Box“. Auch er fragt nach dem Standort der Archive ineiner digitalen Umgebung. Er sieht keinen grundlegenden Unter-schied gegenüber dem analogen Zeitalter und verteidigt „das“Archiv gegen ein Zerfasern in Sammlungen. Dagegen propagiertJane Stevenson offensiv den „Online Archivist“. Sie nähert sichpositiv dem Digitalzeitalter und warnt die Archive vor einerBunkerhaltung: „Archivists must avoid the danger of remainingin silos where they are not playing a full and active part in theevolving online world“ (S.105). Bemerkenswert ist ihre Aussageüber die Konvergenz von Archiven, Bibliotheken und Museen imOnline-Zeitalter, von der die Archive nur profitieren könnten.Andrew Flinn (über Archive von Minderheiten) und AndrewPrescott (über exilierte Archive) bleiben im konventionellen Rah-men, bevor Andrea Johnson zu einem vehementen Plädoyer fürdie Zusammenarbeit der Benutzer mit digitalen Archiven aufruft.Sie entwirft Leitlinien, wie sich Besucher ohne Vorwissen durchBestände bewegen können. Gerald P. Collins reflektiert etwas wirrüber Archive zur militärischen und zivilen Nukleartechnik und de-ren künftige Nutzung. In der Gesamtheit aber ist der Band sehrlesenswert, weil er die aktuelle Theoriediskussion in Großbritannienwiderspiegelt. Im Vergleich zu Deutschland ist größere Offenheitzu Foucault & Co. festzustellen. Über die Unausweichlichkeit,sich den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu stellen,wie über den dadurch bewirkten Paradigmenwechsel dürfte eskeinen Dissens geben, selbst wenn man die Wiki-Methoden, dieA. Prescott empfiehlt, bei Findbüchern nicht einführen mag.

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

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HUBERT WOLF, PAPST & TEUFELDie Archive des Vatikan(s) und das Dritte Reich. VerlagC. H. Beck, München 2008. 360 S., 28 Abb., 1 Karte,geb. 24,90 €. ISBN 978-3-406-57742-0

Dass eine deutsche „Archivstudie“ den Förderpreis des Börsen-vereins bekommt und in sechs Sprachen übersetzt wird, ist wohlschon außergewöhnlich. Anknüpfungspunkt für den plakativenHaupttitel ist ein Bildwort von Papst Pius XI. vom15.5.1929, das derAutor zum „roten Faden“ nimmt und nicht nur auf den italieni-schen Faschismus bezieht, sondern auch auf andere Totalitarismen,zumal er mit der zweiten Anmerkung vatikanintern den konkur-rierenden kirchlichen Totalitätsanspruch vom Herbst 1933 gegen-überstellen kann. In Abgrenzung zu Dan Browns Thriller-Deutung(33.Aufl. 2006) bietetWolf zunächst eine feuilletonistisch-fundierteEinführung in die 2003 teilweise für Deutschland und die 2006umfassend bis zum10. Februar 1939 neu zugänglich gemachten Be-stände des „Archivio Vaticano Secreto“ (ASV). In realistischer Ein-schätzung der bisherigen Rekonstruktionsmöglichkeiten für den„view from Rome“ soll die Auswertung der neuen Quellen „dievatikanische Einschätzung der Vorgänge im Reich“ und die „kurien-internen Diskussionen um eine angemessene Reaktion der Kircheauf die deutschen Herausforderungen“ aufzeigen (S. 26, 307 f.).Der Hauptteil des Werkes umfasst fünf thematische Kapitel, dieje neben einem plakativen Titel mit ihren sachlichen Schwerpunk-ten die Zeit von 1917 bis 1939 abdecken. Das erste Kapitel „vatika-nische Diagnosen und Rezepte für Deutschland“ (S. 27-93) be-handelt die Nuntiatur von Eugenio Pacelli in Deutschland (Mün-chen und Berlin) von der Generalinstruktion (11/1916) für ihn biszu seinem (2006 von Wolf und Unterberger bereits vollständigedierten) Abschlussbericht von 1929. Dabei befassen sich die Unter-kapitel u. a. mit der päpstlichen Friedensinitiative, der Beurtei-lung der deutschen Bischöfe und den katholischen Laien, beste-hend aus „braven Schäfchen und aufmüpfigen Intellektuellen“sowie kritisch mit der Koalitionsbereitschaft der Zentrumspartei.Zur Frage, ob Nuntius Pacelli als „Deutscher zurück nach Romging“, stelltWolf fest, dass Eugenio Pacelli nicht nur in kirchlicherHinsicht das Deutschland der Weimarer Republik fremd blieb,dass er von antisemitischen Stereotypen nicht frei war und fürdeutsche Autotechnik schwärmte.Vor dem Hintergrund des Vorwurfs, zum Holocaust geschwiegenzu haben, gehtWolf im zweiten Kapitel auf die innerkurialen Aus-einandersetzungen zu dem „Streit im Vatikan über den Antisemi-tismus“ (S. 95-143) im Jahre 1928 am Beispiel der sog. Karfreitags-bitte (für die „perfiden“ Juden) ein, die 2008 mit der Wiederzu-lassung der tridentinischen Liturgie noch einmal in die aktuelleDiskussion geriet. Ausgehend von der Konvertitin S. F. von Leerforderten die auch von deutschen Bischöfen geförderten „amiciIsrael“ mit liturgiegeschichtlichen Argumenten die Revision derKarfreitagsbitte für die „perfiden Juden“, gerieten aber in kurien-internen Diskussionen und Streitigkeiten, die zu einem Inquisiti-onsverfahren mit Aufhebung der Amici Israel führten.Vor dem

Hintergrund der bisher wenig beachteten Verurteilung des Anti-semitismus durch ein Dekret des Heiligen Offiziums (25.3.1928)schildert Wolf auf der Grundlage einer Akte des Sanctum Offici-ums diese kritischen Hintergründe als „Armutszeugnis, denn es istleicht, den Judenhass bei anderen zu verurteilen, das eigene anti-semitische Verhalten in der Liturgie aber nicht zu ändern“ (S.138).Mit der rhetorischen Frage nach dem „Pakt mit demTeufel“ steigtWolf im dritten Kapitel (S.145-203) mit neuen Quellen aus demASV in die über 40-jährige Forschungsdiskussion zum Reichs-konkordat und seiner Vorgeschichte ein. Zur überkommenenForschungskontroverse K. Scholder – K. Repgen betont Wolf mitseinen neu ausgewerteten Quellen nur die Bereitschaft der Kurie,nach dem Modell des Kompromisses mit dem italienischenFaschismus auch mit der Hitler-Partei zunächst einen „neuenKulturkampf“ um jeden Preis zu vermeiden. Nach englischenDiplomaten-Erinnerungen soll Pacelli gesagt haben: „Eine Pistolesei gegen seinen Kopf gerichtet gewesen, und er habe keine Alterna-tive gehabt“ (S. 202). Im „delikaten“ 4. Kapitel zur „römischenKurie und der Judenverfolgung“ (S. 205-251) kann Wolf u. a.belegen, dass von den zahlreichen jüdischen Eingaben allein dieder Münsterschen Dozentin Dr. Edith Stein – dank kirchlicherUnterstützung – vom Kardinalstaatssekretär Pacelli im Jahre 1933„pflichtgemäß“ Papst Pius XI. vorgelegt wurde. Im Schlusskapitelüber die „Katholische Weltanschauung und NS-Ideologie“ (S.254-310) geht Wolf von einer Denkschrift von 1933 aus auf dasinnervatikanische Spannungsverhältnis von „Lehre und Politik“ein.Im Hinblick auf weitere Bearbeitungen sei beispielhaft nur aufdrei Versehen verwiesen, wie „archivisch oder archivarisch aufbe-reiten“ (nicht archivalisch wie S. 23), die Deutsche Bischofskonfe-renz (S. 69) gab es erst nach dem II. Vatikanum und Alfred Rosen-berg steht auf dem Bild S. 282 am linken Rand.Eine differenzierte Zeittafel, die von der Postulation BischofBertrams zum Fürstbischof von Breslau (27.5.1914) bis zur Wahlvon Papst Pius XII. (2.3.1939) reicht und ein Personenregister run-den das Buch ab.Vergeblich sucht man ein klassisches Quellen-verzeichnis der benutzten vatikanischen Quellen, die nur in dennachgestellten und knappen Anmerkungen zu finden sind, diemit den abschließenden „Literaturhinweisen“ verzahnt sind. 28gut dimensionierte Schwarz-Weiß-Bilder und eine Bistumskartevon 1930 ergänzen den ansprechenden Gesamteindruck. Im„Dank“ (S. 307-310) gibtWolf (u. a. 2003 Leibnitz-Preis) einen Ein-blick in das ihm für seine weiteren Forschungen zur Verfügungstehende außerordentliche wissenschaftliche Netzwerk.Hubert Wolf schließt sein (unter gelegentlichem Aufgriff von„Biertisch-Argumenten“) gut lesbar geschriebenes Werk ausge-hend von wahrscheinlichen Überlegungen des italienischen Ducevon 1938 zu kirchlichen Sanktionen gegen A. Hitler, für den alsReichskanzler der Kirchenbann „schlicht nicht in Frage kam“,mit der nicht sonderlichen neuen Feststellung (S. 306): „Hitlerblieb bis zu seinem Tod Mitglied der katholischen Kirche. Auchein Teufel konnte wie der Papst katholisch sein“.

Reimund Haas, Köln

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AUSGANGSLAGE

Am Rande der Münsteraner Innenstadt liegt das frühere Staatsar-chiv Münster, das Hauptgebäude der heutigen Abteilung Westfa-len des Landesarchivs NRW. Der Ort wird bestimmt durch dieLage dicht an einer vielbefahrenen Kreuzung von Ausfallstraßenund die Nähe zur Promenade, die sich auf den Überresten dermittelalterlichen Stadtbefestigung als Grüngürtel um die Innen-stadt zieht. Das Archivgebäude besteht aus zwei architektonischdeutlich voneinander abgesetzten Gebäudeteilen, dem „Altbau“aus dem Jahre 1887, dem ersten nach der Magazinbauweisegebauten preußischen Archivzweckbau, der seit 1983 unterDenkmalschutz steht, und dem immer noch sogenannten „Neu-bau“ aus dem Jahre 1976.1 Will man den viele Passanten an einGefängnis erinnernden flach gedeckten Betonbau nicht einfachhässlich nennen, könnte man sagen, dass er die markantenFormen des siebengeschossigen Neorenaissance-Altbaus mitseiner phantasievoll gegliederten Ziegelfassade und den Treppen-giebeln, die aus zwei Richtungen von weitem zu sehen sind unddas Stadtbild an dieser Stelle prägen, mit seiner einheitlichgrauen Fassade unterstreicht.Während der Altbau ausschließlichals Magazin genutzt wird und werden kann, besteht der Neubauaus einem zusammenhängenden Verwaltungs- und einem Maga-zingebäudeteil, die den Lesesaal und den darunter liegendenVortragsraum sowie einen Innenhof von allen Seiten ein-schließen.Der Altbau war zuletzt nach dem Krieg in Stand gesetzt worden,jedoch war der einzige grundsätzliche Mangel des dickwandigenZiegelbaus damals nicht behoben worden: seine großen, nachWesten gehenden, einfach-verglasten Fenster. Nach der Inbetrieb-nahme des Neubaus 1976 wurden dort deshalb „nur“ Grundak-ten gelagert, bis deren Umzug in eine neue Außenstelle nachMünster-Coerde im Jahre 20042 zum – bewusst in Kauf genom-

menen – Leerstand des Altbaus führte: Das Gebäude war nachder DIN ISO-Norm 11799 aufgrund hoher Temperaturen undLuftfeuchtigkeit nach heutigen Maßstäben nicht magazintaug-lich. Dennoch wurde er vom Vermieter nicht als grundsanie-rungsbedürftig betrachtet. Die vom Archiv gewünschten Maß-nahmen wurden stattdessen lediglich als „Verbesserung“ einge-stuft. Ein leerstehendes historisches Gebäude wirkt auf Entschei-dungsträger jedoch deutlich stärker als ein belegtes Magazin,dessen mangelnde Eignung man immer neu verbal erklärenmuss. Die vom Archiv mit Hilfe eines auf Magazinbauten spezia-lisierten Architekten vorgelegte Low-Budget-Lösung überzeugteschließlich die Verantwortlichen und führte zur Einbeziehungder „Verbesserung“ des Altbaus in die Maßnahme Grundsanie-rung des Gebäudekomplexes am Bohlweg – übrigens durchaus inder Realisierung nicht zum Spartarif, aber dazu unten mehr.Am Neubau waren bereits seit 1994 große bauliche Mängelaufgefallen und zum Teil gutachterlich bestätigt worden. DieStandsicherheit der aus Betonplatten bestehenden Fassade warnicht gewährleistet, so dass die Gefahr bestand, dass einzelneBetonplatten herunterfielen. Die Forderungen des Gutachters von1995 nach einer ersten Sicherung mit nachfolgender Sanierungverhallten jedoch, bis derselbe Gutachter 2007 ein weiteresGutachten erstellte, das die notwendigen Maßnahmen einleitete.1997 waren die Heizungsregelanlage und die raumlufttechni-schen Anlagen abgängig; das Fehlen jedweder Wärmedämmungwurde moniert. Das Flachdach des Neubaus wies an vielenStellen Undichtigkeiten auf. Die Fenster des Neubaumagazinswaren nur einfach verglast, was – abgesehen vom ungewolltenund ungehinderten Einfall von Sonnenlicht – zu Schwitzwasseran den Wänden führte. Die Luftumwälzungsanlage, mit derallein auf das Klima in den Neubaumagazinen eingewirkt wer-den konnte, funktionierte seit Jahren nicht. Im Bürotrakt wurdezusätzlich die mangelnde Funktionalität der aus Holz und

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DIE GRUNDSANIERUNGIM LANDESARCHIV NRWABTEILUNG WESTFALENIN MÜNSTER

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Aluminium bestehenden Fensterkonstruktion moniert. Im Jahre1999 wurde erstmals über das Projekt einer Grundsanierunggesprochen, jedoch ohne konkrete Folgen. Im Zuge des Über-gangs der Immobilie an den aus dem Staatshochbauamt Münsterhervorgegangenen Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) NRW,Niederlassung Münster, wurde 2002 ein Begehungsprotokoll zumMietvertrag erstellt, das die vielen, zum Teil gravierenden Mängeldetailliert auflistete.Nachdem die Abteilungsleitung Anfang 2004 das ThemaGrundsanierung auf die Agenda gesetzt und die Zentrale desLAV in Düsseldorf und den BLB mit ins Boot geholt hatte,dauerte es bis Mai 2007, bis die Zusage des Finanzministeriumsvorlag, die veranschlagten Kosten von 3,5 Millionen Euro zuübernehmen. Es folgten 11 Monate der konkreten Vorbereitungdurch den BLB in enger und kooperativer Abstimmung mit demNutzer, bevor im April 2008 die Grundsanierung begann. Sie warauf ein Jahr angelegt und dauerte de facto zwei Monate länger.Die Planung wurde auf sechs, später fünf Bauabschnitte imVerwaltungstrakt ausgerichtet, während Dienst- und Lesesaalbe-trieb aufrecht erhalten blieben.Die Zusammenarbeit mit dem BLB kann man aus archivischerSicht während der Planungs- und während der Ausführungspha-se nur mit dem Prädikat „sehr gut“ beschreiben, ein „sehr gut“,das auch der durch den Brand im Lesesaal hervorgerufenen Krise(siehe dazu unten) standhielt. Der BLB nahm alle Nutzerwün-sche konstruktiv auf und realisierte sie im Rahmen des Mögli-chen. Monatliche Regelbesprechungen mit allen Verantwortlichengehörten genauso wie die tägliche Baubegleitung durch den BLBund die dauernde Feinabstimmung mit dem Archiv in allenFragen, die zwischen den Regelbesprechungen bei bis zu siebenparallelen Baustellen im Haus zwangsläufig auftraten, zum festverabredeten Kommunikationsgerüst. Die Fäden liefen auf Seitendes BLB wie des Archivs in jeweils einer Hand zusammen, so

dass es vergleichsweise wenig Informationsverlust und wenigeMissverständnisse gab. Die Verwaltung des Archivs sorgte imHaus durch „Emails an alle“ immer zeitnah für Transparenz,wenn über neue Entwicklungen, Terminpläne, Terminverschie-bungen etc. zu berichten war. Stellt man in Rechnung, dass dievielen Umzüge innerhalb des Hauses vom Archivpersonal selbstzu bewerkstelligen waren, stellt man darüber hinaus in Rech-nung, dass das Kollegium über vierzehn Monate Lärm, Staubund einer mit jedem Umzug größer werdenden Unordnungausgesetzt war, dann ist es erstaunlich, dass die ganze Maßnahmemit viel Gleichmut und unerwartet wenig Kritik ertragen, dafüraber mit vielen konstruktiven Vorschlägen begleitet wurde.

SANIERUNG DES BÜROTRAKTS

Fünf Bauabschnitte: das bedeutete, dass die Mitarbeiter inEtappen jeweils einmal in ein Provisorium umzogen. Unabhängigvom Verwaltungstrakt wurden Alt- und Neubaumagazine, derLesesaal, der Vortragsraum, Foyer und Pforte sowie Flure undKellerräume saniert. Im Verwaltungstrakt begannen die einzelnenBauabschnitte jeweils mit einer Asbestsanierung. Die Asbest in

1 Zum Gebäude vgl. Martin D. Sagebiel, Preußische Verwaltungsbauten inMünster 1814-1918 in Karten und Plänen (Veröffentlichungen der staatlichenArchive des Landes Nordrhein-Westfalen,Reihe D,Ausstellungskataloge staat-licher Archive 26), Münster 1992, S. 77-83.

2 Vgl. Gabriele Kießling und Beate Dördelmann, Zwei neue Außenstellen desStaatsarchivs Münster „so wie es Akten mögen“, in: Der Archivar 60 (2007),S. 46-50.

Außenansicht des Landesarchivs NRWAbt.Westfalen mit Alt- und Neubau (Foto: Peter Fröhlich/Landesarchiv NRW)

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gekapselter Form enthaltenden, in den 1990er Jahren ummantel-ten Stahlstützen zwischen den Fenstern mussten wegen der neuenFensterrahmen wieder angetastet und diesmal vollständig vonAsbest befreit werden. Danach wurde jeweils gedämmt, dieHeizungen und die Fenster samt Rahmen ausgetauscht; dieRäume erhielten einen neuen Linoleumbelag und einen neuenAnstrich. Gleichzeitig wurden die sanitären Anlagen völlig neugestaltet. Die Fotowerkstatt und die Restaurierungswerkstatterhielten über die Veränderungen, die auch in den Büros stattfan-den, hinaus einen Fußboden, der strapazierfähiger war und einlängeres Stehen der Mitarbeiter stärker abfederte und bequemermachte. Darüber hinaus wurde die alte Fotowerkstatt von sämtli-chen Installationen aus der Zeit der Analogfotografie befreit; indiesem Teil des Hauses wurde die Raumaufteilung neu definiertund trägt jetzt den Anforderungen an die Unterbringung vonmehreren Aufsichtscannern Rechnung. Aus einem Ensemble vonkleinen Studios und Labors auf zwei Etagen wurden so einegroße Reprowerkstatt und ein Mehrzweckraum auf Höhe desUntergeschosses gewonnen.

LESESAAL UND BENUTZUNG

Der Lesesaal sollte zunächst nur teilsaniert werden: Fenster,Asbestsanierung, Dämmung, Heizung, Fußboden und Anstrichsollten zwar ebenso durchgeführt werden wie in den Büros,jedoch sollten die Decke und die in ein voluminöses Gestelleingebrachten Leuchten ebenso erhalten bleiben wie ein Lasten-aufzug, der zwar seit 20 Jahren außer Betrieb war und viel Platzkostete, dessen Entfernung jedoch das Budget überstieg. DiesePläne bestanden bis zum frühen Abend des 7. August 2008, alsauf dem Flachdach über dem Lesesaal infolge von Schweißarbei-

ten ein Feuer ausbrach, das sich durch die Decke auf die soge-nannte „Galerie“ über dem Lesesaal fraß. Dort gelangte es ineinen kleinen mit einer Glaswand abgeteilten Raum, in dem einMikrofilmlesegerät stand, das ebenso ausbrannte wie der dazu-gehörige PC und ein Monitor in der Nachbarkabine. Das voneiner Mitarbeiterin entdeckte Feuer konnte zum Glück schnellvon der Feuerwehr gelöscht werden, und der Schaden am Gebäu-de blieb überschaubar – bei allem Schrecken, den ein Feuerauslöst und auch im Kollegium und in der Nachbarschaft aus-gelöst hat, waren doch weder Menschen zu Schaden gekommennoch Archivalien betroffen: Das unter der Galerie befindlicheFindbuchzimmer mit allen Findbüchern des Hauses sowie diedort zur Wiedervorlage liegenden Archivalien waren vom Lese-saal durch eine dünne Glaswand letztlich sicher geschützt, unddurch den gezielten Einsatz der Feuerwehr von „möglichst wenigWasser“ auf der Galerie konnte auch ein Durchfeuchten vonoben verhindert werden. Es genügte, Findbücher und Archivalienanschließend trocken zu reinigen.Was jedoch der Ruß auf derGalerie und im Lesesaal selbst anrichtete, ist in seiner Wirkungschwer zu beschreiben. In der Folge mussten auf den Rat vonFachleuten und Gutachtern alle sieben im Lesesaal für dieV.E.R.A.-Benutzerverwaltung und Archivalienbestellung stehenden PCs samt Monitoren, Tastaturen, Mäusen und Durchzug-scannern ersetzt werden, außerdem sämtliche Mikrofilm- undMikrofichelesegeräte inklusive der für die Benutzer frei verfügbaraufgestellten Fiches. Die Bücher der Handbibliothek, die demRauch unmittelbar ausgesetzt gewesen waren, wurden im An-schluss an die Trockenreinigung für zwei Monate in einen Raummit Ozon verbracht, um das Papier von dem beißenden Geruchzu befreien. Neben den geplanten Teilen der Sanierung wurdennun auch die Decke und die Leuchten in die Maßnahme miteinbezogen sowie der vor Jahrzehnten überflüssig gewordeneLastenaufzug entfernt.

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7. August 2008: Ausgebrannte Lesesaalkabine (Foto: Peter Fröhlich/Landesarchiv NRW)

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Der Plan des Archivs, den Lesesaal trotz des Lärms und desStaubs während der Sanierungsphase uneingeschränkt offen zulassen, war durch den Brand durchkreuzt worden. Bis im Vor-tragsraum ein provisorischer Lesesaal mit eingeschränktenBenutzungsbedingungen eingerichtet werden konnte, vergingensechs Wochen, war der Vortragsraum doch für andere Ersatznut-zungen während der Grundsanierung ununterbrochen verplantaußer in den Wochen, in denen er selbst saniert werden sollte.Die ursprünglich auf acht Wochen angesetzte Lesesaalsanierungzog sich nach dem Brand über fünf Monate hin, so dass dieRückkehr zu den gewohnten Benutzungsmodalitäten erst imJanuar 2009 erfolgen konnte.Das Ausmaß der nach dem Brand erforderlichen Baumaßnah-men brachte auch den Vorteil, dass nun die Lesesaalkonzeptiongrundlegend überdacht werden konnte. Dabei wurde der Blicknach vorne gerichtet.Waren für die Benutzer schon seit einigenMonaten Anmeldung, Recherche, Aufgabe von Fotoaufträgen etc.

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auf elektronischem Wege gängige Arbeitsschritte im Lesesaal,3 sowird die nächste Neuerung nicht mehr lange auf sich wartenlassen: die Benutzung digitalisierten Archivguts im Lesesaal. Denalthergebrachten Leseraum zum digitalen Lesesaal aufzurüsten,war die Devise. Hierzu wurde die Galerie im ersten Stock desLesesaals, wo sich bisher Benutzerkabinen und die gesamteAusstattung zur Benutzung von Filmen, Fiches etc. befand,komplett entkernt. Es werden hier, an einer Stelle, die von derAufsicht nicht eingesehen werden kann und wo kein Originalar-chivgut benutzt werden kann, normale Tischreihen aufgebaut. Esist vorgesehen, auf diesen Tischreihen zunächst sechs, spätermöglicherweise mehr, PCs aufzubauen, an denen BenutzerDigitalisate benutzen können.

