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20 Einsatz und Ausbildung ASMZ 07/2012 Georg Häsler Eine Vorhut aus einigen holländischen M109-Panzerhaubitzen hielt sich nach ihrer Ankunft am 12./13. Juni 1999 in einem nur aus der Luft erkundeten Stel- lungsraum vor der Stadt Prizren für einen möglichen Unterstützungsauftrag zuguns- ten der deutschen Panzerbrigade bereit, die dabei war, ins Machtvakuum im Süd- westen des Kosovo vorzustossen 1 . Gefähr- lichste gegnerische Möglichkeit war in diesem Moment ein Gefecht mit einem sich gemäss des militärisch-technischen Abkommens von Kumanovo zurück- ziehenden serbischen Verband: Kampf- erprobte, mechanisierte Einheiten, deren Offiziere und Soldaten sich als verratene Sieger sahen und trotz des NATO-Bom- bardements praktisch ohne Verluste Ko- sovo, die heilige Erde Serbiens, verlas- sen mussten. Eine angespannte Situation, die jederzeit in eine konventionelle, be- waffnete Auseinandersetzung hätte kip- pen können. Hauptauftrag der KFOR (Kosovo Force) war die Durchsetzung des Friedens und das Schaffen günstiger Voraussetzungen für eine internationale, zivile Übergangs- verwaltung gemäss UNO-Resolution 1244. Noch während der Luftkampagne der NATO hatten sich in den beiden Nach- barländern Mazedonien und Albanien starke NATO-Verbände formiert, die al- lenfalls auch im Rahmen einer Boden- operation hätten eingesetzt werden kön- nen. Das niederländische Artilleriebatail- lon unter dem Kommando von Oberst- leutnant Ton van Loon war einer deut- schen Panzerbrigade unterstellt, komman- diert von General Fritz von Korff. Be- reits in einer frühen Phase der Einsatz- planung wurde festgelegt, die holländi- schen Artilleristen auch für infanteristi- sche Aufträge vorzusehen. In der einsatz- orientierten Ausbildung wurden sie des- halb gezielt auf das Betreiben von Check- points und die Patrouillentätigkeit vor- bereitet. So waren van Loons Kanoniere in der Lage, gewissermassen aus dem Stellungs- raum heraus einen Stabilisierungsauftrag in einer exponierten Situation zu überneh- men: Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Panzerbrigade in der Re- gion Prizren überschlugen sich nämlich die Ereignisse und waren der ursprüng- lichen Planung auf der Zeitachse weit voraus. Fast gleichzeitig mit dem Ab- zug der serbischen Truppen rückten die Kämpfer der UCK (kosovoalbanische Be- freiungsarmee) in die Dörfer und vor al- lem Städte ein. Die Kommandanten der Rebellen besetzten die Rathäuser und be- gannen, gegen angebliche Kollaborateure und Kriegsverbrecher vorzugehen – ins- besondere gegen Serben und Roma. Aus- serdem strömte unmittelbar hinter den KFOR-Truppen die vertriebene Bevöl- kerung aus den Flüchtlingslagern jen- seits der Grenzen zurück in die zerstörte Heimat. Besonders prekär war die Situa- tion in der ethnisch gemischten Klein- stadt Orahovac etwas nördlich von Priz- ren 2 . Über Nacht mussten General von Korff und Oberstleutnant van Loon eine deutsch-holländische Task Force bilden, die aus dem Stand für die Sicherheit der nicht-albanischen Bevölkerung garantie- ren konnte. In ihrem Einsatzraum trafen Soldaten und Offiziere der Task Force Orahovac ein Bild des Grauens und der Zerstörung an. Die Stadt Orahovac mit ihrer jahr- hundertealten Tradition des Zusammen- lebens war bereits 1998, in der ersten Phase des Krieges, ins Zentrum der ge- walttätigen Auseinandersetzung um die Macht in Kosovo geraten. UCK-Kämp- fer aus den Bergen hatten die Stadt er- obert und verbreiteten Angst und Schre- cken unter der Bevölkerung. Bei der Rückeroberung wurden die serbisch- jugoslawischen Polizei- und Armeekräfte von mechanisierten Verbänden gnaden- los vorgehender Freiwilliger unterstützt. Rings um die Stadt zeugten Massen- gräber und versehrte Ortschaften vom Wüten der serbischen Gewalt gegen die albanische Zivilbevölkerung. Noch Wo- chen nach dem Krieg lag ein Geruch von Verwesung und schwelender Brände in der Luft. Akut bedroht war jetzt aller- dings die serbische Bevölkerung, die seit jeher im oberen Teil von Orahovac ge- lebt hatte: eingesessene Familien, ver- wurzelt im Weingeschäft der Gegend. In den serbischen Teil geflüchtet waren auch die Roma aus der Umgebung. Sie wur- den von den Albanern kollektiv der Kol- laboration verdächtigt. Es entstand, wie es ein Vertreter des IKRK im Juli 1999 gegenüber dem Schreibenden formulier- te, ein ethnisches Ghetto, dessen Zugän- ge mit M113-Schützenpanzern des hol- ländischen Artilleriebataillons abgeriegelt waren. Auf dem Hauptplatz der Ortschaft stand eine M109-Panzerhaubitze als kla- re Botschaft an die UCK-Kommandan- ten, die das Rathaus besetzten und die Gewalt gegen Nicht-Albaner mindestens Artillerie zur Friedenssicherung Ein holländisches Artilleriebataillon war zwischen 1999 und 2000 im Einsatz im Kosovo. Er verfüge über die grösste Waffe im Kosovo, hiess es unter Einheimischen und KFOR-Soldaten über den Kommandanten des holländischen Artilleriebataillons, das zur Friedenssicherung in der ethnisch gemischten Stadt Orahovac/Rahovec eingesetzt war. Schwere Waffen können auch in fragilem Umfeld durchaus von Vorteil sein. Show of Force: Panzerhaubitze M-109 im Zentrum von Orahovac. Bild: G. Häsler

