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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 201 In eigener Sache ................................................................. 203 Archive in der Region Rhein-Neckar ............................. 204 Arbeitskreis Archive in der Metropolregion Rhein- Neckar (M. Krauß): 204. – 100 Jahre jung: Das Stadt- archiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte (U. Nieß): 204. – Mannheims Erinnerungskultur im Jubiläumsjahr 2007 (S. Schlösser): 205. – Das Stadt- archiv Worms: Ein mittleres Kommunalarchiv zwi- schen Kernaufgaben und historischer Dienstleis- tung (G. Bönnen): 207. – Kreisarchiv Rhein-Neckar- Kreis (J. Kreutz): 208. – Unternehmensarchiv der Bilfinger Berger AG (M. Krauß): 209. – KZ-Gedenk- stätte Mannheim-Sandhofen (H.-J. Hirsch): 210. – Das Archiv für Gesprochenes Deutsch im Institut für Deutsche Sprache (IDS) Mannheim (M. Har- tung): 211. – Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim und sein Archiv (P. Memmer): 212. Ergebnisse und Grenzen der Benutzungsoptimierung im Bundesarchiv, Standort Berlin-Lichterfelde – Ein Erfahrungsbericht. Von Torsten Zarwel und Simone Walther ......................................................... 214 Ein einheitliches IT-System von der Überlieferungsbil- dung bis zur Online-Bestellung – MIDOSA 21 im Lan- desarchiv Baden-Württemberg. Von Thomas Fritz, Thomas Fricke und Gerald Maier ............................... 221 Das Archiv des Deutschen Bundestages – Organi- sation und Aufgaben. Von Brigitte Nelles .............. 229 Archivbericht Russland 2003-2005. Von Hermann Schreyer ....................................................... 235 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände: Traugott-Fuchs-Nachlass in Istanbul (G. Wiemers): 243. Archivierung, Bewertung und Erschließung: Digitalisier- te Baupläne im Landeskirchlichen Archiv Kassel (B. Wischhöfer): 243. Archivtechnik: Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Massenverfahren in der Bestandserhaltung (A. Haberditzl): 245. – Leichtbauweise für schwer hand- habbare Brocken. Neuer Planschrank für großforma- tige historische Karten im Staatsarchiv Sigmaringen (F.-J. Ziwes): 247. EDV und Neue Medien: Neues Internetportal „Archive in NRW“ online (M. Wiech): 248. – Ganzheitliche elek- tronische Schriftgutverwaltung – Anforderungen der Prozessoptimierung. Aktuelle Probleme in DMS-Pro- jekten im öffentlichen Sektor (S. Schwalm): 250. – Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unter- lagen aus digitalen Systemen“ am 20./21. März 2007 in Stuttgart (H. Maier/B. Panzer): 253. Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Auswer- tung der Benutzerbefragung im Bistumsarchiv Trier im Jahr 2005 (S. Nicolay): 255. – Lernort Archivver- bund Main-Tauber. Ein Themenkanon für die Archiv- arbeit mit Schülern (M. Schaupp): 256. – Neuer Service im Landesarchiv Baden-Württemberg. Landesweit gültiger Nutzerausweis und Archivalienbestellung per Internet (T. Fricke): 257. – Friendraising – Chan- cen und Möglichkeiten im Landeskirchlichen Archiv Kassel (B. Wischhöfer): 258. Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 59. Westfälischer Archivtag in Arnsberg (P. Worm): 261. Literaturbericht Akten der Kulturverwaltung der Stadt Köln 1880-1930. Band I. Bearb. von E. Kleinertz (K. Pilger): 263. – Akten des Reichskammergerichts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart S-T. Inventar des Bestandes C 3. Bearb. von A. B r u n o t t e und R. J. Weber (K. Nippert): 263. – Akten des Reichskammerge- richts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart U-Z. Inventar des Bestandes C 3. Bearb. von A. Brunotte und R. J. Weber (K. Nippert): 263. – Alles Gute: Niedersachsen. Der Film zum 60- jährigen Landesjubiläum (M. Klein): 264. – Alles war, alles wird. Alles Gute: Niedersachsen. Zur Ausstellung des Nie- dersächsischen Landesarchivs anlässlich des 60. Landesge- burtstags (M. Klein): 264. – Archiv der Grafen von Bissingen und Nippenburg. Hohenstein. Bearb. von J. König (R. Loose): 266. – Archives and the Public Interest. Selected Essays by Ernst Posner. Edited by K. Munden (P. Puppel): 266. – A. Baumann, Advokaten und Prokuratoren. Anwäl- te am Reichskammergericht (1690-1806) (M. Kordes): 267. – Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen. 117. Band: 125 Jahre Historischer Verein für Stadt und Stift Essen. Bearb. von K. Wisotzky. 118. Band: Die „Esse- ner Beiträge“ 1881-2004. Bearb. von C. Holtermann und K. Wisotzky (M. Rasch): 268. – Friedrich Baudri. Tagebücher 1854-1871. Erster Band 1854-1857. Bearb. von L. G i e r s e und E. Heinen (H. Linn): 268. – E. Henning, Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde. Mit Bibliographie und einem Verzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzun- gen (T. Diederich): 269. – Historisch, brisant, alltäglich. Stutt- garter Archive und ihre Bestände. Im Auftrag der beteilig- ten Institutionen hrsg. durch das Stadtarchiv Stuttgart (D. Klose): 270. – Neue Konzepte für die archivische Praxis. Aus- gewählte Transferarbeiten des 37. und 38. Wissenschaft- lichen Kurses an der Archivschule Marburg. Hrsg. von Alex- 60. Jahrgang · Juli 2007 · Heft 3 INHALT Der Archivar Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen

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Zeitschrift für Archivwesen

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 201

In eigener Sache................................................................. 203

Archive in der Region Rhein-Neckar............................. 204

Arbeitskreis Archive in der Metropolregion Rhein-Neckar (M. Krauß): 204. – 100 Jahre jung: Das Stadt-archiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichte (U.Nieß): 204. – Mannheims Erinnerungskultur imJubiläumsjahr 2007 (S. Schlösser): 205. – Das Stadt-archiv Worms: Ein mittleres Kommunalarchiv zwi-schen Kernaufgaben und historischer Dienstleis-tung (G. Bönnen): 207. – Kreisarchiv Rhein-Neckar-Kreis (J. Kreutz): 208. – Unternehmensarchiv derBilfinger Berger AG (M. Krauß): 209. – KZ-Gedenk-stätte Mannheim-Sandhofen (H.-J. Hirsch): 210. –Das Archiv für Gesprochenes Deutsch im Institutfür Deutsche Sprache (IDS) Mannheim (M. Har-tung): 211. – Landesmuseum für Technik undArbeit in Mannheim und sein Archiv (P. Memmer):212.

Ergebnisse und Grenzen der Benutzungsoptimierungim Bundesarchiv, Standort Berlin-Lichterfelde – EinErfahrungsbericht. Von Torsten Zarwel und SimoneWalther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Ein einheitliches IT-System von der Überlieferungsbil-dung bis zur Online-Bestellung – MIDOSA 21 im Lan-desarchiv Baden-Württemberg. Von Thomas Fritz,Thomas Fricke und Gerald Maier ............................... 221

Das Archiv des Deutschen Bundestages – Organi-sation und Aufgaben. Von Brigitte Nelles . . . . . . . . . . . . . . 229

Archivbericht Russland 2003-2005. Von HermannSchreyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Archivtheorie und -praxis

Archive und Bestände: Traugott-Fuchs-Nachlass inIstanbul (G. Wiemers): 243.Archivierung, Bewertung und Erschließung: Digitalisier-te Baupläne im Landeskirchlichen Archiv Kassel (B. Wischhöfer): 243.Archivtechnik: Chancen, Risiken und Nebenwirkungenvon Massenverfahren in der Bestandserhaltung (A.Haberditzl): 245. – Leichtbauweise für schwer hand-habbare Brocken. Neuer Planschrank für großforma-tige historische Karten im Staatsarchiv Sigmaringen(F.-J. Ziwes): 247.EDV und Neue Medien: Neues Internetportal „Archivein NRW“ online (M. Wiech): 248. – Ganzheitliche elek-

tronische Schriftgutverwaltung – Anforderungen derProzessoptimierung. Aktuelle Probleme in DMS-Pro-jekten im öffentlichen Sektor (S. Schwalm): 250. –Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unter-lagen aus digitalen Systemen“ am 20./21. März 2007in Stuttgart (H. Maier/B. Panzer): 253.Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: Auswer-tung der Benutzerbefragung im Bistumsarchiv Trierim Jahr 2005 (S. Nicolay): 255. – Lernort Archivver-bund Main-Tauber. Ein Themenkanon für die Archiv-arbeit mit Schülern (M. Schaupp): 256. – Neuer Serviceim Landesarchiv Baden-Württemberg. Landesweitgültiger Nutzerausweis und Archivalienbestellungper Internet (T. Fricke): 257. – Friendraising – Chan-cen und Möglichkeiten im Landeskirchlichen ArchivKassel (B. Wischhöfer): 258.Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: 59. WestfälischerArchivtag in Arnsberg (P. Worm): 261.

LiteraturberichtAkten der Kulturverwaltung der Stadt Köln 1880-1930. BandI. Bearb. von E. Kleinertz (K. Pilger): 263. – Akten desReichskammergerichts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart S-T.Inventar des Bestandes C 3. Bearb. von A. Brunotte und R.J. Weber (K. Nippert): 263. – Akten des Reichskammerge-richts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart U-Z. Inventar desBestandes C 3. Bearb. von A. Brunotte und R. J. Weber (K.Nippert): 263. – Alles Gute: Niedersachsen. Der Film zum 60-jährigen Landesjubiläum (M. Klein): 264. – Alles war, alleswird. Alles Gute: Niedersachsen. Zur Ausstellung des Nie-dersächsischen Landesarchivs anlässlich des 60. Landesge-burtstags (M. Klein): 264. – Archiv der Grafen von Bissingenund Nippenburg. Hohenstein. Bearb. von J. König (R.Loose): 266. – Archives and the Public Interest. SelectedEssays by Ernst Posner. Edited by K. Munden (P. Puppel):266. – A. Baumann, Advokaten und Prokuratoren. Anwäl-te am Reichskammergericht (1690-1806) (M. Kordes): 267. –Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte von Stadt und StiftEssen. 117. Band: 125 Jahre Historischer Verein für Stadt undStift Essen. Bearb. von K. Wisotzky. 118. Band: Die „Esse-ner Beiträge“ 1881-2004. Bearb. von C. Holtermann und K.Wisotzky (M. Rasch): 268. – Friedrich Baudri. Tagebücher1854-1871. Erster Band 1854-1857. Bearb. von L. Gierse undE. Heinen (H. Linn): 268. – E. Henning, Eigenhändig.Grundzüge einer Autographenkunde. Mit Bibliographieund einem Verzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzun-gen (T. Diederich): 269. – Historisch, brisant, alltäglich. Stutt-garter Archive und ihre Bestände. Im Auftrag der beteilig-ten Institutionen hrsg. durch das Stadtarchiv Stuttgart (D.Klose): 270. – Neue Konzepte für die archivische Praxis. Aus-gewählte Transferarbeiten des 37. und 38. Wissenschaft-lichen Kurses an der Archivschule Marburg. Hrsg. von Alex-

60. Jahrgang · Juli 2007 · Heft 3INHALT

DerArchivarMitteilungsblatt für deutsches Archivwesen

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202 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche ArchivwesenHerausgegeben vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf und vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen undArchivare e.V., Sitz: Frankfurt a. M., Geschäftsstelle: Wörthstr. 3, 363037 Fulda. Redaktion: Martina Wiech in Verbindung mit Barbara Hoen, Robert Kretz-schmar, Wilfried Reininghaus, Ulrich Soénius und Klaus Wisotzky. Mitarbeiter: Meinolf Woste, Petra Daub. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Graf-Adolf-Str. 67, 40210 Düsseldorf, Tel. 02 11 /15 92 38-800 (Redaktion), -202 (Martina Wiech), -802 (Meinolf Woste), -803 (Petra Daub), Fax 02 11 /15 92 38-888, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99-101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41 /6 29 25, Fax 0 22 41 /5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Amt-liche Bekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Redaktion zu senden, Mitteilungen für diePersonalnachrichten und zu Veranstaltungen dagegen an die Geschäftsstelle des VdA. Zum Abdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränk-te Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internet ein. Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser,nicht die der Redaktion wieder. Bestellungen und Anzeigenverwaltung (Preisliste 20, gültig ab 1. Januar 2006) beim Verlag F. Schmitt, Kaiserstraße 99-101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41 /6 29 25, Fax 0 22 41 / 5 38 91, E-Mail: [email protected]. Zuständig für den Anzeigenteil: Sabine Schmitt im VerlagF. Schmitt. „Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Beihefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. Der Bezugspreis beträgt für dasEinzelheft einschl. Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,–EUR, im Ausland 36,– EUR. ISSN 0003-9500

Hinweise für VdA-Mitglieder: Geänderte Anschriften und Bankdaten sind ausschließlich an folgende Adresse zu melden: VdA-Geschäftsstelle, Wörthstraße 3,36037 Fulda, Tel. + 49 661 / 29 109 72, Fax + 49 661 / 29 109 74; e-mail: [email protected]. Internet: www.vda.archiv.net – Bankverbin-dungen: Konto für Mitgliedsbeiträge des VdA: Sparkasse Regensburg (BLZ 750 500 00) Konto-Nr. 16675; Konto für Spenden an den VdA: Sparkasse Regens-burg (BLZ 750 500 00) Konto-Nr. 17475.

andra Lutz (M. Plassmann): 270. – 1946. Politik und Alltagim Gründungsjahr des Landes Nordrhein-Westfalen. EineAusstellung des Landesarchivs und des Landtags Nord-rhein-Westfalen 26.10.-26.11.2006 (M. Klein): 264. – Quellenzur Geschichte der Juden in Schaumburg. Ein sachthemati-sches Inventar zu den Beständen im Niedersächsischen Lan-desarchiv – Staatsarchiv Bückeburg. Bearb. von Silke Wage-ner-Fimpel (W. Reininghaus): 270. – H.-J. Schmalor, Diewestfälischen Stifts- und Klosterbibliotheken bis zur Säku-larisation. Ergebnisse einer Spurensuche hinsichtlich ihrerBestände und inhaltlichen Ausrichtung (E. Steinhauer): 271.– H. Stehkämper, Köln – und darüber hinaus. Ausgewähl-te Abhandlungen (N. Schloßmacher): 271. – Die Urkundendes Kölnischen Westfalen 1301-1325. Lieferung 3: 1321-1325,Indices. Bearb. von M. Wolf (T. Crabus): 272. – Vademecum– Contemporary History Hungary. A guide to archives,research institutions, libraries, associations, museums andplaces of memorial. Edited by J. M. Rainer, J. M. Topits,U. Mählert (I. Schnelling-Reinicke): 273. – VademecumContemporary History Romania. A guide to archives,research institutions, libraries, associations, museums andplaces of memorial. Edited by S. Olaru and G. Herbstritt(I. Schnelling-Reinicke): 273. – R. Weber, Das Schicksal derjüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933 (K. Luig): 273.

Personalnachrichten

Zusammengestellt vom VdA – Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V................................... 275

Nachrufe

Hans Booms † (H. Weber): 277. – Karl Ludwig (Lutz)Hatzfeld † (H. A. Wessel): 279. – Friedrich-WilhelmHemann † (M. Black-Veldtrup): 280. – Otto Spren-ger † (H. Schmitt): 280.

Kurzinformationen, Verschiedenes

Lehrgang zur Ausbildung von „Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste/FachrichtungArchiv“ in Brandenburg (S. Taege): 282. – „Branden-burgische Archive. Berichte und Mitteilungen aus denArchiven des Landes Brandenburg 24/2007“ – Liese-lott Enders und Friedrich Beck zum 80. Geburtstaggewidmet (K. Weirauch): 282. – Sei(d) DABEI! (S. Wolf): 283.

Mitteilungen des VdA – Verband Deutscher Archi-varinnen und Archivare e.V.

Der VdA gratuliert seinem Mitglied Dr. RichardModerhack zum 100. Geburtstag (R. Kretzschmar):284. – Aktuelle Information zum Deutschen Archiv-tag: 284. – 78. Deutscher Archivtag 2008 in Erfurt: Callfor Papers (R. Kretzschmar): 284.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 203

In eigener Sache…

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen,

auf dem Weg zur Neugestaltung unserer Fachzeitschrift sind in den letzten Woche einige ent-scheidende Schritte gemacht worden: Ab Heft 1 / 2008 wird die Zeitschrift statt „Der Archivar.Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen“ den Namen „Archivar. Zeitschrift für Archivwesen“tragen. Der Beirat hat sich damit für eine aktualisierte Version des bisherigen Titels entschieden.Mit dem Wegfall des Artikels „Der“ und den Änderungen im zweiten Teil erhält die Zeitschrifteinen neutraleren Titel und wendet sich bewusst vom Charakter eines „Mitteilungsblatts“ ab.

Ausschlaggebend für den Beschluss des Beirats war zum einen die große Bandbreite der Meinun-gen und Vorschläge zur Namensfindung, die aus dem Kreis der Leserinnen und Leser in derRedaktion eingetroffen sind. Zum anderen berücksichtigt er das Votum der Grafikagenturen, diedavor gewarnt haben, ohne Grund eine etablierte „Marke“ aufzugeben. Es waren auch nichtzuletzt die Entwürfe der an der Ausschreibung zum neuen Lay-out beteiligten Agenturen, die denBeirat davon überzeugt haben, dass der aktualisierte Titel „Archivar. Zeitschrift für Archivwesen“in einer zeitgemäßen grafischen Gestaltung Kontinuität und Modernität miteinander verbindenkann.

Mit der Aufgabe, ein neues Lay-out der Zeitschrift zu entwerfen, hat der Beirat im Mai die Grafik-agentur Engel + Norden aus Wuppertal beauftragt. Einen ersten Eindruck vom zukünftigen„Outfit“ unserer Fachzeitschrift werden wir Ihnen voraussichtlich im nächsten Heft an dieserStelle präsentieren können.

Währenddessen laufen auch die Vorbereitungen zur Neuausschreibung des Verlagsvertrags, die für den Sommer 2007 geplant ist. Auch dazu werden wir Sie selbstverständlich weiter auf demLaufenden halten.

Barbara Hoen Robert Kretzschmar Wilfried Reininghaus

Ulrich Soénius Martina Wiech Klaus Wisotzky

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204 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

Arbeitskreis Archive in der Metropolregion Rhein-Neckar

Die Metropolregion Rhein-Neckar verfügt über eine reichehistorische Tradition, die sich in einer Vielfalt von Archi-ven unterschiedlicher Träger widerspiegelt. Alle zusam-men bilden sie das Gedächtnis der Region und liefern dieGrundlagen für die historische Forschung zum Rhein-Neckar-Raum.

Der Arbeitskreis Archive in der Metropolregion Rhein-Neckar existiert seit 1995, seine Anfänge reichen bis in die1980er Jahre zurück. Den räumlichen Zusammenhang bil-det die gewachsene Kulturlandschaft zwischen Rhein undNeckar. Der Arbeitskreis ist als Netzwerk organisiert undhat das Ziel, die länderübergreifende Zusammenarbeit derArchive in Nordbaden, Südhessen und der Pfalz zu ver-stärken, Kräfte zu bündeln und Synergieeffekte freizuset-zen. Er dient dem fachlichen Erfahrungsaustausch und willdie Öffentlichkeit mit den Aufgaben der Archive und ihrenDienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger vertrautmachen.

Ein weiteres Ziel des Arbeitskreises ist die Entwicklungeines Regionalbewusstseins durch die aktive Förderungder historischen Forschung zum Rhein-Neckar-Raum. Sopräsentierten die Archive beispielsweise 1994/95 im Rah-men des Kulturprojekts „Widerstreit der Bilderwelten –Kunst und Kultur der 20er Jahre“ die viel beachtete Wan-derausstellung „Zerrissene Lebenswelten – Alltag imRhein-Neckar-Dreieck der 20er Jahre“. Zum 150. Jahrestagder badisch-pfälzischen Revolution von 1848/49 erschiendas biografische Nachschlagewerk „Der Rhein-Neckar-Raum und die Revolution von 1848/49. Revolutionäre undihre Gegenspieler“.

Mittlerweile gehören dem Arbeitskreis über 50 Archiveaus der gesamten Region an. Das Spektrum umfasst staat-liche Archive, die Archive von Kommunen und Landkrei-sen, Unternehmensarchive, kirchliche Archive sowie dieArchive weiterer Institutionen.

Mannheim Martin Krauß

Kontakt:Dr. Martin KraußBilfinger Berger AGZentralbereich KommunikationCarl-Reiß-Platz 1-568165 MannheimTel.: 0621/4592205Fax: 0621/4592500E-Mail: [email protected]

100 Jahre jung: Das Stadtarchiv Mannheim – Institut fürStadtgeschichte

Das 300-jährige Stadtjubiläum Mannheims im Jahr 1907markiert zugleich die Geburtsstunde des Stadtarchivs. Am1. April 1907 wurde Prof. Dr. Friedrich Walter, maßgebli-cher Hauptbearbeiter der damals vorgelegten mehrbändi-gen Stadtgeschichte, zum Leiter des neu gegründeten Insti-tuts ernannt. 1909 präzisierte der Stadtrat seinen Auftragdahingehend, das Archiv solle „für die Bedürfnisse derstädtischen Verwaltung, ... aber auch wissenschaftlichenZwecken dienen“ und ihr Leiter „die Pflege und Erfor-

schung der heimatlichen Geschichte befördern“. Diesedoppelte Aufgabenstellung, Dienstleister für die Verwal-tung und maßgebliche Adresse für stadtgeschichtliche For-schungen und Publikationen zu sein, ist bis heute charak-teristisch geblieben. Die 2004 erfolgte Namensergänzung„Institut für Stadtgeschichte“ signalisiert dabei die überJahrzehnte gewachsene Kompetenz des Stadtarchivs aufdiesem Sektor. Neben einer Vielzahl an Publikationen –allein ab 2001 sind nicht weniger als 40 Titel, darunter auchCD-ROMs und DVDs erschienen – hat das Institut auchgut besuchte Ausstellungen organisiert und in der Innen-stadt mit dem Projekt „STADTPUNKTE – Stadtgeschichtevor Ort“ unübersehbare Zeichen gesetzt.1 Derzeit erscheinteine neue Stadtgeschichte in drei Bänden, und in Zusam-menarbeit mit den städtischen Reiss-Engelhorn-Museenwurde eine gänzlich neu konzipierte stadtgeschichtlicheAusstellung präsentiert, die allein während der erstenFestwoche beim diesjährigen 400. Stadtjubiläum zwischendem 24. und 28. Januar 2007 über 16.000 BesucherInnenanlockte.

Organisatorisch bildet das Stadtarchiv einen eigenstän-digen Fachbereich. Als optimierter Regiebetrieb darf eserzielte Mehreinnahmen selbst verwenden. Eine Besonder-heit stellt auch seine Abteilung Zwischenarchiv dar, dassich als verwaltungsinternes Back Office versteht: alsAnsprechpartner in allen Fragen moderner Schriftgut- undDokumentenverwaltung dient es der eigenen Verwaltungals unentbehrlicher Dienstleister und Informationsvermitt-ler. Wachsende Bedeutung spielen dabei die elektronischenAkten und das „digitale Magazin“. Die Digitalisierung dereigenen Bestände oder die Übernahme digitaler Datenschreiten zügig voran. Zwei Millionen Dateien werdeninzwischen bereits administriert und dauerhaft gesichert –Tendenz rapide steigend. Viele Bestände können inzwi-schen zudem online im Internet abgefragt werden.

Heute beherbergt das Stadtarchiv-ISG im stadteigenenCollini-Center mehr als 3 km Bau- und 7 km sonstige Ver-waltungsakten sowie große Serien an Amtsbüchern, Plä-nen und Karten, ferner über 12.500 Plakate, 800.000 Fotosund Negative, 20.000 Ansichtskarten, 450.000 Zeitungsaus-schnitte und Filmdokumente ab 1907. Die städtischen Rats-protokolle reichen bis in das Jahr 1661 zurück.

Unterstützung erfährt das Stadtarchiv-ISG von zweiFördervereinen: dem 1989 von Kreisen der Architekten-schaft und des Baugewerbes gegründeten MannheimerArchitektur- und Bauarchiv e.V. (MAB) und dem seit 1997bestehenden Verein der Freunde des Stadtarchivs e.V.(VFS). Während das MAB sich um die Ermittlung undErschließung baugeschichtlicher Unterlagen bemüht undeine fünfbändige, anspruchsvoll gestaltete Dokumentation„Mannheim und seine Bauten 1907-2007“ herausgibt, för-dert der VFS Ankäufe, Digitalisierungs- und Bestandser-haltungsmaßnahmen sowie Publikationen. WachsendeMitgliederzahlen und die zunehmende Mitarbeit ehren-amtlicher Kräfte belegen die Attraktivität beider Förder-vereine, ohne deren Engagement vieles nicht möglich

Archive in der Region Rhein-Neckar

1 Vgl. den Beitrag von Susanne Schlösser in diesem Heft.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 205

wäre. Und ohne sie wäre auch die Beilage für die Archiv-tasche der Teilnehmer des 77. Deutschen Archivtags umeine Überraschung ärmer – mehr wird aber noch nicht ver-raten.

Mannheim Ulrich Nieß

Kontakt:Dr. Ulrich NießStadtarchiv Mannheim – Institut für StadtgeschichteCollinistraße 168161 MannheimTel.: 0621 / 293-7025Fax: 0621 / 293-7476E-Mail: [email protected]

Mannheims Erinnerungskultur im Jubiläumsjahr 2007

In der Mannheimer Innenstadt stößt man neuerdingsimmer wieder auf Glastafeln an Häusern oder eigens dafüraufgestellten Sandsteinstelen, die in Wort und Bild interes-sante Aspekte der Mannheimer Geschichte darstellen.„STADTPUNKTE – Mannheimer Geschichte vor Ort“ heißtdas von Kulturbürgermeister Dr. Peter Kurz initiierte undvom Stadtarchiv Mannheim – Institut für Stadtgeschichterealisierte Projekt, das der Mannheimer Innenstadt ihrehistorische Dimension zurückgibt und Besuchern – nichtnur zum 77. Deutschen Archivtag – Mannheims Geschich-te im Stadtbild näher zu bringen versucht.

Natürlich gäbe es sehr viel zu erzählen aus 400 JahrenStadtgeschichte. Da nicht alles berücksichtigt werdenkann, bemühen sich die STADTPUNKTE um eine histori-sche Profilbildung: Was unterscheidet Mannheim vonanderen Städten, was ist wirklich typisch für die Metropo-le der Kurpfalz. Darüber hat ein hochkarätig besetzterhistorischer Fachbeirat beraten und auch kontrovers disku-tiert. Entwickelt wurden fünf für Mannheim typische Kate-

gorien, die als Richtschnur für die Themen, die auf denSTADTPUNKTE-Tafeln behandelt werden, dienen:– Festung – Planstadt – Residenz– Migration – Toleranz – Verfolgung– Bürgertum – Handel – Industrie– Demokratie – Arbeiterbewegung – Widerstand– Lebendige Stadt – Geschundene Stadt – Moderne Groß-

stadt.In erster Linie richten sich die STADTPUNKTE an die

Mannheimer Bevölkerung, die durch sie auf Schritt undTritt mit ihrer Stadtgeschichte konfrontiert wird. Da dasStadtbild durch zahlreiche Zerstörungen an vielen Stellenkeine historische Bausubstanz mehr aufweist, ist es garnicht so einfach, eine Vorstellung zu erhalten, wie es in frü-heren Jahrhunderten dort ausgesehen haben mag. Deshalbist es besonders wichtig, dass auf den neuen Tafeln nichtnur Text, sondern auch bis zu fünf Bilder präsentiert wer-den können. Dies ermöglicht vor Ort einen direkten Ver-gleich zwischen historischer Ansicht und modernemErscheinungsbild und macht einen besonderen Reiz derMannheimer Stadtpunkte aus.

Diese Überlegungen zur historischen ProfilbildungMannheims liegen auch der Konzeption zu Grunde, die inenger Zusammenarbeit zwischen den Reiss-Engelhorn-Museen und dem Stadtarchiv – Institut für Stadtgeschich-te für die neue stadtgeschichtliche Dauerausstellung imZeughaus entwickelt wurde. Die 400 Jahre Stadtgeschich-te werden dort nicht chronologisch abgehandelt. Stattdes-sen wurde das ausgewählt, was als charakteristisch fürMannheim gelten kann. Elf Themenbereiche richten exem-plarisch Schlaglichter auf Mannheimer Besonderheiten, zudenen auch der Naturraum gehört. Die Themen stehengleichberechtigt nebeneinander. Keines setzt die Kenntniseines der anderen voraus, ein Rundgang kann an jeder Stel-le begonnen oder beendet werden. Einen spielerischenZugang dazu bieten 144 „Söhne und Töchter Mannheims“,die die Besucher im Eingangsbereich „begrüßen“ und in

Das Collini-Center, seit 1990Sitz des Stadtarchivs – Insti-tut für Stadtgeschichte

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206 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

die verschiedenen Abteilungen „entführen“. Diese wurdennicht nach Berühmtheit oder Bedeutung ausgewählt, son-dern bilden ein breites Spektrum der gesamten Mannhei-

mer Bevölkerung (Männer, Frauen, Kinder) in den vergan-genen 400 Jahren ab.

Mannheim Susanne Schlösser

STADTPUNKTE-Tafel aufdem Toulonplatz, im Hinter-grund das Zeughaus, in demauch die neue stadtge-schichtliche Ausstellung zubesichtigen ist

Blick in die stadtgeschichtliche Ausstel-lung – „Söhne und Töchter Mannheims“

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Das Stadtarchiv Worms: Ein mittleres Kommunalarchivzwischen Kernaufgaben und historischer Dienstleistung

Die Stadt Worms, mit gut 82.000 Einwohnern Mittelstadtin der Metropolregion Rhein-Neckar, verfügt – spiegelbild-lich zu ihrer langen und durch ein Auf und Ab von Höhe-punkten und Tiefschlägen geprägten Geschichte – über einStadtarchiv mit einer großen Aufgabenbreite und einigengewachsenen Besonderheiten. In der vormaligen Bischofs-und freien Reichsstadt mit ihrem lebendigen historischenBewusstsein (aber ohne eine entsprechende wissenschaft-liche Infrastruktur) übernimmt das Archiv traditionell stär-ker als andernorts zentrale Aufgaben in der Koordinationund Förderung historischer Forschung und Öffentlich-keitsarbeit. So war es das Archiv, das 2005 im Auftrag derStadt erstmals nach über einhundert Jahren eine neue, wis-senschaftlichen Ansprüchen genügende Stadtgeschichteherausgegeben hat1. Unterstrichen wird dieser Schwer-punkt dadurch, dass im Archiv die Untere Denkmalschutz-behörde wie auch die Geschäftsstelle des mitgliederstar-ken, 1879 gegründeten Altertumsvereins untergebracht ist.Der Verein gibt zusammen mit dem Archiv die wissen-schaftliche Zeitschrift Der Wormsgau heraus, seit 1998 jähr-lich.

Diese besondere Charakteristik der Archivarbeit wirdnoch verstärkt durch die räumlich-institutionelle Verklam-merung mit dem ebenfalls im Raschi-Haus (seit 1982Domizil des Archivs) im vormaligen Judenviertel unterge-brachten Jüdischen Museum. Entsprechend dieser Konstel-lation spielen die Judaica-Bestände des Archivs auch einewichtige Rolle bei der Benutzung und dem überregionalenProfil des Archivs (digitalisiertes Gemeindearchiv des 16.bis 18. Jahrhunderts, zahlreiche Aktenbestände und Samm-lungen mit Bezug auf den hohen jüdischen Anteil an der

Stadtgeschichte etc.)2. Die Kombination von Archiv undBetreuung des Museums hat sich zweifelsohne bewährtund eröffnet dem Stadtarchiv u. a. gute Möglichkeiteneiner qualifizierten Öffentlichkeitsarbeit.

Von besonderer Bedeutung ist bei den vielfältigenBeständen neben einer beachtlichen Urkundenserie undden Akten der Stadt seit der Stadtzerstörung von 1689 dieüberaus reiche, organisatorisch eigenständige Fotoabtei-lung mit ihren etwa 300.000 Negativen. Erst im letzten Jahrkonnten die Bestände durch die Übernahme eines ca.80.000 Fotos umfassenden Nachlasses des PressefotografenRolf Ochßner und seines Vaters für den Zeitraum von1951 bis in die 1970er Jahre in willkommener Weise erwei-tert werden (vgl. Foto). Die Fotoabteilung versteht sich alszentrale städtische Fotoagentur, die Digitalisierung derBestände macht stetige Fortschritte.

Die starke Ausrichtung auf die Tätigkeit als zentralehistorische Dienstleistungseinrichtung beruht freilich aufder Erfüllung der im Mittelpunkt aller Anstrengungen ste-henden archivischen Kernaufgaben der Bestandserhaltungsowie der Übernahme und Erschließung. Die im Jahre 1998veröffentlichte, unter www.stadtarchiv-worms.de recher-chierbare Beständeübersicht des Archivs3 ist in weiten Tei-len schon wieder überholt. Zahlreiche neue Bestände, dar-unter umfangreiche, bedeutsame und aussagekräftigeNachlässe aus dem Umfeld der einflussreichen Lederin-dustriellenfamilie von Heyl samt weiteren, für Wirtschafts-und Kulturgeschichte relevanten Quellen des 19. und

1 Geschichte der Stadt Worms, hg. im Auftrag der Stadt Worms v. GeroldBönnen, Stuttgart 2005.

2 Mit weiterer Lit.: Gerold Bönnen, Beschlagnahmt, geborgen, ausgelie-fert: Zum Schicksal des Wormser jüdischen Gemeindearchivs 1938–1957, in: Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75.Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart, Red. Robert Kretzschmar(Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 10) Essen 2007, S.101–115; Beiträge in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur derJuden 12, 2002 (Themenheft Medinat Worms, hg. v. Annette Weber).

3 Das Stadtarchiv Worms und seine Bestände, bearb. v. Gerold Bönnen,Koblenz 1998 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rhein-land-Pfalz 79).

Besuch von Bundeswirt-schaftsminister LudwigErhard auf dem AltenJudenfriedhof in Worms,2.v.l. Dr. Georg Illert, Lei-ter der Wormser Kulturin-stitute (15.8.1961) Stadtar-chiv Worms, Fotoabtei-lung (JRO_2706_3, FotoJulius Ochßner)

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20. Jahrhunderts konnten in den letzten gut zehn Jahrenübernommen und zum Teil bereits verzeichnet werden.Eine Folge dieser an sich erfreulichen Entwicklung: DasRaumproblem drängt immer mehr, der Bestand umfasstzurzeit etwa 3500 laufende Meter an vier Standorten.

Besondere Anstrengungen gelten der Bildung einer qua-lifizierten Überlieferung städtischer Akten und Unterlagender Zeit seit 1945 und dem Auf- und Ausbau einer ange-messenen und inzwischen sehr intensiv genutzten zeitge-schichtlichen Sammlung und Dokumentation. Das Über-lieferungsprofil bezieht durch die Verantwortung für zweibenachbarte Verbandsgemeinden mit insgesamt 14 zumTeil sehr reichhaltigen Gemeindearchiven auch das rhein-hessische Umland der Stadt mit ein. Besonderes Gewichtbesitzen Sammlung, Restaurierung, Verfilmung und Nach-weis der Wormser Tageszeitungen seit dem Erscheinen derersten Zeitung 1776. Hier verfügt das Haus über eine trotzKriegsverlusten inzwischen beachtliche Menge von häufignur hier nachgewiesenen, in einer Datenbank recherchier-baren Zeitungen. Erfreulicherweise konnten in den letztenJahren ganz erhebliche Verzeichnungsfortschritte erzieltwerden, so dass nunmehr beispielsweise alle städtischenAkten der Zeit vor 1945 erschlossen sind. Unter den Akten-beständen befinden sich eine Reihe besonders aussagekräf-tiger Archivalien, etwa die vollständige Überlieferung desWohnungsamtes aus der Zeit der Weimarer Republik unddie Akten des für die Wirtschafts- und Sozialgeschichtesehr wichtigen Gewerbegerichts für die Zeit von 1895 bis1927, dazu Polizeiakten und weitere Archivalien, die manzum Teil eher in einem staatlichen Archiv vermutenwürde4; darunter befinden sich zum Beispiel die Akten desHessischen Kreisamtes Worms (1816–1945).

In den kommenden Jahren wird wie bisher ein Mittel-weg zwischen den Anforderungen der Forschung, Vermitt-lung und Öffentlichkeitsarbeit zum einen sowie der weite-ren Bestandserhaltung, Erschließung und Findmittelkon-version zum anderen gefunden werden müssen. Die Vor-aussetzungen dafür sind in Worms vergleichsweise gut.

Worms Gerold Bönnen

Kontakt:Dr. Gerold BönnenStadtarchiv WormsRaschi-HausHintere Judengasse 667510 WormsTel.: 06241-853-4700; -4701Fax: 06241-853-4710E-Mail: [email protected]

Kreisarchiv Rhein-Neckar-Kreis

Das seit dem Frühjahr 1992 in der ehemaligen Landwirt-schaftsschule Ladenburg untergebrachte Kreisarchiv desRhein-Neckar-Kreises, das 1990 eingerichtet worden ist,verwahrt gegenwärtig fast 2.300 lfd. m Archivgut des ein-wohnerstärksten Landkreises von Baden-Württembergund seiner 1973 zum Rhein-Neckar-Kreis zusammenge-schlossenen Vorgängerlandkreise Heidelberg, Mannheimund Sinsheim. Entsprechend seiner vom Kreistag verab-schiedeten Archivsatzung hat es die Aufgabe, alle archiv-relevanten Unterlagen des Landratsamts zu verwahren, zuerhalten, zu erschließen und allgemein nutzbar zu machen.Außerdem sammelt es die für die Geschichte und Gegen-wart des Rhein-Neckar-Kreises bedeutsamen Dokumenta-tionsunterlagen und unterhält eine Archivbibliothek (rund7.000 Titel in der Präsenzbibliothek zugänglich). Währenddie ältere Aktenüberlieferung der ehemaligen Landratsäm-ter Heidelberg, Mannheim und Sinsheim aus der Zeit vor1945 im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrt wird, fin-den sich im Kreisarchiv – mit Ausnahme der 1993 rückge-führten Bauakten – in der Regel nur Unterlagen jüngerenEntstehungsdatums. Gleichwohl setzt in Einzelfällen dieÜberlieferung schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-derts ein. Im Rahmen der allgemeinen Archivpflege berätes daneben die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet,deren Archive nicht hauptamtlich verwaltet werden, inarchivischen Angelegenheiten. Gleichzeitig fördert es dieErforschung und die Kenntnisse der Kreis- und Heimatge-schichte. Zu diesem Zweck hat sich das Kreisarchiv vonAnfang an intensiv in der historischen Bildungsarbeitengagiert und veranstaltet seit 1993 zunächst in den Räum-lichkeiten der Volkshochschule eine historische Vortrags-reihe (mittlerweile mehr als 70 Vorträge). Seit Sommer 2001finden die Vorträge im eigenen neu geschaffenen Vortrags-raum statt, der im Zuge einer größeren Umbaumaßnahmegemeinsam mit neuen klimatisierten Magazin- und Büro-räumen sowie einem großen Ausstellungsraum entstandenist. Seitdem verfügt das Kreisarchiv über eine variable Ver-anstaltungsfläche von mehr als 350 qm, die es ebenso fürVorträge, Lesungen, kleinere Konzerte wie auch für einvielfältiges Ausstellungsprogramm im Rahmen der allge-meinen Bildungs- und Kulturarbeit des Landkreises nutzt.Neben historischen Ausstellungen, die zum Teil in Koope-ration mit anderen Archiven und Museen erarbeitet odervon dort übernommen werden, werden hier innerhalb derReihe „Kunst im Kreisarchiv“ mehrmals pro Jahr Kunst-ausstellungen regionaler Künstler gezeigt. Vom Sommer2001 bis zum Frühjahr 2007 wurden bislang 21 Einzel- bzw.Gemeinschaftsausstellungen gezeigt, die mit dazu beige-tragen haben, das Aufgabenspektrum des Kreisarchivsbekannter zu machen, das im Kreisgebiet, in dem mehr als530.000 Menschen leben, mittlerweile zu einem festenBestandteil der Kultur- und historischen Bildungsarbeitdes Landkreises avanciert ist. Hierzu tragen auch die bei-den seit 1996 in Zusammenarbeit mit dem Amt für Öffent-lichkeitsarbeit herausgegebenen Schriftenreihen „Rhein-Neckar-Kreis – Bausteine zur Kreisgeschichte“ (bislang 8Bände) und „Rhein-Neckar-Kreis – Historische Schriften“(bislang 3 Bände) bei. Sie sollen die Forschungsergebnisseund Dokumentationsarbeiten des Kreisarchivs, das mitvielen anderen wissenschaftlichen Institutionen, histori-schen Vereinen und Schulen in der Region zusammenar-beitet, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen

4 Dazu künftig: Gerold Bönnen, Erschließung wirtschafts- und sozialge-schichtlich relevanter zeitgeschichtlicher Aktenbestände im WormserStadtarchiv (erscheint in: Unsere Archive. Mitteilungen aus den rheinland-pfälzischen und saarländischen Archiven, 2007).

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und das gestiegene Interesse an regionaler Geschichte wei-ter fördern.

Ladenburg Jörg Kreutz

Kontakt:Jörg KreutzKreisarchiv Rhein-Neckar-KreisTrajanstraße 6668526 LadenburgTel.: 06203/9306-7740Fax: 06203/9306-7739E-Mail: [email protected]

Unternehmensarchiv der Bilfinger Berger AG

Die Bilfinger Berger AG entstand 1975 durch die Fusiontraditionsreicher Baugesellschaften. Ihre historischenWurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1880. August Bernatzrealisierte im damals deutschen Lothringen sein erstes grö-ßeres Projekt. 1883 ließ sich der Baumeister in Mannheimnieder. Aus seinem Unternehmen ging die Grün & Bilfin-ger AG hervor. Die anderen Vorläuferunternehmen vonBilfinger Berger, die Julius Berger Tiefbau AG und die Ber-linische Boden-Gesellschaft, wurden beide im Jahr 1890gegründet.

Blick in den Ausstellungs-raum des Kreisarchivs (Foto:Dorothea Burkhardt)

Teliu-Tunnel, Rumänien, 1926

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Die Dresdner Bank war an allen drei Unternehmen alsAktionär maßgeblich beteiligt. Unter der Ägide von JürgenPonto, ihres späteren Vorstandssprechers, reifte in densechziger Jahren der Plan, ein großes, international konkur-renzfähiges Bauunternehmen zu schaffen. Der erste Schrittwar die 1969 vollzogene Fusion der Julius Berger AG mitder Bauboag, die aus der Berlinischen Boden-Gesellschafthervorgegangen war. An diesem neuen Unternehmenerwarb die Grün & Bilfinger AG 1970 eine Mehrheitsbetei-ligung. Im Jahr 1975 erfolgte schließlich die Fusion zur Bil-finger + Berger Bauaktiengesellschaft, die im Zuge der stra-tegischen Neuausrichtung zur Multi Service Group ihrenNamen im Jahr 2001 in Bilfinger Berger AG änderte.

Mit dem Aufbau des Unternehmensarchivs wurde 1995begonnen. Die Überlieferung zu den drei Vorläuferunter-nehmen ist unterschiedlich gut. Am umfangreichsten sinddie Aktenbestände der Grün & Bilfinger AG. Sie reichen bisin die 1880er-Jahre zurück und umfassen u. a. Vorstands-und Aufsichtsratsprotokolle, Bilanzen und Geschäftsbe-richte sowie Verträge, Zeichnungen und technische Unter-lagen zu Bauprojekten in aller Welt.

Für die Julius Berger AG sind aus der Zeit vor 1945 Auf-sichtsratsprotokolle, Geschäftsberichte, eine Reihe projekt-bezogener Vertragsakten und Unterlagen der Personalab-teilung überliefert. Den Schwerpunkt der Bestände nach1945 bilden Aufsichtsratsunterlagen, Vorstandsprotokolleund Akten der Unternehmensleitung.

Die Berlinische Boden-Gesellschaft ist das Vorläuferun-ternehmen mit der schlechtesten Überlieferung. Aus derZeit vor 1945 sind nur wenige Akten vorhanden, sie betref-fen u. a. die „Arisierung“ des Unternehmens in den 1930er-Jahren. Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind u. a. Aufsichtsratsprotokolle und Bilanzunterlagen über-liefert.

Das Fotoarchiv umfasst mehrere Zehntausend Aufnah-men und reicht bis in die Frühzeit des Unternehmenszurück. Hinzu kommen Filme über Bauprojekte, die ältes-ten stammen aus den 1920er-Jahren.

Mannheim Martin Krauß

Kontakt: Dr. Martin KraußBilfinger Berger AGZentralbereich KommunikationCarl-Reiß-Platz 1-568165 MannheimTel.: 0621/4592205Fax: 0621/4592500E-Mail: [email protected]

KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen

Die KZ-Gedenkstätte Sandhofen erinnert an das 1944-45dort von der SS unterhaltene Außenlager des KZ Natzwei-ler-Struthof. Das südwestlich von Straßburg gelegene Kon-zentrationslager bekam in den letzten Kriegsmonaten einebesondere Bedeutung für den Rhein-Neckarraum, da essich mit der Verlegung seiner Kommandostrukturen unddem Aufbau von etwa 70 weiteren Außenlagern über diegesamte Region ausbreitete.

Eine Ausstellung zur Geschichte des Konzentrationsla-gers wurde von einem Förderverein in der Mannheimer

Gustav-Wiederkehr-Schule eingerichtet und ist imUmkreis von 50 Kilometern die einzige derartige Erinne-rungsstätte. Sie wird überwiegend von Schulklassenbesucht. Ihr Besucherkreis ist im Wachsen begriffen undumfasst derzeit zwischen 60 und 80 Gruppen im Jahr, d. h.mehr als 1000 Besucher, davon etwa 700 Schülerinnen undSchüler aus Mannheim und Umgebung. Die Besucherbekommen in der Ausstellung einen bleibenden Eindruckvom Innenleben eines Konzentrationslagers unter dernationalsozialistischen Diktatur vermittelt.

Seit einem Jahr wird auch ein Projekttag von CourageNordbaden (Netzwerk für Demokratie und Courage)angeboten, den die Gruppe in Kooperation mit dem För-derverein der Gedenkstätte erarbeitet hat. Er umfasst 6Schulstunden und bietet methodisch vielseitige Wissens-vermittlung zum Thema Konzentrationslager undZwangsarbeit. Mit diesem Programm sollen Schülerinnenund Schüler für die historische und bis heute gegenwärti-ge Dimension des Terrors der NS-Gewaltherrschaft sensi-bilisiert und Möglichkeiten couragierten Handelns aufge-zeigt werden.

Ins KZ Mannheim-Sandhofen wurden fast ausschließ-lich Einwohner der Stadt Warschau verbracht, die währenddes Warschauer Aufstandes verschleppt worden waren.Diese Herkunftssituation hat es ermöglicht, dass in denletzten 15 Jahren zahlreiche Überlebende des Lagers

Blick in die Ausstellung im Untergeschoss der Gustav-Wieder-kehr-Schule

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schriftlich oder mündlich befragt, teilweise auch gefilmtwerden konnten. So kann die Gedenkstätte KZ-Sandhofenjetzt auf eine Dokumentation von über 60 Häftlingserinne-rungen zurückgreifen. Der Kreis der Überlebenden lichtetsich jedoch von Jahr zu Jahr. Derzeit wohnen in Warschaunoch 27 der ehemaligen 1060 Häftlinge. In dieser Situationmuss man sich auf die bald bevorstehende Zäsur einstel-len, sich in der Gedenkstättenarbeit auf keine direktenKontakte zu Überlebenden mehr stützen zu können. Daherwurde gerade in der letzten Zeit besonders darauf geach-tet, die individuellen und biographischen Dimensionendes Erinnerns in der Gedenkstätte zu verankern. Durch dieEinbeziehung von Medien, von akustischen und visuellenAngeboten wurde ein neuer Schwerpunkt in der Dauer-ausstellung geschaffen. Ein im Jahr 2006 neu gestalteter„Raum der Biografien“ soll auch durch stärker emotiona-le Anmutung und individualisierte Rezeptionsmöglichkeitden Kontrast zu den anderen Ausstellungsräumen verstär-ken.

Mannheim Hans-Joachim Hirsch

Kontakt:Verein KZ-Gedenkstätte Sandhofen e. V.c/o Stadtjugendring Mannheim e. V.Neckarpromenade 4668167 MannheimSabine GrimbergTel.: 0621/33856-11Fax: 0621/33856-16E-Mail: [email protected]: Stadtarchiv MannheimHans-Joachim HirschPostfach 10 00 3568133 MannheimTel.: 0621/293-7485Fax: 0621/293-7476E-Mail: [email protected]ätte-sandhofen.de

Das Archiv für Gesprochenes Deutsch im Institut fürDeutsche Sprache (IDS) Mannheim

Wenn Sprachwissenschaftler untersuchen wollen, wieMenschen in unterschiedlichen Regionen (z. B. in Bayernoder Sachsen) oder in unterschiedlichen sozialen Situatio-nen (z. B. in der Schule, beim Arzt, vor Gericht, in der Fami-lie) miteinander reden, dann machen sie systematisch Auf-zeichnungen von gesprochener Sprache und erstellendabei sogenannte „Korpora“. Damit diese wertvollenZeugnisse menschlichen Ausdrucksverhaltens nachAbschluss der Forschungsprojekte nicht verloren gehenund der Wissenschaft allgemein zur Verfügung stehen kön-nen, werden sie vom „Archiv für Gesprochenes Deutsch“(AGD) gesammelt und für die weitere Nutzung erschlos-sen.

Gegenwärtig verwaltet das AGD 36 Korpora. DerBestand umfasst 540 Videoaufnahmen und rund 15.000Tonaufnahmen mit einer Gesamtdauer von 4.400 Stundensowie 6.700 Transkripte.

Das Spektrum reicht von flächendeckenden Spracherhe-bungen in über 1.000 Orten des deutschen Sprachraums(„Zwirnerkorpus“ von 1960) bis hin zu 600 Stunden Auf-zeichnungen des sozialen Lebens in einer einzigen Stadt(Korpus „Stadtsprache Mannheim“ von 1985), von biogra-phischen Interviews von deutschsprachigen Emigranten inIsrael (Korpus „Emigrantendeutsch in Israel“ von 1989)und von Berlinern nach der Wende („Berliner Wendekor-pus“ von 1992) bis hin zu Beratungs- und Schlichtungsge-sprächen (Korpora BG und SG von 1979/1983).

Das Archiv gehört seit 1971 zum Institut für DeutscheSprache (IDS) in Mannheim, der zentralen Einrichtung zurErforschung und Dokumentation der deutschen Sprache inihrem gegenwärtigen Gebrauch und ihrer neuerenGeschichte. Gegründet wurde es aber schon 1932 in Berlinals „Deutsches Spracharchiv“ von Eberhard Zwirner, deres bis zur Übernahme durch das IDS leitete und dem eszentrale Teile seiner Bestände verdankt.

Tonstudio des „Archivs fürGesprochenes Deutsch“

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Wie alle Medienarchive hat auch das AGD mit derbegrenzten Haltbarkeit von Tonträgern zu kämpfen. Seit1994 werden deshalb die Bestände nach und nach im Rah-men der personellen Möglichkeiten digitalisiert. 1997wurde mit dem Aufbau der „Datenbank GesprochenesDeutsch“ (DGD) begonnen (unterstützt von der Volkswa-genStiftung), um die digitalen Bestände über eine Benut-zer-Schnittstelle im Internet verfügbar zu machen. In derDGD kann seit 2003 über einen großen Teil der Korpus-Dokumentationen recherchiert werden („DigitalerBestandskatalog“). Einzigartig und für wissenschaftlicheAuswertungen von großer Bedeutung ist jedoch die Mög-lichkeit der DGD, in den Transkripten nicht nur nach Wor-ten, sondern auch mithilfe der am IDS entwickelten Retrie-valsoftware COSMAS II nach komplexen Wortkombinatio-nen suchen und sich die gefundenen Belegstellen sofortanhören zu können (Text-Ton-Alignment).

Über die wissenschaftliche Nutzung hinaus dokumen-tiert das Archiv inzwischen über 50 Jahre Vielfalt dergesprochenen Sprache im deutschen Sprachraum.

Mannheim Martin Hartung

Kontakt:Dr. Martin HartungArchiv für Gesprochenes Deutsch im Institut für Deutsche SpracheR 5, 6-1368161 MannheimTel.: 0621/1581-304Fax: 0621/1581-200E-Mail: [email protected]

Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheimund sein ArchivDas Landesmuseum für Technik und Arbeit wurde 1990eröffnet. Wie kaum ein anderes Museum in Europa ermög-licht es seinen Besuchern einen komprimierten und den-noch repräsentativen Rundgang durch die Geschichte der

Industrialisierung. Anders als in den traditionellen Tech-nikmuseen werden hier nicht die einzelnen Zweige derTechnik und Industrie für sich isoliert historisch verfolgt.Die Stationen zeigen „historische Momentaufnahmen“bzw. grundlegende Entwicklungssequenzen. In fünfzehnchronologisch folgenden Ausstellungseinheiten werdendie handwerklich-technische Entwicklung und der sozia-len Wandel in Südwestdeutschland vom Barock bis heutegezeigt.

Das Landesmuseum ist kein stiller Museumstempelsondern ein „arbeitendes Museum“. Der Besucher erlebtwährend seiner Zeitreise den Vorführbetrieb in verschiede-nen Werkstätten, Fabrikanlagen, Büros und Verkehrsmit-teln. Historische Maschinen und Geräte werden in Betriebgezeigt, alte handwerkliche Verfahren sowie moderneArbeitsgänge werden vorgeführt. Filme ergänzen das Aus-stellungsangebot, dessen Attraktion die Fahrt mit einerhistorischen Dampfeisenbahn durch das Museum in dasFreigelände ist.

In der Kinderwerkstatt können kleine Besucher in einemeigens eingerichteten Bereich hämmern, weben, druckenund vieles mehr.

Seit dem Jahr 2005 ergänzt die Elementa mit mehr als 50naturwissenschaftlichen und technischen Experimentier-stationen die historischen Objekte der Dauerausstellung.An diesen Stationen kann der Besucher durch eigene Ver-suche die naturwissenschaftlichen Grundlagen und Geset-ze erleben, die den Funktionsmechanismen der gezeigtenAusstellungsobjekte zugrunde liegen. Tutoren unterstüt-zen die Besucher bei der Durchführung der Experimente.

Das Laboratorium der Elementa orientiert sich an derErfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen undermöglicht experimentelles und sinnliches Lernen.

Als Abschuss des Museumsrundganges empfiehlt sichder Besuch auf dem größten Ausstellungsstück des Lan-desmuseums, dem Museumsschiff Mannheim, ein Schau-felraddampfer von 1929, der am Neckar zwischen Innen-stadt und Hafen vor Anker liegt. Auf der „Mannheim“ ist

Das Landesmuseum vonNordosten

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eine Dauerausstellung zur Geschichte der Rhein- und Neckar-Schifffahrt zu sehen.

Das Landesmuseum veranstaltet zudem eine Vielzahlvon Wechselausstellungen, darunter die aufsehenerregen-de Schau „Körperwelten“ (1997/98) oder die Präsentationder großen Landesaustellungen Baden-Württemberg„Mythos Jahrhundertwende: Mensch, Natur, Maschine inZukunftsbildern 1800-1900-2000“. Ein großer Erfolg war2006/07 die Ausstellung „Aufbruch ins Weltall“ zurGeschichte der Raumfahrt. Anlässlich des 400-jährigenJubiläums der Stadt Mannheim findet vom 20. Juni 2007 biszum 6. Januar 2008 die Sonderausstellung „Mannheim aufAchse. Mobilität im Wandel 1607-2007“ statt.

Das museumspädagogische Angebot reicht von Füh-rungen und Lerngängen zu Kindergeburtstagen und Feri-enaktionen. In der Museumswerkstatt bieten Vorführtech-niker des Landesmuseums ihre speziellen Kurse z. B. inPapierschöpfen oder Druck an.

Das Archiv Das Archiv ergänzt wie die Bibliothek, die Mediothek unddas Bildarchiv die Sammlungen des Landesmuseums. DieBestände dienen in erster Linie der Ergänzung und Illustra-tion der Objektsammlung und liefern vertiefende Informa-tionen zur Entstehungsgeschichte und zum Verwendungs-kontext der Sammlungsstücke. Die Archivalien dienenaber nicht nur der Erforschung der Exponatgeschichte,sondern bereichern in zahlreichen Fällen auch derenmuseale Präsentation.

Die Palette der Archivalien ist breit gefächert. DieBestände umfassen Firmen- und private Nachlässe, Plaka-te, Konstruktionszeichnungen, historische Baupläne, Ein-zelakten, Verkaufs- und Musterkataloge, Firmenschriften,Druckgrafiken, Landkarten, Stadtpläne und Postkarten.Der thematische Schwerpunkt liegt auf der Technik-, Wirt-schafts- und Sozialgeschichte Südwestdeutschlands abdem 19. Jahrhundert.

Firmen- und Verbandsarchive (zum Beispiel Kraftüber-tragungswerke Rheinfelden AG, Gewerkschaft Textil undBekleidung e.V. Baden-Württemberg, Gebrüder Bellmer)überliefern die Gründungsgeschichte, protokollieren denGeschäftsverlauf, geben Aufschluss über Löhne, Arbeitsbe-dingungen und betriebliche Sozialverhältnisse.

Mehr als 8000 Verkaufs- und Musterkataloge sind wert-volle Zeugnisse jeweiliger Produktentwicklung und Fir-mengeschichte.

Nachlässe bedeutender Wissenschaftler, Techniker undUnternehmer (zum Beispiel Felix Wankel, Emil Kessler,Ernst Brüche) eröffnen biografische Zugänge zur For-schungs-, Entwicklungs- und Unternehmensgeschichte.

Konstruktionszeichnungen, historische Baupläne undKarten dienen der Dokumentation von Produktions- undBaugeschichte.

Postkarten, Druckgrafiken, Wertpapiere, Banknotenoder politische Flugschriften belegen als alltagsgeschicht-liche Zeugnisse den sozialen, wirtschaftlichen und politi-schen Wandel im Zug der Industrialisierung.

Das Archiv verfügt über ca. 800 laufende Regalmeter,die sich in klimatisierten Räumen befinden. Die Beständestehen Museumsmitarbeitern für wissenschaftliche Arbei-ten und Forschungsaktivitäten zur Verfügung, sind aberauch für externe Forscher zugänglich. Die Bestände sinddurch EDV und Findbücher erschlossen.

Mannheim Petra Memmer

Kontakt:Petra Memmer, Andrea GenrichLandesmuseum für Technik und Arbeit in MannheimMuseumsstr. 168165 MannheimTel.: 0621/4298-780 (Andrea Genrich)Fax: 0621/4298-754E-Mail: [email protected] oder [email protected]

Tenderlokomotive Eschenau

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Woran lassen sich Quantität und vor allem die Qualität derErfüllung der Dienstleistungsfunktion als grundlegenderAufgabe des Bundesarchivs messen? Entwickelt sich beider fachlichen Beratung und Betreuung von Benutzernnicht ein gewisses Maß an Eigendynamik allein aus derTatsache heraus, dass die Behörde den Nutzern nicht nureinen Gefallen erweist, sondern es ihr gesetzlicher Auftragbzw. amtliche Pflicht ist, Zufriedenheit zu hinterlassen?Und könnte man deswegen nicht alles mehr oder wenigerdem Selbstlauf überlassen? Doch Selbstlauf bedeutet imGrunde Mittelmäßigkeit des Mitteleinsatzes, der ebensol-che Mittelmäßigkeit der Benutzerzufriedenheit erzeugtund letztlich auch eine gewisse Unzufriedenheit.

Gegen solches Mittelmaß haben sich die Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter des Bundesarchivs in ihrem Leitbild1

zum Ziel gesetzt, eine stets hohe Dienstleistungsqualitätanzubieten und die Benutzer durch Initiative, Engagementund Teamarbeit sachlich und freundlich zu betreuen. Aberdie Umsetzung dieser Zielstellung ist ein längerer Prozess,der bei aller Zuversicht und kollegialen Zusammenarbeitauch Rückschläge und harte Auseinandersetzungen ein-schließt.

Im Laufe des Jahres 2001 erbat der Präsident des Bun-desarchivs vom zuständigen Fachreferat (R 1) für dasBenutzungswesen am Standort Berlin-Lichterfelde einKonzept zur Verbesserung der Situation bei der Archivbe-nutzung, das seinen „Vorstellungen, ein Qualitätsmanage-ment im Benutzungsbereich zu etablieren und zugleich dieVerantwortung auf mehr Schultern zu verteilen, um soauch die Kompetenz zu fördern und zu verbreitern“2,Rechnung trug. Die im November 2001 vorgelegte Konzep-tion mit mehreren kurz-, mittel- und langfristigen Maßnah-men zur Optimierung des Benutzungsprozesses zielte vorallem auf die Verbesserung der Qualität der Benutzerbera-tung, angedacht als erster Schritt auf dem Weg zu einemganz neuen Benutzungskonzept, das erst mit der Planungund unmittelbaren Einrichtung des kommenden Neu- undUmbaus (Magazin und Benutzungszentrum) seine endgül-tige Umsetzung erfahren sollte. Sie begann mit dem Ver-such, im Mai 2002 einen aus etwa 10 Mitarbeitern bestehen-den „archivfachlichen Informationsdienst“ – zunächst alsProbelauf – zu installieren. Seine Aufgaben sollten von derErläuterung, Prüfung und Genehmigung der Benutzeran-träge, orientierenden Gesprächen mit Erstbenutzern bishin zur ersten Klärung inhaltlicher Fragestellungen rei-chen. Die Realisierung scheiterte am Mangel Freiwilliger,die täglich wechselnd in der Zeit von 8 Uhr bis 15:30 Uhrim Benutzersaal präsent sein sollten. Letztlich gelangteman nur zu einer halbherzigen Lösung, die noch zubeschreiben sein wird. Mit der Verwirklichung der ande-ren Maßnahmen des Konzepts (u. a. Einrichtung einer„Ausgabetheke“) wurde nicht begonnen.

Der im Sommer des Jahres 2004 fast gleichzeitig vollzo-gene Wechsel in der Abteilungsleitung Reich und der Lei-tung des Referats R 1 geschah mit dem wiederholten kla-ren Votum des Präsidenten, die bisherigen Benutzungsab-läufe und die daraus resultierende Dienstleistungsfunkti-on des Bundesarchivs weitgehend und wirksam sowie vorallem zeitnah zu optimieren.3

Am Ende sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fastaller Abteilungen am Prozess der Benutzungsoptimierungbeteiligt gewesen sein. Darin spiegelte sich nicht nur ihreTeamfähigkeit wider, sondern sie bestätigte wiederum dieaußerordentliche Bedeutung einer Kernaufgabe des Bun-desarchivs.

Analyse

Die Professionalität der Dienstleistungsfunktion misst sichin erster Linie am Grad der Benutzerzufriedenheit, die vonverschiedenen wichtigen subjektiven und objektiven Fak-toren, die sich oft gegenseitig bedingen, beeinflusst wird.Dazu gehören u. a.:– Sach- und Fachkunde bei der Auskunftstätigkeit– Arbeits- und Nutzungsbedingungen in den Lesesälen

für Benutzer und Personal– Grad der Freizügigkeit des Umgangs mit Findhilfsmit-

teln und Akten unter gleichzeitiger Beachtung spezifi-scher archivischer Interessen (z. B. Schutz des Archiv-guts)

– Grad der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Per-sonals in allen Organisationseinheiten

– Qualität der Zusammenarbeit der Mitarbeiter (Team-fähigkeit und -bereitschaft)

– Grad der Zufriedenheit, der Motivation und des Enga-gements des einzelnen Mitarbeiters und seiner Vorge-setzten usw.Die Lösung der oben bezeichneten Aufgabenstellung

erforderte zunächst eine Analyse des Ist-Zustandes, einePrüfung vorhandener Möglichkeiten und Ressourcen fürden Optimierungsgrad unter Beachtung objektiver undsubjektiver Grenzen.

Im Ergebnis der Analyse kristallisierten sich vierSchwerpunktbereiche heraus, die Reservepotential für Ver-änderungen und Verbesserungen besaßen:– Archivfachliche Beratung der Benutzer– Aktenausgabe/-rücknahme

1 Siehe unter www.bundesarchiv.de/aufgaben_organisation/aufgaben.2 Zitiert nach Dienstakte des BArch, 1472-23/1.

3 Bereits im Frühjahr 2004 hatten zuständige Mitarbeiter des Referats Z 3im Auftrag der Leitung des Bundesarchivs mit der Prüfung der Benut-zungsabläufe (insbesondere bei der persönlichen Benutzung) in Berlin-Lichterfelde begonnen. Auf den Ablauf dieses Prozesses wird hier nichtnäher eingegangen, da es im Endergebnis keine wesentlichen gegensätz-lichen Resultate und Auffassungen gab. Die Hinweise aus der Innenre-vision sind im Zuge der Benutzungsoptimierung geprüft und entspre-chende Änderungsvorschläge – soweit realisierbar – umgesetzt worden.

Ergebnisse und Grenzen der Benutzungsoptimierung im Bundesarchiv, Standort Berlin-Lichterfelde – Ein Erfahrungsbericht Von Torsten Zarwel und Simone Walther

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– Auswertungs- und Nutzungsbedingungen für Mikro-formen

– Räumliche und zeitliche Bereitstellung der Findhilfs-mittel

Situation im Sommer 2004

Eine Anfang 2002 im Bundesarchiv über zwei Monatedurchgeführte offizielle Benutzerumfrage4 zeichnete einüberwiegend positives Bild. Dennoch kursierten in derinoffiziellen Wahrnehmung häufig andere Meinungen,erzählte der „Flurfunk“ manchmal ganz andere „Geschich-ten“. Das ist normal und vor allem menschlich. Keine nochso gut gemachte Umfrage kann letztlich viele verschiede-ne subjektive Befindlichkeiten ausloten. Ein durch Benut-zer bezeugtes Einverständnis mit der Qualität der persön-lichen Betreuung durch die Mitarbeiter enthält noch langekeine Aussage über deren Motivation und Zufriedenheit,sagt nichts über „eingefahrene“ Wege und Strukturen, überungeschriebene „Gesetze“. Also waren die Ansätze für eineweitergehende Verbesserung vor allem in diesem subjekti-ven Bereich zu suchen.