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Bauarbeiten im entkernten Lesesaal (Foto: Peter Fröhlich/Landesarchiv NRW)

3 Vgl.Anke Hönnig/Johannes Burkardt/Mechthild Black-Veldtrup,Erschließung– Bereitstellung – Magazinverwaltung. Entwicklung und Einsatz vonV.E.R.A.im Landesarchiv NRW. In: Archivar 61 (2008), S. 310-317.

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„Normal“ sind die Tische auch nicht: jeder Tisch im Lesesaalbe-reich ist über Bodentanks mit einer Stromzufuhr und einemNetzwerkanschluss versehen, sodass auf jedem Tisch einfach einPC-Arbeitsplatz eingerichtet und auch unten, im „klassischen“Leseraum bequem mit Laptops gearbeitet werden kann. DieEinrichtung einer Reihe von Computern an der Rückseite desLesesaals zur Anmeldung, Bestellung etc. reduzierte zwar dieZahl der Benutzerarbeitsplätze im unteren Bereich des Lesesaalsvon 30 auf 28, das soll aber in Zukunft durch die PC-Arbeitsplät-ze auf der Galerie kompensiert werden.Geändert wurde auch die Aufstellung des Bibliotheks-Handappa-rates, der bisher direkt hinter dem Eingang im unteren Lesesaal-

bereich aufgestellt war. Er hat jetzt auf einer kleinen Empore aufHöhe der Galerie seinen Platz gefunden. Früher waren hiermehrere Lesegeräte für Filme und Fiches aufgestellt gewesen, dieaber in den vergangenen Jahren immer weniger genutzt wordenwaren.Im Bereich des Handapparats wie des Findmittelraums wurdendie bisher verwendeten funktionalen Stahlregale durch Holzrega-le mit kleinen Gefachen ersetzt. Das bewirkte zum einen einestabilere Aufstellung der meist großformatigen Bücher, die aufstählernen Regalböden gerne ins Rutschen und Kippen gerieten,zum anderen wurde so eine angenehmere, ja fast wohnlicheAtmosphäre geschaffen.

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Der neue Lesesaal nach der Renovierung (Foto: Johannes Burkardt/Landesarchiv NRW)

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MAGAZIN

Im Bereich des 1974 fertig gestellten Magazintraktes bereiteten dieursprünglichen, aus Aluminium konstruierten Fensterschartenund das schlecht isolierte Flachdach Sorgen. Die Fenster hieltenRegenwasser und Sonnenlicht bzw. UV-Strahlung nicht ab. DasWasser lief an den Außenwänden herunter, und die in unmittel-barer Nähe liegenden Archivkartons verblichen zusehends. Undunter dem mit Kies belegten Teerpappedach herrschten imHochsommer Temperaturen von weit über dreißig Grad Celsius.Abhilfe schufen neue Fensterpaneele. Von außen nicht von denehemaligen Fenstern zu unterscheiden, lassen sie weder Lichtnoch Wasser durch und isolieren den Raum besser ab. Anfängli-che Klagen über die nicht mehr vorhandene schöne Aussicht unddie „Bunkeratmosphäre“ in den Magazinräumen wichen baldder Einsicht über die Verbesserung.Das Dach erhielt eine neue Isolierschicht, was im Sommer 2009eine spürbare Verbesserung des Magazinklimas brachte.Zusammen mit der übrigen Haustechnik wurde auch die in denletzten Jahren wegen ihrer Störanfälligkeit kaum noch benutzteBe-, Entlüftungs- und Befeuchtungsanlage im Magazin kompletterneuert. Auch diese Maßnahme bewirkte durch die nun gegebe-ne regelmäßige Luftumwälzung eine spürbare Verbesserung desMagazinklimas.Zu guter Letzt wurde ein weiterer Missstand behoben, der vonBestandserhaltern, Magazindienst und Fahrdienst gleichermaßenbeklagt worden war: die offene Rampe zur Anlieferung vonArchivgut auf der Rückseite des Gebäudes. Hier wurde gegenEnde der Baumaßnahmen ein großzügiges Glasdach installiert,was nun einen wenn schon nicht witterungsunabhängigen, sodoch zumindest trockenen Transport von Archivgut garantiert.

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EINRICHTUNG DES ALTBAUS ALSURKUNDENARCHIV

Besonderes Augenmerk galt bei den Sanierungsmaßnahmen demAltbau des Staatsarchivs aus dem Jahr 1887. Dieser hatte zuletztGrundbücher und Grundakten beherbergt und stand nach derenAuslagerung in ein Außenmagazin in der Speicherstadt Münster-Coerde jahrelang leer. Seine riesigen ungeschützten Fenster-flächen aus einfachem Glas bewirkten Klimaschwankungen, dievon den üblichen Normen weit abwichen.Eine neue Nutzung des Gebäudes drängte sich geradezu auf, alssich die Leitung der Abteilung Westfalen entschloss, ein langeüberfälliges Projekt in Angriff zu nehmen: die Umbettung undUmlagerung des Urkundenbestandes. Die Lagerbedingungen derca.100.000 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Urkundenwaren untragbar geworden, und schon seit Jahren war man umAbhilfe verlegen gewesen. Die Urkunden waren – und sind zumTeil noch – in säurehaltige Papiertüten verpackt und liegen dichtan dicht aufeinandergestapelt in uralten, mittlerweile fast schonabgängigen Strohpappekartons aus den ersten Jahren des20. Jahrhunderts. Diese Lagerung bot fast keinen Schutz vormechanischen Schäden, die denn auch häufig zu beobachtensind. Ein Weiteres tat die klimatisch ungünstige Lagerung imobersten Magazinstockwerk, direkt unter dem mit Teerpappegedeckten Flachdach.Nach einer ca. zweijährigen Erprobung diverser Verpackungsma-terialien begann die Umbettung des Urkundenbestands. DieUrkunden werden auf Museumskarton montiert, in säurefreieKlappmappen verpackt und zu maximal 5-6 Stück in eigenskonstruierten Urkundenkartons gelagert, die nach vorne hin soabgeschrägt sind, dass sie sich öffnen lassen, ohne dass eventuell

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Findbuchzimmer nach dem Umbau(Foto: Johannes Burkardt/Landesarchiv NRW)

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Auch wenn die Umbettung der Urkunden natürlich noch nichtabgeschlossen ist – das wird noch Jahre dauern –, so sind siedoch inzwischen alle in den frisch umgebauten Altbau umgezo-gen und so auf die dortigen Standregale verteilt worden, dass inZukunft im Rahmen der Umbettungsarbeiten keine großenRückmaßnahmen mehr nötig sein werden. Die übrigen, freienMagazinteile (ca. zwei Etagen) sind zurzeit mit Archivgut desHistorischen Archivs der Stadt Köln belegt. Nach deren Abzug istvorgesehen, weitere wertvolle Archivalien der Abteilung Westfalendes Landesarchivs dort einzulagern, insbesondere die selektier-ten, großformatigen, in „Pizzakästen“ plangelegten besondersalten und wertvollen Urkunden und die Manuskriptesammlun-gen. Dass dieser Gebäudeteil nur über vergleichsweise langeVerkehrswege des Hauses zu erreichen ist und die dort lagerndenUnterlagen nur mit einem gewissen Aufwand ausgehoben werdenkönnen, wird bewusst in Kauf genommen: seit geraumer Zeitlaufen intensive Digitalisierungsmaßnahmen, die in kurzer Zeitsicherstellen werden, dass im Lesesaal elektronische Medieneingesehen werden können und eine Aushebung der Urkundennur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen muss.

FAZIT

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Grundsanierung desGebäudes am Bohlweg Verbesserungen auf unterschiedlichenEbenen bewirkt hat. Die Kolleginnen und Kollegen freuen sichüber leicht gängige Fenster und Beschattungsmöglichkeiten, einefunktionierende Dämmung und Heizung sowie über die sehr vielschöneren Büros, Flure und Sanitäranlagen. Das ganze Gebäudeist heller und freundlicher geworden. Im Lesesaal und in denMagazinen konnte die Grundsanierung mit archivischen Zielenverbunden werden. Der größte Gewinn ist sicher die Umlagerungder 100.000 Urkunden in den Altbau, die mit ihrer Umbettungund Digitalisierung einhergeht. Aber auch das neue Dach überder Anlieferung und die Neuausrichtung des Lesesaals im Hin-blick auf die elektronische Ausrüstung der Benutzer und dieanstehende Bereitstellung von Digitalisaten in größerem Stilwaren nur im Rahmen der Baumaßnahme möglich. Auch dieBenutzer urteilen positiv über den neuen Lesesaal. So hat dasLandesarchiv NRW Abteilung Westfalen mit dem Hauptgebäudeam Bohlweg und den anderthalb gut gerüsteten Speichern inMünster-Coerde baulich gesehen im Jahre 2009 einen Meilen-stein erreicht, der für die kommenden Jahre Planungssicherheitgibt.

Mechthild Black-Veldtrup/Johannes Burkardt, Münster

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auf den Karton gestapelte weitere Behältnisse weggeräumt wer-den müssen.4 Möglichst wenig Bewegung lautet die Devise!Für eine sachgerechte Lagerung der Urkunden war wesentlichmehr Platz einzuplanen. Galt es doch, anstelle der bisher ca. 5.600Kartons (= ca. 630 lfm.) perspektivisch Platz für 16.000 bis 20.000Urkundenkartons (ca. 2.300-2.800 lfm.) bereitzustellen. DerStaatsarchiv-Altbau bot hierfür, eine klimatechnische Aufrüstungvorausgesetzt, mit seinen 3.115 laufenden Metern Gesamtkapa-zität die idealen Rahmenbedingungen. Neben den günstigenPlatzverhältnissen war bei der Planung die fest eingebaute Stand-regalanlage verlockend: sie bietet eine optimale, ruhende Ablagefür die fragilen Objekte, insbesondere die Siegel.Die nötige Ertüchtigung des Bauwerks erfolgte durch den Aus-tausch sämtlicher Fenster durch dicke Blindfenster (Fenster-paneele), die nicht nur das Sonnenlicht aussperren, sondern auchmit ihren Isolierschichten zur Stabilisierung der Raumtempera-tur beitragen. Nach außen hin wurde, den Anforderungen desDenkmalschutzes entsprechend, das ursprüngliche Sprossenwerkvon 1887 aus sibirischer Lerche naturgetreu nachempfunden,sodass dem Betrachter von außen die Neuerung gar nicht auf-fällt. Eingebaut wurde auch eine natürliche Klimatisierung.Elektronische Mess- und Regeltechnik regelt jetzt die Beheizung,Be- und Entlüftung des Gebäudes, wobei natürlich an die ineiner Innenstadt unumgänglichen Luftfilter gedacht wurde. Dieersten Erfahrungen, die mit dieser Anlage in den letzten Winter-monaten und im Sommer 2009 gesammelt werden konnten, sindausgesprochen positiv.

4 Einzelheiten bei Johannes Burkardt, Bestandserhaltung und Bestandssiche-rung mittelalterlicher Urkunden im Landesarchiv NRWAbteilung Westfalen,in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters: Äußere Merkmale,Kon-servierung, Restaurierung, hg. von Irmgard Fees, Andreas Hedwig, FrancescoRoberg, Eudora-Verlag Leipzig 2009 (im Druck).

Mit umgebetteten Urkunden belegtes Regal im Altbau nach derSanierung (Foto: Peter Fröhlich/Landesarchiv NRW)

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ARCHIVE UND POLITIK

INTERNATIONALESARCHIVSYMPOSIONIN MÜNSTER 2009

Das jährliche Symposion für Führungskräfte von Archiven ausBelgien, Luxemburg, den Niederlanden und Deutschland (Rhein-land-Pfalz und Nordrhein-Westfalen) fand 2009 auf Einladungdes Landesarchivs Nordrhein-Westfalen am 15./16. Juni in dessenTechnischem Zentrum in Münster-Coerde statt. Das Leitthemalautete „Archive und Politik“.In seinem Einführungsvortrag stellte Johannes Kistenich (Landes-archiv NRW) den Tagungsort vor, der selbst Resultat einer ziel-gerichteten Entscheidung der nordrhein-westfälischen Landes-regierung war. Die auf Sparflamme kochende Bestandserhaltungder staatlichen Archive in NRW sollte seit 2003 systematischerweitert und große Rückstände abgearbeitet werden. Angesichtsder gestiegenen Bedeutung der Bestandserhaltung in der jüngerenVergangenheit war die Einrichtung des Technischen Zentrumseine wegweisende Entscheidung. Kistenich konnte deshalb eineselbstbewusste Bilanz der Arbeit in Coerde seit der offiziellenEröffnung im Januar 2006 ziehen.Unter der Leitung von Norbert Tiemann, Chefredakteur der„Westfälischen Nachrichten“ in Münster, diskutierten unter demMotto „Politik trifft Archive“ Vertreter der Politik und der Archi-ve aus den vier Ländern die gegenseitigen Ansprüche und Erwar-tungen. Thomas Sternberg, kulturpolitischer Sprecher der CDUim Landtag von NRW, bekannte, dass Archive im Allgemeinennicht im Fokus der Politik und der Kulturpolitik stehen, wennman vom Sonderfall Köln absieht. Er betonte, wie notwendig dieUnabhängigkeit der Archive in Bewertungsfragen sei und saheine ihrer Funktionen als Speicher für Alternativen zum gängigenDenken. Der Platz der Archive sei nicht in der Eventkultur.Aufmerksamkeit erregte seine Forderung, Archive sollten nichtselbst Forschung treiben. Gerard van den Hengel, Beigeordneterfür Kultur der Stadt Barneveld (Niederlande), sah Archivtätigkeitzwar ebenfalls nicht als „core business“ der Kommunalpolitik,rief aber dazu auf, diesen Beruf aufzuwerten, dessen Imageverbessert werden müsse. Er sprach als Herausforderung dieoffene Frage an, wie im digitalen Zeitalter Unterlagen von Privat-personen aufbewahrt werden können. Karl-Heinz Lambertz,Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Eupen,machte sich als Vertreter Belgiens keine Illusionen über dieSchnelllebigkeit der Politik. Dagegen trügen die Archive entschei-dend zum kollektiven Bewusstsein bei. Er belegte dies mit dem

Beispiel der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Für dieArchive sei bei den Finanzministerien viel Lobbyarbeit zu leisten,um das digitale Zeitalter ebenso bewältigen zu können wie dieBeschleunigung der Wissensgesellschaft. Lambertz forderte dieHarmonisierung der Archivarbeit in Europa, um internationaleStandards flächendeckend einführen zu können.Auf Seiten der Archive betonten aus Deutschland Arie Nabrings,Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums inPulheim, und der Berichterstatter, dass Hilfestellung der Politiknotwendig sei, um elektronische Unterlagen sichern zu können.Martin Berendse, Direktor des Nationalarchivs der Niederlande,sah neue Archive heraufziehen, in denen Informationsbeamte dieTätigkeit der Regierungen als Dienstleister unterstützen.Vor demHintergrund der Identitätskrise der Niederlande nach denMorden an Theo van Gogh und Pim Fortuyn war er skeptischgegenüber der Mitwirkung der Archive an der nationalen Iden-titätspolitik. Karel Velle, belgischer Generalarchivar, wollte dieHilfe der Politik nicht nur auf finanzielle Aspekte beschränktsehen. Zwar betonte auch er, wie wichtig es sei, archivischeInfrastrukturen zu modernisieren. Genau so wertvoll seien aberformelle und informelle Kontakte zu Politik und Verwaltung. Ihmstimmte nachdrücklich Josée Kirps, Direktorin des Nationalar-chivs von Luxemburg, zu, die selbst aus der Ministerialverwal-tung ihres Landes kommt und beide Seiten kennt.In der Diskussion wünschte sich Thomas Sternberg die stärkereEinbeziehung der Archive in die Kulturpolitik und eine stärkereVerankerung in der Öffentlichkeit und in den Schulen. Gerardvan den Hengel sah die Archive mit neuen Funktionen in einerGesellschaft, die über mehr Freizeit verfüge und folgerichtiglängere Öffnungszeiten wünsche. Angesichts der archivischenErwartungen blieb eine Diskrepanz hinsichtlich der erwartetenInvestitionen in archivische Infrastrukturen, weshalb Karl-HeinzLambertz dazu aufrief, „quick wins“ auf beiden Seiten zu ermög-lichen. Jacques van Rensch (Regionaal Historisch CentrumLimburg, Maastricht) resümierte, die Archive hätten den Politi-kern mehr zu sagen gehabt als umgekehrt die Politiker denArchiven. In dem von ihm moderierten zweiten Teil berichtetenArchivarinnen und Archive über praktische Fälle des Zusammen-spiels von Archiven und Politik in ihren jeweiligen Ländern.Urs Diederichs (Historisches Zentrum der Stadt Remscheid) sah

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„Archive in den Fängen der Kommunalpolitik“. Auf der Suchenach einem Standort für ein Kommunalarchiv in Remscheid seier in einem Kampf zwischen in etwa gleich starken politischenBlöcken geraten, der letztlich wegen der Stimmen einer kleinenWählergemeinschaft für das Archiv erfolgreich ausgefallen sei.Die Expertise der Archivberatungsstelle Rheinland bot wichtigeSchützenhilfe. Diederichs zog als Lehre aus dem Kampf, dassArchive immer mit (Kommunal-)Politik zu tun haben. Nursollten sie nicht selbst Akteure sein wollen, sondern sich vielmehrdie Netzwerke außerhalb der Politik zunutze machen, z. B. dieGeschichts- und Heimatvereine. Die Pflege der Netzwerke seiwichtiger als die eigentlich archivarische Arbeit. In der Diskussi-on wurde ergänzt, die Verwaltung sei mit ihren vielen Stimmenin die Netzwerkpflege einzubeziehen.Beate Dorfey (Landeshauptarchiv Koblenz) legte eine aktuelleStandortbestimmung zum Verhältnis ihres Hauses und derPolitik in Rheinland-Pfalz vor. Sie beschrieb Formen von Abwehrund Verteidigung, Aktion und Reaktion am Beispiel von vierFällen: die Übernahme der Personenstandsunterlagen aufgrundneuer Rechtslage zum 1.1.2009; die Novellierung des Landesar-chivgesetzes; die Öffentlichkeitsarbeit; die Digitalisierungsstrate-gie. Karel Velle behandelte die belgische Archivgesetzgebung und

den Einfluss der Politik. Im Rahmen der von ihm beschriebenenNovellierung des Archivgesetzes von 1955 seien endlich dieSperrfristen von 100 Jahren auf 30 Jahre reduziert worden. Erstmassiver Druck der Forschung habe die Archive in den Standversetzt, endlich Akten zur Zeitgeschichte übernehmen underschließen zu können. Als Sonderproblem in Belgien, dem Landdes surrealistischen Malers Magritte (so Velle), komme derUmgang mit Archivgesetzen in den föderierten Gebietskörper-schaften Flanderns, der Wallonie und Brüssel hinzu.WelcheGebietskörperschaft ist befugt, über die Archive zu entscheiden?Durch ein System von Dekreten versucht Belgien, mit seinenArchiven handlungsfähig zu bleiben. Alfred Minke (StaatsarchivEupen) zeigte auf, wie sein Haus als Folge der Reform des belgi-schen Staats seit 1983 entstand. Die Regierung der Deutschspra-chigen Gemeinschaft förderte und forderte die Einrichtung einesStaatsarchivs Eupen, vor allem der damalige GeneralarchivarCarlos Wyffels. Allerdings sei die Ausbalancierung verfassungs-rechtlicher Fragen schwierig gewesen. Durch Vertrag konnte 1989das Staatsarchiv eingerichtet werden. Das Augenmaß derDeutschsprachigen Gemeinschaft bei der Durchsetzbarkeit desMachbaren habe sehr positive Ergebnisse gezeigt. Mit demgeplanten Umzug in das Parlamentsgebäude 2012 sieht Minke die

Podiums- und Plenumsdiskussion „Politik trifft Archiv“ (Foto: Kristian Peters/Landesarchiv Nordrhein-Westfalen). Von links nach rechts: Dr. Arie Nabrings(Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums), Prof. Dr. Karel Velle (Generalarchivar des Königsreichs Belgien), Josée Kirps (Direktorin der Archivesnationales, Luxemburg), Prof. Dr.Wilfried Reininghaus (Präsident des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen), Martin Berendse (Direktor des Nationaal Archief/AlgemeenRijksarchivaris, Niederlande)

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Nordrhein-Westfalen (und nicht nur sie) haben die Erfahrungmachen müssen, dass sie seit 1996 durch Kabinettsumbildungendreimal umressortierten und jeweils die Exekutive neu für ihreZwecke einstimmen mussten. Die Gesellschaft, organisiert inVereinen,Verbänden und informellen Netzwerken, ist ein weitererwichtiger Bündnisgenosse der Archive, auch die Forschung, wiesich in Belgien bei der Novellierung des Archivgesetzes von 1955zeigte. Die Archive selbst müssen sich fragen, wo sie am geschick-testen den Hebel ansetzen. Lobbyarbeit für das eigene Haus sei inder Tat Führungsaufgabe. Eine interessante Beobachtung amRande: Im Vergleich zu den Benelux-Staaten sind die leitendendeutschen Archivare inzwischen in einer Minderheiten-Position,denn alle jetzigen Nationalarchivare von Belgien, den Niederlan-den und Luxemburg haben Ausflüge in Politik und Verwaltungunternommen. Dabei haben sie Einblicke in die Möglichkeitengewonnen, Dinge im Sinne der Archive zu beeinflussen. InDeutschland ist ein solcher Wechsel in der Karriere von Archiva-rinnen und Archivaren äußerst selten.Das Programm wurde abgerundet durch einen Empfang imFriedenssaal des Rathauses von Münster durch BürgermeisterinKarin Reismann sowie eine Stadtbesichtigung.

Wilfried Reininghaus, Düsseldorf

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Konstituierung des Staatsarchivs Eupen als abgeschlossen an.Josée Kirps berichtete als Teil 2 eines Fortsetzungsromans überden aktuellen Stand der Neubauplanungen für ein Nationalar-chiv in Luxemburg. Nachdem die große Lösung in Esch 2005/06scheiterte, stehe nunmehr der Neubau wegen der dringlichenInvestitionen in der Baubranche auf der Prioritätenliste derRegierung weit oben. Allerdings habe man fast die Halbierungder Magazinfläche auf 16.900 qm hinnehmen müssen.Der Berichterstatter zog im Schlusswort ein Resümee. Als KarelVelle das Thema „Archive und Politik“ wegen der eminentenBedeutung in Belgien vorschlug, sei die Begeisterung anfangsnicht sehr groß gewesen. Die Haltung, „wir können doch nichtsbewegen“, sei aber einer Einstellung gewichen, die vom Bohrendicker Bretter im Sinne von Max Weber ausgeht. Mit der Politikmüsse immer wieder und bei jeder passenden Gelegenheitgeredet werden; Eskapismus sei keine Lösung. Notwendig seiaber eine Prüfung, wer überhaupt die Akteure von Archivpolitiksind. Archivpolitik gehe nicht vollständig in Kulturpolitik auf.Deshalb müssen als Ansprechpartner auch Vertreter der Innen-und Finanzpolitik gewonnen werden. Neben der Politik im Sinnevon Mandatsträgern in Parlamenten aller Ebenen darf die Ver-waltung nicht vernachlässigt werden. Die staatlichen Archive in

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Zum nunmehr sechsten Mal veranstaltete das Landesarchiv NRWAbteilung Ostwestfalen-Lippe am 24. Juni 2009 das „DetmolderSommergespräch“. Traditionell verstehen sich die „DetmolderSommergespräche“ als eine offene Kommunikationsplattformund eine fachliche Schnittstelle zwischen Familienforschung,Geschichtswissenschaft, Behörde und Archiv; die Programme der„Sommergespräche“ richten sich gleichermaßen an Historiker,Familienforscher und Archivare sowie Mitarbeiter von Behörden.Die Resonanz der bisherigen Veranstaltungen verdeutlicht dieregionale und überregionale Attraktivität dieses Konzepts, undauch diesmal kamen rund 100 Gäste und Referentinnen sowieReferenten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbar-ten Ausland.