Artillerie zur F riedenssicherung

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Page 1: Artillerie zur F riedenssicherung

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Einsatz und Ausbildung

ASMZ 07/2012

Georg Häsler

Eine Vorhut aus einigen holländischenM109-Panzerhaubitzen hielt sich nachihrer Ankunft am 12./13. Juni 1999 ineinem nur aus der Luft erkundeten Stel-lungsraum vor der Stadt Prizren für einenmöglichen Unterstützungsauftrag zuguns -ten der deutschen Panzerbrigade bereit,die dabei war, ins Machtvakuum im Süd-westen des Kosovo vorzustossen1. Gefähr-lichste gegnerische Möglichkeit war indiesem Moment ein Gefecht mit einemsich gemäss des militärisch-technischenAbkommens von Kumanovo zurück -ziehenden serbischen Verband: Kampf-erprobte, mechanisierte Einheiten, derenOffiziere und Soldaten sich als verrateneSieger sahen und trotz des NATO-Bom-bardements praktisch ohne Verluste Ko-sovo, die heilige Erde Serbiens, verlas-sen mussten. Eine angespannte Situation,die jederzeit in eine konventionelle, be -waffnete Auseinandersetzung hätte kip-pen können.

Hauptauftrag der KFOR (Kosovo Force)war die Durchsetzung des Friedens unddas Schaffen günstiger Voraussetzungenfür eine internationale, zivile Übergangs-verwaltung gemäss UNO-Resolution 1244.Noch während der Luftkampagne derNATO hatten sich in den beiden Nach-barländern Mazedonien und Albanienstarke NATO-Verbände formiert, die al-lenfalls auch im Rahmen einer Boden-operation hätten eingesetzt werden kön-nen. Das niederländische Artilleriebatail -lon unter dem Kommando von Oberst-leutnant Ton van Loon war einer deut-schen Panzerbrigade unterstellt, komman-diert von General Fritz von Korff. Be-reits in einer frühen Phase der Einsatz-planung wurde festgelegt, die holländi-schen Artilleristen auch für infanteristi-sche Aufträge vorzusehen. In der einsatz-orientierten Ausbildung wurden sie des-

halb gezielt auf das Betreiben von Check-points und die Patrouillentätigkeit vor-bereitet.