Nachdem im Sommer des Jahres 2002 die Einführungdes „Archivar vom Dienst“ (archivfachlicher Informations-dienst) am Gebot der Freiwilligkeit gescheitert war, solltein einer Pilotphase den Benutzern durch Archivare undArchivarinnen des höheren und gehobenen Dienstes aufebenso freiwilliger Basis wenigstens ein Beratungsangebot

von jeweils einer Stunde am Vormittag und am Nachmit-tag unterbreitet werden. Dieses Angebot nahmen die Nut-zer wegen der zu kurzen Zeit so gut wie nicht an, so dassdie beteiligten ArchivarInnen den Sinn dieser Maßnahmeberechtigterweise in Frage stellten. Im Ergebnis wurde diefür das Benutzungswesen zuständige Sachbearbeiterin aufadministrativem Wege zum „Archivar vom Dienst“ernannt. Den eigentlich ursprünglich für Beratungszwek-ke und für die Leiterin des Benutzerdienstes vorgesehenenso genannten „Glaskasten“ im Benutzersaal erhielt dieseSachbearbeiterin als Büroraum zugewiesen.

In dieser Zeit übernahm sie die archivfachliche Erstbe-ratung mit der Erläuterung, Prüfung und Genehmigungdes Benutzungsantrages in Anwesenheit des Benutzers.Gegebenenfalls wurde das Benutzungsthema präzisiertund über Überlieferungslage und Benutzungsablauf orien-tiert. Die Mitarbeiterin trug gleichzeitig die Hauptlast dertelefonischen Auskünfte und beantwortet einfache Anfra-gen zum Ablauf der Benutzung per E-Mail. Außerdembesaß sie die Mittlerfunktion zwischen Benutzerdienst undVerwaltung in benutzungstechnischen Angelegenheiten(z. B. Tonerkartuschenbestellungen, Vorhaltung und Aktu-alisierung von Formularen etc.). Da ihr Büro auch fürBenutzer einsehbar bleiben sollte, gab es im Grunde kaumSpielraum für Tätigkeiten, die Ruhe erforderten und nochweniger für persönliche bzw. private Verteilzeiten (z. B.Mittagspause).

Negativ wirkte sich zudem aus, dass in Urlaubs- undKrankheitszeiten keine Vertretung verfügbar war. Die Erst-beratung, von den meisten Benutzern im Laufe der Zeit als„Zwangsberatung“ empfunden und teilweise offen abge-lehnt, übernahmen dann entweder die Mitarbeiter desBenutzerdienstes zusätzlich (v. a. in Zeiten hohen Be-nutzerandrangs kaum realisierbar, weil zusätzliche Warte-zeiten entstanden) oder in verstärktem Maße die Fachrefe-rate. Lediglich die am Montag und Donnerstag angebote-nen Spätdienste in der Zeit von 15:30 bis 19 Uhr (durch acht

4 Siehe dazu Benutzeranalyse im Bundesarchiv; Transferarbeit von Seba-stian Barteleit, Anette Meiburg und Thomas Menzel. BundesarchivBerlin, 2002. Siehe auch dies. Benutzeranalyse im Bundesarchiv. Teil 2:Benutzerbefragung. In: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Nr. 2/2003. S.28 ff.

Neuer Lesesaal für Mikrofor-men (Quelle: Bundesarchiv)

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Freiwillige des gehobenen und höheren Archivdienstes)wirkten entlastend, wenn sie auch äußerst selten inAnspruch genommen wurden. Die meisten Erstbenutzertrafen in der Regel vormittags zwischen 9 und 11 Uhr imBenutzersaal ein.

Die Leiterin des Benutzerdienstes besaß keinen eigenenBüroraum. Die von ihr zu leistenden Planungen, Abrech-nungen oder Beratungen, die ein gewisses Maß an Ruheerforderten, musste sie entweder im Benutzersaal oder imAufenthaltsraum erledigen. Durch die Kompetenzüber-schneidungen bei der Benutzerberatung litt ihre Autoritätals unmittelbare Vorgesetzte der Mitarbeiter des Benutzer-dienstes. Daraus resultierende Spannungen, die auch vonBenutzern registriert wurden, mangelnde Motivation undAnerkennung verhinderten ein wirkliches Teamwork.

Für Gespräche, die Mitarbeiter der Fachreferate mitBenutzern zu führen hatten, existierte im Grunde keinRaum – die Gespräche fanden entweder bei Einzelbele-gung in den Dienstzimmern, oder aber ganz überwiegendim Eingangsbereich des Hauses 901 statt. Letztlich litt dieQualität der Benutzerberatung und -betreuung insgesamt.Die Fachreferate wurden zudem nicht ausreichend ent-lastet.

Unter dem Gesichtspunkt von Bestandsschutz und -pflege entsprach das System der Aktenausgabe und derenRücknahme zum Analysezeitpunkt kaum den Anforde-rungen. Weitgehend unkontrolliert entnahmen die Benut-zer die auf ihren Namen bestellten und bereitgelegtenAkten aus dem Vorlageregal. Dieser Bereich der Aktenvor-lage befand sich im hinteren, vom Aufsichtspersonalschwer einsehbaren Bereich des Benutzersaales. Das Prin-zip der Selbstbedienung – in keinem anderen größeren in-oder ausländischen staatlichen Archiv gängige Praxis –begünstigte den unsachgemäßen Umgang mit dem Archiv-gut. Ein schlechter innerer Ordnungszustand der Archiva-lien nach der Benutzung bzw. der ebenso unkontrolliertenRückgabe und eine daraus resultierende Beeinträchtigungdes konservatorischen Zustands sowie „Verschachtelun-gen“ von Vorgängen oder ganzen Akten mussten dabei inKauf genommen werden. Die für Benutzer kaum bestehen-de „Verpflichtung“ zur zügigen Auswertung der ausgelie-henen Unterlagen führte häufig zu längeren Liegezeitender Archivalien außerhalb des schützenden Magazinbe-reichs.

Die sukzessive Verfilmung und Verfichung der zur dau-ernden Aufbewahrung vorgesehenen Archivalien dientderen konservatorischer Sicherung. Die Erfüllung diesergesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung und Aufgabedes Bundesarchivs verlangt die Schaffung adäquater Aus-wertungs- und Nutzungsbedingungen für Mikroformen.Die im hinteren Bereich des Lesesaals in zwei mehr oderweniger kleinen abgetrennten Bereichen betriebenen Rea-der-Printer waren an der Grenze ihrer Auslastung ange-langt. Die engen Räumlichkeiten boten keinen Spielraummehr für Kapazitätserweiterungen. Zunehmende Warte-zeiten und Terminvergaben waren die Folge. Die aus derGedrängtheit der aufgestellten Lesegeräte resultierendenklimatischen Bedingungen und ein eingeschränktes Platz-angebot auf den Arbeitstischen – also insgesamt unbefrie-digender Arbeitskomfort – belasteten Benutzer und Mitar-beiter gleichermaßen.

Im Gegensatz zu den schichtbetriebenen benutzer-freundlichen Öffnungszeiten des Lesesaal von 8 bis 19 Uhr

(freitags bis 16 Uhr) hatten Benutzer keine Möglichkeit,stets zeitgleich die außerhalb und relativ weit vom Benut-zersaal entfernt deponierten Findmittel im zentralen Find-mittelraum auszuwerten. Vor allem personelle Gründe –die zuständige Sachbearbeiterin arbeitete in Gleitzeit –gestatteten dem Nutzer nur innerhalb eines starren Zeit-rahmens von 9:15 bis 12 Uhr und von 13 bis 15 Uhr dieAuswertung von Findkarteien und Ablieferungsverzeich-nissen.

Konzeptionelle Überlegungen

Für die unmittelbare Verbesserung und die weitere Opti-mierung der Benutzungsabläufe im Interesse der Benutzerund aller an der Benutzung beteiligten Mitarbeiter ent-wickelte das zuständige Fachreferat zunächst ein Konzept,das nach Abstimmung mit dem Präsidenten des Bundes-archivs am 21. Oktober 2004 auf einer Informationsveran-staltung den in Berlin-Lichterfelde ansässigen Archivarenund Archivarinnen vorgestellt wurde. Die vorgeschlage-nen Lösungsmöglichkeiten, von denen letztlich alle Benut-zer und Mitarbeiter profitieren sollten, zielten vor allemdarauf,– den Zeitaufwand der Benutzer bei der Auffindung und

Auswertung der für ihr Benutzungsthema relevantenArchivalien zu minimieren,

– die Benutzer vor und während ihres Archivbesuchs sozu informieren und zu betreuen, dass sie möglichstschnell, ohne Umwege zu den einschlägigen bzw.gesuchten Überlieferungen finden und sich später mög-lichst selbständig durch das Informationsangebot desBundesarchivs bewegen können,

– den Aufwand für Personal und die Belastung der Aktendurch die Benutzung möglichst gering zu halten.Die Konzeption sah für die Verwirklichung der in Orga-

nisation und Ablauf der Benutzung notwendigen Verände-rungen kurz- und mittelfristige Maßnahmen vor, die mög-lichst bis zum Jahresende 2005 mit positiven Ergebnissenvon einer dafür zu bildenden Arbeitsgruppe aus Vertreternaller beteiligten Bereiche umgesetzt sein sollten: – Aus konservatorischen Gründen und im Interesse einer

intensiveren Bestandspflege durch die Erhaltung desOrdnungszustandes sollte ein Ausgabetresen im Benut-zersaal die Selbstbedienung in der gegenwärtigenAktenvorlage ersetzen. Der Benutzer erhielte hier seinebestellten Akten und gäbe durchgearbeitete Aktenbän-de wieder zurück; von hier aus würde gleichzeitig dieKontrolle und Reponierung bzw. Rücklagerung für dieweitere Nutzung erfolgen. Am Tresen müssten arbeits-teilig und im Schichtbetrieb ein Mitarbeiter des Benut-zersaaldienstes und ein Mitarbeiter des Magazindiens-tes tätig sein.

– Ein weiterer Schritt zielte auf die Findmittelkonzentra-tion an einem Ort im Lesesaalbereich, um damit vorallem die nutzerunfreundlichen Öffnungs- und Wege-zeiten zu beseitigen. Im Sinne der angestrebten Dienst-leistungsqualität lautete die Fragestellung: Wie gelan-gen die Findmittel am effektivsten zu den Benutzern? Inder so genannten „Salatbar“ im Bereich des Benutzer-saales waren gedruckte Findbücher und teilweise frei

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vorlagefähige Ablieferungsverzeichnisse, die keinerintensiven Beratung des Benutzers bedürfen schonuneingeschränkt zugänglich. Die zunehmende Zahl anOnline- bzw. Publikationsfindbüchern eröffnete Mög-lichkeiten, nicht mehr notwendige Karteien zu verla-gern bzw. sie zu kassieren; dadurch böten sich Perspek-tiven für eine Verlagerung von Benutzungsangeboten.Vorgesehen war zunächst ein Tausch zwischen Akten-vorlage (zukünftig Findbücher und Handbibliothek)und „Salatbar“ (Aktenausgabetresen).

– Die für die Verlagerung der umfangreichen Findkartei-en und frei vorlagefähigen Ablieferungsverzeichnisse inden unmittelbaren Benutzerbereich notwendigen räum-lichen Kapazitäten sollten sich mit der gleichzeitigenund etwas längerfristigen Einrichtung eines separatenLesesaals für Mikroformen erschließen. Dafür war derUmbau des zentralen Findmittelraums unter den vor-handenen Bedingungen die einzig vorstellbare Alter-native. Während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese

Überlegungen ohne große Erregung, teilweise mit Zustim-mung und auch mit Skepsis im Hinblick auf die erforder-lichen Umbaumaßnahmen zur Kenntnis nahmen, entzün-dete sich am Vorschlag der Installierung einer ständigenarchivfachlichen Beratung eine äußerst kontroverse, emo-tional geführte Debatte über Sinn und Machbarkeit einersolchen Maßnahme. Was sah das Konzept vor?– Zukünftig sollten alle Mitarbeiter des höheren und

gehobenen Archivdienstes in einem roulierendenSystem als „Archivar vom Dienst“ (AvD) eingesetztwerden. Die Aufgabe der Benutzerberatung war jaBestandteil der Tätigkeitsdarstellungen bzw. Arbeits-platzbeschreibungen. Dabei würde der AvD archivischeBeratung durch die Fachreferate nicht ersetzen, sondernals eine Art „Feuerwehr“ agieren und vermitteln. Die praktische Umsetzung sah zunächst den Einsatz

von zwei Mitarbeitern pro Tag entweder vormittags odernachmittags jeweils fünf Stunden (freitags vier Stunden)vor. Da bei diesem System (zwei Zeitfenster) auch die teil-zeitbeschäftigten Mitarbeiter des gehobenen und höherenDienstes hätten einbezogen werden können, stand theore-tisch ein Pool von ca. 55 bis 60 Mitarbeitern für den Bera-tungsdienst zur Verfügung. Der jeweils Diensthabendesollte an seinem Arbeitsplatz verbleiben und im Wesentli-chen die Aufgaben der unmittelbaren Benutzerbetreuungübernehmen, wie sie bisher die Sachbearbeiterin für dasBenutzungswesen erledigte. Die Klärung rein benutzungs-technischer Angelegenheiten würde über die Leiterin desBenutzerdienstes direkt mit der Verwaltung bzw. über diezuständige Referatsleitung erfolgen.

Ein besonderer Spätdienst war nicht mehr erforderlich.Alle Mitarbeiter im Nachmittagsdienst dürften zudem dieZeit nach 15:30 Uhr als angeordnete Überstunden inner-halb der Kernzeit und außerhalb der vorgegebenen 12Gleittage ausgleichen.

Die für die Realisierung des Vorhabens erforderlichenPlanungen und Koordinierungen mit den Fachreferatenzum Einsatz der Mitarbeiter sollten dem nach der Wieder-ausschreibung der spitz bewerteten Sachbearbeiterstellefür das Benutzungsmanagement zuständigen Mitarbeiterobliegen. Die nur zeitweilig als Sachbearbeiterin für dasBenutzungswesen eingesetzte Mitarbeiterin würde imFachreferat zukünftig Nachlässe und Parteienbestände

erschließen, für die das Referat nach der Organisationsän-derung zum 1. 11. 2004 die Zuständigkeit erhielt.

Der „Glaskasten“ könnte fortan als Arbeitsraum für dieLeiterin des Benutzerdienstes sowie für Beratungsgesprä-che der Fachreferate mit Benutzern vorgehalten werden.

Diesen konzeptionellen Überlegungen lag der Gedankezugrunde, dass das Funktionieren und Wirken des Bun-desarchivs als Dienstleister keine „Sache für sich“ ist, son-dern von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an ihremjeweiligen Arbeitsplatz ausgefüllt und gestaltet wird. Dasschließt den stets höflichen, freundlichen und fachlichkompetenten Umgang und die Betreuung der Benutzerdurch alle Angehörigen des Bundesarchivs ein. Mit derengagierten Beteiligung aller Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter am AvD und damit am unmittelbaren Benutzungs-prozess würde dieses Anliegen nicht mehr nur ein Lippen-bekenntnis bleiben. Es erforderte auch die Auseinanderset-zung mit der eigenen bisherigen, manchmal eher beque-men Arbeitsweise. Die heftigen Diskussionen imAnschluss an die Vorstellung des Konzepts spiegelten beivielen aber auch die Bedenken wider, einer solchen Aufga-be oder Herausforderung nicht genügend gewachsen zusein.

Der gleichen einfachen Philosophie folgend, dass einehohe Qualität der Außenwirkung vom Wirken aller Mitar-beiter abhängig ist und nur eine gemeinsame Aufgabe seinkann, konstituierte sich am 8. November 2004 schließlichdie Arbeitsgruppe (AG) Benutzungsoptimierung. Ihrgehörten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller in Berlin-Lichterfelde ansässigen Fachabteilungen, des Benutzer-und Magazindienstes an. Sie begannen nunmehr mit derPrüfung der Vorschläge des Konzepts im Hinblick auf ihreRealisierbarkeit, mit der Bündelung der verschiedenenund vielschichtigen Interessen mit der Zielstellung, imErgebnis eine trag- und vor allem konsensfähige Lösunganzubieten. Weil dabei auch tarif- und arbeitsrechtlicheFragen eine Rolle spielten, nahm ein Vertreter des Per-sonalrates an den regelmäßigen Sitzungen der AG teil.5

Umsetzung des Konzepts und Ergebnisse

Die im Konzept ausgewiesenen räumlichen und personel-len Veränderungen im unmittelbaren Benutzerbereich tra-ten mit dem Einverständnis aller Beteiligten zum 1. Janu-ar 2005 in Kraft. Der Leiterin des Benutzerdienstes standnunmehr ein eigenes Büro zur Verfügung, das zur notwen-digen Stärkung ihrer Autorität beitrug. Das Büro dienteauch Benutzerberatungsgesprächen und entlastete damitspürbar die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachre-ferate.

Die ehemalige Sachbearbeiterin für das Benutzungswe-sen begann im Fachreferat mit den ihr zugewiesenenErschließungsaufgaben und der Bearbeitung von schriftli-chen Benutzungsanfragen und entsprechender Benutzer-betreuung. Der neue Sachbearbeiter für das Benutzungs-management nahm offiziell zum 1. März 2005 seine Arbeit

5 Protokolle der Arbeitsgruppensitzungen siehe Dienstakte des BArch,1472-23/15.

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auf. Diese Maßnahmen und die regelmäßige offene, kon-fliktlösende und anerkennende Zuwendung der Referats-leitung bzw. des nunmehr unmittelbar zuständigen Sach-bearbeiters zu den einzelnen Mitarbeitern des Benutzer-dienstes trugen entscheidend zur Verbesserung der Atmo-sphäre unter ihnen bei.

Spürbare Problemlösungen unter Einbeziehung der Mit-arbeiter und Berücksichtigung ihrer Vorschläge beflügeltenletztlich ihren Teamgeist und verbesserten ihre Arbeits-freude. Die außerdem angebotene Teilnahme an individu-ellen und gemeinsamen Schulungsmaßnahmen bzw. Semi-naren der BAKÖV riefen ein überwiegend positives Echohervor.

Archivfachlicher DienstDie Mitglieder der AG begannen zeitgleich mit der kurz-fristig möglichen Einführung eines „Archivar vom Dienst“(AvD). Nach intensiver Diskussion, dem Abwägen des Fürund Wider der zunächst vom Referat R 1 konzipierten Vor-schläge sollte in Abstimmung mit dem Präsidenten und imMitbestimmungsverfahren mit Personalrat und Schwerbe-hindertenvertretung ab dem 1. Februar 2005 der Probelaufmit roulierender Dienstzeit beginnen. Die Dauer der Pilot-phase wurde zunächst auf ein reichliches halbes Kalender-jahr einschließlich der Ferienmonate Juli/August 2005 fest-gelegt.

Dabei handelte es sich weitestgehend um einen telefo-nischen Service, den der jeweilige Mitarbeiter im täglichenWechsel vom eigenen Arbeitsplatz aus anbot. Dafür erhieltjeder der beteiligten Archivarinnen und Archivare desgehobenen und höheren Dienstes (die Abteilungsleiterwaren nicht einbezogen) eine auch direkt vom PC abruf-bare Handreichung mit wesentlichen Informationen,Adressen, Ansprechpartnern etc. Zur inhaltlichen Unter-stützung der angestrebten qualitativen Verbesserung desServiceangebots wurden durch die Arbeitsgruppe über dasIntranet Bestandsinformationen, Forschungsschwerpunk-te, Anschriften relevanter Archive sowie konkreteAnsprechpartner für die einzelnen Abteilungen des Bun-desarchivs mitgeteilt.

Die Arbeitszeit verteilte sich auf zwei Schichten: Mon-tag bis Donnerstag Vormittagsdienst von 9 bis 13 Uhr undNachmittagsdienst von 13 bis 18 Uhr, am Freitag nur Vor-mittagsdienst von 9 bis 13 Uhr. Für die Dienste über dieKernzeit hinaus erklärten sich viele Kolleginnen und Kol-legen auf freiwilliger Basis bereit. Das war umso anerken-nenswerter, weil sie ihre tägliche Arbeitszeit am jeweiligenDienst-Tag so einteilen mussten, dass zehn Stunden nichtüberschritten wurden. Aus arbeitsrechtlichen Gründen gabes keine Möglichkeit, diese Dienstzeit als angeordneteÜberstunden während der Kernzeit abzugelten.

Die Koordinierung der Servicedienstzeiten sowie dieErstellung und Abstimmung der Dienstpläne für die etwa55 MitarbeiterInnen war von Anbeginn mit einem erhebli-chen verwaltungstechnischen Aufwand verbunden. ZurErleichterung der späteren Bewertung der Ergebnisse derProbephase erfassten die diensthabenden Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter Quantität und Qualität der eingehendenAnrufe und Anfragen. Anfang Mai 2005 trafen sich alleBeteiligten zu einer ersten Auswertung, deren Diskussionkontrovers, aber ebenso offen und sachlich verlief. EndeJuli/Anfang August lagen Statistik und Meinungsäuße-rungen auch in schriftlicher Form vor. Danach kristallisier-

te sich eine positive Bewertung dieser Einrichtung sowohlbei den Benutzern als auch den beteiligten Archivarinnenund Archivaren heraus. Ein dauerhafter kleinerer Mitarbei-terkreis als feste Ansprechpartner könnte jedoch effizien-ter wirken. Gleichzeitig wurde fast übereinstimmend aufden zu hohen personellen Aufwand verwiesen.

Kurz vor dem Ablauf der Pilotphase verständigte sichdie AG Benutzungsoptimierung in ihrer Sitzung am 15.August 2005 zu den Ergebnissen des Einsatzes eines inzwi-schen umbenannten „Archivfachlichen Dienstes (AfD)“und erarbeitete einen Vorschlag für die weitere Verfahrens-weise. Die bis dahin gesammelten Erfahrungen der betei-ligten Mitarbeiter des gehobenen und höheren Dienstesbesagten, dass – sich die überwiegende Zahl der Anfragen auf die Benut-

zung und Auswertung von Unterlagen der AbteilungReich bezog,

– viele Anrufer lediglich Benutzungsabläufe und -bedin-gungen, Öffnungszeiten der Lesesäle bzw. archivtechni-sche Details nachfragten, die auch vom Benutzerdiensthätten beantwortet werden können und

– in der Zeit von 17 bis 18 Uhr in der Regel keine Anrufemehr eingingen. Insgesamt aber bestand Einigkeit über die Notwendig-

keit der Etablierung des AfD als Dauereinrichtung. Um dieQualität der Beratung in Zukunft weiter zu verbessern unddie sukzessive Eigenqualifizierung der beteiligten Archiva-rinnen und Archivare dadurch zu befördern, dass sie öfterin dieser Zusatzfunktion tätig waren, schlug die AG vor: 1. Die Servicezeit von 8 bis 19 Uhr (freitags 8 bis 16 Uhr)

bedienen grundsätzlich die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter des Benutzerdienstes. Anrufe werden zunächstdirekt in den Benutzersaal bzw. zu seiner Leiterin durch-gestellt.

2. Zusätzlich steht für eingehende Anrufe in der Zeit von9 bis 14 Uhr, die über die bloße Nachfrage nach techni-schen Benutzungsdetails hinausgehen und fachbezoge-ne Auskünfte erfordern, ein Team aus 6 festen Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern (zwei pro Abteilung) zur Ver-fügung. Neben dem Telefondienst beraten und betreu-en diese auch unangemeldete Benutzer mit unspezifi-schen fachlichen Fragen bzw. die Benutzer vor Ort,deren Anliegen nicht vom Benutzerdienst geklärt wer-den können. Erster Ansprechpartner dieses Teams istgrundsätzlich der Sachbearbeiter für das Benutzungs-wesen (R 1). Ausgehend davon, dass in jedem Falle einerder sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichbarist, erhält der Benutzerdienst eine stabile Unterstützung.

3. In der Zeit von 14 bis 17 Uhr übernimmt ein größererMitarbeiterkreis aus allen Abteilungen auf freiwilligerBasis die Funktion des AfD mit dem unter 2. beschrie-benen Aufgabenfeld. Das zunächst in dieser Form vom Präsidenten vorläufig

zum 1. September 2005 in Kraft gesetzte und seit MitteOktober 2005 aktenkundig entschiedene Verfahren läuftseither problemlos und gilt nunmehr als eine selbstver-ständliche und von den Benutzern dankbar angenomme-ne Verbesserung der Dienstleistungsqualität.

Aktenausgabe-/-rücknahmetresenParallel zur Testphase beim Archivfachlichen Dienst über-nahmen ab dem 1. Februar 2005 die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter des Benutzerdienstes die Ausgabe der Archiva-

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lien und lösten die bisher praktizierte Selbstbedienungdurch Benutzer ab. Zur dauerhaften personellen Absiche-rung dieser Aufgabe sollte jeweils ein Mitarbeiter desMagazindienstes – zunächst auf freiwilliger Basis – denBenutzerdienst unterstützen, zumal diese Tätigkeit vorallem auch der dem Magazindienst obliegenden Bestands-pflege diente.

Doch die im Februar 2005 vom zuständigen Referatslei-ter gegebene Zusage, den Benutzerdienst am eingerichte-ten Aktenausgabe- und Rücknahmetresen bis zum Endeder Testphase (August 2005) täglich in der Zeit von 12 bis19 Uhr durch einen Mitarbeiter des Magazindienstes zuunterstützen, wurde Ende Mai 2005 zurückgenommen. Eshatte sich, bis auf einen, kein weiterer Mitarbeiter mehr füreinen freiwilligen Dienst über die Kernzeit hinaus bereit-erklärt. Man begründete dies damit, dass eine solche Tätig-keit nicht in der Tätigkeitsdarstellung vermerkt sei, dassman dafür nicht bezahlt würde und dass nicht alle glei-chermaßen zur Arbeit am Tresen herangezogen würden.Außerdem gäbe es keinen Anreiz für die Abgeltung vonÜberstunden in der Kernzeit.

Im Grunde bestand damit die Gefahr, die kontrollierteAktenausgabe/-rücknahme nicht aufrechtzuerhalten zukönnen. Da sich der Aktenausgabetresen als ein Bestand-teil des Optimierungskonzeptes bisher nur positiv ausge-wirkt hatte und auch fast alle Benutzer – nach teilweiseanfänglichem Unverständnis – von seiner Notwendigkeitüberzeugt waren, kam die Rücknahme dieser Maßnahmenicht in Frage. Da eine Unterstützung des Magazindienstesauf der Basis der Freiwilligkeit nicht funktionieren würde,bat die AG Benutzungsoptimierung um eine entsprechen-de Reaktion der Dienststellenleitung, die es ermöglichte,die Aktenausgabe/-rücknahme auf Dauer zu sichern(erneute Prüfung der Einführung des Schichtsystems,Änderung der Tätigkeitsdarstellungen etc.).

Die Umsetzung eines Mitarbeiters aus dem Magazin-dienst, der sich bisher auf freiwilliger Basis besonders beider Unterstützung engagiert hatte, in den Benutzerdienstzum 1. August 2005 sicherte die Aktenausgabe/-rücknah-me schließlich auf Dauer. Bis heute konstatiert das Bundes-archiv in diesem Bereich die durchweg zustimmende Reso-nanz der Benutzer.

Lesesaal für MikroformenWesentlich schwieriger gestalteten sich die mittelfristigangestrebte Konzentration aller Findhilfsmittel im Akten-lesesaal sowie die Errichtung eines separaten Mikrofilmle-sesaals bei gleichzeitiger uneingeschränkter Aufrechterhal-tung des Benutzungsbetriebes. Ohne bauliche Veränderun-gen und personelle Verstärkung würde keine tragfähigeLösung möglich sein. In enger Zusammenarbeit mit denzuständigen Abteilungen des Bundesarchivs musstensowohl die Zustimmung des zuständigen Bauamts einge-holt als auch Finanzierbarkeit und Möglichkeiten des Per-sonaleinsatzes geprüft werden.

Der geplante Umbau des alten zentralen Findmittel-raums zu einem separaten Lesesaal für Mikroformen ziel-te in zweierlei Hinsicht auf eine Benutzungsoptimierung.Zum ersten erweiterte das Bundesarchiv damit die Kapa-zität für den in den kommenden Jahren durch verstärkteVerfilmung der Bestände entstehenden Auswertungsbe-darf und verbesserte den Arbeitskomfort für Benutzer und

Mitarbeiter. Zweitens war es möglich, alle vorlagefähigenFindhilfsmittel in den Aktenlesesaal zu verlagern unddiese über die gesamte Öffnungszeit des Lesesaals von 8bis 19 Uhr zur Verfügung zu stellen.

In enger Zusammenarbeit mit und durch besonderesEngagement von Mitarbeitern der Abteilung Z lag EndeMai 2005 die Genehmigung des Bauamtes für den Umbaudes alten zentralen Findmittelbereichs vor. Die erforderli-chen Gelder waren inzwischen zweckgebunden in denHaushalt eingestellt (dazu gehörten auch Gelder für neueFenster und neues Mobiliar), und das Ausschreibungsver-fahren für die Baufirmen lief. Der Umbau sollte ca. Mittebis Ende September 2005 beginnen.

Die Eröffnung eines solchen Benutzungsbereichs erfor-derte ausreichend Personal. Aus dem damaligen Personal-etat hätten höchstens vier Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter durch mögliche hausinterne Umsetzungen aus ver-schiedenen Fachbereichen zur Verfügung gestanden. Umden Schichtbetrieb insgesamt sichern und ebenso Ausfälledurch Krankheit und Urlaub kompensieren zu können,war aus Sicht der Arbeitsgruppe und der ReferatsleitungR 1 mindestens eine zusätzliche Mitarbeiterstelle notwen-dig. Ohne eine verbindliche Zusage der Dienststellenlei-tung auf personelle Zuweisung hätten zwei parallele Lese-säle mit dem vom Benutzer erwarteten guten Service nichtbetrieben werden können. Die MitarbeiterInnen derArbeitsgruppe schlugen daher am 31. Mai 2005 zunächstden Stopp des Umbauvorhabens vor. Ein nur unzurei-chend funktionierender zweiter Lesesaal wäre allen bishe-rigen Bemühungen zur Verbesserung der Dienstleistungs-qualität zuwidergelaufen.

Den Baustopp verfügte der Präsident auch wegen derzusätzlich vom Bauamt gutachterlich vorgebrachtenBedenken im Hinblick auf die Belüftungssituation. Derangemahnte Einbau einer neuen Klima- bzw. Lüftungsan-lage hätte erhebliche Mehrkosten verursacht.

Zur Problemlösung besprachen sich am 29. Juni 2005Vertreter der Behördenleitung und der beteiligten Fachab-teilungen mit dem Präsidenten. Der ALR bekräftigte dengemeinsamen Willen der Abteilung R und der AG Benut-zungsoptimierung, den Benutzungsservice durch denUmbau wirksam zu verbessern. Im Ergebnis standen derVerzicht auf die nicht zwingend vorgeschriebene Klimaan-lage und die Zusicherung des Einbaus hochwertiger klima-und lichtschutzverglaster Fenster.

Im Zusammenhang mit der personellen Ausstattungverwies der Präsident erneut auf nicht mögliche Neuein-stellungen und -ausschreibungen. Das Personal musste ausdem vorhandenen Mitarbeiterpool durch Umsetzungenbzw. freiwilligen Arbeitsplatzwechsel gewonnen werden.

Nach einigen Verzögerungen im Ausschreibungsverfah-ren und nach der mit herausragendem Engagement derzuständigen Findmittelsachbearbeiterin durchgeführtenAuslagerung der Karteien und Abgabeverzeichnisse ausdem alten zentralen Findmittelraum in die Umgebung deralten Andienung und der Sicherung ihrer von nur kleine-ren Einschränkungen begleiteten Zugänglichkeit begannenEnde Oktober 2005 die Umbauten.

Nach der Lösung auch der personellen Probleme eröff-nete der Präsident nach dreimonatiger Umbauphaseschließlich am 31. Januar 2006 den neuen selbständigenLesesaal für die Auswertung von Mikroformen. Die Benut-zer nahmen und nehmen ausnahmslos dankbar das spür-

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bar erweiterte Platzangebot in den hellen, vergrößerten,geräuscharmen und mit neuem Mobiliar ausgestattetenRäumen an. Neben den Reader-Printern stehen den Benut-zern dieses Lesesaals auch Bestell-PC sowie Computer fürRecherchen in internen und externen Datenbanken desBundesarchivs zur Verfügung. Der Raum verfügt übereinen Beratungstresen sowie insgesamt 30 Benutzerar-beitsplätze. Drei MitarbeiterInnen betreuen umsichtig,freundlich und kompetent die Nutzer. Die Verlagerung derverschiedenen Mikroformen, insbesondere der verfilmtenund benutzungsintensiven personenbezogenen Sammlun-gen des ehemaligen Berlin Document Center (BDC) in dieunmittelbare Nähe des neuen Lesesaals hat einen positivenNebeneffekt. Diese Unterlagen erreichen ihre Benutzernunmehr wesentlicher schneller.

Im Gegensatz zur räumlichen und funktionalen Tren-nung der beiden Lesesäle gibt es keine personelle Tren-nung zwischen beiden. Zwar besitzt jeder Lesesaal seine(n)eigene(n) Leiter/Leiterin, doch insgesamt bilden die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter des Benutzerdienstes einTeam. Die Planung und Einteilung der Dienste im Schicht-system für die zurzeit zehn Kolleginnen und Kollegengeschieht gemeinsam, sie vertreten sich im Falle vonKrankheit, Urlaub und anderweitigen Abwesenheitenauch gegenseitig innerhalb dieses Teams. Aufgaben, dieaus der Benutzerbetreuung insgesamt erwachsen, erledi-gen sie ebenso unabhängig davon, in welchem der beidenLesesäle sie gerade eingesetzt sind. Dadurch wird letztlichauch die kollegiale und respektvolle Zusammenarbeit wei-ter befördert.

FindhilfsmittelNach der Beräumung des alten Readerprinterbereichs imAktenlesesaal begann auch hier bei laufendem Benut-zungsbetrieb im Januar 2006 eine achtwöchige Bauphase.Um die Benutzer weitgehend von Lärm und Staubbelästi-gung zu entlasten, fanden die Arbeiten in den frühen Mor-genstunden statt.

Nunmehr stehen alle Findkarteien, Ablieferungsver-zeichnisse und gedruckten Findbücher der in Berlin-Lich-terfelde ansässigen Fachabteilungen über die gesamte Öff-nungszeit der Lesesäle zur Auswertung bereit. In heller,freundlicher und vor allem geräumiger Atmosphäre kön-nen die Benutzer in den Karteischränken recherchieren.

Auch für die zuständige Sachbearbeiterin verbessertensich die Arbeitsbedingungen deutlich mit der Einrichtungsowohl eines Übersicht gewährenden Tresens als aucheines separaten Büros, das gleichzeitig nach Absprache fürBenutzerberatungsgespräche verfügbar ist. Ein zusätzlichangebrachter Spiegel dient der Einsicht in den räumlichabgetrennten Findmittelbereich für die Findbücher, dieAblieferungsverzeichnisse und den bibliothekarischenHandapparat.

Fazit

Insgesamt erzielten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,die am Prozess der Benutzungsoptimierung mit gutenIdeen und dem Willen zum persönlichen Einsatz beteiligtwaren, ein sehr gutes und vorzeigbares Ergebnis. Daraufdarf man berechtigt stolz sein. Allen sei dafür an dieserStelle noch einmal ausdrücklich gedankt. Die früherenUnkenrufe sind inzwischen verstummt. Stimmen, die aus„grundsätzlichen“ Erwägungen heraus und aus „Prinzip“dagegen argumentierten und die vor allem aus Gründender Bequemlichkeit alles beim Alten belassen wollten, fan-den kein Gehör.

Die positiven Äußerungen der Benutzer über die nun-mehr unter den gegenwärtigen baulichen und räumlichenGegebenheiten optimalen Nutzungs- und Arbeitsbedin-gungen und das freundliche und kompetente Engagementaller Archivarinnen und Archivare in den Benutzersälenund Fachreferaten sind Aussage genug und stehen für sichselbst!

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Archive stellen neben Bibliotheken und Museen für dieAllgemeinheit dauerhaft aufzubewahrendes Kulturgut zurVerfügung. Dabei sind im Rahmen der archivischen Arbeiteinerseits der verbesserte, benutzerorientierte Zugang zuArchivgut, andererseits die Bestandserhaltung und Lang-zeitsicherung hervorzuheben.

Für alle Einrichtungen der kulturellen Überlieferungspielen in der heutigen Informationsgesellschaft Fragender Digitalisierung im Hinblick auf eine zeitgemäße Nut-zung, aber auch im Hinblick auf eine Langzeitsicherungeine immer größere Rolle.

Seit einigen Jahren haben daher auch die deutschenArchive begonnen, archivische Informationssysteme fürdie Unterstützung der archivischen Fachaufgaben und fürdie Präsentation von Online-Findmitteln aufzubauen –analog zu den Lokalsystemen und OPACs der Bibliothe-ken1.

Darüber hinaus entstehen immer mehr regionale undüberregionale Fachportale wie z. B. das „BAM-Portal –Internetportal für Bibliotheken, Archive und Museen“2, indenen Erschließungsinformationen und Digitalisate insti-tutionen- und sogar spartenübergreifend bereitgestelltwerden, oder länderspezifische Archivportale wie z. B. dieArchivportale „Archive in Nordrhein-Westfalen“3 oder„Archive in Baden-Württemberg“4. Ein deutsches Archiv-portal unter Federführung des Bundesarchivs ist in Pla-nung.

Im Bereich der archivischen Online-Informationssyste-me, der Digitalisierung von Archivgut und der Bestandser-haltung digitalen Archivguts engagiert sich die staatlicheArchivverwaltung Baden-Württemberg seit mehreren Jah-ren in besonderer Weise und nimmt die Funktion einesarchivischen Kompetenzzentrums wahr. Dabei ist das Lan-desarchiv Baden-Württemberg eine sehr junge Einrich-tung5, in der traditionsreiche Institutionen aufgegangensind. Im Zuge der Verwaltungsstruktur-Reform wurdenam 1. Januar 2005 die frühere Landesarchivdirektion unddie sechs ihr nachgeordneten staatlichen Archive zumneuen Landesarchiv Baden-Württemberg vereinigt.

Die Verteilung der verschiedenen Dienststellen auf dasganze Land stellt eine große Herausforderung für die Ein-führung eines einheitlichen archivischen Informations-systems dar. So gliedert sich das Landesarchiv organisato-risch unter Leitung eines Präsidenten, verteilt auf siebenStandorte und zehn Dienststellen, in neun Abteilungen, d. h. in die drei zentralen Service-Abteilungen „Verwal-tung“, „Fachprogramme und Bildungsarbeit“, „Institut fürErhaltung von Archiv- und Bibliotheksgut“ und in diesechs Archivabteilungen „Staatsarchiv Freiburg“, „Gene-rallandesarchiv Karlsruhe“, „Staatsarchiv Ludwigsburg“mit der Außenstelle „Hohenlohe Zentralarchiv Neuen-stein“, „Staatsarchiv Sigmaringen“, „HauptstaatsarchivStuttgart“ und „Staatsarchiv Wertheim“.

Dabei hat das Landesarchiv Baden-Württemberg mitverschiedenen Forschungsprojekten besonders in folgen-den Bereichen Erfahrungen gesammelt6:– Archivische Online-Informationssysteme mit Online-

Findmitteln und Präsentationsmodulen– Workflow für die Digitalisierung von Archivgut– Internet-Fachportale– Workflow und „Massenspeicher“ für die Langzeitsiche-

rung digitaler Unterlagen unter Berücksichtigung derAuthentizität und Integrität des digitalen Archivgutsund

– digitale Ausbelichtung auf FarbmikrofilmDiese Erkenntnisse bringt das Landesarchiv auch in

nationale und europäische Kooperationen ein, indem essich u. a. an zwei EU-Projekten beteiligt7.

Zurzeit bietet das Landesarchiv Baden-Württembergmit Hilfe seines Online-Informationssystems über 3.000Online-Findbücher mit 1,2 Millionen archivischen Titelauf-nahmen, 600.000 Schlagworten und ca. 55.000 Digitalisatenim Internet für die Recherche an.

Ausgangslage, Projektgeschichte und technische Infrastruktur

Seit 1985 wurde in der staatlichen ArchivverwaltungBaden-Württemberg ein „Mikrocomputer-unterstütztesInformations- und Dokumentationssystem für Archive(MIDOSA)“ eingesetzt, das im Wesentlichen die Archiva-lienerschließung inklusive der Findbucherstellung abdeck-te. Für die Bestände- und Zugangsverwaltung existierteauf der Basis der Datenbanksoftware Microsoft Access eineEigenentwicklung der Archivverwaltung unter demNamen „AZULAV“, die später um ein Modul zur Erfas-

1 Beispiele für archivische Informationssysteme, die sowohl Komponen-ten zur Unterstützung der archivinternen Arbeitsabläufe als auch zurkundenorientieren Kommunikation im Sinne des eGovernments auf-weisen, gibt es in Deutschland u. a. im Landesarchiv Niedersachsen mitdem Informationssystem „AIDA online“ (http://aidaonline.nieder-sachsen.de), in den hessischen Staatsarchiven mit dem „HessischenArchiv-Dokumentations- und Informations-System – HADIS“(www.hadis.hessen.de), im Bundesarchiv mit den Entwicklungen„BASIS-Fox“ und „MIDOSA XML“ (www.bundesarchiv.de/bestaen-de_findmittel/findmittel_online/index.html) und im LandesarchivBaden-Württemberg mit der Systemlösung „MIDOSA 21“, die im Rah-men dieses Beitrags näher vorgestellt wird. Im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (www.archive.nrw.de) wurde bereits seit 2000 das Archivin-formationssystem „VERA“ eingeführt, das mittlerweile auch eineSchnittstelle zum Internet mit Online-Findmitteln aufweist.

2 www.bam-portal.de.3 www.archive.nrw.de.4 www.archive-bw.de.5 www.landesarchiv-bw.de.

6 Zu den Projekten siehe www.landesarchiv-bw.de unter der Rubrik„Landesarchiv/Projekte“.

7 MICHAEL Plus – Multilingual Inventory of Cultural Heritage inEurope: www.michael-culture.org und www.landesarchiv-bw.de/michaelplus; Bernstein – The Memory of Papers: www.bernstein.oeaw.ac.at und www.landesarchiv-bw.de/bernstein.

Ein einheitliches IT-System von der Überlieferungsbildung bis zur Online-Bestellung– MIDOSA 21 im Landesarchiv Baden-WürttembergVon Thomas Fritz, Thomas Fricke und Gerald Maier

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222 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

sung von Daten für Online-Beständeübersichten ein-schließlich sachthematischer Bezüge erweitert worden war.

Mit der Einführung einer neuen Softwarelösung unterdem Projektnamen „MIDOSA 21“ sollten Arbeitsabläufe u. a. im Hinblick auf die gewachsenen Aufgaben wie dievon der Landesregierung forcierten elektronischen Bürger-dienste optimiert bzw. überhaupt erst ermöglicht werden.Mit dem Projekt wurde eine durchgreifende Modernisie-rung der archivischen Informationstechnologie verfolgt.Das wesentliche Ziel war die Ablösung des bisherigen Pro-grammpakets „MIDOSA/AZULAV“ durch ein modularaufgebautes, leistungsfähigeres IT-System auf Basis derClient-Server-Technologie, das möglichst alle archivischenKernaufgaben unterstützen sollte.

Mit der Erarbeitung eines umfassenden Pflichtenheftsdurch ein Projektteam und der Einleitung eines europawei-ten Ausschreibungsverfahrens wurden bis Ende 2002 dieGrundlagen für das Projekt gelegt. Mit der Realisierungkonnte im Herbst 2003 begonnen werden. Abgeschlossenwurde das Einführungsprojekt im Frühjahr 2006.

Im Rahmen von MIDOSA 21 werden zwei Hauptverfah-ren eingesetzt:1. Die Standardsoftware „scopeArchiv“ der Firma Scope

Solutions AG wird mit landesarchivspezifischen Anpas-sungen als Produktivsystem genutzt8.

2. Die bisherigen Eigenentwicklungen im Bereich desOnline-Informationssystems der staatlichen Archivver-waltung, insbesondere das „Online-Findmittelsystem“,wurden im Rahmen des Projekts unter der Anwen-dungsbezeichnung „OLF 21“ als Präsentations- undOnline-Nutzungssystem für Intra- und Internet weiter-entwickelt und über Schnittstellen und Anpassungen andas neue Produktivsystem „scopeArchiv“ angebunden.

Neben der Bereitstellung und Anpassung der Softwarewurde im Rahmen des Projekts mit der standortübergrei-fenden Beschaffung von geeigneter Client- und Server-Hardware auf der Basis von Personalcomputern und mitdem Ausbau der vorhandenen Netzwerkinfrastruktur diegesamte informationstechnische Infrastruktur verbessert.Zu den weiteren begleitenden Maßnahmen gehörten dieSchulung des Personals im Hinblick auf die neuen Syste-me, der Aufbau eines Support- und Administrationsteams,die Migration von Altdaten sowie die Konzeption undUmsetzung von Datensicherungs- und Datenschutzmaß-nahmen.

Der Ausbau der Netzwerk- und Client-Server-Hard-ware erfolgte parallel zu der Einführung neuer Software-komponenten. Dabei wurde an den sechs Archivstandor-ten in Stuttgart, Ludwigsburg, Karlsruhe, Freiburg, Sigma-ringen und Wertheim jeweils ein auf Microsoft WindowsServer 2003 basierender Applikationsserver für die SQL-Datenbank „Oracle“9 und die archivische Standardsoftwa-re „scopeArchiv“ als Produktivsystem eingerichtet. DieAußenstellen des Staatsarchivs Ludwigsburg (Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein) und des HauptstaatsarchivsStuttgart (Audiovisuelles Archiv) wurden durch eine Ter-minalserverlösung an die Server in Ludwigsburg bzw.Stuttgart angeschlossen.

Des Weiteren wurde jeweils ein zweiter Applikations-server – basierend auf dem Betriebssystem Linux – mit denSoftwarekomponenten Apache, MySQL und PHP für dasOnline-Findmittel-System „OLF 21“ aufgestellt. Beide Ser-ver kommunizieren sowohl mit den Windows-Clients anden Arbeitsplätzen der Archivmitarbeiter als auch unter-einander über eine von der Firma Scope Solutions ent-wickelte Import-/Export-Schnittstelle. Die Linux-Intranet-Server werden zur Bereitstellung gesperrter Findmittel, zur

8 www.scope.ch/html/html_archiv/archiv_syst.htm. 9 www.oracle.com.

MIDOSA 21 – Produktiv-und Präsentationssysteme

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 223

Generierung von PDF-Vorlagen für den Findbuchdruckund für die archivinterne Recherche in nicht öffentlichenZusatzinformationen genutzt.

Schließlich wurde ein zentraler Verbund mehrerer linux-basierter Internet-Applikationsserver mit den Software-komponenten Apache, MySQL und PHP beim Bibliotheks-service-Zentrum Baden-Württemberg in Konstanz einge-richtet, das im Rahmen eines Outsourcings als Webhosting-Partner für das Landesarchiv tätig ist. Dieser Serverver-bund kommuniziert mit den dezentralen „scopeArchiv“-Servern der einzelnen Archivstandorte und ermöglicht dieBereitstellung der Online-Findmittel sowie die Präsentati-on von digitalisiertem Archivgut. Außerdem ist auf einemder Webserver die zentrale Bestellkomponente für dieOnline-Bestellung von Archivalien in die Lesesäle derArchivabteilungen installiert sowie die Nutzerverwaltung.

Funktionalitäten

MIDOSA 21 bietet inzwischen für vielfältige archivischeAufgabenbereiche eine informationstechnische Unterstüt-zung an:– vorarchivische Prozesse– Archivalienzugangs- und -abgangsverwaltung– Bestände- und Lagerortsverwaltung– Erschließung (Ordnung und Verzeichnung)– Nutzung (Recherche und Ausleihe)– Bestandserhaltung– Information und Präsentation (Ergebnisse aus Archiv-

gut, digitalisiertes und digitales Archivgut, Fach- undBürgerinformationsdienste)Die Funktionalitäten werden teils von der Standardsoft-

ware „scopeArchiv“ mit spezifischen Anpassungen undErweitungen („Plug-Ins“), teils von der selbst entwickelten

Softwareapplikation „Online-Findmittelsystem (OLF 21)“bereitgestellt.

Über die Software „scopeArchiv“ werden neben Behör-denkontakten und Archivalienzugängen und -abgängeninsbesondere der gesamte Bereich der Bestände- undLagerortsverwaltung und der Bereich der Erschließungerledigt. Dazu kommen noch die Schadenserfassung undder Nachweis des Erschließungs- und Verpackungszustan-des. Geplant ist der Nachweis von Sicherungs- und Schutz-verfilmungen sowie von Reproduktionen und digitalemArchivgut.

Das Online-Findmittelsystem „OLF 21“ stellt folgendeFunktionalitäten bereit:– Präsentation von Online-Beständeübersichten und

Online-Findbüchern in einem einheitlichen Layout undmit einheitlicher Navigationsstruktur

– Suchmaschine für eine archivübergreifende, archivspe-zifische oder bestandsbezogene Recherche

– Präsentationsmodule für digitalisiertes Archivgut– Warenkorb-Funktionalität für Online-Bestellung und

Applikation für die zentrale Bestell- und Nutzerverwal-tung

– Recherche in allen Findmitteln (auch in Beständen mitgesperrten Archivalien) im Intranet

– Generierung von PDF-Vorlagen für den Findbuchdruck– XML- und CSV-Export, u.a. EAD-XML

Vorarchivische ProzesseIn „scopeArchiv“ werden die ablieferungspflichtigenBehörden und Gerichte in Form eines Dienststellenver-zeichnisses verwaltet. Das System ermöglicht auch dieErfassung von Kontaktpersonen innerhalb der jeweiligenEinrichtung. Ein integriertes DMS-System kann die Pla-nung und Durchführung von Übernahmevorhaben unter-stützen. Aktenvermerke, Eingänge, Entwürfe und Ausgän-ge wie auch Vorgänge und Akten lassen sich elektronischbearbeiten. Von großer Bedeutung ist der sogenannte

MIDOSA 21 – Intranet- undInternet-Server

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224 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

„Übernahmeassistent“ – ein Zusatzprogramm für „scope-Archiv“ – mit dessen Hilfe elektronische Anbietungs- bzw.Ablieferungslisten in das Erschließungssystem eingelesenwerden. Unterstützt werden dabei neben standardisiertenXML-Dateien auch unstandardisierte, mit Trennzeichenversehene Textdateien.

Zu- und Abgänge / Elektronische Ablieferungs-verzeichnisseIm Modul „Ablieferungen“ von „scopeArchiv“ erfolgt dieelektronische Verwaltung von Zu- und Abgängen. Das Pro-gramm ermöglicht die einfache Erfassung entsprechenderVorgänge inklusive Aktenzeichen und automatischer Ver-gabe einer Akzessionsnummer, bietet aber flexibel auch dieMöglichkeit einer umfassenderen Prozesssteuerung imRahmen der Übernahme. So können der Betreuer, das Ein-gangsdatum, der Bearbeiter und der Status der Abliefe-rung detailliert erfasst werden. Die Zugänge werden inner-halb des Systems mit den Beständen und Lagerorten ver-knüpft.

Bestände- und LagerortsverwaltungIm Modul „Standorte“ werden die Lagerorte der Beständebzw. Beständeteile verwaltet. Das Programm bildet Gebäu-de, Stockwerke, Räume, Regale und Fächer ab. Aus diesenInformationen wird ein innerhalb des Systems eindeutigerStandortcode (= Lagerort) generiert. Der Standortcode wirdan das Modul „Behältnisse“ übergeben, in dem die einzel-nen Lagerorte eines Bestandes zusammengefasst und mitweiteren Informationen angereichert werden. Neben denAngaben zum eigentlichen Standort der Archivalien undzum Umfang in Laufmetern werden dort Angaben überden physischen Zustand der Archivalien erfasst. Im Einzel-nen werden Angaben erfasst zu Sicherungs- oder Schutz-verfilmung, Verpackung, Entmetallisierung, Signierstatus,Anzahl der Archivalien und Laufmeter am Lagerort. DieAngaben können über Berichte für statistische Zwecke aus-gewertet werden. Die Lagerorte werden mit den Bestands-datensätzen der Beständeverwaltung verknüpft.

ErschließungDie Beständeübersicht, d. h. die Archivtektonik, wird imModul „Verzeichnungseinheiten“ in Form einer hierarchi-schen Baumansicht abgebildet. Die Klassifizierung der ein-zelnen Stufen erfolgt nach dem ISAD(G)-Standard. Dane-ben bietet die Listen- und die Detailansicht umfangreicheRecherche- und Bearbeitungsmöglichkeiten. Dank der„Drag&Drop“-Funktionalität lassen sich Bestände undBestandszweige bequem verschieben. Die freie Gestaltbar-keit der Erfassungsmasken und die Erweiterbarkeit desDatenfelderpools erlauben auch in der Zukunft eine flexi-ble Reaktion auf sich verändernde Anforderungen.

Im Modul „Verzeichnungseinheiten“ werden alle Ord-nungs- und Verzeichnungsarbeiten durchgeführt. DieBaumsicht erlaubt eine durchgängige Darstellung der hier-archischen Abhängigkeiten innerhalb des Archivs von denobersten Stufen der Tektonik bis hinunter zu den einzelnenTitelaufnahmen innerhalb eines Bestands ohne jede Brü-che. Auch hier wird eine Stufenerschließung nach ISAD(G)angewandt, so dass Aktenserien, Archivalieneinheiten,Vorgänge, Dokumente und Teildokumente in ihren hierar-chischen Abhängigkeiten korrekt abgebildet und erschlos-sen werden.

Die Erschließungsmasken für die einzelnen Archivalien-typen können flexibel definiert und weiterentwickelt wer-den. Zurzeit liegen Erschließungsmasken vor für Sachak-ten, Urkunden, Amtsbücher, AV-Material, Fotografien,Karten und Pläne, Nachlässe, Personalakten, Krankenak-ten, Zivilprozessakten, Strafprozessakten, Erbgesundheits-akten und Spruchkammerakten. Eine flache Erschließungvon Massenakten ist auch mit Aushilfskräften möglich.Um unerwünschte oder versehentliche Eingriffe durchBearbeiter im Datenbestand auszuschließen, wird v. a. beider Erschließung in „scopeArchiv“ die Möglichkeit einerdifferenzierten Rechtevergabe genutzt.

Indexierung von ErschließungsdatenAlle Erschließungsdatensätze im Modul „Verzeichnungs-einheiten“ lassen sich mit Indexbegriffen (z. B. Personen,Orte, Sachbegriffe) verknüpfen. Diese werden im Modul„Deskriptoren“ verwaltet. Über das „Online-Findmittel-system“ (OLF 21) wird der gesamte Indexpool des Landes-archivs für den Nutzer recherchierbar.

Das Modul „Deskriptoren“ erlaubt die Hierarchisierungvon Indexbegriffen. Verschiedene Arten von Indices kön-nen in sog. Thesauri zusammengefasst werden. DasLandesarchiv nutzt die Möglichkeit innerhalb der Thesau-ri monohierarchische Stufungen aufzubauen, sowohl zurVerwaltung von normierten als auch unnormierten Schlag-wortkatalogen. Für die Nachlasserschließung wird im Rah-men des Projekts Kalliope eine Normierung nach der Per-sonennamendatei (PND) angewendet. Für die geographi-schen Begriffe wird ein „Wohnplatzverzeichnis Baden-Württemberg“ basierend auf georeferenzierten Ortsnamendes Landesvermessungsamts eingeführt. Die Hierarchisie-rung erfolgt entlang der aktuellen administrativen Struktu-ren (Regierungsbezirke, Kreise, Gemeinden, Wohnplätze),so dass auch eine raumbezogene Recherche möglich wird.

Das Deskriptorenmodul wird auch für den Aufbausachthematischer Inventare verwendet. Parallel zu denprovenienzorientierten Zugängen zu Archivgut im ModulVerzeichnungseinheiten können im Deskriptorenmodulthemenorientierte, klassifikatorische Zugänge zu Archiva-lien innerhalb und zwischen den Abteilungen des Landes-archivs geschaffen werden. Ein erstes Beispiel ist dasInventar „Fotografien“, in dem rund 150 Bestände vorge-stellt werden, die ausschließlich oder in wesentlichen Tei-len aus Fotografien bestehen.

Bereitstellung für die NutzungDie Bereitstellung der archivischen Informationen im Inter-net und im Intranet erfolgt durch das Online-Findmittel-system OLF 21. Diesem System liegt eine eigene relationa-le MySQL-Datenbank zugrunde. Mit Hilfe der so genann-ten „Online-Findmittel-Schnittstelle“ (OFS 21), einemPlug-In für „scopeArchiv“, können die Daten zwischendieser Online-Findmittel-Datenbank und der Oracle-Datenbank von „scopeArchiv“ ausgetauscht werden. Dieeindeutige Trennung von Produktiv- und Präsentationssy-stem gewährleistet mehr Flexibilität und eine größereDatensicherheit.

Online-FindmittelDie Beständeübersicht, das Findbuch und die übergreifen-de Volltextsuche bilden technisch die Grundbestandteiledes Online-Findmittelsystems. Von der Beständeübersicht

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 225

jedes Archivs aus sind die Findbücher zu den einzelnenBeständen aufrufbar. Beständeübersichten und Findbücherenthalten neben einer gesonderten Volltextsuche die soge-nannte Strukturansicht, in der dem Nutzer die Tektonikdes Archivs präsentiert wird. Hier kann er also strukturiertrecherchieren.

Die übergreifende Volltextsuche umfasst alle Bestände-übersichten und Findbücher des Landesarchivs. Es stehenzahlreiche Optionen zur Eingrenzung des Suchvorgangs zurVerfügung. Bereits in der Trefferanzeige werden die Textpas-sagen angezeigt, die den oder die Suchbegriffe enthalten.Diese sind dann farblich hervorgehoben (Highlighting).

Innerhalb des gesamten Systems können persönlicheLesezeichen gesetzt werden. Die Liste der gesammeltenEinträge ist ausdruckbar.

Über das Online-Findmittelsystem wird überdies dergesamte Indexpool des Landesarchivs dem Nutzer zu Ver-fügung gestellt. Indexlisten werden nicht nur innerhalb derBeständeübersichten und der Findbücher angeboten, son-dern auch innerhalb der übergreifenden Suche. DenBezugspunkt bildet hier entweder eine einzelne Archivab-teilung oder das ganze Landesarchiv. Bei normierten Per-sonenindices sind die einzelnen Einträge z. T. mit identifi-zierenden Zusatzinformationen angereichert.

Beständeübersicht und Find-buch in „scopeArchiv“

OLF 21 – SachthematischesInventar „Fotografien“

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226 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

Auf der Basis besonders strukturierter, hierarchischangeordnete Indexbegriffe können auch „SachthematischeInventare“, also themenbezogene außerhalb der regulärenTektonik stehende Findbücher, angelegt werden (s. o.Fotoinventar). Die Inventarbeschreibungen werden alsZusatzinformationen bei den einzelnen Indexeinträgenhinterlegt. Zur Präsentation der Inventare dient eine geson-derte Anwendung innerhalb des Online-Findmittelsy-stems, die nahezu alle Funktionalitäten eines Online-Find-buchs besitzt.

Inventare und Findbücher können auch digitale Repro-duktionen von Archivalien enthalten. Die Präsentations-module für digitalisiertes Archivgut sind integralerBestandteil des Online-Findmittelsystems. DigitalisierteArchivalien werden über einen speziellen Workflow auf-bereitet und über Identifikationsnummern mit denErschließungsinformationen verknüpft.

Für die Präsentation von digitalisierten Archivalien ste-hen zurzeit zwei technische Lösungen zur Verfügung, einModul mit Segmentierungstechnik sowie eines mit Zoom-technik und Bildbearbeitungsfunktionen. Selbst Dokumen-te mit großen Abmessungen und kleinen Schriften oderDetails können mit Hilfe dieser Module in einer Form prä-sentiert werden, die jede Einzelheit des Bildes gut erkenn-bar und jeden Schriftzug lesbar macht. Ein besonderesBrowser-Plugin ist bei beiden Techniken nicht erforderlich.

Beim Modul mit Segmentierungstechnik vermittelt einVorschaubild einen ersten Eindruck vom Objekt. Anschlie-ßend kann der Nutzer per Mausklick Bereiche oder Seg-mente voranwählen. Diese werden in vergrößertem, dasLesen und genaue Untersuchen des Objekts ermöglichen-dem Maßstab angezeigt. Nach dem Anklicken sind dieselektierten Segmente rot umrahmt. Auf einer neuen Seitekann er die Ausschnitte dann in Vergrößerung betrachten.Weitere Segmente können per Doppelklick nachgeladenwerden. Eine Navigationshilfe, in der die einzelnen Seg-mente des Dokuments in Form von Kästchen repräsentiert

sind, vermittelt einen Überblick über die geladenen undnichtgeladenen Teile des Objekts. Die frei verschiebbareGroßansicht verändert bei einem Klick auf eines dieserKästchen ihre Position, so dass das entsprechende Segmentlinks oben auf dem Bildschirm erscheint.

Die Segmentierung der Digitalbilder bietet zahlreicheVorteile gegenüber der herkömmlichen Einbindung vonPixelgrafiken. Indem der Benutzer vorab entscheidet, wel-che Teile des Bildes er einsehen möchte und diejenigenBildausschnitte ausspart, die keine Aussagekraft besitzenoder die für ihn nicht von Interesse sind, wird ein beträcht-licher Teil der sonst erforderlichen Ladezeit gespart. Dar-über hinaus werden mehrere kleinere Pixelbilder, in die-sem Fall sind es die einzelnen Segmente, schneller auf demBildschirm dargestellt als ein zusammenhängendes großes.Weil Teile des Bildes gezielt ausgewählt werden können, istes auch nicht notwendig, Bilder exakt zu beschneiden alsoRänder zu entfernen, um Ladezeit zu sparen. Das ist ins-besondere bei der Massenverarbeitung von Bildern vongroßem Vorteil.

Wird bei dieser Art der Bildpräsentation das Downloa-den des Gesamtbildes durch die Segmentierung verhin-dert, so geschieht dies bei dem mit Zoomtechnik arbeiten-den Bildpräsentationsmodul durch Begrenzung der Maxi-malgröße der Gesamtansicht. Außerdem sind die Funktio-nen der rechten Maustaste deaktiviert. Dennoch ist einegenaue Untersuchung des Dokuments in jedem Detailauch innerhalb dieses Moduls möglich. Das Bild kann, wiemit einer Lupe, ausschnittweise untersucht werden. Dergewählte Bildausschnitt ist in einem eigenen Fenster nebendem Gesamtbild zu sehen, so dass der Betrachter beimFokussieren einzelner Bildbereiche den Überblick über dasGesamtbild behält. Dieses Ausschnittfenster kann auch dieForm eines langgestreckten Rechtecks annehmen, so dassSchriftstücke bequem Zeile für Zeile durchgearbeitet wer-den können. Die Bildausschnitte und die reduzierteGesamtansicht werden serverseitig on-the-fly generiert

OLF 21 – Bildpräsentationmit Zoomtechnik

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 227

und als JPEG übertragen. Auf diese Weise wird die an denBenutzer zu schickende Datenmenge so gering wie mög-lich gehalten. Das Bild kann bei Bedarf gedreht werden.Außerdem kann der Nutzer die Helligkeit, also demGamma-Wert, des Bildes und die JPEG-Bildqualität freiregulieren.

Bestell- und NutzerverwaltungSeit Anfang 2007 verfügt das Landesarchiv Baden-Würt-temberg über eine elektronische Bestell- und Nutzerver-waltung. Archivalien können direkt aus den Online-Find-mitteln über das Internet und über Bestellterminals in denLesesälen der Archivabteilungen bestellt werden. DasBestellsystem arbeitet mit einer sogenannten Warenkorb-funktion, wie sie von Online-Shops bekannt ist. Der Nut-zer sammelt die für ihn relevanten Archivalieneinheiten ineinem Bestellkorb, loggt sich dann ein – mit Kontonummerund Passwort, trägt Nutzungsvorhaben, Nutzungszwecksowie Zeitpunkt des Archivbesuchs ein und sendet dieBestellung ab.

Im Zusammenhang mit der Einführung der elektroni-schen Bestellung steht auch die Einführung eines in allenArchivabteilungen gültigen Nutzerausweises. Das bishernotwendige, gesonderte Anmelden in jeder Abteilung ent-fällt. Das Verfahren der Ausweisvergabe ist denkbarunkompliziert. Ein Nutzer, der zum ersten Mal das Lan-desarchiv besuchen möchte, kann sich bereits von zuhau-se aus im Internet registrieren, indem er lediglich Namenund Adresse angibt sowie ein Passwort festlegt. Erbekommt dann im Lesesaal nach Unterzeichnung einesschon fertig ausgefüllten Antrages seinen Nutzerausweisausgehändigt.

Zum neuen elektronischen Bestellsystem gehört aucheine archivinterne Komponente, in der durch das Archiv-personal Webbrowser-basiert die Nutzerdaten und Bestell-vorgänge verwaltet werden können. Diese Nutzer- undBestellverwaltung ist mit zahlreichen Funktionalitäten aus-

gestattet. Diese reichen vom Ausweis- und Legscheindruckund der Schnellverbuchung mit Hilfe von Barcodes bis zurAdressverwaltung, Erneuerung der Kontonummer, Konto-sperrung usw. Eine arbeitstechnisch sehr bedeutsameKomponente im Bestellsystem bildet das sogenannte Ver-schiebekonto. Das für die Ausleihe zuständige Archivper-sonal kann auf einem besonderen Konto Archivalienein-heiten verbuchen und diese dann nachträglich auf ein nor-males Nutzerkonto verschieben. Das ist notwendig, weilArchivalien bisher noch häufig telefonisch bestellt werdenund das Archivpersonal aus datenschutzrechtlichen Grün-den das Passwort des Nutzers nicht erfragen darf.

