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Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf Arzt und Alkohol Forensische Alkohologie (1) Wolfgang Huckenbeck 2082-03-200-RE-I Scriptenreihe „Arzt und...“ zur Hauptvorlesung Rechtsmedizin, Heft 2

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Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf

Arzt und Alkohol Forensische Alkohologie (1) Wolfgang Huckenbeck 2082-03-200-RE-I Scriptenreihe „Arzt und...“ zur Hauptvorlesung Rechtsmedizin, Heft 2

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Autor: Priv. Doz. Dr. Wolfgang Huckenbeck Institut für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5 40225 Düsseldorf 1. Auflage 1999 Druck: Druckerei des Universitätsklinikums der Heinrich-Heine-Universität Inhalt

Einleitung 3 Ethanol 4 Chemische Eigenschaften 5 Alkoholische Gärung 6 Destillation 7 Alkoholische Getränke 8 Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch 11 Ethanol in anderen Flüssigkeiten 12 Ethanol im Straßenverkehr 13 Präventivmaßnahmen 14 Roadside surveys 18 Alkoholbedingte Verkehrsunfälle 18 Dunkelfeld 20 Ethanol im rechtsmedizinischen Obduktionsgut 20 Rechtliche Bestimmungen 22 Ethanol und Schuldfähigkeit 27 Ethanol in der Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit 30 Pharmakokinetik des Ethanols 31 Der Verteilungsfaktor „r“ 34 Abbau des Ethanols 34 Eliminationskinetik des Ethanols 37 Detoxikatiopn 38 Ausscheidung 38 Endogener Alkohol 40 Der Verlauf der Blutalkoholkurve 41 Berechnungen mit der Widmark-Formel 42 Zeitlicher Abfall der Blutalkoholkonzentration 43 Abweichungen von der idealen Blutkurve 44

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Vorwort Die forensische Alkohologie kann im Rahmen der Hauptvorlesung Rechtsmedizin nur kurz gestreift werden, obwohl sie ein wichtiges und weitreichendes Teilgebiet der Rechtsmedizin darstellt. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Alkoholrück-rechnung im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Auch die Erkennung von Alkoholismus anhand von biochemischen Markern, die Beurteilung von einge-schränkter und aufgehobener Steuerungsfähigkeit, die technischen Möglichkeiten der Analytik mit allen ihren Fehlermöglichkeiten gehören dazu. Die Alkoholintoxika-tion als Todesursache spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle im Rahmen der forensischen Pathologie. Die Begleitstoffanalyse als naturwissenschaftliches Hilfs-mittel bei der Beurteilung sogenannter Nachtrunkbehauptungen trägt ebenso zur Rechtssicherheit bei wie die Kenntnis von Wechselwirkungen des Ethanols mit Medikamenten und Drogen. Ohne die rechtsmedizinische Forschung auf diesem Gebiet wären wichtige ver-kehrsmedizinische Erkenntniss gar nicht möglich gewesen. Dies unterstreicht auch in diesem Teilgebiet die zunehmende Bedeutung der Rechtsmedizin für die allge-meine und spezielle Präventivmedizin. Als neues Forschungsobjekt stellt sich in der Bundesrepublik Deutschland die sogenannte "beweissichere" Atemalkoholanalyse dar, die seitens der Bundesregierung im Jahr 1999 eingeführt und - bisher nur - im Bereich der Ordnungswidrigkeiten der Blutalkoholanalyse als gleichwertig gegen-übergestellt wird. Es ist unmöglich im Rahmen eines Skripts alle Facetten der Alkohologie zu be-leuchten. Es wurde aber versucht, für Medizin- und Jurastudenten, die die Vorle-sung im hiesigen Institut hören, eine Auswahl der wichtigsten Punkte zu treffen und diese zumindest kurz anzureissen. Dabei sollte der Alkohol als "Kulturgut" oder "legale" Droge auch nicht zu kurz kommen. Insbesondere für die Medizinstuden-ten/innen wurde auch auf die betreffenden Paragraphen im Strafrecht und im Stra-ßenverkehrsgesetz, aber auch im Zivilrecht eingegangen, da diese im Rahmen des Medizinstudiums meist "Niemandsland" bleiben. Rechtliche Komponenten sind hier aber auch für den angehenden Mediziner wichtig, man denke etwa an den rechtli-chen Hintergrund der Blutentnahme für die Polizei, die später oft zur beruflichen Praxis gehört. Insbesondere die Medizinstudenten mögen verzeihen, dass - nicht zuletzt der bes-seren Lesbarkeit wegen - auf eine genaue Zuordnung zum Gegenstandskatalog verzichtet wurde. Ebenso mussten die Literaturangaben entfallen, hier wird auf das im Druck befindliche Handbuch Rechtsmedizin verwiesen. Wolfgang Huckenbeck, im März 1999

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Einleitung Die Herkunft der Bezeichnung Alkohol ist etwas merkwürdig; sie stammt aus dem arabischen al-kuhul und hiermit wurde ein aus Antimon bereitetes Pulver zum Schwarzfärben der Augenlider bezeichnet. Die mittelalterlichen Alchimisten benutz-ten das Wort zunächst für feine Pulver, später für gereinigte Stoffe, die durch die Destillation erhalten wurden. Es lässt sich leider nicht vermeiden, zu Beginn des Scriptes einige chemische Grundlagen kurz zu repetitieren. Alkohole sind eine wichtige Verbindungsklasse der organischen Chemie, bestehend aus sämtlichen aliphatischen (acyclischen) und alicyclischen Kohlenstoffverbindungen, die als charakteristische und funktionelle Gruppe die Hydroxylgruppe –OH tragen. Den Alkoholen nicht zuzurechnen sind wegen ihres andersartigen chemischen Verhaltens das Phenol und dessen Deriva-te, bei denen die Hydroxylgruppe direkt an ein aromatisches Ringsystem gebunden ist. Aromatische Verbindungen, die die OH-Gruppe in aliphatischen Seitenketten tragen und somit als substituierte acyclische Kohlenwasserstoffderivate zu betrach-ten sind, reagieren dagegen ebenfalls wie Alkohole und werden zu diesen gerech-net. Je nach Anzahl der im Molekül vorhandenen OH-Gruppen unterscheidet man ein-, zwei-, drei- und mehrwertige Alkohole (Poly-Alkohole oder Polyole). Die Benennung der Alkohole kann nach zwei Prinzipien erfolgen. Entweder man setzt vor die Be-zeichnung Alkohol den Namen des im Molekül vorhandenen Kohlenwasserstoffres-tes, z.B. Propylalkohol, oder man fügt den zugrundeliegenden Kohlenwasserstoffen das Suffix –ol an, z.B. Propanol, wobei die Stellung der OH-Gruppe durch die (ara-bische) Nummer des betreffenden Kohlenstoffatoms angegeben wird, z.B. Propa-nol-2 oder 2-Propanol; letzteres ist die modernere Bezeichnungsweise, die auch in diesem Kapitel gewählt wird. Die einfachsten Vertreter der einwertigen Alkohole sind Methanol (Methylalkohol) und der u.a. für Genußmittel verwendete Ethanol (Ethylalkohol). Ein zweiwertiger Alkohol ist beispielsweise Glykol, aus dem österrei-chischen "Weinpanscher"-Skandal sicherlich dem einen oder anderen noch in Erin-nerung. Der bekannteste dreiwertige Alkohol ist das Glycerin. Neben der Einteilung in aliphatische und ringförmige Alkohole, die beide in gesättig-ter oder ungesättigter Form sowie mit beliebigen Substituenten (R) an den Kohlen-stoffketten bzw. –ringen vorkommen können, kann man die Alkohole gemäß ihrer Struktur in primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole einteilen. Bei den primären Alkoholen trägt das mit der OH-Gruppe verbundene C-Atom noch zwei H-Atome und einen Rest (R) . Bei den sekundären Alkoholen ist neben zwei Kohlenwasser-stoffresten nur noch ein H-Atom am entsprechenden C-Atom vorhanden, während bei den tertiären Alkoholen alle drei in Fage kommenden Valenzen des OH-tragenden C-Atoms durch Kohlenwasserstoff- oder sonstige Reste abgesättigt sind. Der einfachste Vertreter dieser Gruppe ist das tertiäre Butanol, welches als innerer Standard bei der gaschromatographischen Blutalkoholbestimmung Verwendung findet.

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Für forensische Fragestellungen am bedeutsamsten ist der Ethylalkohol. Methanol spielt insbesondere im Rahmen von Intoxikationen eine Rolle, dient aber auch als biochemischer Marker des chronischen Alkoholismus. Die höheren aliphatischen Alkohole, soweit sie den Fuselalkoholen zuzurechnen sind, können insbesondere für die Beurteilung von Nachtrunkbehauptungen herangezogen werden; auch als Fäulnisalkohole sind sie von Bedeutung.

Ethanol

Ethanol (Ethylalkohol, früher auch Äthanol oder Äthylalkohol, Weingeist, umgangs-sprachlich Alkohol, Trinkalkohol) weist in der Tat eine bemerkenswerte Reihe von Eigenschaften auf, die sich nur selten in einer Substanz vereint finden. Die Giftwir-kung wurde bereits im Altertum erkannt. Platon, Cicero und Cato, aber auch die

christlichen Apostel warnten bereits vor dem übermäßigen Genuss berauschender Getränke. Mit zumindest regional großem Erfolg verbot der Islam die Aufnahme von Alkohol, ein Erfolg, der mit zunehmender Verschmelzung der Kulturen aber an Gewicht zu verlieren scheint. Anfang des 19. Jahrhunderts kam es, übertra-gen aus den USA und England, auch in Deutschland zur Gründung sogenannter Mäßi-gungsvereine. Mitte des 19. Jahrhunderts wur-den dann alkoholfeindliche Verbände gegründet.

Zu nennen sind hier das „Blaue Kreuz“, der „Kreuzbund“ und der „Guttempleror-den“. Es kam zur Entstehung erster Trinkerheilstätten. Als Psychiater jener Zeit um die Jahrhundertwende 1800/1900, die sich eingehend mit dem Alkohol und seinen negativen Auswirkungen befassten, sind insbesondere Kraepelin, Forel und Bleuler zu nennen. Die Mediziner standen dem Ethanol ambivalent gegenüber. Den vermuteten Heil-wirkungen standen die negativen Folgen des Überkonsums gegenüber, die schon frühzeitig beobachtet wurden. Bereits 1780 beschrieb der schottische Arzt Trotter die Begierde nach häufiger Trunkenheit als eine durch die Chemie des Alkohols verursachte Krankheit. Ethanol hat für die rechtsmedizinische Praxis von allen Alkoholen die größte Be-deutung. Die schriftliche und mündliche sog. Alkoholbegutachtung nimmt in der Alltagsarbeit von Rechtsmedizinern einen erheblichen Raum ein. Im Vordergrund stehen hierbei die Beurteilung des Einflusses von Ethanol auf die Verkehrstüchtig-keit und auf die Schuldfähigkeit. Im Rahmen gerichtlicher Obduktionen ist ferner zu überprüfen, ob eine nachgewiesene Alkoholisierung als Todesursache oder –mitursache in Betracht kommt. Schließlich spielt Alkohol bei versicherungsrechtli-chen Fragestellungen eine Rolle, wobei häufig die Bedeutung des Alkohols als Unfallursache zur Diskussion steht.