„…WIE WÜRDE ICH FREUDIG AN DIEARBEIT GEHEN, WENN ICH MEINENBERUF AUSÜBEN KÖNNTE…“ARBEIT, BERUF UND GENEALOGIEIM SPIEGEL ARCHIVISCHER UNDMUSEALER QUELLEN

Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen stand in diesemJahr das Thema „Arbeit“. Insgesamt sieben Referentinnen undReferenten diskutierten dabei verschiedene Fragen der Arbeits-und Wirtschaftsgeschichte und zeigten beispielhaft Biografienund genealogische Zusammenhänge auf. Sie stellten archivischeund museale Quellen vor, anhand derer z. B. die eigene Familien-geschichte und vergangene Arbeitssituationen weiter erforscht

und besser verstanden werden können.Waschen, Nähen, Brotbacken, Pflügen, Schweißen, Schmieden, Fische säubern, Ziegelbrennen, Kohle fördern, Schafe hüten, Schreiben oder Unterrich-ten und viele Arbeiten mehr dienen und dienten dem Erwerbdes Lebensunterhalts. Arbeit konnte und kann aber auch Berufund Berufung sein. Von welchem Einkommen jemand lebte,unter welchen Bedingungen welche Art von Arbeit geleistetwurde, welche Berufe in einer Familie bevorzugt ausgeübtwurden, und wer in welcher Weise das Familieneinkommenerwirtschaftete, ist Teil von Biografien und Familiengeschichten.Umgekehrt wird Familien- und Personengeschichte erst dannbesonders interessant, wenn die Arbeitswelt der Einzelnen undderen wirtschaftliche Verhältnisse erkennbar werden. Fragen derAlltags-, Arbeits- und Wirtschaftsgeschichte sind insofern un-trennbar mit genealogischen und biografischen Forschungenverbunden.Den Einführungsvortrag der Veranstaltung hielt Julia Paulusvom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte in Münsterzu dem Thema „Arbeit und Beruf. Definitionen, historischeEinordnung und genealogische Bezüge“, in dem sie ein theoreti-sches und methodisches Grundgerüst für die Erforschung derGeschichte von „Arbeit“ vorstellte. Ihr zufolge sei nach demmodernen Verständnis Arbeit „Männersache“, „ein produktiverund kollektiver Prozess“, der Vergemeinschaftung schaffe, undder einen geregelten Anfang und ein durch Freizeit begrenztesEnde aufweist. Um historische Arbeitssituationen kultur- undgeschlechtergeschichtlich zu analysieren, reiche diese verkürzteund zu historisierende Sicht auf Arbeit nicht aus. Stattdessenmüssten weitere Differenzierungen für einen erweiterten Arbeits-begriff vorgenommen werden, die sowohl produktive und repro-

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6. DETMOLDER SOMMERGESPRÄCHAM 24. JUNI 2009

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duktive Arbeit berücksichtigen sowie deutlich machen, dass dieunterschiedliche Verortung von Frauen und Männern im Er-werbssystem das Ergebnis sozialer Konstruktionen darstellt, dieauf der Ebene sozialer Interaktion hergestellt und in Institutionenverfestigt wird. Daraus ergeben sich Vorstellungen von sogenann-ten Frauen- und Männerberufen, die insbesondere durch dieFamilienforschung anzufragen seien. Schließlich, so Paulus, seien„Arbeit“ und „Beruf“ abhängig von der jeweiligen Struktur undFunktion, die Familie in diesem System besitzt, wodurch der„Beruf“ als qualifizierte Arbeit in hohem Maße geschlechtsspezi-fisch codiert sei. Diese Leitthesen wurden im Laufe der Tagungimmer wieder aufgegriffen und diskutiert.In der ersten Sektion mit dem Titel „Arbeit, Beruf und Familie“,moderiert und eingeführt von Bettina Joergens (LandesarchivNRW, Detmold), fragten die Referentin und die Referenten nach1) dem Wandel von Arbeit, Arbeits- und Berufsverständnissensowie -verhältnissen von der vorindustriellen Zeit bis zum 20.Jahrhundert; 2) nach den damit verbundenen Veränderungen derFamilienökonomie, also der Verteilung der Arbeiten und derEinkommen unter den Familienmitgliedern, und 3) nach Konti-nuitäten und Brüchen in Biografien aufgrund veränderter Ar-beitswelten und nach geschlechtsspezifischen Unterschieden beider Tradierung von Berufen und Tätigkeiten.Wurden – beson-ders im 20. Jahrhundert – Berufe in der männlichen Linie ehertradiert, während Frauen gegenüber ihren Müttern undGroßmüttern neue Wege einschlugen? Die Sektion gliederte sichin zwei Teile: Zunächst referierten Stefan Gorißen und HermannMetzke über die Verschränkung von Wirtschafts- und Familien-geschichte in der vorindustriellen Zeit und nahmen dabei ehereine synchrone Betrachtung vor. Anschließend beleuchteten Jan

Lucassen und Dagmar Kift Arbeit im 19. und 20. Jahrhundertunter biografischen Aspekten.Stefan Gorißen (Universität Bielefeld) ging unter dem Titel„Arbeiten und Wirtschaften in vorindustrieller Zeit“ der Fragenach, inwieweit verwandtschaftliche Netze im 18. Jahrhundert fürden beruflichen Erfolg entscheidend waren. Dazu betrachtete erdie in Zünften organisierten städtischen Handwerker, ländlichesGewerbe sowie ländliche und städtische Kaufleute. Dabei stellteer fest, dass die Bedeutung von Familie in diesen Branchen sehrunterschiedlich war. So spielte z. B. das Verwandtschaftsnetz fürKaufmannsfamilien eine enorme Rolle für den wirtschaftlichenErfolg, wie etwa an den angelegten Familienarchiven und derAufstellung von Genealogien sichtbar wird.Hermann Metzke (Deutsche Arbeitsgemeinschaft GenealogischerVerbände, Jena) wandte sich in seinem Vortrag zum Thema„Genealogie und Berufsgeschichte – Verwandtschaftskreise undsoziale Netze in der vorindustriellen Gesellschaft“ dieser Frageaus Sicht des Genetikers und Genealogen zu. Er gewährte Ein-blicke in seine Detailstudie zu Verwandtschafts- und Berufsfolgeneinzelner Familien insbesondere für den heutigen Raum Thürin-gen und Sachsen. Sein Befund wies dabei einerseits häufigeTradierungen von Berufen männlicherseits, aber auch immerwieder Brüche auf, die mithilfe der traditionellen genealogischenAnsätze kaum systematisch erklärt werden können. Metzkekritisierte in diesem Zusammenhang, dass in der Genealogiemeist nur patrilinear geforscht würde, obwohl die Betrachtungder mütterlichen Linie weitere Erklärungen für Arbeits- undBerufsbiografien liefern würde. Auch ist grundsätzlich zu fragen,ob die gerade Linie immer maßgebend war, etwa im Vergleich zuroft vernachlässigten Bedeutung der Seitenverwandten. Beide

Teilnehmer des 6. Detmolder Sommergesprächs, (Foto: Matthias Schultes/Landesarchiv NRW)

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Referenten, Gorißen und Metzke, betonten, dass zur Erforschungder Arbeitsgeschichte auf jeden Fall sowohl die Verwandtschafts-bindungen als auch außerhalb der Familie liegende Faktoreneinbezogen werden müssten.Im zweiten Teil der ersten Sektion knüpfte Jan Lucassen an diesesDesiderat an, indem er unter dem Titel „Fünfhundert lippischeZiegler: Lebensläufe und Karrieren“ Arbeitsbiografien vonWanderzieglern vorstellte, die als Saisonarbeiter in Hollandarbeiteten. Dieses etwa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert zubeobachtende Phänomen war prägend für Lippe. So verließen um1900 etwa 40 % der männlichen Erwerbstätigen die ostwestfäli-sche Region. Anhand der im Landesarchiv NRW in Detmoldaufbewahrten Passlisten und Zieglerbotenlisten erforscht erzusammen mit seinem Kollegen Piet Lourens bereits seit vielenJahren die „lippischen Wanderziegler“. Laut Lucassen gebe es„weltweit kein Archiv“, in dem eine so umfangreiche Überliefe-rung zur Wanderarbeit aufbewahrt wird. Bislang arbeiteten beideForscher überwiegend quantitativ. In seinem Vortrag demonstrier-te Lucassen, wie sie nun versuchen, Arbeitskarrieren und Lebens-läufe der lippischen Wanderarbeiter detaillierter herauszuarbei-ten.Dagmar Kift (LWL-Industriemuseum Dortmund) nahm für ihrenBeitrag „Großmutter Bergarbeiterfrau – Enkelin Studentin.Weibliche Arbeits- und Berufsbiografien im Ruhrgebiet“ Frauenmehrerer Generationen in den Blick, um insbesondere die star-ken Veränderungen bei weiblichen Arbeitsbiografien im 20.Jahrhundert aufzuzeigen und damit ein Stück Ruhrgebietsge-schichte zu erhellen. Die Brüche waren in der fiktiven, aberexemplarischen Generationenfolge (ohne tatsächliche verwandt-schaftliche Verbindungen) enorm: Die „Großmutter“ (geb.1890)war Bergarbeiterehefrau, „ihre jüngere Schwester“ Kioskbesitze-rin, die „Töchter“ mit den Jahrgängen 1915 und 1920 erwirtschaf-teten ihr Einkommen als Arbeiterin, dann Werksfürsorgerinsowie als Pestalozzidorfmutter und Heimleiterehefrau. Die „dritteTochter“ (geb.1930) arbeitete als Medizinisch-Technische Assi-stentin, und die „Schwiegertochter“ (geb.1931) als Näherin. Die1949 geborene „Enkelin“ hatte erstmals die Möglichkeit zustudieren. Die etwa gleichaltrige Pendelmigrantin repräsentierteaktuelle Formen der Wanderarbeit, wie sie heute von Ost- nachWesteuropa führt.In der zweiten Sektion ,Zeugen‘ der Geschichte von Arbeit undBeruf: behördliche Überlieferung, archivische und musealeMaterialien“, moderiert und eingeführt von Christian Reinicke(Landesarchiv NRW, Detmold), richtete sich der Blick auf diemöglichen Quellen zur Erforschung von Arbeitsgeschichte. Dafürwurden zwei unterschiedliche Bereiche gewählt: erstens dieÜberlieferung der Arbeitsgerichte, deren Schriftgut von demjeweils zuständigen staatlichen Archiv in Auswahl übernommenwird, und zweitens museale Quellen. Bereits im Vorgriff auf denletzten Tagungsteil zeigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter desLandesarchivs in Detmold (Wolfgang Bender, Karin Eickmeier,Gabriele Hamann, Ulrike Hammes und Hermann Niebuhr) beiFührungen durch das Archiv Unterlagen aus dem Personen-standsarchiv, der Justizüberlieferung, zur Geschichte der Zieglerund der Landwirtschaft in Lippe sowie Personen- und Firmen-nachlässe.Reinhard Wolf (ehemaliger Direktor des Arbeitsgerichts inDetmold) gewährte mit seinem Vortrag „Arbeit und Arbeitsbe-dingungen im Spiegel der Arbeitsgerichtsüberlieferung“ einenEinblick in die Aufgaben der Arbeitsgerichte, die zwar immer nur

die Streitfälle des Arbeitslebens in den Blick nehmen, trotzdemjedoch, wie Wolf beispielhaft demonstrierte, regional- undzeittypische Phänomene widerspiegeln. So könnte etwa derNiedergang der ostwestfälischen Möbelindustrie oder die Um-schulung vieler Arbeiter auch aus dem Ruhrgebiet für den er-starkten Gesundheitssektor anhand von Akten der Arbeitsge-richtsbarkeit nachvollzogen werden.Elisabeth von Dücker (ehem. Museum der Arbeit, Hamburg)präsentierte in ihrem Beitrag „Arbeitsorten auf der Spur mitmusealen Quellen: Männerarbeit und Frauenarbeit am Beispielder Hamburger Fischindustrie“, mit welchen Quellen ein Muse-um arbeitet. Der mit zahlreichen Bildern angereicherte Beitragverdeutlichte nicht nur, wie Quellen gesichert wurden, wie etwader Räucherofen der Fischerei Steffens & Mewes, sondern auchwie Zeugnisse, z. B. Fotos und Interviews, bei der Erforschungvon Arbeitsbedingungen in der Fischindustrie erst entstanden.Von Dücker zeigte am eindrücklichen Beispiel dieser stigmatisier-ten Branche („...ohne Not geht niemand zu den Fischen...“) dieDifferenzierung von Frauen- und Männerarbeitsplätzen und-bedingungen. Die Referentin schlug damit einen Bogen zumEingangsvortrag und bestätigte die Leitthesen von Julia Paulus.Parallel zu der Veranstaltung wurde eine Ausstellung der Teilneh-merinnen und Teilnehmer des Studiengangs „Studieren im Alter“an der Universität Münster zum Thema „Verliebt – Verlobt –Verheiratet: Wandel der Hochzeit im 20. Jahrhundert“ und auchder Familienökonomie präsentiert. Die im Foyer der DetmolderAbteilung des Landesarchivs NRW gezeigten Poster sind dasErgebnis eines Seminars und einer Projektarbeit unter der Lei-tung von Veronika Jüttemann, die mit ihren Studierenden an derTagung teilnahm. Gleichzeitig waren an einem besonderenBildschirm ausgewählte Fotografien aus der umfangreichenBildersammlung des Landesarchivs NRW Abt. Ostwestfalen-Lippe zu sehen. Abgerundet wurde das 6. Detmolder Sommerge-spräch erstmals mit einer etwa zweistündigen Führung durch dasLWL-Freilichtmuseum in Detmold, bei der ebenso die Geschichtevon „Arbeit“ in den Mittelpunkt gerückt wurde.Der interdisziplinäre und multiperspektivische Zuschnitt derDetmolder Sommergespräche, wie sie von der Unterzeichnerininitiiert und konzipiert wurden, war bei der diesjährigen Veran-staltung „Arbeit, Beruf und Genealogie im Spiegel archivischerund musealer Quellen“ besonders fruchtbar, da die in der sozial-und kulturhistorischen Forschung erst allmählich wieder aufge-griffene Arbeitsgeschichte nicht zuletzt aus Museen und Archi-ven, aber auch von der von Laien betriebenen Genealogie Impul-se erhält.Dokumentation der Präsentationen unter www.archive.nrw.de/Lan-desarchivNRW/abteilungOstwestfalenLippe/Service/Genealogie/in-dex.html

Bettina Joergens, Detmold

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Der Beruf der Archivarin/des Archivars hat seit Jahren einengrundlegenden Wandel erfahren, der insbesondere an drei Punk-ten festgemacht wird: An erster Stelle ist die rasante Entwicklungder Informationstechnologie zu nennen, die zu neuen Formen imUmgang mit den Informationen geführt hat. Zweitens entdeckenund nutzen die Archivträger das Archiv zunehmend als Kompe-tenzzentrum und drittens hat der Dienstleistungsgedanke ge-genüber Archivträgern und allen anderen Nutzergruppen ver-stärkt Eingang in die Arbeit gefunden. Die Auswirkungen desWandels bringen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inArchiven neue und immer größer werdende Anforderungen mitsich, die sie annehmen und auf die sie vorbereitet sein müssen.Hier sind alle Träger von Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnah-men in der Pflicht, archivfachlich geeignete und „zeitgemäße“Inhalte zu vermitteln. Es ist für das Selbstverständnis, das Selbst-bewusstsein und die berufliche Zukunft der Archivarinnen undArchivare überfällig, diesen Veränderungsprozess zu erfassen, zuanalysieren, dessen Auswirkungen in einem Leit- bzw. Berufsbildzu beschreiben, daraus Konsequenzen für die Aus- und Fortbil-dung, für Laufbahnen, Aufstieg und Besoldung/Vergütung zuziehen und diesen Prozess zu dynamisieren.Der VdA als zentraler Fachverband aller Archivarinnen undArchivare sieht sich in der Verantwortung, als Handlungsgrund-lage erstmals in der Berufsgeschichte ein einheitliches, alle Achiv-sparten übergreifendes Berufsbild zu definieren. Es darf inkeinem Fall statisch angelegt sein und muss bei der Fülle derEinrichtungen, die unter dem Begriff „Archiv“ firmieren, und beider Fülle und den unterschiedlichen Ausprägungen von Aufga-benbereichen zwar auf Konstanten aufbauen, aber es muss Platzfür eine variable Gewichtung und Ausformulierung der Konstan-ten bleiben.1

In diesem Sinne wurde im Juni 2006 ein Sparten übergreifenderArbeitskreis „Berufsbild“ gegründet, der in sechs Sitzungen einBerufsbild entworfen hat, das beim Deutschen Archivtag 2009 inRegensburg den Mitgliedern des VdA übergeben wurde.2

DAS BERUFSBILD VONMITARBEITERINNEN UNDMITARBEITERN IN ARCHIVENPräambel

Der Beruf des Archivars hat in den letzen Jahren einen grundle-genden Wandel erfahren. Der VdA als zentraler Fachverband allerArchivarinnen und Archivare sieht sich in der Verantwortung, eineinheitliches, alle Archivsparten übergreifendes Berufsbild zudefinieren. Dies soll zugleich in ein Leitbild „Archiv“ einfließen.Für die Erarbeitung eines spartenübergreifenden Berufsbildeskristallisieren sich fünf Thesen heraus, wobei die Anforderungenund Aussagen im Grundsatz für sämtliche Archive Gültigkeithaben, aber je nach Arbeitsfeld von unterschiedlicher Relevanzsind.Alle genannten Kenntnisse und Fertigkeiten der in Archiventätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden im Rahmen derFachausbildung vermittelt werden. Umfang und Tiefe der Kennt-nisse sind abhängig von der Art der Archivausbildung (Fachange-stellte/r für Medien- und Informationsdienste – Archivar/in immittleren Dienst - im gehobenen Dienst – im höheren Dienst –Bachelor- oder Masterabschluss).

DAS BERUFSBILD VONMITARBEITERINNEN UNDMITARBEITERN IN ARCHIVEN

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MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

1 Vgl. Uwe Schaper: Berufsbild im Wandel, in: Marcus Stumpf: Beruf und Be-rufsbild des Archivars im Wandel (=Westfälische Quellen und Archivpubli-kationen. Im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe – LWL-Ar-chivamt für Westfalen – herausgegeben von Marcus Stumpf, Band 25). Münster2008, S. 23-29.

2 Dem Arbeitskreis gehören neben Vertreter/innen der Fachgruppen auch dieVertreter/innen der ausbildenden Einrichtungen: Archivschule Marburg,Bayerische Archivschule und die FH Potsdam an. Der Arbeitskreis wird vonStefan Benning (Bietigheim-Bissingen) und Uwe Schaper (Berlin) geleitet. DieRedaktion des Papiers lag bei Thomas Becker (Bonn), Michael Diefenbacher(Nürnberg), Uwe Schaper (Berlin) und Katharina Tiemann (Münster).

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VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

Die Tätigkeiten in einem Archiv

These 3: Archivische Tätigkeiten sind:• Beratung des Archivträgers• Bewertung und Übernahme von analogen und digitalen

Unterlagen• dauerhafte Aufbewahrung und Erhaltung von Archivgut• Ordnung und Verzeichnung von Archivgut• Bereitstellung des Archivguts für die Öffentlichkeit• Auswertung des Archivguts und Historische Bildungsarbeit

Archivarinnen und Archivare beraten Archivträger in allen Fragenanaloger und digitaler Schriftgut- und Medienverwaltung. Siewählen Unterlagen nach nachvollziehbaren Kriterien zur dauer-haften Aufbewahrung aus. Daraus ergibt sich die Verpflichtungzur unbegrenzten Erhaltung des so bewerteten Archivguts.Archivarinnen und Archivare erschließen das übernommeneMaterial, indem sie es unter archivfachlichen Gesichtspunktenordnen und verzeichnen. Damit wird das Archivgut der Öffent-lichkeit zugänglich gemacht. Seine Auswertung und die öffentli-che Präsentation der Ergebnisse gehören ebenso zu den archivi-schen Fachaufgaben wie die Vermittlung seiner Inhalte durchHistorische Bildungsarbeit.

Die archivfachlichen Kompetenzen

These 4: Zur Erledigung der Aufgaben benötigen Archivarinnenund Archivare Kompetenzen bzw. Grundkenntnisse in denBereichen:• Archivwissenschaft• Geschichte• Informationstechnologie• archivspezifisches Recht• Verwaltungswissenschaft• historische Grundwissenschaften und ihre Arbeitsmethoden• Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft

Grundlage archivischer Arbeit ist der Konsens über die Einhal-tung bestimmter Prinzipien und die Anwendung entsprechenderMethoden, wie sie sich aus der archivwissenschaftlichen Diskus-sion ergeben.Eine wesentliche Kompetenz von Archivarinnen und Archivarenliegt in ihren spezifischen Geschichtskenntnissen und je nachArbeitsfeld in der Anwendung von historischen Grundwissen-schaften. Das Verständnis für historische Zusammenhänge undEntwicklungen ist Voraussetzung dafür, Archivgut als kulturellesErbe der Gesellschaft zu tradieren.Breitgefächerte Kenntnisse im Bereich der Informationstechnolo-gie zählen ebenfalls zu den archivfachlichen Kompetenzen, daArchivgut zunehmend in elektronischer Form generiert und denArchiven zur Übernahme angeboten wird. Neben den Grundla-gen der Informationstechnologie erfordert dies u. a. Kenntnisseüber Datenbanken, Dokumenten Management Systeme, ContentManagement Systeme sowie Web-Präsentationen.Eine weitere unverzichtbare Kompetenz sind allgemeine undarchivspezifische Rechtskenntnisse, in erster Linie der Archivge-setze, aber auch der Datenschutz-, Informationszugangs- und Kul-turgutschutzgesetzgebung. Ebenfalls wichtig sind verwaltungs-

Die Bedeutung der Archive für die Gesellschaft

These 1: Archive bewahren das als Archivgut tradierte kulturelleErbe der Gesellschaft, sie vermitteln es in der Gegenwart und siegeben es in die Zukunft weiter.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft, sichmit dem eigenen kulturellen und historischen Erbe auseinander-zusetzen, es zu bewahren und für zukünftige Generationen zuerhalten. Zu diesem Erbe gehören signifikante Bauwerke, kultu-relle, politische und wirtschaftliche Traditionen und vor allem diearchivalische Überlieferung. Deren Erhaltung und Vermittlungübernehmen Archive als Teil der Informationsgesellschaft. DieGesamtheit dieser archivalischen Überlieferung, die sich u. a. ausUrkunden, Akten, Karten, Plänen, Bildern, AV-Medien undInformationen aus digitalen Systemen zusammensetzt, spiegeltsomit das unverwechselbare Erscheinungsbild einer Gesellschaft.