Im System werden Nutzer- und Sondernutzer unter-schieden. Als Sondernutzer werden die Angehörigen derArchivverwaltung und die abgebenden Behörden geführt.Bei der Bestellung auf Sonderkonten können die jeweilsbestellten Archivalieneinheiten Projekten, also z. B. einembestimmten Ausstellungsvorhaben, zugeordnet werden.

Die computergestützte Nutzer- und Bestellverwaltungsorgt nicht nur für mehr Transparenz, sondern erleichtertauch das Führen der Statistik. Das Sammeln der Daten fürdie statistischen Angaben geschieht weitgehend automa-tisch im Hintergrund. Die Auswertung wird vom Systemin unterschiedlicher Weise vorgenommen. Die statistischenAngaben zu einem Tag, einem Monat, einem Jahr oder demGesamterfassungszeitraum können bezogen auf ein Archivoder alle Archive ausgegeben werden. Abrufbar sind auchdie Werte zu einer bestimmten Bestelleinheit oder einembestimmten Nutzer. Die Basiskategorie bildet der so-genannte Nutzungstag, bezogen auf einen Nutzer odereine Bestelleinheit.

Erzeugung gedruckter FindbücherDer Online-Findmittel-Datenbank werden auch die Datenfür die Druckausgabe der Findbücher entnommen. Einegesonderte Anwendung, die zurzeit innerhalb des Intra-nets vom Archivpersonal genutzt wird, erzeugt PDF-Datei-

OLF 21 – Online-Bestellung

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228 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

en, die das jeweilige Findbuch in vollständig formatierterForm enthalten. Inhaltsverzeichnis, Index- und Konkor-danzlisten werden automatisch generiert.

EAD-XML-ExportAus der Online-Findmittel-Datenbank heraus könnenErschließungsdaten im XML- oder CSV-Format exportiertwerden. Zurzeit wird eine Applikation für den EAD-XML-Export entwickelt, so dass ein Datenaustausch für archivi-sche und interdisziplinäre Portalprojekte auf nationalerund internationaler Ebene in Bälde erfolgen kann.

Ausblick und Weiterentwicklung

Nachdem das Einführungsprojekt „MIDOSA 21“ in derZwischenzeit abgeschlossen ist, erfolgt nun im Rahmendes laufenden Dienstbetriebs die Weiterentwicklung.Dabei wird noch dieses Jahr mit der Konzeption undUmsetzung folgender Verbesserungen bzw. Erweiterungenbegonnen:– Weiterentwicklung des XML-EAD-Exports und Imple-

mentierung einer OAI-Schnittstelle.– Integration des Thesaurus „baden-württembergische

Ortsnamen“ und Anbindung an ein GeografischesInformationssystem (GIS) für die topografische Recher-che und die geografisch referenzierte Online-Visualisie-rung über Karten.

– Optimierung der Online-Findmittel durch die Imple-mentierung einer performanteren Volltextsuche.

– Aufbau einer sogenannten Reproduktionenverwaltungfür die elektronische Verwaltung von Mikrofilmen, Dia-positiven und Digitalisaten sowie Integration vonbereits bestehenden Software-Werkzeugen für den Digi-talisierungs-Workflow. Mittelfristig ist auch die Ent-

wicklung eines elektronischen Dokumentenlieferdien-stes für Reproduktionen inklusive einer Online-Bestell-und Bezahlkomponente vorgesehen.

– Entwicklung eines Workflows und von Komponentenfür die Langzeitsicherung digitalen Archivguts, insbe-sondere die Weiterentwicklung der bereits vorhandenenMassenspeichertechnologie „DIMAG – Digitales Maga-zin“.Mittelfristig wird eine verbesserte, breitbandige Anbin-

dung der kleineren Archivstandorte an das Internet überdas Landesforschungsnetz angestrebt. Dies ist die Voraus-setzung für die geplante Zusammenführung der dezentra-len Applikationsserver in einem Rechenzentrumsbetriebbei einem Outsourcing-Partner und die Nutzung derApplikationen über Clients im Terminalserverbetrieb.

Noch in der ersten Jahreshälfte 2007 wird das Landes-archiv Baden-Württemberg eine Digitalisierungsstrategieveröffentlichen, in der die strategischen Ziele u. a. für eineBeteiligung des Landesarchivs sowohl an einer nationalen„Digitalen Bibliothek Deutschland“ als auch an der geplan-ten „Europäischen Digitalen Bibliothek“ im Rahmen derInitiative „i2010 - Digitalisierung des kulturellen Erbes“der Europäischen Union festgelegt werden10. Die wesent-lichen Ziele sind dabei die mittelfristig vollständigeOnline-Bereitstellung sämtlicher archivischer Findmittel,die Bereitstellung nach fachlichen Kriterien ausgewählterdigitalisierter Archivbestände und die erfolgreiche Umset-zung einer digitalen Bestandserhaltung.

10 Siehe http://ec.europa.eu/information_society/activities/digital_libraries/index_en.htm und www.heise.de/ct/07/07/044.

OLF 21 – Nutzer- und Be-stellverwaltung

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 229

Zur Organisation

Die Vorarbeiten für den Aufbau der Verwaltung des Deut-schen Bundestages leisteten die Abwicklungsstelle desParlamentarischen Rates in Bonn, der Wirtschaftsrat desVereinigten Wirtschaftsgebietes in Frankfurt und das Büroder Ministerpräsidenten in Wiesbaden. Frühzeitig wurdeauch die Einrichtung eines Parlamentsarchivs ins Augegefasst. In einer Skizze über die Aufgaben des Büros desBundestages, die die Abwicklungsstelle des Parlamentari-schen Rates für das Büro der Ministerpräsidenten fertigteund die in den Bericht zur organisatorischen Vorbereitungdes Bundes Aufnahme fand, heißt es dazu:

„Die Verpflichtung des obersten deutschen Parlamentesgegenüber der Geschichtsschreibung erfordert es, dassvon Anfang an das aus dem Parlamentsbetrieb laufendanfallende Material und sonstige angrenzende Materialienzur Zeitgeschichte gesammelt und unter besonderenGesichtspunkten geordnet verwendbar gehalten werden.Wenn diese Funktion auch zuerst noch bei der Registratur,der Informationsstelle oder der Bibliothek wahrgenommenwerden kann, so empfiehlt sich doch eine baldige Verselb-ständigung.“1

Als eigenständige Organisationseinheit ist das Parla-mentsarchiv von Anfang an in die Parlamentsverwaltungintegriert gewesen. Heute ist das Archiv eingebunden indie Abteilung Wissenschaftliche Dienste und bildet dortein Referat in der Unterabteilung Wissenschaftliche Doku-mentation, neben dem Fachbereich Geschichte, Zeitge-schichte und Politik, der Bibliothek und dem Sach- undSprechregister.

Werfen wir einen Blick zurück: Für die Angelegenheitenvon Bibliothek und Archiv wurde ein eigener Ausschussgeschaffen, der sich am 23. November 1949 konstituierte.2

In der Geschäftsordnung, die sich der 1. Deutsche Bundes-tag in seiner Sitzung am 6. Dezember 1951 gemäß Artikel40 Grundgesetz gegeben hat, werden Existenz und Aufga-ben des Büchereibeirates (ein Beirat für den Vorstand) im§ 6 Abs. 4 näher umschrieben. Der Beirat nahm seine Tätig-keit als „ echter“ Parlamentsausschuss auf. In der zweitenWahlperiode konstituierte er sich am 9. Februar 1954.

Aufgrund eines Vorschlags des Büchereibeirates, ihmauch die Belange für das Archiv zu übertragen, bat Direk-tor Trossmann den ehemaligen Reichstagsbeamten Dr.Schneider, der als Berater für den Aufbau des Register-referates „reaktiviert“ worden war, um eine Stellungnah-me. In dieser Stellungnahme vom Januar 1950 äußerte ersich dazu wie folgt: „Bibliothek und Archiv sind so ver-schiedene Einrichtungen und haben so verschiedene Auf-gabengebiete, dass der Büchereiausschuss als Betreuungs-stelle des Archivs nicht in Frage kommen dürfte.“3

In einem Gutachten über die Organisation der Verwal-tung des Deutschen Bundestages vom Februar 1952 schlugder Bundesrechnungshof die Einrichtung eines ReferatesBibliothek und Dokumentation vor. Diese Bezeichnungwürde eher der Aufgabenstellung gerecht, als es in einem„Behördenarchiv“ die Regel sei. Der Leiter der Wissen-schaftlichen Abteilung nahm am 8. März 1952 dazu Stel-lung und verwies auf die Besonderheit eines Parlaments-archivs: „Neben toten Archiven entwickeln sich lebendeArchive aus einer rein aktuellen Aufgabenstellung. Es gehtum die praktischen Bedürfnisse des Parlaments, die alledrei Einrichtungen Bibliothek, Archiv und Register sinn-voll machen.“

Bundestagspräsident Hermann Ehlers machte sichdiese Auffassung zu Eigen und lehnte es ab, das voll funk-tionsfähige Archiv in die noch im Aufbau befindlicheBibliothek zu integrieren.4 In der 5. Sitzung des Bücherei-beirates am 24. Oktober 1952 bekräftigte er nochmals dieDreiteilung der Aufgaben in Register, Bibliothek undArchiv. Trotz der engen Zusammenarbeit und Verflechtungbei der Erfüllung dieser Aufgaben sprächen die unter-schiedlichen Arbeitsweisen für die Beibehaltung der orga-nisatorischen Trennung.

1958 wurden die Aufgaben auf zwei Referate verteilt: inein Referat „Archiv“ und das Referat 33 „Gesetzesmateria-lien“. Im Organisationsplan vom 12. Juli 1968 sind beideReferate als Referat III 4 – Parlamentsarchiv und Gesetzes-dokumentation – wieder vereinigt. Zuvor hatte der Bun-desrechnungshof in einem neuen Gutachten organisatori-sche Veränderungen in der Bundestagsverwaltung ange-mahnt. Hier wird ausgeführt, dass das Parlamentsarchivweniger historische Aufgaben erfüllen solle, als vielmehrden Abgeordneten das für ihre aktuelle Arbeit benötigteMaterial zur Verfügung zu stellen, also eine Bestätigungder 1952 gemachten Aussage. Die erneute Zusammenle-gung beider Referate sollte den Charakter als zentraleDokumentationsstelle unterstreichen und mittels wissen-schaftlicher Auswertung weiterentwickeln, um mit dengestiegenen Benutzungsanforderungen Schritt halten zukönnen.5

Die Parlamentsreform 1969/70 gab den Anstoß für eine„Verwaltungsreform“. Am 2. März 1970 trat der BerlinerStaats- und Verwaltungsrechtler Professor Dr. HelmutQuaritsch als „Direktor der Wissenschaftlichen Dienste“sein Amt an, mit dem Auftrag, diese neu zu organisieren6:Die Abteilung II Ausschussdienst – heute Wissenschaft-liche Fachdienste – und die Abteilung III Wissenschaft-licher Dienst fasste er vorläufig in einer Hauptabteilungzusammen.

So wurde aus der Wissenschaftlichen Abteilung dieAbteilung Wissenschaftliche Dokumentation in der Haupt-abteilung Wissenschaftliche Dienste: Hier befanden sichnun alle Dokumentationseinrichtungen unter einem Dach– wie der Abteilungsleiter Wernicke in der konstituieren-

1 Randbemerkung Dr. Kalveram, ehemaliger Leiter der Zentralabtei-lung des Deutschen Bundestages, Mai 1974.

2 PA-DBT 3007.3 PA-DBT 5300 3/72,1.

4 PA-DBT 5300 3/72,155.5 PA-DBT 3007 Büchereibeirat 5. WP 10. S. am 3.4.1968.6 PA-DBT 5300 5/85,1.

Das Archiv des Deutschen Bundestages – Organisation und Aufgaben Von Brigitte Nelles

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den Sitzung des Unterausschusses für Bücherei, Archivund andere Dokumentationen am 1. April 1971 konstatier-te.7

Professor Quaritsch selbst sah in seinem Organisations-gutachten vom Juni 1970 für das Parlamentsarchiv vorerstkeinen Anlass zu besonderen organisatorischen Verände-rungen. Nach einer Organisationsüberprüfung im Jahre1980 erfolgte die Aufteilung des Parlamentsarchivs in diebeiden Sachbereiche Gesetzesdokumentation und Histori-sches Archiv. Diese Aufteilung wird den heutigen Arbeits-anforderungen aufgrund der mittlerweile vorherrschen-den Medienvielfalt nicht mehr gerecht und soll daher bald-möglichst überprüft werden.

Die Rechtsgrundlagen

Im Jahre 1969 fiel die Entscheidung, kein archivwürdigesSchriftgut mehr an das Bundesarchiv als für die Exekutivezuständiges Archiv abzugeben. Denn bereits im DeutschenReich galt die übliche parlamentarische Praxis, das parla-mentarische Schrift- und Druckgut nicht dem zentralenReichsarchiv zu überlassen.8 Zukünftig sollte angestrebtwerden, das Parlamentsarchiv als Endarchiv festzuschrei-ben.9 In einer Besprechung mit dem Bundesarchiv am 22. August 1975 wurde einvernehmlich die Abgrenzungzum Archiv der Legislative festgestellt.10

Mit der Einrichtung eines „Altaktenarchivs“ im Parla-mentsarchiv war eine der wesentlichen Voraussetzungenfür die Inkraftsetzung einer Registraturanweisung erfülltworden. Bereits seit 1971 hatte sich das Organisationsrefe-rat der Verwaltung des Deutschen Bundestages um dieEinrichtung eines Verwaltungsaktenarchivs bemüht.Anlass dazu gaben die Überlastung der Registraturen undder Grundsatz der Zwischenarchivierung im eigenenHause. Hinzu kam die Alarmplanung „Sicherung vonSchriftgut im Verteidigungsfall“. Die Registraturanwei-sung sollte auch für die Ausschusssekretariate Geltungerhalten. Im Ergebnisprotokoll einer Besprechung überFragen des Archiv- und Registraturwesens legten die betei-ligten Vertreter des Organisationsreferates und des Parla-mentsarchivs am 6. August 1973 die Modalitäten fest.

Die Allgemeine Dienstanweisung (Hausverfügung1/78) wurde erlassen, nachdem bereits im Juni 1972 ein fürdie Gesamtverwaltung verbindlicher Aktenplan (Hausver-fügung 11/72) – aufgebaut nach der Dezimalklassifikation– eingeführt worden war. In der Dienstanweisung veran-kerte man eine Abgabe- und Übernahmepflicht für Parla-mentsunterlagen.11 Eine überarbeitete Fassung ist als Haus-verfügung 6/2004 im Oktober 2004 erschienen. Im III.Kapitel über den Geschäftsgang benennt der § 42 des 6.Abschnitts die Abgabepflicht für Parlamentsunterlagen andas Archiv.

Diese Neufassung findet endlich bei vielen Beschäftig-ten durch die vom Organisationsreferat umgesetzte Ein-bindung der einzelnen Organisationseinheiten die für einepraktikable Arbeitsgrundlage nötige Akzeptanz.

Die Benutzungsordnung (Archivordnung) für das Par-lamentsarchiv wurde im Einvernehmen mit dem ständigenUnterausschuss des Ältestenrates für Angelegenheiten derBibliothek, des Archivs, anderer Dokumentationen undder Datenverarbeitung beschlossen und Ende August 1976in Kraft gesetzt. Sie wird zurzeit überarbeitet und dann denentsprechenden Gremien zur Genehmigung vorgelegt.

Aufgrund der mit den oben aufgeführten Regelungenund der Einrichtung des Verwaltungsaktenarchivs verbun-denen Rechtssicherheit für die Erhaltung der parlamenta-rischen Schriftgutüberlieferung wurde der Weg frei für dieRückgabe der an das Bundesarchiv in den sechziger Jah-ren abgegebenen Akten aller Bereiche der Bundestagsver-waltung. Die Rückgabe erfolgte 1984.

Das Bundesarchivgesetz, § 2 Abs. 2, besagt, dass dieLegislative ihr eigenes Archiv unterhalten kann.12 In einemersten Referentenentwurf des Bundesministeriums desInnern vom 30. April 1982 war in § 2 allerdings festgehal-ten: „ Die Verfassungsorgane, Behörden, Gerichte des Bun-des unterliegen der Übergabepflicht ans Bundesarchiv“.Daraufhin verfasste der Leiter der Abteilung Wissenschaft-liche Dokumentation am 4. Juni 1982 ein Protestschreibenan das Ministerium, dass dieser Referentenentwurf „in dieAufgabenstellung des seit der 1. Wahlperiode bestehendenParlamentsarchivs eingreife. Die Zusammenarbeit mit demBundesarchiv und die Aufgabenabgrenzung seien in einerBesprechung am 22. August 1975 vereinbart und schließ-lich mit dem Erlass einer Archivordnung, den Benutzungs-richtlinien zu Ausschussprotokollen und der Einstellungvon ausgebildeten Archivaren manifestiert worden. Essprächen auch alltagspraktische Gründe gegen eine Verla-gerung der Bestände außer Haus. Außerdem sei das bereitsim Reichstagsarchiv so gehandhabt worden.“ Bei einerRessortbesprechung am 8. Juli 1982 konnten die Vertreterdes Deutschen Bundestages eine Nachbesserung erzielen:Einen Monat später war in einem überarbeiteten Entwurfein Zusatz in seinem § 2 Abs. 1 eingefügt: … „die gesetz-gebenden Körperschaften entscheiden in eigener Zustän-digkeit über die Anbietungspflicht“. In der 27. Sitzung desGeschäftsordnungsausschusses am 3. Oktober 1985 hatsich der Ausschusssekretär für eine „herausgehobene“Formulierung in einem eigenen Absatz stark gemacht, dadie bis dahin vorliegende Formulierung im GesetzentwurfAuslegungssache über die wirkliche Entscheidungsfreiheitsei. Aus diesem Grunde wurde eine Stellungnahme vomInnenausschuss erbeten. Mit der erneuten Einbringung desEntwurfs in der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundesta-ges wurde dieser Tatbestand wiederholt betont. Ein Ände-rungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDPvom 2. November 1987 formulierte daraus – wiegewünscht – einen eigenen Absatz, der ohne weitereDebatte mit nur zwei Gegenstimmen der FDP und Grünenzwei Tage später in der Sitzung des Innenausschussesangenommen und im Bericht des Ausschusses am 19.November 1987 veröffentlicht wurde.13 Die Grünen stelltensich dagegen und brachten in der zweiten Beratung am

7 PA-DBT 3006.8 PA-DBT 5300 32/2004,7 Handakten RL WD 3.9 PA-DBT 5200 43/92,4.10 PA-DBT 5300 52/2004,17 Handakten RL WD 3.11 PA-DBT 5200 45/93,1.

12 PA-DBT 4000 XI/31.13 PA-DBT 3001 Bundestagsdrucksache 11/1215.

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3. Dezember einen Änderungsantrag ein. Denn sie sahenin dieser Entscheidungsfreiheit des Parlaments eine Unfrei-heit der Forschung, eine Zensur der Archivarbeit. IhrAntrag wurde jedoch abgelehnt und das Gesetz in derzuvor beschlossenen Form angenommen, so dass es imJanuar 1988 in Kraft treten konnte.

Aufgaben

Als das Parlamentsarchiv 1949 seine Arbeit aufnahm, wares von einem Archiv im klassischen Sinne weit entfernt.Das Archiv entsprach eher einer Sammlungs- und Doku-mentationsstelle, wie dies heute noch überwiegend in denLandtagsarchiven die Regel ist. Ihre vorrangige Aufgabewar und ist zunächst die Gewährleistung der Informati-onssicherheit für die parlamentarische Arbeit und nicht dieSicherung des Informationsträgers selbst als ein lange Zeitzu erhaltendes Dokument für die Historie.14

Die Grundlage der Archivbestände bildeten die bisdahin von der Verwaltung des Deutschen Bundestages inBesitz genommenen Unterlagen des ParlamentarischenRates.15 Die Aufgabenbereiche – erstmals im Geschäftsver-teilungsplan 1953 festgeschrieben – sollten in der Archivie-rung des Amtlichen Materials und dem Aufbau der Doku-mentationsdienste bestehen. Es kristallisierten sich zu-nächst zwei Säulen heraus: eine Sammlung der Plenarpro-tokolle und der dazugehörigen Drucksachen sowie eineSammlung der Ausschussprotokolle und -drucksachen.Hierzu wurden auch Sonderreihen zusammengestellt wieTagesordnungen, Amtliche Protokolle, Anfragen und der-gleichen, vervielfältigte Hausdrucksachen, Bundesrats-drucksachen sowie gebundene Bände für die Tauschbiblio-theken. Zunächst in Eigenregie durchgeführt, wurde dieVerteilung vom für die zentrale Beschaffung zuständigenReferat übernommen. Seit einer externen Ausschreibungsind Behindertenwerkstätten, weiterhin begleitet vom vor-genannten Referat, mit dieser Aufgabe betraut. Auch dieManuskripte der Parlamentsdrucksachen und -protokollewerden an das Archiv abgegeben. Bei den letztgenanntenhandelt es sich allerdings nicht um die Stenogramme, son-dern um die jeweils 1. Ausfertigung mit den angebrachtenKorrekturen.

Um den Auftraggebern eine möglichst komfortableZusammenstellung der für die Politik relevanten Themen-bereiche anbieten zu können, wurden die Dokumenten-sammlungen erweitert. So fanden sich im Drucksachenar-chiv außerdem vollständige Serien von nicht vom Bundes-tag herausgegebenen Materialien wie die Bundesgesetz-blätter, Bundesanzeiger, Bundeshaushaltpläne und -rech-nungen, die Statistischen Jahrbücher, Ministerialblätter,Landtagsverhandlungen und Gesetz- und Verordnungs-blätter der Länder. Da am Standort Berlin mit der gemein-samen Unterbringung von Archiv und Bibliothek in einemGebäude Sammlungen gleichen Inhalts überflüssig gewor-den waren, trennte man sich vor dem Umzug von denMehrfachausgaben. Die Möglichkeiten des Intranets/Inter-

nets, sich Dokumente auf dem eigenen PC anschauen undgegebenenfalls ausdrucken zu können, verbieten es außer-dem, wertvolle Magazinkapazitäten für Mehrfachsamm-lungen anstatt für Originalbestände bereitzuhalten. Imzweiten Sammlungsgebiet, Ausschussprotokolle und -drucksachen, liegen die Dokumente vervielfältigt alsBenutzungsexemplare vor. Die Originale befinden sich imAktenbestand des Parlamentsarchivs.

Schon im Herbst 1952 hatte es im Büchereibeirat heftigeDiskussionen über die Aufgabenabgrenzung zwischendem Archiv und der Bibliothek gegeben. Der Bibliotheks-leiter des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, Dr. WilhelmGülich, Mitglied des Deutschen Bundestages, wollte denDokumentationsbereich der Bibliothek zuordnen. DasArchiv sollte nur für das Originalschriftgut des Parlamentszuständig, folglich als Archiv im klassischen Sinne, tätigsein. In diesem Zusammenhang drohte er sogar mit seinemRückzug von der Aufgabe, die Bibliothek aufzubauen.16

Neben den zuvor genannten Sammlungen wurde seitSeptember 1954 die Gesetzesdokumentation aufgebaut.17

Gesetzesdokumentation bedeutet die Darstellung der Ent-wicklungsgeschichte eines jeden Bundesgesetzes, auch dernicht verabschiedeten Gesetzesvorlagen. Bereits zu Beginnder Arbeitsaufnahme des Parlamentsarchivs waren die imParlamentarischen Rat erarbeiteten Grundgesetzartikelund das Wahlgesetz zum 1. Deutschen Bundestag und zur1. Bundesversammlung dokumentiert worden. Nach denParlamentsferien 1960 wurde mit der dokumentarischenBearbeitung der Gesetze des Frankfurter Wirtschaftsratsbegonnen, die in der 2. Hälfte der 70er Jahre in den Akten-bestand des Wirtschaftsrates übernommen worden sind.Die Gesetzesdokumentationen sind nach einer einheitli-chen Systematik aufgebaut. Es werden Inhaltsübersichtenvorangestellt, die einen Überblick über den Werdegang imGanzen bis zur Entwicklung der einzelnen Paragraphenverschaffen.

Neben den Langversionen liegen auch Kurzversionenvor, die nur die öffentlichen Materialien enthalten. Sie die-nen der zeitnahen und kompakten Information.

Die Gesetzgebungsakten gelangen von den Ausschüs-sen zum Parlamentsarchiv. Die Bearbeiter ziehen zusätz-lich weitere nichtöffentliche Unterlagen wie Stellungnah-men, Gutachten, Gerichtsentscheidungen, Schriftwechselhinzu, um eine möglichst komplette Entstehungsgeschich-te der Gesetze zu erhalten. Seit der 15. Wahlperiode wer-den die Originalunterlagen aus den Gesetzgebungsaktenan den Sachbereich Historisches Archiv abgegeben. DieGesetzesdokumentation verwertet lediglich die Drucksa-chen und Mehrfachstücke und fertigt von den Originalun-terlagen Kopien an. Das Signaturschema der Dokumenta-tionen bestehen aus römischen Zahlen für die Wahlperi-oden und arabischen Zahlen für die laufende Nummer desGesetzes in der Reihenfolge der Verkündung im Bundes-gesetzblatt.

Nach und nach wurde die Sammlungstätigkeit, durchdie Notwendigkeit im aktuellen Tagesgeschäft bedingt,auch auf andere Medien ausgedehnt. So entstand 1950bereits ein Presseausschnittdienst, der sich einige Jahrespäter zu einer eigenen Organisationseinheit, der Presse-

14 Bundestagspräsident Ehlers in der 18. Sitzung des Ausschusses fürBücherei am 25. Januar 1952.

15 PA-DBT 5300 2/75,19, hier: Jahresbericht 1965.

16 PA-DBT 3700 Büchereibeirat 1. WP 3.-5. S. am 16.9., 10. und 24.10.1952.17 PA-DBT 5300 2/75,2, hier: Anlagen zur Stellungnahme des Parlaments-

archivs zum Gutachten des Bundesrechnungshofs über die Bundestags-verwaltung vom Januar 1968.

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dokumentation, ausgliederte. Anfang 1961 wurden aufInitiative des Abteilungsleiters Wernicke die auf seinerKonzeption beruhenden, im Aufbau befindlichen und bisdahin in der Bibliothek geführten Sondersammlungen demArchiv übertragen:– seit 1957 das Wahlkampfarchiv, das Materialien ein-

schließlich der Parteiprogramme der bei den Bundes-tags-, Landtags- und Europawahlen vertretenen Partei-en enthält. Wahlplakate werden auch als Diasammlungvorgehalten. Hier sind ebenfalls Sitzpläne für den Ple-narsaal zu finden. Die gegenständliche Propagandawurde vor dem Umzug nach Berlin dem Bonner Hausder Geschichte angeboten.

– seit 1958 das Bildarchiv, das Fotos, Zeichnungen, Sticheund Lithographien beinhaltet. Das Bildarchiv zählt inder Zwischenzeit etwa 80 000 Fotos, die vorwiegend ausder Öffentlichkeitsarbeit des Hauses stammen. Ein digi-taler Bilderdienst – zurzeit noch als Projekt angesiedelt– hat 30.000 Bilder im System. Er ist bereits über das Int-ranet zu nutzen. Die Freischaltung im Internet ist fürden Beginn des nächsten Jahres geplant.

– seit 1960 das Politikerarchiv. In einer Datenbank sindhier sowohl biographische als auch Angaben zu denpolitischen Funktionen der Abgeordneten des Deut-schen Bundestages erfasst. Diese Datenbank enthält einalphabetisches Gesamtverzeichnis aller Mitglieder desDeutschen Bundestages seit 1949, einschließlich der Ver-änderungen des Mandats und der Zugehörigkeit zuAusschüssen, Gremien und Fraktionsvorständen. Zuvielen Abgeordneten liegen Dossiers vor, die Reden,handgeschriebene Lebensläufe, Buchbesprechungenund dergleichen umfassen. Die erste Ausgabe desDatenhandbuchs des Deutschen Bundestages basiert zueinem großen Anteil auf den Informationen aus demPolitikerarchiv.

– seit 1958 das Ton-/Video-Studio. Das Ton-/Video-Stu-dio verfügt über Tonaufnahmen des ParlamentarischenRates, der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages,der Bundesversammlungen sowie von Gedenk- undTrauerfeiern. Seit der 13. Wahlperiode besteht die Über-lieferung komplett in Bild und Ton. In der 12. Wahlpe-riode übernahm das für das Parlamentsfernsehen unddie Online-Dienste zuständige Verwaltungsreferat dieAufzeichnungen der Sitzungen. Auch Dokumentar-Schallplatten waren im Ton-/Video-Studio zu finden.Filme wurden seit 1962 in den Bestand aufgenommen:Filme aus dem politischen Geschehen, insbesondere ausund über den Deutschen Bundestag, Belegexemplareder Fernsehanstalten, die kostenfrei die Wissenschaftli-chen Dienste in Anspruch nehmen und Filme, die mitden Wahlkampfunterlagen ins Archiv gelangten. Nach§ 116 Absatz 3 der Geschäftsordnung des DeutschenBundestages sind Tonaufnahmen im Parlamentsarchivniederzulegen. 1951 vereinbarte BundestagspräsidentEhlers mit dem Generaldirektor des Nordwestdeut-schen Rundfunks Grimme,18 dass die dort aufgenom-menen und archivierten Tonbänder nur im Einverneh-men mit dem jeweiligen Bundestagspräsidentengelöscht werden dürfen. Daher sah der Vorstand eineeigene Archivierung nicht für notwendig an.19 Gleich-

wohl führten die Bedenken des Leiters der Wissen-schaftlichen Abteilung bezüglich einer zuverlässigenSicherung durch eigene Archivierung mit einem derRechtsnachfolger, dem WDR, zu einer Vereinbarungüber die Kopierung der Bänder, vorgenommen durchdas Deutsche Rundfunkarchiv. Bestandslücken,unbrauchbare Bänder und fehlender schneller Zugriffführten schließlich seit der 3. Wahlperiode zu eigenenMitschnitten des Deutschen Bundestages. Seit Oktober1964 verfügte das Parlamentsarchiv über eine direkteLeitung in den Plenarsaal.Mit der Einstellung der ersten ausgebildeten Archivare

zu Beginn der 70er Jahre kam eine neue Aufgabenstellunghinzu: die Übernahme der in der Parlamentsverwaltunggewachsenen Schriftgutregistraturen als auch die Registra-turen der parlamentarischen Gremien und Organe. DieAkten der Fraktionen und Abgeordneten werden an dieArchive der Politischen Stiftungen abgegeben. Zuvor galtes, die ungeordneten Teilbestände zonaler Einrichtungender Nachkriegszeit, des Zonenbeirats und des Wirtschafts-rates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes zu erschließen.Diese Bestände waren ebenso wie die Unterlagen des Par-lamentarischen Rates mit dem Personal in den DeutschenBundestag gekommen. In den nachfolgenden Jahren wur-den Dokumente ergänzend „dazugeworben“ und im Par-lamentsarchiv zusammengeführt. Die Entwicklung einesgeregelten Abgabeverfahrens von Unterlagen der Verwal-tung verlief mühsam. So wurde in der Praxis die Allgemei-ne Dienstanweisung bezüglich der Schriftgutverwaltungoftmals ignoriert. Man interpretierte die Tätigkeit derSchriftgutsicherung als Einmischung. Erst im Laufe derZeit empfand man das Werben der Archivare als Chanceder Entlastung von Material und Recherchen. Die Archiva-re mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, damit sicheine für beide Seiten zufriedenstellende Abgabepraxis ent-wickeln konnte. Die Mitarbeiter des Parlamentsarchivswiederum mussten sich dagegen zur Wehr setzen, nicht als„Altpapierverwertung“ missverstanden zu werden. ImBereich der Verwaltungsakten (seit Juni 1982 gehört auchdie Dienststelle des Wehrbeauftragten hierzu) wurden bisMitte der 90er Jahre jährlich zwischen 500 und 1000 Ein-heiten abgegeben. Die politischen Akten gelangten jeweilszum Ende einer Wahlperiode in das Archiv. Hier sindwegen der fehlenden Statistik keine Angaben zum abgege-benen Umfang möglich. Heute besitzt das Parlamentsar-chiv jeweils einen Bestand von etwa 3-4 km Akten, Verwal-tungsakten, Politische Akten und Parlamentsdrucksachen.

Die Magazinarbeiten oblagen den Archivaren des geho-benen Dienstes, teilweise unterstützt von männlichen Kol-legen aus anderen Aufgabenbereichen oder befristet einge-stellten Hilfskräften. Wegen des fehlenden personellenUnterbaus wurde eine geregelte Aktenverwaltung, alsoordnungsgemäße Arbeitsabläufe von der Aktenübernah-me bis zur Benutzung, erst mit der Einstellung einer Archi-varin des mittleren Dienstes vor sechs Jahren möglich.Danach wurden Archivsignaturen ergänzt, die vorherbereits angelegten Karteien zur Organisation undGeschäftsverteilung, Zugangs- und Bestandslisten erwei-tert und in elektronische Dateien überführt. Zumindest imVerwaltungsaktenbereich ist auf Excel-Basis, da bis heuteein elektronisches Archivverwaltungsprogramm fehlt, alsFindmittel eine Generaldatei erarbeitet worden. In ihr wer-den die Abgabeverzeichnisse ausgewertet.18 PA-DBT 5300 2/75,19, hier: Jahresbericht S. 9.

19 PA-DBT 3007 1. WP, Sitzung am 30.5.1951.

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Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten konnten seitherin der Präsidialregistratur bis zur Ära Gerstenmaier (1954–1969), in Teilbeständen einiger Verwaltungsbereiche sowiein den Anfängen des Pressezentrums vorgenommen wer-den. Durch die zunehmende Belastung der Archivare mitSonder- und Verwaltungsaufgaben sowie den häufigenPersonalausfall waren Erschließungsarbeiten im erforder-lichen Umfang nicht möglich. Dringende konservatorischeErhaltungsmaßnahmen konnten wegen fehlender finan-zieller Mittel nicht umgesetzt werden. Um diese unbefrie-digende Situation zu verbessern, sind erste Kontakte zumBundesarchiv aufgenommen worden.

Publikationen

Seit 1981 befindet sich die Redaktion des Amtlichen Hand-buchs beim Parlamentsarchiv, seit 1983 auch die im Bun-desanzeiger herausgegebene öffentliche Liste über dieRegistrierung von Verbänden. Beide Publikationen warenvorher im Tagungsbüro erarbeitet worden.

Unterbringung

Als die Verfasserin 1975 in der Verwaltung des DeutschenBundestages ihre Arbeit in Bonn aufnahm, waren dieArchivbestände auf mehrere Liegenschaften im Parla-mentsviertel verteilt. Die Drucksachen lagerten im Bundes-haus selbst und im Kellerraum neben den Abgeordneten-appartements, in Räumen ohne Tageslicht, die mit Rohrlei-tungssystemen durchzogen waren. Die Sondersammlun-gen befanden sich bis zum Umzug in das Hochhaus imTulpenfeld, in einer angemieteten Villa, die Ausschussun-terlagen und die wenigen Verwaltungsakten in den Kellernangemieteter Liegenschaften des Tulpenfeldes. Der Platzfür weitere Unterbringungsmöglichkeiten musste in hartenAuseinandersetzungen regelrecht erstritten werden.Zuletzt waren die Archivbestände in Bonn in zwei Stadt-teilen, verteilt auf acht Liegenschaften, in 40 Räumenuntergebracht. Bis zum Wechsel in die neue Bundeshaupt-stadt hatten nur zwei Kolleginnen, die sich regelmäßig inden Aktenmagazinen aufhielten, Kenntnisse über die zahl-reichen Standorte. In Berlin verfügte das Parlamentsarchivüber 29 Räume in zwei Liegenschaften im Parlamentsvier-tel. Einige Jahre vor der Verlagerung des Regierungssitzesnach Berlin waren die Büros des Parlamentsarchivs durcheinen Umzug in einen anderen Stadtteil von den Magazin-räumen getrennt worden. Täglich mussten entweder mitdem Fahrrad oder per Bahn Akten transportiert werden.Für größere Aktionen wurde der hauseigene Botendiensteingeschaltet. Die Räume waren zunächst mit Stahl- undHolzregalen ausgestattet. In den 80er Jahren ersetzte mansie nach und nach durch Kompaktusanlagen. Wegen derunmittelbar über den Regalen verlaufenden Versorgungs-leitungen waren Wasserschäden und Temperaturschwan-kungen die nicht immer vermeidbaren Folgen.

Mit der Einstellung der bereits erwähnten Archivarindes mittleren Dienstes konnte das Parlamentsarchiv miteiner Bestandsaufnahme beginnen, eine zwingende Vor-

aussetzung für den Umzug nach Berlin. Dafür war einekomplette Durchsicht aller Bestände unerlässlich. DieRegale und Regalböden wurden durchnummeriert. DieZählung erfolgte von links unten nach rechts oben. Eswurde ein Signaturschema aufgestellt aus Zahlen undBuchstaben, um bei falscher Reponierung bereits optischden Fehler erkennen zu können. In ein Formular trug dieBearbeiterin Bestandsname, Form der Akteneinheit, Ord-ner, Mappen, Bücher, Titel, Zeit- und Mengenumfang undden Standort in der Quellliegenschaft ein. Parallel dazuwurden Bestandsbereinigungen durchgeführt. Zum Okto-ber 2003 waren, wie von den Umzugsfirmen gefordert,diese Arbeiten abgeschlossen. Anschließend begann dieEinteilung der Bestände in Umzugsportionen. Ihr Anfangund ihr Ende wurden farblich gekennzeichnet. Währenddes Umzugs fand jeden Morgen ein Treffen des Umzugs-personals mit der Kollegin aus dem mittleren Dienst alsUmzugsbeauftragte in Bonn statt, um das Tagespensumnoch einmal kurz zu besprechen. Das Umzugspersonalarbeitete überwiegend zuverlässig, unkompliziert undengagiert. Schäden am Umzugsgut und Einordnungsfeh-ler ließen sich allerdings nicht vermeiden, da der Zeitdrucksehr groß war und die notwendige Sorgfalt im Umgang mitwertvollen Akten nicht immer eingehalten werden konn-te. Der Umzug der Bonner Aktenmagazine zog sich imFrühjahr 2004 über mehrere Wochen hin. Fast zeitgleicherfolgte der Umzug der Büros, die in der ersten Märzhälf-te nach Berlin verlagert wurden.

Personal

In seinem Bericht für den Haushalt 1949 vermerkte derAbteilungsleiter Wernicke: „Werden die Kernaufgabendes Archivs ernst genommen und von sachkundigen underfahrenen Kräften durchgeführt, kann das Parlamentsar-chiv eine außerordentliche Bedeutung für die Parlaments-tätigkeit gewinnen. Andernfalls wird das Archiv nur eineuntergeordnete Rolle einer zentralen Sammel- und Aufbe-wahrungsstelle für archivalisches Material abgeben.“20

Das Parlamentsarchiv wurde zunächst vom Leiter derwissenschaftlichen Abteilung selbst geführt. Ab 1953 folg-ten Juristen als Referatsleiter, 1953–56 Dr. Jess, 1956–58und 1958–65 Gesetzesmaterialien Dr. Schumann, 1965–68Gesetzesmaterialien Dr. Franz Möller, 1958–73 Archiv Dr.Ernst Zenner und 1973–92 Hans-Christian Hillner. 1993wurde der 1972 als Referent eingestellte wissenschaftlicheArchivar Dr. Günter Josef Weller Referatsleiter.

Das Parlamentsarchiv zählte im Organisations- undStellenplan für das Rechnungsjahr 1949 eine Personalstär-ke von 6 Stellen (Referent, 2 Wissenschaftler für das Archivund für die Auswertung des öffentlichen amtlichen Mate-rials, eine Registraturkraft, eine Hilfskraft für die techni-sche Bearbeitung und eine Schreibkraft).21 Bereits 1951 warnach intensivem Bemühen das Personal auf 11 Stellenangewachsen, begründet allerdings durch Übernahme vonBibliotheksfunktionen, die bis zum Aufbau der Bibliothekzunächst übernommen worden waren, um die Gesetzge-

20 PA-DBT 5300 3/72,1.21 PA-DBT 5300 3/72,155.

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bungsarbeit in der Hauptabteilung unterstützen zu kön-nen. Die Einrichtung des Archivs war zum Ende 1951 soweit fortgeschritten, dass Sammlung, Systematisierungund Auswertung als Arbeitsabläufe installiert waren.

Im Zuge des fortschreitenden Bibliotheksaufbaus konn-te sich das Archiv auf seine eigentlichen Aufgaben konzen-trieren. Allerdings wurde dabei Personal abgezogen undfür zentrale Aufgaben freigesetzt. Die Leiterstelle – wieoben erwähnt – war Juristen vorbehalten. Den spätergeschaffenen Sachbereichen standen Referenten aus demRechts- und Archivwesen des höheren Dienstes vor. DieVerwaltungsaufgaben erledigte ein Aufstiegsbeamter imgehobenen Verwaltungsdienst als Büroleiter. Der überwie-gende Teil des Personals hatte weder eine archivarischenoch eine dokumentarische Ausbildung. In dem Sachbe-reich Gesetzesdokumentation war zumindest ein Rechts-pfleger tätig, den man aus der „reichen Gerichtsland-schaft“ des Köln-Bonner Raumes „rekrutierte“.

Die Reform der Wissenschaftlichen Dienste unter Pro-fessor Quaritsch in der ersten Hälfte der 70er Jahre ließdie Forderung nach den ersten ausgebildeten Archivarenlaut werden. „Spezialisten im Archiv, die laufend inmittender Gesamtheit der zahlreichen verschiedenartigen Mate-rialien mit der Erfassung befasst sind, insoweit schnellerund wegen ihrer intimen Vertrautheit mit den Materialienmöglicherweise in Bezug auf die Vollständigkeit der ein-schlägigen Fundstellen sogar genauer arbeiten als Wissen-schaftler, die jeweils nur in Einzelfällen Sucharbeiten indieser schwer überschaubaren Materialienflut durchzufüh-ren haben.“ Begründet wurde diese Anforderung damit,dass „mit der nach einer größer werdenden Anzahl vonJahren seit Bestehen des Parlaments eine wissenschaftlich-historische Rückschau zusehends vermehrt in den Mittel-punkt der Rechercheanforderungen rückte“.

Zurzeit sind im gehobenen Dienst drei Laufbahnarchi-vare beschäftigt (Grundsatzaufgaben und politische Akten,Verwaltungsakten und digitale Archivierung einschließlichaudiovisueller Quellen). Der für die letztgenannten Aufga-ben geschaffene Dienstposten ist zu Beginn der 80er Jahremit der Redaktionsübernahme des Amtlichen Handbuchesgeschaffen worden. Der komplette Personalbestand imParlamentsarchiv zählt 27 Kollegen/-innen. Zwei Dritteldavon haben weder eine archivarische noch eine doku-mentarische Ausbildung. Archivare des höheren Dienstessind im Parlamentsarchiv nicht mehr vertreten. Erst voranderthalb Jahren ist die Referentenebene wieder miteinem wissenschaftlichen Dokumentar besetzt worden.Lediglich etwa ein Sechstel der Belegschaft ist vor demUmzugsbeginn 1999 im Archiv tätig gewesen.

Elektronische Datenverarbeitung

Bildschirmarbeitsplätze hielten zunächst nur an den„Schreibplätzen“ Einzug, später auch in dem Sachbereich,der die Publikationen betreut. Obwohl eine umfangreicheDatenverwaltung traditioneller Art im Historischen Archivexistiert, war es bisher nicht möglich, ein elektronischesArchivverwaltungssystem einzuführen. Erst vor etwa dreiJahren erkannte die Bundestagsverwaltung die Notwen-digkeit, sich mit der vielfältigen aus der elektronischenDatenverarbeitung ergebenden Problematik zu befassen.

Zu diesem Zeitpunkt konnte eine der Archivarsstellen desgehobenen Dienstes mit veränderter Tätigkeitsbeschrei-bung, deren Schwerpunkt auf Aufgaben der archivischenIT gelegt wurde, extern besetzt werden. Endlich konnte dasArchiv „technische Reformen“ durchführen. Arbeitsabläu-fe im Aktenabgabe- und Benutzungsverfahren wurdenvereinheitlicht. Formulare hierfür sind im Intranet derBundestagsverwaltung eingestellt. Es konnte eine Bestän-deübersicht erarbeitet und am Aktenplan der Parlaments-verwaltung mitgewirkt werden. Das erste Online-Find-buch – zum bislang ungeordneten Teilbestand des Parla-mentarischen Rates – ist inzwischen erschienen. Auch imIntranet und im Internet ist das Parlamentsarchiv präsent.Zudem konnte WD 3 eine Vertreterin in die entsprechen-den Arbeits- und Projektgruppen entsenden. Wichtig zunennen sind hier der digitale Bilderdienst und die Websei-tenarchivierung.

Benutzung

Primär stellt der Wissenschaftliche Dienst des DeutschenBundestages die Materialbasis für die Abgeordneten,Organe und Gremien des Parlaments zur Verfügung. Dasschließt eine Öffnung für Externe nicht aus. Im SachbereichGesetzesdokumentation setzte bereits sehr früh die Benut-zung durch die Wissenschaft und die Rechtsprechung ein.

Die Reform der Wissenschaftlichen Abteilung 1970/71brachte eine geradezu explosionsartige Vermehrung derAnfragen mit sich. Das hatte eine Verstärkung des wissen-schaftlichen Personals und der Mitarbeiterzahl der Abge-ordneten zur Folge.22 Eine konsequente Zählung der Nut-zer wurde bisher nicht durchgeführt. Kurzauskünfte undMaterialversand zum Beispiel sind in der Statistik nichtausgezählt. Es wurden nur umfangreichere Aufträge undAusleihen erfasst. Im Vierteljahr hat sich die Zahl auf etwa3000 Anfragen und Ausleihen eingependelt. Die Nutzerkommen aus der Politik, Kirchen, Behörden, wissenschaft-lichen Institutionen, dem Privat- und Medienbereich.

Benutzungen im Lesesaal vor Ort finden nur beiumfangreicher Unterlagendurchsicht statt. Allerdings nut-zen sowohl Einzelpersonen als auch Institutionen aus Ber-lin und Umgebung – häufiger als in Bonn – die räumlicheNähe des Parlaments für einen Besuch. Als Rechtsgrund-lagen für Benutzungen finden parlamentsinterne Vor-schriften und Beschlüsse und das BundesarchivgesetzAnwendung.

Nachwort

Die vorstehenden Ausführungen basieren auf Unterlagendes Parlamentsarchivs sowie auf eigenen Kenntnissen auf-grund langjähriger Archivtätigkeit. Sie sind der Versuch,einen Überblick über die Entwicklung von Organisationund Aufgaben zu geben, wie sie sich im Parlamentsarchivdes Deutschen Bundestages in Bonn und unmittelbar nachdem Umzug in Berlin entwickelt haben.

22 PA-DBT 3006 Unterausschuss für Bücherei, Archiv und andere Doku-mentationen 6. WP, Sitzung am 1.4.1971.

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Bericht nach: Otecestvennye archivy (O. A.), Jg. 12 (2003), 1-6,– Jg. 14 (2005), 1-6. – Istoriceskij archiv (I. A.), Jg. 11 (2003), 1-6, – Jg. 13 (2005), 1-6. – V. P. Kozlov: Russian Archives as anIndex of Political, Economic, and Social Changes at the Turn ofthe Millenium, in: Comma, Internationale Archivzeitschrift,2002, 3/4, S. 21-28. – Patricia Kennedy Grimsted: Archives inthe Former Soviet Union Ten Years After; or Still “Caught Bet-ween Political Crossfire and Economic Crisis”, in: StephanCreuzberger und Rainer Lindner, Hrsg., Russische Archive undGeschichtswissenschaft. Rechtsgrundlagen. Arbeitsbedingun-gen. Forschungsperspektiven. (= Zeitgeschichte-Kommunismus-Stalinismus, Materialien und Forschungen, hrsg. von BernhardH. Bayerlein, Bd. 2), Frankfurt a. Main, 2003 (zitiert: Creuzber-ger/Lindner), S. 51-80. Dieser Bericht schließt in Inhalt undGliederung als Fortsetzung und Ergänzung an den letzten Russ-land-Bericht an.1

1. Rahmenbedingungen

1.1. Allgemeine Entwicklung In seinem Bericht über die Arbeitsergebnisse der staatli-chen Archive der Russischen Föderation (RF) 2004 unddem damit verbundenen Ausblick auf die aktuellen undkünftigen Aufgaben nannte der Leiter der Bundesarchiv-agentur (Rosarchiv)2, V. P. Kozlov, drei hauptsächlicheFaktoren, die Stand und Entwicklung des russischenArchivwesens 2004 und 2005 bestimmt haben und sicher-lich auch weiter bestimmen werden: Erstens die Umset-zung des im Oktober 2004 in Kraft getretenen Bundesge-setzes „Über das Archivwesen in der RF“ und die darausresultierenden inhaltlichen und organisatorischen Proble-me3 (vgl. 1.2. dieses Berichtes); zweitens die 2004 begonne-ne Verwaltungsreform mit ihren erheblichen Auswirkun-gen auf die Leitung des staatlichen Archivwesens der RF,die Archivorganisation und die praktische Arbeit derArchive4 (vgl. 2.1. dieses Berichtes); drittens die sozialeLage der Archivmitarbeiter.5

War im letzten Russland-Bericht Kozlov noch mit denWorten zu zitieren, die um die Jahrtausendwende eingetre-tene wirtschaftliche Stabilisierung könne es ermöglichen,nun von einer „Strategie des Überlebens der Archive“ zueiner „Strategie der dynamischen Entwicklung“ überzuge-hen6, so müssen diese hoffnungsvollen Formulierungenoffenbar wieder relativiert werden. Bei der Rechenschafts-legung vor dem erweiterten Kollegium des Bundesarchiv-dienstes am 25. Februar 2004, sprach V. P. Kozlov in zusam-menfassender Bewertung der 2003 erzielten Arbeitsergeb-

nisse der russischen Archive einerseits von den durch ver-besserte Finanzierung erreichten „unbestreitbaren Erfol-gen“; adererseits nannte er aber auch die nicht unerhebli-chen „aktuell gebliebenen Probleme“: Raumnot der Staats-archive, Überalterung des Personals, niedriges Lohnni-veau, Abnahme der Anzahl der Fachkräfte u. ä.7 Hinsicht-lich der sozialen Lage der Archivmitarbeiter – so Kozlovein Jahr später, 2005, – sei „die Situation im Lande insge-samt recht widersprüchlich, aber nicht so angespannt wiein den 1990er Jahren, als die Kollektive der Staatsarchivevon Archangelsk bis Chabarovsk streikten. In einigen Sub-jekten der RF, z. B. in den Stadtarchiven Moskaus und St.Petersburgs“, könne man sie „sogar als gut bezeichnen.8

Eine „katastrophale Lage“ sei jedoch in den Bundesar-chiven entstanden, die sich überwiegend in Moskau undSt. Petersburg, also in Städten mit hohen Lebenshaltungs-kosten, befänden und deren Mitarbeiter dennoch nur eindurchschnittliches Monatsgehalt von 4000-5000 Rubeln(umgerechnet ca. 130-160 Euro!) erhielten. Anfang 2005habe sich deswegen eine „Vorstreik-Situation“ entwickeltdie durch die Zusage einer Gehaltserhöhung zunächstzwar „bereinigt“ worden sei; man brauche aber grundsätz-liche Lösungen – etwa die gehaltliche Gleichstellung derBundesarchivare mit den staatlichen Angestellten – mitdem „strategischen Ziel“, das Personal nicht nur zu halten,sondern auch regelmäßig zu ergänzen. Das Durchschnitts-alter der Bundesarchivare betrage „annähernd sechzigJahre“, und z. B. seien aus einem auch international sobedeutsamen Archiv, wie dem Petersburger RussischenHistorischen Staatsarchiv, das zurzeit einen Neubau erhal-te, 79 Mitarbeiter allein im Jahr 2004 ausgeschieden, so dasssich die Frage stelle, wer im neuen Gebäude arbeitenwerde (zu Neubau und Umzug des Archivs vgl. unten,2.2.). Der hier zitierte Bericht schließt mit den mahnendenWorten: „Heute gibt es kein schärferes Problem als dieBezahlung der Mitarbeiter der Bundesarchive. Von seinerLösung hängt ihre Tätigkeit nicht nur 2005, sondern auchim kommenden Jahrzehnt ab.“9 Man kann den russischenKollegen nur bestmöglichen und nachhaltigen Erfolg beiihren immer wieder nötigen Bemühungen um bessereArbeits- und Lebensbedingungen für die Archivare wün-schen. Möge es nicht nur bei formalen Gesten, wie dem seit2004 jeweils am 10. März begangenen „Tag der Archive“10,bleiben!

1.2. ArchivgesetzgebungIm Oktober 2004 fand die langjährige Diskussion um einneues Archivgesetz mit der Verabschiedung des Bundes-gesetzes „Über das Archivwesen in der RF“ ihrenAbschluss11; zu Inhalt und Erläuterungen vgl. einen Beitrag

1 Der Archivar (DArch), 57 (2004), 2, S. 123-131.2 Der Bundesarchivdienst (Rosarchiv) wurde 2004 zur Bundesarchivagen-

tur (Rosarchiv) umgebildet (vgl. 2.1. dieses Berichtes).3 V. P. Kozlov: Ob itogach raboty archivov v 2004 g. (Über die Arbeits-

ergebnisse der Archive im Jahr 2004), in: O. A., 2005, 2, S. 4-6.4 Ebd., S. 6 f.5 Ebd., S. 7.6 DArch, 57 (2004), 2, S. 124.

7 God 2003 i archivy (Das Jahr 2003 und die Archive), in: O. A., 2004, 2, S. 4.

8 Kozlov (wie Anm. 3), S. 7.9 Ebd.10 O. A. , 2004, 2, S. 2.11 Der Text ist veröffentlicht: O. A., 2005, 1, S. 3-19. – Vgl. auch A.N. Arti-

zov: O realizacii Federal’nogo zakona „Ob archivnom dele v RF“ (Überdie Realisierung des Bundesgesetzes „Über das Archivwesen in derRF“), in: O. A., 2005, 1, S. 28-32.

Archivbericht Russland 2003-2005Von Hermann Schreyer

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in dieser Zeitschrift.12 Ein neues Gesetz war nicht zuletztwegen der 2003 und 2004 eingetretenen, den Föderalismusin begrenztem Maße stärkenden Veränderungen in derKompetenzabgrenzung zwischen dem Zentrum, den Sub-jekten der RF13 und den kommunalen Strukturen notwen-dig geworden. Unter Berücksichtigung dieser Veränderun-gen sieht das Gesetz eine – im Vergleich zur bisherigen Pra-xis – deutlichere Abgrenzung der Kompetenzen der zen-tralen, regionalen und kommunalen Ebene im Archivwe-sen vor. Hierbei wurde betont, dass trotz der erforderlichenDezentralisierungsmaßnahmen die staatlichen, kommuna-len und Behördenarchive, die ein „Nervensystem – undnicht einmal ein peripheres – des Staates“ seien, nach „ein-heitlichen Richtlinien funktionieren müssen“. Das Gesetzhabe diesen „Grundsatz der Einheitlichkeit proklamiert“,um damit „mögliche negative Folgen“ der neuen Kompe-tenzabgrenzungen zu „neutralisieren“. Es dürfe z. B. in denSubjekten der RF nicht unterschiedliche Regeln für dieArchivbenutzung geben. Daraus resultiere die Aufgabe derBundesarchivagentur, auf der Grundlage des Gesetzes denstaatlichen, kommunalen und Behördenarchiven einheitli-che Richtlinien für die Aufbewahrung, Bestandsbildung,Nutzung usw. des Archivgutes zu geben.14 Ein Entwurf fürsolche Richtlinien der Bundesarchivagentur liegt vor.15

Bleibt zu hoffen, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwi-schen berechtigten zentralen Regelungen einerseits unddem notwendigen regionalen Spielraum andererseits zuerzielen sein wird.

2. Archivorganisation

2.1. Verwaltungsreform und Archivorganisation Die Anfang März 2004 durch einen Ukaz des Präsidentender RF verkündete und danach sogleich in Angriff genom-mene Verwaltungsreform sieht u. a. die Auflösung vonMinisterien und umfangreiche, auch das Archivwesendirekt betreffende behördliche Umstrukturierungen vor.Sie hat erhebliche Auswirkungen auf die Leitung desArchivwesens der zentralen und regionalen Ebene. DerBundesarchivdienst Russlands (Rosarchiv) unterstand seit1992 zunächst dem Präsidenten der RF, dann der Regie-rung, zuletzt, seit 1998, der stellvertretenden Ministerprä-sidentin V. I. Matvienko, nahm also eine ähnliche Stel-lung ein wie früher die Archivhauptverwaltung beimMinisterrat der UdSSR. Bereits seit Anfang 2000 gab es imRahmen von Reformplanungen den Vorschlag, Rosarchivals selbständige Bundesbehörde aufzulösen und demGeschäftsbereich des Kulturministeriums zuzuordnen,wogegen Archivare und Historiker mit gewichtigen Argu-menten Einspruch erhoben.16 Dennoch wurde nun im Zuge

der Verwaltungsreform Rosarchiv zur „Bundesarchivagen-tur des Ministeriums für Kultur und Massenmedien derRF“ umgebildet und damit in die durch die Reform einge-führte dreistufige Ministerialstruktur eingegliedert: 1.Ministerium mit seiner rechts- bzw. normensetzendenFunktion, 2. „Dienste“ (sluzby) mit den Funktionen derKontrolle und Aufsichtsführung und 3. „Agenturen“ für„Vermögensverwaltung“ und „Dienstleistungen“. WenigeMonate nach Schaffung dieser Strukturen standen sieöffentlich bereits in der Kritik mit der Feststellung, diedamit beabsichtigte Funktionsaufteilung sei praktisch nichterfolgt, und eine „ideale Aufteilung“ könne es ohnehinnicht geben.17

Dieses Problem wird auch am archivischen Beispieldeutlich. Formal gilt für den Archivbereich folgende Drei-teilung der zentralen Leitungskompetenzen: 1. Ministeri-um für Kultur und Massenmedien der RF: „Ausarbeitungder Archivpolitik und ihre normensetzende Absicherung“;2. Bundesdienst zur Aufsicht über die Einhaltung derGesetze im Bereich der Massenmedien und zum Schutzdes kulturellen Erbes: „Beaufsichtigung und Kontrolle derErfüllung dieser Politik und Beachtung der bestätigtenNormen“; 3. Bundesarchivagentur: „Verwaltung des Bun-desvermögens und Dienstleistungen auf dieser Grundla-ge“.18 Nach mehrmonatiger Behandlung von zehn Verord-nungsentwürfen erschien am 17. Juni 2004 die Regierungs-verordnung „Über die Bundesarchivagentur“, die auchweiterhin die offizielle Kurzbezeichnung „Rosarchiv“trägt.19 Sie umfasst unter der in der Spitze unverändertenLeitung (V. P. Kozlov, Leiter, und A. N. Artizov, stellver-tretender Leiter) zwei „Verwaltungen“: 1. Organisationund Gewährleistung der Tätigkeit der Bundesarchive mitvier Abteilungen: Recht und Personal, Organisation, Finan-zen/Wirtschaft, Allgemeine Abteilung; 2. Bestandsergän-zung, Organisation der Dienstleistungen, Archivtechnikmit fünf Abteilungen: Organisation der Informationsdien-ste, Organisation der Bearbeitung sozial-rechtlicher Anfra-gen, Bestandsergänzung, Sicherung/staatliche Registrie-rung/automatisierte Archivtechnik, internationale Bezie-hungen.20

Offenbar in der Absicht, die Bundesarchivagentur nichtzu sehr auf rein technische Funktionen der „Vermögens-verwaltung“ und der „Dienstleistungen“ einzuengen, wer-den ihr in der genannten Verordnung weitergehende Rech-te zuerkannt, z. B. „die Koordinierung der Tätigkeit derwissenschaftlich-methodischen Räte der Archivinstitutio-nen der föderalen Distrikte21 vorzunehmen“ und „denArchivleitungsorganen der Subjekte der RF und den staat-lichen und kommunalen Archiven bei der Organisation derErfassung und Übernahme, Sicherung und Nutzung derDokumente des Archivfonds der RF methodische Hilfe zuerweisen“. Solche Kompetenzen ermöglichen es, „die Ver-tikale der Zusammenarbeit und eine einheitliche Methodik

12 Hermann Schreyer: Das neue Archivgesetz der Russischen Föderati-on, in: DArch, 58 (2005), 4, S. 260-265.

13 89 Subjekte: Republiken, Autonome Kreise, Oblaste, Moskau und St.Petersburg als Städte mit Sonderstatus.

14 Kozlov (wie Anm. 3), S. 5.15 A. N. Artizov: Über den Entwurf der Richtlinien für die Organisation

der Aufbewahrung , Bestandsergänzung, Registrierung und Nutzungder Dokumente des Archivfonds der RF und anderer Archivdokumen-te in den staatlichen und kommunalen Archiven, Museen, Bibliothekenund Organisationen der Russischen Akademie der Wissenschaften, in:O. A., 2005, 6, S. 21-28.

16 Vgl. Archivbericht Russland 1998-1999 , in DArch, 54 (2001), 2, S. 131.17 T. I. Bondareva: Rosarchiv i administrativnaja reforma (Rosarchiv und

die Verwaltungsreform), in: O. A., 2004, 5, S. 7.18 V. P. Kozlov: Rossijskie archivy v uslovijach administrativnoj reformy

(Die russischen Archive unter den Bedingungen der Verwaltungsre-form), in: O. A., 2005, 1, S. 22 f.

19 Durch Verfügung der Präsidenten-Administration und des Regierungs-apparates vom 6. August 2004 , in: Bondareva (wie Anm. 17), S. 7.

20 Ebd., S. 8.21 In der RF wurden zur Zusammenfassung von jeweils 10-15 Regionen

sieben „föderale Distrikte“ gebildet.

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zu erhalten und letzten Endes die Geschlossenheit desArchivdienstes im gesamtrussischen Maßstab zu gewähr-leisten“.22 Nicht zuletzt zur Unterstützung dieses „gesamt-russischen“ Auftrages der Bundesarchivagentur wurde imDezember 2004 ein nach Bedarf, mindestens aber einmaljährlich tagender „Rat für das Archivwesen“ zur „Behand-lung der aktuellsten Fragen des Archivwesens der RF undzur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen“ gegründet.Dem „Rat“, dessen Beschlüsse „empfehlenden Charakter“haben, gehören an: „von Amts wegen“ der Rosarchiv-Lei-ter als Vorsitzender, seine Stellvertreter, die Direktoren derBundesarchive, die Leiter der Archivverwaltungen derSubjekte der RF u. a.23

Ein besonderes Problem stellen die im Zuge der Verwal-tungsreform durchgeführten Umstrukturierungen in denSubjekten der RF dar. In vielen Fällen sind davon die regio-nalen und lokalen Archivverwaltungen betroffen, derenStatus sich zum Teil verbessert, häufiger aber durch Verän-derung der behördlichen Unterstellung verschlechtert hat.Eine einheitliche reformerische Linie scheint zu fehlen, wieeiner diesbezüglichen deutlichen Äußerung von V. P.Kozlov entnommen werden kann. Es fiele „schwer, einediesen Umbildungen gemeinsame Bewegungsrichtung zuerkennen“; diese sei „bis jetzt nicht durch irgendwelcheBesonderheiten einzelner Regionen, sondern durch diechaotische Art der Entscheidungsfindung bestimmt“.24

Erhebliche Schwierigkeiten gibt es offenbar bei der Kom-petenzabgrenzung zwischen den regionalen Archivver-waltungsorganen und archivischen Einrichtungen und denRegionalbehörden der Bundesexekutive, v. a. in Bezug aufdie Erfassung und Übernahme der Archivbestände; vgl.hierzu die diesbezüglichen ausführlichen Darlegungen desLeiters von Rosarchiv auf der Tagung des „Rates für dasArchivwesen“ am 20. Oktober 2005.25 In seiner bei dieserGelegenheit verabschiedeten „Entschließung“ macht der„Rat“ darauf aufmerksam, dass die Zusammenarbeit zwi-schen der Zentrale und den Regionen nicht klar genugbestimmt sei und fordert dazu auf, zu einer „wechselseitigannehmbaren Lösung des Problems der Bestandsergän-zung des Archivfonds der RF“ zu kommen. Auch werdendie Verwaltungen der Subjekte der RF und der örtlichenSelbstverwaltung auf die „Schwäche der materiell-techni-schen Basis vieler regionaler und kommunaler Archiveund den Raummangel“ hingewiesen.26

2.2. BundesarchiveDer Bundesarchivagentur sind nach wie vor die dreizehnzentralen Bundesarchive27, das Russische HistorischeStaatsarchiv für den Fernen Osten, Vladivostok, das Zen-trum für die Aufbewahrung des Sicherheitsfonds, Jaluto-rovsk (Oblast’ Tjumen) und das Allrussische Forschungs-institut für Dokumentenkunde und Archivwesen, Moskau,unterstellt.28 Folgende Informationen zu einzelnen Archi-ven seien angemerkt:

Staatsarchiv der RF: Beständeübersicht, Bd. 5. PersönlicheBestände, 1917-2000, Moskau 2001; vgl. O. A. 2003, 2, S. 94f. – Freigabe und Nutzung neuerer Bestände, in: Creuzber-ger/Lindner (wie Vorspann), S. 101-106. – Größter Zugangvon Dokumenten der sowjetischen Regierung, O. A., 2004,2, S. 18 f.