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Chemische Eigenschaften des Ethylalkohols Ethanol, C2H5OH, ist die wichtigste chemische Verbindung aus der Gruppe der Alkohole. Ethanol ist eine farblose, angenehm riechende, brennend schmeckende Flüssigkeit. Die Dichte beträgt bei 15oC 0,78894 g/cm3, der Schmelzpunkt liegt bei -114,4oC, der Siedepunkt bei 78,3oC. Ethanol ist leicht entzündlich und verbrennt mit bläulicher Flamme unter Energieabgabe zu Kohlendioxid und Wasser. Ethanol ist in Wasser und vielen organischen Lösungsmitteln gut löslich. Beim Lösen in Wasser tritt unter Erwärmen eine Volumenkontraktion ein. Sie ist am stärksten bei einer Mischung von 52 Raumteilen Ethanol mit 48 Raumteilen Wasser; statt 100 entstehen hierbei nur 96,3 Raumteile Ethanol-Wasser-Gemisch.

Letzteres kompliziert die Umrechnung von Vol.% in Gew.%. Der Ethanolgehalt alkoholischer Getränke wird vom Hersteller in der Regel in Vol.% angegeben (= Liter reiner Alkohol in 100 Liter Getränk bei 15oC). Bei der Alkoholbegutachtung geht es aber in der Regel um die Frage, wieviel Gramm Ethanol konsumiert wurden. Die-ses macht eine Umrechnung von Vol.% in Gew.% erfor-derlich. Näherungsweise erhält man Gew.%, wenn die Angabe in Vol.% mit 0,8 multipliziert wird. Gerechnet wird dann in der Einheit Gramm pro Milliliter (10 Vol.% ent-sprechen dann 8 Gramm pro 100 Milliliter). Man gewinnt Ethanol gewöhnlich durch die alkoholische Gärung aus kohlehydrathaltigen Rohstoffen wie Getreide

oder Obst. Für technische Zwecke kann Ethanol nach verschiedenen Verfahren auch synthetisch hergestellt werden. Ethanol hat für die großtechnische Gewinnung einer unübersehbaren Zahl von organischen Verbindungen eine außerordentliche Bedeutung. In der Chemie findet Ethanol Verwendung als Lösungsmittel für alle möglichen organischen und zu einem geringen Teil auch anorganischen Verbin-dungen. Am bekanntesten ist jedoch seine Verwendung als berauschender Be-standteil der alkoholischen Getränke. Alkoholische Gärung Die alkoholische Gärung ist ein überaus komplizierter Prozeß, der erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts intensiv untersucht wurde. Ihre Erforschung hat die Entwicklung der modernen Biochemie entscheidend gefördert. Die Gärung wird durch die Reaktionskette der Glykolyse eingeleitet. Diese läßt sich, stark verein-facht, in vier Reaktionsschritte einteilen: Schritt 1: Umwandlung der Hexose in 2 Mol Triosephosphat; sie erfordert ATP zur Phosphorylierung. Glucose wird durch die Hexokinase zunächst in Glucose-6-phosphat und dann durch die Phosphohexoseisomerase in Fructose-6-phosphat umgebaut; durch die Phosphofructokinase entsteht Fructose-1,6-biphosphat, wel-ches durch die Aldolase in Glycerinaldehyd-3-phosphat und Dihydroxy-aceton-phosphat aufgespalten wird. Auch das Dihydroxy-aceton-phosphat wird letztlich durch die Phosphotrioseisomerase in Glycerinaldehyd-3-phosphat umgelagert. Schritt 2: Dehydrierung des Triosephosphats mit NAD+ zu Phosphoglycerinsäure; die dabei freiwerdende Energie wird zur Synthese von ATP genutzt. Hierbei wird

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Glycerinaldehyd-3-phosphat über Glycerinsäure-1,3-biphosphat in Glycerinsäure-3-phosphat umgewandelt. Schritt 3: Umwandlung der Phosphoglycerinsäure zu Brenztraubensäure, wobei das Phosphat auf ATP rückübertragen wird. Im wesentlichen wird hierbei Glycerin-säure-3-phosphat durch die Phosphoglycerat-Phosphomutase zu Glycerinsäure-2-phosphat umgelagert, von welcher durch die Enolase Wasser abgespalten wird; es entsteht das Phosphoenolpyruvat und nach Übertragung der energiereichen Phos-phorsäure auf ADP Pyruvat, wobei das in Schritt 1 verbrauchte ATP zurückgewon-nen wird. Schritt 4: Umwandlung der Brenztraubensäure in Ethylalkohol, wobei NAD+ durch einen Hydrierungsschritt regeneriert wird. Hierbei wird Pyruvat von der Pyruvatde-carboxylase zu Acetaldehyd decarboxyliert. Acetaldehyd dient dann als H-Akzeptor und wird zu Ethanol, wobei die Alkoholdehydrogenase das wasserstoffübertragen-de Enzym ist. Unter der Einwirkung der in den Hefen enthaltenen Enzyme entstehen also letztlich aus D-Glucose (Traubenzucker) oder anderen Hexosen über mehr als 12 stabile Zwischenprodukte Ethanol und Kohlendioxid. Gärungsalkohol wird aus zuckerhaltigen Obstsäften (Wein, Obstweine), aus Kartof-fel- und Getreidestärke hergestellt. Die Zuckerkonzentration in der Ausgangslösung sollte 15% nicht übersteigen, die Gärungstemperatur liegt meist zwischen 25 und 30oC. Die alkoholische Gärung stoppt spontan, wenn eine Endkonzentration von etwa 14 Vol.%, bei Spezialhefen auch bis zu 18 Vol.% erreicht ist. Bei der von He-fen bewirkten alkoholischen Gärung entstehen stets auch Glycerin (etwa 3%) und geringe Mengen an Fuselalkoholen. Destillation Bei der Herstellung von Edelbranntweinen bedient man sich bis heute der traditio-nellen Kupferkessel (sog. Brennblasen). Alkoholhaltige vergorene Flüssigkeiten (z.B. Brennwein) werden in der Brennblase erhitzt. Mit steigender Temperatur ver-dampfen zunächst die hochgradig flüchtigen Stoffe (u.a. Acetaldehyd, Methanol, kurzkettige Ester). Sie werden abgefangen (Vorlauf). Bei weiter steigender Tempe-ratur verdampft Ethanol und wird durch einfache Einrichtungen kondensiert (Haupt-lauf). Schließlich verdampfen auch die Stoffe mit höherem Siedepunkt (Nachlauf). Die Kunst der Herstellung hochwertiger Edelbranntweine besteht in einer möglichst sorgfältigen Phasentrennung. Da dieses bis heute durch Geschmackstests festge-stellt wird, spielt die Erfahrung des Brennmeisters eine entscheidende Rolle. Bei der traditionellen Cognac-Herstellung wird im ersten Destillationsschritt im Haupt-lauf meist nur eine Alkoholanreicherung auf etwa 25 Vol% erzielt. Immer sind in geringen Mengen auch Bestandteile des Vor- und Nachlaufs enthalten. Bei der Redestillation werden sie jedoch weiter verdünnt; gleichzeitig steigt der Ethanolge-halt auf etwa 60 Vol%. Dieses Rohprodukt wird dann mit Brunnenwasser auf die gewünschte Trinkstärke herabgesetzt. Im Prinzip können durch wiederholte Redestillation des Hauptlaufs auch höhere Ethanolkonzentrationen erreicht werden, wobei gleichzeitig die Restbestandteile des Vor- und Nachlaufs fast vollständig eliminiert werden. Dieses wird meist auch bei der industriellen Produktion von klaren Schnäpsen (etwa Kornbranntweine, Wodka) getan. Man bedient sich dabei des Verfahrens der Rektifikation mit kontinu-

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ierlich arbeitenden Kolonnenapparaten. Die dabei entstehenden Spirituosen sind allerdings weitgehend geschmacksneutral. Für den spezifischen Geschmack der Edelbranntweine kommt dieses Verfahren daher nicht in Frage. Der Verbleib mäßig hoher Konzentrationen insbesondere von Fuselalkoholen ist hierfür unerläßlich. Alkoholische Getränke Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen vergorenen und destillierten alkoholi-schen Getränken. Zu den vergorenen gehören vor allem Bier und Wein und einige verwandte Getränke. Die destillierten alkoholischen Getränke mit einem höheren Ethanolgehalt werden auch als Spirituosen bezeichnet. Soweit nachfolgend die Ethanolgehalte vermerkt sind, wird auf die Untersuchungsergebnisse der Arbeits-gruppe um Bonte verwiesen. Untergäriges Bier wird im deutschsprachigen Raum meist noch entsprechend dem Reinheitsgebot von 1516 aus Gerste, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt. Von Bedeutung sind vor allem Lager-, Export- und Pilsbiere. Ihr Ethanolgehalt liegt meist zwischen etwa 4 und 6 Vol%. Untergärige Starkbiere sind hauptsächlich Bockbiere und entsprechende Biersorten, die in Süddeutschland meist mit den Silben „-ator“ enden (Ethanolgehalt etwa 6 bis über 9 Vol%). Bei obergärigem Bier (Altbier, Kölsch) finden auch andere Getreidearten Verwendung (jedoch nicht Reis, Mais oder Dari); auch die Zugabe von Zucker oder Zuckercouleur ist erlaubt. Der Ethanolgehalt liegt meist zwischen etwa 4,4 und 5,3 Vol%. Zu den obergärigen