So waren van Loons Kanoniere in derLage, gewissermassen aus dem Stellungs-raum heraus einen Stabilisierungsauftragin einer exponierten Situation zu überneh-men: Unmittelbar nach dem Einmarschder deutschen Panzerbrigade in der Re -gion Prizren überschlugen sich nämlich

die Ereignisse und waren der ursprüng - lichen Planung auf der Zeitachse weitvoraus. Fast gleichzeitig mit dem Ab-zug der serbischen Truppen rückten dieKämp fer der UCK (kosovoalbanische Be -freiungsarmee) in die Dörfer und vor al-lem Städte ein. Die Kommandanten derRebellen besetzten die Rathäuser und be -gannen, gegen angebliche Kollaborateureund Kriegsverbrecher vorzugehen – ins-besondere gegen Serben und Roma. Aus-serdem strömte unmittelbar hinter denKFOR-Truppen die vertriebe ne Bevöl-ke rung aus den Flüchtlingslagern jen-seits der Grenzen zurück in die zer stör teHeimat. Besonders prekär war die Si tua -tion in der ethnisch gemischten Klein-stadt Ora hovac etwas nördlich von Priz-ren2. Über Nacht mussten General von

Korff und Oberstleutnant van Loon einedeutsch-holländische Task Force bilden,die aus dem Stand für die Sicherheit dernicht-albanischen Bevölkerung garantie-ren konnte.

In ihrem Einsatzraum trafen Soldatenund Offiziere der Task Force Orahovacein Bild des Grauens und der Zerstörungan. Die Stadt Orahovac mit ihrer jahr-hundertealten Tradition des Zusammen-lebens war bereits 1998, in der erstenPhase des Krieges, ins Zentrum der ge-walttätigen Auseinandersetzung um dieMacht in Kosovo geraten. UCK-Kämp-fer aus den Bergen hatten die Stadt er-obert und verbreiteten Angst und Schre-cken unter der Bevölkerung. Bei derRückeroberung wurden die serbisch- jugoslawischen Polizei- und Armeekräftevon mechanisierten Verbänden gnaden-los vorgehender Freiwilliger unterstützt.Rings um die Stadt zeugten Massen -gräber und versehrte Ortschaften vomWüten der serbischen Gewalt gegen die albanische Zivilbevölkerung. Noch Wo-chen nach dem Krieg lag ein Geruch vonVerwesung und schwelender Brände inder Luft. Akut bedroht war jetzt aller-dings die serbische Bevölkerung, die seitjeher im oberen Teil von Orahovac ge-lebt hatte: eingesessene Familien, ver-wurzelt im Weingeschäft der Gegend. Inden serbischen Teil geflüchtet waren auchdie Roma aus der Umgebung. Sie wur-den von den Albanern kollektiv der Kol-laboration verdächtigt. Es entstand, wiees ein Vertreter des IKRK im Juli 1999gegenüber dem Schreibenden formulier-te, ein ethnisches Ghetto, dessen Zugän-ge mit M113-Schützenpanzern des hol-ländischen Artilleriebataillons abgeriegeltwaren. Auf dem Hauptplatz der Ortschaftstand eine M109-Panzerhaubitze als kla-re Botschaft an die UCK-Kommandan-ten, die das Rathaus besetzten und dieGewalt gegen Nicht-Albaner mindestens

Artillerie zur FriedenssicherungEin holländisches Artilleriebataillon war zwischen 1999 und2000 im Einsatz im Kosovo. Er verfüge über die grösste Waffe im Kosovo, hiess es unter Einheimischen und KFOR-Soldaten überden Kommandanten des holländischen Artilleriebataillons,das zur Friedenssicherung in der ethnisch gemischten Stadt Orahovac/Rahovec eingesetzt war. Schwere Waffen können auchin fragilem Umfeld durchaus von Vorteil sein.