Russisches Historisches Staatsarchiv, St. Petersburg: Anfang2003 wurden die in den 1830er Jahren erbauten, dringendzu rekonstruierenden Gebäude des Senats und Synods, indenen sich das Archiv befindet, auf Anweisung der Regie-rung der RF der Administration des russischen Präsiden-ten übergeben, die die Gebäude für eigene Zwecke nutzenwird und für das Archiv Neubauten in Auftrag gegebenhat.29 Diese Maßnahmen haben – bei der besonderen histo-rischen Bedeutung des Archivs verständlich – national undinternational große Aufmerksamkeit erfahren.30 Nach dernunmehr erreichten Fertigstellung des Neubaus steht derUmzug des Archivs aus den historischen Gebäuden in denOsten der Stadt (Zanevskij prospekt 36) bevor. Zur Leitungdes für eine Dauer von 18 Monaten veranschlagtenUmzugs, zur Lösung der damit verbundenen offenbarbeträchtlichen finanziellen Probleme und zur Koordinie-rung der organisatorischen und technischen Fragen31

wurde am 18. Oktober 2005 eine 16-köpfige Regierungs-kommission gebildet, der angehören: A. D. Z ukov, stell-vertretender Vorsitzender der Regierung der RF, Vorsitzen-der der Kommission; V. I. Matvienko, Gouverneurin von St. Petersburg, stellvertretende Kommissionsvorsitzende;A. S. Sokolov, Kulturminister der RF; V. P. Kozlov, Lei-ter von Rosarchiv, Ju. M. Koloc kov, Direktor des Depar-tements für staatliche Zielprogramme und Investitionendes Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung der RFu. a.32

Russisches Staatsarchiv alter Akten: siehe unten 4.Russisches Staatliches Militärgeschichtliches Archiv: G.

Hetzer: Das Russische Staatliche KriegsgeschichtlicheArchiv in Moskau. Geschichte und Bestände, in: Archivali-sche Zeitschrift 85 (2003), S. 175-191. – Beginn der Restau-

22 T. I. Bondareva: Rosarchivagentstvo v kontekste administrativnojreformy (Rosarchivagentur im Kontext der Verwaltungsreform), in: O. A., 2004, 4, S. 5.

23 Satzung des Rates: O. A., 2005, 1, S. 20 f.24 Kozlov (wie Anm. 18), S. 26. – Im Übrigen hat das Kulturministerium

die Regierung der RF schriftlich darum gebeten, von Reformen derregionalen Archivverwaltungsorgane bis zum Abschluss der Umstruk-turierungen auf Bundesebene Abstand zu nehmen. O. A., 2005, 1, S. 33.– Vgl. auch Hermann Schreyer: Verwaltungsreform und Archivgesetz.Aktuelle Probleme des Archivwesens der RF, in Archive und Gedächt-nis. Festschrift für Botho Brachmann (=Schriftenreihe des Wilhelm-Fra-enger-Instituts Potsdam, Bd. 8), Potsdam 2005, S. 343-354.

25 V. P. Kozlov: Über Probleme der Zusammenarbeit der Archivverwal-tungsorgane und archivischen Einrichtungen der Subjekte der RF mitden auf ihrem Territorium befindlichen Regionalorganen der Bundes-exekutive, anderen Staatsorganen der RF und Bundesorganisationen beider Realisierung des Archivgesetzes, in: O. A., 2005, 6, S. 6-15.

26 O. A., 2005, 6, S. 29.

27 Vgl. Hermann Schreyer: Die zentralen Archive Russlands und derSowjetunion von 1917 bis zur Gegenwart (= Schriften des Bundesarchivs60), Düsseldorf 2003, S. 275-281.

28 Liste der Rosarchiv unterstellten Einrichtungen: Verfügung der Regie-rung der RF, 5. Januar 2005, O. A., 2005, 2, S. 3 f.

29 Vgl. Bericht über eine Pressekonferenz, 2. September 2004, O. A., 2004,5, S. 10-12; dort auch Abbildung des Modells des Neubau-Komplexes.Die Art der Nutzung der vom Archiv zu räumenden historischenGebäude am Newa-Ufer ist noch nicht entschieden. Eventuell soll dasVerfassungsgericht dort seinen Sitz erhalten.

30 Vgl. A. Lavrov: In Zukunft geschichtslos. Das Historische Archiv in St.Petersburg wird geschlossen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 1.2004. – S. Zekri: Petersburger Mächte. Dem Staatlichen HistorischenArchiv droht die Schließung, in: Süddeutsche Zeitung, 25. 5. 2004.

31 Im Einzelnen siehe O. A., 2005, 6, S. 3 f.32 Ebd., S. 5. Im Sommer 2007 soll das Archiv den Betrieb im Neubau wie-

der aufnehmen. Vgl. Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 14 (2006), 2, S. 100.

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rierung des denkmalgeschützten Archivgebäudes aus dem18. Jahrhundert, O. A., 2004, 2, S. 20 f.

Russisches Staatsarchiv der Kriegsflotte: Beiträge zum 280-jährigen Bestehen des Archivs, O. A., 2004, 3, S. 129 f., undzum Archivneubau, O. A., 2005, 6, S. 83-86.

Russisches Staatsarchiv für soziale und politische Geschichte(RGASPI): A.V. Doronin: Vom Zentralen Parteiarchivzum RGASPI, in: Creuzberger/Lindner (wie Vorspann), S. 83-90.

Russisches Staatsarchiv für neueste Geschichte: Beitrag zurPraxis der Deklassifizierung seiner Dokumente, in Ebd., S. 91-100.

Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst (RGALI):Größere Übernahmen von Dokumenten des russischen/sowjetischen Dichters Boris Pasternak, O. A., 2003, 1, S. 124 f. – Verfügung der Bundesarchivagentur, 7. Juni 2005,über Dokumentendiebstahl im Literaturarchiv, O. A., 2005,5, S. 54.

Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der RF(CAMO), Podolsk: Über – offenbar erhebliche – Benut-zungsbeschränkungen in diesem für die zentralen militä-rischen Bestände ab Kriegsbeginn, Juni 1941, zuständigenArchiv, das nicht Rosarchiv untersteht, sondern eines dervielen zentralen Behördenarchive der RF ist, berichtet G. R.Ramazas vili , ein Mitarbeiter der Russischen Akademieder Wissenschaften, als langjähriger Benutzer des CAMO;O. A., 2004, 2, S. 70-75. Gesperrt sind z. B. Vernehmungs-protokolle der Kriegsgefangenen, sowjetische Flugblätterin deutscher Sprache, erbeutetes Schriftgut der Wehrmachtu. ä. (S. 70). Auch bleiben viele Unterlagen im CAMO unterVerschluss, die längst hätten an das für militärischesArchivgut aus der Zeit vor 1941 zuständige RussischeStaatliche Militärarchiv abgegeben werden müssen, z. B.Teile der Überlieferung des Revolutionären Militärrates1918-1921 (!) (S. 74).

2.3. Sonstige Staatsarchive Staatsarchiv der Kaliningrader Oblast’: Erschienen ist eineBeständeübersicht, Kaliningrad 2004, die auch 32 deutscheBestände, Oberpräsidium Ostpreußen, Oberbürgermeisterund Magistrat Königsberg usw., ausweist; vgl. O. A., 2005,5, S. 122 f.; zum Staatsarchiv Kaliningrad vgl. auch DArch,54 (2001), 2, S. 132.

Historisches Staatsarchiv der Wolgadeutschen: Die Oblast’-Regierung Saratov hat am 7. Juli 2005 verfügt, die FilialeEngels des Saratover Oblast’-Archivs in ein HistorischesStaatsarchiv der Wolgadeutschen umzubilden. Gegendiese mit den Fachleuten des betroffenen Filialarchivsoffenbar nicht abgestimmte Maßnahme gab es Protest: Esdränge sich der Verdacht auf, man habe ausschließlich diekommerziell ergiebige Tätigkeit des Archivs zur Beantwor-tung genealogischer Anfragen der Nachkommen der Wol-gadeutschen aus dem Ausland im Auge. Die Bildung einessolchen Archivs könne im Übrigen als – nicht zu akzeptie-rende – Aufforderung verstanden werden, deutscheBestände auch aus anderen Archiven nach Engels zu über-führen; O. A., 2005, 5, S. 139 f.

Dokumentationszentrum für neueste Geschichte der Oblast’Smolensk: siehe unten 4.

2.4. „Volksarchiv“B. I. I l izarov: Das Moskauer „Volksarchiv”. PersönlicheReflektionen über Idee und Geschichte eines außerge-wöhnlichen Dokumentationszentrums, in: Creuzberger/Lindner (wie Vorspann), S. 107-113 und S. 159 f.; vgl. auchDArch, 54 (2001), 2, S. 132.

3. Archivbenutzung. Quellenveröffentlichungen

3.1. Zugang zu den QuellenDas Archivgesetz legt im Abschnitt über die Nutzung desArchivgutes fest, dass die Aufhebung der Zugangsbe-schränkungen zu Archivdokumenten, „die ein Staats- oderein anderes durch die Gesetze der RF zu schützendesGeheimnis bilden“, entsprechend „der Gesetzgebung derRF“ erfolgt (§ 25,2). Diese schreibt allerdings ein aufwen-diges und langwieriges Verfahren der Desekretierung vonArchivgut vor, das in großen Mengen noch sekretiert ist –trotz erheblicher Überschreitung der 30-Jahresfrist, diemöglicherweise auch deshalb im Gesetz nicht vorkommt.

Infolgedessen stehen der historischen Forschung seitJahrzehnten gesperrte bzw. – nach zeitweiliger FreigabeAnfang der 1990er Jahre wieder gesperrte – wichtigeBestände nicht oder nicht in vollem Maße zur Verfügung,was auch von russischer Seite häufig kritisiert wurde33 undworüber es u. a. auf der Tagung der deutsch-russischenHistorikerkonferenz Ende Oktober 2005 in Moskau einelebhafte Debatte gegeben hat.34 Die Bundesarchivagenturwurde bevollmächtigt, künftig die Arbeit der bundesarchi-vischen Einrichtungen zur Desekretierung „nach der fest-gelegten Ordnung“ zu organisieren.35 Ob damit eine zügi-gere Freigabe des in Betracht kommenden Archivgutes ver-bunden ist, bleibt abzuwarten. (Zu den Zugangsbeschrän-kungen vgl. auch oben, 2.2. CAMO.)

3.2. Die Zeitschriften O. A. und I. A.Der Russland-Berichterstattung liegen vor allem die bei-den Fachzeitschriften O. A. und I. A. zugrunde, besondersin Bezug auf die publizierten Quellen und Quellennach-weise. I. A. widmet sich nach wie vor ausschließlich derQuellenpublikation. Die Herausgeber sind von Beginn an(1992/1993) bemüht gewesen, vorzugsweise auch frühereTabu-Themen und entsprechende, zu Sowjetzeiten nichtzugängliche Dokumente zu berücksichtigen. Zugleichsieht der Chefredakteur der I. A., A. A. Cernobaev, eineder wichtigsten Aufgaben der Zeitschrift darin, im Gegen-satz zu einer „Jagd nach Sensationen“ mit der Publikationvon Archivdokumenten „die Wiederherstellung eineswirklich wissenschaftlichen Bildes der ferneren und nähe-ren Vergangenheit zu fördern“. I. A., 2005, 6 (das 75. „Jubi-läums“-Heft), Vorwort; vgl. auch: Zehn Jahre I. A., I. A.,2003, 1, S. 207-211 (Text), S. 212-221 (Abbildungen).

33 Ausführlicher dazu: Archivbericht Russland 2000-2002 (wie Anm. 1), S. 126 f.

34 Vgl. den Tagungsbericht von P. Rauschenbach, in: Mitteilungen ausdem Bundesarchiv 13 (2005), 2, S. 33.

35 Bondareva (wie Anm. 22), S. 5 f.

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Die O. A., die zum größeren Teil Fachbeiträge und zumkleineren Teil Dokumente veröffentlichen, sehen sich in derNachfolge der „besten Traditionen der Vergangenheit“und würdigten dementsprechend das 80-jährige Bestehender Zeitschrift, beginnend 1923 mit Archivnoe delo (Archiv-wesen) und Krasnyj archiv (Rotes Archiv) bis 1941 und fort-gesetzt – nach vierzehnjähriger Unterbrechung ohne Fach-zeitschrift – Mitte der 1950er Jahre mit Voprosy archivovede-nija (Fragen der Archivwissenschaft) und Sovetskie archivy(Sowjetische Archive), die seit 1992 als Otecestvennye arhivy(Vaterländische Archive) erscheinen – ein kleines Beispielfür die „russländisch-sowjetische Mischidentität“36, die impostkommunistischen Russland zunehmend in Erschei-nung tritt; vgl. Zum 80. Jahrestag der Zeitschrift, O. A.,2003, 1, S. 3 f.

3.3. Quellennachweise Auf der Grundlage eines Vortrages zum 60. „Jahrestag desSieges“ gibt T. F. Pavlova einen Überblick über die Dese-kretierung und teilweise Veröffentlichung von Dokumen-ten der Bundesarchive, des Archivs des Präsidenten der RFund anderer großer zentraler Behördenarchiven zurGeschichte des II. Weltkrieges: Dokumente des von 1941-1945 bestehenden Staatlichen Verteidigungskomitees,Regierungsverordnungen 1931-1945, die Bestände derSowjetischen Militäradministration Deutschlands (SMAD),Schriftgut der Hauptverwaltung für Kriegsgefangene undInternierte des NKWD der UdSSR u. a. (O. A., 2005, 4, S. 3-10). Letzteres sei nach wie vor leider nicht vollständig frei-gegeben, was „Nährboden für Fälschungen“ biete, vorallem hinsichtlich der Anzahl der Kriegsgefangenen ver-schiedener Nationen in sowjetischer Gefangenschaft undder verstorbenen oder umgekommenen Gefangenen (S. 6).– Vgl. auch P. Kienle: Wehrmachtsdokumente und Feld-postbriefe im ehemaligen Zentrum für die Aufbewahrunghistorischer Dokumentensammlungen des RussischenStaatlichen Militärarchivs, in: Creuzberger/Lindner (wieVorspann), S. 243-254.

Das Problem der Kirchenarchive behandelt E. V. Staro-stin, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte und Organi-sation des Archivwesens des Historischen und Archivinsti-tuts der Moskauer Universität (O. A., 2005, 4, S. 31-38).37

Die Schließung und nicht selten Zerstörung der Kirchenund Klöster in der Sowjetzeit, die „Nationalisierung“ derKirchenarchive und der staatlich verordnete Atheismushätten nach 1917 „einen ganzen Lebensbereich der russi-schen Gesellschaft aus der offiziellen Geschichte gestri-chen“ (S. 32). In den archivgeschichtlichen Lehrbüchernhabe man die Kirchenarchive nicht behandeln dürfen, undder vor 1917 begonnene Prozess der Bildung von Kirchen-archiven sei für Jahrzehnte unterbrochen gewesen. ErstAnfang der 1990er Jahre hätten sich staatliche und kirch-liche Stellen wieder mit den Fragen der Erhaltung, Erfor-schung und Erschließung kirchlichen Archivgutes beschäf-

tigen können. In zentralen und regionalen Archiven undBibliotheken befänden sich zahlreiche kirchliche Bestände,Teilbestände und Sammlungen. Solange die Kirche aller-dings ein eigenes Archivnetz nicht aufbauen könne, sei„über die so genannte ‚archivische Restitution’, d. h. überdie Rückgabe der nationalisierten Dokumenten-Reichtü-mer, an die Kirche nicht zu reden“. (S. 36). – Vgl. auch Ver-einbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Mos-kauer Patriarchat der Russisch-orthodoxen Kirche undRosarchiv, 18. 12. 2003 (O. A., 2004, 2, S. 17 f.).

V. B. S epeleva und B. A. Osabc enko verweisen aufmehrere in der Handschriftenabteilung der RussischenStaatsbibliothek und im Zentralarchiv für Dokumenten-Sammlungen der Stadt Moskau verwahrte Historiker-Nach-lässe und die dort enthaltenen Quellen zu der in den 1960erJahren geführten Diskussion über die Neubewertung dersozialökonomischen und politischen Lage Russlands Endedes 19./Anfang des 20. Jahrhunderts – die „neue Richtung“in der sowjetischen Geschichtswissenschaft (O. A., 2005, 5,S. 60-72). Behandelt werden vor allem die persönlichenBestände und die Forschungstätigkeit der Wirtschafts- undAgrarhistoriker A. L. Sidorov (1900-1966) und S. M.Dubrovskij (1900-1972). Letzterer musste seine produk-tivsten Lebensjahre – 1937-1954 – in Lagerhaft verbringenmit allen dramatischen Folgen für sein persönliches Lebenund mit dem Ergebnis des Verlustes wertvoller Nachlass-teile durch die üblichen staatspolizeilichen Eingriffe. Dieswird im Beitrag milde umschrieben: „Sein fast 17-jährigesGefangenendasein musste sich natürlich auf die Vollstän-digkeit der Dokumenten-Hinterlassenschaft auswirken(…)“; die wissenschaftlich sehr reiche „Vor-GULAG-Peri-ode“ sei daher nur sehr spärlich überliefert (S. 61).

3.4. QuellenveröffentlichungenDie I. A. und O. A. veröffentlichen nach wie vor inhaltlichund zeitlich sehr unterschiedliche Archivdokumente über-wiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert, wobei diezuweilen etwas zufällig erscheinende Themenwahl tradi-tionell von Jubiläen mitbestimmt wird, z. B. 300 Jahre St. Petersburg (I. A., 2003, 2 und 3), 90 Jahre Beginn des I. Weltkrieges (I. A. 2004, 3 und 4), 60. „Jahrestag des Sie-ges“ (I. A., 2005, 2). Ein „thematisches Heft“ beschäftigtsich ausschließlich mit Weißrussland bzw. den russisch-weißrussischen Beziehungen (I. A., 2004, 6).

Auf einige Veröffentlichungen beider Zeitschriften, dieallgemein und für den deutschen Leser von besonderemInteresse sein können, sei auswahlweise hingewiesen. Eini-ge mehrfach genannte Archivbezeichnungen werden inden russischsprachigen Abkürzungen wiedergegeben:APRF - Archiv des Präsidenten der RF; CA FSB - Zentral-archiv des Bundessicherheitsdienstes; GARF - Staatsarchivder RF; RGASPI - Russisches Staatsarchiv für soziale undpolitische Geschichte.

19 Dokumente zur Geschichte der Heilsarmee in Russ-land, 1909-1916, GARF; 1-12, 1909-April 1916, I. A., 2003, 4,S. 133-170; 13-19, Aug.-Dez. 1916, I. A., 2003, 5, S. 127-146.

13 Briefe des russischen Botschafters in London, A. K.Benckendorff, an seinen Bruder über den Zusammen-prall sehr widersprüchlicher Interessen im Krieg, Sept.1914-Sept. 1915, Russ. Nationalbibliothek; I. A., 2005, 3, S.132-162.

Tagebuchaufzeichnungen von S. Ju. Witte (1849-1915),russ. Ministerpräsident 1903-1906, aus seinem letzten

36 Vgl. I. de Keghel: Die Staatssymbolik des neuen Russland im Wandel.Vom antisowjetischen Impetus zur russländisch-sowjetischen Mischi-dentität, Bremen 2003; zitiert bei: J. Scherrer: Russlands neue-alte Erin-nerungsorte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 13. März 2006 (= Beila-ge zur Wochenzeitung Das Parlament, 11/2006, Russland), S. 27, Anm.10.

37 E. V. Starostin: Archivnoe nasledie Russkoj pravoslavnoj cerkvi: putiizucenija i razvitija (Das archivische Erbe der Russisch-orthodoxenKirche: Wege der Erforschung und Entwicklung), in: O. A., 2005, 4, S. 31-38.

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Lebensjahr 1914/1915, GARF; I. A., 2004, 3, S. 121-162;2004, 4, S. 53-84; 2004, 5, S. 27-70.

Das „Freimaurer-Phobie“- Syndrom der russischenBeamtenschaft, Polizeibericht 1916; GARF; I. A., 2004, 5, S.3-26.

12 Dokumente über Arbeiterproteste, Juni/Juli 1918, CAFSB; I. A., 2003, 5, S. 147-179.

29 Dokumente aus dem Schriftwechsel des sowjeti-schen Volkskommissars für auswärtige Angelegenheitenüber die Regelung der Beziehungen zwischen Sowjetruss-land und dem Vatikan, 1920-1928, GARF, Archiv derAußenpolitik der RF, RGASPI; I. A., 2005, 1, S. 56-101.

14 Dokumente – Brief Lenins, Schriftstücke der Partei-führung und der Politischen Polizei (GPU) - zur Geschich-te der Ausweisung der Intelligenz 1922, Juli/August 1922,hrsg. und kommentiert von A. N. Artizov, RGASPI,APRF; O. A., 2003, 1, S. 65-96. Im September 1922 musstenmehrere hundert Intellektuelle mit kleinstem Handgepäckund mittellos Russland auf dem Seeweg (daher der Name„Philosophischer Dampfer“) verlassen. Die von Lenin initi-ierte Aktion zeigt, dass der ab 1921 zeitweilig eingeschla-gene liberalere Wirtschaftskurs („Neue Ökonomische Poli-tik“) mit harter Unterdrückung oppositioneller Intellektu-eller einherging (S. 65). Am 30. August 1922 versuchte LeoTrotzki in einem Zeitungsinterview, die Zwangsmaßnah-men in menschenverachtender Weise zu rechtfertigen. Dieauszuweisenden „Elemente“ seien zwar „an sich politischbedeutungslos“, könnten sich aber im „Falle neuer militä-rischer Komplikationen“ als eine „militärisch-politischeAgentur des Feindes erweisen“ und müssten dannerschossen werden, was durch die Ausweisung zu vermei-den sei (S. 68). Sofern die Ausgewiesenen die erzwungeneEmigration überlebten, hat Trotzki angesichts der uner-messlichen Terroropfer der 1930er Jahre in seiner makab-ren Argumentation sogar Recht behalten! – 8 Dokumenteaus der Untersuchungsakte des LiteraturwissenschaftlersJu. I. Eichenwald (1872-1928), einer der Ausgewiesenenauf dem „Philosophischen Dampfer“, CA FSB; I. A., 2004,1, S. 95-102. – Vgl. auch P. N. Bazanov: Dokumente undMaterialien zur russischen Emigration in der Archiv-Bibliothek des St. Petersburger Informationszentrums„Memorial“38, O. A., 2005, 6, S. 77-83.

9 Dokumente aus der Untersuchungsakte des wegenantisowjetischer Agitation 1929 zu drei Jahren Lagerhaftverurteilten Publizisten und Diplomaten V. N. Murav’ev(1885-1930, in der Haft verstorben), CA FSB; O. A., 2003, 1,S. 97-109.

3 Dokumente über die unmenschlichen Haftbedingun-gen in den Sonderlagern auf den Solowezki-Inseln, 1930,CA FSB; I. A., 2005, 5, S. 65-82.

11 Dokumente über die „Säuberung“ Leningrads durchAusweisung von „Reaktionären“, 1935/1936, APRF; I. A.,2003, 2, S. 104-122.39

Tagebuch des Geochemikers V. I. Vernadskij (1863-1945), 1938, Archiv der Russ. Akademie der Wissenschaften;I. A., 2003, 5, S. 48-61; Fortsetzung der im letzten Bericht,DArch, 57 (2004), 2, S. 128, nachgewiesenen Tagebuch-Veröf-fentlichungen. – 7 Dokumente aus dem Schriftwechsel Ver-nadskijs 1915-1917, Akademiearchiv, GARF; I. A., 2004, 3, S. 207-212.

Referat des Leiters der Politverwaltung der RotenArmee, L. Z. Mechlis (1889-1953), vor dem Parteiaktiv desKiever Sondermilitärbezirks, 4. April 1939, über die Ergeb-nisse des XVIII. Parteitages der Kommunistischen Parteiund mit dem Aufruf zum „Sturm auf den Kapitalismus“und zur „Weltkommune“ unter Führung des „großen Steu-ermanns Stalin“. I. A., 2005, 2, S. 60-94, und 3, S. 67-90.Mechlis war zuvor im Auftrage Stalins, „dem er mit fastneurotischer Blutrünstigkeit zuarbeitete (…) gleich einemapokalyptischen Reiter über die Rote Armee hergefallen“.40

19 Verordnungen des Staatlichen Verteidigungskomi-tees (GKO) der UdSSR, 1941-1944, RGASPI, I. A., 2005, 2,S. 41-59. – 21 Direktiven des GKO zur Gewährleistung derLebensfunktionen Leningrads, 1941-1945, RGASPI; I. A.2003, 2, S. 131-165, 1-16, 1941-Febr. 1944; I. A., 2003, S. 19-40, 17-21, März 1944-Mai 1945.

12 Briefe aus der Bevölkerung an Stalin über die Auswir-kungen des Krieges, 1941-1942, APRF; I. A., 2005, 2, S. 4-40.

Tagebuchaufzeichnungen des Mitarbeiters des deut-schen Sicherheitsdienstes, SS-Sturmbannführer FranzMeier, Dez. 1941-Okt. 1942, über die Arbeit der deutschenAbwehr an der Bildung einer antialliierten Front im Iran,Archiv der Außenabwehr der RF; O. A., 2003, 3, S. 51-74.

5 Dokumente über die Tätigkeit der deutschen Abwehrim sowjetischen Hinterland, 1941-1944, CA FSB; I. A., 2005,2, S. 165-176.

Bericht des Leiters des Staatssicherheitsdienstes derOblast’ Leningrad über den Kampf der sowjetischenSicherheitsorgane gegen die deutsche Abwehr, Dez. 1943,CA FSB; I. A., 2003, 1, S. 48-72.

D. E. Komarov: Deutsche Presse in den besetztenGebieten der UdSSR, in: O. A., 2005, 2, S. 44-52.

Erinnerungen von G. N. Satirov (1904-1981), vor 1941wissenschaftlicher Mitarbeiter im Puschkin-Haus, an seineKriegsgefangenschaft im Gestapo-Gefängnis Darmstadt1944, Handschriftenabteilung des Staatlichen HistorischenMuseums; O. A., 2003, 6, S. 58-69. Satirov hatte unter denRepressionen zu leiden, die sich aus dem berüchtigten,1988 erstmalig in vollem Wortlaut veröffentlichten Stalin-schen Ukaz vom 16. August 1941 ergaben, nach demKriegsgefangenschaft Vaterlandsverrat bedeutete. Erwurde zwar nicht, wie viele andere seiner Leidensgenos-sen, erneut inhaftiert, das „Stigma des ehemaligen Kriegs-gefangenen“ ließ ihn jedoch lange Jahre keine Arbeit fin-den (S. 62). Erst 1995 (!) bestimmte ein Ukaz des Präsiden-ten der RF die „Wiederherstellung der gesetzlichen Rech-te der im Krieg und in der Nachkriegszeit repatriiertenMilitär- und Zivilpersonen“ (S. 58).

Vorschläge des ZK der Kommunistischen Partei zur Ver-besserung der ideologischen Arbeit an A. A. Zdanov(1896-1948), April 1946, RGASPI; I. A., 2003, 5, S. 3-27.Zdanov war damals zweiter Mann nach Stalin und Chef-ideologe; er forcierte seit 1946, zu Beginn des „Kalten Krie-ges“, den Kampf gegen die Moderne („Formalismus“) und

38 Die 1988 gegründete Russische Gesellschaft „Memorial“ hat als Men-schenrechtsorganisation u. a. das Ziel, die Verbrechen des Stalin-Regimes und den Widerstand dagegen nachzuweisen; zahlreiche Doku-mentenbände über das Terror- und GULAG-System sind erschienen.

39 Zum Terror unter Stalin: Jörg Baberowski: Der Rote Terror. DieGeschichte des Stalinismus, München 2003. – Vgl. auch die beiden indeutscher Übersetzung erschienenen Bücher des kürzlich verstorbenen„Architekten der sowjetischen Perestrojka“ und langjährigen Vorsitzen-den der Kommission zur Rehabilitierung der Opfer politischer Repres-sionen, Alexander Jakovlev (1923-2005): Die Abgründe meines Jahr-hunderts. Eine Autobiographie, Leipzig 2003, und: Ein Jahrhundert derGewalt in Sowjetrussland, Berlin 2004.

40 S. S. Montefiore, Stalin. Am Hof des Roten Zaren, Frankfurt am Main2005, S. 259 f.

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die „Kosmopoliten“ und für den „Sowjetpatriotismus“und „Sozialistischen Realismus“.

4 Dokumente über die Verbannung des gestürzten Mit-gliedes des Präsidiums des ZK der KP, Lazar M. Kagano-vic (1893-1991), in den Ural, 1957-1958, Dokumentations-zentrum der gesellschaftlichen Organisationen der Oblast’Sverdlovsk (das ehemalige regionale Parteiarchiv); I. A.,2005, 4, S. 4-26. Nach den Enthüllungen des XX. Parteita-ges 1956 hatte Chruschtschow neben Molotow und Malen-kow auch Kaganovic , den ersten „Stalinisten“, Stalins„Eisernen Lazar“41, als Mitglied einer „parteifeindlichenGruppe“ ausgeschaltet.

Ausführliche Würdigung des XXII. Parteitages durchden cuvaischen Schriftsteller V. Z. Ivanov-Pajmen (1907-1973), 1961, Staatliches Historisches Museum; I. A., 2003, 4,S. 3-45 – ein Zeichen der großen Hoffnungen, die die Bevöl-kerung auf Chruschtschows widersprüchliche Reformpo-litik setzte. Der Parteitag brachte nach der GeheimredeChruschtschows von 1956 eine erneute, nun öffentlicheVerurteilung Stalins und das – nie eingehaltene – Verspre-chen, die gravierenden wirtschaftlichen Probleme desLandes in absehbarer Zeit zu lösen.

4. Archivgeschichte

Vor 1917 und bis Anfang der 1920er Jahre spielten für dasregionale Archivwesen in Russland die Gelehrten Gouver-nementsarchivkommissionen (GUAK) eine wesentlicheRolle; zwei Beiträge dazu: Zur Geschichte der KurskerGUAK, gegründet 1903, O. A., 2003, 1, S. 9-16, und derIrkutsker GUAK, gegründet 1911, O. A., 2004, 2, S. 23-31.

M. K. Ljubavskij : Die Archivverwaltung der Oblast’Moskau in den ersten Monaten der Archivreform 1918,Abdruck des Beitrages von Ljubavskij (1860-1936), damalsaktiv am Aufbau des Archivwesens in Russland beteiligt;GARF; I. A., 2005, 3, S. 121-131. – Vgl. auch Fotos zu Lebenund Werk Ljubavskijs, ebd., S. 105-120.

Weitere Beiträge zum Aufbau des Archivwesens: Dieersten Leiter des Gouvernements- (Kraj-) ArchivbürosNiznij Novgorod, 1919-1935, O. A., 2003, 5, S. 10-15. –Archivaufbau in Mordvinien, 1918-1940, O. A., 2004, 3, S.7-16, und in Kazachstan, 1919-1938, O. A., 2004, 4, S. 13-25.

L. I . Sohin: Geschichte und Methodik der Verzeich-nung der Dokumente des Russischen Staatsarchivs alterAkten – vom Ende des Moskauer Archivs des Justizmini-steriums als selbständiger Einrichtung bis zur Bildung desZentralen Staatsarchivs alter Akten 1918-1941, O. A., 2003,6, S. 12-22.

S. L. Solodovnikova: Das Ende der Odyssee des„Smolensker Archivs“, O. A., 2003, 5, S. 15-21. Im März2003 wurde das so genannte „Smolensker Archiv“ (541Akteneinheiten – überwiegend Parteiakten - aus Smo-lensk) nach langem Irrweg aus den USA an das Dokumen-tationszentrum für neueste Geschichte der Oblast’ Smo-lensk – ehemals Parteiarchiv – zurückgegeben. Das Archiventhält die einzigen sowjetischen Parteiakten, die west-lichen Historikern in der Zeit vor der Perestrojka zur Ver-fügung standen und die somit fast allen älteren sowjetolo-gischen Forschungen als Quellengrundlage dienten (S. 15).

Das unter deutscher Besatzung im Sommer 1941 beschlag-nahmte Archivgut - Einsatzstab Rosenberg, Arbeitsgrup-pe Smolensk, Sonderstab „Archive“ unter Leitung von Dr.Mommsen, später Dr. Dülfer (S. 16) – gelangte über dasbesetzte Litauen und Polen – Wilna, Pless, Ratibor – nachdem Krieg auf zum Teil ungeklärten Wegen in die USA (S.19) und von dort erst fast 60 Jahre nach Kriegsende nachSmolensk zurück (S. 20 f.). Vgl. auch einen ergänzendenBeitrag: Das „Smolensker Archiv“ ist zurückgekehrt, Fra-gen blieben (bezogen auf eine eventuell nicht vollständigeRückgabe), O. A., 2004, 1, S. 13-25. – S. L. Solodovniko-va: Die Smolensker Archive oder das verlorene Erbe, O. A.,2005, 2, S. 8-15, mit der richtigen Feststellung , dass „Krieg,Umwälzungen und Revolutionen die Hauptfeinde derArchive“ seien (S. 8).

Schriftwechsel mit dem Historiker und ArchivreformerS. F. Platonov (1860-1933, dem Stalinschen Terror zumOpfer gefallen), Russische Staatsbibliothek: Briefe desHistorikers, Publizisten und Führers der KonstitutionellenDemokraten, P. N. Miljukov (1859-1943) an Platonov,1890/1891, I. A., 2001, 3, S. 137-148, und 4, S. 23-48; I. A.,2003, 2, S. 195-217. – 8 Briefe des Vizegouverneurs A. F.Sidlovskij an Platonov, 1911-1916, I. A., 2005, 1, S. 105-124.– Briefwechsel mit dem Kirchenhistoriker A. A. Dmi-trievskij , I. A., 2003, 6, S. 109-113. – Fotos zu Leben undWerk Platonovs, I. A., 2003, 6, S. 93-108.

A. G. Ceresnja: Der Beitrag V. V. Caplins zur vater-ländischen Archivwissenschaft, O. A., 2004, 6, S. 19-33. –Nachruf für V. V. Caplin (1924-2003), O. A., 2003, 6, S. 121.– Würdigung zum 70. Geburtstag V. A. Tjuneevs, bis zuseiner Pensionierung stellvertretender Leiter von Rosar-chiv, O. A., 2005, 5, S. 91-93.

Zur Geschichte des Historischen und Archivinstitutssind Erinnerungen von Lehrgangsteilnehmern erschienen:Ausbildungsjahre 1940-1947, GARF, O. A., 2003, 4, S. 74-97,und 5, S. 65-80, mit Angaben über die Historiker des sowjetischen Archivwesens und Lehrbuchautoren, K. G.Mitjaev (5, S. 72-74), V. V. Maksakov (5, S. 74-76) und I. L. Majakovskij (5, S. 76-79). – Erster Nachkriegslehr-gang 1945, O. A., 2005, 1, S. 88-109.

5. Archivwissenschaft

E. V. Alekseeva u. a. : Archivovedenie (Archivkunde).Lehrbuch für die mittlere Berufsausbildung. Red. V. P.Kozlov. Moskau 2002. Behandelt werden in neun Kapi-teln: Abriss der russischen Archivgeschichte vom Mittelal-ter bis zur Gegenwart, die archivrechtlichen Grundlagen,Erfassung und Übernahme, Bewertung, Erschließung,Benutzung, Sicherung des Archivgutes, Organisation derArchivarbeit. – Besprechung: O. A., 2004, 2, S. 121-124.

Zum „Dokument“: K. B. Gel’man-Vinogradov: DieSchwierigkeiten der wissenschaftlichen Interpretation desBegriffs „Dokument“ und Wege zu ihrer Bewältigung, O. A., 2005, 6, S. 39-50, behandelt das weite Feld des imsowjetischen/russischen Archivwesen traditionellenSchlüsselbegriffs „Dokument“ mit seinen vielfältigen –und in der Vergangenheit häufig versuchten – Ausdeutun-gen. Erneut ist zu erkennen, dass sich die seit MitjaevsLehrbuch von 1946 bis zur Gegenwart mit ihren überwie-gend IT-gestützten „Dokumenten“ stets gewandelten Defi-41 Montefiore (wie Anm. 39), S. 78.

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nitionen nur im weitesten Sinne auf einen gemeinsamenNenner bringen lassen und die diesbezüglichen Diskussio-nen häufig auf einer sehr theoretischen Ebene bleiben. Vgl.auch: E. A. Pleskevic: Das Wissen über das Dokument –zur Geschichte dieser Frage, O. A., 2003, 4, S. 25-32.

6. Bewertung und Bestandsergänzung

Zu Inhalt, Umfang und Ergänzung des im Abschnitt 2, §§ 5-12, des russischen Archivgesetzes vom Oktober 2004ausführlich behandelten Archivfonds der RF (AFO RF): V.A. Savin: Der AFO RF als Erkenntnisobjekt. Der histori-sche Aspekt, O. A., 2005, 2, S. 21-28. – T. E. Sabanova:Geschichte und Praxis der Bestandsbildung der Dokumen-te des AFO RF ebd., S. 28-34. – A. G. Ceresnja: Die Stra-tegie für die Bildung des AFO RF, O. A., 2003, 5, S. 21-25. –Diskussionsbeitrag dazu von V. A. Eremcenko, O. A.,2004, 1, S. 25-30.

Zur Bewertung von Archivgut: O. A., 2004, 4, S. 37-44. –Arbeit mit „besonders wertvollen Dokumenten“42 in denStaatsarchiven der RF, O. A., 2004, 3, S. 16-24. – N. I. Himi-na: Die staatliche Registrierung einmaliger Dokumente(unikal’nye dokumenty)43 des AFO RF. Geschichte undgegenwärtiger Stand, O. A., 2004, 6, S. 49-52. – Bewertungvon elektronischen Dokumenten, O. A., 2003, 5, S. 26-37. –Vgl. auch H. Walberg: Elektronische Dokumente inArchiven, O. A. 2004, 1, S. 72-79.

7. Erhaltung und Sicherung der Archivdokumente

Am 28. Oktober 2003 fand auf Initiative des Komitees fürWissenschaft, Kultur, Bildung, Gesundheitswesen undÖkologie des Föderationsrates der RF eine parlamentari-sche Anhörung zum Thema „Erhaltung des kulturellenund historischen Gedächtnisses der Nation. Bibliothekenund Archive Russlands“ statt. Ein wesentlicher Aspekthierbei waren die berechtigten Forderungen der Archiva-re nach angemessener personeller, räumlicher und techni-scher Ausstattung der Archive, um der Sicherung desumfangreichen kulturellen Erbes gerecht werden zu kön-nen. O. A., 2003, 6, S. 3-8.

Aus Anlass von Dokumenten-Diebstahl im zentralenrussischen Literaturarchiv (vgl. oben, 2.2.) äußerte sich T. E. Sabanova, Abteilungsleiterin von Rosarchiv fürSicherung und staatliche Registrierung der Dokumenteund Archivtechnik, zu vorbeugenden Maßnahmen gegenDiebstahl und kritisierte die häufig unzureichende techni-sche Ausstattung der Archive, vor allem auch in Bezug aufdie Sicherheitssyeme, O. A., 2005, 5, S. 54-56. V. P. Kozlovsieht hinsichtlich der Diebstahlgefahr die „größte Bedro-hung im Verrat am Berufsethos“ (S. 57-60).

8. Internationale Zusammenarbeit

Bericht von der Tagung des Exekutivkomitees des Interna-tionalen Archivrates (IAR), 10.-12. Juni 2003, Moskau; O. A., 2003, 4, S. 3-11. – XV. Internationaler Archivkongress,2004, Wien; Beschlüsse, Empfehlungen, Berichte der Teil-nehmer; O. A., 2004, 6, S. 7-18.

Trotz mancher Hemmnisse bei der Benutzung russi-schen Archivgutes konnten in Realisierung nationaler undinternationaler Publikations- und Erschließungsprojektebeachtliche Erfolge erzielt werden. Zu nennen ist z. B. dasunter Schirmherrschaft des Europarates auf der Grundla-ge eines 1996 zwischen Rosarchiv und dem IAR abge-schlossenen Rahmenabkommens durchgeführte Großpro-jekt der Computerisierung des Kominternarchivs mit brei-ter internationaler Beteiligung;44 die Präsentation derErgebnisse dieses Projekts fand am 27. Juni 2003 in Mos-kau statt; O. A., 2003, 4, S. 102 f.

Hingewiesen sei auch auf das von Rosarchiv, demStaatsarchiv der RF und dem deutschen Bundesarchivgetragene Projekt zur komplexen Bearbeitung der SMAD-Bestände 1945-1949, das den Aufbau eines „ElektronischenArchivs“ der SMAD-Bestände45 und andere Erschließungs-und Publikationsvorhaben umfasst. Erschienen sind u. a.ein „Sachthematisches Inventar zur Kulturpolitik derSMAD 1945-1949“46 und, Sept. 2004, ein zweibändigerKatalog der offenen und teilweise gesperrten Akten desZentralapparates der SMAD und der Länderverwaltungender SMA.47

USA: T. S. Volkova: Die rechtliche Situation bei derAufbewahrung und Nutzung der „Präsidenten-Papiere“ inden USA, O. A., 2005, 2, S. 66-81.

V. N. Garmas und N. I. Himina: Die Bildung einesSicherungsfonds der Archivdokumente in den USA, O. A.,2005, 5, S. 85-91. Behandelt wird die seit Ende der 1930erJahre von der National Archives and Record Administrati-on (NARA) durchgeführte Verfilmung wichtigen Archiv-gutes, ab 1948 auch Verfilmung der deutschen Beuteakten(S. 85). Nicht zuletzt geht es um die Sicherung der sogenannten „vital records“, d. h. derjenigen Dokumente, diefür die Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Regierungs-und Verwaltungshandelns im Katastrophenfall notwendigsind.

Frankreich: V. B. Prozerova berichtet über das ersteJahrzehnt der Tätigkeit der seit Mai 1990 in Paris bestehen-den „École nationale du patrimoine“, einer staatlichenLehranstalt für alle mit der Erhaltung des französischen„nationalen Erbes“ befassten Berufe der Bereiche Archäo-logie, Archiv- und Museumswesen, Denkmalpflege, Archi-tektur usw. O. A., 2003, 2, S. 51-58.

42 Nach Archivgesetz, § 3,5, sind das Dokumente von „bleibendem kultur-historischem und wissenschaftlichem Wert“ und von „besonderer Wich-tigkeit für Gesellschaft und Staat“ mit einem „besonderen Regime derRegistrierung, Aufbewahrung und Nutzung“.

43 Das Archivgesetz, § 3,6, definiert sie als „besonders wertvolle Dokumen-te, die einmalig in Bezug auf ihre Informationen und/oder ihre äuße-ren Merkmale und unersetzlich bei Verlust wegen ihrer Bedeutungund/oder unter autographischen Gesichtspunkten“ sind.

44 Vgl. hierzu B. H. Bayerlein: Geschichtsforschung und Kommunismus-forschung. Archivrevolution im Kominternarchiv? In: Creuzberger/Lindner (wie Vorspann), S. 233-237.

45 Vgl. den entsprechenden Prospekt zum Internationalen Archivtag 2004,Moskau und Koblenz 2004, S. 6 ff., und Kai von Jena: Die Verwirkli-chung des Deutsch-Russischen Gemeinschaftsprogramms zum Studi-um, zur Auswertung und Reproduktion der Akten der SMAD, in: Mit-teilungen aus dem Bundesarchiv, 11 (2003), 2, S. 39-44.

46 Materialien aus dem Bundesarchiv, 12 (2004), 2, S. 97.47 Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, 12 (2004), 2, S. 97.

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Archive und Bestände

Traugott-Fuchs-Nachlass in Istanbul

Als vor 10 Jahren am 21. Juni in Istanbul der Romanist undGermanist, Dichter, Kunstmaler und Pianist TraugottFuchs (1906-1997) starb, hinterließ er ca. 200 Gemälde undeinen umfangreichen schriftlichen Nachlass. Er hat amamerikanischen Robert College, der späteren Bogazici Uni-versity 49 Jahre erfolgreich als Lektor und bald als Profes-sor gelehrt, vor allem türkische Studenten in deutscherSprache und Sprachgeschichte unterwiesen. Fuchs war sei-nem jüdischen Lehrer, dem Romanisten Leo Spitzer 1934ins türkische Exil gefolgt und bis zu seinem Tode dortgeblieben, nur unterbrochen von längeren Reisen, so zuBeginn der 50er Jahre nach Paris oder durch die Internie-rung 1944/45 nach Çorun in Anatolien.

Unterstützt vom Senior Experten Service (SES), einergemeinnützigen Stiftung der deutschen Wirtschaft fürinternationale Zusammenarbeit in Bonn, vermittelt durchdas VdA-Vorstandsmitglied Dr. Heiner Schmitt, konnteder kürzlich aus Altersgründen ausgeschiedene Direktordes Universitätsarchivs Leipzig, Gerald Wiemers, für dieersten ehrenamtlichen Arbeiten an dem Nachlass gewon-nen werden. Der Einsatz erfolgte vom 16. Februar - 16.März 2007 und stand unter der Leitung der HistorikerinProf. Dr. Selcuk Esenbel und der Anglistin Prof. Dr.Süheyla Artemel. Zusammen mit einer wissenschaft-lichen Hilfskraft, Suzan Kalayci, wurde der Nachlasszuerst vorgeordnet und eine Gliederung erarbeitet, die mitwachsenden Kenntnissen bis zum Schluss präzisiert undverändert wurde. Hinzu kam, dass der Nachlass durchausgeliehenes Material zunächst nicht vollständig war. Sokam ein von Dr. Hermann Fuchs (Heidelberg) transkri-biertes Tagebuch ebenso zurück wie Briefe von Leo Spitzeroder Erich Auerbach, die Prof. Dr. Martin Vialon in wissenschaftliche Abhandlungen aufgenommen oder dortzitiert hatte. Zwei laufende Meter unterschiedliche Manuskripte und Briefe aus dem Besitz von Prof. Dr.Süleyla Artemel vervollständigten den Nachlass, der nun22 lfm umfasst und teilweise in säurefreien Archivkartonsaus Deutschland eingefügt werden konnte.

Den größten Nachlassteil bilden die über 10.000 Briefeund Karten, die sachlich vorgeordnet werden konnten. ImMittelpunkt stehen hier die deutschen, meist jüdischenEmigranten und die Familieangehörigen in Schmalkalden,Dortmund und Athen. Einen Teil machen die Seminar- undVorlesungsunterlagen aus, die Manuskripte vom Mittelal-ter bis zur Moderne enthalten. Wissenschaftliche Texte wiedas Typoskript „Zur Etymologie des Wortes Mensch“ ver-vollständigen diesen Teil. Das Herzstück des Nachlassesbilden die 62 handschriftlich beschriebenen Tagebücherzwischen 1929 und 1985 (1990). Hinzu kommen poetischeTexte und zahlreiche Übersetzungen französischer undenglischer Dichter. Tausende Fotos von der Familie, seinenBesuchen in Schmalkalden oder Dortmund, aber auch vonseinen zahlreichen Schülern und Freunden, den Emigran-ten aus der NS-Zeit, bilden einen Fundus, der nur mit Hilfeder Familie sicher erschlossen werden kann.

Die Arbeit am Nachlass ist positiv beeinflusst wordendurch den Besuch des Neffen von Traugott Fuchs, Dr. Her-

mann Fuchs und dessen Ehefrau Gisela, durch denArchiv-Besuch der Leiterin des Goethe-Instituts in Istan-bul, Claudia Hahn-Raabe, und nicht zuletzt durch eineSendung des deutschsprachigen türkischen Fernsehensüber Traugott Fuchs und die deutsche Emigration 1933-1945. Für Mitte November 2007 ist eine Ausstellung an derBogazici University geplant, die an den großen PolyhistorTraugott Fuchs und seinen Kreis in Istanbul erinnern soll.

Leipzig Gerald Wiemers

Archivierung, Bewertung und Erschließung

Digitalisierte Baupläne im Landeskirchlichen ArchivKassel

Der Zerstörung Kassels im Zweiten Weltkrieg fielen auchdie meisten kirchlichen Einrichtungen zum Opfer. Die bau-liche Tätigkeit der Kasseler Gemeinden nach 1945 schlugsich u. a. in 2.130 Bauskizzen, -zeichnungen und -plänendes „Gesamtverbandes der Evangelischen Kirchengemein-den in Kassel“ nieder. Der Bestand der Bauzeichnungenumfasst 51 verschiedene Projekte aus 24 Gemeinden. DasMaterial stammt überwiegend aus den 50er, 60er und 70erJahren des 20. Jahrhunderts. Die Gesamtheit aller KasselerPläne stellt eine aussagekräftige und zeitlich wie räumlichdicht gestaffelte Dokumentation moderner deutscher Kir-chenbaukunst dar. Der Erhaltungszustand der gerolltenBaupläne war schlecht, das Material in höchstem Gradefragil. Viele Pergaminpapiere waren eingerissen, die Blau-pausen verblasst. Maßstabsgenaue Digitalisierung wardringend angesagt – umso mehr, als demnächst zahlreiche50-jährige Kirchbaujubiläen in Kassel anstanden und miteiner intensiven Nutzung der Archivalien zu rechnen war.

Im Rahmen einer Kooperation zwischen Landeskirch-lichem Archiv Kassel und Archivschule Marburg wurden1995 während einer Verzeichnungsübung des 29. wissen-schaftlichen Kurses neben 22 Metern Schriftgut auch dieBaupläne des Gesamtverbands Kassel erfasst. Die Bauplä-ne waren durch die Archivschule grob erschlossen undverpackt (ca. 10 – 20 gerollte Pläne in einer Falthülse). Für die bevorstehende Digitalisierung war jedoch eineEinzelblattverzeichnung notwendig. Erfasst wurden diebestehende Archivsignatur und ein sprechender Datei-name, Beispiel: 4012-7 / 0462-54_Martinskirche_+Kassel-Mitte_Kirche_Ansicht.

Die Einzelblattverzeichnung, die auch das Formaterfasste (kleiner oder größer DIN-A 1, wichtig zur Ermitt-lung der Gesamtkosten) und ob es sich um einen farbigenoder s/w-Bauplan handelte, wurde von zwei Archivmitar-beitern in Teamarbeit geleistet und hat insgesamt über dreiMonate hinweg ca. 80 Arbeitsstunden in Anspruch genom-men. Ergebnis war eine achtzigseitige Liste (26 % farbigePläne und 74 % s/w-Pläne). Farbige Pläne sollten nach derdigitalen Erschließung (256 Farben) auch als solche erkenn-bar bleiben, wurden also farbig digitalisiert. Die größereAnzahl an schwarz-weißen Plänen wurden zunächst siche-rungsverfilmt und dann digitalisiert. Dieses Vorgehen war

Archivtheorie und -praxis

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ohne Qualitätsverlust deutlich kostengünstiger. Die Daten-mengen von 40 GB fanden Platz auf einer externen Fest-platte (JPEG-Endformat). Es handelt sich im Einzelnen um1.692 s/w-Pläne, 277 farbige Pläne bis DIN-A 1 und 162 far-bige Pläne größer als DIN-A 1.

Die Digitalisierung mit einer Auflösung von 300 dpiwurde 2006 von der Firma Microformat Systems in Lissedurchgeführt. Die Digitalisierungskosten betrugen insge-samt 7.200,- €. Zur Sicherung wurden die Datensätze aufzwei weitere Festplatten kopiert und ein Satz DVD-Kopienangefertigt. Die Verknüpfung der Datensätze mit Thumbs-Plus erlaubt dank der intensiven Einzelblattverzeichnungim Vorfeld der Digitalisierung eine sofortige Recherchier-barkeit.

Vor der Digitalisierung gab es praktisch keine Nut-zungsmöglichkeiten – bei gerollten Bauplänen verbietetsich eine Nutzung aus Gründen der Bestandserhaltung.Nach der Digitalisierung der Bestände ist eine rationelleund effektive Nutzung möglich und findet auch statt. Derdigitale Zugang zu Beständen erweist sich als mitarbeiter-und benutzerfreundlich.

Digitale Erschließung bleibt jedoch während der Vorbe-reitungs- und Realisierungsphase immer eine Herausfor-derung. Nicht unterschätzt werden sollte die zu reservie-rende Zeit für die professionelle Aufbereitung der Daten,sprich für die gute, alte Verzeichnungsarbeit vorher odernachher – oft auch vor und nach dem technischen Vorgang„Digitalisierung“, der sich nach allen bisher gemachtenErfahrungen auch nicht „von selbst macht“. In der sichanschließenden Benutzungsphase aber greifen Rationali-sierungspotentiale. Schnellerer Zugriff und häufigere Nut-zung sind aufgrund strategischer Vorüberlegungen –durch die Wahl eines aussagekräftigen Dateinamens –bereits direkt nach der Digitalisierungsphase möglich undfinden inzwischen im Rahmen der Kirchbau-Jubiläums-vorbereitungen auch statt.

Gerollte Baupläne Gesamt-verband Kassel vor Erschlie-ßung und Digitalisierung1995

St. Martin zu Kassel Ostansicht (digital)

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 245

Mit den digitalen Bauplänen des Gesamtverbands Kas-sel verfügt das Landeskirchliche Archiv Kassel nach derDigitalisierung von 11.500 Fotos sämtlicher kirchlicherGebäude 2000 und Digitalisierung von 39.500 Fotos derSammlung beweglicher kirchlicher Kunstgegenstände(vasa sacra) 2001 bis 2004 über drei digital benutzbareBestände.1 Ein viertes Digitalisierungsprojekt zur Erschlie-ßung mittelalterlicher Einbandfragmente in kirchlichenArchiven aus Kurhessen-Waldeck läuft seit 2003.2

Kassel Bettina Wischhöfer

Archivtechnik

Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Massenver-fahren in der Bestandserhaltung

Seit der Einführung moderner Massenkonservierungsver-fahren werden in der archivischen und restauratorischenFachwelt Erfahrungen mit deren Anwendung vorgestelltund diskutiert (u. a. auch im vergangenen Heft 2/2007 die-ser Zeitschrift). Dabei spielt das Problem der Nebenwir-kungen stets eine große Rolle. Der Bestandserhaltungsaus-schuss der Archivreferentenkonferenz hat sich auftragsge-mäß mit diesem Thema beschäftigt und eine Ausarbeitunggrundsätzlichen Charakters verfasst, die hier abgedrucktwird. Sie ist auch im Internet unter www.la-bw.de abruf-bar.

In den letzten zehn Jahren haben sich die verschiedenenVerfahren zur Massenkonservierung von säurehaltigemPapier voll am Markt etabliert und sind inzwischen festerBestandteil des Spektrums von Konservierungsmaßnah-men. Der Bestandserhaltungsausschuss der ARK hatbereits 2001 in seinen „Empfehlungen zur Massenkonser-vierung“ detaillierte Hinweise zur Durchführung entspre-chender Projekte gegeben. Die im Folgenden dargestelltenÜberlegungen sind eher grundsätzlicher Natur. Sie versu-chen, auf die häufig gestellte Frage nach der Abwägungzwischen notwendigen Konservierungsmaßnahmen undihren unerwünschten Begleiterscheinungen einzugehen.Dieses Problem ist nicht auf größere Archivalienmengenbeschränkt.

Wirtschaftlichkeit als alleiniger Maßstab?Knappe personelle Ressourcen und stagnierende Haus-haltsmittel für Bestandserhaltung bei stetigem Zuwachs ankonservierungs- und restaurierungsbedürftigem Archiv-gut führen zu einem zunehmenden Kostendruck auf dieArchive, der Wirtschaftlichkeitsabwägungen immer mehrin den Vordergrund stellt.

Die Einrichtung zentraler Konservierungs- und Restau-rierungswerkstätten in mehreren Bundesländern war undist ein ermutigendes Zeichen für die Erhaltung des schrift-lichen Kulturguts, sie gründet auf Seiten der Archivträgerjedoch in der Regel auch in der Erwartung von Synergie-effekten und effektiveren Lösungen des Mengenproblems.Beschränkte, aber gebündelte Mittel angemessen fürbestandserhaltende Belange einzusetzen, hat verstärkt

dazu geführt, dass der auf das einzelne Archivale bezoge-ne Grundsatz „so viel Konservierung wie nötig, so wenigRestaurierung wie möglich“, mithin die Stabilisierung desgesamten zu behandelnden Archivguts, zu einer Leitstra-tegie des Handelns geworden ist.

Auf die Zunahme des behandlungsbedürftigen Kultur-gutes bei immer knapper werdenden Ressourcen haben dieArchive mit der Entwicklung von Strategien und integrier-ten Bestandserhaltungskonzepten reagiert. So wird die seit1961 betriebene Sicherungsverfilmung von Archivgutdurch die Möglichkeit, mithilfe von Schutzmedien die Ori-ginale zu schonen, zu einer indirekten Maßnahme derBestandserhaltung. Dem so genannten Säurefraß, der diePapiersubstanz im Zuge der natürlichen Alterungsprozes-se stets weiter schädigt, bemüht man sich mit zunehmendautomatisierten Entsäuerungsmaßnahmen zu begegnen.Hinzu kommt, dass in zentralisierten Werkstätten durchdie Parallelisierung der Arbeitsprozesse und die Normie-rung von Behandlungsmethoden, die den Einsatz vonangelernten Kräften zulässt, eine Beschleunigung der Bear-beitung und damit eine höhere Effizienz erreicht wurde.Die selbstverständlichen Begleiterscheinungen von Ratio-nalisierungseffekten werden allerdings häufig nicht ange-messen zur Kenntnis genommen.

Risiken und NebenwirkungenMengen- und Massenverfahren im Bereich der Bestandser-haltung bringen freilich auch Risiken und Nebenwirkun-gen – euphemistisch für zum Teil irreversible invasive Ein-griffe – mit sich, die von den mit der Maßnahme Beauftrag-ten abgewogen, minimiert und letztlich verantwortet wer-den müssen. Aufgrund der anfangs euphorischen und ausstrategischen Gründen vereinfachenden Berichterstattungüber die Entwicklung der angeblich „spurlosen“ Massen-entsäuerungsverfahren konnten fachfremde Entschei-dungsträger vermuten, eine Akte zu entsäuern funktionie-re ähnlich einfach wie sie zu photographieren oder in eineBox zu verpacken. Dies ist die Ursache dafür, dass nach wievor unrealistisch hohe Ansprüche an die Ergebnisse dieserVerfahren gestellt werden. Mitunter ist zudem eine undif-ferenzierte Pauschalablehnung der Entsäuerung zu beob-achten, die sich vor allem auf das „k.o.“-Argument derunerwünschten Veränderungen am Archivgut stützt. Es istAufgabe der Bestandserhaltung, hier Missverständnisseauszuräumen und die tatsächlichen Möglichkeiten undGrenzen dieser technisch komplexen Verfahren zu vermit-teln.

Bei den weitgehend automatisierten Entsäuerungspro-zessen ist es nicht zu erwarten, über die Gesamtmenge feh-lerlose Resultate zu erzielen. Wie bei jedem maschinellenProduktionsverfahren muss auch mit „Ausschuss“ gerech-net werden. Die Höhe dieser Fehlerquote ist von vielerleiFaktoren abhängig, die aber nicht Gegenstand diesesPapiers sind. Ausschlaggebend ist, dass bei Einsatz dieserVerfahren von vornherein akzeptiert werden muss, dass esFehler und ggf. sogar Verluste – Verluste an Authentizität,an Information, auch Totalverluste – geben wird. Zu denNebenwirkungen, die in Abhängigkeit vom gewähltenVerfahren in Kauf genommen werden müssen, zählen Ver-wellungen, Volumenzuwachs, ausgeblutete Stempelfar-ben, Newtonsche Ringe und Oberflächenablagerungen.Seltener akzeptieren wird man das Verblassen oder gar völ-lige Verschwinden von Tinten.

1 Siehe u. a. Bettina Wischhöfer, Digitale Archivierung von Fotosamm-lungen im Low-Budget-Bereich, in: Der Archivar (54) 2001, S. 311-314.

2 Konrad Wiedemann, Bettina Wischhöfer, Einbandfragmente inkirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Mediendes Landeskirchlichen Archivs Kassel 21), Kassel 2007.

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Ein weiterer Grund für die ablehnende Haltung einigersind die immer noch sehr hohen, zum Teil sogar gestiege-nen Kosten. Durch Massenentsäuerung von Beständenschon in Umfängen von zweistelligen laufenden Regalme-tern werden beträchtliche Mittel gebunden, die im Rahmeneines Bestandserhaltungsbudgets dann für andere Erhal-tungsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen – keineNebenwirkung, aber eine wichtige Begleiterscheinung.

Verfahrensbedingte EingriffeZu prozessbedingten Nebenwirkungen und grundsätzli-chen Risiken von Massenkonservierungsverfahren kom-men bewusst im Vorfeld der Behandlung vorgenommeneVeränderungen hinzu, die unter dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Abwägung die überlieferte Form des Archivgutsan die Erfordernisse der verwendeten technischen Verfah-ren anpassen; wünschenswert bliebe, die angebotenentechnischen Verfahren umgekehrt dem Archivgut anzu-passen.

Unter Archivaren und Restauratoren beispielsweiseumstritten ist das Lösen historischer Fadenheftungen, umbestimmte Massenverfahren zu ermöglichen. Will manArchivgut dem aus Sicht vieler Fachleute wirkungsvollstenEntsäuerungsverfahren, der wässrigen Einzelblattbehand-lung, zuführen, setzt dies die Vereinzelung der Blätter einerAkte voraus. Dies wird von einem Teil der Kollegen akzep-tiert, von einer Vielzahl aber auch wegen der erheblichenVerluste an Authentizität und intrinsischem Wert desArchivguts kategorisch abgelehnt.

Die Auflösung von Fadenheftungen zum Zwecke deranschließenden Entsäuerung (oder auch zur beschleunig-ten Behandlung in parallelisierten Arbeitsprozessen ineiner Werkstatt) steht also paradigmatisch für das Dilem-ma, sich bei Anwendung von Massenverfahren zugunstender Sicherung des weitaus größeren Teils der zu behan-delnden Objekte mit der Beschädigung oder gar dem Ver-lust eines kleinen Teils abfinden zu müssen.

Weitere verfahrensbedingte Eingriffe sind das (wennauch temporäre) Ablösen von aufgeklebten Zetteln, dasEntnehmen von Photos oder ORMIG-Kopien und über-haupt die Vereinzelung von Blättern aus einer Heftung.

Wahl der Konservierungsmethode als archivarische BewertungsentscheidungBestandserhaltung ist immer auch eine Frage der archivi-schen Bewertung, ist tatsächlich eine zweite Bewertung,die festlegt, ob und in welcher Form Archivgut dauerhafterhalten bleibt. Deren Prioritäten und Zielsetzungen habenArchivare festzulegen und zu verantworten – wohl wis-send, dass ihre Entscheidungen für manche Bestände dieRettung, für andere die schleichende, aber faktische Kas-sation bedeuten können. Die Kosten-Nutzen-Risiko-Abschätzung hat dabei für jeden Bestand, u. U. für einzel-ne Archivalien immer aufs Neue historische (Quellen-wert), juristische (Sicherung), archivfachliche (Nutzung),konservatorische (Schäden) und wirtschaftliche (Kosten)Aspekte abzuwägen. Diese Aspekte können sich wider-sprechen. Das Ergebnis der Abschätzung und die darausresultierende Entscheidung sind – wie bei jeder Bewertung– nachvollziehbar darzulegen. Archivarinnen und Archiva-re müssen sich zur Vorbereitung dieser Entscheidungrestauratorische Fachberatung suchen, dürfen sie unddamit auch die Verantwortung aber nicht auf Restaurato-

ren abwälzen. Ein Zurückziehen auf „restauratorischeEthikprinzipien“ tut zum einen der modernen Restaurie-rung unrecht und ist außerdem wenig hilfreich für einerationale Entscheidungsfindung.

Bestimmte Risiken konservatorischer Massenverfahrenkönnen durch Entnahme oder spezielle Behandlunggefährdeter Objekte und Materialien sowie langfristigdurch eine Verbesserung der Verfahren reduziert werden.Es bleiben indes immer Risikopotentiale, und eine exakteVorhersage des tatsächlichen Auftretens von Nebenwir-kungen ist nicht möglich.

Entscheidend für die Abwägung von Risiken undNebenwirkungen ist die Frage der Fehlertoleranz: Geradebei bestandserhaltenden Maßnahmen, bei denen die‚Nebenwirkungen’ unvermeidlich sind, hat eine umsichti-ge Abwägung aller Möglichkeiten stattzufinden; dies kön-nen präventive, konservatorische oder restauratorischesein, selbst die Nicht-Behandlung kann eine ernst zu neh-mende Alternative darstellen, wobei auch hier das Risikobewertet werden muss.

Die kostenintensive konservatorische oder restauratori-sche Einzel- oder Mengenbehandlung ist dabei immer nurals letzter Schritt zu betrachten. Sie ist einzubetten in einintegratives Bestandserhaltungskonzept, das auf derGrundlage einer Analyse der Schäden, Schadensfaktorenund Schadensrisiken neben präventiven Maßnahmen(Lagerung, Verpackung) auch die späteren Nutzungsmög-lichkeiten der behandelten Bestände gerade auch über dieVerwendung von Schutzmedien berücksichtigt. Sie istunerlässlich, will man die Bestände auf Dauer im Originalbewahren, ihren Zustand aber nicht nur erhalten, sondernverbessern und nicht nur ihre Informationen als Abbildsichern oder ihren Zerfallsprozess durch optimale Lage-rung verlangsamen.

Der Interessenkonflikt ist damit freilich nicht beseitigt,sondern lediglich die Entscheidungsfindung transparentgemacht. Ist einmal auf der skizzierten fachlichen Basis dieEntscheidung gefallen, einen Bestand einem Mengenver-fahren wie etwa der Massenentsäuerung zuzuführen, sobleibt die Aufgabe, gegenüber den Kolleginnen und Kolle-gen, den Vorgesetzten, dem Archivträger und letztlich derinteressierten Öffentlichkeit dafür einzustehen, dass mansich aufgrund einer Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägungbewusst und verantwortungsvoll für eine Maßnahme mitNebenwirkungsrisiko entschieden hat.

Folgerungen und Forderungen1. Bestandserhaltung muss integrativ alle Bereiche von der

Prävention über Konservierung und Restaurierung biszur Konversion einbeziehen nach dem Grundsatz „soviel Konservierung wie nötig, so wenig Restaurierungwie möglich“.

2. Dem Massenproblem des in seiner Erhaltung gefährde-ten Archivguts kann erfolgversprechend nur durch denEinsatz von Massenverfahren der Konservierung undRestaurierung begegnet werden, auch wenn diese alleindurch den höheren Durchsatz größere Behandlungsrisi-ken bergen als eine klassische Einzelrestaurierung.

3. Die Abwägung von Behandlungsrisiken, Nebenwirkun-gen und Kosten ist eine archivarische Bewertungsent-scheidung, die im Einzelfall zu treffen ist und deren Kri-terien transparent darzustellen sind. Sie sollte demGrundsatz folgen, die Behandlungsmethoden dem

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Archivgut anzupassen, nicht umgekehrt. Pauschalbe-wertungen bestimmter Konservierungs- und Restaurie-rungsmethoden sind nicht möglich. Erforderliche Fach-beratung muss eingeholt werden.