Bieren gehören auch das Berliner Weißbier (etwa 3 – 3,8 Vol%) und das Bayerische Wei-zenbier (etwa 4,8 – 5,8 Vol%), die beide aus Gersten- und Weizenmalz hergestellt werden. Ausländische Biere, die nicht nach dem Rein-heitsgebot produziert werden, sind oft pasteuri-siert. Zur Entfernung von Eiweißstoffen werden ferner mechanisch wirkende Fällungs- oder Adsorptionsmittel eingesetzt, wie Tannin und Bentoniterden. Manchmal werden auch proteo-lytische Enzympräparate zugesetzt, die hoch-molekulare Eiweißstoffe zu löslichen Spaltpro-dukten abbauen. Das Bier wird hierdurch auch bei längerem Transport und in der Kälte trü-

bungsfest gemacht. Geschmacklich am ehesten vergleichbar mit deutschen Bieren sind untergärige Produkte aus Dänemark, den Niederlanden und Frankreich (be-sonders dem Elsaß). Britische und irische Biere sind meist obergärig; am stärksten eingebraut ist das Stout (Alkoholgehalt über 6,5 Vol%); zu den leichteren Bieren gehören das Porter und das Pale Ale. Ein besonders breitgefächertes Spektrum von Biertypen ist in Belgien erhältlich. Wein wird aus den Trauben der Weinrebe hergestellt. Die heutigen Kulturformen der klassischen Weinrebe Vitis vinifera sind fast unüberschaubar vielgestaltig. Eine grobe Einteilung kann nach der Traubenfarbe vorgenommen werden. Aus hellen Traubensorten werden Weißweine hergestellt (Alkoholgehalt etwa 10,5 – 11,8 Vol%), aus roten oder blauen Rotweine (Alkoholgehalt bis etwa 13 Vol%) und aus deren hellgekeltertem Most, Roséweine (Alkoholgehalt wie bei Weißweinen). Die

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Vergärung wird vielerorts noch einer spontanen Kontamination mit ubiquitären He-fen überlassen oder der zuvor pasteurisierte Most wird mit flüssigen Reinkulturen versetzt. Es gibt eine Vielzahl zugelassener kellereitechnischer Zusätze. Schaumwein enthält Kohlensäure, die durch Gärung im Wein entstanden ist. Er darf als Qualitätsschaumwein oder Sekt bezeichnet werden, wenn der Alkoholge-halt mindestens 10 Vol% beträgt, der Kohlensäuredruck bei mindestens 3,5 atü liegt und die Lagerungszeit wenigstens 9 Monate betrug. Champagner ist ein Quali-tätsschaumwein aus einem besonderen Anbaugebiet, dessen Herkunftsbezeich-nung geschützt ist. Es gibt auch noch Perlwein (Tafelwein mit geringem Kohlensäu-regehalt), Schaumwein mit zugesetzter Kohlensäure und Perlwein mit zugesetzter Kohlensäure. Zur Gruppe der Weine gehören noch die Likörweine, die durch Beimischung von Weindestillat oder Weinbrand einen höheren Alkoholgehalt erhalten (etwa 15 bis 22 Vol%), nämlich Sherry, Portwein, Malaga, Tarragona, Madeira, Samos und Muscat. Schließlich sind noch weinhaltige Getränke (vor allem Wermutweine; Alkoholge-halt etwa 15 – 20 Vol%) und weinähnliche Getränke zu erwähnen. Zu den letzte-ren gehören Getränke, die aus Obstpreßsäften hergestellt werden (z.B. Apfelwein), wobei man sich der aus der Weinproduktion bekannten Verfahren bedient (Alkohol-gehalt meist zwischen 8 und 11 Vol%). Meist werden Reinzuchthefen verwendet. Zu den weinähnlichen Getränken gehören auch die überseeischen Palm- und Aga-venweine und der japanische und chinesische Reiswein. Die destillierten Getränke werden unter dem Begriff Spirituosen zusammengefaßt. Man unterscheidet Branntweine, Liköre, Punschextrakte und alkoholhaltige Misch-getränke. Branntweine sind extraktfreie oder extraktarme Spirituosen mit oder ohne Geschmackszutaten. Ihr Alkoholgehalt muß mindestens 32 Vol% betragen. Branntweine aus Wein, Obst, Zuckerrohr und Getreide, die einen besonders wert-vollen Geschmack oder Geruch aufweisen (Brennblasenverfahren !) dürfen unter bestimmten Voraussetzungen als Edelbranntweine bezeichnet werden. Liköre sind Spirituosen mit Zusatz von Zucker und weiteren definierten Grundstoffen und Es-senzen. Punschextrakte (Arrak- oder Rumpunsch) sind dazu bestimmt, verdünnt getrunken zu werden. Als alkoholhaltige Mischgetränke bezeichnet man Mischun-gen aus Branntweinen, Likören, Weinen, Essenzen, Frucht- und Pflanzensäften. Von forensischer Bedeutung sind vornehmlich die Branntweine. Bei den auf dem Markt erhältlichen Branntweinen aus Wein handelt es sich praktisch ausschließ-lich um Qualitätsbranntweine. Hierzu gehören vornehmlich Cognac, Armagnac und Weinbrand. Die ersteren kommen aus geographisch genau festgelegten Regionen Frankreichs; sie haben eine schon sehr alte Tradition. Als Weinbrand dürfen Quali-tätsbranntweine aus Wein bezeichnet werden, die in Ländern hergestellt wurden, bei denen Deutsch im Herstellungsgebiet Amtssprache ist. Eine Mischung aus mehr als 10 Vol% Weindestillat mit reinem neutralem Sprit darf als Branntwein-Verschnitt bezeichnet werden (nicht als Weinbrand-Verschnitt). Zu den ausländischen Kornbranntweinen gehören die schottischen, irischen, amerikanischen und kanadischen Whiskies (Mindestalkoholgehalt 43 Vol%). Die schottischen und kanadischen Fabrikate schreibt man Whisky, die irischen und amerikanischen Whiskey. Der traditionelle schottische Whisky wird aus Gerste hergestellt (Malt-Whisky). Der charakteristische rauchige Geschmack wird dadurch erzeugt, dass die gemälzte Gerste über einem Torffeuer gedarrt wird, dem Säge-mehl aus Eiche, Erle, Weißbuche oder Birke zugegeben wird. Dabei kommt das

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Malz intensiv mit dem Rauch in Berührung. Die meisten im Handel erhältlichen Scotch Whiskies sind Blended Whiskies. Bei ihrer Herstellung wird der gemälzten Gerste in unterschiedlichen Mengenverhältnissen ungemälzte Gerste und Mais zugesetzt, was den Whisky leichter und bekömmlicher machen soll. Die typische intensive Farbe wird häufig durch Zusatz von gebranntem Zucker oder auch durch Lagerung in alten Sherry-Fässern erzeugt. Bei der Herstellung des irischen Whis-key wird das Malz zwar auch über Torffeuer getrocknet, aber so, dass es nicht direkt mit dem Rauch in Berührung kommt. Der amerikanische Whiskey wird aus gemälztem und ungemälztem Getreide (Mais, Roggen, Gerste) ohne Verwendung von Torfrauch hergestellt. Der Rauchgeschmack wird durch mehrjährige Lagerung in angekohlten Eichenholzfässern erreicht. Der kanadische Whisky wird aus Wei-zen hergestellt und nicht so lange gelagert, wie alle anderen Sorten. Obstbranntweine werden in vielen Ländern der Welt hergestellt. Quantitativ am bedeutsamsten ist die Produktion von Apfelbranntwein, dessen traditionellstes Produkt der französische Calvados ist. In Nordamerika ist der Apple Jack oder Apple Brandy bekannt. In Deutschland darf die Bezeichnung Apfel- oder Birnen-branntwein nur verwendet werden, wenn die Getränke ausschließlich aus sorten-reinen Äpfeln oder Birnen hergestellt werden. Die Zusatzbezeichnung Williams ist statthaft, wenn diese besonders aromareiche Birnensorte zur Herstellung benutzt wurde. Ein Verschnitt aus Apfel-und Birnenbranntwein mit 38 Vol% Ethanol heißt Obstwasser oder Obstler. Zentrum der Herstellung von Obstbranntweinen aus Steinobst (vor allem Kirschen und Zwetschgen) sind der badische Schwarzwald, das Elsaß und die Nordschweiz. In vielen Ländern des Balkans, aber auch in Un-garn, der Slowakei, der Tschechei und in Österreich heißt der Zwetschgenbrannt-wein Slivovitz (auch Sliwowitz oder Slibovitz). Es gibt auch (seltener) Branntweine aus Mirabellen oder Pfirsichen und aus Aprikosen oder Marillen, einer Unterart der Aprikose mit besonders kleinen, aromareichen Früchten. Bekannt sind vor allem österreichische Fabrikate und der ungarische Barack Palinka. Zu den zuckerarmen Früchten, die daher unter Zusatz von Alkohol destilliert werden dürfen, gehören vor allem die Beerenobstarten. Am bekanntesten ist der Himbeergeist. Die Teilbezeich-nung „-geist“ soll dabei bewußt zur Unterscheidung von Obstbranntweinen dienen, die ohne Alkoholzusatz hergestellt werden und die stattdessen in der Regel die Teilbezeichnung „-wasser“ führen. Rum wird durch Vergären von Zuckerrohrsaft, -melasse, oder -sirup unter Zusatz von aromabildenden Stoffen wie Skimmings oder Brennereischlempe und anschlie-ßende Destillation hergestellt. Er ist in reinem Zustand eine farblose, angenehm fruchtartig riechende Flüssigkeit, deren Aroma durch Kräuterextrakte, Ananasmai-sche oder Pflaumenauszüge noch verstärkt werden kann; seine charakteristische gelblichbraune Farbe erhält Rum durch Zusatz von Zuckercouleur. Hauptprodukti-onsstätten sind die karibischen Inseln. Vom Geschmack her unterscheidet man drei Rumgruppen. Herbe, trockene Sorten mit leichtem Körper kommen hauptsächlich aus Kuba und Puerto Rico. Am bekanntesten ist der weiße Bacardi. Reiche und vollmundige Rumsorten kommen aus Jamaika; sie sind hierzulande am bekanntes-ten. Besonders aromatische Rumsorten werden auf Martinique, Trinidad und Bar-bados hergestellt. „Original Rum“ (meist 73 – 82 Vol% Ethanol) ist ein Erzeugnis, welches aus dem Ausland eingeführt ist und das im Inland keinerlei Veränderungen erfahren hat. „Echter Rum“ ist ein „Original Rum“, der auf Trinkstärke herabgesetzt wird (auf etwa 40 Vol%). Rum-Verschnitt ist eine Mischung von Rum mit Alkohol