Der Auftrag der Archive

These 2: Archive tragen in einer demokratischen GesellschaftVerantwortung für folgende Bereiche:• Förderung der gesellschaftlichen Identitätsbildung• Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung• Gewährleistung der Authentizität und Integrität des kulturel-

len Erbes• Gewährleistung der Transparenz der Überlieferungsbildung• Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zu

Informationen• Bewahrung der Rechte der Archivträger und der Bürger• Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungs-

prozessen

Die archivalische Überlieferung bildet eine Grundlage dafür, dasssich die Mitglieder einer Gesellschaft mit ihr identifizieren undin ihr verorten können. Durch den Umgang mit den geschichtli-chen Quellen fördern die Archive diesen Identifikationsprozess.Archive wirken somit identitätsstiftend.Archive dienen ihrem gesellschaftlichen Auftrag insbesonderedurch die Förderung von Bildung und Wissenschaft.Archive garantieren die Authentizität und Integrität der im Archivbewahrten Informationen indem sie darüber wachen, dass keineManipulationen an Archivgut möglich sind.Archive treffen im Rahmen der Überlieferungsbildung die Ent-scheidung, welche Unterlagen auf Dauer aufbewahrt und welchevernichtet werden. Diese auf der Grundlage nachvollziehbarerKriterien getroffenen Entscheidungen werden von ihnen trans-parent gemacht. Archive sorgen damit für einen nachvollzieh-baren Umgang mit dem gesellschaftlichen Erbe.Archive gewährleisten das im Grundgesetz verankerte Informati-onsrecht aller Bürger, indem sie den gleichberechtigten Zugangzu archivalischen Informationen sicherstellen.Archive tragen Sorge für rechtliche und administrative Belangeihrer Träger. Insbesondere Archive öffentlicher Träger sichernzudem die Rechte der Bürger, indem sie rechtserheblicheDokumente bewahren und sorgen für die Nachvollziehbarkeitvon Verwaltungsentscheidungen nach rechtsstaatlichenPrinzipien.

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wissenschaftliche Grundkenntnisse, darunter Kenntnisse in denBereichen der Prozesssteuerung und der Schriftgutverwaltung.Basiskenntnisse in den Bibliotheks- und den Dokumentations-wissenschaften gehören gleichfalls zu den Kompetenzen vonArchivarinnen und Archivaren, da in der modernen Informati-ons- und Wissensgesellschaft der interdisziplinäre Austausch mitden verwandten Informationsberufen unerlässlich ist.

Die fachübergreifenden Kompetenzen

These 5: Neben den archivfachlichen Kompetenzen müssenArchivarinnen und Archivare über folgende fachübergreifendeKompetenzen verfügen:• Dienstleistungsorientierung• Kommunikative Kompetenz• Medienkompetenz• Managementfähigkeiten• Soziale Kompetenz

Neben archivfachlichen Kompetenzen benötigen Archivarinnenund Archivare fachübergreifende Kompetenzen und Schlüssel-qualifikationen, um den gewachsenen und veränderten Anforde-rungen gerecht werden zu können. Dabei ist die Dienstleistungs-orientierung von besonderer Bedeutung, insbesondere im Bereichder internen und externen Beratung und Benutzerbetreuung. ImRahmen der Vermittlung der Auswertungsergebnisse, bei derHistorischen Bildungsarbeit und Archivpädagogik sowie bei derÖffentlichkeitsarbeit generell sind kommunikative und mediale

Kompetenzen unabdingbar. In allen Bereichen eines Archivs sindmoderne Formen des Managements und soziale Kompetenzenunverzichtbar.

Zusammenfassung

Archive bewahren das als Archivgut tradierte kulturelle Erbe derGesellschaft, vermitteln es in der Gegenwart, geben es in dieZukunft weiter und wirken damit identitätsstiftend. Förderungvon Bildung und Wissenschaft, gleichberechtigter Zugang zuInformationen, Bewahrung der Rechte der Archivträger und derBürger sowie die Nachvollziehbarkeit von Verwaltungsentschei-dungen stehen dabei gleichberechtigt neben den Anforderungender Gesellschaft für die Gewährleistung der Authentizität undIntegrität des kulturellen Erbes und der Transparenz der Überlie-ferungsbildung.Die auf dem gesellschaftlichen Auftrag beruhenden archivischenTätigkeiten der Beratung der Archivträger, der Bewertung, Über-nahme und Erschließung, der dauernden Aufbewahrung undErhaltung, sowie der Bereitstellung und Auswertung des Archiv-guts können nur auf der Grundlage fundierter archiv- undverwaltungswissenschaftlicher Kompetenzen erledigt werden. Siebeinhalten das Verständnis für Gegenwart und Geschichte.Unverzichtbar sind Kenntnisse der Informationstechnologie,hinzu kommen Kenntnisse bibliothekarischer und dokumentari-scher Arbeitsmethoden. Unerlässlich sind ebenfalls kommunika-tive, soziale und mediale Kompetenzen, Managementfähigkeitenund Dienstleistungsorientierung.

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der VdA-Teil dieses Heftes wurde in die Zeit des Übergangs gestaltet. Zusammengestellt hat ihn noch – und letztmals der„alte Vorsitzende“ Robert Kretzschmar, der sich damit aus der Redaktion des „Archivar“ verabschiedet.Neben Berichten über die Frühjahrstagung 2008 der Fachgruppe 8 im VdA und den Fortgang der Gespräche mit dem Bundesver-band deutscher Standesbeamtinnen und Standesbeamten e.V. enthält er den Text „Das Berufsbild des Archivars“, den der VdA-Arbeitskreis „Berufsbild“ erarbeitet und am 22. September 2009 auf dem 79. Deutschen Archivtag in Regensburg vorgestellt hat,sowie in deutscher Übersetzung den aktuellen Newsletter der Sektion der archivarischen Fachverbände im Internationalen Archiv-rat. Wiedergeben sind hier aber auch die Beschlüsse der Mitgliederversammlung auf dem Archivtag einschließlich des Wortlautsder „Kölner Erklärung“, die als Resolution verabschiedet wurde. Das vollständige Protokoll der Mitgliederversammlung machenwir auf unserer Website in dem Bereich zugänglich, der den Mitgliedern unseres Verbands vorbehalten ist. Zu den neuen Mit-gliedsbeiträgen, die in der Mitgliederversammlung beschlossen wurden, finden sich nähere Informationen in einem„Kasten“.Der „alte Vorsitzende“ dankt dem Redaktionsteam des „Archivar“ und dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen für die guteZusammenarbeit. Michael Diefenbacher, der „neue Vorsitzende“ freut sich auf die Mitherausgabe der zentralen Fachzeitschriftfür das Archivwesen in Deutschland.

Mit herzlichen Grüßen

Stuttgart und Nürnberg, im Oktober 2009Robert Kretzschmar und Michael Diefenbacher

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452 VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

Im Folgenden sind unter Angabe des jeweiligen Tagesordnungs-punkts nur die Beschlüsse wiedergegeben. Das vollständige Pro-tokoll der Mitgliederversammlung ist den Mitgliedern des VdAab Mitte Dezember auf der Website des Verbands zugänglich.

TOP 4: AUSSPRACHE UNDENTLASTUNG DES VORSTANDSDer Vorstand wird einstimmig bei Enthaltung der Betroffenenentlastet.

TOP 5: ERHÖHUNG DESMITGLIEDSBEITRAGSDem Antrag auf Erhöhung der Jahresmitgliedsbeiträge um10 Euro für persönliche Mitglieder auf 60 Euro, um 20 Eurofür korporative Mitglieder auf 120 Euro und um 5 Euro fürpersönliche Mitglieder mit Beitragsermäßigung auf 27,50 Eurowird mit großer Mehrheit zugestimmt.

TOP 6: WAHL DES VORSITZENDENUND DER RECHNUNGSPRÜFERFür das Amt des Vorsitzenden kandidiert Dr. Michael Diefen-bacher, Nürnberg. Er wird mit großer Mehrheit gewählt. AlsRechnungsprüfer werden Dr. Diether Degreif, Wiesbaden, undDr. Karsten Uhde, Marburg, als Stellvertreter Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch, Marburg, und Dr. Bernhard Post, Weimar vorge-schlagen und einstimmig bei Enthaltung der Betroffenen gewählt.

TOP 7: EINSTURZ DES STADTARCHIVSKÖLN

Die nachstehende Resolution („Kölner Erklärung“), die vonRobert Kretzschmar, Michael Diefenbacher und Wilfried Reining-haus vorbereitet wurde, wird mit großer Mehrheit verabschiedet.

Stuttgart, Ingelheim den 5. Oktober 2009Prof. Dr. Robert Kretzschmar, Vorsitzender (bis zum 31.10. 2009)Dr. Heiner Schmitt, Schriftführer

BESCHLÜSSE DERMITGLIEDERVERSAMMLUNG DESVDA AM 24. SEPTEMBER 2009IN REGENSBURG

ZAHLUNG DER MITGLIEDSBEITRÄGE AB 1. JANUAR 2010

1. Durch den Wechsel im Schatzmeisteramt des VdA und die damit verbundene Verlagerung der VdA-Finanzbuchhaltungvon Regensburg in die Geschäftsstelle nach Fulda werden die bei der Sparkasse Regensburg geführten Vereinskontenzum 31.12.2009 aufgelöst. Für alle Zahlungen an den VdA, ausgenommen Spenden, verwenden Sie ab sofort bitteausschließlich folgendes Geschäftskonto des VdA:SPARKASSE FULDA (BLZ 530 501 80), Kontonummer 43046447,Bank Identifier Code (BIC) / Society for Worldwide InterbankFinancial Telecommunication-Adress (SWIFT): HELADEF1FDSInternational Bank Account Number (IBAN): DE18 5305 0180 0043 0464 47

2. Die Mitgliederversammlung des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. hat am 24. September2009 in Regensburg mit großer Mehrheit beschlossen, die Jahresmitgliedsbeiträge ab 1. Januar 2010 zu erhöhen.Neue Jahresbeitragszahlungen ab 1. Januar 2010:Persönliche Mitglieder: € 60,-Persönliche Mitglieder mit Beitragsermäßigungsgrund (nur auf Antrag): € 27,50Korporative Mitglieder: € 120,-

Falls Sie für die Zahlung des Jahresbeitrags bei Ihrem Kreditinstitut einen Dauerauftrag eingerichtet haben, bitten wirdiesen entsprechend zu aktualisieren.

Fulda, den 6. Oktober 2009Thilo Bauer M.A., Geschäftsführer des VdA

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

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KÖLNER ERKLÄRUNG

2. Erkenntnisse aus dem Expertenhearing inKöln vom 24. Juni 2009

„Nach Köln“ müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden,um den Erhalt des Kulturguts verstärkt zu fördern und füreventuelle künftige Schadensfälle noch besser gewappnet zu sein.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 79. Deutschen Archiv-tages in Regensburg greifen die Ergebnisse der Expertenan-hörung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen zum KölnerArchiveinsturz vom 24. Juni 2009 auf und fordern die Beachtungder folgenden Grundsätze.

1. Für jedes Archivgebäude ist ein standort- und gebäudebezoge-nes Risikomanagement vorzusehen. Es umfasst mögliche undkünftige Gefährdungen, auch in der Umgebung des Archivgebäu-des. Standortsicherheit und Brandschutz müssen als Teil desvorbeugenden Kulturgutschutzes regelmäßig geprüft werden.2. Zur Planung aller Maßnahmen der Bestandserhaltung werdenSchadenskataster benötigt, um schleichende Katastrophen zuverhindern.3. Schadensprävention ist die wirtschaftlichste Methode derBestandserhaltung. Wichtigstes Instrument zum Schutz desArchivguts ist seine Verpackung in holz- und säurefreiem, alte-rungsbeständigem und stabilem Material.4. Die Notfallplanung ist durch archiv- und regionenübergreifen-de Notfallverbünde mit klaren Kompetenz- und Kommunikati-onsstrukturen zu organisieren.5. Basis der langfristigen Sicherung der Informationen auf analo-gem Archivgut bleibt der Mikrofilm wegen seiner Nachhaltigkeitund Lesbarkeit ohne größeren technischen Aufwand. Die Mittelfür die Sicherungsverfilmung müssen daher aufgestockt werden.6. Die Digitalisierung ist im Archivbereich voranzutreiben.Sicherung durch Mikrofilm und Digitalisierung zum Schutz derVorlagen bei der Nutzung widersprechen sich nicht, sondernergänzen einander. Voraussetzung für eine Digitalisierung sinddigital verfügbare Findmittel, damit Archivgut im Kontext ausge-wertet und wissenschaftlich bearbeitet werden kann. Für dieDigitalisierung muss eine Priorisierung der Bestände erfolgen, inder die Benutzerfrequenz, das Schadensrisiko und der Erhal-tungszustand berücksichtigt sind.

1 Zukunft bewahren. Eine Denkschrift der Allianz zur Erhaltung des schrift-lichen Kulturguts. Hrsg. von Barbara Schneider-Kempf. Berlin 2009.Online unter www.uni-muenster.de/ForumBestandserhaltung/downloads/2009_Allianz_Denkschrift.pdf (Abruf am 8. 10. 2009).

2 Vgl. Lehren aus Köln. Dokumentation zur Expertenanhörung „Der Kölner Ar-chiveinsturz und die Konsequenzen“. Für das Landesarchiv Nordrhein-West-falen hrsg. von Wilfried Reininghaus und Andreas Pilger (Veröffentlichungendes Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 25), Düsseldorf 2009.

3 Vgl. ebenda S. 46 f. sowie Andreas Pilger, Expertenanhörung zum KölnerArchiveinsturz und den Konsequenzen. In: Archivar 62 (2009) S. 301-305, hierS. 305.

Die nachstehende Resolution richtet sich an die Träger vonArchiven und alle, die für Archive verantwortlich sind. Mit ihrsoll den Archiven eine Grundlage für Gespräche mit ihrenTrägern an die Hand gegeben werden. Der VdA leitet sie zudemden Entscheidungsträgern und Gremien zu, die sich in der Folgedes Einsturzes des Historischen Archivs der Stadt Köln mitMaßnahmen und Programmen zum Erhalt des archivalischenKulturguts befassen. Die Resolution unterstützt zudem dieForderungen der Denkschrift der Allianz für die Erhaltung desschriftlichen Kulturguts, die dem Bundespräsidenten am 24. April2009 übergeben wurde.1 Der zweite Teil basiert auf den Ergeb-nissen der Expertenanhörung, die das Land Nordrhein-Westfalenam 24. Juni 2009 in Köln veranstaltet hat.2 Dort war in einemabschließenden Plenum vorgesehen worden, die Ergebnisse desHearings einer Resolution der Mitgliederversammlung auf dem79. Deutschen Archivtag zugrunde zu legen.3

RESOLUTION DER MITGLIEDERVER-SAMMLUNG DES VDA – VERBANDDEUTSCHER ARCHIVARINNEN UNDARCHIVARE E. V.AM 24. SEPTEMBER 2009IN REGENSBURG– KÖLNER ERKLÄRUNGZUR SICHERUNG UND ERHALTUNGDER ARCHIVBESTÄNDE

1. Allgemeine Forderungen

Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln am3. März 2009 hat schlagartig das Interesse einer großen Öffent-lichkeit auf die Bedeutung der Archive für das kulturelle Erbegelenkt. Die Mitgliederversammlung des VdA auf dem79. Deutschen Archivtag in Regensburg fordert die Träger vonArchiven auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die fürdie sichere Verwahrung und den dauerhaften Erhalt des Archiv-guts nach den geltenden fachlichen Standards erforderlich sind.Sie appelliert an die Verantwortlichen auf allen Ebenen, demSchutz des Kulturguts die notwendige Aufmerksamkeit zuwidmen und die dazu erforderlichen Ressourcen kontinuierlichbereit zu stellen. Sie begrüßt Initiativen zu einer bundesweitkoordinierten Förderung von Bestandserhaltungsmaßnahmenund unterstützt die Forderungen der Allianz für die Erhaltungdes schriftlichen Kulturguts. Anforderungen an die fachgerechteUnterbringung und Verwahrung von Archivgut dürfen nichtSparzwängen zum Opfer fallen.

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Nachdem am 24.10.2008 in der VdA-Geschäftstelle bereits eine er-ste Gesprächsrunde zwischen dem Bundesverband der DeutschenStandesbeamtinnen und Standesbeamten e.V. (BDS) und dem VdAzur bevorstehenden Reform des Personenstandswesen stattgefun-den hatte, konnte am 16.7.2009, gut ein halbes Jahr nach Inkraft-treten der Gesetzesreform, auf Einladung des BDS in Bad Salz-schlirf eine erste Bilanz aus Sicht der Standesämter und derArchive gezogen werden.Nach Einschätzung beider Verbände ist die Übergabe der Standes-amtsunterlagen an die Archive in den einzelnen Bundesländerninsgesamt gut angelaufen, wenngleich auch nicht frei von Schwie-rigkeiten. Die Ergebnisse einer im Vorfeld der Zusammenkunftinitiierten Umfrage des VdA in den Bundesländern machteninsbesondere deutlich, dass• die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Landesverbänden der

Standesbeamtinnen und Standesbeamten gewinnbringend war,wenngleich in Einzelfällen in den Standesämtern noch Über-zeugungsarbeit geleistet werden muss, die Unterlagen denzuständigen Archiven zur Übernahme anzubieten;

• die neu übertragene Aufgabe die Archive z.T. vor erheblichepersonelle und räumliche Probleme stellt;

• dort, wo keine Archive existieren, die Unterlagen bis aufWeiteres in den Standesämtern verbleiben und ein Zugangnach Archivrecht gewährleistet werden muss;

• sowohl auf Seiten der Archive (vor allem Fragen der Nutzung,Gebühren, Bewertung von Sammelakten, Digitalisierung) wieauf Seiten der Standesämter (vor allem Archivrecht) nochFortbildungsbedarf besteht.

Die Akademie für Personenstandswesen in Bad Salzschlirf haterstmals im September 2009 mit archivfachlicher Unterstützung,die durch den VdA vermittelt wurde, ein Seminar zum Thema„Archivrechtliche Benutzung der Personenstandsregister – vomPersonenstandsbuch zum kommunalen Schriftgut“ angeboten.Die Durchführung gleichlautender Fortbildungen sollte auch inden einzelnen Bundesländern erwogen werden, zumal der Kurs

sehr schnell ausgebucht war, was den großen Bedarf auf Seitender Standesämter unterstreicht.Im Rahmen des diesjährigen Standesbeamtentages, der am13./14. November in Jena stattfindet, wird der Leiter des Stadt-archivs Bamberg, Dr. Robert Zink, die Gelegenheit haben, diePosition der Archive vorzutragen.Die nächste Zusammenkunft von Vertreterinnen und Vertretervon VdA und BDS im kommenden Jahr soll schwerpunktmäßigdie Ergebnisse des Fortbildungsseminars sowie die weiterenUmsetzungsschritte der Personenstandsreform im Hinblick dieÜbernahme der Unterlagen durch die Archive auswerten.Der VdA erwägt die Organisation eines einmaligen Erfahrungs-austausches mit Archivkolleginnen und –kollegen, die aktiv ander Umsetzung der Reform in ihrem Bundesland beteiligt sind,mit dem Ziel, bereits bestehende oder in Planung befindlicheFachkonzepte vor allem zu Fragen der Nutzung und Erhaltungder Personenstandsunterlagen (Digitalisierung / Verfilmung)auszutauschen und zu diskutieren. Bei Interesse nehmen Siebitte Kontakt mit der Geschäftsstelle des VdA auf.

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

PERSONENSTANDSREFORM –FORTSETZUNG DERZUSAMMENARBEIT VONVDA UND BDS

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

Von Katharina Tiemann

Katharina TiemannLWL-Archivamt für WestfalenJahnstraße 2648147 MünsterE-Mail: [email protected]

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

Zur traditionellen Frühjahrstagung der Fachgruppe 8: Archiveder Hochschulen sowie wissenschaftlicher Institutionen, diediesmal vom Kollegen Klaus Nippert vom UniversitätsarchivKarlsruhe vorbereitet worden war und am 1. und 2. April 2009stattfand, fanden sich 55 Kolleginnen und Kollegen ein. Inthematischer Weiterführung der Saarbrücker Tagung 2006 über„Dokumentationsziele und Aspekte der Bewertung in Hoch-schularchiven und Archiven wissenschaftlicher Institutionen“1

und der inzwischen publizierten Handreichung von ThomasBecker (Bonn), Werner Moritz (Heidelberg), Wolfgang Müller(Saarbrücken), Klaus Nippert (Karlsruhe) und Max Plassmann(Düsseldorf) „Dokumentationsprofil für Archive wissenschaft-licher Hochschulen“2 widmeten sich die verschiedenen Vorträgeder Karlsruher Tagung der „Überlieferungsbildung zu Hoch-schulen durch Archive von Bund, Ländern und Hochschulen“.Nach der Begrüßung durch den Prorektor für Struktur NorbertHenze informierte Heinz Mestrup (Friedrich-Schiller-UniversitätJena) am Beispiel der Universität Jena3 über „Archivübergreifen-de Überlieferungsbildung zu Widerstand und Opposition in derDDR“. Ausgangspunkt des Referenten waren Überlegungen zuden beteiligten Akteuren, den politisch-ideologischen Vorausset-zungen und den offiziellen Verfahrenswegen. Dabei entfaltete derReferent unter Verweis auf die betreffenden Archive ein breitesPanorama unterschiedlicher Provenienzen von der Universität(Verwaltungsschriftgut, Personalakten, Disziplinar-, Studenten-und Kaderakten) über das Ministerium für Hoch- und Fach-schulwesen und die Parteiüberlieferung (einschließlich der Uni-versitätsparteileitung und der regionalen Kreisparteikontroll-kommission) bis zur zentralen Ebene des Ministeriums für Staats-sicherheit und zur Überlieferung der Polizei und Justiz. Einebesondere Bedeutung kommt insbesondere der Sicherung despersönlichen Schrift- und Sammlungsguts der Betroffenen zu,der sich vor allem das „Thüringer Archiv für ZeitgeschichteMatthias Domaschk"4 zuwendet.