4. Das Bestandserhaltungsmanagement hat die Aufgabe,Entscheidungen über Konservierungsmaßnahmen inkl.der in Kauf genommenen Risiken und Nebenwirkungeninnerhalb des Archivs und, falls erforderlich, auch dar-über hinaus plausibel zu vermitteln. Ein Konsens überdie gewählten Maßnahmen als Teil der Gesamtstrategiedes Archivs ist anzustreben.

5. Archivare und Restauratoren verfolgen das gleiche Ziel:den Erhalt von authentischem Kulturgut. Dabei habenbeide Berufsgruppen in der Regel keine Ideallösung ver-fügbar. Vielfältige Kompromisse sind zu schließen. Vor-und Nachteile bestimmter Verfahren sind abzuwägen.Diese Überlegungen bilden die Grundlage für verant-wortungsbewusstes Handeln. Hierzu entwickeln beideBerufsgruppen Wege der Verständigung unter- und mit-einander.

6. Es bleibt eine Herausforderung, durch technische Ver-besserungen und Weiterentwicklungen der Verfahren –etwa für die Entsäuerung von gebundenem Archivgut– einen Weg aus dem grundsätzlichen Interessenkonfliktbei der Entscheidung über die Anwendung von Massen-verfahren zu finden. Die Dienstleister sind dabei auf dieMitwirkung der Archive sowie deren Träger angewie-sen. Auch der breiten Öffentlichkeit muss vermitteltwerden, dass der stetige Zuwachs an restaurierungsbe-dürftigen Unterlagen eines effizienten und sparsamenMitteleinsatzes und zugleich vermehrter finanziellerAnstrengungen bedarf, die Wirtschaftlichkeitsabwä-gung aber nur ein Aspekt der gesetzlichen Aufgabe ist,öffentliches Archivgut auf Dauer zu bewahren undzugänglich zu halten.

Literatur (Auswahlliste)Banik, Gerhard: Technische Verfahren zur Papierentsäue-rung · Stand der Entwicklung · Qualitätssicherung (Exper-tengespräch zum Thema Massenentsäuerung, Immenstadt5.12.2003). www.klug-conservation.com/medien/pdf/aktuell/20030505_klug_expertentagung.pdf.

Bansa, Helmut: Strategie Bestandserhaltung. Eine Stu-die zur langfristigen Erhaltung des schriftlichen Kulturer-bes in Deutschland. 2006. www.uni-muenster.de/ForumBestandserhaltung/downloads/Strategie_Bestandserhal-tung_Bansa_2006.pdf.

Bansa, Helmut: Massenneutralisierung von Biblio-theks- und Archivgut. Entwicklungen und Aussichten, in:Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 46 (1999), S. 127-146. www.uni-muenster.de/Forum-Bestandserhal-tung/ kons-restaurierung/neutral-bansa.shtml.

Bender, Wolfgang: Die Massenentsäuerung vonArchivgut als ein Mittel der Bestandserhaltung, in: DerArchivar 54, 2001, S. 297-302. www.archive.nrw.de/archi-var/2001-04/A03.htm.

Bund-Länder-Arbeitsgruppe Papierzerfall. Bericht überUrsachen, Ausmaß, Wirkungen und Folgen des Papierzer-falls im Bibliotheks-, Archiv- und Verwaltungsbereichsowie Gegenmaßnahmen und Empfehlungen vom 15. Juni1992, in: Glauert/Ruhnau (Hg.), Verwahren, Sichern,Erhalten, S. 249-288.

Empfehlungen der KMK zur Erhaltung der vom Papier-zerfall bedrohten Archivbestände (Beschluss der Kultusmi-nisterkonferenz vom 17.2.1995, in: Glauert/Ruhnau(Hg.), Verwahren, Sichern, Erhalten, S. 289-304. www.lan-des-hauptarchiv-brandenburg.de/netCmsFrames.aspx?PageID=546&NavIndex=07.06.

Ernst, Albrecht: Anwalt des Archivguts. Die Funktiondes baden-württembergischen Bestandserhaltungsreferen-ten, in: Benutzung und Bestandserhaltung: neue Wege zueinem Interessensausgleich. Stuttgart 2000, S. 31-44.

Feindt, Wilfried: Methoden zur Mengenbewältigung:Arbeitsteilung, differenzierter Personaleinsatz, Automati-sierung von Arbeitsgängen, in: Weber, Hartmut (Hg.),Bestandserhaltung. Herausforderung und Chancen (Veröf-fentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 47), Stuttgart 1997, S. 101-112. www.landes-archiv-bw.de/sixcms/media.php/25/Weber_Herausf_Feindt.pdf.

Glauert, Mario / Ruhnau, Sabine: Bestandserhaltungbeginnt im Kopf, nicht im Geldbeutel, in: dies. (Hg.): Ver-wahren, Sichern, Erhalten. Handreichungen zur Bestands-erhaltung in Archiven (Veröffentlichungen der branden-burgischen Landesfachstelle für Archive und öffentlicheBibliotheken 1). Potsdam 2005, S. 1-12.

Gössi, Anton: Die Gefährdung des Archivguts durchdie Benutzung. Analyse und Prophylaxe, in: Benutzungund Bestandserhaltung: neue Wege zu einem Interessens-ausgleich. Stuttgart 2000, S. 7-30.

Hofmann, Rainer: Pflichtenheft für die Massenent-säuerung, in: Glauert/Ruhnau (Hg.), Verwahren,Sichern, Erhalten, S. 193-205.

Janis, Katrin: Restaurierungsethik im Kontext von Wis-senschaft und Praxis (Forum Denkmal und Restaurierung1), München 2005.

Massenkonservierung von Archivgut. Empfehlungender Archivreferentenkonferenz (Leiter der Archivverwal-tungen des Bundes und der Länder), ausgearbeitet vomRestaurierungsausschuss im Jahr 2001. www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/ife_publ_massenkons.pdf.

Stumpf, Marcus: Massenentsäuerung im LandesarchivNordrhein-Westfalen – Erfahrungen mit dem Neschen-Ver-fahren, in: Der Archivar 60, 2007, S. 112-118.

Uhl, Bodo: Die Verfilmung als Mittel der Bestandserhal-tung, in: Weber, Hartmut (Hg.), Bestandserhaltung. Her-ausforderung und Chancen (Werkhefte der staatlichenArchivverwaltung Baden-Württemberg 2), Stuttgart 1997,S. 339-351. www.landesarchiv-bw.de/sixcms/ media.php/25/Weber_Herausf_Uhl.pdf.

Weber, Hartmut: Bestandserhaltung als Fach- und Füh-rungsaufgabe, in: ders. (Hg.), Bestandserhaltung in Archi-ven und Bibliotheken (Werkhefte der staatlichen Archiv-verwaltung Baden-Württemberg 2), Stuttgart 1997, S. 135-155. www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/weber_1992_weber3.pdf.

Leichtbauweise für schwer handhabbare Brocken

Neuer Planschrank für großformatige historische Karten imStaatsarchiv SigmaringenHandgezeichnete Karten und Pläne der vergangenen Jahr-hunderte erfreuen sich bei Archivarinnen und Archivarenstets großer Beliebtheit. „Geschichte auf einen Blick“ kannmit ihnen auf einfachste Weise in Ausstellungen und Füh-

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rungen vermittelt werden. Die ästhetischen Objekte habenaber auch ihre Schattenseiten. Verblassende Farben, ver-formte Leinenkaschierungen oder durch Faltungen hervor-gerufene Risse und Fehlstellen trüben die Freude amUmgang mit den wertvollen historischen Dokumenten. Beider Nutzung und Lagerung sind daher besonders strengekonservatorische Maßstäbe anzulegen. Dies gilt umsomehr, wenn es sich um überformatige Karten und Plänehandelt, die in herkömmlichen Planschränken nicht ohneFaltung unterzubringen sind. Die vor einigen Jahren imStaatsarchiv Sigmaringen abgeschlossene Verfilmung derKarten auf Farbmakrofiches hat die Situation im Bereichder Nutzung immerhin deutlich entschärfen können. Einekonservatorisch befriedigende Lagerung der überformati-gen Karten war damit aber nicht erreicht. Noch immermussten die Objekte in gefaltetem Zustand in die Schrank-schubladen gelegt werden.

Nur mit einem entsprechend dimensionierten Karten-schrank war diesem Problem beizukommen. Bei derBeschaffungsplanung waren allerdings nicht nur diebegrenzten räumlichen Verhältnisse des im schrägwandi-gen Dachgeschoss des Staatsarchivs untergebrachten Kar-tenmagazins zu berücksichtigen, sondern auch die teilwei-se sehr beengten Zugangswege im Gebäude, die die Trans-portmöglichkeit großer Schrankelemente zum vorgesehe-nen Aufstellort bedenklich einschränkten. Zudem sollteaus konservatorischen und Brandschutzgründen aufSchweißarbeiten im Kartenmagazin unbedingt verzichtetwerden. Wegen ihrer Bauart konnten deshalb die meistender von renommierten Fachfirmen angebotenen Schrank-modelle, seien sie nun aus Stahl oder Aluminium, keineBerücksichtigung finden.

Eine Lösung wurde schließlich mit einem in Leichtbau-weise konstruierten Modell aus Aluminiumrahmen gefun-den, das vorwiegend im Museumsbereich für die Verwah-rung textiler Objekte eingesetzt wird. Der Clou bei diesemSystem sind so genannte Tablare, die aus verschraubtenAluminiumrahmen bestehen und als Boden statt einer

festen Metall- oder Kunststoffplatte lediglich einen reißfes-ten Polyesterstoff haben. Die auf der Unterseite über ange-schraubte Querstäbe versteiften und gespannten Tablarewerden auf Gleitschienen wie Schubladen in das Schrank-gehäuse eingeschoben. Das Schrankgehäuse selbst bestehtebenfalls aus Aluminiumrahmen und Aluminium-Kunst-stoffplatten und ist an der Frontseite durch einen Stoffbe-zug mit Klettverschluss verschlossen.

Nach zwei Montagetagen war das Großmöbel im Kar-tenmagazin des Staatsarchivs aufgestellt. Bei den Innenma-ßen 3254 x 2454 Millimeter konnten nun sämtliche 58 über-formatigen Karten, die für den Schrank vorgesehen waren,bequem und faltenfrei gelagert werden. Dabei war ein vonder Herstellerfirma angefertigter Legeplan, der auf derGrundlage der genauen Abmessungen der einzelnen Kar-ten EDV-gestützt erstellt wurde, sehr hilfreich. Die Kapa-zität des Schranks konnte auf diese Weise optimal ausge-nutzt werden.

Die Handhabung der Tablare ist wegen des geringenEigengewichts sehr einfach und bietet den besonderen Vor-zug, dass ein Tablar mit nur zwei Personen vollständig ausdem Schrank herausgenommen und auf einen Kartentischgelegt werden kann. Die Betrachtung selbst der größtenKarten ist somit ohne jegliche Berührung möglich. Bedenktman, dass der neue Schrank auch preislich zum Teil sehrdeutlich unter den Vergleichsangeboten geblieben ist, hatdie Bestandserhaltung im Staatsarchiv Sigmaringen gleichdoppelt gewonnen.

Sigmaringen Franz-Josef Ziwes

EDV und Neue Medien

Neues Internetportal „Archive in NRW“ online

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen hat das Internet-portal „Archive in NRW“ neu gestaltet und ausgebaut. Seitdem 2. Mai 2007 ist das neue Informationssystem unter der

Startseite des Internetportals„Archive in NRW“

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 249

bekannten Internetadresse www.archive.nrw.de online. Esbietet nun allen Archiven in Nordrhein-Westfalen die Mög-lichkeit, neben den bereits bekannten Angeboten (Informa-tionen zum Archiv und Beständeübersichten) auch Online-Findbücher und Archivalienabbildungen in einem landes-weiten Portal zu präsentieren.

Besucher(innen) der Website www.archive.nrw.deerwartet ein neues, farbenfrohes Design. Die unterschied-lichen Farben stehen für die am Internetportal beteiligtenSparten und ermöglichen so eine schnelle Orientierung.Neu ist für die Nutzer(innen) des Internetportals auch dasim Aufbau befindliche Angebot an Online-Findbüchernund Archivalienabbildungen. Zudem können Archivalienüber eine optionale „Warenkorbfunktion“ für den Besuchim Lesesaal des Archivs vorbestellt werden. Nutzer(innen)der nordrhein-westfälischen Archive können ihren Archiv-besuch so besser vorbereiten und planen.

Für die teilnehmenden Archive blieben die Funktiona-litäten und Daten des bisherigen Internetportals erhalten.Über eine Online-Datenbank können sie zusätzlich nunauch Findbücher einstellen und Archivalienabbildungenzu einzelnen Verzeichnungseinheiten zuordnen. DieAdministration der allgemeinen Informationen zu denteilnehmenden Archiven erfolgt über ein Content-Manage-ment-System, das mehr Komfort und mehr Freiheiten alsbislang bei der Gestaltung der Seiten ermöglicht.

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, das zugleichBetreiber des Portals und teilnehmendes Archiv ist, hatdiese Möglichkeiten bereits genutzt und seine Internetsei-ten komplett neugestaltet: Übergreifende Inhalte zur Orga-nisation und den Aufgaben des Landesarchivs, zu seinenBeständen und Serviceangeboten werden in einer Menü-leiste am linken Bildschirmrand präsentiert. Hier findeninteressierte Kolleg(inn)en aus Archiven und verwandtenFachbereichen ab sofort auch archivfachliche Informatio-nen des Landesarchivs Nordhrein-Westfalen. Über einehorizontale Menüleiste gelangen die Besucher(innen) der

Website zu den Angeboten der sieben Abteilungen desLandesarchivs Nordrhein-Westfalen. Die vielfältigen Infor-mationen zu den einzelnen Abteilungen des Landesarchivsreichen von Angaben über die Zuständigkeit der jeweili-gen Abteilung, ihre Geschichte und ihre Organisation biszu nützlichen Hinweisen auf Nutzungsbedingungen undServiceangebote. Zahlreiche Findbücher des Landesar-chivs Nordrhein-Westfalen sind dort bereits jetzt onlineeinsehbar. Die Zahl der Online-Findbücher des Landesar-chivs wird zukünftig weiter ausgebaut werden. Auch inden Katalogen der Dienstbibliotheken kann auf den Seitender dezentralen Archivabteilungen (HauptstaatsarchivDüsseldorf, Staatsarchiv Münster, Staats- und Personen-standsarchiv Detmold und Personenstandsarchiv Brühl)recherchiert werden.

Die Beständeübersichten, Findmittel, Archivalienabbil-dungen und Inhalte des Archivportals werden dezentraldurch die teilnehmenden Archive gepflegt. Sowohl dieDatenbanklösung als auch das Content-Management-System sind so benutzerfreundlich gestaltet, dass jedesArchiv nach einer entsprechenden Schulung seine eigenenSeiten bequem selbst pflegen kann. Schulungen zur Nut-zung des Content-Management-Systems und der Online-Datenbank werden für die teilnehmenden Kommunalar-chive über das LWL-Archivamt in Münster (Ansprechpart-ner: Dr. Peter Worm, [email protected]) und das Rhei-nische Archiv- und Museumsamt in Brauweiler (Ansprech-partner: Dr. Florian Gläser, [email protected]) angebo-ten. Schulungen für die anderen teilnehmenden Archivekönnen direkt über das Landesamt für Datenverarbeitungund Statistik (LDS NRW) gebucht werden. Informationenzu den Schulungen des LDS NRW erhalten Sie bei derAbteilung Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeit desLandesarchivs Nordrhein-Westfalen (Ansprechpartnerin:Frau Dr. Wiech, [email protected]).

Jedes Informationsangebot im Internet lebt von derQualität und Menge der eingestellten Informationen. Das

Beispiel für ein Online Find-buch im Portal „Archive inNRW“, hier: StadtarchivLünen, Altes Archiv

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250 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen bittet daher ausdrück-lich die nordrhein-westfälischen Archive darum, ihre Infor-mationen zu aktualisieren und zu ergänzen. Teilnehmenkönnen alle Archive mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Infor-mationen zur Teilnahme am Archivportal erhalten Sie beider Abteilung Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeitdes Landesarchivs Nordrhein-Westfalen (Ansprechpartne-rin: Frau Dr. Wiech, [email protected]).

Düsseldorf Martina Wiech

Ganzheitliche elektronische Schriftgutverwaltung –Anforderungen der Prozessoptimierung

Aktuelle Probleme in DMS-Projekten im öffentlichen Sektor Häufig artikulieren Anwender die Kritik, Vorgangsbe-arbeitungssysteme (VBS) bzw. Dokumentenmanagement-systeme (DMS) nach dem DOMEA-Konzept wären zukomplex, würden die laufende Arbeit durch umständlicheVerfahren behindern und stellten somit weniger eine Ent-lastung der Verwaltungsarbeit dar, sondern verursachtenvielmehr zusätzlichen Aufwand. Eine angestrebte Prozess-optimierung sei mit diesen Systemen schwierig. Dieser Kri-tik steht entgegen, dass diese DMS nach dem DOMEA-Standard1 entwickelt wurden, der sich vollständig an dengeltenden Vorschriften zur Schriftgutverwaltung2 orien-tiert. Die Verwaltungspraxis hat sich vielfach von denInhalten der geltenden Rechtsgrundlagen entfernt. Die

willkürliche Ablage elektronischer Dokumente in den ver-schiedenen Dateiverzeichnissen, die Abteilungsablage, diepersönliche Ordnung; das freie Löschen oder Archivierenvon Emails im Mailprogramm; der mangelnde Zwang zurRegistrierung bereits durch die eingesetzten Lösungenwird durch DOMEA-VBS ausgeschlossen. Die Verwaltungwird faktisch gezwungen, die geltenden Vorschriften ein-zuhalten. Inwieweit diese den gewandelten Anforderun-gen noch entsprechen, wird derzeit breit diskutiert. DieVerwaltungsorganisatoren werden viele Regelwerke undVerwaltungsvorschriften an die geänderten technischenMöglichkeiten anpassen müssen.

Weitere Probleme bilden: – Individualanpassungen ohnehin komplexer Software – Verkomplizierung der Software – mangelnde Bedienbarkeit – mangelnde Einhaltung von Standards – Einführung des DMS in Teilbereichen, was kosteninten-

sive Medienbrüche zur Folge hat – führt zudem zu Hybridakten aus elektronischen und

papiernen Aufzeichnungen – steht einer Prozessoptimierung durch die digitale Bear-

beitung entgegen, deren Potenziale nur bei einer durch-gängig elektronischen Aktenführung vollständig nutz-bar sind.Zudem fehlt vielen DMS-Projekten die Unterstützung

durch die Leitungsebene. Die Projekte werden immer nochals reine Technik-Projekte betrachtet. Dabei stellen DMS-Projekte zu 70 % Organisationsprojekte dar. Der Technikan-teil beträgt gerade 30 %. Darüber hinaus besitzen die Pro-jektplanungen eine verkürzte, kurzfristige Sichtweise. Eswird nur die Entstehung und laufende Bearbeitung derDokumente betrachtet. Dies erfolgt vor dem Hintergrundgeltender gesetzlicher Aufbewahrungsfristen zwischen 5und 100 Jahren sowie der Anbietungspflicht für die laufen-de Bearbeitung nicht mehr benötigter Aufzeichnungengegenüber den staatlichen Archiven. Der größere Teil des

1 Vgl. DOMEA-Konzept. Organisationskonzept 2.1. Dokumentenmana-gement und elektronische Archivierung im IT-gestützten Geschäfts-gang., Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Berlin 2005 (Schriftenrei-he der KBSt, Band 61) i.V.m. www.kbst.bund.deAnlage306857/DOMEA_Anforderungskatalog_2.0.pdf.

2 Vgl. u. a. Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten vonSchriftgut (Akten und Dokumenten) in Bundesministerien. Bundesmi-nisterium des Innern (Hrsg.), Berlin 2001 i.V.m. Gemeinsame Geschäfts-ordnung der Bundesministerien. Bundesministerium des Innern(Hrsg.), Berlin 2000.

Neuer Internetauftritt desLandesarchivs Nordrhein-Westfalen im Portal „Archivein NRW“

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Lebenszyklus elektronischer Dokumente, die Aufbewah-rung in der Altregistratur oder die dauerhafte Verwahrungim historischen Archiv, wird in die DMS-Planung nicht ein-bezogen.

Dabei werden die Anforderungen und Grundlageneiner langfristigen Aufbewahrung in der Masse bei derEinführung von DMS sowie der Entstehung von Doku-menten definiert, hängen die einzelnen Phasen des Lebens-zyklus elektronischer Dokumente unmittelbar zusammen.

Verknüpfung der Phasen des Dokumenten-LebenszyklusEinzelne Anforderungen besitzen Bedeutung für alle Phasen des Lebenszyklus elektronischer Dokumente.Interoperabilität bildet die Grundlage zum Dokumenten-austausch zwischen verschiedenen Funktionen, Arbeitsbe-reichen und Systemen und damit zur Abbildung digitalerGeschäftsprozesse sowohl in Eingang und Bearbeitung alsauch der Auslagerung in die Altregistratur. Fehlende Inter-operabilität verhindert zudem eine Abgabe archivwürdi-ger Aufzeichnungen an das zuständige staatliche ArchivDie Anforderungen an die digitale Archivierung zur lang-fristigen Erhaltung von Authentizität, Integrität und Ver-lässlichkeit der elektronischen Akten gelten bereits für dieVerwahrung im Rahmen der gesetzlichen Aufbewahrungs-fristen in der Altregistratur, also noch vor dem historischenArchiv. So gilt es die Dokumente rechtssicher, d. h. ggf. mitdigitaler Signatur langfristig lesbar, nutzbar und vor allembeweiskräftig sowie in vollständigen digitalen Akten zuerhalten. Zudem ist die spätere Abgabe an die Archivesicherzustellen. Des Weiteren ist die Aktenvollständigkeitentscheidend für die gesetzlich verankerte Transparenzund Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns unddamit für die laufende Bearbeitung zu beachten. Gleich-falls verhindern unvollständige Akten die Rechtsverbind-lichkeit, Wiederauffindung und schlussendlich den voll-ständigen historischen Nachweis der Tätigkeit der entspre-chenden Verwaltung. Dieser Faktor besitzt somit Bedeu-tung von der laufenden Bearbeitung bis hin zum histori-

schen Archiv. Ein validiertes Aussonderungsverfahrenermöglicht die Anbietung von Aufzeichnungen mit abge-laufener Aufbewahrungsfrist bzw. solcher, die für die lau-fende Bearbeitung nicht mehr benötigt werden gegenüberdem zuständigen staatlichen Archiv. Es inkludiert Mecha-nismen für die Bewertung der Archivwürdigkeit durch dasArchiv sowie die anschließende Übernahme ins Archiv beiArchivwürdigkeit oder den Vermerk über die Genehmi-gung zur Vernichtung (Kassation) bei Bewertung als nichtarchivwürdig. Ein solches Verfahren ist vor Einführung desDMS zu definieren und in den Anforderungskatalog fürdie Ausschreibung des Systems zu übernehmen – eine Ein-beziehung des gesamten Dokumentenlebenszyklus in dieDMS-Planung für diese Funktion somit entscheidend.

Eine rechtverbindliche und effiziente elektronischeAktenführung bedingt somit die Einbeziehung aller Pha-sen des Lebenszyklus elektronischer Aufzeichnungen. Dieeinzelnen Phasen greifen ineinander und sind voneinanderabhängig. Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Ver-waltungshandelns bilden die Säulen einer rechtsstaatli-chen Verwaltung und letztlich einer aussagekräftigenÜberlieferung. Im Hinblick auf die Erfahrungen der Praxisbedingt die Erfüllung entsprechender Anforderungen anVBS verbindliche Standards und Richtlinien sowie darausabgeleitet standardisierte Systeme.

Die aktuellen Probleme von DMS-Projekten wie ver-kürzter Projektfokus, mangelnde Interoperabilität derSysteme, die Betrachtung als reine Technikprojekte, man-gelnde Aktenvollständigkeit führen nicht nur zu deut-lichen Kostensteigerungen, sondern gefährden explizit dieRechtsverbindlichkeit des Verwaltungshandelns und stel-len schlussendlich das digitale Erbe unserer Wissensgesell-schaft in Frage.

Zur Erhaltung der Rechtssicherheit des Verwaltungs-handelns und dessen Kosteneffizienz ist eine ganzheitlicheelektronische Schriftgutverwaltung die entscheidendeGrundlage. Eine solche Aktenführung bezieht den gesam-ten Dokumentenlebenszyklus von der Entstehung bis zum

Zyklus/Anforderung Entstehung Bearbeitung Altregistratur Archiv

Interoperabilität ++ ++ ++ ++

Erhaltung Authentizität Integrität Verlässlichkeit – + ++ ++

Aktenvollständigkeit + ++ ++ ++

Rechtssicherheit des Verwaltungshandelns + ++ ++ –

Integration und Erhaltung elektronische Signatur + ++ ++

Verbindliche Richtlinien ++ ++ ++ ++

Konzept Datensicherheit und Datenschutz ++ ++ ++ +

Validiertes Aussonderungsverfahren – – – – ++ ++

Erhaltung Entstehungs-zusammenhang – – – – + ++

++ = für diese Phase von besonderer Bedeutung + = für diese Phase von Bedeutung – = für diese Phase von geringerer Bedeutung – – = für die Phase ohne Bedeutung

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historischen Archiv resp. der Kassation bereits bei der Pla-nung eines DMS ein. Dieses Vorgehen ist medienunabhän-gig, oftmals projekt-und organisationsübergreifend sowieeine Symbiose aus kurz-, mittel- und langfristigen Pro-blemstellungen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Essetzt langfristige Annahmen für organisatorische und tech-nische Entwicklungen und versteht DMS-Projekte in ersterLinie als Organisations- und in zweiter Linie als Technik-projekte.

Ein Vorschlag für eine ganzheitliche elektronischeSchriftgutverwaltung stellt folgender Dokumentenlebens-zyklus dar:

Die Transferzeit orientiert sich am DOMEA-Konzeptund dient der zeitlich begrenzten Vorhaltung abgeschlos-sener Aufzeichnungen in der erstellenden Behörde, solan-ge diese Unterlagen einer bestimmten Zugriffsrate unter-liegen. DOMEA setzt hier drei Jahre an, ein Zeitraum, wel-cher durch die Verwaltung individuell definiert werdenkann. Nach Abschluss der Transferzeit werden die Unter-

im Rahmen gesetzlicher Aufbewahrungsfristen sowie derAussonderung an die staatlichen Archive einschließlicheiner dauerhaften Archivierung signifikant. Bei einer ganz-heitlichen elektronischen Aktenführung werden dieseKosten nicht nur gleichmäßig auf die einzelnen Phasenverteilt, sondern aufgrund durchgängiger, optimal ab-gestimmter Prozesse eine deutliche Kostensenkung erzielt.Die Nutzung der Optimierungspotenziale der digitalenAktenführung bedingt eine ganzheitliche elektronischeSchriftgutverwaltung – ein Dokumenten-Lifecycle-Management (DLM) der öffentlichen Verwaltung. DLMbildet die Grundlage zur Erhaltung der Rechtssicherheitdes Verwaltungshandelns und zur Effizienz der elektroni-schen Aktenführung und damit schlussendlich auch dieGrundlage einer archivischen Bewertung sowie in derFolge des vollständigen und aussagekräftigen digitalenErbes der Wissensgesellschaft.

Berlin Steffen Schwalm

lagen an eine zentrale digitale Altregistratur, bspw. einSpeichersystem eines öffentlichen Rechenzentrums, über-stellt. Hier erfolgt die rechtsverbindliche Verwahrung imRahmen der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen. Nachderen Ablauf werden die Unterlagen in einem validiertenVerfahren automatisiert ausgesondert und dem zuständi-gen Archiv zur Übernahme angeboten. Die als archivwür-dig bewerteten Aufzeichnungen werden dem Archiv auto-matisiert übergeben, die nicht archivwürdigen (kassablen)rechtssicher vernichtet.

Ohne eine ganzheitliche elektronische Schriftgutver-waltung – ein Dokumenten-Lifecycle-Management steigendie Kosten zur Sicherung einer rechtssicheren Verwahrung

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Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unter-lagen aus digitalen Systemen“ 1

„Erfahrungen mit der Übernahme digitaler Daten“ lautetedas Thema der vom Stadtarchiv Stuttgart ausgerichteten11. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unter-lagen aus digitalen Systemen“2, zu der sich rund 40 Teil-nehmer aus der Bundesrepublik und der Schweiz am20./21. März 2007 im Stuttgarter Rathaus einfanden.

In ihrem Grußwort unterstrich Bürgermeisterin Susan-ne Eisenmann die Rolle der Archive im Zeitalter derElektronisierung des Lebens und der Arbeitswelt als Kom-petenzzentren für die langfristige Erhaltung digitaler Infor-mationen.

In Anknüpfung an diese Feststellung konkretisierte derLeiter des Stadtarchivs Stuttgart Roland Müller dieseneue Rolle der Archive am Beispiel seines eigenen Hauses:aus dem PC-freien Raum Kommunalarchiv ist innerhalbweniger Jahre eine Einrichtung geworden, die einen neuenSchwerpunkt auf die Übernahme digitaler Unterlagen set-zen will und setzen muss – und das bereits beim Entstehender digitalen Daten.

Zu Beginn der Sektion „Bewertung“ wurde auf die bis-lang vernachlässigte Thematisierung dieser zentralenFachkompetenz in der archivfachlichen Diskussion hinge-wiesen. Katharina Ernst (Stadtarchiv Stuttgart) stellte inihrem Eröffnungsvortrag einige grundsätzliche Überle-gungen zur Bewertung im digitalen Kontext an. Wo bei derBewertung analoger Unterlagen Redundanzen vermiedenwerden, nimmt das Stadtarchiv Stuttgart im digitalenBereich Doppelüberlieferungen bewusst in Kauf, wennDaten aus Fachverfahren auf Grund ihrer digitalen Formbestimmte Auswertungsmöglichkeiten für die Nutzungzulassen. Als weiteres Herausstellungsmerkmal derBewertung im digitalen Bereich betonte sie die zwingendeNotwendigkeit einer Prüfung der Archivfähigkeit vonObjekten. Diese ist nur bei Vorliegen einer Dokumentationgegeben.

Im Anschluss daran berichtete Peter Sandner (Haupt-staatsarchiv Wiesbaden) über erste Erfahrungen mit derBewertung digitaler Aufzeichnungen aus dem Dokumen-tenmanagementsystem (DMS) des Landes Hessen. AlsVorteile der Bewertung im DMS nannte er beispielsweisedie Möglichkeit einer vereinfachten Samplebildung durchautomatische Filterverfahren bei massenhaft gleichförmi-gen Objekten sowie eine Systematisierung der Überliefe-rungsbildung durch die zwingende Anwendung vonAktenplänen. Nachteile sah er in den sich veränderndenArbeitsbedingungen für die archivische Bewertungstätig-keit: abwechslungsarme Bildschirmarbeit bei der Einzelbe-wertung sowie Entpersönlichung des Bewertungsvor-gangs auf Grund abnehmender Behördenkontakte. In deranschließenden Diskussion sahen dagegen einige Teilneh-mer die Intensivierung der Beratung in der Schriftgutver-waltung als Möglichkeit, diesen Tendenzen entgegenzu-steuern.

Aus dem Projekt Langzeitarchivierung digitaler Unter-lagen des Landesarchivs Baden-Württemberg formulierteKai Naumann die Prämisse, dass Archive nur dann alshandlungsfähig wahrgenommen werden, wenn sie denNachweis der archivischen und technischen Kompetenzbei der Übernahme digitaler Unterlagen erbringen. Ausden bisher gewonnenen Erfahrungen wurden im Landes-archiv Grundsätze für die übergreifende Bewertung digi-taler Unterlagen aufgestellt. So berücksichtigt beispielswei-se eine komplementäre Überlieferungsbildung die medien-spezifischen Vorteile des digitalen wie auch des analogenObjektes3.

Die Problematik der Verdichtung von Informationendurch Bewertung bei digitalen Beständen aus Datenban-ken wurde in zwei Richtungen diskutiert: macht eineKomplettübernahme von z. B. Personendatenbeständeneine Bewertung obsolet, oder wird mit der Übernahmesämtlicher Datensätze von einzelnen Tabellen bzw. Felderneine andere Möglichkeit der Verdichtung von Informatio-nen geschaffen.

Rudolf Schmitz referierte über die Besonderheiten beider Archivierung von Websites am Beispiel der Seiten poli-tischer Parteien. Die Prozedur der Aussonderung undAnbietung entfällt hier, da der Archivar ohne Hinzuzie-hung des Provenienzbildners das Archivgut selbständigidentifizieren, sichern und gleichzeitig bewerten kann. Beider Bewertung spielen die Festlegung von Zeitschemata(Intervalle und Zeiträume) und bestimmten Anlässen eineentscheidende Rolle. Problematisiert wurde in deranschließenden Diskussion die Frage der Nachnutzungvon Bildrechten, die lediglich für einen begrenzten Zeit-raum gekauft wurden sowie das Entstehen von Doppel-überlieferung durch fehlenden Abgleich mit den Papierun-terlagen.

Der Vortrag von Thomas Schärli (Fachstelle für Infor-matik und Organisation Kanton Basel-Stadt) über ein pro-zessorientiertes archivisches Bewertungs-Referenzmodellim Kontext von e-Government löste eine lebhafte Diskus-sion über die Rolle des Archivars aus. Das Denken und Ein-bringen von archivischen Grundsätzen in e-Government-Prozesse wurde als positive Chance für das Berufsbildbegriffen.

In der zweiten Sektion „Speicherung“ stellte SteffenSchwalm (Infora GmbH) die verschiedenen Aufbewah-rungsformen (Papier, analoge Verfilmung, Digitalisie-rung/digitale Archivierung, Hybridverfahren) unter Wirt-schaftlichkeitsaspekten einander gegenüber. VerschiedeneTeilnehmer betonten in der anschließenden Diskussion,dass eine rein monetäre Betrachtung die qualitativenAnsprüche und gesetzlichen Verpflichtungen der Archivezu wenig berücksichtigt.

Christian Keitel und Rolf Lang (Landesarchiv Baden-Württemberg) präsentierten die im Landesarchiv ent-wickelte Anwendung zur digitalen Langzeitarchivierung(Digitales Magazin – dimag). Die digitalen Objekte werdenim Prototyp auf einem festplattenbasierten System an ver-schiedenen Standorten archiviert. dimag ist offen für alleArchivierungsstrategien (Migration, Emulation, Konver-sion) und passt sich der vorhandenen analogen Strukturdes Landesarchivs an (Signatur, Tektonik, ISAD(G)). Meta-

1 Ein Tagungsband wird als Sonderband in der Veröffentlichungsreihedes Stadtarchivs voraussichtlich im Herbst 2007 erscheinen.

2 Zum Arbeitskreis vgl. Thekla Kluttig, 10 Jahre Arbeitskreis „Archivie-rung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ – Bilanz und Ausblick, in:Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 1, S. 51-53.

3 Z. B. ist die Suche und Auswertung in Datenbanken komfortabler mög-lich als in Papierunterlagen.

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daten werden in diesem System sowohl mit den Objektenarchiviert, sind aber auch in der zur Anwendung gehören-den Datenbank recherchierbar. Das Landesarchiv nutzt einan PREMIS4 angelehntes Repräsentationsmodell, d. h. zujedem Objekt kann es eine Vielzahl von Erscheinungsfor-men geben. In der Diskussion wurde die Möglichkeit derpraktischen Handhabung solcher Mengen und dazugehö-render Metadaten kritisch hinterfragt.

Im Vortrag des Bundesarchivs (Karsten Huth, KathrinSchroeder) wurde die kommerzielle, auf die Anforderun-gen des Bundesarchivs angepasste Anwendung für dieÜbernahme von Massenakten aus unterschiedlichen Syste-men vorgestellt. Die in der web-basierten Lösung umge-setzten Anbietungs- und Bewertungsprozeduren, Map-pingverfahren, Standards und Qualitätskontrollen wurdenskizziert. Geplant ist eine Speicherung auf Bändern.

Im Gegensatz dazu wird seit 2006 beim Brandenburgi-schen Landeshauptarchiv (Ilka Stahlberg) ein festplatten-basiertes Archivierungssystem für die Übernahme elektro-nischer Akten aus den unterschiedlichen Dokumentenma-nagementsystemen (Centera der Firma EMC2) getestet.Aus Sicht des Archivs sind die systemimmanenten Prüf-prozesse (Integrität und Authentizität) der Centera-Appli-kation positiv zu werten. In der derzeitigen Lösung wer-den die Objekte nur an einem einzigen Standort archiviert.Die Nutzung proprietärer Technik wurde in Hinblick aufeine mögliche Abhängigkeit vom Hersteller kritisch disku-tiert.

Abschließend skizzierte Heike Maier die Archivie-rungslösung des Stadtarchivs Stuttgart, welche die vorhan-dene technische Infrastruktur (Backup) der Landeshaupt-stadt nutzt. Die Speicherung der digitalen Objekte erfolgtauf LTO3-WORM-Bändern, die sich in Tape-Libraries anzwei Standorten innerhalb der Stadt befinden. Für dasArchiv wird hierbei eine separate Archivierungspolicy hin-terlegt. Der Transfer der Objekte erfolgt über Tivoli StorageManager (TSM). Ausgehend von diesem Werkstattberichtund rückblickend auf die vorgestellten unterschiedlichenorganisatorischen und technischen Umsetzungen wurdedie Frage gestellt, wie kleine Archive die Problematik derdigitalen Langzeitarchivierung für sich lösen können.

Die dritte und letzte Sektion „Übernahme/Workflows“eröffnete Angela Ullmann mit ihrer Vorstellung derWorkflows für die Übernahme der Quellengattungen Bil-der, Webseiten und Videoaufzeichnungen im Parlaments-archiv des Deutschen Bundestages. Dabei reicht die Über-nahme von der Sicherung des Zugriffs und logischen Ver-wahrung bis hin zu heterogenen physischen Speicherlö-sungen für die unterschiedlichen digitalen Objekte. Per-spektivisch ist die Integration analoger und digitaler Meta-daten in einem Archivverwaltungssystem geplant. AngelaUllmann betonte dabei, dass sie sich bei Konzeption undUmsetzung konsequent und bewusst auf archivische Kern-kompetenzen zurückzieht und technische Lösungen IT-Dienstleistern überlässt.

Thomas Wollschläger (Deutsche Nationalbibliothek)berichtete aus dem Projekt kopal. kopal besteht einerseitsaus einem geschlossenen, kommerziellen System (TSM,DIAS) und andererseits aus Open-Source-Elementen (koLi-bri) für den Ingest. Bislang wurden u. a. Netz-Publikatio-

nen und Online-Dissertationen in halbautomatisiertenheterogenen Workflows an kopal zur Archivierung über-geben. Diese Verfahren sollen zukünftig automatisiert undhomogen umgesetzt werden. In der Diskussion wurdendie Grenzen des Projektes kopal bezüglich des Wachstums(Mandanten) und die Grenze des Netzwerkes thematisiert.

Den konkreten Workflow der Übernahme und Aufbe-wahrung digitaler Tonmitschnitte der Gemeinderatssit-zungen im Stadtarchiv Heilbronn stellte Miriam Eberleinvor. Hierbei werden die Audioaufnahmen zur dauerhaftenArchivierung auf dem städtischen SAN-Server an dasStadtarchiv übergeben. Der Workflow wird mit einer E-Mail des Schriftführers angestoßen. Die Aufzeichnungwird daraufhin vom Stadtarchiv sowohl in einem proprie-tären (aus der Anwendung STENO-S) als auch im WAVE-Format exportiert. Dabei werden öffentlicher und nicht-öffentlicher Sitzungsteil voneinander getrennt, Prüfsum-men und ein Archivierungsprotokoll erstellt. Miriam Eber-lein wertete dieses Verfahren als Beispiel einer Umsetzungvon OAIS mit handgestrickten Mitteln. Es wurde disku-tiert, ob derartige Audiodateien überhaupt archiviert wer-den dürfen, ob sie wie schriftliche personenbezogeneDaten zu behandeln sind und ob eine Komplementärüber-lieferung von Text und Audiofile sinnvoll ist.

Georg Büchler von der Schweizer Koordinationsstellefür die dauerhafte Archivierung elektronischer Unterlagen(KOST) berichtete u. a. über erste Projekterfahrungen beider Übernahme aus der relationalen Datenbank derGebäudeversicherung. Die beteiligten Archive und dieKOST entwickelten gemeinsam das Konzept eines Archi-val Information Package, stellten erste Überlegungen fürbestandserhaltende Metadaten (PREMIS) an und ent-wickelten ein Modell für die Benutzung. Aus den gewon-nenen Erfahrungen zog er das Fazit, dass neben vertikalenProjekten, die den gesamten Archivierungszyklus abbil-den, auch horizontale Projekte, die thematische Schwer-punkte setzen, notwendig sind. Verschiedene Archivehaben heterogenes Problembewusstsein, ungleiche Wis-sensstände und unterschiedliche Ressourcen bezüglich derdigitalen Langzeitarchivierung. Wie hierbei ein gemeinsamproduktives Vorgehen realisiert werden könnte, wurde dis-kutiert.

In der Abschlussdiskussion stand die Thematik„Zukunft der Provenienz“ sowie die Rolle der Archivareim Mittelpunkt. Es wurde die Frage gestellt, ob nicht diedigitale Überlieferung auch zu Verwerfungen in der archi-vischen Tektonik – ähnlich wie in der Geologie – führt, wasHeiterkeit und angeregte Diskussionen auslöste. Verändertsich möglicherweise die Tektonik an sich oder nur ihreDarstellung?

Wird es neben dieser inhaltlichen Veränderung nichtauch weitergehende Veränderungen im Berufsalltag vonArchivaren geben? Das Spektrum hier denkbarerZukunftsszenarien reichte vom Wegfall der Erschließungs-tätigkeit, d. h. einer automatisierten Übernahme vonBehördenmetadaten, bis hin zur nutzergerechten Aufberei-tung und Qualitätskontrolle der Metadaten bei der Über-nahme. Ersteres würde eine verstärkte Spezialisierung imBereich der Schriftgutberatung und Systemeinführungvoraussetzen, Letzteres würde bedeuten, dass Archivarezu Experten im Umgang mit Metadaten werden. Wirddaher der Archivar, der das gesamte archivische Leistungs-spektrum abdeckt, zukünftig eine immer geringere Rolle4 S. www.loc.gov/standards/premis (Stand: 05.04.2007).

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 255

spielen? Wird es daneben eine Schwerpunktverschiebunginnerhalb archivischen Arbeitens von der Erschließung zurBewertung und auch bei der Bewertung selbst geben? DieFokussierung auf den Nutzer kann hierbei zu einer Neu-orientierung führen, da von diesen nur noch nach der opti-malen Information und weniger nach Mediengattung oderProvenienz gefragt wird.

Atmosphärisch vermittelte die Tagung den Eindruck,dass der positive und aktive Umgang mit der Thematikdigitale Langzeitarchivierung für Archive neue Chanceneröffnet.

Stuttgart Heike Maier/Britta Panzer

Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung

Auswertung der Benutzerbefragung im BistumsarchivTrier im Jahr 2005

1. Ziel der BefragungWährend im Bistumsarchiv Trier zwischen 1992 und 1997Nutzerzahlen erhoben und in Besucherstatistiken darge-stellt worden sind, fehlen entsprechende Daten für die fol-genden vier Jahre. Erst seit 2003 wird wiederum jährlicheine Besucherstatistik erstellt. Diese wird ergänzt durcheine ebenfalls auf Jahresfrist bezogene Statistik der Postein-gänge, welche deren Aufteilung auf die ThemengebieteFamilienforschung, Orts- und Pfarrgeschichte, andere wis-senschaftliche Themen und Sonstiges darstellt. DieseDatengrundlage ist jedoch als unzureichend erkannt wor-den, um in Zukunft Schwerpunkte innerhalb der Aufga-ben, die das Archiv wahrzunehmen hat, begründet setzenund den Ressourceneinsatz vernünftig planen zu können.Als erste Maßnahme zur Erweiterung der Datenbasiswurde von April bis September 2004 die Verteilung derArbeitszeit auf die im Bistumsarchiv wahrgenommenenAufgaben erhoben und dargestellt. Ergänzend zu dendamit verfügbaren Informationen aus einer eher internenPerspektive, war es notwendig, die Sicht der Nutzer aufdie Leistungen des Archivs kennen zu lernen. Zu diesemZweck wurde ein Fragebogen entwickelt, der den Archiv-nutzern die Möglichkeit bot, die Dienstleistungen des Bis-tumsarchivs zu beurteilen, positive wie negative Erfahrun-gen mitzuteilen sowie Maßnahmen zur Verbesserung desService anzuregen.

Unbestreitbar besitzen diese Informationen zur Kun-denzufriedenheit einen Wert an sich. Darüber hinaus sol-len sie in Ergänzung der Jahresstatistiken sowie der Datenüber die Arbeitszeitverteilung eine belastbare Basis bilden,auf deren Grundlage zukünftig die Entwicklung des Bis-tumsarchivs geplant werden kann. Nach heutigem Kennt-nisstand sind einerseits zumindest mittelfristig Schwer-punkte innerhalb der bisherigen Tätigkeitsbereiche zu set-zen, während andererseits Entscheidungen zu treffen sind,welche die Besetzung der sich neu zeigenden Aufgabenbe-reiche anbelangen.

2. DurchführungDie Befragung wurde zwischen dem 12. September unddem 23. Dezember 2005 durchgeführt. Den Nutzern, diedas Bistumsarchiv während dieses Zeitraums aufsuchten,wurde zugleich mit einem Benutzungsantrag der Fragebo-gen ausgehändigt. Dieser konnte nach dem Archivbesuch

in eine gekennzeichnete Sammelbox eingeworfen werden,die im Ausgangsbereich des Archivs deutlich sichtbar auf-gestellt war. Da der Bereich, in welchem die Box aufgestelltwar, von keinem Arbeitsplatz aus eingesehen werdenkonnte, war eine Zuordnung der zurückgegebenen Frage-bögen zu dem jeweiligen Nutzer nicht möglich undAnonymität gewährleistet.

Den Antwortschreiben aller schriftlichen Anfragen, diein dem fraglichen Zeitraum bearbeitet wurden, sind jeweilsein Fragebogen sowie ein Rückumschlag beigegeben wor-den. Letzterer war mit der Anschrift des Bistumsarchivssowie den Aufdrucken „Rückantwort“ und „Gebührbezahlt Empfänger“ versehen. Obwohl durch diese Vor-kehrungen eine anonyme Rücksendung der Fragebögenmöglich war, waren nicht wenige Antworten und sogareinige Fragebögen selbst mit den Absenderangaben verse-hen. Auch allen in diesem Zeitraum versandten E-Mail-Antworten sind Fragebögen in Form von MS-Word-Doku-menten im Anhang beigegeben worden. Eine zwingendeAnonymität der Rücksendung war nicht zu gewährleisten.Dennoch war sie in den Anschreiben zugesichert wordenund konnte durch organisatorische Maßnahmen erreichtwerden. Die als Anhänge zurückgesandten bearbeitetenFragebögen wurden in einem Sammelordner eines lokalenPC abgespeichert und zur Auswertung ausgedruckt.Bereits nach dem Löschen der E-Mail-Eingänge war eineVerbindung des einzelnen Fragebogens mit dem Absenderder E-Mail nicht mehr herstellbar.

3. BeteiligungInsgesamt sind 238 Fragebögen ausgegeben bzw. versandtworden. Bei der Auswertung konnten 166 Rückläufegezählt werden, woraus sich eine Beteiligung von 69,75 %ergibt. Differenziert nach Nutzern, die das Archiv besuchthatten, und solchen, die in schriftlichem Kontakt mit ihmstanden, zeigt sich für die Beteiligung an der Umfrage fol-gendes Bild: Von 151 persönlich an Nutzer ausgegebenenFragebögen wurden 114 zurückgegeben (entspricht einerBeteiligung von 75,50 %), wogegen das Archiv von 87 perBriefpost und E-Mail versandten Fragebögen 52 Rückläu-fe erreichten (Beteiligung: ca. 59,75 %).

4. ErgebnisIn überwiegender Zahl sind die Nutzer des BistumsarchivsTrier mit den angebotenen Serviceleistungen und den vor-gefundenen Bedingungen einverstanden. HerausragendesKriterium für die Inanspruchnahme der Dienste des Bis-tumsarchivs ist sicherlich die Einzigartigkeit der Informa-tionen, die anhand der zur Nutzung bereitgestellten Archi-valien recherchiert werden können.

Nach Aussage der Fragebogenrückläufe liegen die Stär-ken der im Bistumsarchiv angebotenen Dienstleistungen inder Betreuung der Nutzer, die das Archiv aufsuchen undihre Recherchen hier selbst vornehmen. Dabei werden ins-besondere die freundliche, zügige und kompetente Bedie-nung sowie die Unterstützung und Hilfen, die den Nut-zern bei der Planung und Durchführung ihrer Recherchengewährt werden, positiv aufgenommen.

Demgegenüber werden die Bedingungen, unter wel-chen die Nutzung von Archivalien im Bistumsarchiv statt-findet, differenzierter beurteilt. Von der überwiegendenZahl der Nutzer, die sich an der Umfrage beteiligt hatten,wird vor allem die Möglichkeit, selbst zu fotografieren,

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begrüßt. Auch die Räumlichkeiten, in welchen sich dieArchivnutzer aufhalten, sind es wert gewesen, als ange-nehm beurteilt und erwähnt zu werden, obwohl in einzel-nen Rückmeldungen zusätzliche Aufenthaltsmöglichkei-ten mit Kaffeeautomat und Raucherecke gewünscht wer-den. Die Öffnungszeiten werden – keineswegs überra-schend – ebenso unterschiedlich beurteilt. In etwa 94 % derFragebögen, die eine Bewertung aus Sicht der persönlichenNutzung des Archivs enthalten, werden sie als ausreichendbeurteilt. Demgegenüber steht eine Beurteilung der Öff-nungszeiten als ausreichend in nur ca. 54 % der Rückläufevon Nutzern, die mit dem Bistumsarchiv in schriftlichemKontakt standen, während sich immerhin etwa 13,5 % die-ses Nutzerkreises deren Ausweitung wünscht. Differen-ziert zu betrachten sind auch die Nutzungsgebühren. Zwarwird die Höhe der Nutzungsgebühren überwiegendakzeptiert, die Zustimmung liegt aber im Falle der Halb-tagessätze bei etwa 74 % und im Falle der Tagessätze beinur 64,5 %. Deutlich vermisst wird die Möglichkeit, Kopienanzufertigen.

Unter den Nutzern, die sich schriftlich an das Bistums-archiv wenden, sind diejenigen, die eine orts- oder pfarr-geschichtliche Fragestellung oder ein wissenschaftlichesInteresse verfolgen, durchaus mit den hier erbrachten Leis-tungen einverstanden, während Nutzer, die ein privatesInteresse an der Erforschung ihrer Familiengeschichte ver-folgen, deutliche Verbesserungsmöglichkeiten sehen. Wäh-rend z. B. ca. 81,25 % der Nutzer mit im weitesten Sinnewissenschaftlichen Fragestellungen mit der Bearbeitungs-zeit ihrer Anfragen sehr zufrieden und immer noch etwa18,75 % zufrieden sind, konnten nur ca. 48,5 % der Nutzermit genealogischem Interesse die Bearbeitungszeit ihrerAnfragen als „sehr zufrieden(stellend)“ einschätzen, etwa34,25 % als „zufrieden“, und ca. 11,5 % dieses Nutzerkrei-ses dauerte die Bearbeitung ihrer Anfragen zu lang. ZurVerbesserung der Akzeptanz der Bearbeitungszeiten wirddie Ausstellung von Zwischenbescheiden vorgeschlagen.Die Gebührensätze für die Ausstellung von Personen-standsurkunden oder für Fotoaufträge, die vorwiegend imZusammenhang mit einer schriftlichen Nutzung des Bis-tumsarchivs Anwendung finden, werden mehrheitlichnicht akzeptiert. In nur etwa 47 % der zurückgegebenenFragebögen werden die Gebühren für Personenstandsur-kunden als „akzeptabel“ bewertet, während sie in ca.16,25 % der Rückläufe als „zu hoch“ eingeschätzt werden.Die Akzeptanz der Gebühren für Fotoaufträge fällt nochgeringer aus. Eine „akzeptable“ Einschätzung der Gebüh-renhöhe ist lediglich in etwa 36,75 % der Rückläufe auszu-machen, während eine Ablehnung als „zu hoch“ in immer-hin ca. 19,25 % festgehalten ist. Weiterhin wird von vielenNutzern, die sich mit ihrer Familiengeschichte beschäfti-gen und vorwiegend den schriftlichen Kontakt mit demBistumsarchiv suchen, die Regelung kritisiert, wonach jeAnfrage maximal drei Personenstandsurkunden bearbeitetwerden.

Nur in wenigen Aussagen tritt das Problem, konkreteInformationen über das Bistumsarchiv und sein Leistungs-spektrum zu erhalten, offen zutage. Mittelbar wird esjedoch an mehreren Stellen angesprochen. In diesemZusammenhang wird recht häufig angeregt, Informatio-nen zu Beständen, Dienstleistungen, Kontaktadressen oderÖffnungszeiten, hier insbesondere zu kurzfristigen Schlie-ßungen, im Internet bereitzustellen.

Die Dienstleistungen und Rahmenbedingungen, die dasBistumsarchiv Trier seinen Nutzern anbietet, sind in denerfolgten Rückmeldungen überwiegend positiv und aner-kennend beurteilt worden. Insbesondere die Leistungen,welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bera-tung und Bedienung der Nutzer erbringen, die das Archivbesuchen, erhalten große Anerkennung. Dennoch werdenauch mehrere Regelungen kritisiert und Verbesserungenangeregt. Vor diesem Hintergrund sollten alle Maßnah-men, welche die im Bistumsarchiv erbrachten Leistungeninhaltlich oder organisatorisch betreffen, auch hinsichtlichihrer Auswirkungen auf die Zufriedenheit seiner Nutzergeprüft werden.

Trier Stefan Nicolay

Lernort Archivverbund Main-Tauber

Ein Themenkanon für die Archivarbeit mit SchülernDie Bedeutung des außerschulischen Lernorts Archiv fürden Unterricht sämtlicher Schularten und Klassenstufen istheute allgemein anerkannt. Nicht zuletzt aus diesemGrund bekennen sich die meisten öffentlichen Archive zurArchivpädagogik als einer ihrer wichtigen Aufgaben –allen voran die baden-württembergischen Staatsarchive,die den Schulen vielseitige Leistungen anbieten. Es reichtvon einfachen Archivführungen über interaktive Archiver-kundungen bis hin zu intensiver Projektarbeit.

Zwischen dem Archivverbund Main-Tauber und demDietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Wertheim wurde imOktober 2005 eine intensivierte Zusammenarbeit verein-bart, um den außerschulischen Lernort Archiv stärker imGeschichtsunterricht des Gymnasiums zu verankern. Umden nötigen Vorbereitungsaufwand auf beiden Seiten zuminimieren, wurde als erster Schritt zunächst für (fast) alleJahrgangsstufen ein Thema ausgewählt, zu dem eineUnterrichtseinheit im Archiv so vorbereitet wurde, dasssowohl die Lehrer als auch das Archiv diese künftig nurnoch aus der Schublade ziehen müssen. Dadurch, dass dieThemen und die dazu ausgewählten Quellen in der Schu-le bekannt sind, kann zudem der für die Archivarbeit idea-le Zeitpunkt im Verlauf des Schuljahrs gewählt werden.Der Zusammenhang innerhalb des Lernfortgangs wirdgewahrt.

Die Schüler lernen im Archiv den Umgang mit authen-tischen Quellen – teilweise direkt am Original. Neben deninhaltlichen Aspekten lässt sich an diesen Originaltextenbesonders anschaulich der Bereich der Quellenkritik – unddamit ganz allgemein der Medienkritik – erarbeiten. Ganznebenbei vollziehen die Schüler so im Kleinen den wissen-schaftlichen Weg von unterschiedlichen Quellen zu einerfundierten Aussage nach. Der Archivbesuch führt darüberhinaus an regional- und lokalgeschichtliche Themen heran.Da im Archivverbund Main-Tauber mit seinen Verbund-partnern Staatsarchiv Wertheim, Stadtarchiv Wertheim undArchiv des Main-Tauber-Kreises Unterlagen der Stadt Wert-heim und der Region vorhanden sind, stehen die Texte derLebenswelt der Schüler nicht nur in Hinblick auf die örtli-chen Gegebenheiten und Personen, sondern auch auf man-che Inhalte nahe, selbst wenn die Archivalien bereits meh-rere Jahrhunderte alt sind. Nicht zuletzt hat die Aura desauthentischen Geschichtszeugnisses eine stark motivations-steigernde Wirkung, die allenthalben zu beobachten ist.

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Der eigenen Quellenarbeit der Schüler ist eine an derenjeweiliges Alter angepasste Archivführung vorangestellt,in der die Institution Archiv und die Arbeit der Archivareallgemein und der Archivverbund Main-Tauber im Beson-deren vorgestellt werden. Breiten Raum nehmen hierbeiOriginalquellen unterschiedlicher Art ein. Daneben wirdauch eine propädeutische Einführung in die Archivarbeitunter den Fragen „Wie arbeite ich im Archiv? Wie finde ichzu meinen Quellen?“ gegeben (Gesamtdauer rund 45Minuten). Daran schließt sich die Quellenarbeit der Schü-ler an. Zu einzelnen Themenkomplexen werden Arbeits-gruppen gebildet, in denen die Schüler jeweils unter-schiedliche Quellen bearbeiten, deren Ergebnisse sieanschließend in Gruppenarbeit zusammentragen. KurzeInformationen zu den jeweiligen Themenkomplexen undTexten durch das Archivpersonal, das auch für weitereRückfragen jederzeit zur Verfügung steht, erleichtern denEinstieg (Gesamtdauer rund 45 Minuten). Abschließendstellen die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse dem Rest derKlasse vor, idealerweise am Overheadprojektor (rund 30Minuten). Eine Schlussdiskussion beschließt den Archivbe-such (rund 15 Minuten). Insgesamt dauert somit eineUnterrichtseinheit im Archiv rund 2 1/

2Stunden.

Dem Leseproblem wird dadurch begegnet, dass mög-lichst Druckschriften oder – für das 20. Jahrhundert –maschinenschriftliche Quellen ausgewählt wurden. Stehensinnvollerweise nur handschriftliche Archivalien zur Ver-fügung, wurden diese für die Quellenarbeit transkribiert,wobei die Schüler durchaus zuerst mit den Handschriftenkonfrontiert und erst nach einer kurzen Bearbeitungszeitdurch die Transkriptionen erlöst werden.

Folgende Themen wurden für den Quellenkanon her-ausgesucht: 6. Klasse (G8): Mittelalter (mit SchwerpunktLeibeigenschaft); 8. Klasse (G8): Revolution 1848/1849 inWertheim; 9. Klasse (G8): Nationalsozialismus – Judenver-folgung in Wertheim; 11. Klasse (G8): Widerstand imNationalsozialismus – Der Wertheimer Stadtpfarrer KarlBär (1880–1968); 12. Klasse (G8): Migration – Ansiedlungvon Flüchtlingen auf dem Reinhardshof in Wertheim nachdem Zweiten Weltkrieg.

Mittlerweile wurden die Unterrichtseinheiten auch fürandere Schulen und Schularten eingesetzt. Bei zunehmen-der Erfahrung soll dieser Themen- und Quellenkanonerweitert werden. Weitere Informationen einschließlicheiner genauen Übersicht über die bisher ausgewähltenArchivalien können gerne im Archivverbund angefordertwerden: Bronnbach 19, 97877 Wertheim, Telefon09342/91592-0, Telefax 09342/91592-30, E-Mail: [email protected].

Wertheim Monika Schaupp

Neuer Service im Landesarchiv Baden-Württemberg

Landesweit gültiger Nutzerausweis und Archivalienbestellungper InternetKaum eine Institution steht heute mehr im Spannungsfeldvon Tradition und Moderne, von alten Ordnungsprinzi-pien und moderner Technisierung als das Archiv. Beson-ders die großen Archive stellen sich dieser Herausforde-rung und entwickeln sich zu modernen Informations-dienstleistern. Das Landesarchiv Baden-Württemberg hatin diesem Jahr einen weiteren entscheidenden Schritt in

diese Richtung getan. Es bietet seinen Nutzern nun dieMöglichkeit, Archivalien über das Internet zu bestellen.Die Recherche in den Online-Findmitteln ist ja schon seitgeraumer Zeit möglich und wird auch gerne genutzt, wasdie Zugriffszahlen belegen, doch nun kann der Nutzer denArchivbesuch noch weit effektiver von zuhause aus vorbe-reiten. Wenn er ins Archiv kommt, liegen die bestelltenUnterlagen schon bereit – das spart Zeit und Kosten.

Das ist allerdings nicht die einzige bedeutende Neue-rung, die die Jahreswende für den Nutzer des Landesar-chivs mit sich brachte. Im Zusammenhang mit der Einfüh-rung der elektronischen Bestellung steht die Einführungeines in allen Archivabteilungen gültigen Nutzerauswei-ses. Wenn ein Nutzer also mehrere Standorte des Landes-archivs besucht, muss er sich nicht mehr in jedem Staats-archiv gesondert anmelden. Mit dem Nutzerausweis prä-sentiert das Landesarchiv einen neuen Service, der imbesten Sinn des Worts bürokratische Hürden abbaut.

Das Verfahren der Ausweisvergabe ist denkbar unkom-pliziert. Der Nutzer, der zum ersten Mal das Landesarchivbesuchen möchte, kann sich bereits von zuhause aus imInternet anmelden, indem er lediglich Namen und Adres-se angibt sowie ein Passwort festlegt. Er bekommt dann imLesesaal nach Unterzeichnung eines schon fertig ausgefüll-ten Antrags seinen Nutzerausweis ausgehändigt. Wenn erim Internet von zuhause aus bereits Archivalien bestellthat, kann er nun umgehend mit dem Quellenstudiumbeginnen.

Die Bestellung im Lesesaal funktioniert in gleicherWeise wie im Internet. Der Nutzer sammelt die für ihn rele-vanten Archivalieneinheiten in einem Bestellkorb, loggtsich dann ein mit Kontonummer und Passwort, trägt Nut-zungsvorhaben, Nutzungszweck sowie Zeitpunkt desArchivbesuchs ein und sendet die Bestellung ab. Das Ver-fahren ist von den heute üblichen und vielfrequentiertenOnline-Shops her schon gut bekannt. Für manche Nutzer,die noch unerfahren im Umgang mit Computern und elek-tronischen Bestellsystemen sind, gilt es natürlich, einegewisse Hürde zu überwinden. Das Archivpersonal hilftjedoch gerne und führt die Bestellung, wenn nötig, auchganz für den Nutzer durch. Durch das neue Bestellsystemverliert die Beratung und Unterstützung des Nutzersdurch den Archivar keineswegs an Bedeutung. Sie wirdauch in Zukunft immer zum Service der Archive gehören.

Zum neuen elektronischen Bestellsystem gehört aucheine archivinterne Komponente, in der die Nutzerdatenund Bestellvorgänge verwaltet werden. Die computerge-stützte Nutzer- und Bestellverwaltung sorgt nicht nur fürmehr Transparenz, sondern erleichtert auch das Führen derStatistik. Früher musste das Archivpersonal die statisti-schen Werte in mühevoller Handarbeit durch Auszählender roten Bestellscheine ermitteln. Heute übernimmt dieseArbeit das elektronische System.

Das Landesarchiv Baden-Württemberg ist das ersteArchiv in Deutschland, das über eine komplette elektroni-sche Bestell- und Nutzerverwaltung mit der Möglichkeitder Internetbestellung verfügt. Das System wurde im Lan-desarchiv selbst entwickelt – in enger Zusammenarbeitzwischen Archivarinnen und Archivaren und Mitarbeiterndes Referats Informations- und Kommunikationstechnolo-gie.

Stuttgart Thomas Fricke

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Friendraising – Chancen und Möglichkeiten im Landes-kirchlichen Archiv Kassel1

In Zeiten finanzieller Engpässe ist nicht Selbstbeschrän-kung, sondern Intensivierung in traditionellen und gezieltneuerworbenen Tätigkeitsfeldern angesagt. Diese Erkennt-nis gilt auch für die Nonprofit-Organisation Archiv. Hierspielt das Gebiet der archivischen Öffentlichkeitsarbeiteine zentrale Rolle.2 Die Hinwendung zur Öffentlichkeitmuss als Grundprinzip und Grundlage archivischer Arbeitgelten. Sie ist als Fach- und Kernaufgabe zu charakterisie-ren und zu begreifen.3 Das Landeskirchliche Archiv Kas-sel, ein kleines Archiv mit fünf Stellen, setzt in seinem Han-deln seit seiner Gründung im Jahr 1994 die allgemeinenGrundlagen für den kirchlichen Reformprozess um: „Inno-vationen ermöglichen, ehrenamtliche Mitarbeit ausbauenund Professionalität gewährleisten, Handlungsfähigkeitsichern“4.

Fundraising gilt als Oberbegriff für alle Formen der Mit-telbeschaffung. Mäzen, Spender oder Sponsor benennenjeweils das Gegenüber des Fundraisers, alle sind potentiel-le Fundgiver. Die Marketingstrategie Fundraising definiertsich als systematisch und kontinuierlich betriebenes Ein-werben von Geld, Sachmitteln oder sonstiger Unterstüt-zung aus diversen Quellen.

Friendraising bedeutet in diesem Zusammenhang denAufbau und die Pflege langfristiger Beziehungen zu För-derern. Es handelt sich um zusätzlich zur Grundfinanzie-rung eingeworbene Mittel, die im Allgemeinen der Projekt-förderung dienen.

Die Frage lautet also: Wie gewinnt das Archiv Freundeund Förderer? Dies können auch Personen und Institutio-nen sein, die den Zielen des Archivs so nahe stehen, dasssie nicht Geld, sondern sich selber einbringen. Es handeltsich dann um ehrenamtliche Mitarbeiter oder freiwilligeHelfer (Volunteers).