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anderen Ursprungs; der Anteil an Ethanol aus Rum muß mindestens 5 % des Ge-samtethanols betragen. Weniger Bedeutung hat hierzulande der Arrak, der in Indo-nesien, Thailand und Ceylon aus Reis, Zuckerrohrmelasse oder dem Saft der Blü-tenkolben der Kokospalme (Toddy) gebrannt wird. Deutsche Kornbranntweine werden in der Regel aus hochrektifiziertem Ethanol hergestellt. Es sind klare, farblose Getränke, die als „Korn“ oder „Getreidekorn“ im Handel sind. Zulässig sind auch die Bezeichnungen “Weizenkorn“ oder „Roggen-korn“, sofern ausschließlich die betreffenden Getreidearten zur Herstellung benutzt wurden. Der Mindestalkoholgehalt der Kornbranntweine ist 32 Vol%. „Edelkorn“, „Doppelkorn“ und „Eiskorn“ müssen mindestens 38 Vol% Ethanol enthalten. Zu den Wacholderbranntweinen gehören der englische Gin, der holländische Genever, der deutsche Wacholder und dessen Spezialität, der Steinhäger. Gemeinsam ist allen Wacholderbranntweinen, dass sie aus vergorener Getreidemaische destilliert werden. Das Destillat wird mit angequetschten Wacholderbeeren versetzt und re-destilliert, wobei Primasprit beliebiger Herkunft beigegeben werden darf. Gin wird in der Regel auch noch mit zahlreichen weiteren Gewürzen versetzt, etwa Korian-dersamen, Angelikawurzeln, Lavendel- oder Orangenblüten, Ingwer, Zimt, Mandeln, Lakritz und Akazienknospen. Der Mindestalkoholgehalt von Gin beträgt 38 Vol%. „Trockener Gin“ oder „Dry Gin“ muß mindestens 40 Vol% Ethanolgehalt haben. Genever kann als frisches Fertigprodukt auf den Markt kommen (Jonge Genever); beliebt sind aber vor allem abgelagerte Sorten (Oude Genever). Der deutsche Wa-cholder kann als „Korn-Wacholder“ gehandelt werden, wenn dessen Alkoholgehalt ausschließlich aus Korndestillat stammt. Steinhäger ist ein Gattungsbegriff, der zur Herkunftsbezeichnung werden kann, wenn er die Zusatzbezeichnung „Echter“ oder „Original“ trägt. Die sog. Spezialbranntweine werden in der Regel auf kaltem Wege durch Vermi-schen von gereinigtem Sprit unterschiedlicher Herkunft mit würzenden Zusätzen und Wasser hergestellt. Hierzu gehören insbesondere der nordische Aquavit und der ursprünglich russische Wodka. Aquavit ist ein hauptsächlich mit Kümmel aro-matisierter Branntwein, der aber auch oft Destlliate von anderen Kräutern und Ge-würzen enthält. Er muß mindestens 35 Vol% Ethanol enthalten. Wodka wird heute meist aus Getreidedestillat hergestellt. Kartoffeln spielen auch beim russischen Wodka praktisch keine Rolle mehr. Der Alkoholgehalt des Wodkas beträgt in Deutschland mindestens über 35 Vol%. Zu den Spezialbranntweinen gehören auch die sog. „Bitteren“, von welchen der „Boonekamp“ der bekannteste ist, ferner die Anisbranntweine (Pernod, Ouzo, Raki), der Enzian der Alpenländer und Tresterbranntweine, wie der italienische Grappa und der französische Marc. Eine Zusammenstellung der Alkoholgehalte alkoholischer Getränke findet sich in Tabelle 1. Tabelle 1 zeigt den Alkoholgehalt der geläufigsten alkoholischen Getränke in Gramm pro 100 Milliliter (g/100 ml; Gew./Vol.%). Diese Dimension wurde gewählt, weil die Zahlen unmittelbar in die Widmarksche Formel eingesetzt werden können. Getränk Gew./Vol% Getränk Gew./Vol% Bier Spirituosen Deutsches Exportbier 3,6-4,6 Weinbrand 28,8-34,4 Ausländ. Pils-/Lagerbier 3,2-6,0 Cognac, Armagnac 32,0-32,8

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Deutsches Pilsbier 3,4-4,8 Birnen-/Aprikosenbrand 32,0-36,0 Bockbier 4,8-9,4 Calvados 32,0-33,6 Altbier/Kölsch 3,7-4,3 Beerengeist 32,0-36,0 Berliner Weißbier 2,2-2,7 Obstbranntwein (sonstige) 30,4-39,2 Bayer.Weiß-/Weizenbier 3,7-5,0 Rum 30,0-50,4 Ale, Porter, Stout 3,2-7,2 US-Whiskey 32,0-36,0 Gueuze, Lambic, Kriek 3,8-6,8 Kanadischer Whisky 32,0-36,0 Diätbier 3,6-4,8 Scotch Whisky 32,0-40,0 Wein und weinähnliche Getränke Irischer Whiskey 32,0-36,0 Weißwein 6,1-12,0 Genever 30,4-32,0 Roséwein 6,6- 9,5 Wacholder 30,4-34,4 Rotwein 6,8-12,2 Kornbranntwein 25,6-32,0 Schaumwein 6,1-10,6 Wodka 30,0-60,0 Apfelwein 2,6- 4,5 Kümmel 30,4-36,0 Obstwein 10,3-11,6 Bitter 24,0-48,0 Reiswein 13,0-13,4 Aufgesetzter 20,0-25,6 Wermuth 11,4-14,6 Fruchtlikör 13,6-32,0 Sherry, Portwein 13,6-16,0 Emulsionslikör 16,0-25,6 Tokajer 12,5-12,8 Kräuterlikör 25,6-44,8 Madeira, Malaga, Samos 12,1-13,7 Sonstige Liköre 24,0-34,4 Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch Statistische Angaben über den jährlichen Verbrauch alkoholischer Getränke bezie-hen sich meist aus Vergleichsgründen auf den Pro-Kopf-Verbrauch (wobei Kinder und Greise freilich mitgerechnet werden). Unterscheidet man nach den drei großen Getränkeklassen, dann werden die lokalen Bevorzugungen besonders deutlich. Der

meiste Wein wird in den Mittelmeerländern und in Südamerika getrunken, das meiste Bier in Mitteleuropa, wobei Belgien und Deutschland sich in der Führung abwech-seln. Spirituosen bevorzugt man in den ost- und südosteuropäischen Ländern, aber auch in Skandinavien und den USA. Rech-net man den Gesamtverbrauch an reinem Ethanol aus allen drei Getränkeklassen zusammen, dann werden die zunächst

deutlichen Differenzen allerdings weitgehend nivelliert. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an reinem Ethanol ist in Deutschland seit Mitte der 60er Jahre relativ konstant geblieben (etwa 10 – 12,5 Liter). Auch die auf Bier, Wein und Spirituosen entfallenden Anteile haben sich nicht bemerkenswert verän-dert (reiner Alkohol aus Bier etwa 6 – 7 Liter, aus Wein und Schaumwein etwa 2 – 2,5 Liter, aus Spirituosen 2 – 3 Liter). Das Statistische Bundesamt gibt für den Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 1997 folgende Zahlen an: 126,6 Liter Bier, 23 Liter Wein, 2,2 Liter reiner Alkohol in Form von Spirituosen. Geht man bei Bier von ei-nem durchschnittlichen Alkoholgehalt von 5 Vol.% und bei Wein von 11 Vol.%, dann fügen sich die Verbrauchsmengen recht gut in die vorerwähnten: reiner Alko-hol in Form von Bier 6,3 Liter, in Form von Wein 2,5 Liter, in Form von Spirituosen 2,2 Liter; Summe 11,0 Liter. Der Pro-Kopf-Verbrauch alkoholischer Getränke wird verständlicherweise stark von Faktoren wie Erhältlichkeit und Preis beeinflußt. In Ländern, die den Umsatz durch Einrichtung staatlicher Monopol-Verkaufsstellen mit beschränkten Öffnungszeiten

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stark eingrenzen und potentielle Käufer durch hohe Steuern abschrecken, liegt der Verbrauch etwa um 50 % unter dem in Ländern mit freier Marktwirtschaft. Hierzu gehören besonders die skandinavischen Länder. Ethanol in anderen Flüssigkeiten Als Brennspiritus bezeichnet man durch Zusatz von Pyridinbasen und Methanol (4-7%) vergällten, also ungenießbar gemachten Ethylalkohol. Der unangenehme Ge-ruch scheint chronische Alkoholiker gelegentlich nicht davon abzuhalten, Brennspi-ritus, meist vermischt mit Himbeersaft oder Wein, zu konsumieren. In Schweden, einem Land mit besonders restriktiven Verkaufseinschränkungen für alkoholische Getränke, wird denaturierter Alkohol häufig von schweren Trinkern als Alkoholer-satz verwendet. Solche technischen Alkohole sind billig und leicht erhältlich. Ihnen sind meist verschiedene Ketone, Warnfarbstoffe und Bittersubstanzen (Bitrex) zu-gesetzt. Ein bei Alkoholikern besonders beliebtes Produkt ist offenbar „T-Red“, ein hochprozentiger denaturierter Alkohol mit einem Zusatz von 2 Gew.% Aceton und 5 Gew.% 2-Butanon. Viele Arzneizubereitungen enthalten Ethanol, besonders Tinkturen, wie Baldrian-tinktur (Ethanolgehalt 69 Vol%), und Arzneiweine, die aus weinähnlichen Getränken und Arzneistoffen hergestellt werden (Ethanolgehalt etwa 16 – 17 Vol%). Husten-tropfen können bis zu 41,8 Vol% Ethanol enthalten; werden sie in Tropfenform und therapeutischer Dosis aufgenommen, kann keine relevante Blutalkoholkonzentrati-on aufgebaut werden. Gelegentlich wird aber eßlöffelweise Gebrauch behauptet. Einige Blutersatzmittel enthalten geringe Ethanolkonzentrationen, die selbst bei volumenreicher Infusion keine meßbaren Blutalkoholspiegel erzeugen. Sog. Nähr-lösungen können allerdings bis zu 5,8 Vol% Ethanol enthalten. Besonders hoch ist der Alkoholgehalt von Melissengeistpräparaten (bis zu 80 Vol%). Ethanol im Straßenverkehr Der volkswirtschaftliche Schaden, der von alkoholisierten Verkehrsteilnehmern angerichtet wird, ist immens. In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 1990 wird er für die USA auf jährlich 148 Milliarden Dollar geschätzt. Die Bedeutung solcher Zahlen ist schwer zu begreifen. Die Autoren haben daher eine besser ver-stehbare Umrechnung vorgenommen: jeder Bürger der USA muß 0,63 Dollar für jeden „drink“ bezahlen, den irgendjemand gerade irgendwann irgendwo trinkt. Ent-sprechende offizielle Schätzungen für Deutschland existieren nicht. Rechnet man über das Verhältnis der Einwohnerzahlen auf deutsche Verhältnisse um, käme man auf etwa 50 Milliarden Dollar oder rund 50 Milliarden Euro pro Jahr. Dagegen nimmt sich der volkswirtschaftlichen Schaden, der durch chronischen Alkoholismus verur-sacht wird, beinahe bescheiden aus. Er wurde für Deutschland auf etwa 18 Milliar-den Deutsche Mark pro Jahr geschätzt. Ethanol zeigt seine schädigende Wirkung also nirgends deutlicher als im Straßen-verkehr. Die bekannteste Studie zum Alkohol als Unfallursache ist die Grand-Rapids-Studie von Borkenstein et al., in der zu 3305 Unfällen insgesamt 7590 Kon-trollen gesucht wurden.