Show of Force: Panzerhaubitze M-109im Zentrum von Orahovac. Bild: G. Häsler

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Einsatz und Ausbildung

leristen erlaubte, die Konfliktparteien zutrennen und als Friedenssoldaten auf denStrassen der Stadt allmählich für ein Kli-ma der Sicherheit zu sorgen. ■

MajorGeorg HäslerStab Inf Br 5Fernsehjournalist3006 Bern

duldeten: KFOR hat nicht nur Gewehre,sondern auch einen langen Arm mit har-ter Faust.

Die Situation machte das Show ofForce mit den M109 bitter nötig: Je-den Tag wurden Serben verschleppt, oft Leute, die mit dem Krieg nichts zu tun hatten. Die meisten von ihnen sind bisheute spurlos verschwunden. Hartnäcki-ge Gerüchte sagten schon damals, sie sei-en Opfer des illegalen Organhandels vonTeilen der UCK geworden. Dazu ent-stand rund um das serbische Viertel einNiemandsland aus verbrannten Häusernund Geschäften. Nacht für Nacht ma -rodierten Banden, mutmasslich Ange hö -rige der UCK, und brandschatzten dieBesitztümer der ansässigen Serben undRoma. Besonders exponierte Häuser wur-den gezielt beschossen. Es herrschte weitüber die ersten Nachkriegstage hinausunter der nicht-albanischen Bevölkerungein Klima der Angst, das schliesslich eineFluchtbewegung auslöste. Van Loon hat-te strikte Neutralität zu bewahren. Sosetzte er trotz der bedrohlichen Situationeine Entwaffnung der serbischen Zivilis-

ten durch – und erzwang schliesslich denRückzug der UCK-Kommandanten ausdem Rathaus.

Nach der holländisch-deutsch-türki-schen Task Force Orahovac übernahmdas österreichische Bundesheer die Ver-antwortung für die Sicherheit der Stadt –bald mit Beteiligung von Soldaten derSWISSCOY. Mit Ausnahme der März-Unruhen 2004 beruhigte sich das Lebenauch der nicht-albanischen Bevölkerungvon Orahovac. Heute leben noch rund400–600 Serben und Roma in Oraho-vac, vor dem Krieg waren es 1500. Viel-leicht haben nicht zuletzt van Loons Ar-tilleristen den Grundstein dafür gelegt,dass in Orahovac ein Stück uralte Bal-kan-Kultur überleben konnte: Das Ne-beneinander von Menschen unterschied -licher Ethnien, die sich in Orahovac seitjeher in einer Mischsprache aus Tür-kisch, Serbisch und Albanisch unterhal-ten. Das zarte Pflänzchen der Rahoveci-Sprache, bewahrt durch den Nachdruckeines grosskalibrigen Waffensystems undeiner frühzeitigen, einsatzorientierten Aus-bildung, die es den holländischen Artil-

1 «Prizren would be the centre of operations forthe southern zone assigned to Multinational Bri-gade South. The Dutch had planned to establishtheir main fire-base on a small airfield north ofPrizren near the town of Suva Reka in order tocover the German deployment while the Serbforces retreated.» Zaalberg, Thijs, Soldiers andCivil Power, Supporting or Substituting CivilAuthorities in Peace Operations During the1990s, The Hague, 2006, p 329

2 «The municipality of Orahovac was like a scalemodel of Kosovo and can be seen as a microcosmof the conflict as a whole.» Ebenda, p. 333

«ICH BIN FAN VOM ROTEN KREUZ. DANK IHM BEKOMME ICH REGELMÄSSIG BESUCH.»Vreni Mumenthaler (73), Oftringen, Seniorin mit Rollator

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