Fund- und Friendraising in den zentralen Archiven der evan-gelischen KircheEine Umfrage aus dem Jahr 1999 zum Stellenwert vonFund- und Friendraising zeigt, dass die Mehrzahl der zen-tralen Archive in der evangelischen Kirche diese Chancefür sich erkannt hat.5 Die Hälfte der befragten Archive hatErfahrungen mit Sponsoren und Friendraising gemacht.Mit wenigen Ausnahmen hat der Aufwand das Ergebnisgerechtfertigt. Gesponsert wurden hauptsächlich Publika-

tionen und Ausstellungen, aber auch Tagungen, Verzeich-nungs- und Restaurierungsarbeiten und ein Bauprojekt.Gut die Hälfte der befragten Archive halten Öffentlich-keitsarbeit und Fundraising für etwas, das wichtig ist undzukünftig an Bedeutung zunehmen wird. Diese Archivepraktizieren Öffentlichkeitsarbeit, aber eher beiläufig. Siestreben Professionalität in diesem Bereich an, nutzenjedoch (noch) nicht konsequent alle dazu notwendigenSchritte zur Entwicklung und Realisierung eines Corpo-rate-Identity-Konzeptes. Etwa zwanzig Prozent der befrag-ten Archive bemühen sich, den PR-Bereich professionellabzudecken.

Friendraising im Landeskirchlichen Archiv Kassel seit 1994Friendraising ist eine Chance für Archive und ihre Öffent-lichkeitsarbeit. Im Landeskirchlichen Archiv Kassel hatFriendraising inzwischen zahlreiche große und kleineFrüchte getragen.6 Die folgenden Projekte und Verzeich-nungsarbeiten konnten so, wie sie umgesetzt wurden, nurdurch professionelles ehrenamtliches Engagement reali-siert werden.7

Publikationen 1: Ausstellungen und Kataloge Trotz knapper personeller und finanzieller Ressourcen hatdas Landeskirchliche Archiv Kassel bisher fünf Ausstellun-gen mit Katalogen und einer CD-ROM realisiert. War imJahr 1998 der Geburtstag des 1873 gegründeten Gesamt-konsistoriums Kassel, der Verwaltungsinstitution vor demLandeskirchenamt Kassel, zu feiern, war es im Jahr 2000die Einführung von Bischof Dr. Martin Hein. 2004 schließ-lich nahm das Archiv die ersten zehn erfolgreichen Jahreseiner Existenz zum Anlass, in eigener Sache eine Ausstel-lung zu konzipieren und zu realisieren. Außerdem galt esdie 100. Landessynode der EKKW in einer Ausstellungwährend der Synode zu würdigen. 2005 schließlich jährtesich die Einführung der Zweiten Reformation in Hessen-Kassel zum 400. Mal. Für die professionelle Gestaltung derAusstellungstafeln und das Layout der Kataloge und derCD-ROM konnte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter gewon-nen werden.

Publikationen 2: Historische Karten und Plakate, Postkartenund Lesezeichen„Das Landeskirchliche Archiv wirkt an der Auswertungund Vermittlung des von ihm verwahrten Archivgutesmit.“ Dem Auftrag des Archivgesetzes von 1997 gemäß hatdas Landeskirchliche Archiv seit 1998 drei historische Kar-ten entwickelt. Die Karte von 1832 zeigt Struktur undUmfang der drei Konsistorien Kassel, Marburg und Hanaumit dem Konsistorium Waldeck auf. Die Karte von 1873bildet das Gesamtkonsistorium Kassel unter preußischerHerrschaft ab. Eine im Jahr 2002 entstandene Karte zumBekenntnisstand des Gesamtkonsistoriums Kassel um 1900zeigt die Unterteilung in 13 Diözesen auf.

1 Vortrag, gehalten auf der 6. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 im VdA– Verband deutscher Archivarinnen und Archivare zum Thema „Einsatzexterner Hilfskräfte im Archiv – Möglichkeiten und Grenzen“, 23. März2007 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München.

2 Bernd Hey, Auftrag unter veränderten Bedingungen: Kirchliche Archiv-arbeit heute, in: Der Archivar 49 (1996), Sp. 225-234; Gabriele Stüber,Verwaltung – Wissenschaft – Kulturauftrag. Ein Anforderungsprofilkirchenarchivischer Arbeit, in: Aus evangelischen Archiven 36 (1997), S. 43-66.

3 Clemens Rehm, Spielwiese oder Pflichtaufgabe? Archivische Öffent-lichkeitsarbeit als Fachaufgabe, in: Der Archivar 51 (1998), Sp. 205-218;Clemens Rehm, Vom Haushaltstropf zur Sponsorenquelle: Spenden –Freunde – Fördervereine, in: Archive und Herrschaft (Beiband 7 desArchivars), Siegburg 2002, S. 366-381.

4 Reformprozess der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck,Abschlussbericht des Struktur- und Entwicklungsausschusses 2006,hier S. 16 f.

5 Bettina Wischhöfer, Tun wir das Richtige – und machen wir das, waswir tun, richtig? Erfahrungen mit Fundraising in den zentralen Archi-ven der evangelischen Kirche, in: Aus evangelischen Archiven (40) 2000,hg.v. Bernd Hey und Gabriele Stüber (Verband kirchlicher Archive),Hannover 2000, S. 239 ff.

6 Bettina Wischhöfer, Öffentlichkeitsarbeit und Archiv - Systemtheore-tische Überlegungen, in: Aus evangelischen Archiven (36) 1997, hg. v.Bernd Hey und Gabriele Stüber (Verband kirchlicher Archive), Biele-feld 1997, S. 31-42; Dieselbe, Zweitens Grafik und erstens Denken,bedeutend ist der Inhalt – Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising imArchivwesen, in: Die Archive am Beginn des 3. Jahrtausends – Archiv-arbeit zwischen Rationalisierungsdruck und Serviceerwartungen (Bei-band 6 des Archivars), Siegburg 2002, S. 183 ff.

7 Siehe dazu auch die Website des Archivs: www.ekkw.de/archiv.

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Die 1999 vom Archiv entworfene und vertriebeneArchivpflegekarte hat sich sehr schnell zur „Karte derLandeskirche“ entwickelt. Sie hängt inzwischen in fastallen Kirchengemeinden und wird, da sie für dienstlicheZwecke auch digital zur Verfügung gestellt wird, vielfachim Rahmen der Struktur- und Verwaltungsreform der Lan-deskirche angefordert.

Ein 1998 entwickeltes Archivbauplakat ist sehr beliebtbei den zahlreichen Besichtigungen des Archivbaus mitseinen natürlich klimatisierten Magazinen. Entstanden istinzwischen auch eine hochwertige Postkartenserie aus denBeständen des Archivs mit sechs Doppelkarten und einemLesezeichen. Die digitale Erstellung und graphischeGestaltung wurde ehrenamtlich geleistet.

Verzeichnungsprojekte 1: Traditioneller Einsatz von Volunteers

In den Jahren zwischen 1994 bis 2006 konnten von 138erschlossenen Pfarr- und Dekanatsarchiven 40 ehrenamt-lich und 5 in Kooperation mit der Archivschule Marburgverzeichnet werden.

Das entspricht einer Rate von 33 Prozent durch Friend-raising erschlossenen Archiven. 54 Prozent wurden durchMitarbeiter und Mitarbeiterinnen des LandeskirchlichenArchivs verzeichnet und 13 Prozent durch Werkverträgeund ABM.

Die Ehrenamtlichen sind in der Regel durch eigene Fort-bildungsveranstaltungen des Archivs zur Archivpflegegeschult worden.8 Diese Veranstaltungen finden seit 1998zweimal im Jahr im Landeskirchlichen Archiv statt. BisEnde 2006 konnten 322 Personen geschult werden. Einpensionierter Dekan hat sich inzwischen zu einem „festenMitarbeiter“ entwickelt. Er hat in den letzten Jahren allezwölf Pfarrarchive seines ehemaligen Kirchenkreises mitAugias-Archiv verzeichnet, und dies auf qualitativ sehrhohem Niveau. Dafür wurde ihm 2005 der erstmalig ver-gebene Hessische Archivpreis verliehen. Der mit 1.000,- €dotierte Preis wurde u. a. vom Hessischen Wissenschafts-ministerium ausgelobt.

Verzeichnungsprojekte 2: Kooperation mit der ArchivschuleMarburgDas Landeskirchliche Archiv hat sich sowohl um Volun-teers als auch um Kooperationen mit Institutionen bemüht.Bisher konnten fünf Verzeichnungsprojekte zusammen mitder Archivschule Marburg realisiert werden.

1994 hat der 27./28. Lehrgang des höheren Archivdiens-tes in einer vierwöchigen „Übung an älteren Akten“ dasPfarrarchiv Schweinsberg erschlossen. Die Medien zeigtengroßes Interesse an der archivarischen Arbeit. Neben derOberhessischen Presse berichtete auch das Hessische Fern-sehen (HR 3): nach Jahren eines Dornröschenschlafes seidas Pfarrarchiv Schweinsberg durch professionelle archi-varische Arbeit für eine interessierte Öffentlichkeit wiederzugänglich.

Im Rahmen einer Verzeichnungsübung des 29. wissen-schaftlichen Kurses wurde 1995 das Archiv des Gesamtver-bands Kassel erschlossen. Es handelte sich um 22 MeterSchriftgut und um mehr als 3.000 Baupläne aller KasselerKirchen. Am Ende der Übung stand ein geordnetes undsäurefrei verpacktes Archiv in 100 Archivkartons und 130Falthülsen mit einem 200 Seiten dicken Findbuch, das Aus-kunft erteilt über die wechselhafte Geschichte der Kasse-ler Kirchen seit dem 18. Jahrhundert.

1999 hat der 33. wissenschaftliche Kurs das PfarrarchivCappel mit Ronhausen und Bortshausen mit dem Archiv-verzeichnungsprogramm MIDOSA-online verzeichnet.Entstanden ist ein digitales Findbuch, das auf CD-ROMvorliegt und im Internet abrufbar ist.

8 Weitere Informationen in: Bettina Wischhöfer unter Mitarbeit vonSabine Dietzsch-Uhde, Kerstin Langschied und Ralf Bansmann,Praxis Archivpflege in Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien desLandeskirchlichen Archivs Kassel 20), Kassel 2006.

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2004 konnten gleich zwei Verzeichnungskooperationenrealisiert werden. Der 41. Fachhochschul-Kurs verzeichne-te im Herbst 2004 das Pfarrarchiv Elnhausen und der 38.wissenschaftliche Lehrgang erschloss 23 Urkunden desHospitals Gudensberg aus dem Pfarrarchiv Gudensberg.Bei den Urkunden handelt es sich vorwiegend um deutsch-sprachige Pergamente des 14. bis 16. Jahrhunderts.

1999 und 2001 haben außerdem Referendare der Archiv-schule im Rahmen ihrer Ausbildung vierwöchige Praktikaim Landeskirchlichen Archiv Kassel absolviert. Bestandteilder Praktika waren u. a. die Verzeichnung von Nachlässenund eines Teilbestandes der „Sammlung Kirchenkampf“.Die Kooperation mit der Archivschule wird fortgesetzt.

Verzeichnungsprojekte 3: Pilotprojekt Erschließung und Digi-talisierung der Fotosammlung kirchlicher Gebäude in Kurhes-sen-Waldeck mit 11.500 Fotos Anfang Januar 2000 hat das Landeskirchliche Archiv Kas-sel die Fotosammlung Maurer der Bauabteilung des Lan-deskirchenamtes aus Gründen der Bestandserhaltungübernommen. Es handelt sich um 1.054 Gebäude (Kirchen,Pfarrhäuser, Gemeindehäuser, Kindergärten) auf 5.500Karteikarten mit insgesamt 11.500 Fotos. Dokumentiertwird der Bauzustand zwischen den 1930er Jahren und1972. Im September 2000 war die Digitalisierung abge-schlossen. Im Oktober 2000 konnte die Datenbank bereitsFunktionsträgern des Landeskirchenamtes vorgeführt undden Archivbenutzern zur Verfügung gestellt werden. DieArchivgebührenordnung wurde erweitert um die Anferti-gung von Farblaserdrucken und das Brennen von Fotoda-teien auf CD-ROM. Von diesen Möglichkeiten machensowohl Museen als auch Kirchengemeinden, deren Jubilä-en mit Festschriften anstehen, häufigen Gebrauch. DieDurchführung des Digitalisierungsprojektes wurde durch200 Stunden ehrenamtlicher Arbeit möglich.9

Verzeichnungsprojekte 4: Erschließung und Digitalisierungmittelalterlicher Einbandfragmente – Kooperation mit der Universitätsbibliothek Kassel Ziel des seit 2003 laufenden Projektes ist es, alle mittelal-terlichen Handschriftenfragmente in Pfarrarchiven oderanderen kirchlichen Archiven der Evangelischen Kirchevon Kurhessen-Waldeck zu erfassen, zeitlich und inhaltlichzu bestimmen und bildlich digital darzustellen. Um diesenPlan angemessen umsetzen zu können, konnte zum einender Leiter der Handschriftenabteilung der Universitätsbi-bliothek Kassel als Spezialist auf dem Wege der Amtshilfezur Mitarbeit gewonnen werden und zum anderen einEDV-Spezialist, der die Fragmente ehrenamtlich digitali-siert.

Das Projekt begann im September 2003 mit einer Umfra-ge in allen Kirchengemeinden und anderen kirchlichenEinrichtungen, ob sie im Besitz mittelalterlicher Einband-fragmente sind. Die Auswertung der 735 verschickten Fra-gebögen ergab bei einem Rücklauf von 285, dass in (min-destens) 35 Pfarrarchiven derartige Fragmente vorhandenwaren. Es kam nach der Verbreitung des Buchdrucks im 17. Jahrhundert nicht selten vor, dass alte lateinische oder

auch hebräische Handschriften zu Kirchenbucheinbändenrecycelt wurden.

Inzwischen liegen 178 Fragmente erschlossen und digi-talisiert vor – jeweils nach DFG-Standards. Noch nichtberücksichtigt sind hier die Fragmente kirchlicher Prove-nienz, die etwa als Depositum im Staatsarchiv Marburgliegen (bekannt sind inzwischen über 300 Fragmente) undspäter erfasst werden sollen.

Die bisher bestimmten Fragmente stammen hauptsäch-lich aus dem 12. bis 15. Jahrhundert, gehen z. T. aber auchbis in das 8. und 9. Jahrhundert zurück. Inhaltlich handeltes sich häufig um liturgische Texte (Missalia, Breviaria).Bestimmt werden konnten auch Texte aus der Bibel, Bibel-kommentare, medizinisch-pharmazeutische, juristischeund hebräische Texte. Einige Texte galten als bisher unbe-kannt.

Nach der inhaltlichen Auswertung und Digitalisierungder ersten 178 mittelalterlichen Handschriften- und Inku-nabelfragmente sind die Forschungsergebnisse in Buch-form publiziert, um weitere Fragmente in Pfarrarchiven zuentdecken und an das Licht der Öffentlichkeit zu beför-dern10. Am Ende des Projekts wird eine Datenbank mitallen Fragmenten verfügbar sein.

ResümeeRealisierbar wurden die erwähnten Verzeichnungsprojek-te, Ausstellungen und Publikationen, die „ohne Geld“,zumindest aber ohne zusätzliche Finanzierung ausgekom-men sind, ausschließlich durch die langfristige Bindungvon Personen und Institutionen an das Archiv, die sich mitentsprechendem Fachwissen selbst eingebracht haben.

Die Vorteile der Projektumsetzung ohne Geld liegen aufder Hand: es gibt keine Abhängigkeiten von Geldgebernund Sponsoren, die immer auch mitbestimmen und „mitauf´s Bild“ wollen. Das Tempo der Projektumsetzung kannbesser gesteuert werden, da es keine Zeitverzögerungdurch langwierige Genehmigungsverfahren bei der Finan-zierung gibt. Die Freiheit bei der Umsetzung von Projek-ten durch Friendraising ist nicht zu unterschätzen.

Entscheidend für den Erfolg solcher Projekte ist dielangfristige Motivation der Volunteers. Hier erhalten oft„kleine Aufmerksamkeiten“ die Freundschaft. So hat z. B.die Überreichung eines Unikat-Archivkalenders mit Moti-ven, zu denen der ehrenamtliche Mitarbeiter einen persön-lichen Bezug hatte, gute Dienste geleistet.

Je nach archivischer Grundsituation und Ausgangslagekann und wird Friendraising sicherlich in jedem Archivanders aussehen. Das hier propagierte Modell „Friendrai-sing“ versteht sich nicht als Gegenmodell zum Sponsoringoder als Konkurrenz zu den prestigeträchtigen DFG-Groß-projekten. Es eröffnet jedoch kleinen Archiven in Zeitenleerer Kassen und immer knapper werdender Mittel neueMöglichkeiten und Chancen, die es zu nutzen gilt.

Kassel Bettina Wischhöfer

9 Bettina Wischhöfer, Projekt Digitalisierung Fotosammlung „Kirchender EKKW“ – eine Low-Budget-Lösung, in: Auf der Suche nach archi-vischen Lösungsstrategien im digitalen Zeitalter (Beiträge zur 4. Jahres-tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalenSystemen“), Mannheim 2001.

10 Konrad Wiedemann, Bettina Wischhöfer, Einbandfragmente inkirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien21), Kassel 2007.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 261

Fachverbände, Ausschüsse Tagungen

59. Westfälischer Archivtag in Arnsberg

Auf Einladung der Stadt Arnsberg fand am 27. und 28.März 2007 der 59. Westfälische Archivtag in der Festhalleder Arnsberger Bürgerschützengesellschaft e.V. statt. Inzwei Arbeitssitzungen ging es zum einen um „RegionaleIdentität und Überlieferungsbildung“ zum anderen umden „Archivischen Umgang mit Nachlässen und Foto-sammlungen“.

Nachdem der Leiter des LWL-Archivamts für Westfalen,Prof. Dr. Norbert Reimann, die versammelten rund 240Archivarinnen und Archivare begrüßt hatte, sprachzunächst Maria Seifert als Vorsitzende der Landschafts-versammlung ihr Grußwort. Sie erklärte die neuenBezeichnungen der Einrichtungen des Landschaftsver-bands mit der Außendarstellung und Positionierung desLWL als modernem kommunalen Dienstleister, betonteaber auch, dass das Archivamt trotz des neuen Namens einverlässlicher Ansprechpartner für die Archive in Stadt undLand bleibe. Die Qualität einer flächendeckenden Beratungsah sie jedoch durch Auswirkungen der durch die Landes-regierung geplanten Verwaltungsneugliederung gefähr-det. Der Bürgermeister der Stadt Arnsberg, Hans-JosefVogel, betonte im Anschluss die strategische Bedeutungder Archive für Städte und Gemeinden, da durch ihreArbeit Gleichbleibendes von Veränderlichem geschiedenund so Handlungsspielräume deutlich gemacht würden.Zudem spielten Archive bei der lokalen Identitätsstiftungeine wichtige Rolle als Gegenpol zur „kulturellen Globali-sierung“, unterstützten die Integration von zugewander-ten Neubürgerinnen und -bürgern und würden so zu„Archiven der Zukunft“. Der Kulturstaatssekretär des Lan-des NRW, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, verteidig-te die angestrebte Aufspaltung des Landes in drei Teile, dasie der Entwicklung der letzten 200 Jahre Rechnung trage.Er stellte die Bemühungen der Landesregierung zumBestandserhalt kultureller Überlieferung heraus und ver-sprach, vielversprechende Projekte in der Historischen Bil-dungsarbeit noch in diesem Jahr mit 100.000,- € zu fördern.Ziel müsse es für die Archive sein, sich in den betreutenSchülern und Schülerinnen als zukünftigen Wählern undEntscheidungsträgern eine Lobby zu schaffen. Der stellver-tretende Landrat des Hochsauerlandkreises dankteabschließend für die Arbeit der Archive bei der Herausar-beitung lokaler Identität und betonte diesen Standortvor-teil für die touristische Attraktivität einer Region.

In seinem Eröffnungsvortrag zeichnete Prof. Reimannden Lebensweg des Freiherrn vom und zum Stein nach,dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 250. Mal jährt.Er stellte den im Nassauischen geborenen Stein als Verfech-ter einer starken regionalen Selbstverwaltung heraus, dersich durch die Bauernbefreiung, die Verwaltungsmoder-nisierung des preußischen Staats und besonders durch dieStädteordnung große Verdienste erworben hatte. Die vonihm propagierte Stärkung von „Gemeingeist“ und „Bür-gersinn“ in der Region und die Selbstbeschränkung derRegierung auf Lenkungsaufgaben kann auch für die heu-tigen Reformansätze wichtige Anregungen geben.

In der ersten Arbeitssitzung wurde im Beitrag von Dr.Gießmann, dem Leiter des Stadtarchivs Rheine, deutlich,dass sich das Argument der „Bürgernähe“ bei der Kommu-nalisierung staatlicher Aufgaben in unserer Zeit immer

wieder findet. Verstand man unter dem Begriff der Kom-munalisierung in der Nachkriegszeit noch das wirtschaft-liche Engagement der Kommunen im Bereich der Energie-und Abfallwirtschaft, wurde es im Zug der Wende immerstärker für die Verlagerung von staatlichen Aufgaben aufdie kommunalen Verwaltungsebenen benutzt. In denneuen Bundesländern konnten bisher nur theoretischerwogene Konzepte dazu versuchsweise umgesetzt wer-den. Zum Beispiel wurden die Landkreise in Sachsen mitvielfältigen Verwaltungsaufgaben betraut. Inzwischenwerden die dortigen Erfahrungen auf die Altbundesländerübertragen, so betreibt man in NRW den Wegfall der Son-derbehörden, eine weitgehende Privatisierung von ehe-mals öffentlichen Aufgaben und die Bildung von dreiRegionalverbänden. Gießmann stellte schließlich heraus,welche Auswirkungen Änderungen in der Verwaltungs-struktur für die Überlieferungsbildung mit sich bringenund betonte die sich daraus ergebende Notwendigkeit vonarchivspartenübergreifender Zusammenarbeit.

Wilhelm Grabe vom Kreisarchiv Paderborn stellte inseinem Vortrag zunächst die Schwierigkeiten der „Binde-strich-Bundesländer“ heraus, eine gemeinsame Identitätzu entwickeln. Kommunalarchive kooperieren sehr vielstärker in den historischen Einheiten (Hochstift Paderborn,Vest Recklinghausen, Lipper Land) und könnten hier auchzur Bildung von Heimatverbundenheit und Identitätsbil-dung auf der Ebene von Teilregionen beitragen. Diese„Verankerung in der regionalen Geschichtslandschaft“erfolge einerseits „passiv“ durch eine gezielte Überliefe-rungsbildung und Erschließungstätigkeit, die heimatge-schichtliche Forschung ermöglicht, und andererseits durchdie „aktive“ Auswertung landesgeschichtlicher Quellenund die Präsentation der Ergebnisse in heimatgeschicht-lichen Zeitschriften.

In der zweiten Arbeitssitzung beschäftigte man sich mitNachlässen im Archiv. Am Beispiel des Stein-Nachlassesim von Kanitzschen Archiv auf Schloss Cappenberg berich-tete Dr. Annekatrin Schaller (Stadtarchiv Neuss) von denHerausforderungen der Verzeichnung im Rahmen einesDFG-Projekts (1999-2001), die u. a. darin bestanden, dieErgebnisse der beiden Stein-Editionen zu integrieren undeine geeignete Erschließungstiefe für die Nachlassbestand-teile zu finden.

Dr. Gunnar Teske vom LWL-Archivamt stellte danachdie zwei zentralen Nachlass-Nachweise beim Bundesar-chiv („Mommsen“) und bei der StaBi Berlin („Kalliope“)vor. Während es bei Ersterem um den bestandsbezogenenNachweis geht, ist der bibliothekarische Ansatz aus derAutografen-Erschließung entstanden und erst nachträglichfür die archivische Verzeichnung geöffnet worden. DasMommsen-Portal ist von daher für die Eingabe der archi-visch erschlossenen Nachlässe nach wie vor besser geeig-net. Allerdings ist an die Zusammenführung beider Daten-quellen über eine gemeinsame Recherchefunktion im Inter-net gedacht.

Bei der Fortsetzung der zweiten Arbeitssitzung am fol-genden Tag setzte sich Dr. Jochen Rath vom StadtarchivBielefeld zunächst mit dem Spannungsfeld von umfassen-dem Dokumentationsauftrag der Stadtarchive, wie er ineinem entsprechenden Positionspapier der BKK formuliertwird, und der von den Stadtverwaltungen oft gefordertenBeschränkung auf die Archivierung des reinen Verwal-tungsschriftguts auseinander. Er hob dabei die Rolle der

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Nachlässe als Ersatz- oder Ergänzungsüberlieferung her-vor und betonte den Wert der Vereinsüberlieferung für dieDokumentation des gesellschaftlichen Lebens einer Kom-mune. Gleichzeitig forderte er eine strenge Bewertung vonVereins- und Privatnachlässen, da die im Archiv zur Ver-fügung stehende Arbeitskraft für Erschließung solcherÜberlieferung begrenzt sei und der Nachlass in die Über-lieferung des Archivsprengels passen müsse.

Der Stadtarchivar des Veranstaltungsortes Arnsberg,Michael Gosmann, präsentierte im folgenden Beitragexemplarisch die Schwierigkeiten, die die Übernahme undErschließung eines großen Fotografennachlasses mit sichbringt. Der Kreisheimatpfleger Friedhelm Ackermannwar im Jahr 2005 überraschend verstorben, und an dasArchiv wurden 50.000 Dias im Kleinbild- und Mittelformatübergeben, die rasch recherchier- und nutzbar gemachtwerden sollten. Um das zu gewährleisten, wurde ein ehr-geiziges Digitalisierungsprojekt angestoßen, das nach demersten Jahr bereits 14.000 eingescannte Kleinbilddias vor-weisen kann. In der anschließenden Diskussion wurde dieFrage nach der Bewertung von Fotonachlässen aufgewor-fen. Es scheint, dass Archive hier ggf. auf die Mithilfe vonFotografen oder vergleichbaren Fachleuten angewiesensind.

Anja Gussek-Revermann stellte danach die Vorteileeiner bestandsübergreifenden datenbankgestützten Foto-erschließung heraus. Während im Stadtarchiv vor demUmzug in die Coerder Speicherstadt Fotos und Postkartendurch die Aufstellung im Lesesaal einer starken physikali-schen Beanspruchung ausgesetzt waren, bietet die compu-tergestützte Recherche schnellere und bessere Ergebnissebei gleichzeitiger Schonung des Originalmaterials. Diese„Visualisierung von Geschichte“ entspricht in hohem Maßden Benutzerwünschen und spiegelt sich in der großenNachfrage und der gestiegenen Zahl der Reproaufträgewider.

Dr. Peter Worm vom LWL-Archivamt referierte überdigitale Bilder im Archiv und die technischen und archiv-fachlichen Ansprüche, die dieses Material im Vergleich zukonventionellem Fotomaterial an die Archive stellt. Nebender Erstellung und Speicherung ging es auch um die struk-turierte Datenablage und die Nutzung von Metadaten zurlangfristigen Sicherung des Bildmaterials.

Der neue Leiter des Kreiszentralarchivs Warendorf, Dr.Mark Alexander Steinert, informierte im Anschluss überdie rechtlichen Rahmenbedingungen, die Urhebergesetzund Kunsturhebergesetz der Nutzung von Fotografien imarchivischen Umfeld setzen. Während Ersteres v. a. derSicherung der Rechte des Bilderstellers dient, schützt daszweite Gesetz die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten.Schließlich klärte er über die Folgen des Bruchs von urhe-berrechtlichen Bestimmungen auf. Die anschließende leb-hafte Diskussion belegte den großen Informationsbedarf,der hier auf Seiten der Archivarinnen und Archivarebesteht.

Nach der Mittagspause erläuterte Birgit Geller, Restau-ratorin am LWL-Archivamt, die wichtigsten Grundlagenfür die Konservierung von analogem Bildmaterial. Sie plä-dierte für einen schonenden Umgang bei der Erschließung(Nutzung von Handschuhen und sauberen Arbeitsflächen)und der Lagerung (geeignetes Verpackungsmaterial) vonFotografien. Anschaulich zeigte sie die Auswirkungen vonNachlässigkeit und Unachtsamkeit im Umgang mit demempfindlichen Material auf.

In der Aktuellen Stunde berichtete Dr. Worm vom offi-ziellen Start des neugestalteten Archivportals „Archive inNRW“ (www.archive.nrw.de) am 2. Mai 2007. Anschlie-ßend stellte Dr. Marcus Weidner das gemeinsam vomLWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und demLWL-Archivamt initiierte Projekt „Digitale WestfälischeUrkundendatei – DWUD“ vor. In ihm soll zunächst derInhalt zweier bestandsübergreifend chronologisch sortier-ter Zettelkarteien (des Staatsarchivs Münster und desArchivamts) digital zugänglich gemacht werden. Ergän-zend sollen in elektronischer Form vorliegende Urkunden-verzeichnungen eingespeist werden – eine breite Mitarbeitder westfälischen Kommunal- und Privatarchive mitUrkundenbeständen wird dabei angestrebt. Abschließendstellte Dr. Springer vom LWL-Medienzentrum für West-falen den „Arbeitskreis Filmarchivierung in Nordrhein-Westfalen“ vor, dessen Ziel u. a. die Erhaltung von Film-überlieferung aus kommunalen und privaten Sammlungenist. Kommunalarchiven bot er an, ihre Filmüberlieferung –egal aus welchem Ursprungsformat – in Klimakammernunter optimalen Bedingungen einzulagern und den Depo-nenten im Gegenzug vorführbare Nutzungskopien ihrerFilme zu übergeben.

Professor Reimann dankte abschließend allen Referen-ten, Diskutanten und den Teilnehmerinnen und Teilneh-mern für ihre Beiträge und der Stadt Arnsberg als Gastge-berin für den bisher bestbesuchten Westfälischen Archiv-tag.

Götz Bettge vom Stadtarchiv Iserlohn lud im Namenseines Bürgermeisters für das kommende Jahr (11.-12.März 2008) in seine Stadt zum 60. Westfälischen Archivtagein.

Münster Peter Worm

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Akten der Kulturverwaltung der Stadt Köln1880-1930. Band I. Bearb. von Everhard Kleinertz.Historisches Archiv der Stadt Köln, Köln 2005. XXII, 484S., kart. 42,- €. ISBN 978-3-928907-16-3(Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, H. 97)

Das jüngste Heft der „Mitteilungen aus dem Stadtarchiv vonKöln“ ist der erste Band eines Inventars von Akten aus der Köl-ner Kulturverwaltung im Wilhelminischen Zeitalter und in derWeimarer Republik. Insgesamt 440 Akten des Zeitraums zwischen1880 und 1930 hat der ehemalige Leiter des Historischen Archivsder Stadt Köln, Everhard Kleinertz, in akribischer Arbeit tieferschlossen und mit ausführlichen Erläuterungen versehen.

In der instruktiven Einleitung erläutert der Bearbeiter zunächstdie Organisation der städtischen Kulturverwaltung im behandel-ten Zeitraum. Kennzeichnend war hierbei die Zersplitterung derKompetenzen für die kulturellen Angelegenheiten zwischen demjeweiligen Oberbürgermeister und verschiedenen Beigeordnetensowie generell ein häufiger personeller Wechsel in den Zuständig-keiten. Aus der fehlenden Konzentration der Kulturangelegenhei-ten in einem Dezernat ergaben sich schwierige Registraturverhält-nisse. Im Zuge einer umfassenden Reorganisation der Geschäfts-verteilung im Jahr 1886 war die bis dahin zentral organisierteAktenführung im Büro des Oberbürgermeisters auf acht großeund mehrere Spezialregistraturen aufgeteilt worden. Die einzel-nen Registraturen wurden der Aufsicht verschiedener Beigeord-neter unterstellt, deren Geschäftskreise sich jedoch in vielen Fäl-len nicht oder nur partiell mit denen der Registraturen und desdarin verwalteten Schriftguts deckten. Bei einer weiteren Neuor-ganisation des Geschäftsverkehrs im Jahr 1912 wurden schließlichdie Registraturen in Abteilungen umbenannt und numerischgekennzeichnet. Die Aufgaben der Kulturverwaltung gelangtendabei gemeinsam mit anderen Verwaltungsbereichen, wie z. B.den höheren Schulen, aber auch den städtischen Betrieben wieden Vieh- und Markthallen und den Hafeneinrichtungen in dieAbteilung 2 (Abteilung für Gemeindeanstalten). Angesichts eineserheblich gesteigerten Geschäftsumfangs wurde schließlich 1922– die Abteilungs- waren zwischenzeitlich in Ämterbezeichnungenabgeändert worden – ein neues Amt (Amt 39) per Verfügungdurch den Oberbürgermeister Adenauer geschaffen, das erstmalsalle Aufgaben der Kulturverwaltung zusammenfasste und einemBeigeordneten als dem zuständigen Kulturdezernenten unter-stellt wurde. Erst durch diese Maßnahme war ein Kulturdezernatim eigentlichen Sinne mit einem fest umschriebenen Aufgabenbe-reich, einer eigenen Geschäftsverteilung und Registratur geschaf-fen worden. Bis Ende 1922 war der größte Teil der Akten aus denVorgängerregistraturen an das neue Amt abgegeben worden. Dieseit 1928 in drei Ablieferungen an das Kölner Stadtarchiv abgege-benen Akten über die Kulturangelegenheiten, die dem hier zubesprechenden Inventar zugrunde liegen, entstammen also ver-schiedenen Provenienzen und verschiedenen Zeitschichten. Beider Ordnung und Systematisierung dieser verworrenen Schrift-gutmenge wurden unter Auflösung eines älteren Bestands weite-re Akten mit Kulturbetreffen zur Ergänzung hinzugezogen.

Inhaltlich deckt die Auswahl der Akten ein breites themati-sches Spektrum der kommunalen Kulturpolitik ab: Von allgemei-nen Themen der Kunst und Wissenschaft über das Archiv und dieStadt- und Volksbibliotheken hin zu den zahlreichen KölnerMuseen, die innerhalb der Erschließung zu Recht einen breitenRaum einnehmen. Daneben wurden aber auch z. B. Akten zurVolkshochschule, zu den städtischen Lichtspielen sowie sonstigenVolksbildungsbestrebungen (z. B. öffentliche Vorträge) erschlos-sen; öffentliche Feiern und Feste aller Art, wie z. B. die Eröff-nungsfeiern des Schnütgen-Museums und des Museums für ost-asiatische Kunst in den Jahren 1910 bzw. 1913 runden das Spek-trum der kulturellen Veranstaltungen ab. Schließlich nimmt dasfür Köln so charakteristische Vereinswesen eine herausragendeStellung innerhalb des Inventars ein, wobei der Bearbeiter zugun-

sten der Übersichtlichkeit hier nochmals eine Feinuntergliederungin die verschiedenen Vereinstypen vorgenommen hat. Das Zieldes Bearbeiters, einen Eindruck von der tragenden kulturellenRolle des Kölner Bürgertums in der Wilhelminischen Zeit und inder Weimarer Republik zu vermitteln, ist anhand der vorgenom-menen Schwerpunktsetzungen des ersten Bandes – ein zweiterBand mit den Akten zu Theater und Musik soll demnächst folgen– gut gelungen. Sämtliche Akten sind neben den üblichen Ver-zeichnungselementen mit teils sehr umfangreichen Inhaltsanga-ben versehen. Hinzu kommen ganz ausführliche, weit über hun-dert Seiten (!) umfassende Indizes, die sich in Personen-, Orts- undSachindex aufgliedern, wobei es einen weiteren Sachindex mitspeziellen „Köln-Betreffen“ gibt. Schließlich ermöglichen zweiKonkordanzen ein Zurechtfinden innerhalb der alten und neuenBestände und Signaturen.

Das vorliegende Inventar geht weit über den gewohnten Stan-dard archivischer Findmittel hinaus. Neben dem engeren kultu-rellen Bezug ermöglicht es den raschen und präzisen Zugriff aufumfangreiche Quellen zur Kölner Stadtgeschichte und ist damitvon grundlegender Bedeutung nicht allein für die prosperieren-de Köln-Forschung, sondern mindestens auch für die weitereGeschichte des Rheinlands.

Düsseldorf Kathrin Pilger

Akten des Reichskammergerichts im Haupt-staatsarchiv Stuttgart S-T. Inventar des BestandesC 3. Bearb. von Alexander Brunotte und Raimund J. Weber. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2005. 908 S., geb. 58,- €. ISBN 978-3-17-018759-7(Veröffentlichungen der staatlichen ArchivverwaltungBaden-Württemberg, Bd. 46/6)

Akten des Reichskammergerichts im Haupt-staatsarchiv Stuttgart U-Z. Inventar des BestandesC 3. Bearb. von Alexander Brunotte und Raimund J. Weber. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2005. 792 S., geb. 50,- €. ISBN 978-3-17-018760-3(Veröffentlichungen der staatlichen ArchivverwaltungBaden-Württemberg, Bd. 46/7)

Mit den Bänden zu den Buchstaben S-T (Büschel 3655-4477 = 823Einheiten) und U-Z des Klägeralphabets (Büschel 4478-5199 = 722Einheiten) schließen die Bearbeiter Alexander Brunotte und Rai-mund J. Weber ihre seit dem Buchstaben A durchgängige Erschlie-ßungsarbeit an den Reichskammergerichtsakten im Bestand C 3des Hauptstaatsarchivs Stuttgart ab. Auch bei der Drucklegungzu den insgesamt 5199 Signaturnummern war die Erschließungs-leistung faktisch an dem für das Projekt geltenden Pensum vonzwei Akten pro Tag orientiert: Vom Erscheinen des ersten Bandesim Jahr 1993 bis zum Druck des siebten im Jahr 2005 vergingenrund zwölf Jahre. Angesichts der in jedem Band enthaltenen Regi-ster (Chronologisches Verzeichnis der Prozesse, Indizes für a) Per-sonen und Orte, b) Sachen, c) Vorinstanzen und Juristenfakultä-ten und d) Prokuratoren) ist hier sehr wohl von einer Einhaltungder Norm zu sprechen.

Mit den Akten der von landesherrlicher Seite (Württemberg)betriebenen Prozesse behandelt der siebte Band Unterlagen vonbesonderem Interesse für die Landesgeschichte. Die in beidenBänden beschriebenen 1444 eigentlichen Prozessakten entfallenzu rund einem Viertel auf die folgenden Kläger: Deutscher Orden(‚Teutschorden’) mit 70, die Truchseß von Waldburg mit 80, dasHerzogtum bzw. die Herzöge von Württemberg mit 140, dieBischöfe und das Domstift Bistum Würzburg mit 44 und dieReichsstadt Ulm mit 37 Prozessen. Eine starke Klägergruppe stelltweiterhin – der Struktur des Einzugsbereichs entsprechend – der

Literaturbericht

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Adel (u. a. Herren von Schellenberg mit 35, Speth von Zwiefalten,von Stein, von Stotzingen mit je 25-30 Prozessen). Das ReichsstiftSalem ist mit 20 Prozessen vertreten.

Auf die Erschließung der eigentlichen Prozessakten folgt imletzten Band die Verzeichnung von 11 Extrajudizialsachen(Büschel 5099-5109) und 90 Beweisaufnahmen zum ewigenGedächtnis (Büschel 5110-5199, v. a. Beweismittel und Akten ausVorinstanzen). Diese insgesamt 101 Verzeichnungseinheiten ver-dienen Aufmerksamkeit auch gerade in recherchetechnischerHinsicht, da sie jeweils das gesamte Klägeralphabet umfassen.

Die Erschließungen der einzelnen Akten sind – wie die stich-probenartige Lektüre erweist – sorgfältig gearbeitet. Bei denAngaben zu Streitgegenstand und Prozessgeschehen ist mituntereine Bevorzugung stichwortartiger Prägnanz gegenüber Formu-lierungen zu bemerken, die wenig mehr Druckraum beanspruchthätten, aber schneller fasslich gewesen wären. Auch hätten ausden Quellen übernommene Ausdrücke hin und wieder durchheute geläufigere ersetzt werden können. Dass der Aufwand fürderlei Feinstschliff vertretbar gewesen wäre, ist aber zweifelhaft.

Sinnvollerweise wurde die im ersten Band gegebene Einlei-tung in den nun erschienenen Bänden nicht wiederholt. Ein jeBand auf einem losen Blatt beigefügter Schlüssel zu den Positions-nummern des Erschließungsschemas hat die denkbar knappsteForm. Für Gelegenheitsnutzer ohne Kenntnis des Prozesswesensam RKG wäre eine wenig umfangreichere Erläuterung desErschließungsschemas vielleicht hilfreich gewesen.

Die Ausstattung der einzelnen Bände mit aus ihrem jeweiligenInhalt gezogenen Indizes werden die Benutzer während desErscheinungszeitraums dankbar begrüßt haben. Nun kann sichdie Frage erheben, in welcher Form ein Gesamtregister sinnvollwäre. Ob der Aufwand für ein Register zu allen StuttgarterReichskammergerichtsakten angebracht ist, kann freilich disku-tiert werden. Stärker wird mit dem absehbar werdenden Ende derErschließung aller auf die Archive verteilten Akten des Reichs-kammergerichts der Bedarf nach einer dieses Gesamtprojektumfassenden Recherchehilfe empfunden werden.

Die kleinen Monita können den positiven Gesamteindruck kei-neswegs trüben. Alexander Brunotte und Raimund J. Weberhaben mit einer beeindruckenden Leistung ein dringend benötig-tes Hilfsmittel in sehr anspruchvoller Qualität erstellt. Es bleibtnur noch anzumerken, dass der endgültige Abschluss der Stutt-garter Arbeiten am Reichskammergerichtsprojekt mit einem der-zeit vorbereiteten Nachtragsband zu erwarten ist. Dieser soll einenicht ganz unbeträchtliche Zahl von Akten erschließen, die in denBeständen des Hauptstaatsarchivs Stuttgart und anderen Häuserndes Landesarchivs Baden-Württemberg ermittelt wurden.

Karlsruhe Klaus Nippert

Alles war, alles wird. Alles Gute: Niedersachsen.Zur Ausstellung des Niedersächsischen Landesarchivsanlässlich des 60. Landesgeburtstags. NiedersächsischesLandesarchiv, Hannover 2006. 55 S. mit zahlr. Abb., kart.

Alles Gute: Niedersachsen. Der Film zum 60-jährigenLandesjubiläum. DVD.

1946. Politik und Alltag im Gründungsjahr desLandes Nordrhein-Westfalen. Eine Ausstellungdes Landesarchivs und des Landtags Nordrhein-West-falen 26.10.-26.11.2006. Landesarchiv Nordrhein-Westfa-len, Düsseldorf 2006. 61 S., zahlr. z. T. farb. Abb., brosch.5,- € (Schutzgebühr). ISBN 978-3-927502-11-6(Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen 12)

Jubiläen sind immer ein willkommener Anlass für Archive, einerbreiten Öffentlichkeit ihre Vielseitigkeit vor Augen zu führen. Dasgilt umso mehr, wenn es die Trägerinstitutionen sind, deren Beste-hen zu feiern ist. In Ausstellungen und Veröffentlichungen wirdnicht nur die historische Kompetenz der Archivarinnen undArchivare gefordert. Die Archive können auch aus der Fülle ihrerBestände schöpfen und Besuchern wie Lesern eine Vielzahl von

Archivalien verschiedenster Art präsentieren. Informationsver-mittlung, Schatzkammer und historische Bildungsarbeit fließenhier in anschaulichen Publikationen zusammen, aber auch moder-nes Marketing schlägt sich zunehmend hierin nieder.

Sechzig Jahre nach Kriegsende sind mit der Gründung derLänder durch die Alliierten gleich mehrere Staatsarchive aufge-rufen, Rückschau zu halten. Wie vielfältig die Herangehensweiseist und welch unterschiedliche Lösungen erreicht werden können,zeigen die Kataloge und eine DVD, die das Niedersächsische Lan-desarchiv und das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zu den vonihnen ebenfalls konzipierten Ausstellungen anlässlich des 60.Geburtstag ihres jeweiligen Landes präsentieren.

Nordrhein-Westfalen

Was Nordrhein-Westfalen anlangt, so lässt sich ein genaues Grün-dungsdatum nicht bestimmen. Der Beschluss der britischenRegierung, die von ihnen besetzten Provinzen Westfalen und(nördliches) Rheinland zusammenzulegen, die Bekanntgabe die-ses Beschlusses, die Umsetzung in geltendes Recht und die Eröff-nung des ersten Landtages in Düsseldorf liegen immerhin alle imJahre 1946. Anlass genug für das Landesarchiv Nordrhein-West-falen, dieses Jahr titelgebend in den Mittelpunkt seiner Betrach-tungen zu stellen.

In neun inhaltsreichen Aufsätzen beleuchten die Autorinnenund Autoren des nordrhein-westfälischen Werkes – allesamtArchivarinnen und Archivare des Landes – entscheidende Aspek-te jenes Jahres und der unmittelbar nachfolgenden. Dabeibeschränken sie sich nicht auf die Gründung und politische Ent-wicklung des Landes. Sie berücksichtigen in gleicher Weise denbeschwerlichen Alltag der damaligen Zeit, der für das Leben undÜberleben der meisten Bürgerinnen und Bürger durchaus wich-tiger gewesen sein mag als die Neugestaltung der staatlichen Ord-nung um sie herum.

Nach einführenden Worten von Martina Wiech, die die kom-menden Darstellungen prägnant zusammenfasst und durch einenroten Faden miteinander verbindet, befasst sich Andreas Pilgermit der Gründung des Landes und der ersten Landesregierung.Hierbei thematisiert er die Grundzüge der britischen Besatzungs-politik und die strittige Frage nach der Bildung eines Ruhrstaa-tes. Ebenso bietet er einen Überblick über den staatlichen Verwal-tungsaufbau und stellt die Person des ersten Ministerpräsidenten,Rudolf Amelunxen, sowie die Tätigkeit seiner Regierung vor.

Hermann Niebuhr behandelt den Anschluss des LandesLippe, das zunächst der Hannoverregion zugewiesen war, anNordrhein-Westfalen. Er macht deutlich, das dieser sich geogra-fisch zwar am Rande des neuen Landes abspielte, aber keinesfallsein Randereignis war. Niebuhr fasst vor allem die Diskussion umdie Lippischen Punktationen zusammen, die eine Reihe vonnordrhein-westfälischen Zugeständnissen an Lippe beinhalteten,und zeichnet die Eingliederung des kleinen Landes in den größe-ren Nachbarn nach.

Die politische und organisatorische Arbeit des noch von denBriten ernannten Landtags 1946/47 steht im Mittelpunkt der Dar-stellung von Renate Uhlig-Raddatz. Sie resümiert die Konsti-tuierung und Zusammensetzung der ersten nordrhein-westfäli-schen Volksvertretung, schaut dazu auch auf die Provinzialräte inNordrhein und Westfalen als deren Vorläufer zurück und schließtmit einem kurzen Blick über die oft beschwerlichen Voraussetzun-gen der täglichen Arbeit der Landtagsmitglieder. Hieran knüpftGabriele Kießling mit ihrer Betrachtung des Münsteraner Zen-trumsabgeordneten Bernhard Reismann an. Auf der Grundlageseines Nachlasses, der sich im Staatsarchiv Münster befindet, ver-mittelt sie greifbar die Schwierigkeiten, denen auch die Volksver-treter angesichts des allgemein bestehenden Mangels unterwor-fen waren und die den Start des jungen Landes unabhängig vonden unterschiedlichen politischen Anschauungen erschwerten.Kießling schafft damit den Brückenschlag zwischen den politi-schen und den dann folgenden alltagsgeschichtlichen Aufsätzendes Katalogs.

Allgemeiner, aber nicht weniger eindrücklich beschreibt Wolf-gang Bender danach das Überleben in der Zusammenbruchge-sellschaft. Anschaulich legt er die zentralen Probleme im Alltag

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des Einzelnen dar, wie die Erlangung von Wohnraum, die Ernäh-rungsfrage, die mittels ausländischer Spenden gemildert werdenkonnte, sowie die Beschaffung von Dingen des täglichen Bedarfs.So zeigt sich, welche gravierenden Aufgaben zusätzlich zu derohnedies beschwerlichen Staatswerdung auf Politik und Verwal-tung lasteten.

Einen Abriss über das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebe-nen, der Displaced Persons und der deutschen Kriegsgefangenen,also jener, die erst Nordrhein-Westfalen werden sollten, bietetAnnette Hennigs.

Ihr folgt Matthias Meusch, der die Verfahren zur Entnazifi-zierung und die Anfänge der juristischen Auseinandersetzungmit den NS-Verbrechen transparent macht. Hierbei wendet er sichsowohl der Arbeit der Entnazifizierungsausschüsse zu als auchden Verfahren vor Spruchgerichten, die eine Besonderheit der bri-tischen Zone darstellten. Zusammenfassend kommt er zu demSchluss, dass die insgesamt milde Behandlung der Beschuldigten,die seinerzeit vielerlei Kritik hervorrief, letztlich zur Festigung desjungen Staates beitrug, indem zumeist hoch qualifiziertes Perso-nal in das neue Gemeinwesen eingebunden werden konnte.

Abschließend beleuchtet Martina Wiech das kulturelle Wie-deraufblühen Nordrhein-Westfalens, das sowohl auf hohemNiveau als auch in Form der populäreren Volksfeste schneller vor-anschritt als in sonstigen Lebensbereichen. Getragen wurde dieseEntwicklung, wie Wiech klarmacht, zudem von der Absicht derBriten, nicht nur das Kulturleben zu entnazifizieren, sonderndurch das Angebot an Ablenkungen auch Sicherheit und Ord-nung aufrecht zu erhalten und namentlich durch die Lizensierungvon Presse und Rundfunk die Fähigkeit der Deutschen zu Demo-kratisierung und Völkerverständigung zu befördern.

Die Aufsätze werden ergänzt durch zahlreiche und korrektzitierte Abbildungen, die gelungen mit den Texten korrespondie-ren. Allerdings überwiegen hier monochrome schriftliche undfotografische Reproduktionen, so dass schon die farbige Wieder-gabe musealer Alltagsgegenstände, die aus Kriegsmaterialgeschaffen wurden, angenehm auflockernd wirkt.

Angesichts des dichten Informationswertes des Jubiläumswer-kes, das einen umfassenden Einblick in die ersten Lebensjahre desLandes Nordrhein-Westfalen bietet, ist es bedauerlich, dass fürden Druck nur eine kleine, eng gesetzte Schrifttype gewähltwurde, die – mitunter grau auf grau gedruckt – beim Lesenanstrengt.

Niedersachsen

Ganz anders als das Heft aus Nordrhein-Westfalen nehmen sichdie Broschüre und die DVD aus, die das Niedersächsische Lan-desarchiv herausgegeben hat. Sinnfällig macht das schon dasComputer animierte, in die Zukunft galoppierende Niedersach-senross, das einen interessanten Kontrapunkt zu den historischenAufnahmen bildet, die auf dem Titel des nordrhein-westfälischenKatalogs zu sehen sind. Entspricht letzterer eher der klassischenhistorischen Publikation, wie sie zu derartigen Geburtstagen vonArchiven erwartet wird – eine solide Betrachtung, die sich auf daszu feiernde Ereignis und die unmittelbaren Umstände drumher-um konzentriert und durchaus die wissenschaftliche Herkunftihrer Verfasser erkennen lässt –, so sind die Veröffentlichungendes nördlichen Nachbarn wesentlich populärer angelegt. Wenigervertiefend, dafür inhaltlich breiter zielen sie nur am Rande aufden historisch interessierten Leser. Vielmehr sprechen sie breite-re Leserschichten und Zuschauer, vor allem jüngere und wenigergeschichtsbewusste Niedersachsen an.

Das gilt insbesondere für die farbige, umfangreich bebilderteBroschüre mit großzügigem Layout. Ohne historisches Vorwissender Leser vorauszusetzen, bietet sie auf 24 Doppelseiten leichtverständliche Darstellungen über verschiedenste Aspekte derGeschichte und Gegenwart Niedersachsens. Ausgehend von kon-kreten Einzelereignissen betrachten die Autoren – Archivare wieihre nordrhein-westfälischen Kollegen – nicht nur den politischenBereich, wie die frühen Jahren der Landespolitik, die Bildungeines einheitlichen Landes und die Landesregierungen. Auch dieStellung der Kirche in Niedersachsen findet ihren Raum, ebensoBildung und Kultur und der niedersächsische Beitrag zur

Umweltbewegung, die in den Protesten gegen das Atommüll-Endlager Gorleben einen ihrer signifikanten Ursprünge hat. Fer-ner wird die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorgestellt,wie der ökonomische Aufbruch Niedersachsens nach dem Kriegin Industrie und Landwirtschaft, die Bewältigung des Struktur-wandels und die weltweite Bedeutung der Messe in Hannover.Aber auch die Leistung bleibt nicht unerwähnt, die Niedersach-sen mit dem Lager Friedland für die Integration von Vertriebenen,Flüchtlingen sowie Asylbewerbern erbracht hat. Und selbst einwerbender Hinweis auf das Ferienland Niedersachsen fehlt nicht.Die Anordnung der Themen ist dabei abwechslungsreich gestal-tet und einer Zeitleiste geschuldet, die wie ein roter Faden dasHeft durchzieht und an der die Einzelereignisse festgemacht sind.

Die DVD mit ihrer etwa einstündigen Präsentation greift fünfAspekte, die der Katalog anreißt, auf und wendet sich ihnen ein-gehender zu. Gleichwohl wird auch hier historisches Hinter-grundwissen nicht vorausgesetzt. In einer routinierten Mischungaus alten Filmausschnitten, Wochenschauberichten und Inter-views mit prominenten und weniger prominenten Niedersachsensowie den Kommentaren eines Off-Sprechers erfährt derZuschauer vor allem etwas über die politische und wirtschaftlicheEntwicklung des Landes. So vollzieht die Dokumentation etwaden Weg zur Landesgründung in groben Zügen nach und verfolgtdie Frage, was die Integration der Nachkriegszeit von der gegen-wärtigen unterscheidet. Das Plattdeutsche, möchte man hier mitdem überraschten und amüsierten Zuschauer sagen. Darüber hin-aus tritt das Wirtschaftsland Niedersachsen nachdrücklich hervor.Das zeigen die Betrachtungen zum Wandel in der Landwirtschaft,zum Strukturwandel der niedersächsischen Wirtschaft, der ganzaktuell sogar die Hartz-Gesetze mit einbezieht, und zu den posi-tiven Antworten des Landes auf die Globalisierung. Überdieswird die Messe in Hannover als ebenso ökonomisch potente wieMenschen verbindende Einrichtung ins rechte Licht gestellt.Beschlossen wird das viersprachige Werk mit Glückwünschen derInterviewpartner, darunter des Alt-Ministerpräsidenten ErnstAlbrecht, und einem Grußwort des jetzigen Landesvaters Christi-an Wulff.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nordrhein-westfäli-schen Publikation zeigt sich, dass es den beiden niedersächsischenVeröffentlichungen weniger um einen Rückblick geht. Vielmehrzielen sie zum einen darauf ab, die Vielfalt eines großen Flächen-landes zu präsentieren. Das gelingt informativ und unterhaltsam,ohne didaktisch aufdringlich zu wirken. Es wird aber ebensodeutlich, dass die Werke des Weiteren die Absicht verfolgen, ineinem Land, das von besonderem Regionalbewusstsein geprägtist, die gemeinsame niedersächsische Identität zu fördern. Dem-entsprechend stehen die Stärken, die das Land in unterschiedlich-sten Bereichen auszeichnen, im Vordergrund. Kritisches Hinter-fragen von Entwicklungen und Gegebenheiten tritt hingegenzurück. So überrascht es, dass im Katalog immerhin das Erstar-ken der NPD im Niedersachsen der 1960er Jahre Erwähnung fin-det, wenngleich unter dem abmildernden Hinweis, dass dieserUmstand auch in anderen Ländern jener Jahre zu beobachten war.

Diese positive Fürsprache, die die Werke des Niedersächsi-schen Landesarchivs einlegen, mag zwar denjenigen irritieren, dermit der archivischen Öffentlichkeitsarbeit ausschließlich histori-sche Bildungsarbeit verbindet. In einer Zeit aber, in der sich Archi-ve verstärkt modernen Managementmethoden zuwenden undihre Funktion auch als vielseitiger Dienstleister der Verwaltungverstehen, machen die niedersächsischen Werke deutlich, dassArchive zugleich fähig sind, Marketingaufgaben, wie das Werbenfür das eigene Land, gekonnt zu bewältigen.

Berlin Michael Klein

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Archiv der Grafen von Bissingen und Nippen-burg. Hohenstein. Bearb. von Jürgen König. VerlagW. Kohlhammer, Stuttgart 2005. 695 S., geb. 52,- €. ISBN978-3-17-018499-2(Inventare der nichtstaatlichen Archive in Baden-Würt-temberg, Bd. 32)

Der Titel des hier anzuzeigenden Buchs über das Archiv der gräf-lichen Familie von Bissingen und Nippenburg in Hohenstein,Gemeinde Dietingen, Landkreis Rottweil verrät nur dem Kenneretwas, v. a. wenn er das prachtvolle Gebäude auf dem Titelbildals das Neue Schloss in Schramberg im württembergischenSchwarzwald zu identifizieren vermag. Der historisch interessier-te Laie und gelegentliche Archivbenutzer stößt indes erst im Vor-wort des Präsidenten der Landesarchivdirektion Baden-Württem-berg auf eine zielführende Angabe über den Inhalt des Buches.Schreibt er doch, dass das hier publizierte Archivinventar für dieErforschung der Geschichte der ehemaligen vorderösterreichi-schen Herrschaft Schramberg die wesentlichsten Urkunden undAkten enthält.

Dieser Hinweis deckt freilich nur die eine, die politisch-admi-nistrative, Zuordnung des Archivs ab. Die andere Seite spiegeltdie Familiengeschichte der Grafen von Bissingen und Nippen-burg wider, die immerhin seit 1648 im Besitz der HerrschaftSchramberg war. Besonders diese personenbezogenen Quellenreichen weit über den Raum Schramberg und Baden-Württem-berg hinaus, was mit den Ämtern und Besitzungen der gräflichenFamilien zusammenhängt. Den Hintergrund hierfür bildet dasLehensverhältnis der Herrschaft Schramberg zu Vorderösterreich.Im Dienst der Habsburger standen nämlich viele Familienange-hörige und etliche von ihnen sind bis in höchste Regierungsäm-ter aufgestiegen, z. B. Ferdinand Graf von Bissingen (1749-1831)und sein Sohn Cajetan (1806-1890).

Soviel zur Bedeutung des Archivs Bissingen-Nippenburg! Aus-führlicheres, als Stichwörter zu geben im Stande sind, ist den ein-leitenden Kapiteln „Geschichte der Herrschaft Schramberg bis1648“, „Familiengeschichte der Grafen von Bissingen“ und„Archivgeschichte“ (S. 19-37) zu entnehmen. Darin ist zu erfah-ren, dass es anfangs keine mittelalterliche Herrschaft oder garGrafschaft Schramberg gab, sondern die Herrschaft Schrambergdank der Bemühungen des Hans von Rechberg zu Hohenrech-berg erst ab 1448 zustande kam. Ihre spätere Ausformung schul-det sie gar dem konfessionellen und herrschaftlichen Gegensatzzwischen Habsburg und Württemberg.

Den Hauptteil bildet das eigentliche Inventar. Dieses undsomit der Archivkörper sind ganz traditionell gegliedert. Es wer-den Urkunden, Akten und Ämterbücher sowie Karten und Pläneunterschieden, wobei die älteste Originalurkunde aus dem Jahr1384 stammt und ein Grundstücksgeschäft in Horgen bei Rottweilzugunsten einer Nonne im Kloster Kirchberg betrifft. Die Rege-sten beschränken sich auf die notwendigsten Angaben zu denhandelnden Personen und dem Rechtsobjekt sowie auf die Zeu-gen. Bei Grundstücksgeschäften werden auch Örtlichkeitsbe-zeichnungen mitgeteilt, sodass die für die landeskundliche For-schung wichtige Mikrotoponomastik nicht im Verborgenen bleibt.

Wie bei allen Inventaren und Findbüchern erweist sich ihr Wertin der Handhabung und Benutzerfreundlichkeit. Um hier hilfrei-che Dienste leisten zu können, bedarf es stets detaillierter Indizes.Der Bearbeiter erfüllt diesen Wunsch mit je einem strikt vonein-ander getrennten Orts- und Personenregister. Ein gesondertesSachregister fehlt leider. Sachbegriffe finden sich aber im Ortsre-gister als Unterpunkte zu Siedlungen und Gemeinden. Doch wäredas systematische Verzeichnis der Urkunden, welches den Regi-stern vorangestellt ist (S. 649-655), ein besserer Ansatz dazu; frei-lich hätte es auf die Aktenbestände ausgedehnt werden müssen.Immerhin wird man über das Personenregister auf seltene Schrift-stücke aufmerksam gemacht wie beispielsweise auf eine Rede desTiroler Freiheitshelden Andreas Hofer nach seinem Einzug inInnsbruck am 15. August 1809.

Die Veröffentlichung des Inventars des Archivs der Grafen vonBissingen und Nippenburg stellt zweifellos eine Bereicherung der historischen Forschung dar. Als Findbuch erfüllt es seineZwecke, wenngleich das eher dürftige Literaturverzeichnis dem

Suchenden kaum als Wegweiser dienen kann. Auch der in einerFußnote versteckte Hinweis auf die Ende 2004 erschienene Stadt-geschichte von Schramberg kann kein Ersatz sein und wärezudem besser am richtigen Ort platziert worden.

Mössingen Rainer Loose

Archives and the Public Interest. Selected Essaysby Ernst Posner. Edited by Ken Munden. With aNew Introduction by Angelika Menne-Haritz. Socie-ty of American Archivists, Chicago 2006. XIV, 215 S., Paperback. 49 US-$. ISBN 1-931666-16-4

„Pour faire l’archiviste il faut être un homme intelligent – unhomme intelligent ne fait pas l’archiviste.“ Glücklicherweise trifftdieses Bonmot des italienischen Diplomaten Daniele Varè (1880-1958) nicht immer zu: Ernst Posner, geboren 1892, studierteGeschichte, wurde 1920 mit einer Dissertation über die Registra-tur Papst Gregors I. promoviert und im selben Jahr Archivar imPreußischen Geheimen Staatsarchiv. Nach der Machtergreifungder Nazis, den zunehmenden Repressionen und einer Inhaftie-rung im KZ musste der aus einer jüdischen Akademikerfamiliestammende Intellektuelle Deutschland verlassen. Mit seiner Ehe-frau Katharina emigrierte er in die USA, wo er als Dozent fürangehende Archivare an der American University in Washingtonseine zweite Karriere begründete und schließlich zum Grand OldMan des amerikanischen Archivwesens wurde (Mommsen).

1967, aus Anlass seines 75. Geburtstags publizierte Ken Mun-den einige von Posners Essays mit einer warmherzigen Würdi-gung des zu Ehrenden von Paul Lewinson.1 Angelika Menne-Haritz ist zu verdanken, sie wieder ins Bewusstsein der Archiv-wissenschaft gerückt zu haben. Menne-Haritz stellt der Editionunter dem Titel „Reconsidering an Archival Classic: Ernst Pos-ner’s Archives and the Public Interest“ eine kontextualisierendeEinleitung voran (S. V-XIV).2 Sie weist insbesondere auf den Ein-fluss von Adolf Brenneke und Johannes Papritz auf Ernst Posnerhin und leitet in die ausgewählten Essays ein.

Die 16 Aufsätze sind in sechs Bereiche gruppiert: Den Auftaktbilden „Basic Principles“ mit dem 1940 verfassten Aufsatz überEntwicklung der Archive seit der Französischen Revolution (S. 23-35) und dem 1950 entstandenen Beitrag über Max Lehmann unddie Anfänge des Provenienzprinzips (S. 36-44). Die Ausbildungvon Archivaren im zweiten Teil stellt Posner am Beispiel Europas,verfasst 1941 (S. 45-57), und am Beispiel der Vereinigten Staatenaus dem Jahr 1954 (S. 58-77) vor.

Der dritte Teil zur Archivwissenschaft in Europa umfasst vierBeiträge. Zunächst widmet Posner sich in dem 1959 geschriebe-nen Aufsatz den Impressionen eines durch Europa wanderndenArchivars, in dem insbesondere die Entwicklung des spanischenArchivwesens vorgestellt wird (S. 78-86). Aus dem Jahr 1941stammt der Beitrag über die Rolle von Akten in der deutschenVerwaltung (S. 87-97), in dem Posner das Registraturwesen desDeutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik, die Ausbil-dung und die charakterlichen Vorzüge des Registrators sowie dieZusammenarbeit mit dem Archiv bespricht. Der Beitrag überAkten in der italienischen Verwaltung (S. 98-106) von 1943 stehtin engem Zusammenhang mit der Situation während des Krieges.Akten sind nach Posner essentielle Instrumente für die Verwal-tung des besetzten Landes – „Records may be a Weapon“ (S. 98)–, daher erläutert er Verwaltungsaufbau, Geschäftsgang undSchriftgutverwaltung. In dem 1940 veröffentlichten Aufsatz überAkten der Lokalverwaltung (S. 107-113) spricht Posner die Auf-bewahrung kommunalen Archivguts in kommunalen und staat-lichen Archiven Europas an und hebt die Archivberatungsstelleim Rheinland als gelungene Einrichtung ebenso hervor wie dieandere Formen der Archivpflege.

1 Vgl. dazu auch die Rezension von Walter Rundell, Jr., in AHR 73 (1968),S. 1609 f.; Mommsen, Wolfgang A.: Ernst Posner. Mittler zwischendeutschem und amerikanischem Archivwesen, in: Der Archivar 20, 3(1967), Sp. 217-230.

2 Zuerst veröffentlicht in: The American Archivist 68, 2 (2005), S. 323-332.

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Der vierte Teil ist der Erfahrung im amerikanischen Archivwe-sen gewidmet und umfasst fünf Beiträge. 1939, also noch vor sei-ner Emigration verfasst, ist der Beitrag über Archivverwaltung inden Vereinigten Staaten (S. 114-130).