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Pro BAK-Klasse wurde ein relatives Risiko berechnet, das angibt, um das Wieviel-fache das Unfallrisiko der alkoholisierten Fahrer gegenüber nüchternen Fahrern erhöht ist. Die Risikofunktion und ihre logarithmierte Darstellung finden sich in der Abb. 1. Die logarithmische Linearität ab BAK 0,6 bedeutet, dass von diesem Grad

der Alkoholisierung an bei zunehmender Erhö-hung der BAK um einen bestimmten Wert jeweils eine identische Muliplikation des Unfallrisikos einhergeht. Aus der Borkenstein-Studie wurden unsere BAK-Grenzwerte entwickelt. Man orientier-te sich am tödlichen Risiko. Natürlich sind somit Unfallzahlen der damaligen Zeit schwer mit aktu-ellen Werten zu vergleichen, da neben der Alko-holisierung eine ganze Reihe anderer Faktoren Einfluss auf das tödliche Risiko nehmen. Sicher-heitstechnologie im und am Auto, Strassenzu-stand sind hier unter anderem zu nennen. Inte-ressant sind die Daten aus den neuen Bundes-ländern der Bundesrepublik Deutschland, da hier vor der Wiedervereinigung ein absolutes Alkohol-

verbot im Straßenverkehr bestand, welches erst am 1.1.1993 den gesetzlichen Vorschriften der alten Bundesländer (damals noch 0,8-Promille-Grenze) angegli-chen wurde. Untersuchungen von 1998 zeigten für Meckenburg-Vorpommern einen dramatischen Anstieg der mittleren BAK-Konzentrationen nach der Wiedervereini-gung. Verantwortlich für den Anstieg um 20 Prozent seit 1989 werden Erhöhung der An-gebotsvielfalt, die Absenkung des Preisgefüges und soziale Konflikte gemacht. Sicherlich sind hier auch eine ganze Reihe von Sonderfaktoren zu diskutieren: so zum Beispiel vermehrtes Auftreten junger Kraftfahrer im Strassenverkehr und ver-minderte Kontrollmaßnahmen der Polizei in den Jahren 1990 bis 1992.

Abb. 1: Risikofunktion der Unfallverursachung unter Alkoholeinfluss (Borkenstein et al.), die gestrichelte Linie stellt die logarithmierte Funktion dar.

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Präventivmaßnahmen Seit langer Zeit ist man bemüht, die Zahl der alkoholisierten Verkehrsteilnehmer durch Präventivmaßnahmen zu verrin-gern. Über diese soll im ersten Unter-punkt berichtet werden. Der Erfolg sol-cher Maßnahmen spiegelt sich zunächst

in statistischen Feststellungen über die Beteiligung alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr wider. Diese werden in der Regel durch Roadside surveys erho-ben. Hiermit schwer vergleichbar ist das Ergebnis von Umfragen unter Ver-kehrsteilnehmern zur Häufigkeit von Trunkenheitsfahrten. Gleichwohl soll darauf eingegangen werden, weil die Problematik des Alkohols im Straßenverkehr in man-cher Hinsicht deutlicher wird.

4035

30

25

20

15

10

5

00 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6

Rel

ativ

es R

isik

o lo

g.

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o

BAK in Promille

1

10

100

Beide Methoden geben allerdings keinerlei Auskunft darüber, welches konkrete Risiko von alkoholisierten Verkehrsteilnehmern ausgeht. Eigentliches Ziel aller

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Präventivmaßnahmen muß ja logischerweise sein, alkoholbedingte Verkehrsun-fälle zu verhindern oder wenigstens zahlenmäßig zu reduzieren. Welchen Erfolg die Präventivmaßnahmen hierauf hatten, wird daher in den Mittelpunkt der Ausfüh-rungen gestellt. Es wird deutlich werden, dass sämtliche statistischen Erhebungen die wirkliche Problematik unterschätzen. Daher soll im abschließenden Unterpunkt auf das Dunkelfeld eingegangen werden. Die Abb. 2 zeigt, mit welchem alkoholbe-dingten Unfallrückgang theoretisch zu rechnen wäre, wenn Alkoholisierung im Stra-ssenverkehr ab der angegebenen BAK-Grenzen vermieden werden könnten. Zahlreiche Präventivmaßnahmen sind erprobt worden, um die Zahl der alkoholbe-dingten Verkehrsunfälle zu verringern. Eine vermeintlich durchgreifende Methode ist die Prohibition. Eine abgeschwächte Form wird in den skandinavischen Län-dern praktiziert. Dahinter steckt eine einfache Philosophie: wenn alkoholische Getränke nur in staat-lichen Verkaufsstellen mit strikt begrenzten Öffnungszeiten, damit schwer zu be-

schaffen sind und wenn die Getränke durch extrem hohe Besteuerung sehr teuer gemacht werden, wird weniger getrunken; damit verringert sich die Gefahr der alkoholisier ten Teilnahme am

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Abb. 2: Darstellung des alkoholbedingten Unfallrück-ganges, wenn Alkoholisierungen ab bestimmter BAK-Werte vermieden werden könnten (nach Krüger 1995). Straßenverkehr. Auf den ersten Blick scheinen die skandinavischen Zahlen

den Erfolg dieser Philosophie zu bestätigen. Nirgends ist der Anteil der Alkoholisier-ten an der fahrenden Bevölkerung niedriger, als in Skandinavien. Das eigentliche Ziel, eine Verringerung der alkoholbedingten Verkehrsunfälle wurde hierdurch aber nicht erreicht. Deren Zahl liegt eher über dem europäischen Durchschnitt.

10096

8679

6955

4229

0

Prozent Unfälle weniger

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0

100

80

60

40

20

0

BAK in Promille

Es gibt konkrete Beispiele, die beweisen, dass selbst ein totaler Verkaufsstop wenig wirksam ist. Das berühmteste Beispiel kommt aus Norwegen. Hier gab es im Jahr 1978 einen neunwöchigen Streik des Personals der staatlichen Monopol-Verkaufsstellen. Er hatte keinerlei Einfluß auf die Zahl alkoholisierter Fahrer oder alkoholbedingter Unfälle. Umgekehrt scheint auch die Lockerung prohibitiver Maß-nahmen keinen negativen Einfluß auf das Verhalten der Kraftfahrer zu haben. In Finnland wurde 1995 das staatliche Verkaufsmonopol für Alkohol teilweise aufge-hoben; nun durften Bier und Wein auch im normalen Handel verkauft werden, Wer-bung wurde erlaubt. Zwar resultierte ein Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauchs alkoholi-scher Getränke von 1994 nach 1996 um 11 %. In vier Roadside Surveys (1985, 1995, 1996 und 1997) zeigte sich gleichwohl, dass es zu einem praktisch nicht meßbaren Anstieg der Zahl alkoholisierter Fahrer gekommen war. Ein wahrscheinlich wirksames Instrument sind Aufklärung und Erziehung. In Skandinavien werden bereits Schulkinder regelmäßig über den schädlichen Einfluß alkoholischer Getränke auf Gesundheit und Verkehrssicherheit informiert. Dieser Aufklärungsunterricht wird in den Fahrschulen wiederholt. Freilich hat sich gezeigt, dass hierdurch nur bereits vorbestehendes Wissen verstärkt werden kann. Geziel-ter Fahrschulunterricht kann also offenbar nur auf Schulprogrammen aufbauen.

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Ähnlich wird der Vorschlag zu bewerten sein, die Ärzteschaft zu Informationskam-pagnen zu bewegen. Landesweite Medien-Appelle etwa mit dem Motto „Fahre niemals nach Alkoholge-nuß“ sind allenfalls teilweise erfolgreich. Eine 10monatige Aufklärungskampagne des Schwedischen Road Safety Office erbrachte keinerlei Veränderung in der Un-fallstatistik. Eine umfangreiche, 5 Millionen Dollar teure Aufklärungskampagne in Frankreich anläßlich der Grenzwert-Absenkung von 0,8 auf 0,7 Promille soll in den nachfolgenden Monaten zu einem deutlichen Rückgang der alkoholbedingten tödli-chen Verkehrsunfälle und solcher mit Verletzten geführt haben. Der Rückgang wird zahlenmäßig jedoch nicht belegt. Etwas wirksamer scheint die gezielte Ansprache besonders betroffener Bevölke-rungsgruppen zu sein, etwa durch Programme, die sich speziell an junge Leute richten. In den Niederlanden wurde mit Erfolg versucht, junge Frauen dazu zu be-wegen, nicht in das Auto ihrer männlichen Partner einzusteigen, wenn diese Alko-hol getrunken hatten. Dieses scheint ein brauchbarer Ansatzpunkt zu sein: weg von der immer noch häufigen Auffassung, Trunkenheit am Steuer sei ein „Kavaliersde-likt“, hin zur gesellschaftlichen Ächtung des Fahrens unter Alkohol. Die wirksamste Präventivmaßnahme ist unzweifelhaft die Strafandrohung. Hierfür gibt es überzeugende, nun schon fast historische Beispiele. Der Britische Road Safety Act von 1967, der einen absoluten BAK-Grenzwert festlegte, brachte einen sofortigen, geradezu dramatischen Rückgang der Zahlen alkoholbedingter Ver-kehrsunfälle mit Verletzten und Getöteten. Dieser Effekt hielt unter allmählicher Abschwächung vier Jahre lang an. 1974 wurde ein ähnliches Gesetz in den Nieder-landen eingeführt. Unmittelbar danach ergaben Verkehrskontrollen, dass die Zahl der alkoholisierten Verkehrsteilnehmer von etwa 15 auf 5 % zurückgegangen war. Danach, innerhalb von etwa 12 Monaten, stiegen die Zahlen wieder allmählich auf die vorherigen an. Der steile Rückgang direkt nach Rechtskraft des Gesetzes wur-de dadurch erklärt, dass die Kraftfahrer das Risiko einer Bestrafung anfangs sehr hoch einschätzten. Der Wiederanstieg der Alkoholfahrten war offenbar auf die kon-krete Erfahrung zurückzuführen, dass das wirkliche Risiko einer Bestrafung sehr gering ist, viel geringer, als zunächst befürchtet wurde. Der motivierende Faktor, von einer Trunkenheitsfahrt abzusehen, ist also die Furcht vor einer Bestrafung. Ein Gesetz, welches nicht durchgesetzt wird, verursacht aber keine Furcht. Wenn die Wahrscheinlichkeit, bestraft zu werden, zu niedrig ist, dann kann die Schwere der angedrohten Bestrafung das Verhalten nicht wesentlich be-einflussen. Wenn nur ein alkoholisierter Fahrer von etwa 600 überhaupt angehalten wird und dieses geringe Risiko den Kraftfahrern auch genau bekannt ist, kann von einer abschreckenden Wirkung der spezifischen Gesetzgebung nicht mehr gespro-chen werden. Nun hängt das Risiko einer Bestrafung nicht nur vom Risiko ab, unter Alkohol ange-troffen zu werden, sondern auch von der Wahrscheinlichkeit einer konkreten ge-richtlichen Bestrafung. Auch hier gibt es eindeutige Defizite. Ein erwähnenswertes Beispiel ist der sog. „Chicago crackdown“. Die Richter Chicagos waren übereinge-kommen, gegen alle Trunkenheitsfahrer eine Freiheitsstrafe von 7 Tagen zu ver-hängen. Als nach 6 Monaten Bilanz gezogen wurde, hatten tatsächlich nur 8 % der 6.000 verurteilten Trunkenheitsfahrer die vereinbarte Strafe erhalten. Die angedrohte Strafhöhe scheint keinen Einfluß auf die abschreckende Wirkung zu haben. In Schweden und Norwegen hat sich z.B. gezeigt, dass eine Freiheits-