Für die TU Dresden betrachtete Universitätsarchivar MatthiasLienert die facettenreiche „Überlieferungsbildung zu Repress-ionen gegen Studierende“ 5 und berichtete dabei unter anderemüber den Studentenprozess 1959 und das breite Spektrum derRepression. Beispielsweise waren zwischen 1946 und 1989 insge-samt 42 Dresdner Studierende aus politischen Gründen zuZuchthausstrafen verurteilt worden. Neben der internen Über-lieferung mit rund 180.000 Studentenakten, die unter anderemdie Überwachung russischer Studenten durch die Polizei imKaiserreich ebenso wie die Verfolgung von Studierenden in derNS-Diktatur spiegeln, dokumentiert vor allem die Überlieferungdes Ministeriums für Staatssicherheit die Verfolgung undZuschlagung der studentischen Opposition; zur Überwachungexistierte seit Mitte der 70er Jahre eine bis zu 70 Mitarbeiterzählende Objektdienststelle des MfS an der Technischen Hoch-schule. Nicht zuletzt gibt es zum Studentenprozess 1959 aucheine umfangreiche audiovisuelle und publizistische Überliefe-rung und autobiographische Dokumente, die im Rahmen von„Oral History“-Projekten gesichert werden.Gastgeber Klaus Nippert präsentierte den von Max Plassmann(früher Universitätsarchiv Düsseldorf, jetzt Stadtarchiv Köln)erarbeiteten Vortrag zur „Überlieferungsbildung zu DFG-Projekten an Hochschularchiven“, da der Autor wegen desEinsturzes des Kölner Stadtarchivs nicht an der Frühjahrstagungteilnehmen konnte. Ausgehend von den grundsätzlichen, auch im„Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicherInstitutionen“ publizierten Überlegungen6 verwies er auf dieMehrfachüberlieferung der DFG-Akten auf mehreren Ebenenund warb für eine „aggregierte Rückgratüberlieferung, derenExistenz die Kassation der meisten Unterlagen an anderen Stellenermöglicht“, wobei allerdings der „Inhalt der jeweiligen Aktenund die Zuverlässigkeit der Überlieferung“ zu beachten seien.Eine besondere Bedeutung kommt an den Universitäten denSonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs zu, wobei

ÜBERLIEFERUNGSBILDUNG ZUHOCHSCHULEN DURCH ARCHIVEVON BUND, LÄNDERN UNDHOCHSCHULEN

FRÜHJAHRSTAGUNGDER FACHGRUPPE 8 DES VDA

Von Wolfgang Müller

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auch hier eine „Rückgratüberlieferung“ zumindest von Anträgen,Berichten und Grunddaten ebenso unverzichtbar erscheint wieProtokolle der Mitgliederversammlungen, Begehungen undLeitungsgremien. Hinsichtlich der Akten derForschungsförderung erscheint zwar eine archivübergreifendeBewertungsdiskussion durchaus sinnvoll, doch muss „die Über-lieferung letztlich auf jeder Ebene für sich [...] und unabhängigbewertet werden.“Thomas Becker (Universitätsarchiv Bonn) skizzierte den histori-schen Weg von der preußischen zur deutschen Rektoren-konferenz und den durch die Gründung der WestdeutschenRektorenkonferenz 1949 markierten Neubeginn nach demZweiten Weltkrieg. Die archivische Überlieferung befindet sichteilweise am Sitz der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn undumfasst neben den diversen Plenar- und Gremienprotokollenumfangreiche publizierte Unterlagen wie Drucksachen undMaterialien. Teilweise sind auch bereits Akten mikroverfilmt undan das Bundesarchiv abgegeben worden.In seinem Praxisbericht beleuchtete Albrecht Ernst(Landesarchiv Baden-Württemberg – HauptstaatsarchivStuttgart) „die baden-württembergischen Hochschulen in derÜberlieferung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschungund Kunst“. Vor dem Hintergrund einer bemerkenswerten Hoch-schulvielfalt mit gegenwärtig rund 80 Einrichtungen zeichnete erdie Entwicklung und die wechselnden Zuständigkeiten vomwürttembergischen Ministerium des Kirchen- und Schulwesens,über das Kultministerium Württemberg-Baden (1945–1952) unddas Kultusministerium Baden-Württemberg (1952–1978) bis zumheutigen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst.So verwahrt das Hauptstaatsarchiv beispielsweise umfangreicheMaterialien aus der Hochschulabteilung des Ministeriums zuden baden-württembergischen Fachhochschulen, PädagogischenHochschulen und Universitäten, wobei vor allem den Akten zurHochschulentwicklung, zu allgemeinen Hochschulgesetzen undPrüfungsordnungen, zu Gründung, Ausbau und Verlagerung vonForschungseinrichtungen Archivwürdigkeit beigemessen wurde.Dabei plädierte der Referent dafür, die Bewertung mit den be-troffenen Universitätsarchiven abzustimmen. Hinsichtlich derNutzung kommt den Personalakten von Hochschullehrern eineherausragende Rolle zu. Besonders nachgefragt werden überdiesAkten zu Gründung und Aufbau einzelner Hochschulen, zuHochschulreformen oder – wegen der Rekonstruktion der Ent-wicklung des Lehrkörpers – die Stellenakten einzelner Institute,womit sich insgesamt eine „kundenorientierte Bewertung“anbietet.Die Archivierungstätigkeit des Bundesarchivs auf dem Gebiet desHochschulwesens beleuchtete Elke Hauschildt (BundesarchivKoblenz) und verwies auf die Unterlagen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, den Wissenschaftsrat, denDeutschen Bildungsrat, die Überlieferung der Hochschul-rektorenkonferenz und die Ministerialbestände vor allem desBundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BA Koblenz,B 138). Ausführlich stellte die Referentin den Bestand „Kultus-ministerkonferenz“ vor. So umfasst etwa der Hochschulausschussder 1948 gegründeten Kultusministerkonferenz ca. 900 Akten-einheiten aus der Zeit zwischen den 1950er und 1970er Jahrenund bietet umfangreiche Protokollserien sowie Unterlagen zurHochschul- und Studienreform.Einen Werkstattbericht zur Überlieferung und Bewertung von

Akten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) imBundesarchiv bot Annegret Neupert (Bundesarchiv Koblenz).Dabei erläuterte sie die differenzierten Strukturen des allgemei-nen Verwaltungsschriftguts und der Projektakten der DFG, dieAbgabepraxis und die im Bestand B 227 vereinten Teilbestände.Angesichts des Massenproblems stellt gerade die qualitativ-reprä-sentative Auswahl der archivwürdigen, aus der Förderung vonEinzelprojekten im sogenannten Normalverfahren entstehendenBeihilfeakten eine besondere Herausforderung dar, wobei eineÜbernahmequote von unter 5 Prozent angepeilt wird. Für dieSicherung und Bewertung der Grundsatz- und Gremienaktensoll demnächst ein Bewertungskatalog erarbeitet werden.Die Karlsruher Tagung setzte auch den 2008 in Münster begon-nenen Dialog zwischen den Universitäts- und Wissenschafts-archiven und den Archiven sozialer Bewegungen fort. In einemgemeinsamen Vortrag wandten sich Jürgen Bacia (Archiv füralternatives Schrifttum, Duisburg) und Cornelia Wenzel (Archivder deutschen Frauenbewegung, Kassel) den Besonderheitenihrer Archive und der Überlieferungsbildung zu.7 Als „Archivevon unten“ dokumentieren die Archive der neuen sozialen Be-wegungen die vielfältigen Aktivitäten an der gesellschaftlichenBasis und sammeln in einer Mischung von Archiv-, Bibliotheks-und Dokumentationsgut und selbstgesetzten Sammlungsprofilenunter anderem Nachlässe von Aktivisten, Zeitschriften, Bücher,graue Literatur, Fotos, Filme und Transparente. Die stark vonihren jeweiligen, meist knappen personellen und finanziellenMöglichkeiten abhängigen Archive verstehen sich in unterschied-licher Ausprägung einerseits vor allem als Dienstleister undInformationsversorger ihrer Milieus und andererseits alsGedächtnis der jeweiligen Bewegung. Auch wenn beispielsweiseseit 1994 der Dachverband der Lesben/Frauenarchive, -bibliothe-

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

1 Vgl.Wolfgang Müller (Redaktion): Dokumentationsziele und Aspekte der Be-wertung in Hochschularchiven und Archiven wissenschaftlicher Institutionen.Beiträge zur Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 – Archivare an Hochschular-chiven und Archiven wissenschaftlicher Institutionen – des Verbandes Deut-scher Archivarinnen und Archivare am 23. und 24. März 2006 an der Univer-sität des Saarlandes in Saarbrücken. Saarbrücken 2008 (SaarbrückerUniversitätsreden 73).

2 Dokumentationsprofil für Archive wissenschaftlicher Hochschulen. EineHandreichung von Thomas Becker (Bonn),Werner Moritz (Heidelberg),Wolf-gang Müller (Saarbrücken), Klaus Nippert (Karlsruhe) und Max Plassmann(Düsseldorf). Saarbrücken 2009.

3 Uwe Hoßfeld/Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.): Hochschule im Sozialis-mus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität in der SBZ/DDR(1945-1990). 2 Bände. Köln, Weimar 2007.

4 www.thueraz.de. Zuletzt unter anderem: Katharina Lenski/Tobias Kaiser:Universitätsgeschichtliche Forschung und archivische Vielfalt – mit einem be-sonderen Blick auf die Überlieferung des MfS. In: Wolfgang Müller (Redakti-on): Dokumentationsziele und Aspekte der Bewertung in Hochschularchivenund Archiven wissenschaftlicher Institutionen (Anm.1), S. 221-237; Reiner Mer-ker: Spannungsfeld zwischen „Aufarbeitungsinitiative“ und „klassischem Ar-chiv“. Arbeitsbedingungen und Bedeutung der DDR-Oppositionsarchive. In:Deutschland Archiv 41 (2008) H. 2, S. 295-301.

5 Vgl. die zum Jahresende 2009 erscheinende Studie Matthias Lienert: DresdnerStudenten im Spannungsfeld von Politik,Widerstand und Repression. Außer-dem Klaus-Dieter Müller/Jörg Osterloh: Die Andere DDR. Eine studentischeWiderstandsgruppe und ihr Schicksal in Spiegel persönlicher Erinnerungenund sowjetischer NKWD-Dokumente, Berichte und Studien 4 Des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismus-Forschung der TU Dresden. Dresden 1995.

6 Vgl. Anm. 2.7 Vgl. auch mit weiteren Literaturhinweisen Jürgen Bacia/Cornelia Wenzel: Das

etwas andere Erinnern in: Aktuelle Nachrichten der kulturpolitischen Gesell-schaft vom 13.5.2009.

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

ken und -dokumentationsstellen „i.d.a.“ besteht, so fehlt insge-samt doch eine systematische Kooperation und Vernetzung derBewegungsarchive, die auch an einer intensiverenZusammenarbeit mit dem Verband deutscher Archivarinnen undArchivare interessiert bleiben.Eine eindrucksvolle Besichtigung der Kerntechnik-Ausstellungim Gebäude des ehemaligen Kernreaktors FR 2, eine Führung imUniversitätsarchiv mit einer Vorführung eines digitalisierten 35-mm-Films rundeten die Tagung ab.Die nächste Frühjahrstagung wird das Archiv der TechnischenUniversität Chemnitz vom 24. bis 26. März 2010 ausrichten.

NEUER SEKTIONSPRÄSIDENTDER SPA

Auf der Tagung des Leitungskomitees in Stockholm vom 30. Märzbis 2. April wurde Henri Zuber, der Vertreter der Association desarchivistes français, zum Präsidenten gewählt. Er tritt die Nach-folge von Christine Martinez an, die aus diesem Amt ausscheidet,weil sie als Leitende Programmdirektorin in das ICA Sekretariatwechselt.

FRAGEN ZUM STIFTUNGSPROJEKTDES ICA

Im Rahmen seiner letzten Zusammenkunft in Stockholm befasstesich das Leitungskomitee der SPA mit einem Dokument, in demPräsident Ian Wilson auf den Vorschlag eingeht, der ICA mögeeine Stiftung ins Leben rufen.Der Vorschlag stammt vom stellvertretenden Präsidenten desICA, zuständig für Marketing und Werbung, Abdullah A. KareemAl Reyes, dem Generaldirektor des Nationalen Zentrums für

INHALT

• Neuer Sektionspräsident der SPA• Fragen zum Stiftungsprojekt des ICA• Neue Richtlinien für die Berufsverbände• Internationales Forum für Menschenrechte• Projekt „Archivische Solidarität“• Fragebogen zum Ehrenkodex• Weltweite Erklärung der Archive• Umfrage zu den Verbänden• Beitragsänderung für Mitglieder der Kategorie B• Europäische Archivkonferenz 2010• Mitgliedsvereine der Sektion – Der Verband Schweizer

Archivare. Von Cristina Bianchi• Die Academy of Certified Archivists begrüßte ihr 1000. Mitglied

Mit der Mai-Ausgabe ihres Newsletters will die Sektion derBerufsverbände die Sektionsmitglieder über den aktuellen Standder Projekte und Aktivitäten informieren. Daneben soll dieinternationale Zusammenarbeit zwischen den Berufsverbändender Archivare und Schriftgutverwalter gefördert werden.

Dr. Wolfgang MüllerUniversitätsarchiv SaarbrückenHausanschrift:Universität des Saarlandes Bau 466123 SaarbrückenPostanschrift:Postfach 15115066041 SaarbrückenE-Mail: [email protected]

INTERNATIONALERARCHIVRAT (ICA) – SEKTION DERBERUFSVERBÄNDE (SPA)

NEWSLETTER MAI 2009

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Dokumentation und Forschung der Vereinigten ArabischenEmirate. Laut seines Vorschlags soll die Einrichtung eines Regio-nalbüros des ICA in den Emiraten erfolgen, das im Namen desICA eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen wie Publi-kationen, Normen, Ausbildung und Beratung entwickeln undanschließend auf den Markt bringen soll. Falls dies gelänge,wäre der ICA deutlich weniger auf die Beitragszahlungen seinerMitglieder angewiesen und es würden regelmäßige Einnahmenerzielt.Es wurde eine Stiftung auf Zeit eingerichtet, um ein Pilotprojektzu lancieren. Dr. Wilson führte aus, dass die Klärung von Regie-rungsfragen besonderer Aufmerksamkeit bedürfe, um sicherzu-stellen, dass die geplante Einrichtung den Erwartungen undBedürfnissen der Mitglieder des ICA in vollem Umfang ent-spricht. Es wurde ein vorläufiges Gremium eingerichtet, um dasProjekt zu begleiten und in politischen sowie verfahrenstechni-schen Fragen zu beraten.Die Mitglieder des ICA werden über diesen Vorschlag im Rah-men der ordentlichen Vollversammlung (CITRA) in Malta imNovember 2009 beraten.Das Leitungskomitee der SPA begrüßt ausdrücklich jede Initiati-ve, die der finanziellen Ausstattung des ICA zugute kommt, dochvertritt es gleichzeitig die Auffassung, dass eine Reihe Fragennäherer Erläuterung bedarf:• Erstens muss ein detaillierter Plan mit klar umrissenen Zielen

sowie eine Liste mit Produkten und Programmen erstelltwerden, damit die Mitglieder des ICA erkennen können, aufwelchem Gebiet sich die neue Einrichtung betätigen wird.

• Zweitens müssen die Mitglieder sicher gehen können, dass dieWertvorstellungen und die multikulturelle Ausrichtung desICA von der neuen Einrichtung respektiert und propagiertwerden. Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich die neueEinrichtung bei der Erarbeitung, der Verbreitung und derVermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen an denhöchsten professionellen Standards orientiert.

• Drittens soll ein umfassender und detaillierter Vorschlagvorgelegt werden, der die Aufgabe der Einrichtung, ihre Bezie-hungen zum Sekretariat des ICA und speziell die Zuständigkeitdes eventuell neu einzurichtenden Postens eines stellvertreten-den Generalsekretärs beschreibt, der in Abu Dhabi ansässigsein soll.

• Schließlich sollen die Mitglieder die Bestätigung erhalten, dassdas Leitungskomitee des ICA bei der Prüfung dieses Vorschlagsdie in den Statuten enthaltenen Grundsätze bezüglich desFunktionierens und der Verfahrensweise des ICA genauestensbefolgen wird.

Diese Einwendungen wurden dem Präsidenten des ICA über-mittelt. Kopien des noch weitere Dokumente umfassenden Schrift-wechsels können per E-Mail bei Henri Zuber,[email protected] angefordert werden.Diese Information wird den Mitgliedern der SPA zur Vorberei-tung weiterer Diskussionen unterbreitet.Ansprechpartner: Henri Zuber, Präsident der Sektion der Berufs-verbände

NEUE RICHTLINIENFÜR DIE BERUFSVERBÄNDEAuf der Homepage des ICA bzw. der SPA sind neue Richtlinienverfügbar. Sie wurden vom Leitungskomitee der SPA als Hilfestel-lung für die Berufsverbände erarbeitet.• Richtlinien für die Erstellung eines Mentoring-Programms

[Englische Fassung abrufbar unterhttp://www.ica.org/en/node/39326. Spanische und französischeFassungen werden in Kürze verfügbar sein.]

• Richtlinien für die Durchführung von Wahlen[Englische Fassung abrufbar unterhttp://www.ica.org/en/node/39324. Spanische und französischeFassungen werden in Kürze verfügbar sein.]

• Richtlinien für die Schriftgutverwaltung (records management)[Englische Fassung abrufbar unterhttp://www.ica.org/en/node/39322. Spanische und französischeFassungen werden in Kürze verfügbar sein.] Diese Richtlinienergänzen die im vergangenen Jahr erarbeitete Mustervorlageeines Fristenkatalogs. [Die Mustervorlage ist auf Englischabrufbar unter http://www.ica.org/en/node/39028. Spanischeund französische Fassungen werden in Kürze verfügbar sein.]

INTERNATIONALES FORUM „ARCHIVUND MENSCHENRECHTE“Das erste internationale Forum „Archiv und Menschenrechte“fand vom 9. bis 11. Dezember 2008 in Mexiko statt. Protokollführten Perrine Canavaggio, stellvertretende Generalsekretärindes ICA und SPA-Vizepräsident Fred van Kan.

HintergrundDas von der SDCA – Mexican Sociedad para el DesarrolloCientifico de la Archivistita (Mexikanische Gesellschaft für diewissenschaftliche Förderung des Archivwesens) – und der mexi-kanischen Sektion von Archivare ohne Grenzen organisierteForum erfreute sich der Unterstützung der Kommission fürMenschenrechte des mexikanischen Senats, des Parlaments desBundesstaats Mexiko sowie des ICA bzw. der SPA.Die Organisatoren hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen.So konnte das Forum nicht wie geplant in den Räumen der Staat-lichen Universität stattfinden. Dankenswerterweise empfing derSenat die Teilnehmer in seinen Räumlichkeiten. Mangels entspre-chender Subventionen konnten keine Archivare aus Mittel- undLateinamerika teilnehmen, so dass mit Ausnahme von Mexikokeine ALA-Staaten vertreten waren. Wie heikel das Thema derMenschenrechte ist, beweist die Tatsache, dass einer der Organi-satoren per Post eine Morddrohung erhielt.180 Personen – in erster Linie Archivare und Studenten, aberauch Anwälte, NGO-Vertreter, Anthropologen und Soziologen -nahmen an dem Forum teil. Gastredner kamen aus Südafrika (1),den Niederlanden (1), Frankreich und den Vereinigten Staatenvon Amerika (5).

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

AblaufDas Forum dauerte drei Tage. Senator José Luis Garcia Salvideaeröffnete die Tagung im Namen der Menschenrechtskommission.Fred van Kan, der Vizepräsident der Sektion der Berufsverbände,begrüßte die Teilnehmer im Namen des Internationalen Archi-vrats (englische, spanische und französische Version abrufbarunter www.ica.org/en/node/39187).

ErgebnisDas Forum wurde organisiert, um die universitäre Aus- undWeiterbildung von Archivaren zu fördern und Archivaren sowieNGO-Vertretern die Gelegenheit zu bieten, miteinander Themenvon gemeinsamem Interesse zu diskutieren. Die Veranstalterbeabsichtigen, die Tagungsbeiträge im Internet zu veröffentlichenund Comma zur Publikation anzubieten.Am Ende des Forums protestierten die Teilnehmer einstimmig ineiner Erklärung gegen die Beschlagnahmung des Schriftguts derNGO Memorial in Sankt Petersburg. Es wurde vorgeschlagen,das Forum alle zwei Jahre abzuhalten. Fred van Kan unterbreitetein diesem Zusammenhang die Kandidatur von Den Haag für dasJahr 2010. Als Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs und desInternationalen Gerichtshofs sowie dreier zeitweiliger internatio-naler Strafgerichte ist diese Stadt das Symbol der Menschenrechteschlechthin. Ferner wird im Jahr 2010 die Hundertjahrfeier desersten Archiv- und Bibliothekskongresses begangen, der inBelgien unter Mitwirkung niederländischer Kollegen stattfand.

PROJEKT „ARCHIVISCHESOLIDARITÄT“

Wer an einem Projekt mit internationaler Zusammenarbeit mit-wirkt oder ein solches zu finanzieren sucht, findet im Folgendennützliche Informationen!Das Projekt „Archivische Solidarität“ ruft allen Mitgliedern derSPA in Erinnerung, dass wir eine Datenbank zu den laufendenoder kürzlich abgeschlossenen Projekten zur internationalenZusammenarbeit im Bereich der Archive bereitstellen. SämtlicheBerufsverbände und ihre Mitglieder sind herzlich eingeladen,diese Datenbank zu konsultieren und Informationen zuProjekten, an denen sie beteiligt sind, zu übermitteln. Näheresunter: http://archives3.concordia.ca/solidarity/projects.html.Die Website enthält auch nützliche Informationen zurFinanzierung von Projekten mit internationaler Zusammenarbeit.Die laufend aktualisierte Datenbank verweist auf eine kontinu-ierlich wachsende Anzahl von Quellen zu Möglichkeiten interna-tionaler Finanzierung. Gleichzeitig greifen wir zu diesem Themadankbar jegliche Informationen aus den einzelnen Ländern auf.Ferner finden Sie zwei unlängst erschienene Publikationen zufinanziellen Mitteln, die von den europäischen Regierungenbereitgestellt werden. Näheres unter:http://archives3.concordia.ca/solidarity/funding.htmlNähere Informationen zu „Archivische Solidarität“ unterhttp://archives3.concordia.ca/solidarity/Anfragen sind stets willkommen. Ansprechpartnerin: NancyMarrelli, Leiterin des Projekts „Archivische Solidarität“

FRAGEBOGEN ZUM EHRENKODEX

Die Ergebnisse der von einer Arbeitsgruppe der SPA durchgeführ-ten Erhebung zur Notwendigkeit und Nützlichkeit eines Ehren-kodex des ICA sind nun auf der Homepage des ICA und der SPAabrufbar:Englische Fassung: http://www.ica.org/sites/default/files/Que-stionaire%20on%20ICA%20Code%20of%20Ethics_Results%20and%20Recommendations%20_2_.pdfFranzösische Fassung:http://www.ica.org/sites/default/files/French%20Questionnai-re%20on%20ICA%20Code%20of%20Ethics_Results%20and%20Recommendations_FR_v3.pdfSpanische Fassung:http://www.ica.org/sites/default/files/QuestionnaireICAEthics-Spanish%20def.pdf

150 Antworten gingen ein, der Großteil (66%) davon aus Mit-gliedstaaten der EURBICA. Die Ergebnisse in Zusammenfas-sung:• Mehr als 50% der Befragten sahen sich im Lauf ihrer Beruf-

stätigkeit mit einer Frage zum Ehrenkodex konfrontiert.• Die Lösung des Problems wurde meist auf unterschiedliche

Weise angegangen. Der Häufigkeit nach geordnet: Berufungauf die Gesetzeslage; persönliche Entscheidung; Beratungähnlich gelagerter Fälle mit Kollegen; der Ehrenkodex des ICA;der Ehrenkodex der SPA.

• Wer den Ehrenkodex des ICA konsultierte und ihn hilfreichfand, konnte die Situation klären und/oder seine ursprünglichePosition untermauern.

• Wer ihn nicht hilfreich fand, kritisierte, er sei zu allgemein oderzu theoretisch gehalten beziehungsweise entspreche nicht demProblem, mit dem sich der Betreffende konfrontiert sah.

Geschilderte Probleme:• Die meisten angesprochenen Probleme haben mit dem Zugang

zu Archivalien zu tun – wie gewähre ich einen fairen Zugang;wie verweigere ich den Zugang; was tun, wenn JournalistenDruck ausüben, um Zugang zu Akten unter Verschluss odermit beschränkter Nutzung zu bekommen; wie verfahre ich,wenn Deponenten den Zugang auf bestimmte Personen be-schränken möchten; Zugang zu Archivalien versus Vertraulich-keit der Daten.

• Themen der Aufbewahrung/Vernichtung – vor allem imZusammenhang mit Aufforderungen, jene Akten zu vernichten,die möglicherweise politischen oder persönlichen Schadenanrichten könnten.

• Auseinandersetzungen zwischen Kollegen aus den Reihen derArchivare, Bibliothekare und Museologen.

• Fachliche Auseinandersetzungen in Bezug auf den Umgang mitden ISAD Normen (G) und dem Einsatz von qualifiziertemPersonal.

• Schriftgutbildner weigern sich, ihr Schriftgut abzuliefernund/oder versuchen, inakzeptable Depotbedingungen durchzu-setzen.

• Anträge auf Rückgabe von Schriftgut.• Urheber- und Nutzungsrechte• Versuchte Bestechung gegenüber Archivaren, mit dem Ziel, die

Veränderung von Schriftgut zu erreichen.

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Die Arbeitsgruppe war der Meinung, dass der Ehrenkodex keinergrößeren Überarbeitung bedarf, da die darin enthaltenen Prinzi-pien nach wie vor Gültigkeit besitzen. Es wurde jedoch angeregt,Illustrationsmaterial bereitzustellen, um den Ehrenkodex an-schaulicher zu gestalten und den Mitgliedern klar vor Augen zuführen, wie er in jeder einzelnen Situation anzuwenden ist. Fernerwurde angeregt, Schulungen anzubieten, in denen seine Anwen-dung in spezifischen Situationen vermittelt wird. Das Leitungs-komitee der SPA befasst sich derzeit mit dieser Frage.

WELTWEITE ERKLÄRUNGDER ARCHIVEDas Projekt einer weltweiten Erklärung der Archive, dem derGeschäftsführende Ausschuss des ICA im Oktober zustimmte,wurde in den SPA-Newsletter vom November 2008 aufgenom-men. Derzeit wird eine Werbe- und Marketingkampagne ausgear-beitet, welche darauf abzielt, die offizielle Absegnung und Be-kanntgabe der Erklärung auf dem CITRA-Treffen in Maltadurchzusetzen. Zu diesem Zweck wurde die Programmkommissi-on des ICA (PCOM) um finanzielle Mittel gebeten. Sie stellte 500Euro bereit.PCOM beantragte, die Erklärung in möglichst viele Sprachen zuübersetzen, um ihre Verbreitung zu fördern. Derzeit ist die Vorla-ge auf Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch verfügbar.Mitgliedsverbände, die daran interessiert sind, die Erklärung inihre Landessprache zu übertragen, wenden sich bitte an ColleenMcEwen: [email protected].