1954 befasste Posner sich in „The National Archives and theArchival Theorist“ (S. 131-140) mit den Errungenschaften und dennoch ungelösten Herausforderungen der erst zwanzigjährigenInstitution. Während er einerseits die Verfilmung von Archivgutals Bruch mit der besitzergreifenden Haltung von Archivaren zu‚ihren’ Akten feiert, weist er nachdrücklich auf den Mangel anprofessioneller Ausbildung amerikanischer Archivare hin undspricht sich für ihre stärkere Auseinandersetzung auf archivwis-senschaftlichem Gebiet und historischer Forschung aus. 1960 ver-öffentlichte Posner eine Festrede auf Solon J. Buck, den Kollegenund Freund, dem er die Aufnahme in die American Universityverdankte (S. 141-147). Er betont Bucks Verdienste für die Natio-nal Archives und die Society of American Archivists. Der Beitragüber Archive an Colleges und Universitäten in den USA (S. 148-158) stammt aus dem Jahr 1952. Posner hebt hervor, dass in denmeisten Ländern Archive aus Verwaltungs- und Regierungsein-richtungen entstanden, aber die Einrichtung der National Archi-ves und zahlreicher Archive in anderen Staaten der USA vor allemauf die Anstrengungen der Geschichtswissenschaft zurückzufüh-ren sei. Da in den USA darüber hinaus die meisten Colleges undUniversitäten nicht staatliche, sondern private Institutionen seien,gehöre die Bewahrung diesen besonderen Schriftguts zu den Her-ausforderungen der Archivare. Posner betont, es sei auch Aufga-be des Archivars, „a healthy influence on the creation of records“(S. 157) zu nehmen, indem er beratend in der Schriftgutverwal-tung wirke. In dem Aufsatz über den amerikanischen Archivar,„this new Man“ (S. 159-167), von 1957 fokussiert Posner auf denhomo archivalis Americanus, der immerhin zu 33% weiblich sei.Darüber hinaus betont er, dass der amerikanische Archivar imUnterschied zu seinen europäischen Kollegen die Akte „frombirth to box“ (S. 164) begleite und daher ein „records manager“sei, der stärker als in Europa „salesman“ seiner Sache sein müsse,zumal die Gesellschaft Archivare nach wie vor als „mere antiqua-rians, lap dogs“ (S. 165) betrachte.

Zwei Aufsätze zum Bereich „Archives in Wartime“ bilden denfünften Abschnitt. 1941 setzte Posner sich mit den Auswirklungenvon veränderter Herrschaft über Archive auseinander (S. 168-181). Er betont, dass Friedensverträge seit dem 17. Jahrhundertvielfach Bestimmungen über Urkundenauslieferungen enthielten.Die Gefahr für das Archiv macht er u. a. an der Dritten TeilungPolens 1795 deutlich, die zur Aufteilung des Archivguts, sogar zurZertrennung von Amtsbüchern unter Russland, Preußen undÖsterreich führte. Der Erhalt von Archiven sei oberstes Gebot, dieFrage des Zugangs könne durch die Anfertigung von Mikrofilmengelöst werden. 1943 verfasste Posner einen Beitrag über Schrift-gut und militärische Besatzung (S. 182-197). Das Haager Abkom-men sollte zwar den Schutz des Archivguts fördern, aber Posnerweiß von anderen Erfahrungen z. B. während der Weltkriege zuberichten. Er unterstreicht darüber hinaus das Interesse des Besat-zers an Akten des besetzten Gebiets, die eine geordnete Ver-waltung ermöglichten.

Den Abschluss bildet ein undatiertes Statement über Archiva-re und deren Bewusstsein für internationale Fragen (S. 198f). ImAnhang findet sich eine Bibliographie von Posners Publikationen(S. 200-204) sowie ein Sach- und Personen-Index (S. 205-215).

Posner zählt unbestreitbar zu den einflussreichsten archivwis-senschaftlichen Theoretikern des 20. Jahrhunderts. Seine Essaysgehören in den Kanon der Archivklassiker. Mehr als 60 Jahre nachihrem Entstehen haben seine Überlegungen kaum an Aktualitäteingebüßt und sind darüber hinaus überaus lesenswert.

Koblenz Pauline Puppel

Anette Baumann, Advokaten und Prokuratoren.Anwälte am Reichskammergericht (1690-1806). BöhlauVerlag, Köln – Weimar – Wien 2006. 230 S. geb. 32,90 €.ISBN 978-3-412-07806-5(Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbar-keit im Alten Reich, Bd. 51)

Wer sich mit den (immer zahlreicher werdenden) gedrucktenFindbüchern zu den Beständen des Reichskammergerichts (imfolgenden RKG) auskennt, der weiß, dass dort auch die Namender Prokuratoren aufgenommen werden – nicht jedoch die derAdvokaten. Auch gehört es zu den Verzeichnungsrichtlinien desgroßen RKG-Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft,pro Bestand und für jedes Findbuch einen Prokuratorenindex zuerarbeiten. Dieser soll idealiter jedem Prozess mindestens einenProkurator zuordnen, freilich ohne dabei auf biographische oderprosopographische Belange eingehen zu können: Die Prokurato-ren, erst recht die ihnen untergeordneten Advokaten, sind näm-lich in der RKG-Überlieferung vor allem durch fachwissenschaft-liches Schriftgut, d. h. durch ihre Prozessschriftsätze wahrnehm-bar, die Individuen selbst und ihr ‚Sitz im Leben’ bleiben in denAkten jedoch so gut wie unsichtbar. Daraus folgert, dass die klas-sischen RKG-Archivalien, d. h. die Prozessakten, als Forschungs-grundlage für die Fragestellung Baumanns längst nicht ausrei-chen; die Verfasserin nutzt daher auch den Quellenwert der RKG-Findbücher samt den einschlägigen Registern und stützt sichansonsten auf Parteiakten, Adelsarchive, Nachlässe sowie auf per-sönliche Papiere der Prokuratoren in den Stadtarchiven Wetzlarund Reutlingen.

Die RKG-Anwaltschaft bildete einen wichtigen Bestandteil derWetzlarer Kameralgesellschaft. Die Advokaten, die den operati-ven Kontakt zu den ortsgebundenen Streitparteien aufrechterhiel-ten, waren in der Regel Urheber und Autoren prozessualer Anträ-ge, Klageschriften, Einreden, Repliken, Dupliken usw., die Proku-ratoren wiederum waren die eigentlichen Parteivertreter, über-nahmen die Verhandlungen vor Gericht und bedienten die Akten-vorgänge am RKG.

Die Studie setzt mit dem Neuanfang des RKG in Wetzlar1690/93 ein und schließt erst mit dessen Ende im Zuge der Auf-lösung des Reiches im Sommer 1806. Sie nimmt damit die vonzwei Visitationen, jahrelangen Schließzeiten und anderen Struk-turkrisen geprägte Spätzeit des RKG in Blick, mit der auch einsoziales Absinken der RKG-Anwaltschaft verbunden war. Bau-mann kann dabei nur von wenigen Vorarbeiten zum RKG-Perso-nal ausgehen (darunter auch einige Studien aus ihrer Feder), erstdie 1990er Jahre bescherten neuere Erkenntnisse über die Anwalt-schaft am RKG.

Baumann geht es um die Ausbildung und Arbeitsweise, umKarrierestrategien, das sich wandelnde Sozialprofil und um dieEinbettung der Anwälte in den Wetzlarer Rechtsbetrieb. Kaummehr als 20-40 Prokuratoren gleichzeitig bewältigten denGeschäftsanfall und das Prozessaufkommen während des 18.Jahrhunderts, wobei sich bei einigen Prokuratoren regionaleTätigkeitsschwerpunkte abzeichnen. Die Anwälte wurden meistan bedeutenden Juristischen Fakultäten des Reiches ausgebildet,nicht wenige studierten auch bei Johann Stephan Pütter in Göt-tingen, der wichtigsten Autorität der späten Reichsjurisprudenz.Eine tendenziell steigende Zahl von Advokaten und Prokurato-ren, Universalrechtsanwälte ohne Spezialisierung auf bestimmteRechtsmaterien, stand einer sinkenden Anzahl von Verfahren undlukrativen Mandaten sowie einer nachlassenden Akzeptanz undBedeutung des RKG im Rechtsleben des Reiches gegenüber.Damit einher gingen Konkurrenz- und Selbstbehauptungskämp-fe im ständisch-sozialen Mikrokosmos der Reichsstadt Wetzlar,wo es den Prokuratoren – ganz anders als noch im 16. und 17.Jahrhundert – nicht mehr gelang, zum adeligen Sozialprestige derRichter und Assessoren aufzuschließen. Nichtsdestowenigerprägten nach einem Konzentrationsprozess einige großen Kanz-leien den Wetzlarer Gerichts- und Gesellschaftsbetrieb des späten18. Jahrhunderts, zu welchem auch die Berührung mit geistigenStrömungen wie Pietismus, Aufklärung sowie Freimaurer- undIlluminatentum gehörten.

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Besonderes Augenmerk widmet Baumann einer handvollAnwaltsdynastien, die entweder Verbindungen zu etabliertenWetzlarer Kameralfamilien suchten oder sich durch ‚Heiratspoli-tik’ dem regionalen hessischen Adel annäherten; genealogischeSchemata liefern dabei detaillierte Informationen zu einzelnenPersonenverbänden. Als bedeutend und überzeugend darf Bau-manns Erkenntnis gelten, dass viele der Prokuratoren nicht nurals Parteivertreter vor Gericht auftraten, sondern sich auch alsAgenten, Syndici, politisch-juristische Gutachter, Ratgeber,Bevollmächtigte, Diplomaten und Korrespondenten verdingten.Sie machten sich damit unentbehrlich für die Pflege der politi-schen Verbindungen der Reichsstände und Territorialfürsten zuden Reichsinstitutionen. Einige Prokuratoren kann Baumannsogar als Verfasser von Denkschriften und Diskussionspapierenzur Reform des Reiches bzw. der Reichsgerichtsbarkeit am Endedes 18. Jahrhunderts nachweisen. Die Prokuratoren und ihreNetzwerke gehörten damit zum sog. Reichspersonal, das auchnoch im späten 18. Jahrhundert Wesentliches zum ‚Reichszusam-menhang’ beisteuerte. Viele von ihnen operierten bewusst in die-ser Grauzone, um jenseits erfolgsabhängiger, mengenmäßig sin-kender Prozesshonorare weitere Einkommensquellen zu erschlie-ßen; nach 1806 sollten gerade diese Randbereiche das beruflicheÜberleben mancher RKG-Juristen sichern.

Der Arbeitsanfall der Kanzleien birgt noch in der Schlusspha-se Überraschungen: Ein allerletzter Boom im Prozessaufkommendes RKG, nachweisbar im Anschluss an die Säkularisation 1803,milderte kurzfristig die Existenzsorgen der Anwälte und offenbartnoch in der Agonie des Reiches dessen Wesen als Rechtsmittel-und Rechtswegestaat. Verdienstvoll weist Baumann auch aufNeuanfänge und nachgelagerte Karrieren diverser Prokuratorenhin, die nach 1806 in Justiz, Verwaltung oder Diplomatie der Städ-te Wetzlar, Stuttgart und Darmstadt neue Beschäftigung fanden.Damit kann man auch die Anwaltschaft des späten RKG der„Generation 1806“ (Wolfgang Burgdorf) zurechnen, für die derReichsuntergang eine schwerwiegende biografische Zäsur dar-stellte. In archivgeschichtlichem Zusammenhang erwähnt Bau-mann zu Recht auch den Advokaten Dr. Friedrich CorneliusDietz, der als Bundesarchivkommissar nach 1821 entscheidendeVorarbeiten zum sog. Wetzlarer Generalrepertorium leistete.

Fazit: Baumanns Arbeit schließt eine wichtige Lücke in derErforschung des RKG-Personals. Die Studie liefert für die Reichs-ebene wesentliche Erkenntnisse über die Professionalisierungund funktionale Differenzierung des frühneuzeitlichen Juristen-standes in Deutschland.

Recklinghausen Matthias Kordes

Essener Beiträge. Beiträge zur Geschichte vonStadt und Stift Essen. Klartext Verlag, Essen 2005.117. Band: 125 Jahre Historischer Verein für Stadt undStift Essen. Bearb. von Klaus Wisotzky. 272 S., 69 Abb.,geb. 25,- €. 118. Band: Die „Essener Beiträge“ 1881-2004.Bearb. von Cordula Holtermann und Klaus Wisotz-ky. 144 S., geb. 15,- €

Jubiläen werden zur Rückbesinnung und Selbstdarstellung gefei-ert, wobei in den letzten Jahrzehnten durchaus ungewöhnlicheJahreszählungen in Mode gekommen sind. Zu den seit längeremakzeptierten Jubiläen gehört der 125. Geburtstag, den im Jahre2005 der Historische Verein für Stadt und Stift Essen e. V. feiernkonnte. Neben einer dichten Vortragsreihe, einem eigenen Sym-posion und einer Festveranstaltung mit großer historischer Fest-rede sind aus diesem Anlass auch zwei weitere Bände der bekann-ten Essener Beiträge erschienen. Der eine enthält eine Übersichtüber sämtliche bisher erschienenen Veröffentlichungen der Esse-ner Beiträge einschließlich der Buchbesprechungen in chronolo-gischer Reihenfolge, ergänzt durch ein Verfasserverzeichnis, einVerzeichnis der besprochenen Bücher und ein Register, dessenStichworte vornehmlich aus den Überschriften abgeleitet wurden.Nur so ließ sich der Index auf 20 Seiten begrenzen. Für eine mitInternet und Suchmaschinen wie Google aufgewachsene Genera-tion historisch Interessierter zeigt dieses verdienstvolle Register

sehr schnell auf, dass es noch viele historische Informationenaußerhalb des World Wide Web gibt.

Einen gesonderten Band nimmt die Darstellung der 125-jähri-gen Vereinsgeschichte ein. Auf über 200 Seiten stellt der Leiter desStadtarchivs, Dr. Klaus Wisotzky, zugleich Schriftleiter der Esse-ner Beiträge, fundiert, quellengestützt die Vereinsgeschichte dar,wobei neuere sozialgeschichtliche Fragestellungen wie die nachder Herkunft der Mitglieder in Tabellenform präsentiert werden.

Dass der Historische Verein die Bewahrung seiner eigenenGeschichte nicht zu seinen eigenen Aufgaben gemacht hatte,selbst nicht in den letzten Jahrzehnten, erstaunt angesichts derengen personellen Verbundenheit zwischen dem Stadtarchiv unddem Verein. Die ersten Vorsitzenden waren zugleich ehrenamtlichals Archivare tätig, und auch als nach jahrzehntelangem Drängenseitens des Vereins endlich das Stadtarchiv hauptamtlich besetztwerden konnte, war es selbstverständlich, dass sich der Stadtar-chivar im Vorstand betätigte. So ist die Vereinsgeschichte aucheine kleine Archivgeschichte.

Das Fehlen einer Vereinsüberlieferung erklärt, warum keineGrafik der Entwicklung des Vereinsvermögens sowie keine Tabel-le der Vorstandsmitglieder mit Dauer ihrer Gremienzugehörigkeitabgedruckt ist. Dennoch erfährt der Leser ungewöhnlich Vieles –auch Selbstkritisches – über Vereinsvorstände und Geschäftsfüh-rer, über die Vereinsaktivitäten, über das Verhältnis des Vereinszur Stadt und seinen Museen, zur Universität und ihren Hoch-schullehrern (nichts aber zu den Geschichtsstudenten, die keineZielgruppe zu sein scheinen). Auch zum Verhältnis zu denGeschichtsinitiativen und zum Kettwiger bzw. WerdenerGeschichtsverein hätte man sich mehr gewünscht. Doch wo sichkeine Quellen finden lassen, stößt auch der engagierteste Histori-ker an seine Grenzen.

Da das Buch erst nach dem Jubiläum erschien, war es möglich,fotografische Impressionen der 125-Jahr-Feier mit abzudrucken,die hoffentlich auch an anderer Stelle umfangreich archiviert wer-den. Denn ein Mangel an fotografischen Dokumenten aus der Ver-einsgeschichte fällt beim Durchblättern des Bandes sofort auf. Dievorbildliche Vereinsgeschichte wird durch ein Personenregistererschlossen und durch einen Anhang über die Vortragsveranstal-tungen des Historischen Vereins (1880–2005) mit Referent, Titelund Datum ergänzt.

Duisburg Manfred Rasch

Friedrich Baudri . Tagebücher 1854-1871. ErsterBand 1854-1857. Bearb. von Ludwig Gierse und ErnstHeinen. Droste Verlag, Düsseldorf 2006. 367 S., kart.ISBN 978-3-7700-7626-0(Publikationen der Gesellschaft für RheinischeGeschichtskunde LXXIII)

Die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, seit weit über100 Jahren eine der wichtigsten Institutionen zur Edition rheini-scher Geschichtsquellen, hat mit dem hier vorgestellten Banddamit begonnen, die Tagebücher des Kölner Malers und PolitikersFriedrich Baudri (1808-1874) aus den Jahren 1854 bis 1871 zu edie-ren. Die bis 1997 in Privatbesitz befindlichen, seither im Histori-schen Archiv des Erzbistums Köln allgemein zugänglichen Tage-bücher galten schon seit mehr als vier Jahrzehnten als Geheimtippfür Historiker und Kunsthistoriker, wie die Auflistung der For-schungsarbeiten in der Einleitung zur Edition ausweist, zu denendie noch unedierten Tagebücher bereits herangezogen wordensind.

Es bedurfte des Zusammentreffens der beiden Bearbeiter, desKunsthistorikers (und letzten Eigentümers der Tagebücher) Lud-wig Gierse und des emeritierten Ordinarius für Geschichte an derErziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln,Ernst Heinen, um den vollen Gehalt des in knappster Form nie-dergeschriebenen Tagebuchinhalts für die nur scheinbar ausein-ander liegenden Forschungsrichtungen, die von den beiden Bear-beitern vertreten werden, zu erschließen. In der Person Baudris,seinen weit gespannten Interessen und im personellen Bezie-hungsgeflecht seines gesellschaftlichen Umfeldes bilden sie einenatürliche Einheit.

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In der vorzüglichen Einleitung gelingt es den Bearbeitern,diese Bezugspunkte, die sich in der Nennung von mehr als 860Namen (allein für die vier Jahre des ersten Bandes) kaleidoskop-artig mischen, zu einem Ganzen zusammenzufügen, so dass siefür den Leser aussagekräftig werden. Da die Tagebücher der Jahre1843 bis 1853 verloren sind (diejenigen der Jahre zuvor sind, vonGierse bereits ediert, eher für den Kunsthistoriker von Interesseals für den Allgemeinhistoriker), setzen die ab 1854 für jedes Jahrerhaltenen Bände (in der Form von durchschossenen Schreibka-lendern) ziemlich abrupt ein. Daher nimmt der Benutzer der Edi-tion dankbar das mit kräftigen Strichen entworfene, aber dennochmit der notwendigen Differenzierung ausgestattete Bild dergesellschaftlichen Situation Kölns wahr, wie es sich für die nach-revolutionäre Reaktionszeit darbietet. Trotz der in diesen Jahrenmit aller Kraft einsetzenden Urbanisierung und Modernisierungblieb für den auswärtigen Betrachter „der biedermeierliche undkatholische Charakter der Stadt“ noch lange erhalten. Auch wennder reaktionäre preußische Staat keine Vereine mit politischen Zie-len zuließ, entwickelte sich, getragen vom mittleren Bürgertum,ein buntes Vereinsleben, ein „Netzwerk interner und externerBeziehungen“, wie die Herausgeber den sprichwörtlichen „köl-schen Klüngel“ (unter Einschluss dieser Vokabel!) definieren.

„In diese kölnische Welt trat 1848 der gerade vierzig Jahre altgewordene, durch sein Kunststudium und seine Reisen nach Süd-osteuropa weltgewandte Maler Friedrich Baudri ein.“ Der alsSohn eines französischen Emigranten und einer Düsseldorferin,die es in das multikonfessionelle und frühindustrialisierte Elber-feld verschlagen hatte, Geborene war nach seiner Ausbildungs-und Wanderzeit in dem ihm bis dahin unbekannten Köln gelan-det, wo sein ältester Bruder Johann als Generalvikar und (ab1849/1850) Weihbischof des mächtigen Erzbischofs (und baldigenKardinals) von Geissel über weitreichende Verbindungen verfüg-te, die dem Neukölner innerhalb kürzester Zeit die Türen zur Köl-ner Gesellschaft öffnen halfen.

Beruflich hatte sich Baudri von der akademisch erlernten, aberwenig ertragreichen Porträtmalerei ab- und der im Zuge desDomweiterbaus erfolgversprechenderen Glasmalerei zugewandt.Dank der Mitgift seiner aus Koblenz stammenden Frau gelang esihm, zusammen mit dem Domwerkmeister Vinzenz Statz unddem städtischen Konservator Johann Ramboux eine eigene Glas-malereiwerkstatt zu gründen, die bald zu einer der anerkanntes-ten im Rheinland wurde. Parallel zu dieser wirtschaftlichenGrundlage entwickelte Baudri eine ideelle: Gemeinsam mit demJuristen, Politiker und Kunsttheoretiker August Reichensperger,der von der englischen Gotik beeinflusst und begeisterter Anhän-ger der Kölner Dombaubewegung war, wurde Baudri zu einemSchöpfer der Neugotik. Die von ihm 1851 gegründete Zeitschrift„Organ für christliche Kunst“ bot ihm dazu ein Forum, sich alsKunsttheoretiker und Kunstschriftsteller einen Namen zumachen, Dass er ein Jahr später, zusammen mit seinem weihbi-schöflichen Bruder, den „Verein für christliche Kunst“ initiierte,ließ ein immer dichteres Beziehungsgeflecht entstehen, das dieinzwischen angesehene Stellung Baudris in Köln und darüberhinaus in der Rheinprovinz verdeutlichte.

Im Folgenden sollen aus Platzgründen keine beispielhaftenZitate der stichwortartigen Tagebucheintragungen angeführt wer-den (diese gewinnen an Aussagekraft durch die Kommentierungsowie durch das Aufspüren von Querverbindungen innerhalb despersonellen kölnischen Beziehungsgeflechts). Stattdessen wirdschwerpunktmäßig auf einige Themenkomplexe hingewiesen, diesich an den Eintragungen ablesen lassen.

In einem ersten Themenkomplex geht es um die christlicheKunst, beginnend mit der beruflichen Grundlage Baudris, derGlasmalerei (Einholen von Aufträgen, Verhandlung mit Architek-ten, Künstlern, Bauherren; vgl. Januar 1854); kunsttheoretischeUntermauerung dieser Tätigkeit [Gründung des „Organ(s) fürchristliche Kunst“, alleinige Herausgeberschaft; vgl. 22.1.1854, mitKommentar]; Propagierung der christlichen Kunst durch Vereins-gründung und aufwendige Ausstellungsprojekte (vgl. 19.4.1854,mit Kommentar); Gründung des Erzbischöflichen Museums (vgl.18.6.1855).

Der Bereich Politik kommt zum Ausdruck in Baudris Mitwir-kung bei der von ihm initiierten katholischen Tageszeitung „Rhei-nische“ bzw. „Deutsche Volkshalle“ (vgl. 17.3.1854, mit Kommen-tar), seiner Wahl in den Kölner Stadtrat (November 1855 bisFebruar 1856, mit Erwähnung zahlreicher Einzelheiten) sowie inder Auseinandersetzung mit dem Preußischen Staat über das Ver-bot, 1854 in Köln den Deutschen Katholikentag abzuhalten (vgl.Juli bis September 1854).

Das Thema „Kirche“ bzw. „Katholizismus“ spiegelt sich widerin den Tagebuchaufzeichnungen auf nahezu jeder Seite, angefan-gen von der Nähe zu seinem weihbischöflichen Bruder, mit demer sich mehrmals wöchentlich trifft (Stichwort „Burgmauer“ =weihbischöflichen Haus; seine dortigen Besuche gelten jedochauch der Mutter der Brüder Baudri, die dort im August 1856 hoch-betagt stirbt; vgl. die sehr persönlichen Aufzeichnungen 5. - 9.August 1856), über die Schilderung von Großveranstaltungen derKölner Katholiken, z. B. Prozessionen mit bis zu „circa 20 - 25.000Teilnehmer(n)“ (28.5.1855) bis hin zu den Auseinandersetzungeninnerhalb des kölnischen Katholizismus mit dem heftigen Streitum die Ausgestaltung der Feierlichkeiten im Anschluss an dieVerkündigung des Mariendogmas 1854 (Aufstellung einer Mari-ensäule und/oder Erstellung des Marienhospitals), in dem sichBaudri letztlich dem Kompromiss anschließt, beide Projekt zu rea-lisieren (vgl. 21.5.1855, mit Kommentar).

Kall Heinrich Linn

Eckart Henning, Eigenhändig. Grundzüge einerAutographenkunde. Mit Bibliographie und einemVerzeichnis handelsüblicher Katalogabkürzungen. J. A.Stargardt-Verlag, Berlin 2006, 61 S., kart. 10,- €. ISBN978-3-87775-029-2

„Autographen sind stets ein Ärgernis!“ Mit diesem aus archiva-rischem Provenienzdenken formulierten Unbehagen beginnt dashier anzuzeigende Büchlein, das in der Archivarszunft schon des-halb Beachtung verdient, weil viele Archive über einzelne Auto-graphen bzw. über Autographensammlungen verfügen. EckartHenning, der sich seit Jahren mit den Historischen Hilfswissen-schaften befasst und als Generalist im besten Sinne auch immerwieder bisher vernachlässigte Bereiche einbezieht, hat hier einpreiswertes, überaus instruktives Kompendium zur Autogra-phenkunde vorgelegt. Dieses zeichnet sich durch seine großzügi-ge Aufmachung, seine gute Lesbarkeit und sein klug ausgewähl-tes reiches Bildmaterial aus. Nicht nur Wesen und Begriff derAutographen, sondern auch Fragen ihrer Ansiedlung zwischenAktenkunde und Archivwissenschaft, die Geschichte des Auto-graphensammelns und des Autographenhandels (seit der Antike)und nicht zuletzt die weiteren Aspekte des Sammelns wie dieSozialgeschichte der Sammler und die Bewertungsmaßstäbe derAutographen werden erörtert. Mag vieles primär für Sammlervon Interesse sein, so stellt Henning doch auch die archivischeRelevanz der Autographen und die kulturelle Signifikanz desSammlungsgutes heraus. Von eigenem Wert sind die Datenbank-informationen (S. 48 f.), die Bibliographie (S. 50-58) und das Ver-zeichnis handelsüblicher Abkürzungen (S. 59-61). Wer sich imArchiv um Autographen kümmert, wird das Büchlein mitGewinn und Genuss lesen. Verwaltungsarchivare, die primär dieEvidenz des Verwaltungshandelns im Blick haben, dürften aller-dings von der Gelehrsamkeit des Verfassers, der u. a. häufiger dieberühmten Autographensammler Goethe und Stefan Zweigzitiert, verschreckt werden.

Verständlicherweise nicht behandelt sind zwei Tabu-Themender Archivpraxis: die Eigentumssicherung von Autographen mithohem Marktwert (möglich etwa durch dezente kleine Stempel indokumentenechtem vornehmem Sepia) und notwendigeZugangsbeschränkungen im Magazin angesichts der Diebstähledurch eigenes Personal, über die in Archivarskreisen nur hintervorgehaltener Hand gesprochen wird.

Bonn Toni Diederich

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Historisch, brisant, alltäglich. Stuttgarter Archi-ve und ihre Bestände. Im Auftrag der beteiligtenInstitutionen hrsg. durch das Stadtarchiv Stuttgart.Stuttgart 2005. 44 S., zahlr. Abb., brosch. Kostenlos.

Wer die Archivlandschaft einer Stadt oder einer Region kennt,weiß, wie schwer es ist, alle Institutionen einer bestimmten Spar-te für ein gemeinsames Projekt zu gewinnen. In der vor kurzemerschienen fünfzigseitigen Farbbroschüre über die StuttgarterArchive und ihre Bestände ist ein solcher Versuch gemacht wor-den und gelungen – vom Layout her optisch ansprechend, inhalt-lich überzeugend und vor allen Dingen adressatengerecht. DieBroschüre wendet sich bewusst nicht an den Fachmann, sondernan den interessierten Laien, der sie zur Hand nimmt, durchblät-tert und erstaunt, amüsiert und verwundert fragt: Was habenLoriot, ein Rennwagen, ein Salamander und der Herr der Ringemit einem Archiv zu tun? (Er findet die Antwort, wenn es dieInformationen über das jeweilige Archiv, aus dem das Dokumentstammt, genauer durchliest.)

Ein einheitliches, gut durchdachtes und in sich stark geglieder-tes Präsentationskonzept ermöglicht dem Leser eine schnelle,Wesentliches vermittelnde Information über das jeweilige Archivund seine Bestände: Für jedes Archiv stehen zwei sich gegenüber-liegende Seiten in einer einheitlichen Leitfarbe zur Verfügung, vondenen die rechte eine optische Information mit Aufnahmen desArchivgebäudes oder von für diese Institution charakteristischenBeständen als Hintergrundprojektion zeigt. Auf diese sind spot-lightartig in Kreisform charakteristische Details wichtiger Urkun-den, Akten oder Fotos aufgeklinkt. Vervollständigt wird dieseSeite durch eine filmstreifenartige Bildleiste am äußeren Seiten-rand, die weitere Informationen bietet. Auf der linken Seite findetsich eine dreispaltig gesetzte Basisinformation zum jeweiligenArchiv mit einer Übersicht über dessen Geschichte, seine Bestän-de und besondere Angebote im Bereich der historisch-politischernBildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Im Fußnotenfeld sind alle fürden interessierten Nichtfachmann zur Kontaktaufnahme nötigenInformationen vorhanden: Adresse, Telefon, Öffnungszeiten undVerkehrsanbindung. Pfiffig gemacht auf dieser Seite: in unauffäl-ligen Freiräumen finden sich durch kleine Buttons markierteErläuterungen zu den Fotos der gegenüber liegenden Seite, sodass der Informationen Suchende, ohne es zu merken, an daswichtige Prinzip des Suchens und Findens herangeführt wird.

Methodisch-didaktisch hervorragend gestaltet sind die Einfüh-rungsseiten der Broschüre, auf denen der Leser statt eines Vor-wortes eine Einladung findet, die an ihr beteiligten Institutionenzu besuchen. Ihr folgen zwei Seiten elementarer Basisinformati-on über Aufgaben und Wesen von Archiven und ein Beispieldafür, wie man ein Archivale (in diesem Fall ein Foto) unter Ein-beziehung seines historisch-politischen Kontextes zum „Spre-chen“ bringt und welche Vielzahl von Aspekten für die historisch-politische Bildungsarbeit in ihm verborgen ist.

Der Broschüre mit ihrem farbenfrohen, fröhlichen äußerenErscheinungsbild, ihrem gut gegliederten inhaltlichen Layout,ihren kompakten Informationen über die Stuttgarter Archivland-schaft und ihrem konsequenten Adressatenbezug (den Fachleutebitte bei ihrer Kritik fehlender Fachsprachlichkeit berücksichtigenmögen!) ist eine große Nachfrage, die weitere Auflagen nötigmacht, zu wünschen.

Detmold Dieter Klose

Neue Konzepte für die archivische Praxis. Ausge-wählte Transferarbeiten des 37. und 38. Wissenschaft-lichen Kurses an der Archivschule Marburg. Hrsg. vonAlexandra Lutz. Archivschule Marburg, Marburg 2006.399 S., brosch. 28,60 €. ISBN 978-3-923833-08-5(Veröffentlichungen der Archivschule Marburg Nr. 44)

Seit in der Ausbildung des höheren Diensts an der ArchivschuleMarburg die sogenannte Transferarbeit eingeführt wurde, in derdie Referendare das theoretisch erworbene Wissen an einempraktischen Fall erproben sollen, hat die Archivschule regelmäßig

einige dieser Arbeiten publiziert. Nun liegt der dritte Band mit elfTransferarbeiten aus zwei Kursen vor.

Leider wird nicht erläutert, wie die Auswahl der Arbeitenzustande kam. Handelt es sich um die besten und innovativsten,oder sind es die, für die überhaupt eine Publikationsmöglichkeitbestand? Nicht jede Archivverwaltung gestattet ihren Referenda-ren, Interna vor einer breiten Öffentlichkeit auszuführen. Soermöglicht der Band keine Aussage über den Stand der Ausbil-dung, zumal viele der Arbeiten nur in gekürzter Form publiziertwerden, und der Rezensent sich des Eindrucks nicht erwehrenkann, dass nicht selten die interessanteren, nämlich tatsächlichpraktischen Teile der Arbeiten der Kürzung zum Opfer gefallensind.

Deshalb und weil es sich um Arbeiten von Berufsanfängernhandelt, ist eine allzu kritische Begutachtung der einzelnen Bei-träge nicht angezeigt, zumal eine Diskussion aller an dieser Stel-le aus Raumgründen unmöglich ist. Eine Reihe von Autoren (esist keine Frau vertreten) beschäftigt sich mit digitalen Herausfor-derungen: Peter Sandner mit Daten eines Landesvermessungs-amts, Henning Steinführer mit denen eines Landesamts für Sta-tistik und Gerald Kreucher mit Videoaufzeichnungen und derenDigitalisierung. Ulrich Fischer untersucht die Retrokonversionhandschriftlicher Findmittel, und Andreas Berger vergleichtArchivsoftware.

Jeweils zwei Beiträge widmen sich der Bewertung, der Schrift-gutverwaltung und dem – wenn man so will – Archivmanage-ment. Letzteres ist vertreten mit Andreas Kunz, der Gedankenzur archivischen Öffentlichkeitsarbeit formuliert, und ThomasReich, der gleiches zum Wissensmanagement vorlegt. MatthiasNuding untersucht die Terminologie der Schriftgutverwaltung,und Volker Hirsch hat in sehr lesenswerter Weise die Registra-tur des Regierungspräsidiums Gießen untersucht. Der Bewertungsind schließlich ein Beitrag von Mathias Jehn zu Prozessverfah-rensakten einer Staatsanwaltschaft und einer von Karsten Jed-litschka zur Ständigen Konferenz der Innenminister und -sena-toren gewidmet.

Vielleicht ist der Titel das Hauptproblem des Bandes, denn erverspricht mit „neuen Konzepten“ wesentlich mehr, als Transfer-arbeiten halten können. Abgesehen von ihrer unterschiedlichenQualität sind selbst die besten von ihnen von Berufsanfängernverfasst, die noch keine Verantwortung für die Definition vonKonzepten tragen können. Doch in den meisten Beiträgen geht esnicht einmal darum. Vielfach überwiegt die Theorie, und sobaldsich der Text der Praxis nähert, bleibt es bei vagen und allgemei-nen Aufforderungen. Ausnahmen bestätigen hier die Regel, dieihre Ursache letztlich in der Stellung der Autoren hat. In der Tatwäre es nämlich von diesen vermessen gewesen, im Rahmen einerPrüfungsarbeit ihrem jeweiligen Archiv ganz konkrete größereKonzepte vorschreiben zu wollen.

So sollte die Archivschule ihr Vorgehen bei der Publikation vonTransferarbeiten überdenken und zum Beispiel nur solche Arbei-ten aufnehmen, die eine unmittelbare Relevanz für die Praxiserreicht haben. Dass dies nur mit einer gewissen Zeitverzögerunggeschehen kann, ist eher als Vorteil zu sehen: Auf diese Weisekann der Projektverlauf oder eine Evaluierung einbezogen wer-den. So könnte es gelingen, wirkliche „neue Konzepte“ der archi-vischen Praxis vorzustellen, die sich in ebendieser bereits bewährthaben.

Düsseldorf Max Plassmann

Quellen zur Geschichte der Juden in Schaum-burg. Erin sachthematisches Inventar zu den Beständenim Niedersächsischen Landesarchiv – StaatsarchivBückeburg. Bearb. von Silke Wagener-Fimpel. VerlagVandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 546 S., geb.92,- €. ISBN 978-3-525-35066-9(Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivver-waltung, Bd. 61)

Das vorgelegte Inventar knüpft eng an das vierbändige Inventarzu Juden im westlichen Niedersachsen an, das Albrecht Eck-

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hardt und andere für die Bestände in den Staatsarchiven Aurich,Oldenburg und Osnabrück 2002 herausgaben. Die gleiche epo-chenübergreifende Klassifikation wird zugrunde gelegt, so dassBenutzer und Benutzerin hier keine großen methodischen Über-raschungen mehr erwarten. Die Vorbehalte gegen die Klassifika-tion sind mittlerweile bekannt, Überschneidungen nicht auszu-schließen. Innerhalb der sechs großen Blöcke Recht, Kultus /Schule / Gemeinde- und Familienleben / Wirtschaft / Verhältniszwischen Juden und Nichtjuden / Material zur Demographie undSozialstruktur werden die in den Findbüchern vorgefundenenTitel durch mehr oder weniger umfangreiche Enthält-Vermerkeergänzt. Der Provenienz-Zusammenhang wird aufgelöst. Inner-halb der Klassifikationsgruppen sind die erfassten Akten chrono-logisch angeordnet. Drei Archivaliengruppen sind dabei erfasstworden: solche, die im Titel Judaica erkennen ließen, solche, indenen Judaica mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten, sowiezufällig erfasste Akten. Insgesamt wurden ca. 3400 Archivaliengesichtet, 2356 davon aufgenommen. Jede erfasste Archivaliewurde laufend nummeriert und mit der Bestellsignatur versehen,um Missverständnisse zu vermeiden. Bedingt durch die Territo-rialgeschichte sind einige Akten zu Gebieten außerhalb Schaum-burgs aufgenommen, u. a. zu Juden aus jetzt zu Nordrhein-West-falen gehörenden Gebieten des Amtes Alverdissen und zu Judenaus dem heutigen Hamburg. Aufgenommen sind auch Akten, diefür die allgemeine Benutzung jetzt noch gesperrt sind, ohne dassdies wegen der künftig entfallenden Sperrfristen ausdrücklichvermerkt wurde. Einige wenige Namen von Tätern in Strafpro-zessen wie von Opfern, bei denen das Geburtsdatum noch keine100 Jahre zurück lag, sind anonymisiert. Im Unterschied zu denInventaren aus dem Jahr 2002 sind Urkundenbestände mit enthal-ten. Dagegen fehlen Amtsbücher, Register und Karteien, weilderen Durchsicht und Erschließung zu aufwändig gewesenwären. Diese Argumentation ist plausibel, doch muss für einegenerelle Aufbereitung der Quellen zur jüdischen Geschichtedeutlich gemacht werden, dass viele Hinweise auf Juden vorallem in der frühen Neuzeit nur in diesen Quellenkategorien(Rechnungsserien!) zu finden sind. In der Kategorie „Material zurDemographie“ hat die Bearbeiterin dann auch gegen diesenGrundsatz verstoßen und Steuerregister, Bevölkerungstabellenund Meldekarteien aufgenommen. Der 8. Mai 1945 bedeutet keineZäsur, vielmehr werden Verfahrens- und Prozessakten der Staats-anwaltschaft und des Landgerichts Bückeburg, Todeserklärungs-akten der Akten und Akten zur Wiedergutmachung mit integriert.Einleitend wird die Geschichte der Juden in Schaumburg vomspäten Mittelalter bis zum Holocaust in Grundzügen referiert. InSchaumburg-Lippe gewannen Hofjuden, -agenten und -faktorenbesondere Bedeutung, so dass dieses Inventar überregionaleGeschäftsbeziehungen vor allem im 17./18. Jahrhundert nach-weist (u. a. die Verwandtschaft von Heinrich Heine). Gerade vordiesem Hintergrund ist es ärgerlich, dass im geografischen Index– wie schon in den Westniedersachsen-Inventaren – die Ortsna-men nicht näher bestimmt werden. Gewiss darf man dem Benut-zer einiges an Nachschlagearbeit überlassen, aber bei der nichtseltenen Identität von Ortsnamen (z. B. Borken, Herringen, Holte,Horn, Lohne) wären nähere Identifizierungen hilfreich gewesen.Der Personenindex hat mit den bekannten Schwierigkeiten dereindeutigen Zuordnung von Juden vor dem 19. Jahrhundert zukämpfen und löst das Problem durch zahlreiche Querverweise.

Auch wenn der Rezensent die Preisgabe der Provenienzzugunsten der Klassifikation für nicht eben glücklich hält, so stehtfür ihn fest: In der Reihe der inzwischen vorliegenden Spezialin-ventare zur Geschichte der Juden in staatlichen Archiven (vgl. S.XXIII f.) wird die Arbeit von Silke Wagener-Fimpel durch ihreAktenanalysen einen hervorragenden Platz behaupten.

Senden-Bösensell Wilfried Reininghaus

Hermann-Josef Schmalor, Die westfälischen Stifts-und Klosterbibliotheken bis zur Säkularisati-on. Ergebnisse einer Spurensuche hinsichtlich ihrerBestände und inhaltlichen Ausrichtung. Bonifatius Ver-lag, Paderborn 2005. 360 S., 1 Karte, geb. 34,80 €. ISBN978-3-89710-278-1(Veröffentlichungen der Historischen Kommission fürWestfalen XLIV: Quellen und Forschungen zur Kirchen-und Religionsgeschichte, Bd. 6. Veröffentlichungen zurGeschichte der mitteldeutschen Kirchenprovinz, Bd. 19)

Hermann-Josef Schmalor, der bibliothekarische Direktor der Erz-bischöflichen Akademischen Bibliothek zu Paderborn, hat mit sei-ner von der Paderborner Theologischen Fakultät im Jahre 2003 alsDissertation angenommenen Untersuchung eine breit angelegteBibliotheksgeschichte der westfälischen Klöster und Stifte vorge-legt. Konzipiert ist das Werk als Ergänzung zu dem von 1992 bis2003 in drei Bänden erschienenen Westfälischen Klosterbuch.

Schmalor behandelt seinen Gegenstand aus einer bibliotheka-rischen und einer monastischen Perspektive. Bibliothekarisch istseine Darstellung der allen Bibliotheken gemeinsamen Aspektebibliothekarischer Tätigkeit, also Erwerbung, Verzeichnung undVerwaltung von Büchern. Auch dem Buchverlust mit seinen viel-fältigen Ursachen ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Dem Lesertritt so in einer Art allgemeinem Teil der bibliothekarische Alltagder alten westfälischen Kloster- und Stiftsbibliotheken plastischvor Augen. Die Fülle der zusammengetragenen Details erstaunt.Neben Bibliotheksverwaltung im engeren Sinn finden sich auchAusführungen zum Verhältnis von Bibliothek und Skriptoriumoder zur künstlerischen Gestaltung von Bucheinbänden.

Den größten Teil des Buches nimmt der monastische Zugangzum Thema ein. Hier gliedert Schmalor seine Untersuchung nachden einzelnen Ordensgemeinschaften bzw. -familien. Dadurchkann er innerhalb des klösterlichen Verbandes vergleichend diejeweiligen Bibliotheken darstellen und dabei das Ordenstypischeder Sammlungen herausarbeiten. Besondere Berücksichtigunghaben hier die Bibliotheken der Benediktiner und der Jesuitenerfahren. Aber auch die Mendikanten sind gut vertreten, so etwadie Kapuziner und die Dominikanerinnen. Kleine Gemeinschaf-ten wie die Kreuzherren oder die bibliotheksgeschichtlich wich-tigen Fraterherren werden ebenfalls berücksichtigt.

Beschlossen wird der Band durch eine Darstellung der Schick-sale der Bibliotheken in der Säkularisation. Hervorzuheben istdabei die nützliche und informative Übersicht der heutigenStandorte der noch verbliebenen Bestände, ein besonderer For-schungsertrag der Arbeit.

Schmalor hat eine Fülle an Literatur verarbeitet, mehr als 850Publikationen. Dies und seine durchgängig erkennbare langjähri-ge Berufserfahrung als Bibliothekar machen das Buch zu einemStandardwerk für die weitere Forschung des alten Buchbesitzesder westfälischen Klöster und Stifte.

Rüthen-Kallenhardt Eric Steinhauer

Hugo Stehkämper, Köln – und darüber hinaus.Ausgewählte Abhandlungen. Historisches Archiv derStadt Köln, Köln 2004. 2 Bände. Zus. IX, 1634 S., kart.149,- €. ISBN 978-3-928907-14-9(Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, H. 93-94)

Nicht ohne Staunen werden manche die beiden voluminösenBände zur Hand nehmen und studieren, die das Stadtarchiv Kölnaus Anlass des 75. Geburtstags seines langjährigen Direktors,Hugo Stehkämper, herausgegeben hat: Sie enthalten insgesamt 33zum Teil 100 und mehr Seiten umfassende geschichtswissen-schaftliche Beiträge, die der zu Ehrende in einem Zeitraum vonmehr als vier Jahrzehnten, zwischen 1961 und 2003, zu Papiergebracht hat und die in erster Fassung vorwiegend in Festschrif-ten, aber auch in Ausstellungskatalogen bzw. Begleitpublikatio-nen, Sonderbänden oder Fachzeitschriften erschienen sind undnun ein zweites, zum Teil bereits ein drittes Mal, gedruckt wur-den. Es handelt sich dabei zwar um eine vergleichsweise umfang-

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reiche Sammlung seiner Veröffentlichungen, angesichts des ins-gesamt 333 Titel umfassenden, von Wilhelm Lensing zusam-mengestellten Schriftenverzeichnisses, das neben rein fachlich-wissenschaftlichen Publikationen auch die von Stehkämper ver-fassten Nachrufe sowie Vor-, Gruß- und Geleitworte beinhaltet,bildet sie eben doch nur einen kleinen Teil seines Oeuvres ab. DieAuswahl für diese neue Zusammenstellung nahm Hugo Steh-kämper selbst vor; archivfachliche Beiträge finden sich nicht dar-unter. Für nahezu jeden dieser Aufsätze verfasste der Autor einenNachtrag, der sich mit Forschungsergebnissen anderer auseinan-dersetzt, die seit der Erstfassung seiner Darstellungen erschienensind. Damit bietet der Autor gleichsam eine Aktualisierung seinereigenen Arbeiten und dokumentiert auf diese Weise, dass er ein-mal publizierte Arbeitsergebnisse nicht ad acta gelegt hat, son-dern seinen Forschungsinteressen über die Jahre hinweg treugeblieben ist und die Fachdiskussion wachsam begleitet hat.

27 dieser 33 neu gedruckten Texte stammen übrigens aus demVierteljahrhundert zwischen 1969 und 1994, während dem HugoStehkämper die Leitung des Kölner Stadtarchivs, bekanntlicheines der größten und bedeutendsten kommunalen Archive nichtnur Deutschlands, innehatte.

Sein Nachfolger, Everhard Kleinertz, der als Herausgeber derbeiden Bände fungierte, gliederte die neu aufgelegten Untersu-chungen Stehkämpers in sieben thematische Abschnitte: Köln –Kaiser und Könige, Päpste (8 Beiträge); Köln auf dem Wege zuEigenmacht und Selbständigkeit im Hochmittelalter (7); KölnerErzbischöfe des Mittelalters (4); Albertus Magnus (3); Die Nieder-lande, Dänemark, Westfalen (4); Konrad Adenauer (3); Politikerdes 19. und 20. Jahrhunderts, besonders aus dem Rheinland (4).Eine Besprechung der einzelnen Artikel verbietet sich allein schonaus Platzgründen, erübrigt sich aber auch aus einem anderenGrund: Viele seiner Beiträge sind an durchaus prominenten undkeineswegs entlegenen Stellen erstmals erschienen und gehören– jedenfalls zum Teil – zu regelrechten Standarduntersuchungen,die vielen doch gewiss geläufig sind.

Die Themenkomplexe und ihr jeweiliger Umfang spiegeln dasbreite Forschungsinteresse Stehkämpers, der trotz seiner „Ausflü-ge“ in die auf das „Ancien régime“ folgenden Epochen in ersterLinie Mediävist ist und dabei die Rolle der Metropole Köln zumeinen hinsichtlich ihrer inneren Entwicklung, zum anderen inihrer Außenwirkung, in ihrer Beziehung zu anderen Mächten inganz besonderer Weise in den Mittelpunkt seiner Untersuchun-gen rückt. Stadtgeschichte wird damit gleichzeitig Territorialge-schichte.

So zeigt sich Stehkämper in seinem Gesamtwerk wie in derhier anzuzeigenden Zusammenstellung als Stadt-, vor allem aberals Landeshistoriker, den das Spannungsgeflecht von Erzstift undLandesherr, von Reichsstadt und reichsstädtischen Eliten, vonReichs- und Landespolitik vor dem Hintergrund der Territoriali-sierung in besonderer Weise beschäftigt. Es sind die Dualismenund Antagonismen, das Mit-, Neben- und Gegeneinander meistkonkurrierender Mächte und die sich hieraus ergebenen Entwick-lungen, die Stehkämper vorzugsweise in seinen Publikationendarstellt.

Auch die handelnden Personen beschäftigen und faszinierenihn. Biographische Ansätze, die heute durchaus wieder „gesell-schaftsfähig“ sind, waren ihm nie fremd. Seine lebensgeschichtli-chen Darstellungen – ich denke insbesondere an die von ihm por-trätierten Kölner Erzbischöfe des Mittelalters, an den „Großen“Kölner Dominikaner Albert, an die Person Konrad Adenauersund an Politiker des 19. und 20 Jahrhunderts, insbesondere ausdem Milieu des politischen Katholizismus, sind von einer ganzbesonderen Eindringlichkeit.

In seinem Geleitwort würdigt Everhard Kleinertz die Verdien-ste seines Amtsvorgängers. Neben der durch die beiden hieranzuzeigenden Bänden eindrucksvoll belegten schriftstelleri-schen Tätigkeit Stehkämpers nennt er den bahnbrechenden Neu-bau des Kölner Stadtarchivs, erwähnt seine Erfolge hinsichtlichder öffentlichen Wahrnehmung des von ihm geleiteten Institutsund weist auf seine wissenschaftsorganisatorischen Erfolge hin;namentlich nennt er seine Funktionen in der Gesellschaft für Rhei-nische Geschichtskunde und im Gesamtverband der deutschen

Geschichts- und Altertumsvereine, in denen er als landesge-schichtlicher „Motor“ zu wirken wusste. Dabei räumt Kleinertzdurchaus ein, dass „die vorliegende Sammlung wissenschaftli-cher Aufsätze … leicht vergessen [lässt], dass Hugo Stehkämperin erster Linie Archivar war …“

„Köln – und darüber hinaus“; treffender hätte man diese Aus-wahl aus den historiographischen Arbeiten von Hugo Stehkäm-per nicht nennen können.

Bonn-Bad Godesberg Norbert Schloßmacher

Die Urkunden des Kölnischen Westfalen 1301-1325. Lieferung 3: 1321-1325, Indices. Bearb. von Man-fred Wolf. Aschendorff Verlag, Münster 2005. 1670 S.,kart. 55,- €. ISBN 978-3-402-06694-2(Veröffentlichungen der Historischen Kommission fürWestfalen I: Westfälisches Urkundenbuch, Bd. 11)

Band 11 des Westfälischen Urkundenbuches ist mit dem 2005erschienen dritten Teil endlich abgeschlossen, nachdem die erstenbeiden Teile mit den Urkunden vom 1301 bis 1320 bereits 1990und 2000 vorgelegt werden konnten.

Der Band enthält auf 332 Seiten Urkunden (S. 1003-1335), dieüberwiegend im Volltext dargeboten werden, dabei auch einige(sechs) Nachträge. Ab Seite 1037 folgen wenige Ergänzungen zumAbkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie Corrigenda zu denersten beiden Teilen.

Beinahe so umfangreich wie der Editionsteil ist der in ein Per-sonen- und Ortsverzeichnis einerseits und ein Sachverzeichnisandererseits gegliederte Index. Dieser erstreckt sich auch auf diebeiden ersten Teilbände. Somit sind endlich alle Urkunden desKölnischen Westfalen bis zum Jahr 1325 nicht nur gedruckt, son-dern auch für die eilige Forschung erschlossen. Die Leistung ver-mag derjenige besonders zu würdigen, der die Mühe des Regi-stermachens selbst auf sich genommen hat, doch auch jederBenutzer sollte sie hochschätzen. Zumal der Nutzen eines gutenRegisters über seine offensichtliche Aufgabe, die in der Zusam-menstellung von einzelnen Sachinformationen und – überwie-gend – Nennungen von Personen besteht, hinausgeht und es demForscher ermöglicht, sich in kurzer Zeit einen ersten Überblicküber die behandelten Materien und Personenverbände zu ver-schaffen. Nur wenige Hinweise seien gestattet: Namen sind nachdem Nachnamen geordnet, nicht nach dem Vornamen. Dadurchist eine gelegentlich mögliche Namengebung nach der Herkunftleicht zu bemerken. Da jedoch die Namen nicht normalisiert wor-den sind, sollte der Nutzer bei der Suche nach einzelnen Perso-nen immer auch nach Namensvarianten suchen. Dies wird aller-dings oft durch Verweise erleichtert. Irritierend wirkt die unein-heitliche Ausführung des Sachregisters, das z. B. unter demRubrum Lombarde einzelne Lombarden nennt, jedoch ist die Auf-zählung nicht vollständig, wie die weitere Lektüre des Namens-registers ergibt. Ähnliches gilt für die in den Ablassurkundengenannten Bischöfe, die teils unter den (Vor)namen und teils unterihren Sedes indiziert werden (Nr. 1873 f.). Die Beginen werden imSachregister gar nicht erwähnt, dafür ist eine stattliche Anzahl imPersonenregister genannt, sogar in den Fällen, in denen nur dieNiederlassung und keine Personennamen bekannt sind.

An Versehen seien angemerkt: im Register fehlt zu Dattelm(wohl Datteln) und Abdinghof der Hinweis auf Nr. 1977. DieseMonita sind weniger als Kritik am Bearbeiter zu verstehen dennals Warnung an die Benutzer. Auch der im Sinne der raschen Bear-beitung der Urkunden in Kauf genommene Verzicht auf eine aus-gefeilte diplomatische Kritik, der schon vielfach kritisiert wordenist, muss hier erneut in Erinnerung gebracht werden.

Leider wird dem Benutzer keine Möglichkeit gegeben, sichschnell über die ausgewerteten Archive zu informieren, da einentsprechendes Register fehlt. Der größte Teil der Urkunden liegtheute im Staatsarchiv Münster, doch sind auch die Stadtarchivevon Dortmund und Köln sowie verschiedene Adels- und Pfarrar-chive ausgewertet worden, überwiegend wohl nach Angaben ausder Literatur.

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Einige der im Teilband III edierten Urkunden seien hervorge-hoben:

Die Stellung des Kölner Erzbischofs spiegelt sich in Bündnis-sen und Schiedssprüchen (Schiedsspruch im Streit mit dem Gra-fen Heinrich von Waldeck, 1321, Nr. 1749; Bündnis mit demBischof von Münster, 1322, Nr. 1909), aber auch in Urkunden sei-nes Offizials, der z. B. am 9. November 1321 eine umfangreicheBefragung über die Pfarrerbesetzung in Hoinkhausen beurkun-den lässt, die ein Jahr darauf nochmals in einem Notariatsinstru-ment publiziert wird (Nr. 1794 und 1887). Leider geht nur aus demApparat des Notariatsinstruments eindeutig hervor, dass es sichum einen Überlieferungsträger handelt.

Von stadtgeschichtlichem Interesse sind das Statutarrecht derStadt Werl von 1324 (Nr. 2053) und der Bündnisvertrag zwischenden Städten Münster, Osnabrück, Soest und Dortmund vom 23.Dezember 1324 (Nr. 2148). Als besonders seltsames Stück sei dieAufzeichnung über die Rechte des Dekans der Stiftskirche vonMeschede von 1323 genannt. Eine sich darauf beziehende Fassungvon 1681, die auch Auskunft über die Statuten des Kalands von Meschede enthält, wird kommentarlos dazu abgedruckt (Nr. 1923 f.). Eine in einer Abschrift des 16. Jahrhunderts im Vestischen Archiv in Recklinghausen überlieferte Urkunde angeb-lich Kaiser Albrechts des Bayern [!] wird dagegen „wegen derDubiosität nicht weiter berücksichtigt“ (Nr. 1911).

Nur hingewiesen werden soll hier auf die Ausnahmestellungdes Westfälischen Urkundenbuches als eine territoriales Urkun-denbuch, welches die Schwelle des Jahres 1300 überschreitet. DieHistorische Kommission ist dafür zu beglückwünschen, dass siedem ursprünglichen Editionsplan gefolgt ist und diesen nichtdurch Editionen nach dem heute weitverbreiteten Fondsprinzipabgelöst hat. Dieser modernen Form der Urkundenpublikationscheint, wenn man die Neuanstöße der Historischen Kommissi-on der letzten Jahre betrachtet, allerdings auch in Westfalen dieZukunft zu gehören.

Dem unbescheidenen Nutzer von Urkundenbüchern drängensich für die weitere Arbeit der Historische Kommission für West-falen neben einer Neubearbeitung der älteren westfälischenUrkunden, deren Darbietung durch die Bände I und II, den Sup-plementband Wilhelm Diekamps und den Additamenta RogerWilmans’ Ansprüchen der modernen Forschung nicht mehr genü-gen, auch der Wunsch nach einer baldigen Fortsetzung von BandV, den Papsturkunden für Westfalen bis 1378, auf. Auch WilfriedReininghaus und Peter Johanek teilen in ihrem Vorwort dieseAnsicht.

Greven Tobias Crabus

Vademecum – Contemporary History Hungary. Aguide to archives, research institutions, libraries, asso-ciations, museums and places of memorial. Edited byJános M. Rainer, Judit M. Topits, Ulrich Mählert.Berlin – Budapest 2005. 108 S., brosch. 6,- €.

Vademecum Contemporary History Romania. Aguide to archives, research institutions, libraries, asso-ciations, museums and places of memorial. Edited byStejarel Olaru and Georg Herbstritt . Berlin – Bucha-rest 2004. 108 S., brosch. 6,- €.

Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, eine am 5. Juni 1998 auf Beschluss des Deutschen Bundestages eingerich-tete bundesunmittelbare Stiftung öffentlichen Rechts, verstehtsich selbst als „Ansprechpartnerin und Mittlerin zwischen gesell-schaftlicher Aufarbeitung, Wissenschaft, Politik, Medien undÖffentlichkeit“ (vgl. www.stiftung-aufarbeitung.de). In diesemZusammenhang publiziert die Stiftung (z. T. online) Biographien(„Wer war wer in der DDR?“), Newsletter zur DDR-Forschung,Beratungsangebote und Suchmaschinen.

Eine eigene kleine Publikationsreihe stellen dabei Wegweiserzu Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Art in Staaten desehemaligen Ostblocks dar. Unter dem Titel „Vademekum Zeitge-schichte“ liegen bisher fünf Bände vor: DDR (2002), Polen, Rumä-nien (beide 2004), Tschechien (2005) und Ungarn (2006).

Die beiden hier vorzustellenden Bände Rumänien und Ungarngeben beide einen umfassenden Überblick über staatliche undnichtstaatliche Archive, öffentliche Bibliotheken, andere For-schungseinrichtungen, Museen und Gedenkstätten und damitüber die Orte, an denen zur Zeitgeschichte Rumäniens bzw.Ungarns geforscht wird und Informationen zugänglich sind.

Der Band zu Rumänien wird dabei eingeleitet durch ein Vor-wort von Rainer Eppelmann sowie durch eine umfassende the-matische Einleitung von Stejarel Olaru über das kommunistischeRegime und dessen Erbe in Rumänien (S. 11-49). Die Liste der 88Forschungseinrichtungen selbst führt die vollständigen Namen(englisch/rumänisch) an, daneben Angaben zu Adressen, Öff-nungszeiten, Leitung und gibt v. a. aber eine Kurzbeschreibung(englisch) der jeweiligen Einrichtung und deren Bestände. 14,Rumänien bzw. Südosteuropa im Allgemeinen betreffende For-schungseinrichtungen in Österreich und Deutschland werdendabei gesondert aufgeführt.

Der entsprechende Band über Ungarn zeichnet sich durch einedurchgehende Zweisprachigkeit (ungarisch/englisch) aus undspricht so nicht nur ausländische, sondern auch Forscher undInteressenten im eigenen Land an. Dem entspricht die Berücksich-tigung von Institutionen auf lokaler Ebene. Auch hier werden allefür eine etwaige Recherche wesentlichen Daten angegeben. 50 derinsgesamt 156 Adressen beziehen sich auf österreichische unddeutsche Institutionen, die sich mit Ungarn beschäftigen.

Auch diese beiden Bände der Reihe „Vademekum Zeitge-schichte“ werden zu wichtigen, wenn nicht sogar unverzichtba-ren Hilfsmitteln für die Wissenschaft ebenso wie für die politischeBildung werden. Es ist zu hoffen, dass sie zu einer stärkerenBeschäftigung mit der Zeitgeschichte dieser beiden Staaten unddamit zu einer Aufarbeitung der jüngsten Geschichte beitragen.

Berlin Ingeborg Schnelling-Reinicke

Reinhard Weber, Das Schicksal der jüdischenRechtsanwälte in Bayern nach 1933. R. Olden-bourg Verlag, München 2006. X, 323 S., zahlr. Abb., Ln.,24,80 €. ISBN 978-3-486-58060-0

Nach und nach werden die Lücken in dem großen Erinnerungs-werk an das in den Jahren von 1933 bis 1945 von den deutschenjüdischen Juristen und insbesondere den deutschen jüdischenRechtsanwälten erlittene Unrecht geschlossen. Es geht darum, fürdie Nachwelt „die Erinnerung an eine Zeit festzuhalten, in der dasRecht und die Würde des Menschen mit Füßen getreten wurden“,wie die Herausgeber des hier anzuzeigenden Buches, das Bayeri-sche Staatsministerium der Justiz und die Rechtsanwaltskam-mern für die Bezirke der Oberlandesgerichte München, Nürn-berg, Bamberg und Zweibrücken, im Vorwort erklären. Dem liegt,wie auch allen anderen Publikationen zu diesem Thema die Über-zeugung zugrunde, dass nur die Offenlegung und die Veranke-rung im Bewusstsein all dessen, was ja nicht einfach geschehenist, sondern von Menschen gegen Menschen ins Werk gesetzt wor-den ist, dazu beitragen können, dass sich dergleichen nicht wie-derholt. Dazu kommt als leitender Gedanke der vorliegendenDokumentation die Gewissheit, dass die präzise Schilderung derkonkreten Schicksale der einzelnen Betroffenen eher als einBericht über die formellen Maßnahmen der Justizverwaltung undüber die Aktionen der bewaffneten Formationen der Naziherr-schaft in der Lage ist, den erhofften nachhaltigen Eindruck beimLeser zu hinterlassen. Und schließlich ist dieser Eindruck dannstärker und wirksamer, wenn Geschehnisse geschildert werden,die sich in der Nähe des Lesers abgespielt haben, in derselbenStadt oder in derselben Straße oder gar im Nachbarhaus und imeigenen Haus. Darauf beruht wohl auch die Wirkung der „Stol-persteine“, mit denen Günther Demnig die ehemaligen Wohn-stätten verfolgter Mitbürger markiert.

Aus diesen Gründen ist es zu begrüßen, dass nunmehr nachDokumentationen über Preußen (Krach), Berlin (Ladwig-Win-ters) , Potsdam (Bergemann/Ladwig-Winters) Hamburg(Morisse) , Bochum (Anwalt- und Notarverein), Essen(Schmalhausen), Köln (Luig) und zahlreichen anderen Städ-

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ten durch das hier anzuzeigende Buch auch die jüdischen Rechts-anwälte von München, Nürnberg und Zweibrücken ihre literari-sche „Gedenkstätte“ erhalten.

Als Autor haben Ministerium und Kammern den als kompe-tenten Fachmann auf diesem Gebiet ausgewiesenen HistorikerReinhard Weber gewonnen, der sich bereits als Herausgeber derErinnerungen des Münchener Rechtsanwalts Max Hirschbergund als Mitarbeiter an der Wanderausstellung „Anwalt ohneRecht“ große Verdienste erworben hat.

Im Zentrum des Werkes stehen nicht die Akteure und Täter,sondern die Opfer. Es geht um die Schicksale der Betroffenen, esgeht um Leid und Not von 460 jüdischen Rechtsanwälten undihren Familien. Sie erlitten Berufsverbot, wirtschaftliche Not,soziale Ausgrenzung, willkürliche Verhaftung, Konzentrationsla-ger, Auswanderung, Verlust von Haus, Wohnung und Vermögen,Entzug der Staatsangehörigkeit, Deportation, Vernichtungslager.Aber manchmal gab es auch Rettung, Überleben im Versteck oderin der Emigration, und dann sogar Rückkehr nach Deutschland.

In seiner chronologischen Schilderung der Ereignisse ver-knüpft Weber die Darstellung der einzelnen Verfolgungsmaßnah-men sehr geschickt mit konkreten Personen und deren Lebensläu-fen vor und nach 1933. Im Abschnitt „Biografien“ am Ende desBuches kann Weber sich dann auf Kurzbiographien beschränken.Weber schildert zunächst die Geschichte der jüdischen Rechtsan-wälte in Bayern von der ersten Zulassung jüdischer Juristen zurRechtsanwaltschaft bis zum Beginn der Herrschaft der National-sozialisten. Es war dies auf den ersten Blick die Zeit zunehmen-der Integration der Juden in die bürgerliche Gesellschaft Deutsch-lands. Die meistgewählten Berufe derjenigen, die nicht traditions-gemäß im Kaufmannsstand verblieben, waren die eines Arztesoder eines Rechtsanwaltes. Doch trotz aller Integration war eineweit verbreitete judenfeindliche Grundstimmung nicht zu über-sehen. Auch diese Zeit war nicht frei von Antisemitismus, Juden-hass und Schikanen. Schon vor 1933 gab es Leute, die den Judenvorrechneten, im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerunginsgesamt in bestimmten Berufen, wie insbesondere dem desRechtsanwalts, überrepräsentiert zu sein. In der Tat waren bereitsum die Wende zum 20. Jahrhundert 18 % der bayerischen Rechts-anwälte Juden, wohingegen der jüdische Anteil an der Bevölke-rung insgesamt damals 0,9 % betrug. Dazu muss man allerdingsgenerell feststellen, dass die vom Verf. angegebenen Zahlen unge-nau sind, weil die Statistiken seinerzeit nicht unter rassischenAspekten geführt wurden, so dass als Jude in der Statistik nurerschien, wer Mitglied der Synagogengemeinde war. Aus jüdi-schen Familien stammende Angehörige der christlichen Religionund Dissidenten waren im Sprachgebrauch der Zeit vor 1933keine Juden.