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strafe keinen größeren abschreckenden Effekt hat, als eine Geldstrafe. International ist man sich aber einig, dass der Entzug der Fahrerlaubnis weit wirksamer ist, als Geld- oder Freiheitsstrafen. Da man der Auffassung war, eine Strafe sei umso wirk-samer, je schneller sie verhängt wird, wurde 1988 in Kanada das „12 hour licence suspension law“ erlassen. Trunkenheitsfahrern wurde also sofort die Fahrerlaubnis entzogen. Beim Vergleich der relevanten Zahlen vor und nach Einführung dieses Gesetzes zeigte sich jedoch, dass es nur zu einem kurzzeitigen und sehr geringen Rückgang gekommen war. Auch die Einführung niedrigerer Grenzwerte kann nur vorübergehend abschre-cken. 1982 wurde z.B. in Queensland/Australien das Alkohol-Limit von 0,8 auf 0,5 Promille reduziert. Unmittelbar danach kam es zu einem Rückgang alkoholbeding-ter Verkehrsunfälle, bei solchen mit Verletzten um 8,2 %, bei Sachschäden um 5,5 %. Bei den tödlichen Verkehrsunfällen gab es allerdings keinerlei Veränderung. Nach einem Jahr, als die fahrende Bevölkerung wahrnahm, dass das Risiko, bei einer Alkoholfahrt gefaßt zu werden, in Wirklichkeit gar nicht zugenommen hatte, gingen die Unfallzahlen wieder auf die vorherige Höhe zurück. Faßt man diese Erfahrungen zusammen, dann ist die Androhung einer Bestrafung zweifelsfrei ein wirksames Werkzeug gegen die Problematik des Alkohols im Stra-ßenverkehr. Entscheidend hierfür ist aber weder die Höhe des Alkohol-Limits, noch die Schwere der angedrohten Strafe, sondern das Risiko, bei einer Alkoholfahrt auch tatsächlich gefaßt zu werden. Dieses hängt ausschließlich von der polizeili-chen Kontrolldichte ab. Jede Herabsetzung oder Neueinführung eines Grenzwerts kann nur einen vorübergehenden Rückgang der Zahl der Alkoholfahrten bewirken. Wenn nicht gleichzeitig die Kontrolldichte maßgeblich gesteigert wird, merken die Kraftfahrer dieses sehr schnell und der wünschenswerte Positiv-Effekt klingt inner-halb kurzer Zeit wieder ab. Seit langer Zeit ist bekannt, dass eine bestimmte Gruppe von Verkehrsteilnehmern von den erwähnten Präventivmaßnahmen kaum oder überhaupt nicht angespro-chen wurde. In dieser Gruppe ist die Rückfallquote hoch. Es besteht Grund zu der Annahme, dass es sich im wesentlichen um Personen handelt, die Alkoholprobleme haben. Für diesen Personenkreis wurden spezielle Präventivmaßnahmen entwi-ckelt, wobei die Impulse besonders aus Deutschland kamen. Es hat sich gezeigt, dass die Rückfalltäter keine homogene Gruppe darstellen. Zu ihnen gehören Gesellschaftstrinker, Personen der verschiedenen Stadien abnor-men Trinkverhaltens bis hin zu chronischen Alkoholikern. Spezielle Präventivpro-gramme können nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich an die jeweilige Zielgrup-pe richten. Die Teilnehmer an solchen Programmen müssen daher sorgfältig aus-gesucht werden. Gelingt dieses, können Rehabilitationsprogramme durchaus er-folgreich sein. Chronische Alkoholiker werden von ihnen jedoch selten beeindruckt; hier kann nur die Behandlung des süchtigen Verhaltens angestrebt werden. Diese Problemfälle zu erkennen, ist daher eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg von Re-habilitationsprogrammen. Meist bedient man sich hierfür medizinisch-psychologischer Untersuchungsmethoden. Eine vielleicht wertvolle Ergänzung könnte die Einbeziehung laborchemischer Parameter sein. Roadside surveys

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Die Häufigkeit der Teilnahme alkoholisierter Fahrer am Straßenverkehr kann am ehesten durch Roadside surveys festgestellt werden. Dieser Ausdruck hat sich auch im deutschen Schrifttum durchgesetzt, weshalb er hier beibehalten werden soll; er läßt sich vielleicht mit Straßenrand-Studien übersetzen. In aller Regel han-delt es sich dabei um Random breath tests (s.o.). RBTs erfüllen also einen doppel-ten Zweck. Werden sie häufig oder sogar regelmäßig durchgeführt, sind sie ein sehr geeignetes Instrument der Abschreckung, vielleicht das wirksamste überhaupt. Gleichzeitig ermöglichen sie epidemiologische Einblicke in die Problematik des Alkohols im Straßenverkehr. Roadside surveys folgen leider keiner standardisierten Methode, weshalb insbe-sondere internationale Vergleiche erschwert werden. Manchmal werden solche Untersuchungen allein von Polizeibehörden durchgeführt; häufiger werden sie aber zumindest wissenschaftlich begleitet. In beiden Fällen werden Kraftfahrer aus dem fließenden Verkehr heraus von Polizeibeamten angehalten und entweder von den Polizeibeamten selbst um die Abgabe eines Atemtests gebeten oder an eine Grup-pe von Wissenschaftlern weiterverwiesen, die nicht nur am Atemtest, sondern auch an weiteren Daten interessiert sind, die für epidemiologische Forschungen von Bedeutung sind. Bei dem sog. Deutschen Roadside Survey wurden zwischen 1992 und 1994 zwei deutsche Distrikte miteinander verglichen, Unterfranken und Thüringen. Die Ge-samtauswertung ergab, dass in Unterfranken 0,56 % der angehaltenen Fahrer einen Atemalkoholwert aufwiesen, der einer BAK von mehr als 0,8 Promille ent-spricht; in Thüringen waren es 0,47 %. Die höchsten Prozentanteile wurden zu nächtlicher Zeit festgestellt, an Werktagen 1,33 (Unterfranken) bzw. 2,13 % (Thü-ringen), an Wochenenden 1,65 % bzw. 1,45 %. Alkoholbedingte Verkehrsunfälle In den 80er Jahren wurde weltweit ein allmählicher Rückgang alkoholbedingter tödlicher Verkehrsunfälle beobachtet, über dessen Ursache heftig gestritten wurde. Besonders deutlich zeigte sich dieser Trend in den USA. Schon in den siebziger Jahren ging die Zahl der alkoholbedingten tödlichen Unfälle (BAK über 1,0 Promille) von 49 % auf 38 % im Jahr 1979 zurück. Dieser Trend setzte sich bis zu Beginn der neunziger Jahre fort. 1982 betrug der Anteil 30 %; 1994 war er auf 20 % abgesun-ken. Dieser Prozentanteil blieb dann unverändert, obwohl die absolute Zahl tödli-cher Verkehrsunfälle und damit die Zahl der alkoholbedingten leicht anstieg. Eine US-Statistik aus 1998 nennt folgende Zahlen: der Anteil alkoholisierter an allen tödlich verunglückten Fahrern beträgt bei Motorradfahrern 30,3 %, bei Fahrern leichter LKWs 21,9 %, bei PKW-Fahrern 18,8 % und bei Fahrern schwerer LKWs 1,4 %. Die Analyse der Entwicklung in Deutschland wird dadurch kompliziert, dass in bei-den deutschen Staaten zunächst getrennte Statistiken geführt wurden; erst seit der Wiedervereinigung gibt es eine gemeinsame Statistik. Die Angaben beziehen sich daher bis 1991 auf die westdeutsche, danach auf die gemeinsame Statistik. Da-nach ging der Anteil der alkoholbedingten tödlichen Verkehrsunfälle in West-deutschland von 1975 mit 22 % bis 1990 mit 18 % zurück; danach kam es im ver-einten Deutschland zu einem leichten Anstieg auf etwa 20 %; dieser Anteil blieb dann etwa konstant. Man hat versucht, die tatsächlich recht unterschiedliche Ent-