UMFRAGE ZU DENBERUFSVERBÄNDENIm Januar 2009 wurde allen Mitgliedern der Kategorie B eineUmfrage zugeschickt. Ziel dieser Erhebung ist es, ein Profil derMitglieder zu entwickeln, Informationen über die Arbeit in derSektion der Berufsverbände zu erhalten sowie Hinweise darauf,welche nützlichen Projekte die Sektion für die Mitgliedsverbändedurchführen könnte. Falls Sie die Umfrage nicht erhalten habensollten, wenden Sie sich bitte an Fred van Kan: [email protected].

NEUGESTALTUNG DER BEITRÄGEFÜR MITGLIEDER DER KATEGORIE BIm Februar 2009 erteilte der Geschäftsführende Ausschuss desICA seine Zustimmung zur Erprobung eines neuen, von der SPAvorgeschlagenen Beitragssystems für die Mitglieder der KategorieB. Es richtet sich stärker nach dem Jahresetat als nach der Anzahlder Mitglieder und ermöglicht es Verbänden mit einem Etat vonunter 2000 Euro, einen Beitrag von 50 Euro zu zahlen, oder statteines finanziellen Beitrags eine berufsspezifische Dienstleistungzu erbringen. Eine Liste der in Frage kommenden Dienstleistun-gen sowie Richtlinien zur Einführung dieses neuen Systemswurden ebenfalls erarbeitet.

EUROPÄISCHER ARCHIVKONGRESSIM JAHR 2010Der Europäische Archivkongress wird vom 28. April bis 30. April2010 in Genf stattfinden. Er wird vom Schweizer Bundesarchiv,von EURBICA und SPA gemeinsam ausgerichtet. Nähere Infor-mationen unterhttp:www.bar.admin.ch/eca2010/index.htmal?lang=en

DIE MITGLIEDER DER SEKTION DERBERUFSVERBÄNDE – DER VEREINSCHWEIZERISCHER ARCHIVARINNENUND ARCHIVARE. BEITRAG VONCRISTINA BIANCHIVSA: Verein Schweizerischer Archivarinnen und ArchivareAAS: Association des Archivistes SuissesAAS: Associazione degli archivisti svizzeriAUS: union da las archivarias e dals archivaris svizzers

Der Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA)ist – bedingt durch die Mehrsprachigkeit des Landes – unter vierverschiedenen Namen und Abkürzungen bekannt. Rund 70 %der Schweizer sind deutsch-, 22 % sind französisch-, 7,5 % sinditalienischsprachig und in bestimmten Gebieten des Südostenswird noch eine alte Sprache namens Rätoromanisch gesprochen(0,5 %) – eine eher mündliche als schriftliche Sprache, die offizi-ell als vierte Amtssprache anerkannt ist. Bei Sitzungen sprichtjeder Archivar in seiner Muttersprache, und einschlägige Publika-tionen werden in einer der drei Hauptsprachen herausgegeben.Zur besseren Verständigung veröffentlichte der VSA im Jahr 2002ein „Glossar nützlicher Begriffe für Schweizer Archivare“, dasfranzösische und deutsche Fachwörter enthält, die im Zusam-menhang mit Archiven benutzt werden.Der Verein wurde 1922 von Archivaren, Historikern und demVorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte ge-gründet. Der zunächst sehr stark historisch ausgerichtete Vereinentwickelte sich rasch weiter und befasst sich seit den siebzigerJahren verstärkt mit den Informationswissenschaften.Ab 1975 wurden Arbeitskreise und Ausschüsse eingerichtet, umüber wichtige archivspezifische Themen zu beraten wie Privat-und Behördenarchive, Medienarchive, Bankarchive, Kommunalar-chive, Kirchenarchive, digitale Archive, Mikroformen und dieEntwicklung von Normen.Das Berufsbild des Archivars wurde in der Schweiz 1998 neugestaltet: Es wurden drei verschiedene Ausbildungsgänge imInformationswesen eingeführt. Es gibt ein Ausbildungsprogrammfür Schulabgänger, eine Hochschule, die Spezialisten ausbildet,und seit 2006 bietet die Universität von Bern und Lausanneeinen Masterstudiengang in Archivwesen und Informationswis-senschaften an.Seit 1986 erscheint regelmäßig ARBIDO (AR für Archiv, BI fürBibliothek und DO für Dokumentation), das Fachorgan dergroßen Schweizer Vereine für Information und Dokumentation:Des Vereins Schweizerischer Archivarinnen und Archivare und

MITTEILUNGEN UND BEITRÄGE DES VdA

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VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

des Schweizerischen Bibliothekarsvereins (Bibliothèque Informa-tion Suisse). Der VSA bietet auch Fortbildungsveranstaltungen zugängigen Themen wie Normen und elektronische Archive an; erfördert die Herausgabe von einschlägigen Publikationen wie2007 “Pratiques archivistiques en Suisse“ von Gilbert Coutazoder „Records Management: Ein Handbuch“ von Peter Toebak2008.Da die Schweiz eine Konföderation aus 26 Kantonen ist, kennt sieviele verschiedene Archivtraditionen. Seit 1994 trifft sich derLeiter des Bundesarchivs regelmäßig mit den Leitern der Kan-tonsarchive, um sich über die Tätigkeit ihrer so unterschiedlichenund doch so ähnlichen Archive auszutauschen.Der VSA zählt derzeit 600 Mitglieder – 432 persönliche Mitglie-der, 160 juristische Personen und acht in Ausbildung befindlicheArchivare (Die Schweiz zählt insgesamt 7,5 Millionen Einwoh-ner). Er verfügt über einen Etat von 170 000 Schweizer Franken.2007 wurde erstmals eine Frau zur Vorsitzenden gewählt. AnnaPia Maisson sucht den VSA zu stärken, um die Position derArchivare sowohl auf nationaler als auch auf internationalerEbene zu verbessern. Ihrer Ansicht nach gilt es, die Archive undihre Funktionsweise besser bekannt zu machen und eine solidegesetzliche Basis für die Schriftgutverwaltung zu erarbeiten. DasArchivgut außerhalb des nichtöffentlichen Bereichs ist besser zuschützen; es sollte frei zugänglich gemacht werden. Die Verwal-tung und Aufbewahrung elektronischer Daten sollte mehr in denMittelpunkt rücken. Ferner ist es notwendig, eng mit parallelenVereinen zusammenzuarbeiten, um ein neues Berufsbild unseresSektors zu erstellen und gemeinsame Lösungen innerhalb einerzunehmend globalisierten Welt zu suchen. Das Fachwissen derArchivare stellt einen Schatz dar, der stärker in den Dienst desVerbandes und des Gemeinwesens gestellt werden sollte.Möchten Sie gerne Ihren Verband im SPA-Newsletter präsentie-ren? Dann wenden Sie sich bitte an Colleen McEwen: [email protected]

DIE ACADEMY OF CERTIFIEDARCHIVISTS BEGRÜßTE IHR1000. MITGLIED

Am 30. April verkündete die Academy of Certified Archivists(ACA) die Aufnahme des 1000. Mitglieds.Die 1989 gegründete Akademie hat sich zum Ziel gesetzt, auf dieEinhaltung und Weiterentwicklung der Standards der Archivpra-xis zu achten. Die Mitgliedschaft ist auf Archivare beschränkt,welche sich aufgrund ihrer einschlägigen Ausbildung und Berufs-erfahrung (ein Master-Abschluss ist erforderlich) zur Zertifizie-rung melden.Die Mitglieder müssen sich alle fünf Jahre erneut zertifizieren –entweder in Form einer Prüfung oder durch das Sammeln voncredit-points in Form einer Kombination aus einschlägigenDienstleistungen oder außerplanmäßigen Aktivitäten zugunstendes Berufsstandes. Ein Volontariat der Mitglieder im Bereich derArchivwissenschaften wird begrüßt und mit credit-points be-lohnt.Die Mitglieder der Akademie sind in Nordamerika und derganzen Welt tätig, in führenden Organisationen wie dem Natio-nalarchiv der Vereinigten Staaten von Amerika (NARA), der

American Philosophical Society, bei McDonald, der Stadt Seattleund Coca Cola.Näheres zur Akademie unter: www.certifiedarchivists.org

KONTAKTADRESSENDES LEITUNGSKOMITEES DER SPA

VorsitzenderHenri ZuberAssociation des archivistes français45, rue de Londres75008 [email protected] : 0033 1 53 42 93 98Fax : 0033 1 53 42 90 65

Stellvertretender VorsitzenderFred van KanKoninkijke Vereniging van Archivarissen in Nederlandc/o Gelders ArchiefMarket 16811 CG [email protected] : 00 31 26 352 16 00Fax : 00 31 26 352 16 99

SchriftführerAndrew NicollScottish Catholic ArchivesColumba Hause16 Drummond PlaceEdinburgh EH3 [email protected] : 0044 131 556 3661Fax : 0044 131 556 3661

Newsletter-RedakteurinColleen McEwenAustralian Society of Archivists34 Carr CrescentWanniassa ACT [email protected] : 00 61 2 62 316948

ÜbersetzerIns Französische: Cristina Bianchi und Henri ZuberIns Deutsche: Christine und Michael Diefenbacher

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PERSONALNACHRICHTEN

STAATLICHE ARCHIVE

BUNDESARCHIV

ErnanntArchivrätin Dr. Sabine Dumschat zur Archivoberrätin(10.8.2009) –Wissenschaftlicher Rat Christoph Seemann zumWissenschaftlichen Oberrat (11.8.2009) – Referentin Dr. ClaudiaZenker-Oertel zur Archivrätin (21.7.2009).

VersetztArchivrat Jörg Filthaut M.A. vom Bundesarchiv an das Thürin-gische HauptstaatsarchivWeimar (15.8.2009) – Regierungsrätinz.A.Katharina Knüppel vom Bundesarchiv zum Beauftragtender Bundesregierung für Kultur und Medien (1.8.2009) – Regie-rungsinspektorin z.A.Nicole Neuland vom Bundesarchiv zumBundesministerium der Justiz (1.7.2009).

In den Ruhestand getretenSachbearbeiterin Brigitte Kuhl (31.7.2009)– Referatsleiter Hans-Gunter Voigt (31.7.2009).

DIE BUNDESBEAUFTRAGTE FÜR DIE UNTER-LAGEN DES STAATSSICHERHEITSDIENSTESDER EHEMALIGEN DDR

EingestelltArchivarin Roxi Liebscher (1.2.2009) – Archivarin Ulla Preetz(1.2.2009).

ErnanntKaty Kampffmeyer zur Archivinspektorin (29.4.2009)– Andreas Petter M.A. zum Archivrat (29.4.2009).

In den Ruhestand getretenAbteilungspräsidentin Dr. Dagmar Unverhau (30.4.2009).

GEHEIMES STAATSARCHIVPREUßISCHER KULTURBESITZ

EingestelltArchivangestellte Stefanie Grunack (26.5.2009).

ErnanntDr. Thomas Becker zum Archivreferendar (1.5.2009).

VersetztArchivinspektorin Petra Fiedler vom Geheimen StaatsarchivPreußischer Kulturbesitz an das Bundesverwaltungsamt Köln(1.9.2009).

In den Ruhestand getretenWissenschaftliche Angestellte Ute Dietsch (30.4.2009) - Biblio-theksangestellte Barbara Ristau (31.5.2009).

BAYERN

EingestelltSarah Awesu beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv als Biblio-thekssekretärin (1.9.2009).

ErnanntArchivobersekretärin Barbara Gastel bei der Generaldirektionder Staatlichen Archive Bayerns zur Archivhauptsekretärin(1.9.2009) – Archivsekretär Arndt Grunert beim BayerischenHauptstaatsarchiv zum Archivobersekretär (1.9.2009) – Archiv-hauptsekretär Erwin Jäcklein beim StaatsarchivWürzburg zumAmtsinspektor (1.9.2009) – Archivdirektor Dr. Christian Krusebei der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns zumArchivdirektor auf Lebenszeit (17.9.2009) – Archivhauptsekre-tärin Christine Magerla beim Staatsarchiv Nürnberg zur Archiv-inspektorin (1.9.2009) – Archivobersekretär Hans Kaltenbrunnerbeim Staatsarchiv Amberg zum Archivhauptsekretär (1.9.2009) –AmtsinspektorinMonika Poidinger bei der Generaldirektionder Staatlichen Archive Bayerns zur Amtsinspektorin mit Amts-zulage (1.9.2009) – Archivobersekretär Georg Rumpler beimStaatsarchiv Amberg zum Archivhauptsekretär (1.9.2009) –Archivassessorin Dr. Laura Scherr M.A. beim BayerischenHauptstaatsarchiv zur Archivrätin (1.8.2009).

In den Ruhestand getretenArchivoberrat Dr. Reinhard Höppl beim Bayerischen Haupt-staatsarchiv (30.6.2009).

BAYERISCHE ARCHIVSCHULE

ZumVorbereitungsdienst für den mittleren Archivdienst wurdenfolgende Archivsekretäranwärterinnen und Archivsekretäranwär-ter zugelassen:Andreas Burger, Wolfgang Dudik, Stefan Dünisch,Christine Hertle (1.9.2009).

PERSONALNACHRICHTENZusammengestellt vom

VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V.

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BRANDENBURG

In den Ruhestand getretenWissenschaftliche Archivarin Eva Rickmers beim Brandenburgi-schen Landeshauptarchiv (31.8.2009).

BREMEN

EingestelltArchivangestellter Boris Löffler beim Staatsarchiv Bremen(1.7.2009).

In den Ruhestand getretenArchivamtmann Peter Fricke beim Staatsarchiv Bremen(31.8.2009).

HAMBURG

EingestelltThomas Fritz als Fachangestellter für Medien- und Informati-onsdienste, Fachrichtung Archiv, beim Staatsarchiv Hamburg(2.7.2009).

ErnanntRegierungsoberinspektorin Julia Brüdegam beim StaatsarchivHamburg zur Beamtin auf Lebenszeit (3.4.2009) und zur Regie-rungsamtfrau (17.6.2009) – Regierungsinspektorin Jenny Kottebeim Staatsarchiv Hamburg zur Beamtin auf Lebenszeit(1.9.2009).

HESSEN

EingestelltChristiane Otto als Fachangestellte für Medien- und Informati-onsdienste, Fachrichtung Archiv (1.8.2009).

ErnanntArchivrat Dr. Volker Hirsch bei der Archivschule Marburg zumBeamten auf Lebenszeit (1.9.2009).

VersetztLeitender Archivdirektor Dr. Frank Michael Bischoff von derArchivschule Marburg an das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen,Abteilung Rheinland, Düsseldorf (30.6.2009).

AusgeschiedenDipl.-Archivar (FH) Fabian Zagefka beim Hessischen Staats-archiv Darmstadt, Archivberatungsstelle (31.7.2009).

ARCHIVSCHULE MARBURG

11Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 45. Fachhochschulkurseshaben am 26.6.2009 erfolgreich ihre Ausbildung beendet:Lisa Arnold (Nordrhein-Westfalen),Maxi Braun (Nordrhein-Westfalen),Astrid Freese M.A. (Hessen), Lars Hilbert(Nordrhein-Westfalen),Mirella Libera (Niedersachsen),

Anne Potthoff (Nordrhein-Westfalen), Britt Sattler (Nordrhein-Westfalen),Tonia Schulte (Nordrhein-Westfalen),Antje Schulzki(Hamburg),Clemens Uhlig (Hessen),Marike Zenke (Hessen).

NIEDERSACHSEN

EingestelltDipl.- Archivar (FH) Robert Gahde beim NiedersächsischenLandesarchiv, Staatsarchiv Stade (1.9.2009).

ErnanntArchivoberrat Dr. Stefan Brüdermann beim NiedersächsischenLandesarchiv, Staatsarchiv Bückeburg, zum Archivdirektor(13.8.2009) – Archivoberrätin Dr. Sabine Graf beim Niedesächsi-schen Landesarchiv, Zentrale Archivverwaltung, zur Archivdirek-torin (26.6.2009).

NORDRHEIN-WESTFALEN

EingestelltUlrich Bartels als wissenschaftlicher Archivbeschäftigter beimLandesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Brühl(1.6.2009) – Staatsarchivrätin Dr. Ragna Boden beim Landesar-chiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Düsseldorf(1.9.2009) – Leitender Staatsarchivdirektor Dr. Frank MichaelBischoff beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, AbteilungRheinland, Düsseldorf (1.7.2009) – Staatsarchivrat Dr. MartinSchlemmer beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, AbteilungRheinland, Düsseldorf (1.6.2009).

ErnanntOberstaatsarchivrätin Dr. Martina Wiech beim LandesarchivNordrhein-Westfalen, Fachbereich Grundsätze, Düsseldorf zurStaatsarchivdirektorin (1.9.2009).

VersetztStaatsarchivrätin Dr. Antje Diener-Staeckling vom Landesar-chiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, Düsseldorf andas LWL-Archivamt fürWestfalen (1.9.2009).

AusgeschiedenDipl.-Archivar (FH) Robert Gahde beim Landesarchiv Nord-rhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, Detmold(31.8.2009).

SACHSEN

EingestelltMartin Kühn beim Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung StaatsarchivLeipzig, als Auszubildender zum Fachangestellten für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv (1.9.2009) – StephaniePatzschke beim Sächsischen Staatsarchiv, Abteilung StaatsarchivLeipzig, als Auszubildende zur Fachangestellten für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv (1.9.2009) – CarmenSchwietzer beim Sächsischen Staatsarchiv, Abteilung StaatsarchivLeipzig, als Auszubildende zur Fachangestellten für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv (1.9.2009).

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009

PERSONALNACHRICHTEN

ErnanntRegierungsamtfrau Ilka Heller beim Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Zentrale Aufgaben, Grundsatz, zur Regierungsamts-rätin (8.6.2009).

AbgeordnetArchivdirektor Dr. Nils Brübach vom Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Hauptstaatsarchiv Dresden, zum Sächsischen Staatsmi-nisterium des Innern (1.7.2009 - 30.6.2010).

In den Ruhestand getretenReferent Dr. Klaus Müller beim Sächsischen Staatsarchiv,Abteilung Staatsarchiv Chemnitz (31.8.2009) – MitarbeiterinMartina Schieck beim Sächsischen Staatsarchiv, AbteilungStaatsarchiv Chemnitz (31.8.2009).

AusgeschiedenAnja Dinger beim Sächsischen Staatsarchiv, Abteilung Staatsar-chiv Leipzig, nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung zurFachangestellten für Medien- und Informationsdienste, Fachrich-tung Archiv (27.8.2009) – Jana Stiller beim Sächsischen Staatsar-chiv, Abteilung Staatsarchiv Leipzig, nach erfolgreichem Ab-schluss der Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv (27.8.2009).

SCHLESWIG-HOLSTEIN

SonstigesFür Leitenden Archivdirektor Prof. Dr. Rainer Hering vomLandesarchiv Schleswig-Holstein ist die Habilitation im FachNeuere Geschichte um die Habilitation im Fach Archivwissen-schaft von der Universität Hamburg erweitert worden(29.10.2008).

THÜRINGEN

EingestelltDr. Steffen Arndt als wissenschaftlicher Archivar beim Thürin-gischen Staatsarchiv Gotha (1.8.2009) – Archivrat Jörg FilthautM.A. beim Thüringischen HauptstaatsarchivWeimar (15.8.2009).

KOMMUNALE ARCHIVE

LWL – Archivamt für Westfalen, MünsterLandesarchivrätin Dr. Antje Diener-Staeckling wurde einge-stellt (1.9.2009).

Kreisarchiv Nordwestmecklenburg,GrevesmühlenSachgebietsleiterin Gabriele Arndt ist im Alter von 46 Jahrenverstorben (22.8.2009).

Kreisarchiv WeselKreisarchivrat Dr. Axel Metz wurde als Leiter eingestellt(1.7.2009).

Stadtarchiv AlbstadtLeiter des Stadtarchivs Dr. Peter Thaddäus Lang ist in denRuhestand getreten (30.9.2009).

Stadtarchiv DorstenPhilipp Schulten hat die Abschlussprüfung als Fachangestellterfür Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv,bestanden (29.6.2009) – Sebastian Hemprich wurde als Auszu-bildender zum Fachangestellten für Medien- und Informations-dienste, Fachrichtung Archiv, eingestellt (1.8.2009).

Stadtarchiv FürstenfeldbruckDr. Gerhard Neumeier wurde als Leiter eingestellt (3.8.2009).

Stadtarchiv HockenheimVerwaltungsangestellter Edgar Schmetz ist im Alter von 49Jahren verstorben (23.11.2008). Verwaltungsangestellter ChristianSchleyer wurde eingestellt (16.5.2009).

Stadtarchiv KarlsruheSelina Küst wurde als Fachangestellte für Medien- und Informa-tionsdienste, Fachrichtung Archiv, eingestellt (11.7.2009).

Stadtarchiv MoersDipl.-Archivar (FH) Christoph Spilling wurde als Leiter einge-stellt (3.8.2009).

Stadtarchiv NürnbergJasmin Kambach wurde als Fachangestellte für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv, eingestellt (14.7.2009) –Marius Pfaller wurde als Fachangestellter für Medien- undInformationsdienste, Fachrichtung Archiv, eingestellt (14.7.2009).

Stadtarchiv RegensburgStädtischer Oberarchivrat a. D.Guido Hable ist im Alter von78 Jahren verstorben (15.8.2009).

Stadtarchiv WürzburgArchivassessorin Dr. Renate Schindler wurde alsWissenschaft-liche Archivarin eingestellt (1.6.2009).

Gemeindearchiv LanggönsDipl.-Archivarin (FH)Marei Söhngen M.A. trägt nun denFamiliennamen Söhngen-Haffer (24.7.2009).

HERRSCHAFTS-, HAUS- UND FAMILIENARCHIVE

Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, RegensburgFürstlicher Archivamtsrat i. R.Hugo Angerer ist im Alter von77 Jahren verstorben (4.8.2009).

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465

WIRTSCHAFTSARCHIVE

Stiftung Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg,Stuttgart-HohenheimWissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Jeanette Godau wurdeeingestellt (1.6.2009).

ARCHIVE DER PARLAMENTE, POLITISCHEN PAR-TEIEN, STIFTUNGEN UND VERBÄNDE

Landtag von Baden-Württemberg, StuttgartMinisterialrat Dr. Günther Bradler ist in den Ruhestand getre-ten (31.8.2009).

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, BonnLeiter des Historischen Forschungszentrums und des Archivs dersozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Prof. Dr.Michael Schneider ist in den Ruhestand getreten (30.6.2009).Seine Nachfolgerin als Leiterin des Archivs der sozialen Demo-kratie ist Dr. Anja Kruke (1.7.2009).

ARCHIVE DER HOCHSCHULEN SOWIE WISSEN-SCHAFTLICHER INSTITUTIONEN

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im BreisgauArchivdirektor Dr. Dieter Speck vom Universitätsarchiv Frei-burg wurde zum Honorarprofessor bestellt (20.8.2009).

Universität DortmundClaudia Weise wurde im Universitätsarchiv der TU Dortmundeingestellt (1.9.2009).

Internationaler Suchdienst, Bad ArolsenKarsten Kühnel M.A. wurde als Abteilungsleiter Katalogisie-rung (Archival Description) eingestellt (1.12.2008).

GEBURTSTAGE

95 Jahre:Oberstleutnant a. D.Helmuth Forwick, Freiburg (12.3.2010).

85 Jahre:Werksarchivar i. R.Hermann Nolte, Braunschweig (1.2.2010).

80 Jahre:Leitender Staatsarchivdirektor a. D. Prof. Dr. Hans-JoachimBehr, Münster (23.1.2010) – Ministerialrat a. D. Prof. Dr. Hans-Walter Herrmann, Riegelsberg (8.3.2010) –WissenschaftlicherArchivar i. R.Dr. Rudolf Knaack, Potsdam (14.3.2010) – Leiten-der Archivdirektor a. D. Prof. Dr. Gustav Luntowski, Dort-mund (17.1.2010).