Unmittelbar nach der Machtergreifung hielten sich die Natio-nalsozialisten zunächst mit Angriffen gegen die Juden zurück.Erst nach dem Reichstagsbrand und nach der für die Nationalso-zialisten enttäuschend verlaufenen Reichstagswahl vom 5. März1933 begann in Bayern die planmäßige Verfolgung der Juden mitwillkürlichen, als Schutzhaft ausgegebenen Verhaftungen, Mor-den, Terror und vielfältigen Schikanen bei der Ausübung desBerufs. Im Einzelnen herrschte bei der Verfolgung die blanke Will-kür. Dass etwa der jüdische Rechtsanwalt in einer sog. Mischehemit einer nichtjüdischen Frau lebte, bewahrte ihn manchmal vorVerfolgungsmaßnahmen, war aber nicht immer ein Schutz. Diegroße Zahl der Selbstmorde jüdischer Anwälte bereits in denersten Monaten der Naziherrschaft zeigt, dass, wer die Augenoffen hielt oder wem sie zwangsweise geöffnet wurden, sehr wohlrecht bald merkte, dass es um Leben und Tod ging.

Bereits am 22. März 1933 wurde das KZ Dachau in Betriebgenommen. Weber kann den seltenen Fall berichten, dass einerder ersten brutalen Mörder unter dem Bewachungspersonal 1951zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist.

Einen ersten Höhepunkt der Verfolgung bildete der Boykott-tag vom 1. April 1933. Klare Verhältnisse sollte dann das Rechts-anwaltsgesetz vom 7. April 1933 schaffen, das aber für die Natio-nalsozialisten mit einer Enttäuschung endete, weil dank der aufGrund einer Intervention von Hindenburg ins Gesetz aufgenom-menen Ausnahmen für Altanwälte und Frontkämpfer des 1. Welt-kriegs in den Augen der Nationalsozialisten viel zu viele jüdischeAnwälte weiter praktizieren durften – und das, obwohl man mitallen interpretatorischen Mitteln versucht hatte, die Zahl der Aus-nahmen klein zu halten. Insbesondere der Begriff des Altanwal-tes – des bereits vor dem 1. August 1914 zugelassenen Rechtsan-waltes – wurde eng ausgelegt, und, wo das nicht half, wurdendem Anwalt Beziehungen zu Kommunisten unterstellt, die eben-falls zum Verlust der Zulassung führten. Entsprechend groß wardie Zahl der Emigranten, die höchst unterschiedliche Schicksaleerlitten. Zwar gab es Emigranten, die in ihrer neuen Heimaterneut ein Jurastudium absolvierten und Erfolg im Beruf hatten.Doch insgesamt fanden in der Emigration nur 30 % der Betroffe-nen, eine berufliche Anstellung, die sie ernährte, wobei die Unter-schiede von Gastland zu Gastland sehr groß waren. Zu erwähnenist auch der „Halbjude“, der die Nazi-Zeit in einem zivilen Berufüberlebte, aber es gab auch viel Ungewissheit für Mischlinge undin „Mischehe“ lebende Juden, sowie mit Juden verheiratete, also„jüdisch versippte“ Personen. Hier brachten auch das „Nürnber-ger“ Reichsbürgergesetz von 1935 und seine Durchführungsver-ordnungen keine Klarheit. Doch Vierteljuden, auch soweit sieunter das Gesetz fielen, blieben wohl in den meisten – aber kei-neswegs in allen – Fällen unbehelligt. Dazu kamen traurige Fällevon Schutzhaft, unter denen die ganze Familie litt. Auch die Alt-anwälte und Frontkämpfer waren allerhand Schikanen ausge-setzt, so dass viele schon vor 1938 mehr gezwungen als freiwil-lig aufgaben und, soweit möglich, emigrierten oder schließlichder Deportation zum Opfer fielen. Aus München gab es übrigensnur – wie man im Vergleich etwa mit Köln sagen muss – 2 großeDeportationstransporte in die Vernichtungslager. Auffallend ist,dass in Bayern mehr als anderswo viele Rechtsanwälte auf dieeine oder die andere Art glücklich überlebt haben und nach demKriege wieder praktiziert haben, und zwar in der Mehrzahl derFälle in Wiedergutmachungsangelegenheiten.

Besondere Erwähnung finden zum Schluss die allerdings nichtsehr zahlreichen Emigranten, die nach 1945 nach Deutschlandzurückkehrten. Dabei wurden die, die ursprünglich „Deutscheauf Widerruf“ (Hans Mayer) gewesen waren, zu „Deutschenunter Vorbehalt“ (EL-DE-Haus, Köln). Die deutschen Behördenhaben es den Rückkehrern aber keineswegs immer leichtgemacht. Das gilt insbesondere für die, die ihren Wohnsitz imLand ihres Exils nicht aufgeben und in Deutschland unter Befrei-ung von der Residenzpflicht praktizieren wollten. Die Darstellungendet mit der bedauernden Feststellung, dass die Aufarbeitungdes Schicksals der jüdischen Juristen im Nationalsozialismusallzu lange unterblieb und bisher unvollständig ist. Die Arbeit vonWeber schließt in mustergültiger Form eine weitere große Lücke.

Köln Klaus Luig

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Domstiftsarchiv und -bibliothek Brandenburg: Dr. UweCzubatynski hat die Leitung übernommen (1.7.2007).

Haus- und Familienarchive

Fürstlich Oettingen-Wallersteinsches Archiv: FürstlicherArchivdirektor a. D. Dr. Volker von Volckamer ist imAlter von 79 Jahren verstorben (18.3.2007).

Ehrungen

Dipl.-Archivar Friedrich W. Boss vom HessischenStaatsarchiv Darmstadt erhielt den hessischen Ver-dienstorden am Bande für sein fast 40-jähriges ehren-amtliches Engagement für die Hessische Genealogieund Heraldik (26.1.2007).

Geburtstage

100 Jahre: Archivdirektor a. D. Dr. Richard Moderhack,Braunschweig (14.10.2007).90 Jahre: Archivleiter i. R. Dr. Friedrich Henning, Bonn(26.12.2007).80 Jahre: Prälat Dr. Sigmund Benker, Freising(8.12.2007). – Leitender Städtischer Archivdirektor a. D.Prof. Dr. Dietrich Höroldt, Bonn (4.12.2007). – Archiv-leiter i. R. Gerald Reese, Hamburg (25.10.2007).

70 Jahre: Leitender Archivdirektor a. D. Prof. Dr.Albrecht Eckhardt, Oldenburg (3.11.2007). – LeitenderArchivdirektor a. D. Prof. Dr. Gerhard Taddey, Lud-wigsburg (16.11.2007). 65 Jahre: Archivamtsrat Bernd Görmer, München(7.10.2007). – Wiss. Dokumentar Günther Armin MoogM.A., Leutkirch (17.10.2007). – Stadtarchivar Dr. LudwigRemling, Lingen (13.10.2007). – Unternehmens- undFamilienarchivarin Dr. Sibylla Schuster, Weinheim(4.10.2007). – Archivdirektor a. D. Dr. Hans JürgenWunschel, Nürnberg (7.10.2007).60 Jahre: Wiss. Dokumentarin Brigitte Albrecht, Mün-chen (1.11.2007). – Archivleiterin Monika Baldauf,Riesa (24.10.2007). – Stadtarchivar Dr. William Boehart,Schwarzenbek (19.10.2007). – Amtsleiter WolfgangHallmann, Hohenstein-Ernstthal (10.12.2007). – Ar-chivleiter Dr. Michael Harms, Baden-Baden(10.12.2007). – Stellv. Archivleiter i. R. Klaus Leesch,Köln (5.11.2007). – Archivleiterin Ellen Rößger, Döbeln(31.10.2007). – Landesarchivdirektor Dr. Wolfgang FranzWerner, Puhlheim (29.10.2007).

Nachrufe

Hans Booms †

Geb. 22. Juni 1924 Haldern/NiederrheinGest. 16. April 2007 LahnsteinJäh aus dem Leben gerissen wurde zwei Monate vor Voll-endung seines 83. Lebensjahrs Prof. Dr. Hans Booms, lang-jähriger Präsident des Bundesarchivs, Vizepräsident undPräsident des Internationalen Archivrats, über zehn JahreVorstandsmitglied beim Verband deutscher Archivarinnenund Archivare sowie Initiator innovativer und nachhalti-ger Ansätze in der archivischen Fachdiskussion.

Hans Booms wuchs in Emmerich auf, wo er das Huma-nistische Gymnasium besuchte. Mit dem kriegsüblichenReifevermerk von der Schule weg im Sommer 1942 zumArbeitsdienst und wenig später zur Wehrmacht eingezo-gen, wurde ihm seine Militärzeit bei der Marine und dieOffiziersausbildung bei der Unterseebootwaffe, besondersaber der Zusammenhalt „seiner Crew“, zu einem Lebens-abschnitt, der ihm wichtig blieb. Nach der Entlassung ausbritischer Kriegsgefangenschaft im Januar 1946 holte er dasAbitur nach und nahm im Wintersemester 1946/1947 ander Universität zu Köln das Studium der Geschichte, Ger-manistik und Philosophie auf. Hans Booms schloss seinStudium mit dem Staatsexamen ab und promovierte 1951magna cum laude mit einer von Theodor Schieder betreu-ten Dissertation zum Thema „Die DeutschkonservativePartei. Preußischer Charakter, Reichsauffassung undNationalbegriff“.

Mit mehreren Kollegen aus der Schule Theodor Schie-ders, die sich später ebenfalls als Archivare einen Namenmachten, wirkte Hans Booms von 1951 bis 1955 als Wissen-schaftlicher Mitarbeiter an der beim Bundesministeriumfür Vertriebene in Bonn eingerichteten Dokumentation derVertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa mit. Beidieser quellennahen Arbeit lernte er in besonderem Maßeauch Wert und Aussagekraft von Zeugnissen der Zeit-zeugen und Opfer zu schätzen und quellenkritisch zubewerten.

Dadurch auf den Umgang mit zeithistorischen Quellenvorbereitet, trat Hans Booms 1955 als Archivreferendar dieAusbildung für den höheren Archivdienst beim Bundesar-chiv in Koblenz an, einer damals gerade drei Jahre altenEinrichtung. Erfolgreich absolvierte er den 3. Wissenschaft-lichen Lehrgang bei der Archivschule in Marburg undwurde vom Bundesarchiv im Herbst 1957 als Archivasses-sor übernommen. Dort war er zunächst für das Archivgutaus dem Bereich von Parteien und für die Nachlässezuständig, nahm dann Leitungsaufgaben im Filmarchivund in den Bildsammlungen einschließlich der fototechni-schen Werkstätten und der Sicherungsverfilmung wahrund brachte sich in eine verstärkte Öffentlichkeits- und Bil-dungsarbeit ein. Dabei stellte Hans Booms seine kontakt-freudige Art und sein gutes und sicheres Auftreten unterBeweis, das ihm seine Vorgesetzten schon von Anfang an

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neben seiner „Einsatzbereitschaft bis zur Erschöpfung“attestierten. 1967 übernahm er die Leitung der Abteilungfür fachliche Grundsatzangelegenheiten und war in dieserFunktion maßgeblich am Aufbau der Freiburger AbteilungMilitärarchiv unter dem Dach des Bundesarchivs beteiligt.Auch darüber hinaus hat er, 1969 zum Archivdirektor undzwei Jahre später zum Leitenden Archivdirektor ernannt,auf zahlreichen Feldern Vorzügliches geleistet. Besondersnachhaltig jedoch hat Hans Booms als Präsident des Bun-desarchivs vom Dezember 1972 bis zum Juni 1989 gewirkt.Dieses Amt war seiner imposanten Erscheinung und sei-ner eindrucksvollen Persönlichkeit wie auf den Leibgeschneidert. In seiner Amtszeit setzte er essentielle Weg-marken für die Entwicklung des Bundesarchivs. So kämpf-te er beharrlich und geschickt für den ersten Archivzweck-bau eines deutschen zentralstaatlichen Archivs, der 1986auf der Koblenzer Karthause eingeweiht werden konnte.Er erkannte früh die Notwendigkeit des dann 1988 verab-schiedeten Bundesarchivgesetzes. Weitere wichtige Wei-chenstellungen in seiner Präsidentschaft waren im Jahre1974 die Einrichtung der Erinnerungsstätte für die Frei-heitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt,die Inangriffnahme der Edition der Kabinettsprotokolleder Bundesregierung im Jahre 1979, die Übertragung derAufgaben des zentralen deutschen Filmarchivs ebenfalls1979 sowie 1989 die Einrichtung des zentralen Lastenaus-gleichsarchivs in Bayreuth. Nicht zuletzt hat das Bundes-archiv in der „Ära Booms“ wesentlich dazu beigetragen,im Jahre 1983 die angeblichen „Hitler-Tagebücher“ als Fäl-schung zu entlarven.

Als Honorarprofessor, zu dem ihn die Universität zuKöln für seine seit 1966 wahrgenommene Lehrveranstal-tung zur modernen Archiv- und Quellenkunde im Jahre1970 ernannt hatte, war es ihm ein besonderes Anliegen,das „Bundesarchiv fest in das Geflecht der Institutioneneinzupflanzen, die sich mit der Erforschung der jüngerenund jüngsten Geschichte befassen“. Er hat damit die Basisfür erfolgreiche Kooperationen gelegt, die noch heuteanhalten und reiche Früchte tragen.

Die Mitarbeit an der Modernisierung des deutschenArchivwesens, um es mit seinen Worten „gesellschaftsre-levant, gesellschaftlich bemerkenswert, gesellschaftlichbedeutend“ zu machen, war sein weiter gestecktes Ziel: 16Jahre führte er in der Konferenz der Archivverwaltungendes Bundes und der Länder als Vertreter des Bundes eingewichtiges Wort und regte mehrere Bund-Länder-Arbeitsgruppen zur horizontalen Bewertung an. Ab 1967engagierte sich Hans Booms zehn Jahre lang im Vorstanddes Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivareund hatte bis 1970 das Amt des Schriftführers inne. 1973bis 1977 gestaltete er zugleich die Arbeit der Fachgruppeder staatlichen Archive als deren Vorsitzender. Doch auchschon vor und nach dieser Zeit der aktiven Verbandsarbeitbrachte er sich bei Archivtagen oder als Autor engagiert indie Fachdiskussion ein. So 1966 mit wegweisenden Gedan-ken zur Dokumentations- und Sammlungstätigkeit derArchive oder 1972 mit seinem provokanten Aufsatz„Gesellschaftsordnung und Überlieferungsbildung“, derdurch sein Rütteln am bisher ehernen Provenienzprinzipdie Bewertungsdiskussion in West und Ost ganz neu beleb-te. Richtungweisend war sein programmatischer Vortragvor dem 53. Deutschen Archivtag 1979 in Bonn/BadGodesberg über die „Archive im Spannungsfeld zwischen

Verwaltung, Forschung und Politik“. In diesem Vortrag hater die fachspezifische Autonomie und Unabhängigkeit derArchive gegenüber der Verwaltung und Politik mit Nach-druck unterstrichen. Für diese seine Überzeugung standHans Booms auch außerhalb der Fachgemeinschaft einund hat, wie sein kongenialer Freund Martin Broszat, derdamalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in Mün-chen, feststellte, „so manche Auseinandersetzung auf die-sem Feld mutig bestritten“.

Die besonders herausragende Leistung der letzten zehnJahren seines beruflichen Wirkens wird auf Dauer mit sei-nem Namen verbunden bleiben. Er hat das deutscheArchivwesen endgültig aus der internationalen Isolationbefreit, in der es noch Jahrzehnte nach der Überwindungder NS-Herrschaft verharrte: Mit großem Geschick und derihm eigenen Mischung aus Charme und Beharrlichkeit hatHans Booms die Fachkollegen aus aller Welt nach Deutsch-land geholt und hat 1984 den Internationalen Archivkon-gress in Bonn zu einem für alle unvergesslichen Ereignisgemacht. Er hat damit einen Meilenstein für eine neueRolle der deutschen Archive im internationalen Rahmenaufgerichtet. 1984 zum ersten deutschen Präsidenten desInternationalen Archivrates gewählt, hat Hans Booms indieser internationalen Spitzenorganisation eine Reformder Verwaltung und Finanzwirtschaft eingeleitet, hat denKontakt zur UNESCO verbessert und die Vernetzung mitden anderen internationalen Nicht-Regierungsorganisa-tionen des Kulturbereichs vorangetrieben. Ein besonderesAnliegen war ihm aber die Entwicklung eines geordnetenund in der jeweiligen Staats- und Gesellschaftsordnungverankerten Archivwesens in Entwicklungs- und Schwel-lenländern. Hans Booms hat dafür gesorgt, dass derenStimmen in den Gremien des Internationalen Archivratsmehr Gewicht erhielten und hat keine Mühe und keinenoch so beschwerliche Reise gescheut, wenn es darumging, durch sein persönliches Engagement die Archive inaller Welt voran zu bringen. Durch hohen Einsatz undseine charismatische Ausstrahlung hat Hans Booms weitüber sein turnusmäßiges Ausscheiden aus diesem Amt imJahre 1988 hinaus das Ansehen des Archivwesens im In-und Ausland nachhaltig gestärkt.

Die großen Verdienste von Hans Booms wurden durchhochrangige in- und ausländische Auszeichnungen gewür-digt, so 1989 durch das Große Bundesverdienstkreuz desVerdienstordens der Bundesrepublik Deutschland oderdurch die Ehrenmitgliedschaft im Internationalen Archiv-rat. Ehrungen und Auszeichnungen waren aber nicht derMotor, der den Verstorbenen unermüdlich in Bewegunghielt. Was ihn wirklich antrieb, hat Hans Booms nach 34Jahren im Bundesarchiv und 17 Jahren an dessen Spitzeoffenbart, als er Ende Juni 1989 mit seinen eigenen Worten„die Kommandobrücke des archivischen Flaggschiffes derBundesrepublik Deutschland“ verließ – und zwar, wie ermeinte, „mit gemischten Gefühlen“. „Denn“, so sagte erdamals „denn ich habe dieses Amt geliebt. Es ist mir zueiner Art Traumerfüllung meines Lebens geworden“.

Diese Liebe zum Amt, das ihm „mehr Lust als Last“ war,dieser erfüllte Traum, hat nachhaltige Ergebnisse für dasBundesarchiv sowie für das deutsche und internationaleArchivwesen gezeitigt und vielen Menschen, die von sei-nem Vorbild motiviert wurden, Kraft gegeben, den vonihm vorgezeichneten Weg mitzugehen. Die Angehörigendes Bundesarchivs, Zeitgenossen und Nachlebende, ver-

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danken Hans Booms sehr viel und werden ihn in ehrenderErinnerung behalten. Im deutschen Archivwesen und dar-über hinaus wird Hans Booms unvergessen bleiben.

Koblenz Hartmut Weber

Karl Ludwig (Lutz) Hatzfeld †

Geb. 23. April 1920 Driedorf/DillkreisGest. 15. März 2007 DüsseldorfNach kurzer Krankheit ist eine der Pionierpersönlichkeitender Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare kurz vorVollendung seines 87. Lebensjahres verstorben. Dr. LutzHatzfeld entstammte einer Familie, die seit Jahrhundertenim Nassauischen zuhause ist und deren Mitglieder teilwei-se in hohen politischen und militärischen Ämtern gewirkthaben. Das Interesse an der Geschichte seiner Familie undseiner Heimat hat seine vielfältig vorhandenen histori-schen Neigungen und Fähigkeiten früh zur Entfaltungkommen lassen. Bereits als Schüler befasste er sich mit mit-telhochdeutschen Kaiserurkunden, Stadtverfassungen undKellnereiabrechnungen. Nach seinem altersbedingten Aus-scheiden bei Mannesmann widmete er sich erneut dieserThematik, und zwar bis zu seinem Tod – auf seinemSchreibtisch lagen neben seinen letzten Veröffentlichungenund umfangreicher Fachliteratur die ersten Manuskriptsei-ten für einen neuen Beitrag. Eine kurze, heftige grippaleInfektion hat ihn diese Arbeit nicht mehr zum Abschlussbringen lassen.

Nach dem Abitur war an ein akademisches Studiumzunächst nicht zu denken; an dessen Stelle standen –damals obligatorisch – Arbeitsdienst und die Ableistungder allgemeinen Wehrpflicht. Letztere erfolgte bei denGebirgsjägern. Nach Einsätzen auf dem Balkan wurde eran die Ostfront kommandiert. Am Krieg gegen die Sowjet-union war er – unterbrochen durch Lazarettaufenthaltenach schweren Verwundungen und Lehrgängen im Rah-men der Offiziersausbildung – vom Aufmarsch bis zu sei-ner Gefangenschaft im Winter 1944 beteiligt. Wegen außer-ordentlicher Tapferkeit wurde er wiederholt ausgezeich-net. Während seiner Kriegsgefangenschaft leistete erZwangsarbeit in verschiedenen sibirischen Lagern. Erst1949 wurde er in die Heimat entlassen.

Nun endlich konnte er seinen Jugendtraum erfüllen undGeschichte studieren; er tat dies in Marburg und München,u. a. bei Fritz Wagner und Franz Schnabel. Bereits 1953wurde er mit einer Arbeit „Über die nassauischen Voraus-setzungen für die niederländische Rebellion“ promoviert.Anschließend arbeitete er als Redakteur einer liberalenTageszeitung in Kassel. Von 1957 bis 1959 forschte er mitfinanzieller Unterstützung durch die Deutsche For-schungs-Gemeinschaft über Karl V., Moritz von Sachsenund die Wetterauer Grafen, wobei Fragen nach der Orga-nisation und Verwaltung im Mittelpunkt seiner Betrach-tungen standen – also Fragen, die ihn auch später alsUnternehmensarchivar beschäftigten.

1959 bewarb er sich um die vakant werdende Stelle alsLeiter des Historischen Archivs der Phoenix-Rheinrohr AGund erhielt unter sieben Bewerbern den Vorzug. Mit Enga-gement widmete sich Lutz Hatzfeld der neuen Aufgabe.Bereits 1960 erschien mit „Die Anfänge der deutschen Röh-renindustrie. Zur 100. Wiederkehr der Verlegung derPoensgen-Betriebe von Mauel nach Düsseldorf“ der ersteAufsatz, der sein neues Tätigkeitsfeld betraf. Eine Fülle

weiterer Veröffentlichungen folgte, darunter die Monogra-phien „Die Begründung der deutschen Röhrenindustriedurch die Fa. Poensgen & Schöller, Mauel 1844-1850“(1962) und „Die Handelsgesellschaft Albert PoensgenMauel-Düsseldorf. Studien zum Aufstieg der deutschenStahlrohrindustrie 1850 bis 1872“ (1964). Zahlreiche weite-re Beiträge, z. B. für die Neue Deutsche Biographie oder dieRheinischen Lebensbilder, verdankten ihr Entstehen sei-nem starken personengeschichtlichen Interesse. Eineumfangreiche Biografie über Ernst Poensgen wird dankder Initiative des Bamberger Wirtschafts- und Sozialhisto-rikers Jürgen Schneider zurzeit für den Druck vorbereitet.

Neben der Behandlung sachlich konkreter Fragestellun-gen unterzog sich Lutz Hatzfeld auch immer wieder derBearbeitung grundsätzlicher Probleme sowohl der Unter-nehmensgeschichte als auch des Archivwesens der Wirt-schaft. Dafür stehen Veröffentlichungen wie „Zum Anfangder Firmengeschichte“, „Werksgeschichte und Firmenge-schichte“, „Geschichte der Unternehmensverwaltung und-organisation“, „Societät – Firma – Unternehmen“, „DasPhoenix-Rheinrohr-Archiv als Problem industrieller Ver-waltung“ sowie „Probleme irregulärer Archivbildung“.Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dabei der Entste-hung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchesdurch David Hansemann und dessen Bedeutung für dieUnternehmensführung (Aufgabenteilung zwischen Vor-stand und Aufsichtsrat) in Wirtschaftsunternehmen desDeutschen Bundes (bis 1907) auf der einen sowie auf deranderen Seite für die Herausbildung von Unternehmens-archiven. 1990, anlässlich der VdW-Tagung in Düsseldorf,hat er darauf noch einmal in einem Fachvortrag aufmerk-sam gemacht.

Die Ergebnisse seiner archivtheoretischen Arbeitenkamen seiner Tätigkeit als Archivar zugute. Er hat die vonseinen Vorgängern zusammengetragenen Bestände desPhoenix, der Deutschen Röhrenwerke und Phoenix-Rhein-rohr und ab 1972 auch von Mannesmann geordnet, nachden damals als gültig angesehenen archivwissenschaftli-chen Erkenntnissen zu Archivkörpern geformt sowiedurch Findbücher und Steilkarteien erschlossen. Das Pro-blem der „gebrochenen Provenienzen“ versuchte er –unabhängig von Artur Zechel – durch ein modifiziertes„ökotopisches Prinzip“ zu lösen. Obwohl archivarischerAutodidakt, hat er Pertinenzprinzip und Dezimalklassi-fikation von vornherein abgelehnt. Seine jedem Findbuchvorangestellten Ausführungen über die Entstehung unddie Struktur des jeweiligen Archivbestandes sind ebensoklar in der Gedankenführung wie eindeutig in der Dikti-on.

Die Arbeit der VdW ist von Lutz Hatzfeld entscheidendgeprägt worden. Er gehörte der Generation der promovier-ten Historiker/innen an, die das Profil der Vereinigung inden ersten Jahrzehnten ihres Bestehens geschärft haben.Mehr als zehn Jahre lang, von 1966 bis 1978, hat er in ihremVorstand mitgewirkt. Als Leiter eines Arbeitskreises hat ersich mit dem für Archivare grundsätzlichen Problem vonBestandsabgrenzung, Wertermittlung und Kassationbefasst. Als langjähriger Schriftleiter von Archiv und Wirt-schaft hat er nicht nur die Erfahrungen und Erkenntnissezahlreicher Fachkollegen und -kolleginnen einer größerenÖffentlichkeit zugänglich gemacht, sondern auch die Gele-genheit genutzt, aus seinem eigenen, reichen Erfahrungs-schatz zu publizieren. Auf manche Probleme hat Lutz

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Hatzfeld als erster aufmerksam gemacht. Nicht immer istderen Bedeutung sofort erkannt worden. Von 1972 bis 1981war er Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Der Archi-var – ein Zeichen dafür, dass er und seine Arbeit auch vonden Kollegen und Kolleginnen der anderen Archivspartengeschätzt wurden.

Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Archivdienst,1984, ist Lutz Hatzfeld dem Mannesmann-Archiv und des-sen Arbeit eng verbunden geblieben. Regelmäßig hat er dieEinrichtung besucht und deren Weiterentwicklung mitwachem Interesse begleitet. Seiner wissenschaftlichenTätigkeit gab er jedoch eine andere Ausrichtung. Er kehr-te zu den Anfängen seiner historischen Arbeit bzw. zu denWurzeln seiner Familiengeschichte zurück und forschtemit Freude und Gewinn über rechtliche und wirtschaftli-che Verhältnisse in der Frühen Neuzeit auf dem hohenWesterwald und im ehemaligen Herzogtum Nassau.

Lutz Hatzfeld, der Zeitenwenden einen hohen – nichtnur symbolischen – Wert beimaß, wollte unbedingt dieJahrtausendwende erleben. Nachdem, unerwartet, dieWiedervereinigung Deutschlands Wirklichkeit gewordenwar, waren ihm auch noch einige Jahre des neuen Jahrtau-sends bei bewundernswerter Gesundheit und geistigerFrische vergönnt. Am 15. März 2007 hat der Tod diesemerfüllten Leben ein Ende gesetzt.

Mülheim an der Ruhr Horst A. Wessel

Friedrich-Wilhelm Hemann †

Geb. 3. Mai 1960 FabbenstedtGest. 14. März 2007 MünsterFür seine Kollegen, Freunde und für die Familie völligunerwartet verstarb Friedrich-Wilhelm Hemann am 14.März 2007 im Alter von nur 46 Jahren in Münster. 1960 inFabbenstedt, heute Espelkamp, als älterer Sohn einer Fami-lie von Landwirten geboren, verließ Hemann das Gymna-sium in Espelkamp 1980 mit dem Abitur. Nach dem Wehr-dienst nahm er 1981 das Studium der Geschichte und derGermanistik an der Westfälischen Wilhelms-UniversitätMünster auf, das er 1987 mit dem Ersten Staatsexamenabschloss. Sein Wunsch, Archivar zu werden, stand bereitsfrüh fest, und so wandte er sich während des Studiums ins-besondere der Landes- und Stadtgeschichte am LehrstuhlHeinz Stoob zu. Bereits als studentische Hilfskraft war ermit den großen, am Lehrstuhl und am Institut für verglei-chende Städtegeschichte entwickelten Atlaswerken befasstund wurde dort mit den Methoden der Kartographie ver-traut. Während der Arbeit an seiner Dissertation bei Prof.Dr. Peter Johanek über das Thema „Das Rietberger Stadt-buch. Edition, Einleitung, Typologie. Ein Beitrag zur Erfor-schung von Klein- und Residenzstädten sowie zur Frageder Schriftlichkeit in frühneuzeitlichen Städten Westfa-lens“, die er 1993 vorlegte, war er als wissenschaftlicherMitarbeiter am Institut für vergleichende Städtegeschichtebeschäftigt und dort im Projekt „Atlas zur Stadtentwick-lung“ engagiert. Aus dieser Arbeit ergab sich seit 1988 einebeeindruckende Reihe von Aufsätzen, Kartenblättern,Lexikonartikeln und selbständigen Veröffentlichungen zueinzelnen Hanse-, Residenz- und ostwestfälischen Städten,aus denen die Studie „Zur Entwicklung von Lübbecke imMittelalter“ und die von ihm und anderen besorgte Editi-on „Urkunden zur Geschichte des Städtewesens in Mittel-

und Niederdeutschland Band 2: 1351-1475“ beispielhaftherausgegriffen werden sollen.

1995 erfüllte sich sein Berufswunsch: Friedrich-WilhelmHemann trat das Archivreferendariat an, dessen prakti-schen Teil er zunächst am Staatsarchiv Münster absolvier-te, bevor er an die Archivschule nach Marburg ging. Nachdem archivarischen Staatsexamen im April 1997 wurdeHemann im September 1997 erster hauptamtlicher Leiterdes Stadtarchivs Dülmen und hat in seiner knapp zehnjäh-rigen Tätigkeit das Stadtarchiv und die Aufarbeitung derStadtgeschichte maßgeblich geprägt. Auf allen Gebietender archivarischen Tätigkeit hat er Grundlegendes gelei-stet: Nachdem er zunächst das vorher in einer Kulturein-richtung zusammengefasste Heimatmuseum vom Archivgetrennt hatte, begann er mit der Verzeichnung der Bestän-de, der Akquisition von neuerem Verwaltungsschriftgutund von Nachlässen, der Schutzdigitalisierung und vorallem der Öffentlichkeitsarbeit. So hat er zahlreiche Aus-stellungen durchgeführt und die Geschichte Dülmens, vorallem die Zeitgeschichte, nicht nur wissenschaftlich fun-diert, sondern auch verständlich und anschaulich vermit-telt. Die beeindruckende Reihe seiner Veröffentlichungensetzte er auch in seiner Zeit als Dülmener Stadtarchivarfort. Er hat das Erscheinen seines Aufsatzes über die früheGeschichte des Sankt-Viktor-Stifts in Dülmen und seinesbeispielhaften Buches über das Dülmener Urkataster nichtmehr erlebt.

Die Wertschätzung, die seiner wissenschaftlichen Arbeitentgegengebracht wurde, fand ihren Niederschlag in derErnennung zum ordentlichen Mitglied der HistorischenKommission für Westfalen und in seiner Berufung in denBeirat des Vereins für Geschichte und AltertumskundeWestfalens, Abteilung Münster.

Friedrich-Wilhelm Hemann war, von außen betrachtet,ein zurückhaltender, ausgeglichener, freundlicher Mensch,der die Dinge im Griff zu haben schien, der seine eigeneMeinung – wenn gefragt – deutlich vertrat, der sein Lebenund auch den Schicksalsschlag, der ihm durch das Krebs-leiden und den Tod seiner Frau versetzt wurde, tief reflek-tiert und abgeklärt zu meistern schien. Den Tod seiner Frauhat er indessen, dem äußeren Schein zum Trotz, wohl nichtverwunden. Im Freundes- und Kollegenkreis vermissenwir ihn sehr.

Münster Mechthild Black-Veldtrup

Otto Sprenger †

Geb. 4. März 1917 HarburgGest. 9. Februar 2006 HamburgDer langjährige Chef der Fernseharchive des Norddeut-schen Rundfunks und herausragende Gewerkschafter OttoSprenger verstarb am 9. Februar 2006 kurz vor seinem 89.Geburtstag in Hamburg.

Geboren am 4. März 1917 in Harburg wuchs Otto Spren-ger in ärmlichsten Verhältnissen bei seiner Mutter auf, dieihm mit ihrer Arbeit seine schulische Ausbildung ermög-lichte. Die Jugend dieser Generation war bis zum Ende des2. Weltkriegs geprägt durch Arbeitsdienst, Wehrdienst undKriegseinsatz, so wie dies auch dem prominentesten Ver-treter dieser Altersgruppe, dem späteren Bundeskanzlerund Sprengers Hamburger Landsmann Helmut Schmidt

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 281

beschieden war. Das zweite, besser das eigentliche Lebenbegann erst nach dem Krieg und den Nachkriegswirren.Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre finden wir OttoSprenger beim Studium der Philosophie, und in dieser Zeitbeginnen bereits seine ersten Einsätze für den Norddeut-schen Rundfunk, der Sprengers berufliche Heimat werdensollte. So arbeitete der Philosophiestudent in der damalssich gerade entwickelnden Medienforschung mit undwechselte nach Beendigung des Studiums in das im Auf-bau befindliche Fernseharchiv, dessen Leitung er bis zu sei-ner Pensionierung 1982 wahrnahm. Berufsständisch wirk-te Otto Sprenger viele Jahre im Vorstand der Fachgruppeder Medienarchivare im VdA und engagierte sich interna-tional in der von ihm mit gegründeten Fédération Interna-tionale des Archives de Télévision (FIAT), der internatio-nalen Organisation der Fernseharchive, deren Präsident ervon 1977 bis 1985 war.

Politisch und gesellschaftlich waren die SPD und dieGewerkschaften seine Heimat: 1949 Nachfolger von Hel-mut Schmidt als Vorsitzender des Sozialistischen Deut-schen Studentenbundes (SDS), engagierte sich Otto Spren-ger bald nach seinem Eintritt in den NDR, ab 1955, in derdeutschen Gewerkschaftsbewegung. Von 1960 bis 1971 warer Vorsitzender des NDR-Verbandes der RFFU, der dama-ligen Rundfunkgewerkschaft im DGB, von 1971 bis 1976Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes dieserGewerkschaft und schließlich deren Gesamtvorsitzendervon 1976 bis 1979. Von 1973 bis 1980 war Otto SprengerBundesvorsitzender der Gewerkschaft Kunst im DGB undMitglied des DGB-Bundesvorstandes.

Das sind die nüchternen Daten, die bereits einen erstenEindruck von dem erfolgreichen und breit gefächertenpolitischen, gesellschaftlichen und beruflichen Wirkenunseres Kollegen vermitteln können. Hinter diesen Datenverbirgt sich ein Mensch, der sich in ganz besonderer Weiseum die Gesellschaft und das Rundfunkwesen in der Bun-desrepublik verdient gemacht hat:

31 Jahre Arbeit für den Norddeutschen Rundfunk sindauch 31 Jahre Tätigkeit für die ARD und das deutscheRundfunkarchivwesen. Wer anders als Otto Sprenger hättein der Nachkriegszeit das NDR-Archivwesen vorantreibenund gleichzeitig, was seinem großen Engagement und sei-nem Organisationstalent geschuldet ist, Normen für dieDokumentation und Archivierung in allen Rundfunkarchi-ven der ARD zu setzen vermocht? Wichtige Station hier:Die Fernseh-Regelwerkskommission unter seinem Vorsitz.Diese Grundlagen-Sisyphus Arbeit der Entwicklung einesvon allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aner-kannten und von den privatwirtschaftlich organisiertenSendern in den methodischen Teilen adaptierten verbind-lichen Regelwerks für die Erschließung von Fernsehpro-duktionen, das in weiten Teilen noch heute Bestand hat, isteine veritable Leistung, ein gewichtiger Teil des Lebens-werks unseres Kollegen. Hier wurden die methodischenGrundlage geschaffen, die den Aufbau digitaler Informa-tionssysteme und Datenbanken erst ermöglichten, wasillustriert, wie zukunftsorientiert und strategisch der Ham-burger Rundfunkarchivchef dachte und operierte.

In der Fachgruppe 7 des VdA hat Otto Sprenger sich umdie Entwicklung eines Berufsbildes der Medienarchivareebenso verdient gemacht wie um die Erarbeitung einesumfassenden Aus- und Fortbildungsprogramms; dieseswar in den 60er und 70er Jahren für einen Berufsstand, der

seine Klientel vielfach aus so genannten Seiteneinsteigernrekrutierte, geradezu prägend und wesentlich für die tarif-rechtliche Anerkennung der Arbeit dieser Berufsgruppe.Die Ausweitung der fachlichen und berufsständischenAktivitäten auf den internationalen Bereich durch dieGründung der Fédération Internationale des Archives deTélévision (FIAT), deren langjähriger Präsident er war, warein besonderes Anliegen von Otto Sprenger. Er verstanddiese Arbeit immer auch als ein Stück Entwicklungsarbeitund -hilfe zur Vermittlung eines hohen Standards für Fern-seharchive in aller Welt, vor allem in den auf diesem Gebietnoch unterentwickelten Ländern in Afrika, Südamerikaund Asien.

Das gesellschaftliche Wirken Otto Sprengers, des enga-gierten Gewerkschafters, des ehrenamtlichen Arbeits- undSozialrichters hat Spuren hinterlassen, was vor allem beider Reorganisation der Gewerkschaft Kunst deutlich wird.Hier war Otto Sprenger als Vorsitzender Nachfolger desKammersängers Wolfgang Windgassen, der die Gewerk-schaftsarbeit zwar mit künstlerisch leichter Hand betrie-ben, dabei aber ein mittleres Chaos hinterlassen hatte. Füreine solide Interessenvertretung dieser relativ exotischenund individualistischen Berufsgruppe – die wie viele klei-nere Einzelgewerkschaften heute längst in ver.di aufgegan-gen ist – war unser Kollege genau der Richtige, der hier fürOrdnung und Remedur sorgte.

Als einziger Vorsitzender der Einzelgewerkschaften imDGB blieb Otto Sprenger immer nur ehrenamtlich für denGewerkschaftsbund tätig. Dies verschaffte ihm die not-wendige Unabhängigkeit und machte ihn immun gegentypisches Funktionärsverhalten und gegen Anfechtungenund Versuchungen, denen schon damals nicht wenige imDGB erlagen, wenn man z. B. an die Vorgänge um die NeueHeimat (NH) zurückdenkt.

Otto Sprenger war maßgeblich an der Gründung derKünstlersozialkasse beteiligt, die freischaffenden Journali-sten und Künstlern Zugang zu den Leistungen aus dergesetzlichen Renten- und Krankenversicherung ermög-licht. In seiner Rundfunkgewerkschaftsarbeit hatte OttoSprenger entscheidenden Anteil an der Schaffung vorbild-licher Tarifwerke im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. EineReihe der von ihm mit gestalteten Regelungen sind bisheute Fundament geltenden Tarifrechts geblieben.

In ganz besonderer Weise ist der Name unseres Kolle-gen aber mit der 1985 gegründeten und unter seinemNamen firmierenden Otto-Sprenger-Stiftung verbunden:Diese mit seinem Vermögen geschaffene Stiftung fördertjedes Jahr junge Regietalente mit 10.000 Euro und hat inden vergangenen 20 Jahren Eckpunkte und Zeichengesetzt: So wurden inzwischen renommierte Jungregisseu-re wie Romuald Karmakar (für seinen Film „Der Totma-cher“), Ayse Polat für Ihre Regiearbeit bei „En Garde“ undim letzten Jahr Franziska Stünkel für ihren Film „Vineta“beim Hamburger Filmfest mit dem Otto-Sprenger-Preisausgezeichnet.

Auf den Pfaden dieses langen und erfolgreichen Lebensbin ich seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhundertseinem Menschen begegnet, der trotz all seiner vielenÄmter und Funktionen mit beiden Füßen auf der Erdegeblieben war. Nie hat er seine eigene Herkunft vergessenund fühlte sich so immer den Menschen verpflichtet undverbunden, ein Mann, der trotz seiner weltweiten Aktivi-täten doch immer auch ein bodenständiger Hamburger

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war. In dieser Stadt, die er liebte und die er in all ihrenFacetten besonders gut kannte, ist er ja schließlich auchgestorben. Unvergesslich seine Berichte über die Betreu-ung osteuropäischer Gewerkschaftskollegen, denen erauch das nächtliche Hamburg und seine Klubs zu zeigenhatte, eine Pflicht, der er mit stoischer Gelassenheit undSouveränität nachkam.

Der Mann, um dessen Sparsamkeit sich unzählige Anek-doten ranken, wusste genau, was er tat und wofür er spar-te, was uns, seinen Weggefährten und Freunden, lange ver-borgen blieb. Der charmante Erzähler und reizende Gesell-schafter war ein Freund der Kinder, obwohl und wohlgerade weil seine Ehe kinderlos geblieben war. Ich erinne-re mich wie heute an einen wunderbaren Nachtspazier-gang Anfang der 80er Jahre von unserer Wohnung zumHotel, bei dem unsere damals sechsjährige Tochter darauf

bestanden hatte, geweckt zu werden, um ihren FreundOtto Sprenger begleiten zu können.

Otto Sprenger war ein wirklicher Ehrenmann, integerund zuverlässig, ein Mann von nobler Gesinnung undAutorität, dabei aber auch originell mit kreativen Ideenund ein großartiger Organisator und erfolgreicher Mana-ger, der aber immer den Menschen, die ihm anvertrautwaren, verpflichtet blieb.

Otto Sprenger war einer von uns, den wir achteten undverehrten und den wir auf eine besondere Art liebten; erwar Respektsperson, fachliche Instanz und Freundzugleich. Die Begegnungen mit ihm, viele davon auch nachseiner Pensionierung in Hamburg, bleiben eindrucksvoll inmeiner Erinnerung.

Ingelheim/Rhein Heiner Schmitt

Kurzinformationen, Verschiedenes

Lehrgang zur Ausbildung von „Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste/Fachrichtung Archiv“in Brandenburg

Am 16. März 2007 fand der zweite berufsbegleitende Lehr-gang zur Ausbildung von „Fachangestellten für Medien-und Informationsdienste/Fachrichtung Archiv“ mit derfeierlichen Zeugnisübergabe seinen erfolgreichen Ab-schluss. 18 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Archivenverschiedener Bundesländer und des Bundes haben sichdas zur kompetenten Tätigkeit in ihren Einrichtungennötige Fachwissen angeeignet und einen anerkanntenBerufsabschluss erworben.

Um dem weiter vorhandenen Qualifizierungsbedarf aufder Ebene des mittleren Archivdienstes Rechnung zu tra-gen, wird das erfolgreiche Lehrgangsangebot fortgesetzt.Voraussichtlich im Oktober 2007 beginnt der dritte berufs-begleitende Kurs, der wiederum vom Bildungszentrumder IHK Cottbus in Zusammenarbeit mit der Landesfach-stelle für Archive und öffentliche Bibliotheken im Branden-burgischen Landeshauptarchiv organisiert wird. Er richtetsich vornehmlich an Mitarbeiter in Archiven oder archiv-ähnlichen Einrichtungen ohne berufsbezogene Qualifika-tion. Die zweijährige fachbezogene Ausbildung befähigtdazu, die Abschlussprüfung zum/zur Fachangestellten fürMedien- und Informationsdienste in der FachrichtungArchiv vor dem Staatlichen Prüfungsamt für Verwaltungs-laufbahnen in Potsdam erfolgreich abzulegen. Die Teilneh-mer erhalten eine fundierte Ausbildung in der Fachrich-tung Archiv und erwerben Grundkenntnisse über Struktur,Zielgruppen, Arbeitsgegenständen und Arbeitsmitteln inden benachbarten Fachrichtungen.

Die Schulungen finden vierzehntäglich freitags undsonnabends, hauptsächlich in Potsdam, gelegentlich auchin Berlin und Cottbus statt. Die Kosten des Lehrgangsbelaufen sich auf ca. 2.600,00 € (inkl. Lehrgangsunter-lagen), zuzüglich Prüfungsgebühren in Höhe von ca.250,00 €.

Nähere Informationen sind auf den Internetseiten desBrandenburgischen Landeshauptarchivs unter der Rubrik

Schnellstart / Aus- und Fortbildung (www.landeshauptar-chiv-brandenburg.de) verfügbar.

Interessenten wenden sich bitte an das IHK-Bildungs-zentrum Cottbus GmbH, Andrea Behrends, Goethestr. 1a,03046 Cottbus, Tel. 0355 / 365 - 423, E-Mail: [email protected].

Potsdam Susanne Taege

„Brandenburgische Archive. Berichte und Mitteilungenaus den Archiven des Landes Brandenburg 24/2007“ –Lieselott Enders und Friedrich Beck zum 80. Geburtstaggewidmet

Mit dem Heft 24/2007 wird die regelmäßige Herausgabevon Heften der Zeitschrift Brandenburgische Archive nacheiner zeitlichen Unterbrechung fortgesetzt. Die durch denLandesverband Brandenburg des Vebands deutscherArchivarinnen und Archivare e. V. und des Brandenburgi-schen Landeshauptarchivs jährlich einmal herausgegebe-ne Publikation dient den Archiven des Landes Branden-burg, den Archiven aller im Lande vertretenen Archivspar-ten zur Darstellung ihrer archivarischen Arbeit und zurBehandlung ihrer archivarischen Fachprobleme.

Im Mittelpunkt des breiten Spektrums an Inhalten ste-hen Berichte und Untersuchungen zu archivalischen Über-lieferungen, zu den klassischen Aufgaben der Archive, diemit den Stichworten Übernahme, Bewertung, Erschlie-ßung und Auswertung von Archivgut überschrieben wer-den. Gerade zur archivwissenschaftlichen Debatte wollendie Brandenburgischen Archive mit Studien, die aus derBeschäftigung mit den in den brandenburgischen Archivenverwahrten Beständen erwachsen sind, beitragen sowiedie Fragen und Probleme, die sich in der archivarischenBearbeitung brandenburgischer Überlieferungen gestellthaben, beschreiben und die gefundenen Antworten undLösungen vorstellen. Es versteht sich geradezu von selbst,dass dabei auch Ereignisse und Vorgänge der brandenbur-gischen Landesgeschichte zur Sprache kommen, haben sie

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doch in den behandelten Unterlagen ihren Niederschlaggefunden. Die brandenburgischen Archive sind dasGedächtnis des Landes Brandenburg – diese vielzitierteFormel gewinnt ihre innere Berechtigung daraus, dass nurauf der Grundlage ihrer Bestände die vielhundertjährigeVergangenheit Brandenburgs in ihrer ganzen Breite undVielfalt, von den Haupt- und Staatsaktionen der Landes-herren bis hin zu den Lebensverhältnissen der einfachenLeute, erforscht und dargestellt werden kann. „Der Histo-riker-Archivar wird entgegen manchem gegenwärtigenZweifler solange das verpflichtende berufsständische Vor-bild bleiben, so lange man davon überzeugt ist, dass derArchivar zur angemessenen archivwissenschaftlichenBehandlung seiner Archivalien mit den in ihnen beschrie-benen historischen Verhältnissen geschichtswissenschaft-lich vertraut sein muss“, so Dr. Klaus Neitmann, Direk-tor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, im Geleit.

Die Herausgeber der Brandenburgischen Archive widmenden Jahrgang 2007, den ersten der neugestalteten Zeit-schrift, zwei Kollegen, die wohl wie kaum andere das bran-denburgische Archivwesen in dem zurückliegen halbenJahrhundert geprägt haben. Dr. Lieselott Enders und Prof.Dr. Friedrich Beck begehen beide in diesem Jahr ihren 80.Geburtstag. Als Abteilungsleiterin und als Direktor desBrandenburgischen Landeshauptarchivs haben sie überJahrzehnte hinweg die Arbeit an brandenburgischenArchivbeständen zu ihrem eigentlichen Lebensinhaltgemacht, haben mit ihren vielfältigen Bemühungen, mitihrem Lebenswerk erreicht, dass aus einer archivischenTrümmerlandschaft, die der Zweite Weltkrieg gerade inBerlin und Brandenburg hinterlassen hatte, ein neuerArchivkörper erstand, mit dem Brandenburg zum erstenMal in seiner Geschichte über eine eigene Einrichtung zurBewahrung und Bearbeitung seiner archivalischen Überlie-ferung verfügte. Dr. Klaus Neitmann würdigt in denGeleitworten der soeben erschienenen Zeitschrift dieArbeit der verdienstvollen Historiker-Archivare: „JederKenner weiß, dass gerade Lieselott Enders und FriedrichBeck aus den grundsätzlichen Möglichkeiten, die die Grün-dung eines eigenständigen ‚Landesarchivs Brandenburg’im Jahre 1949 bot, mit ihrer bewunderungswerten Tatkraftaus wahrlich bescheidenen Anfängen heraus ein beein-druckendes Ergebnis erzielt haben: ein in seinem innerenAufbau nach archivwissenschaftlichen Grundsätzen wohl-geformtes Archiv, das sie auf Grund ihrer fachlichen Lei-stungen gleichberechtigt in die Reihe der deutschen Lan-desarchive eingefügt haben. Ihrem unverwüstlichen undungebrochenen Einsatz für die brandenburgischen Archi-valien ist es zuzuschreiben, dass sie nach ihrem offiziellenAusscheiden aus dem Archivdienst sich weiterhin mitallem Nachdruck der Erschließung und Auswertung vonBeständen verschrieben haben. Im Jahr ihres 80. Geburts-tages krönen sie ihre bisherige Lebensarbeit mit demAbschluss zweier Werke, mit denen sie die Summe lang-jähriger oder gar jahrzehntelanger Beschäftigung ziehen.Lieselott Enders beendet die Arbeit an der spätmittelalter-lichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Altmark, mitder sie nach zuvor behandelten zwei anderen kurmärki-schen Landschaften, der Uckermark und der Prignitz,gewissermaßen den ‚Ursprung’ der Mark Brandenburg inweitem Zugriff darstellt, und Friedrich Beck vollendet mitdem Registerband sein Urkundeninventar zu den kurmär-kischen Urkundenbeständen im Brandenburgischen Lan-

deshauptarchiv, die durch seine Bemühungen völlig neuformiert worden sind. Die Nachfolgenden können sichglücklich schätzen, dass sie auf die Lebensleistungen derbeiden, mit denen diese das Erkenntnisvermögen vonHistoriker-Archivaren nachdrücklich unter Beweis gestelltund eine glänzende Rechtfertigung des Typus gelieferthaben, aufzubauen vermögen.“

Die Herausgeber überreichen Lieselott Enders undFriedrich Beck dieses Heft der Zeitschrift Brandenburgi-sche Archive in dankbarer Anerkennung ihrer archiv- undgeschichtswissenschaftlichen Arbeiten und mit den bestenWünschen für ihre weiteren Vorhaben.

Aus dem Inhalt (Autor):

Ein ungewöhnlicher Dachbodenfund – das Wappenprivi-leg König Ferdinands I. für Vetschau von 1548 (WernerHeegewaldt); „Stolpersteine“ – Archivalien und Gedenk-kultur (Monika Nakath); Übernahme von Unterlagen ausder Sammlung „NS-Archiv des Ministeriums für Staatssi-cherheit“ in das Brandenburgische Landeshauptarchiv(Frank Schmidt); Arbeitsbericht zur Edition der „Proto-kolle der SED-Landesleitung Brandenburg von 1946 bis1952 (Susanna Wurche); Bewertung von Unterlagen dervolkseigenen Wirtschaft (Kathrin Verch); 15 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz – 15 Jahre Akteneinsicht in der Behör-de BStU, Außenstelle Potsdam (Gisela Rüdiger, AnnettWernitz); Stadtarchiv und Stadtjubiläum in Pritzwalk(Rolf Rehberg); Das „Archiv verschwundener Orte“ inForst-Horno (Jan Klußmann); Um Einheit oder Zerfallder Mark Brandenburg im 14. Jahrhundert: Die denkwür-dige Geschichte vom raschen Aufstieg und tiefen Fall des„falschen“ Woldemar (Klaus Neitmann); u. a.

Brandenburgische Archive – Berichte und Mitteilungen ausden Archiven des Landes Brandenburg 24 / 2007 wird kosten-los abgegeben und ist zu beziehen über BrandenburgischesLandeshauptarchiv, Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam. Alspdf-Datei ist das Heft auf der Homepage des Brandenbur-gischen Landeshauptarchiv www.landeshauptarchiv-brandenburg.de unter Archiv/Veröffentlichungen abruf-bar.

Im Namen der Redaktion Brandenburgische Archive: Potsdam Kärstin Weirauch

Sei (d) DABEI!

So lautet seit kurzem die Aufforderung des neu gegründe-ten Alumni-Vereins der FH Potsdam. DABEI e.V. steht für

DokumentationArchivB ibliothekE hemalige des FBI nformationswissenschaften e.V. - der Aufruf richtet sich

somit ausdrücklich an alle ehemaligen Studenten und Stu-dentinnen des Fachbereichs Informationswissenschaften.

DABEI e.V. unterstützt nicht nur bei der Kontaktpflegeder Mitglieder, sondern regt auch den gegenseitigen Erfah-rungsaustausch zwischen Studierenden und Alumni an.

Für weitere Informationen:Im Web:http://alumni-fb5.fh-potsdam.deE-Mail: [email protected]

Potsdam Sabine Wolf

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MITTEILUNGEN DES VDA – VERBAND DEUTSCHERARCHIVARINNEN UND ARCHIVARE e.V.

Der VdA gratuliert seinem Mitglied Dr. Richard Moderhack

zum 100. Geburtstag

Am 14. Oktober 2007 wird Dr. Richard Moderhack seinen100. Geburtstag feiern, zu dem der Verband deutscherArchivarinnen und Archivare ihm die herzlichsten Glück-wünsche übermittelt.

Dr. Richard Moderhack wurde am 14. Oktober 1907 inBerlin geboren. Nach dem Studium der Geschichte, Ger-manistik, Anglistik und Philosphie in Berlin wurde er beiWilly Hoppe und Robert Holtzmann 1932 mit der stadthis-torischen Arbeit „Die ältere Geschichte der Stadt Calau inder Niederlausitz“ zum Dr. phil. promoviert. Von 1932 bis1935 war er Lexikonredakteur für Geschichte beim Propy-läen-Verlag Berlin. In dieser Zeit legte er auch das 1. Staats-examen für das höhere Lehramt ab. Seine Ausbildung zumArchivar erhielt er von 1935 bis 1938 als Mitglied des Insti-tuts für Archivwissenschaft beim Preußischen GeheimenStaatsarchiv in Berlin-Dahlem. Danach trat er in den Preu-ßischen Archivdienst ein. 1940 wurde er eingezogen. Nachdem Krieg und englischer Kriegsgefangenschaft wurde erzum 1. November 1945 am Stadtarchiv Braunschweig tätig,das er zusammen mit der wissenschaftlichen Stadtbiblio-thek und der Öffentlichen Bücherei bis zu seinem Eintrittin den Ruhestand leitete. Zu dem Archiv hält er bis heuteKontakt.

Dr. Richard Moderhack hat sich als Gründungsmitglieddes VdA große Verdienste erworben. Von 1946 bis 1948gehörte er dem Gründungsvorstand als Schriftführer an.Im Stadtarchiv Braunschweig unterhielt er eine Auskunfts-und Vermittlungsstelle für die aus dem Krieg heimkehren-den Archivare.

Wissenschaftlich hat sich Dr. Moderhack in der Preußi-schen Archivverwaltung aktiv an der Erforschung derbrandenburgisch-preußischen Geschichte beteiligt. InBraunschweig hat er maßgeblich die Forschungen zurStadtgeschichte vorangetrieben. 1963 gründete er dieArbeitsgemeinschaft niedersächsischer Kommunalarchi-vare (ANKA). Über sein Wirken als Archivar und Histori-ker hinaus hat sich Dr. Richard Moderhack als Mäzen undStifter bleibende Verdienste um das alte Land Braun-schweig erworben.

Der VdA dankt seinem langjährigen Mitglied für seinWirken für den VdA in seiner Gründungszeit nach 1945und seine Treue zum Berufs- und Fachverband. Er wünschtihm zu seinem 100. Geburtstag alles Gute, vor allem wei-terhin eine stabile Gesundheit und Freude an der wissen-schaftlichen Archivarbeit.

Stuttgart, 4. Juni 2007Prof. Dr. Robert Kretzschmar Vorsitzender des VdA

Aktuelle Informationen zum Deutschen Archivtag

1. Die Ergebnisse der Anfang 2007 durchgeführten Mit-gliederbefragung hat der Vorsitzende in einem Schrei-ben vom 4. Juni 2007 an alle Mitglieder bekannt gege-ben. Das Schreiben wurde auf der Homepage des VdAveröffentlicht und gemeinsam mit der Einladung zum77. Deutschen Archivtag in Mannheim und zur diesjäh-rigen Mitgliederversammlung, die am 26. September2007 stattfindet, verschickt. Wie darin bereits mitgeteilt,wird der Vorsitzende in der Mitgliederversammlung imNamen des Vorstands beantragen, den DeutschenArchivtag nach 2009 im zweijährigen Turnus abzuhal-ten.

2. Der 78. Deutsche Archivtag findet vom 15. bis 18. Sep-tember 2008 in Erfurt statt und hat das Rahmenthema„Bestandserhaltung analoger und digitaler Unterlagen“(Arbeitstitel). Der „Call for Papers“ ist nachstehend ver-öffentlicht. Er findet sich auf der Homepage des VdAseit dem 4. Juni 2007.

3. Der 79. Deutsche Archivtag 2009 findet in Regensburgstatt.

4. Für den 80. Deutschen Archivtag ist als Veranstaltungs-ort Bremen vorgesehen.

5. Der Vorstand bittet um Vorschläge für die Tagungsorteder folgenden Archivtage. Nähere Informationen zu denräumlichen, finanziellen und organisatorischen Anfor-derungen erteilt gerne die Geschäftsstelle.

78. Deutscher Archivtag 2008 in ErfurtCall for Papers

Vom 15. bis 18. September 2008 findet in Erfurt der 78.Deutsche Archivtag statt. Der Vorstand des VdA hat sichfür das Rahmenthema

Bestandserhaltung analoger und digitaler Unterlagen(Arbeitstitel)

entschieden. Das Arbeitsfeld der Bestandserhaltung um-fasst heute alle Maßnahmen zum dauerhaften Erhalt ana-loger und digitaler Unterlagen. Welche Entwicklungenhaben sich vor diesem Hintergrund in Theorie und Praxisvollzogen? Gibt es integrative Konzepte, die sich im Alltagbereits bewähren? Wie wird die Aufgabe der Bestandser-haltung analoger und digitaler Unterlagen heute vonBibliotheken und Museen wahrgenommen? Welche Finan-zierungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung? WelcheAnforderungen sind an die Ausbildung zu stellen? WelcheErfahrungen konnten bei Notfällen gesammelt werden?Welche Strategien und Konzepte wurden für den dauer-haften Erhalt audiovisueller und elektronischer Unterlagenerarbeitet? Welche Praxiserfahrungen liegen dazu bereitsvor? Welche Funktion kommt dem Medium „Mikrofilm“

VdA - Verband deutscherArchivarinnen und Archivare e.V.

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Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3 285

in Erhaltungskonzepten zu? Wie sind breit angelegte Digi-talisierungsvorhaben (Digital Library, Google) unter demGesichtspunkt der Bestandserhaltung und der Langzeitar-chivierung zu beurteilen?

Diesen und anderen Fragen soll auf dem Archivtagnachgegangen werden. Neben einer gemeinsamen Arbeits-sitzung, Podiumsdiskussion und Workshops, die in Zu-sammenarbeit mit den Ausstellern auf der ARCHIVIS-TICA gestaltet werden sollen, sind vier Sektionssitzungenvorgesehen, die sich mit neuen Enwicklungen und Ergeb-nissen bei der präventiven und operativen Bestandserhal-tung, Erfahrungen bei der Notfallbewältigung, der Lang-zeitarchivierung digitaler Unterlagen und der Erhaltungvon AV-Material befassen werden.

Alle Kolleginnen und Kollegen sind eingeladen, sich mit Beiträgen an dem Archivtag zu beteiligen, ihre Erfah-rungen, Beobachtungen, Ansichten und Anregungen ein-zubringen. Für die Referate sind jeweils 20 Minuten vor-gesehen. Als Themen können zunächst auch nur Arbeits-titel vorgeschlagen werden, die dann in Abstimmung mitdem Programmausschuss noch modifiziert werden kön-nen. Die Vorschläge sollten neben dem Titel auch einekurze inhaltliche Erläuterung von maximal einer Schreib-maschinenseite umfassen. Bitte geben Sie auch Ihren voll-ständigen Namen und Ihre Wirkungsstätte an.

Der Programmausschuss des VdA wird aus den Vor-schlägen eine Auswahl unter dem Gesichtspunkt treffen,ein möglichst vielfältiges, aber doch thematisch stringen-tes Programm zuammenzustellen. Anders als bisher wirdder Programmausschuss die genaue Ausrichtung der Sek-tionen und die Zuweisung von Beiträgen zu einzelnen Sek-tionen erst nach Eingang der Angebote auf den Call forPapers vornehmen. Er möchte in dieser Hinsicht flexibelbleiben, um Anregungen aufgreifen zu können.

Wir bitten, die Vorschläge der Geschäftsstelle des VdAzu übermitteln ([email protected]). Abgabeschluss istder 1. Oktober 2007.

Die Beiträge sollen dann wie bisher in einem Tagungsbandpubliziert werden. Dazu erhalten die Referentinnen undReferenten später nähere Informationen.

Über eine breite Resonanz würden wir uns sehr freuen.

Stuttgart, 4. Juni 2007 Prof. Dr. Robert Kretzschmar Vorsitzender des VdA

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286 Der Archivar, Jg. 60, 2007, H. 3

Krauß, Martin, Nieß, Ulrich, Schlösser, Susanne, Bönnen,Gerold, Kreutz, Jörg, Hirsch, Hans-Joachim, Hartung, Martin,Memmer, Petra, Les archives dans la région Rhin-Neckar.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 204-213.Pour faire connaître à un public compétent les services locauxautour de la ville de Mannheim, qui faisaient partie des prépara-tifs du congrès, ceux-ci proposent une description de leurs tâcheset des activités actuelles. Les archives municipales de la ville deMannheim donnent une description historique de leurs serviceset avancent comme projets pionniers leur système d'information«Stadtpunkte» relatant l’histoire de l’ancienne ville depuis sa fon-dation en 1607 ainsi que l’exposition historique accompagnantl’actuel anniversaire de la ville. En plus se présentent les archivescommunales de Worms et les archives cantonales situées dans laville de Ladenburg. Avec les services archivistiques de l’«IDS»(institut de la langue Allemande), du «LTA» (musée technique deBaden-Württemberg) et de l’entreprise de Bilfinger Berger AG onvoit la présentation d’autres organismes administratifs modernes.

Walther, Simone, Zarwel, Torsten, Results and Limits of theOptimization of archival utilization in the Bundesarchiv inBerlin-Lichterfelde – Report of Experiences.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 214-220.The quality of the Bundesarchiv as a provider of services can bemeasured above anything else by the satisfaction of those who useits facilities. Achieving this on a consistent and satisfactory basisrequires initiative, engagement, and team spirit on the part of thearchivists and staff. The purpose of this essay is to describe thelong process by which this goal can be attained through measu-res designed to optimize the rhythms of archival utilization withthe active involvement of all participating archives. It analyses thesituation in the summer of 2004, describes conceptual deliberati-ons and the testing of various strategies for a solution. With thecompletion of the project in the spring and summer of 2006 theauthors have succeeded in establishing for existing circumstancesthe optimal use and working conditions that should be incorpo-rated as fully as possible into the design of new facilities or therenovation of those that already exist for storing and accessingarchival holdings.

Fritz, Thomas, Fricke, Thomas, Maier, Gerald, An integrativeIT-solution for archival processes from the appraisal of archivalmaterial to online-order – MIDOSA 21 at the LandesarchivBaden-Württemberg.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 221-228.The online-presentation of digitised finding-aids and digitisedarchival material is one of the greatest challenges for archives inthe information society, right next to the long-term preservation

of digital records produced by today’s public authorities. The ans-wer to these challenges by the Landesarchiv Baden-Württemberg(www.landesarchiv-bw.de) is „MIDOSA 21”, an IT-solution thatsupports all archival processes from the appraisal of archivalmaterial by the archivist to the improvement of access and usage.„MIDOSA 21” allows the online-presentation of finding-aids aswell as the presentation of digitised archival material within thesefinding-aids. Users of the Landesarchiv Baden-Württemberg canalso order archival material online to use it in one of the readingrooms of the six archives that are part of the Landesarchiv. In thefuture the system will ensure the long-term preservation of digi-tal archival objects and provide a comprehensive metadatamanagement for digitised archival material including a “digitalrepository” for born digitals.

Nelles, Brigitte, The German Bundestag’s Archives – Organi-sation and Tasks.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 229-234.The German Bundestag’s Archives were established in 1949 as adivision within the parliamentary administration’s Reference andResearch Services Directorate-General. Initially, their primaryactivities were collection and documentation. Collections of thestenographic records and printed papers of the plenary and par-liamentary organs and bodies were created. Legislative documen-tations illustrate the background to every federal law. A collecti-on of data about the Members of the Bundestag provides infor-mation about the parliamentarians’ biographical details andfunctions. Thirty-five years ago, the parliamentary administrati-on assigned responsibility for its old files to the ParliamentaryArchives, thus paving the way for a shift from a documentationand information office to “historical” archives. Audio and visualdocuments from sittings and special events, of parliamentaryemployees and photographs of the parliamentary buildings com-plete the archived holdings. The archives’ legal bases are the Fede-ral Archives Act and internal parliamentary regulations. Thepublications of the German Bundestag drafted by the Parliamen-tary Archives are the Official Handbook and the Public List on theRegistration of Associations.

Schreyer, Hermann, Report from the Archives Russia, 2003-2005.

Der Archivar, Jg. 60, 2007, S. 235-242.The main topics are: the economic situation of the Russian archi-ves, the archives legislation, the administrative reform of 2004 andthe repercussions it had concerning the organisation of archivesand the competence of state-owned archives, lists of references,and the publication of reference articles contributed to the histo-ry and the science of archives, results of international cooperation.