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wicklung in Ost und West separat zu erfassen. Dabei kam man zu folgendem Er-gebnis: während die Prozentanteile im Westen von 1975 bis 93 geringfügig von 22 auf 19 % zurückgingen, stiegen sie im gleichen Zeitraum im Osten (trotz Grenzwert 0,0 Promille) von 15 auf 23 % an, besonders stark nach 1989. Man hat auch die unterschiedlichen Entwicklungen in Unterfranken und in Thürin-gen miteinander verglichen, bezog sich dabei aber auf alle Unfälle mit Personen-schaden (nicht nur mit Todesfolge). Der Anteil der Alkoholisierten ging in Unterfran-ken von 1975 bis 1994 nahezu linear von 14 auf 9 % zurück. In Thüringen war die Entwicklung komplizierter. Die Zahlen stiegen von 1975 mit 8,5 % bis 1981 mit 11,5 % zunächst an; es folgte ein leichter Rückgang bis 1989 auf 10 %. Praktisch mit der Wiedervereinigung kam es dann zu einem steilen Anstieg auf 16,3 % im Jahr 1993, dem ein leichter Rückgang auf 15,6 % im Jahr 1994 folgte. Sie ist auch vergleichbar mit dem Ergebnis der Analyse von Unfällen mit Personen-schaden 1995. In Westdeutschland war es danach von 1975 bis 1991 zu einem Rückgang von 14 auf etwa 11 % gekommen. Etwa auf dieser Ebene hielt sich der Prozentanteil in Gesamtdeutschland in den nachfolgenden Jahren. Angesichts des Verhältnisses der Einwohnerzahlen zwischen West und Ost scheint der beschrie-bene steile Anstieg in Ostdeutschland durch eine gleichzeitige mäßige Verringerung im Westen in der Gesamtstatistik ausgeglichen worden zu sein. Beim Vergleich aller Daten lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen. Der weltweite Rückgang der alkoholbedingten tödlichen Verkehrsunfälle ist in den 90er Jahren allmählich verlangsamt und in ein Plateau übergegangen, wenn nicht in einen leich-ten Wiederanstieg. Die skandinavischen Staaten haben diese Entwicklung nicht mitgemacht, obwohl sie bei der Bekämpfung der Trunkenheit im Verkehr besonders erfolgreich waren. Der Anteil der Todesopfer durch Alkohol an allen tödlichen Ver-kehrsunfällen liegt nach wie vor über dem internationalen Durchschnitt. Die Zahlen unterscheiden sich von Land zu Land relativ stark, sind aber wegen der unter-schiedlichen Grenzwerte schwer miteinander vergleichbar. Deutschland dürfte etwa im guten Mittelfeld liegen. Auch beim länderspezifischen Vergleich der tödlichen Unfälle verbleibt natürlich als Unwägbarkeit, dass die durchschnittliche Ausstattung der Fahrzeuge (Airbags etc.) stark varieren kann und somit ihrerseits zu einer unterschiedlichen Absenkung der tödlichen Unfälle führen kann. Als weitere mögliche Ursachen sind natürlich auch Straßenzustand, Begrenzungssicherungen etc. zu diskutieren. Die Zahlen legen nahe, nach Zielgruppen von Verkehrsteilnehmern zu suchen, die an den tödlichen Verkehrsunfällen überproportional beteiligt sind. Zwei Gruppen wurden ausgemacht: junge Leute und mutmaßliche Alkoholiker. Dieses hatte zur Folge, dass Präventivprogramme speziell für diese Personengruppen geschaffen wurden. Bei den jungen Leuten scheinen sie Erfolg gehabt zu haben; gerade diese Altersgruppe verzeichnet sowohl bei den Trunkenheitsfahrten als auch bei den tödlichen Trunkenheitsfahrten den stärksten Rückgang. Bei den Alkoholikern steht der Erfolg leider noch aus. Dunkelfeld Das Dunkelfeld gibt das Verhältnis der entdeckten Trunkenheitsfahrten zu den tatsächlichen Trunkenheitsfahrten wieder, vereinfacht also das Verhältnis der im vorangegangenen Abschnitt vorgestellten Zahlen zu den Zahlen aus Roadside

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Surveys. Es kann sich hierbei notwendigerweise nur um Schätzungen handeln, die folglich relativ weit streuen. Die bei weitem niedrigste Schätzung des Dunkelfelds mit 1 : 60 stammt aus Deutschland, sie wurde wiederholt bestritten. Aus den USA sind Schätzungen zwi-schen 1 : 250 und 1 : 2.000 bekannt. In Norwegen wurde das Dunkelfeld auf etwa 1 : 1.000 geschätzt. Nach dem Deutschen Roadside Survey liegt das Dunkelfeld bei 1 : 590. Interessant ist der Vergleich mit der Dunkelfeld-Schätzung 1:82, die anhand der Befragung von Autofahrern vorgenommen wurde. Von den Männern hatten 4,1 % der Befragten Alkoholfahrten eingeräumt. Das sind 7,5mal mehr, als im Deut-schen Roadside Survey festgestellt wurden. Da bei den unterschiedlichen Schätzmethoden erstaunlicherweise relativ gut über-einstimmende Ergebnisse herauskamen, ist insgesamt zu vermuten, dass nur etwa einer von etwa 600 alkoholisierten Kraftfahrern entdeckt wird und dass – schlimmer – dieses vergleichsweise geringe Risiko von den Kraftfahrern sehr realistisch ein-geschätzt wird. Ethanol im rechtsmedizinischen Obduktionsgut Alkohol wird im Rahmen rechtsmedizinischer Obduktionen relativ häufig vorgefun-den. Im Düsseldorfer Leicheneingang wurde in 23,6 % aller Fälle eine Alkoholisie-rung nachgewiesen, allerdings recht unterschiedlichen Ausmaßes. Von den alko-holpositiven Fällen lag die BAK in 44 % unter 1,0 Promille, in 27 % zwischen 1,0 und 2,0 Promille, in 19 % zwischen 2,0 und 3,0 Promille und in 10 % über 3,0 Pro-mille. Der höchste nachgewiesene Wert war 6,35 Promille. Die Verteilung ist in Abb.3 dargestellt.

Abb.3: Verteilung der BAK-Werte über 0,1 Promille im Leicheneingang des Instituts für Rechtsmedizin Düssel-dorf 1991-1997 (n=8169) (Huckenbeck 1999)

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In einer Statistik von Abel & Zeiden-berg 1985 wurde Alkohol in 45 % aller Tötungsdelikte und in 35 % aller Suizi-de festgestellt. Wie hoch die jeweiligen BAKs waren, wurde nicht mitgeteilt. Pollock et al. fanden bei der Obduktion von Veteranen der US-Army in 31,2 % aller Fälle Alkohol; auch hier fehlt ein

Hinweis auf die Höhe der BAKs. In einer anderen Studie bei 53 % der obduzierten 16-21-Jährigen Alkohol nach gewiesen (mittlere BAK 1,4 Promille).

0

5

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25

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0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0

Prozent

Promille

68 % der 21-25-Jährigen waren alkoholisiert (mittlere BAK 1,8 Promille). In Südafri-ka wurde bei einer größeren Serie von Obduktionen in 52,5 % der Fälle Alkohol nachgewiesen. Der Mittelwert der BAKs lag bei 1,8 Promille. Ein anderer Autor berichtete über Todesfälle durch unfallmäßiges Ertrinken in Aust-ralien. 37 % der Ertrunkenen hatten eine BAK über 0,8 Promille. 42 % der über 30-Jährigen Männer lagen über 1,5 Promille. Eine etwas genauere Analyse von Todesfällen durch unfallmäßiges Ertrinken stammt aus Dänemark. Nur 39 % der Fälle erwiesen sich als alkoholfrei, 8 % hatten eine BAK unter 1,0 Promille, 16 % zwischen 1,0 und 2,0 Promille, 27 % zwischen 2,0 und 3,0 Promille und 10 % lagen über 3,0 Promille.

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Der Prozentanteil Alkoholisierter variiert zwischen den verschiedenen Todesarten. In einer amerikanische Studie wurden Blutalkoholkonzentrationen über 1,0 Promille bei natürlichem Tod in 7,2 % der Fälle angetroffen, bei Homizid in 33,1 %, bei Sui-zid in 22,8 % und bei Unfällen (ohne Verkehrsunfälle) in 29,3 %. Bei den tödlichen Verkehrsunfällen lag der Anteil bei 37,8 %. Für die Frage, welche Bedeutung der Blutalkohol für das Todesgeschehen hatte, geben solche Statistiken natürlich nichts her. Von alkoholassoziierten Todesfällen wird in der Regel erst gesprochen, wenn der Alkohol als wesentliche Teilursache angesehen wurde. Dieses ist eine Bewertung, die auf den jeweiligen Fall abstellt und in erheblichem Ausmaß von subjektiven Einschätzungen beeinflußt wird. Ob-wohl Untersuchungen, die hierauf eingehen, immer auch die typischen alkoholbe-dingten Organveränderungen miteinbeziehen, sind die übrigen Kriterien uneinheit-lich. In der oben erwähnten finnischen Studie wurde z.B. in 23,8 % der Fälle ohne weitere Erläuterung davon ausgegangen, dass der Alkohol als wesentlicher Mitfak-tor anzusehen war. Eine Berliner Untersuchung stützte die Diagnose "alkoholassoziierter Todesfall" sowohl auf charakteristische pathologisch-anatomische Befunde, als auch auf die Fundsituation und das Vorliegen einer BAK über 2,0 Promille. Von allen Obduktio-nen wurden 22 % in diese Kategorie eingeordnet. Bei den natürlichen Todesursa-chen waren es 20 %, bei Homiziden 10 %, bei Suiziden 15 % und bei Unfällen (ohne Verkehrsunfall) 35 %. Diese Prozentanteile sollen über viele Jahre weitge-hend konstant geblieben sein. Verständlicherweise gibt es keinen Grenzwert für tödliche Alkoholintoxikationen; die Alkoholwirkung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, von denen hier nur die Gewöhnung und die Anflutungsgeschwindigkeit genannt werden sollen. Die Diag-nose einer Alkoholintoxikation als Todesursache unterliegt daher ebenfalls einer gewissen subjektiven Einschätzung, die die Fallumstände einbezieht. In der Regel wird die Diagnose jedenfalls per exclusionem gestellt. Eine der ältesten Mitteilungen stammt aus Polen. Im Zeitraum 1959 bis 1968 wurde in 2,5 % aller Obduktionsfälle in Poznan eine tödliche Alkoholvergiftung angenom-men. In Wroclaw waren es sogar 6,3 %. Der Mittelwert der nachgewiesenen Blutal-koholkonzentrationen lag bei 4,0 Promille. Der höchste Wert war 6,55 Promille. Bei der finnischen Untersuchung waren 41 Fälle mit einer Alkoholintoxikation als To-desursache festgestellt worden (10,2 % aller Obduktionsfälle). In 2 % aller Fälle lag die BAK zwischen 0,35 und 1,5 Promille, in 7 % zwischen 1,5 und 2,5 Promille, in 27 % zwischen 2,5 und 3,5 Promille und in 64 % über 3,5 Promille. Nimmt man die oben erwähnten alkoholassoziierten Todesfälle hinzu, dann war Alkohol in 34 % aller Fälle die Alleinursache oder eine wesentliche Teilursache des Todes. In Berlin wurde in 155 Fällen die Diagnose einer tödlichen Alkoholintoxikation ge-stellt (15 % aller Fälle). In 41 % hiervon lag die BAK unter 3,0 Promille, in 37 % lag sie zwischen 3,0 und 4,0 Promille, in 18 % zwischen 4,0 und 5,0 Promille und in 4 % über 5,0 Promille. Die höchste festgestellte BAK lag bei etwa 7,0 Promille. Die Zahlen lassen sich mit den finnischen schwer vergleichen, weil die BAK-Bereiche unterschiedlich definiert wurden; gravierende Unterschiede bestehen offenbar nicht. Alkohol- und alkoholassoziierte Todesfälle (s.o.) zusammen machten in Berlin 37 % des Obduktionsguts aus. In Helsinki waren es 34 %. Zu den Berliner Zahlen ist aber noch zu ergänzen, dass Alkohol auch an den 14 % Mischintoxikationen beteiligt war.