75 Jahre:Oberstaatsarchivrat a. D.Dr. Wolfgang Knackstedt, Münster(23.3.2010) – Prof. Dr. Siegfried Kuntsche, Uelitz (18.2.2010) –Archivoberrätin a. D.Margrit Loges, Alfter (6.1.2010) – Archiv-amtsrat a. D.Gregor Verlande, Koblenz (2.3.2010).

70 Jahre:Ministerialrat a. D.Dr. Bernd Habel, Königswinter (19.3.2010)– Archivdirektor a. D. Prof. Dr. Eckart Henning M. A., Berlin(27.1.2010) – Direktor des Landesarchivs a. D.Dr. WolfgangLaufer, Saarbrücken (17.3.2010) – Leitender Archivdirektor a. D.Albrecht Liess, München (17.1.2010) – Kreisarchivarin i. R.Elfriede Richter, Altenburg (2.1.2010) –WissenschaftlicherReferent i. R.Horst Peter Schulz M.A., Bonn (13.3.2010) –Leitender Archivdirektor a. D.Dr. Wolfram Werner, Koblenz(16.3.2010).

65 Jahre:Fernand Emmel, Luxemburg (9.3.2010) – Archivleiterin Hilde-gard Kneis, Ladenburg (6.2.2010) – Stadtarchivrat a. D.Dr. PeterThaddäus Lang, Albstadt (30.3.2010) – Archivleiterin DorotheeMenrath, Speyer (18.2.2010) – Oberamtsrätin ChristaSchmeißer, München (7.1.2010) – Stadtarchivarin AnnalieseSoltwedel, Güstrow (24.3.2010) – Archivdirektor Dr. WolfgangStein, Koblenz (20.2.2010) – Präsident Prof. Dr. HartmutWeber, Koblenz (12.3.2010) –Mona Wikhäll, Frankfurt a.M.(26.1.2010) – Archivdirektor Dr. Bernhard Theil, Stuttgart(22.1.2010).

60 Jahre:Stadtarchivarin Dr. Regina-Maria Becker, Rendsburg (1.1.2010)– Kreisarchivarin Irmtraud Betz-Wischnath, Reutlingen(29.3.2010) –Wissenschaftliche Referentin Dr. Bettina Bouresh,Brauweiler (20.1.2010) – Archivleiterin Dr. Monika FassbenderM. A., Gummersbach (14.2.2010) – Archivleiter Dr. ManfredFaust, Hürth (13.3.2010) – Archivamtfrau Barbara Hellmann,Würzburg (3.3.2010) – Amtmann Horst Henkel, Berlin(24.1.2010) – Direktor Prof. Dr. Jürgen Kloosterhuis, Berlin(4.3.2010) – Barbara Müller-Heiden, Teltow (8.3.2010) – Kir-chenarchivdirektorin Dr. Christa Stache, Berlin (10.1.2010).

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NACHRUFE

NACHRUFELIESELOTT ENDERS †

Geb. 13.2.1927 ElbingGest. 25.4.2009 bei Genthin

Im neunten Lebensjahrzehnt stehend und nach wie vor forschendund publizierend tätig, ist Lieselott Enders, langjährige Abtei-lungsleiterin und Stellvertreterin des Direktors des Brandenburgi-schen Landeshauptarchivs, auf der Rückfahrt von einer wissen-schaftlichen Tagung im altmärkischen Tangermünde durch einentragischen Verkehrsunfall abrupt aus dem Leben gerissen wor-den. Geboren wurde sie in Elbing im damaligen Ostpreußen alszweites Kind von Paul und Käthe Olivier. Die Familie war huge-nottischer Herkunft und nach einem Zwischenaufenthalt im 18.Jahrhundert in Strasburg in der Uckermark in Ostpreußensesshaft geworden. Der Vater war zunächst Versicherungsbeamter,ließ sich vorzeitig pensionieren, um Philosophie zu studieren,und wirkte nach 1945 als Cheflektor im Verlag der Nation in Ost-Berlin; die Mutter war Lehrerin bzw. Lektorin im gleichen Verlag.Von dieser bildungsbürgerlichen Herkunft wurde auch derweitere Lebensweg von Lieselott Enders geprägt. Nach Ablegungdes Abiturs 1946 an der August-Hermann-Francke-Oberschule inHalle studierte sie Geschichte, Germanistik und Pädagogik ander Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Hum-boldt-Universität zu Berlin. Im Anschluss an das Universitätsstu-dium und das erste Staatsexamen begann sie 1951 zusammen mitihrem Ehemann Gerhart Enders, dem 1972 früh verstorbenenspäteren Autor der „Archivverwaltungslehre“ und Abteilungslei-ter im Zentralen Staatsarchiv der DDR, das Studium für denhöheren Archivdienst am damaligen Institut für Archivwissen-schaft in Potsdam. Sie gehörte zu den Teilnehmern der „IfA II“und war eine der in diesen Jahren in Ost wieWest noch wenigenweiblichen Mitglieder des Kurses. Mit ihr hörten unter anderendie Kollegen Friedrich Beck, Hans-Stephan Brather,WolfgangEger, Helmut Lötzke, Rudolf Schatz, Gerhard Schmid und Hans-Joachim Schreckenbach die Vorlesungen der ProfessorenWillyFlach, Fritz Hartung, Hans Haußherr, Hellmut Kretzschmar undHeinrich Otto Meisner. Sie beendete den Kurs mit der zweitenStaatsprüfung im Juli 1953 und wurde noch im gleichen Jahr vonHans Haußherr mit dem Thema „Das Domänenamt Petersbergbei Halle im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts“ promoviert.Zum1. September 1953 trat Lieselott Enders in den Dienst desjüngsten deutschen Staatsarchivs, des 1949 begründeten Branden-burgischen Landeshauptarchivs in Potsdam, dessen „provisori-sches“ Domizil sich bis nach der historischenWende von 1989/90in der Orangerie des Parks Sanssouci befand. Sie gehörte mit demspäter im Bundesarchiv in Koblenz tätigen Hans-Joachim Neu-feldt und ihren Kurskollegen Beck und Eger, zwei Angehörigendes gehobenen Dienstes und einigen technischen Hilfskräften zurGründungsmannschaft des Archivs. Vor dieser stand eine schierunlösbare Aufgabe. Es galt, die aus den Kriegsauslagerungenzurückgeführten Bestände des ehemaligen „Staatsarchivs für dieProvinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“, die

infolge der politischen Verhältnisse nicht an ihren alten StandortinWest-Berlin zurückkehren konnten, sowie das Schriftgut deraufgelösten Behörden aus der NS-Zeit und die in die Verwaltungdes Archivs gelangten Adels- und Gutsarchive der historischenForschung und den Anforderungen der Verwaltungsorganezugänglich zu machen. Hinzu kamen die nach Auflösung derLänder in der DDR1952 anfallenden Schriftgutmengen derLandesregierung Brandenburg. Den absoluten Vorrang hattendabei die Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten an den Bestän-den, für die lediglich ungenügende Ablieferungsverzeichnissevorlagen – für die des ehemaligen Provinzialarchivs gab es keineFindbücher, da sie im Geheimen Staatsarchiv verblieben waren.Den damit in der Archivpraxis an sie gestellten Aufgaben stelltesich die junge Archivarin und Mutter zweier Kleinkinder mitEnergie und beispielhaftem Engagement. Als aktive Mitgestalte-rin am Auf- und Ausbau des Landeshauptarchivs hatte sie we-sentlichen Anteil an der Erarbeitung von Ordnungs- und Ver-zeichnungsrichtlinien für die anstehenden Erschließungsarbeitenan den Beständen und deren Tektonik. Für die in der Abteilung Izusammengefasste älteste Überlieferung, die bis zu den preußi-schen Reformen von 1806/15 reichte, wurde sie als Abteilungslei-terin zuständig. Nach über zehnjähriger entsagungsvoller Kärr-nerarbeit konnte sie in Zusammenarbeit mit weiteren Kollegenim Ergebnis dieser Arbeit 1964 als Band 4 der „Veröffentlichun-gen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs“ den erstenTeilband der „Übersicht über die Bestände des Brandenburgi-schen Landeshauptarchivs“ vorlegen, die zu dieser Zeit Maßstäbefür die Erarbeitung von Beständeübersichten setzte. In Verallge-meinerung ihrer eigenen Arbeitserfahrungen beschrieb sie 1971auf hohem theoretischem Niveau in der Fachzeitschrift dieweitere differenzierte Anwendung des Provenienzprinzips undwürdigte 1983 dessen Ungebrochenheit anlässlich des Centenari-ums seiner Einführung in Preußen 1881.Nach der 1976 unter politisch-ideologischen Zielsetzungenerfolgten Umstrukturierung der Staatsarchive in der DDR vonder traditionell bestandsbezogenen auf eine aufgabenbezogeneStruktur mit den Abteilungen Erschließung und Auswertungergaben sich auch für Lieselott Enders neue Aufgabenstellungen.Als Leiterin der Abteilung Erschließung des nunmehrigen Staats-archivs Potsdam sah sie sich mit der „Vorfeldarbeit“ bei derSchriftguterfassung und -übernahme und den damit verbunde-nen Problemen der Bewertung konfrontiert. Obwohl sie selbstder neuen Struktur kritisch gegenüberstand, wie sie dies auch inder DDR-Fachzeitschrift „Archivmitteilungen“ zum Ausdruckbrachte, stellte sie sich den neuen Anforderungen. Aufgrund ihrerim eigenen Archiv gesammelten Erfahrungen und erworbenenKenntnisse wurde sie in zentrale Forschungsgremien des DDR-Archivwesens berufen und war hier an der Erarbeitung des 1981von der Staatlichen Archivverwaltung herausgegebenen „Rah-mendokumentationsprofils der staatlichen Archive für denZeitraum1945-1981“ beteiligt. Mit diesem wurde ein zeitlich undsachlich gegliederter Rahmenkatalog der die Grundzüge derhistorischen Entwicklung der DDR widerspiegelnden „histori-

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JOACHIM FISCHER †

Geb. 27.12.1936 RavensburgGest. 21.7.2009 Stuttgart

Am 21. Juli 2009 verstarb nach langjähriger Krankheit in Stutt-gart Archivdirektor a. D. Dr. Joachim Fischer. Beim Requiem inder Mariä-Himmelfahrtskirche und zur Trauerfeier und Beerdi-gung auf dem Neuen Friedhof in Stuttgart-Degerloch fanden sicham 28. Juli zahlreiche Kolleginnen und Kollegen ein, um von ihmAbschied zu nehmen.Joachim Fischer war Archivar mit Leib und Seele.Was in derWeltder Archive geschieht, daran hat er bis zuletzt regen Anteilgenommen.Trotz der sichtbaren körperlichen Beeinträchtigun-gen, die ihm das Leben schwer gemacht haben, und dies imRuhestand zunehmend, hat er weiterhin an Veranstaltungen desLandesarchivs Baden-Württemberg, der Kommission für Ge-schichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg und desWürttembergischen Geschichts- und Altertumsvereins teilge-nommen, interessiert und liebenswert, wie wir ihn kannten undschätzten. Joachim Fischer war präsent im archivarischen Kultur-leben. Der Ruhestand, der im Jahr 2000 einen neuen Lebensab-schnitt für den Leiter des Staatsarchivs Freiburg und die Rück-kehr an seinen früheren Dienst- undWohnort Stuttgart bedeute-te, war in dieser Hinsicht keine Zäsur.In die Archivverwaltung Baden-Württemberg war JoachimFischer 1964 eingetreten, zunächst als wissenschaftlicher Ange-stellter bei der Abteilung Landesbeschreibung in Tübingen, bevorer von 1965 bis 1967 am Hauptstaatsarchiv Stuttgart und an derArchivschule Marburg als Teilnehmer des 8.WissenschaftlichenKurses die Ausbildung für den Höheren Archivdienst absolvierte.Geboren in Ravensburg als Sohn des im Krieg gefallenen Vermes-sungsrates Eugen Fischer und seiner Ehefrau Regina geb. Utz undaufgewachsen im nahe gelegenenWaldsee, hatte er 1956 amGymnasium inWangen im Allgäu das Abitur abgelegt, umunnmittelbar danach in Tübingen und Poitiers die Fächer Fran-zösisch und Geschichte zu studieren. Das Studium schloss er mitdem Staatsexamen (1961) und der Promotion in mittelalterlicherGeschichte an der philosophischen Fakultät der UniversitätTübingen (1964) ab.Nach der Übernahme in den Archivdienst des Landes war Joa-chim Fischer dann zunächst jeweils kurzfristig verschiedenenStaatsarchiven des Landes zugewiesen. Er selbst hat es immer alsprägend angesehen, dass er in jungen Jahren diesen breitenErfahrungshorizont und eine persönliche Beziehung zu allenRegionen in der Archiv- und Kulturlandschaft des Landes auf-bauen konnte. Dadurch war er auch in allen Archiven bekanntund mit ihnen vertraut. Nach Stationen am Staatsarchiv Lud-wigsburg (ab April 1967), am Generallandesarchiv Karlsruhe (abAugust 1968) und an dessen damaliger Außenstelle in Freiburg

schen Tatsachen“ vorgelegt. Getreu ihrer von Nonkonformismusgeprägten Grundhaltung hat Lieselott Enders auch hier kritischeMaßstäbe angelegt. Nach ihrer Auffassung stellte der Rahmenka-talog lediglich ein Hilfsmittel bei der Bewertung dar, der letztlichdie wissenschaftliche Qualifikation und das Verantwortungsbe-wusstsein des Archivars nicht ersetzen könne. In diesem Sinnehat sie auch Vorwürfen zu seiner „mechanischen Anwendung“ inder kontroversen Diskussion nach der „Wende“ in den Fachzeit-schriften in Ost undWest zurückgewiesen.Als Angehörige der älteren Archivarsgeneration, für die alsHistoriker-Archivar zur Dienstleistungsfunktion der Archive auchdie Auswertung der Bestände durch eigene geschichtswissen-schaftliche Publikationen gehörte, war es für Lieselott Enderseine Verpflichtung, neben der archivpraktischen und -wissen-schaftlichen Arbeit auch auf dem Gebiet der brandenburgischenLandesgeschichte tätig zu werden. Innerhalb der für die Schrif-tenreihe des Brandenburgischen Landeshauptarchivs dominie-renden Thematik – Quelleneditionen, topographisch-statistischeund bibliographische Hilfsmittel – übernahm sie die Feder-führung bei der Erarbeitung des Historischen Ortslexikons fürBrandenburg. In den Jahren von 1962 bis 1997 erschienen dessennach den historischen Landschaften der Mark Brandenburgangelegte zehn Einzelbände, zusätzlich eines Registerbandes. Mitsechs Bänden steuerte Lieselott Enders den größten Anteil zudiesem im Vergleich mit zahlreichen deutschen Ländern einmali-gen Publikationsvorhaben bei.Die dabei durch eingehendes Quellenstudium erworbenenSpezialkenntnisse bildeten den Grundstock für ihre weiterenArbeiten zur brandenburgischen Landesgeschichte. In zahlrei-chen Beiträgen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichenGeschichte der Mark Brandenburg hat sie ihre Forschungsergeb-nisse in den führenden landesgeschichtlichen Periodika wie demJahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, denBlättern für deutsche Landesgeschichte und den Forschungen zurBrandenburgischen und Preußischen Geschichte vorgelegt. Alleinim Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte erschienmit Regelmäßigkeit jährlich ein Beitrag von ihr. Als Gründungs-mitglied der 1996 gebildeten Brandenburgischen HistorischenKommission hat sie derenWirksamkeit und Publikationsvorha-ben mitgeprägt.Ihre landesgeschichtliche Forschungs- und Publikationstätigkeiterfuhr die Krönung in der Zeit nach dem1987 erfolgten Aus-scheiden aus dem Dienst, den Jahren des „Ruhestandes“. DasAlterswerk präsentiert sich in drei inhalts- und umfangreichenmonographischenWerken zur kurmärkischen Landesgeschichte.Sie begannen 1992 mit der Landschaft, zu der die Autorin wohl inErinnerung an ihre Vorfahren besondere Beziehungen hatte – derUckermark. Es folgten 2001 die Geschichte der Prignitz und 2008die der Altmark. In ihnen finden, gegründet auf intensives Quel-lenstudium, die territorialen und lokalen Gemeinschaften inihren konkreten Lebensverhältnissen umfassende und zugleichanschauliche Darstellung. An die Stelle der auf Politik, Herrscher-persönlichkeiten oder Militär- und Kriegswesen gerichtetenälteren Publikationen zur brandenburgischen Landesgeschichtetrat in Enders’Werken das „Land“ gegenüber der „Herrschaft“.Mit diesen Publikationen, denen in der brandenburgischenLandesgeschichte nichts Vergleichbares an die Seite gestelltwerden kann, hat Lieselott Enders ihren Platz neben den Nesto-ren der Landesgeschichtsschreibung, Johannes Schultze undRudolf Lehmann, gefunden. Mit der Festschrift „Archivwissen-

schaft und Landesgeschichte“ haben Berufskollegen und Landes-historiker ihre Leistungen in beiden Disziplinen gewürdigt. Nachihrem jähen Hinscheiden werden das Brandenburgische Landes-hauptarchiv und die Landesgeschichtsforschung auch in Zukunftihren Namen in Ehren zu halten wissen.

Friedrich Beck, Potsdam

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NACHRUFE

(ab März 1968) war er dann ab November 1968 zweieinhalb Jahrelang am Staatsarchiv Sigmaringen tätig. In diese Zeit fiel auch dieEheschließung mit seiner Frau Magda geb. Stemmler, einerausgebildeten Bibliothekarin und Tochter des damaligen Leitersdes Staatsarchivs Sigmaringen, Eugen Stemmler.Wer das EhepaarFischer etwas näher kennt, weiß, wie sehr es fachliche undwissenschaftliche Interessen geteilt hat, wie sehr die beiderseitigeLiebe zum Beruf auch in das Privatleben der bald vierköpfigenFamilie hinein gewirkt hat.Zum1. Februar 1971wechselte das Ehepaar nach Stuttgart. Imdortigen Hauptstaatsarchiv, dessen Entwicklung Joachim Fischerdann 17 Jahre lang maßgeblich mitgestaltet hat, wurde ihm balddie Leitung des Militärarchivs und 1979 mit der Ernennung zumArchivdirektor die der Historischen Abteilung übertragen.Übergreifende Aufgaben erfüllte Joachim Fischer vor allem imArchivbau, in der Archivbenutzung, in der Adelsarchivpflege undin der Ausbildung.1986 wurde er Stellvertretender Dienststellen-leiter. Joachim Fischer liebte beide Seiten seines Berufs, sowohldie wissenschaftliche Arbeit an den historischen Beständen alsauch die praktischen Verwaltungsaufgaben, die Dienstleistungenfür den Nutzer, die Öffentlichkeit und die Verwaltung.Durch seine gediegene Arbeit und sein großes Fachwissen, aberauch mit seiner ganzen Persönlichkeit bestens dafür qualifiziert,übernahm er zum1. November 1988 die Leitung deszwischenzeitlich selbständigen Staatsarchivs Freiburg, das erdann 12 Jahre lang geführt und maßgeblich weiter entwickelt,modernisiert und vorangebracht hat.Im Archivwesen des Landes Baden-Württemberg hat JoachimFischer an allen Orten seines langenWirkens deutliche Spurenhinterlassen, ja Fundamente gesetzt. Dazu gehören vor allemseine zahlreichen Erschließungsarbeiten an den Beständen undganz besonders seine bahnbrechenden Leistungen bei denBeständeübersichten, so in Stuttgart zum Militärarchiv und dannin Freiburg zu allen Beständen.Dem Staatsarchiv Freiburg eine Tektonik und damit ein dauer-haftes Gerüst für die Beständeverwaltung gegeben zu haben, saher zu Recht im Rückblick als zentrale Leistung seiner Amtszeitan. Die gedruckte Kurzübersicht über die Bestände, die er 1994vorlegte, war und ist ein Meilenstein in der Geschichte desHauses. Dasselbe gilt für den Beständeausgleich mit dem Gene-rallandesarchiv in Karlsruhe, der unter seiner Leitung in Verbin-dung mit einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten beschlos-sen und umgesetzt wurde. Damit war ein schwieriges Feld berei-nigt – ein für das Freiburger Archiv ganz elementarer Schritt.In all seinen Arbeiten, und das ist besonders in den Beständeü-bersichten zu greifen, kamen drei Eigenschaften Joachim Fischerszum Tragen: zum einen das sehr systematische, konsequentstringente Denken auf den Grundlagen der Archivwissenschaftund des Provenienzprinzips, zum anderen die zuverlässige Sorg-falt, auch im Detail, und zum dritten eine ergebnisorientierteBeharrlichkeit, die zu dauerhaften Resultaten führt, zu (um dieseBegriffe wieder aufzugreifen) Meilensteinen und Fundamenten,zu einer durchdachten Tektonik oder einem gediegenen Find-buch.Was Joachim Fischer anging, das machte er richtig undbrachte es fertig. Dies zeichnet seine Arbeit als Archivar aus.Es zeichnet auch seine Arbeit als Historiker aus. Joachim Fischer,der gelernte Mediävist, der über „Königtum,Adel und Kirche imKönigreich Italien 774 bis 875“ promoviert hatte, hat zahlreichegrundlegende Publikationen, Aufsätze und Lexikonartikel ver-öffentlicht, die fast immer einen Bezug zu seinen dienstlichen

Aufgaben hatten, die meist – wie zum Beispiel sein Aufsatz zumkaiserlichen Landgericht in Schwaben – aus Ordnungs- undErschließungsarbeiten erwachsen waren. Bis heute geradezu alsNachschlagewerk überaus zu schätzen, ist der Katalog zu derAusstellung „Württemberg im Spätmittelalter“, die er 1985 imHauptstaatsarchiv Stuttgart gestaltet hat. Auch in der histori-schen Bildungsarbeit und in der Forschung achtete JoachimFischer auf hohe Qualität, lege er hohe Maßstäbe an sich an,schuf er Bleibendes.Sehr gelitten hat er darunter, dass er sein Vorhaben, im Ruhe-stand die Geschichte des StiftsWaldsee aufzuarbeiten, ausgesundheitlichen Gründen und vor allem wegen der Beeinträchti-gung beim Sehen nicht abschließen konnte. Das Projekt selbstzeugt noch einmal von der tiefen Verankerung Joachim Fischersin derWissenschaft.Als ausgewiesener Historiker und Archivar wurde er so auch 1979in die Kommission für Geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg und 1983 in den Beirat desWürttembergischenGeschichts- und Altertumsvereins berufen. Für die Kommissionhat er am Historischen Atlas mitgearbeitet und gemeinsam mitseinem Kurskollegen Gerhard Taddey die Lebensbilder ausBaden-Württemberg herausgegeben. Für den Geschichtsvereinhat er in Stuttgart lange Zeit den „Arbeitskreis für Landes- undOrtsgeschichte“ geleitet. All dies zeugt von seinem starken außer-dienstlichen Engagement. Die historischen Vereinigungen habenein treues und verdienstvolles Mitglied verloren.Als Kollege, wie auch als Vorgesetzter und Mitarbeiter war Joa-chim Fischer hoch geschätzt. Ich denke sehr gerne an unsereZusammenarbeit zurück, wo immer sie sich ergab, an seinesachliche, argumentative, besonnene, stets lösungsorientierte Art.Bewundernswert war bei den vielen Begegnungen der letztenJahre die tapfere Haltung, mit der er seine Krankheit trug, mitder er völlig undramatisch davon sprach, um dann gleich wiederzum fachlichen Austausch oder auch ganz anderen Themen zukommen.Wir alle werden ihn und die Gespräche mit ihm sehrvermissen. Und ihn und sein archivarisches Lebenswerk dankbarin guter Erinnerung halten.

Robert Kretzschmar, Stuttgart

HEINZ FRIEDEL †

Geb. 16.8.1919 KaiserslauternGest. 27.5.2009 Kaiserslautern

WenigeWochen vor seinem 90. Geburtstag verstarb derlangjährige Kaiserslauterer Stadtarchivar Heinz Friedel, der durchseine vielfältigen regionalgeschichtlichen Publikationen über dieGrenzen seiner Heimatstadt bekannt wurde und mit dessenWirken die Neuordnung des Stadtarchivs verbunden ist. AlsSohn des Stadtamtmanns und Heimatforschers Franz Friedelgeboren, besuchte er die Volksschule und das HumanistischeGymnasium in Kaiserslautern sowie dieWirtschaftsaufbauschulein Landau.Wie für fast alle Angehörigen dieser Jahrgänge folgtenauch für ihn Arbeits- undWehrdienst, wobei er wegen seinerreligiösen Überzeugung vom NS-Regime verfolgt wurde. Nach-dem er den ZweitenWeltkrieg als Gefreiter an der Front inFrankreich, auf dem Balkan und bis zum Oktober 1941 auf der

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Krim erlebt hatte, kehrte er 1942 schwer kriegsversehrt zurückund arbeitete als Kontorist in einer Kaiserslauterer Großdrucke-rei. Nicht zuletzt geprägt durch die Kriegserlebnisse und dieErfahrungen der Diktatur, widmete er sich neben seinem Berufnach 1945 theologischen Übersetzungen aus dem Griechischenund Schwedischen, heimatkundlichen Erzählungen und literari-schen Beiträgen wie „Die sieben Kreuze“ sowie kirchengeschicht-lichen Studien unter anderem zu den religiösen Bewegungen seitder Reichsgründung in der Rheinpfalz.Im Frühjahr 1956 zum ehrenamtlichen Archivpfleger berufen,wechselte er im Sommer jenes Jahres als Mitarbeiter in dasStadtarchiv Kaiserslautern, das er von 1976 bis zu seinem Eintrittin den Ruhestand 1984 als Stadtarchivar leitete. In den rund dreiJahrzehnten seines archivischenWirkens entfaltete er vielseitigeAktivitäten. So führte er erstmals eine umfassende Ordnung dervom Spätmittelalter bis zur Gegenwart reichenden Beständedurch, initiierte eine systematische Zeitungsausschnittsammlungund nahm die Neuordnung der stadtgeschichtlichen Sammlungvor. In seiner außerordentlich intensiven Öffentlichkeitsarbeitpräsentierte er in zahllosen Vorträgen und Beiträgen in derregionalen Presse die wechselvolle Geschichte der traditionsrei-chen, zweitgrößten pfälzischen Stadt und erarbeitete insgesamtrund 120 Publikationen. Neben der Darstellung zur lokalenIndustriegeschichte in der 1970 mit Ernst Christmann herausge-gebenen Monographie „Kaiserslautern einst und jetzt“ ließ er inden fünf Bänden „Zeitgeschichte von Kaiserslautern“ das Jahr-hundert zwischen 1866 und 1966 Revue passieren. Mit seinemVergleich der Kaiserslauterer Ereignisse mit anderen pfälzischenStädten legte Friedel wohl auch die erste Darstellung der natio-nalsozialistischen Machtübernahme in der Pfalz vor und gabaußerdem die Aufzeichnungen seines Vaters aus den Jahren 1940bis 1948 heraus. Neben mehreren Ortschroniken und „Wander-büchern in Landschaft und Geschichte“ runden Beiträge zurGeschichte des Altkatholizismus und zum protestantischenKirchenwesen sowie die in zwei Bänden 1996 und 1998 erschiene-ne Gesamtdarstellung zur Geschichte Kaiserslauterns von denAnfängen bis zur Universitätsgründung sein Oeuvre ab. Dennauch nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1985 publizierte derTräger der Theodor-Zink-Medaille des „Historischen Vereins“und der rheinland-pfälzischen Verfassungsmedaille weiter unddiente bis 2003 seiner Vaterstadt als ehrenamtlicher Berater derUnteren Denkmalschutzbehörde. Sein als Bestand V 55 imLandesarchiv Speyer verwahrter Nachlass umfasst 40 Archivali-eneinheiten und enthält unter anderem Materialien zur Kaisers-lauterer Stadtgeschichte und zur Biographie des StraßburgerJuristen und Diplomaten Johann Benedikt von Scherer (1740 –1828).

Wolfgang Müller, Saarbrücken/Kaiserslautern

INGRID GROHMANN †

Geb. 26.3.1942 DresdenGest. 27.6.2009 Dresden

Ingrid Grohmann, von deren Tod nach kurzer schwerer Krank-heit wir mit tiefer Bestürzung erfahren haben, wurde am26. März 1942 in Dresden geboren. Nach dem Besuch der Grund-schule in Dresden-Plauen von 1948 bis 1956 und der Oberschulein Dresden-Reick von 1956-1960, die sie mit dem Abitur ab-schloss, absolvierte sie – als Voraussetzung für die Zulassungzum Studium – 1960/1961 ein Praktisches Jahr in der Produktionbeim VEB Tabak- und Industriemaschinen (TABAKUNI) Dres-den. Ihre beruflichen Ziele wurden von der Arbeit ihres VatersHellmut Koch, der lange Jahre im Hauptstaatsarchiv Dresden alsRestaurator wirkte, beeinflusst. Als Diplom-Historikerin schlosssie 1965 ihr Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig ab;ihm folgte das Studium mit dem Abschluss Diplom-Archivarinan der Humboldt-Universität Berlin bis zum Jahresende 1966.Zum1. März 1967 wurde Ingrid Grohmann alsWissenschaftlicheArchivarin beim Historischen Staatsarchiv Bautzen eingestellt.Abgesehen von drei Unterbrechungen aus familiärem Anlassarbeitete sie in gleicher Funktion bis zur Friedlichen Revolutionim Staatsarchiv Dresden. Dort zählten zu ihren Aufgaben dieFührung des Zentralen Bestandsnachweises, die Erschließungvon Beständen aus der kapitalistischen Epoche wie beispielsweisedas Sächsische Innenministerium 1831-1945 oder das Oberappel-lationsgericht 1835-1879, aber auch die Mitarbeit an zahlreichenOrdnungsmodellen und Bewertungen, über die sie in den „Ar-chivmitteilungen“ der Jahre 1978 bis 1989 mehrfach berichtete.Dabei stand insbesondere der Bestandstyp Kreistag/Kreisrat derNachkriegszeit im Mittelpunkt. Zum1. September 1990 über-nahm sie das Amt einer Abteilungsleiterin. Im Herbst 1993 wurdeihr die Leitung des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig übertragen.Ihre dortige Tätigkeit war geprägt vom Umzug des Staatsarchivsaus dem Reichsgerichtsgebäude in das Behördenzentrum Leip-zig-Paunsdorf im Sommer 1995, von der Eingliederung derDeutschen Zentralstelle für Genealogie als Abteilung durchKabinettsbeschluss zum1. Juli 1995 und der Einrichtung desBereichs AV-Medien am 24. Oktober 1997. Zur aufwändigeninternen Umstrukturierung der Abteilungen im Staatsarchiv imJahr 2000, die sie zu vertreten hatte, trat die Zuweisung vonzentralen Aufgaben der Schutzverfilmung ab 2001. Zum1. Januar2005 wurde im Zuge der Neustrukturierung der staatlichenArchivverwaltung die für den Regierungsbezirk Leipzig zuständi-ge Behörde als örtliche Dienststelle in das Sächsische Staatsarchiveingegliedert. Ingrid Grohmann trat, nachdem sie am 1. März2007 ihr 40-jähriges Dienstjubiläum feiern konnte, mit Ablaufdes Monats in den Ruhestand.Nach der Friedlichen Revolution hat sie die Umformung desstaatlichen Archivwesens in Sachsen zur Behörde im demokrati-schen Rechtsstaat maßgeblich mitgestaltet. Der organisatorischeAusbau des Staatsarchivs in Leipzig-Paunsdorf und dieWahrneh-mung des Staatsarchivs und seiner Aufgaben in der Öffentlichkeitwaren eng mit der Arbeit von Frau Grohmann verbunden. Einbesonderes Anliegen waren ihr die Historisch-Politische Bil-dungsarbeit und die Öffentlichkeitsarbeit, um die vielgestaltigearchivfachliche Arbeit und die gesetzlichen Fachaufgaben einembreiten Publikum näher zu bringen. Diesem Ziel diente die

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NACHRUFE

Veröffentlichung des Sächsischen Archivführers (in zwei Auflagen1995 und 2003) ebenso wie die Erarbeitung der Beständeüber-sicht des Staatsarchivs 2004 und die Mitwirkung an wissen-schaftlichen Kolloquien und Ausstellungen. Ein Beispiel diesesEngagements war das Kolloquium vom November 2005 mit demTitel „Die Familie von Einsiedel. Stand, Aufgaben und Perspekti-ven der Adelsforschung in Sachsen“ in Zusammenarbeit mit derUniversität Leipzig. InWürdigung der Verdienste von IngridGrohmann um das Sächsische Archivwesen hat das SächsischeStaatsarchiv ihr die Publikation zur Verabschiedung gewidmet.Schon mit der Leitung des Staatsarchivs Leipzig übernahm IngridGrohmann abWintersemester 1994/95 Lehraufträge an derUniversität Leipzig mit wechselnden Themen wie „Einführung indie historischen Quellen des 19./20. Jahrhunderts“, „Einführungin die historischen Quellen des 17./18. Jahrhunderts“ und „Her-anführung und Vermittlung archivwissenschaftlicher und hilfs-wissenschaftlicher Kenntnisse an Historikerstudenten“. Danebenwar sie seit 1. April 2006 Ehrenamtliche Richterin am Sozialge-richt Dresden.Frau Grohmann gehörte zu den Persönlichkeiten, die in denJahren nach derWiedervereinigung die Kontakte und den Dialogzwischen den Archivarinnen und Archivaren in den alten undneuen Bundesländern ganz besonders gefördert haben. So zähltesie im April 1990 zu den Mitgliedern einer Besucherdelegationaus dem Hauptstaatsarchiv bei der Generaldirektion der Staatli-chen Archive Bayerns, die Auftakt für eine Studienfahrt imSeptember des folgenden Jahres und letztlich der lange Jahregepflegten Sächsisch-Bayerischen und Bayerisch-SächsischenArchivarstreffen wurde. Auch der Austausch mit Baden-Württem-berg wurde von ihr gefördert.Mit großem Einsatz hat Frau Grohmann darüber hinaus berufs-ständische Aufgaben wahrgenommen und ehrenamtlich amAufbau des Landesverbandes Sachsen im Verband deutscherArchivarinnen und Archivare mitgewirkt. Schon 1990 bei derGründung eines Regionalverbands sächsischer Archivare inner-halb des Archivarsverbands der DDR wurde sie in den Vorstanddes Regionalverbands gewählt, der dann als LandesverbandSachsen in den Verband deutscher Archivarinnen und Archivareübergegangen ist. Bei den ersten Vorstandswahlen nach derSatzung des VdA1993 übernahm sie den stellvertretenden Vorsitzdes Landesverbands, den sie während ihrer gesamten Vorstands-zeit innehatte. Auseinanderzusetzen hatte sich der Landesverbandin den ersten Jahren vor allem mit den Folgen der Umstrukturie-rungen in der Gesellschaft, in der Verwaltung und im Archivwe-sen, mit dem Schriftgut aufgelöster Einrichtungen der DDR, mitder Anerkennung der archivarischen Berufsabschlüsse aus derDDR und mit Ausbildungsfragen, mit der Neuentwicklunglandesgeschichtlicher Forschung, mit Datenschutz und mitArchivrecht, um nur einige Stichworte zu nennen. All dies warenThemen, mit denen Frau Grohmann sich intensiv befasste.Zu verweisen ist insbesondere auf die aus eigener Beteiligungerfolgte Berichterstattung über die Bewertungspraxis der DDR,die sie in Fortbildungsveranstaltungen der Archivschule Marburgeinbrachte. Der fachliche Austausch innerhalb Sachsens und überdie Landesgrenzen hinweg war stets von einer ganz besonderenBedeutung für sie.1995 und 1996 waren die Leipziger ArchiveAusrichter des 4. und 5. Sächsischen Archivtags. An den Vorberei-tungen war sie intensiv beteiligt und übernahm beim 5. Archivtagauch die Leitung. 2001wurde sie beim Deutschen Archivtag inCottbus mit großer Mehrheit in den Vorstand des VdA gewählt,

dem sie bis 2005 angehörte. Es war nur folgerichtig, wenn die ausAnlass des 50-jährigen Bestehens des Staatsarchivs Leipzig 2004durchgeführte Fachtagung zugleich als Fortbildungsveranstal-tung der Fachgruppe 1 durchgeführt wurde.Ingrid Grohmann war eine versierte Archivarin mit großemErfahrungshorizont und eine stets zuverlässige und hilfsbereiteKollegin, mit der sich hervorragend zusammenarbeiten ließ. Ihresachliche, faire, eher zurückhaltende, ja immer vornehme Artwurde sehr geschätzt. Diskussionen hat sie bereichert, indem siemit klaren Positionen zum Ausgleich beitrug und Lösungenaufzeigte.In großer Dankbarkeit für ihr dienstliches und ehrenamtlichesWirken werden wir ihr ein ehrendes Andenken bewahren.

Jürgen Rainer Wolf, Dresden/Robert Kretzschmar, Stuttgart

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ADRESSÄNDERUNGEN

Das Diözesanarchiv Rottenburg ist wegen der Um- undNeubauarbeiten am Bischöflichen Palais für mehrere Jahrean einen Interimsstandort umgezogen und nun unterfolgender Adresse zu erreichen: Saint-Claude-Straße 72,72108 Rottenburg am Neckar. Postfach, Telefon- und Fax-nummer, E-Mail-Adresse und Öffnungszeiten sind gleichgeblieben: Postfach 9, 72101 Rottenburg am Neckar,Tel. 07472-169-254 (Lesesaal, Auskunft);07472-169-305 (Sekretariat), Fax: 07472-169-617,E-Mail: [email protected].Öffnungszeiten (Voranmeldung erforderlich):

Mo.-Do. 8.30-12.00 und 13.30-16.00 Uhr Fr. 8.30-12.00 Uhr.

Das Universitätsarchiv Dortmund hat eine neue Anschrift:Universitätsarchiv der TU Dortmund, UniversitätsbibliothekDortmund,Vogelpothsweg 76, 44227 Dortmund, E-Mail:[email protected], www.ub.tu-dortmund.de/Orga-plan/archiv.html.

FACHBEIRAT „WIEDERAUFBAUDES HISTORISCHEN ARCHIVSDER STADT KÖLN“NIMMT DIE ARBEIT AUFIn Köln trafen sich am 1. September 2009 auf Einladung vonHerrn Oberbürgermeister Fritz Schramma anerkannte Fach-leute der Bundesrepublik sowie aus den Niederlanden, ausder Archiv-, der Universitäts- und Fachhochschulwelt zurersten und damit konstituierenden Sitzung des Fachbeirates„Wideraufbau des Historischen Archivs der Stadt Köln“.

Zur Mitarbeit im Fachbeirat haben sich bereiterklärt:• der Präsident des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen,Herr Prof. Dr.W. Reininghaus

• der Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe, Herr Dr. E. Bräunche• der Leiter des Stadtarchivs Mannheim, Herr Dr. U. Nieß• der Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg,Herr Prof. Dr. R. Kretzschmar

• vom Bundesarchiv Berlin Herr Dr. S. Barteleit• der Leiter der sächsischen Archivverwaltung, HerrDr. J. R.Wolf

• der Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungs-zentrums, Herr Dr. A. Nabrings

• der Direktor der Stiftung Rheinisch-WestfälischesWirt-schaftsarchiv zu Köln, Herr Dr. U. Soénius

• der Leiter des Historischen Archivs des Erzbistums, HerrDr. U. Helbach

• der Leiter des Stadtarchivs Neuss, Herr Dr. J. Metzdorf• der Leiter des Instituts für Restaurierung- und Konservie-rungswissenschaften an der FH-Köln, Herr Dr. R. Fuchs

• der Leiter des Nationaal Archief in Den Haag, HerrDr. M. Berendse,

• der Leiter des Instituts für Rheinische Landesgeschichteder Uni- Bonn, Herr Prof. Dr. M. Groten

• der Leiter des Historischen Seminars I. an der Uni Köln,

Herr Prof. Dr. R. Jessen• der Leiter des LWL-Archivamtes fürWestfalen, HerrDr. M. Stumpf, und

• für die Deutsche Forschungsgemeinschaft Bonn, FrauDr. S. Eckelmann

• Dr. Michael Diefenbacher, Stadtarchiv Nürnberg,Vorsitzender des VdA.

Unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr.W. Reininghaus wirdder Fachbeirat die Stadt Köln während der nächsten fünfJahre bei der Konzeption und der Realisierung der anstehen-den Arbeiten wissenschaftlich begleiten. Die zentralenThemen werden dabei die Zusammenführung, Restaurie-rung und Digitalisierung der Archivbestände und paralleldie Errichtung des modernsten und sichersten ArchivsEuropas in Köln sein.Wie die Leiterin des HistorischenArchivs der Stadt Köln, Frau Dr. Schmidt-Czaia, mitteilte, istesWunsch und Ziel, im Jahre 2014/15 ein funktionsfähigesBürgerarchiv in zentraler Lage zu beziehen, das modern undzeitgemäß ist und nach neuesten wissenschaftlichen undtechnischen Kenntnissen errichtet wurde und dem aktuel-lem Raumbedarf in Bezug auf Magazinflächen sowie denAnforderungen des Restaurierungsbedarfs und der Benut-zung in den nächsten Jahrzehnten Rechnung trägt.Auf demWeg dahin muss mehrgleisig gearbeitet werden.Die archivischen Kernaufgaben müssen sukzessive wiederaufgenommen werden, während parallel dazu die Katastro-phenfolgen in Form eines in mehrere Gruppen gegliedertenProjektes aufgearbeitet werden sollen. Die vorgestelltenTeilkonzepte zur Beständezusammenführung und Restaurie-rung wurden im Fachbeirat lebhaft und konstruktiv disku-tiert und in ihren Kernaussagen bestätigt.Fragen der Priorisierungskriterien, Reduzierung der „Asylar-chive“ bzw. Minimierung der „Asylzeit“ und der weitereEinsatz freiwilliger, auch ungelernter Hilfskräfte bleibenweiterhin im Fokus des Fachbeirates.

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KURZINFORMATIONEN UND VERSCHIEDENES

Eine neue Datenbank zur (internationalen) Neuen Frauen-bewegung in Dokumenten und Auswirkungen ist seit dem24. Juni 2009 online gestellt vom Frauenforschungs-,-bildungs- und -informationszentrum, FFBIZ Berlin, dembestandsgrößten deutschen Archiv zum Thema. Sie umfasstvorerst 11.250 Einträge zu einzelnen Medien und umfangrei-chen Dokumentenmappen und registriert sechs unter-schiedliche Objektarten: Akten/Graue Materialien/Zeitungs-ausschnittdokumentationen, Nachlässe, Autographen, Zeit-schriften, Plakate sowie Buttons und Sticker.Mit sieben Such-listen für Personen, Organisationen, Länder, Orte, Sprachen,

FRAUENFORSCHUNGS-, -BILDUNGS- UND -INFORMATIONSZENTRUM(FFBIZ BERLIN) STELLT DATENBANK ZUR(INTERNATIONALEN) NEUEN FRAUENBEWEGUNGIN DOKUMENTEN UND AUSWIRKUNGEN ONLINE

Schlagwörter und Zeitschriften lässt sich der Datenbankin-halt leicht und gezielt abfragen. Die Rechercheergebnissekönnen als Standard- oder Kurzliste dargestellt und nachObjektart oder nach Datum bzw. Laufzeit sortiert werden.Das unter www.ffbiz.de/datenbank.htm abrufbare Inventarwird alle drei Monate weiter ergänzt. Es stellt fürWissen-schaftlerInnen, JournalistInnen und allgemein Interessierteein unverzichtbares Hilfsmittel dar, um sich über Themen-stellungen und für eventuelle Besuche vor Ort einen umfas-senden Überblick zu verschaffen oder zu einer feministischenEinrichtung in einem anderen Land Kontakt herzustellen.

SEMINAR„ARBEITSSICHERHEIT UND GESUNDHEITSSCHUTZ IN ARCHIVEN“

Die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen bietet auch im näch-sten Jahr wieder ein Seminar zum Thema „Arbeitssicherheitund Gesundheitsschutz in Archiven“ an.Termin ist der 23.-24.03.2010 in Hilden. Das Seminar wendetsich insbesondere an Leiterinnen und Leiter von Archiven,Archivarinnen und Archivare sowie Beschäftige in Archiven.Inhalte sind die Verantwortung und Pflichten im Arbeits-schutz, der Umgang mit kontaminiertem Archivmaterialentsprechend den Vorgaben der Biostoffverordnung und denTechnischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe, raumluft-technische Anlagen in Archiven sowie die Durchführung derGefährdungsbeurteilung.

Anmeldungen für das Seminar nimmt die Unfallkasse NRW,Regionaldirektion Rheinland, Seminarorganisation,Sankt-Franziskus-Straße 146, 40470 Düsseldorf,Tel. 0211/2808-477,E-Mail: [email protected],gerne entgegen.Wir bitten Sie, für die Anmeldung das im Internet unterwww.unfallkasse-nrw.de im Bereich „Seminare/Veranstal-tungen“ abrufbare Anmeldeformular zu verwenden.

Andreas Krieger, Düsseldorf

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VORSCHAUIm nächsten Heft lesen Sie unter anderem:

Digitale Archivierung beim Landesarchiv Baden-Württembergvon Christian Keitel

Ein Projekt zur Datenbankarchivierung an der FH Potsdamvon Karin Schwarz und Rolf Dässler

Elektronisch signierte Dokumente im Zwischen und Endarchivvon Steffen SchwalmExperiences of the National Archives in digital preservationvon David Thomas

Herausgeber: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, VdA -Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.,Wörthstr. 3, 36037 Fulda

Redaktion: Andreas Pilger in Verbindung mit Robert Kretzschmar,Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius,MartinaWiech und KlausWisotzky

Mitarbeiter: Meinolf Woste, Petra Daub

ISSN 0003-9500

Kontakt: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/159238-800 (Redaktion),-201 (Andreas Pilger), -802 (Meinolf Woste), -803 (Petra Daub), Fax 0211 /159238-888,E-Mail: [email protected]

Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99-101, 53721 Siegburg, Tel. 02241/62925, Fax 02241/53891,E-Mail: [email protected], Bankverbindung: Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500

Gestaltung: ENGEL UND NORDEN,Wuppertal, Mitarbeit: Ruth Michels, www.engelundnorden.de

Bestellungen undAnzeigenverwaltung: Verlag Franz Schmitt (Preisliste 21, gültig ab 1. Januar 2008)

Zuständig für Anzeigen: Sabine Schmitt im Verlag Franz Schmitt

Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Amtliche Bekanntmachungen, Mitteilungen und Manuskriptebitten wir, an die Redaktion zu senden, Personalnachrichten und Veranstaltungshinweise dagegen an die Geschäftstelle des VdA. Fürunverlangt eingesandte Beiträge übernehmen wir keine Haftung, unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurück-gesandt. Zum Abdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließtauch die Veröffentlichung im Internet ein. Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Redaktion wieder.

Der „Archivar“ erscheint viermal jährlich. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,- EUR im Inland,9,-EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,- EUR, im Ausland 36,- EUR.

Hinweise für VdA-Mitglieder: Alle Personalnachrichten, geänderte Anschriften und Bankdaten sind ausschließlich an folgendeAdresse zu melden: VdA-Geschäftsstelle,Wörthstr. 3, 36037 Fulda, Tel. 0661/2910972, Fax 0661/2910974,E-Mail: [email protected], Internet: www.vda.archiv.net.Bankverbindung: Sparkasse Fulda, BLZ 530 501 80, Kto 430 464 47.

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