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Aus einer anderen finnischen Statistik geht hervor, dass Alkohol bei den tödlichen Vergiftungen eine gewichtige Rolle spielt. In 48 % aller Vergiftungsfälle wurde Alko-hol nachgewiesen; die BAK lag im Mittel bei 3,5 Promille; der höchste festgestellte Wert war 6,8 Promille. Es wird betont, dass dieser Anteil über viele Jahre konstant geblieben ist. In der Regel wurde von einem Unfall ausgegangen, während bei anderen Vergiftungen meist Suizid angenommen wird. Rechtliche Bestimmungen Alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit wird in allen zivilisierten Ländern mit Strafe bedroht. Nachfolgend soll die deutsche Rechtslage besprochen werden. Die wich-tigsten strafrechtlichen Bestimmungen sind in den §§ 315c und 316 des Strafge-setzbuchs (StGB) niedergelegt. Die Bestimmungen stellen auch auf „andere berau-schende Mittel“ ab, worauf hier aber nicht eingegangen wird. § 316 StGB [Trunkenheit im Verkehr] "(1) Wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Ge-tränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht im § 315 a oder 315 c mit Strafe bedroht ist. (2) Nach Absatz 1 wird auch bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht." Die sog. „einfache Trunkenheit am Steuer“, also eine Trunkenheitsfahrt ohne Fol-

gen wie einem Unfall, wird als Vergehen bewertet. Die Bestimmung gilt für alle Verkehrsbereiche, also auch für den Schienenbahn-, Schwebebahn-, Schiffs- und Luftverkehr. Das Gesetz nennt keinen Alkohol-Grenzwert. Ursprünglich musste daher vor Gericht der Nachweis geführt werden, dass der Betreffende Alkohol getrunken hatte und dass hier-durch Fahruntüchtigkeit herbeigeführt wurde. Der Nachweis der Alkoholisierung eines Kraftfahrers wurde über die BAK erbracht; nach einer BGH-Entscheidung vom 28.4.1961 reichten hierfür u.U. schon 0,3 Promille aus. Dass der Alkoholgenuß zur Fahruntüchtigkeit geführt hatte, musste durch „wei-

tere Umstände“ belegt werden, etwa durch das Vorhandensein äußerlich erkennba-rer Ausfallserscheinungen oder ein auffälliges Fahrverhalten. Solche Störungen mussten mit hinreichender Sicherheit auf den Alkoholkonsum zurückgeführt wer-den. Meist bediente und bedient man sich hierzu eines rechtsmedizinischen Sach-verständigen. Es galt die Regel, dass die Ausfallserscheinungen umso gravierender sein mussten, je niedriger die BAK war. Die Feststellung der „relativen Fahruntüch-tigkeit“ ist auch heute noch von Bedeutung. Es wird von Laien häufig übersehen, dass damit prinzipiell eine Bestrafung ab 0,3 Promille möglich ist. Im Zuge der per-se-Gesetzgebung anderer europäischer Staaten wurden auch in Deutschland Überlegungen angestellt, den Beweis der alkoholbedingten Fahrun-tüchtigkeit durch Einführung eines BAK-Grenzwerts zu erleichtern, oberhalb dessen bei jedem Verkehrsteilnehmer von einer „absoluten Fahruntüchtigkeit“ ausgegan-gen werden konnte, womit auf den mitunter schwierigen Nachweis der „relativen

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Fahruntüchtigkeit“ verzichtet werden konnte. Die BAK allein sollte hierfür ausrei-chen (daher die Bezeichnung „per-se-Gesetze). Eine entsprechende Gesetzesini-tiative kam jedoch nicht in Gang. Es war schließlich der Bundesgerichtshof (BGH), der verbindlich festschrieb, dass bei einer BAK über 1,5 Promille bei Kraftfahrern ohne weiteren Beweis von Fahruntüchtigkeit auszugehen sei. Dieser Grenzwert wurde vom BGH mit Urteil vom 9.12.1966 auf 1,3 Promille herab-gesetzt, wobei er der Empfehlung eines Gutachtens des Bundesgesundheitsamts nur teilweise folgte. Seinerzeit wurde der neue Grenzwert damit begründet, dass nach medizinisch-naturwissenschaftlicher Kenntnis jeder Kraftfahrer mit einer BAK über 1,1 Promille mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fahruntüchtig ist (sog. Grundwert). Der BGH hielt aber einen sog. Sicherheitszuschlag von 0,2 Pro-mille für erforderlich, um technisch und naturwissenschaftlich nicht ausschließbare Meßungenauigkeiten bei der Blutalkoholanalyse auszugleichen. Von grundsätzlicher Bedeutung war ein weiteres BGH-Urteil vom 11.12.1973, wel-ches sich mit dem sog. Schluss-Sturz-Trunk befaßte. Eine beliebte Einlassung von alkoholisierten Kraftfahrern war seinerzeit, sie hätten innerhalb kurzer Zeit vor Fahrtantritt noch erhebliche Mengen Alkohol getrunken. Damit kam prinzipiell in Betracht, dass die Blutalkoholkurve während der Fahrt noch anstieg und ihr Maxi-mum womöglich erst im Zeitpunkt der Blutentnahme erreichte. Demnach lag die Tatzeit-BAK unter dem Entnahme-Wert. Lag dieser knapp über 1,3 Promille, so war zur Zeit des rechtsrelevanten Vorfalls von einer BAK unterhalb des Grenzwerts auszugehen, womit absolute Fahruntüchtigkeit nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Der BGH führte in diesem Urteil aus, dass zwar von dem Blutentnahme-Wert bei solchen Voraussetzungen u.U. ein Abzug vorgenommen werden müsse, dass die-ses dem Kraftfahrer aber hinsichtlich der Beurteilung seiner Fahrtüchtigkeit nicht zugute käme, „wenn er im Zeitpunkt der Tat eine Alkoholmenge im Körper hatte, die zu einer BAK von 1,3 Promille und darüber führte“. Der BGH stützte sich hierbei auf die wissenschaftlich unbestrittene Tatsache, dass die zusätzliche Anflutungswir-kung den „Konzentrationsfehlbetrag“ bis zum Grenzwert zumindest ausgleicht. Damit macht es keinen Unterschied mehr, ob der vor der Fahrt konsumierte Alkohol vor, während, oder womöglich erst nach der Fahrt in das Blut übertritt. Der Grund-gedanke dieses Urteils wurde in die Formulierung des § 24a StVG übernommen (siehe unten). Mit Beschluß vom 28.06.1990 hat der BGH den Grenzwert der absoluten Fahrun-tüchtigkeit nochmals reduziert, nämlich auf jetzt 1,1 Promille. In der Begründung heißt es hierzu, sowohl der Grundwert von 1,1 Promille, als auch der Sicherheitszu-schlag von 0,2 Promille seien nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die nach 1966 veröf-fentlichten Ergebnisse der medizinischen Alkoholforschung rechtfertigten die An-nahme eines Grundwertes von 1,0 (statt bisher 1,1) Promille. Ein vom Bundesge-sundheitsamt ausgewerteter Ringversuch der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie habe zudem ergeben, dass die maximale Abweichung der Einzelwerte bei der Kombination zweier beliebiger Meßverfahren unter 0,05 Promille beträgt. Da hierbei außer den zufälligen auch die systematischen Abweichungen inkludiert wären, bedürfe es bei der Bestimmung des Sicherheitszuschlags keiner Verdreifa-chung dieses Maximalwerts mehr. Es sei daher gerechtfertigt, den Sicherheitszu-schlag mit 0,1 Promille zu bemessen.

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Der BGH hat eingehend ausgeführt, dass der neue Grenzwert von 1,1 Promille nur Gültigkeit haben kann, wenn sichergestellt ist, dass das Labor, welches die BAK bestimmt, die zulässigen Meßtoleranzen nicht überschreitet. Dieses sei nur dann gewährleistet, wenn das Labor erfolgreich an den entsprechenden Ringversuchen teilgenommen habe. Bei Blutalkoholanalysen durch Institute, die diese Vorausset-zungen noch nicht erfüllten, sei für eine Übergangszeit, bis diese Institute Gelegen-heit hatten, an einem Ringversuch erfolgreich teilzunehmen, von einem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,15 Promille auszugehen. Damit wird die Bedeutung der internen und externen Qualitätskontrolle bei der Blutalkoholanalytik eindringlich hervorgehoben. Inzwischen wurden hierzu ausführliche Verfahrens-richtlinien vorgeschlagen. Verbindlich vorgeschrieben wurde ihre Einhaltung bisher nicht. Der Beweisgrenzwert der absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 Promille gilt auch für die Führer von Krafträdern und Mofas. Für nichtmotorisierte Radfahrer hat der BGH 1986 den Grenzwert auf 1,7 Promille festgesetzt. Angesichts der Begründung für die Herabsetzung des 1,3-Grenzwerts auf 1,1 durch den BGH (s.o.) haben es mehrere Oberlandesgerichte für statthaft gehalten, den Sicherheitszuschlag auch bei der Festlegung des Grenzwerts für Radfahrer zu verringern. Das Ergebnis war ein Radfahrer-Grenzwert von 1,6 Promille. § 315 c StGB [Gefährdung des Straßenverkehrs] "(1)Wer im Straßenverkehr 1. ein Fahrzeug führt, obwohl er a) infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder b) infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder 2. (wird hier ausgelassen) und dadurch Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2). In den Fällen des Absatzes I Nr. 1 ist der Versuch strafbar. (3) Wer in den Fällen des Absatzes I 1. die Gefahr fahrlässig verursacht oder 2. fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Bei der in diesem Paragraphen beschriebenen Tat handelt es sich also um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Eine konkrete Gefährdung ist nur dann gegeben, wenn tatsächlich ein bestimmter Gegenstand (von bedeutendem Wert) oder eine bestimmte Person gefährdet wurde. Gefährdet werden können auch z.B. die Insas-sen des von dem Betreffenden geführten Fahrzeuges. Die allgemeine Gefahr, die sich schon daraus ergibt, dass ein Fahrer überhaupt alkoholisiert am Straßenver-kehr teilnimmt, reicht hierfür nicht aus und erfüllt lediglich den Tatbestand des § 316 StGB. Allerdings läßt die höchstrichterliche Rechtsprechung hier in jüngerer Zeit eine Änderung der Betrachtungsweise erkennen. Danach wird angenommen, dass der Beifahrer eines von einem Fahruntüchtigen geführten Kraftfahrzeugs auch dann schon konkret gefährdet ist, wenn es nicht zu einer kritischen Verkehrssituation kommt. Der BGH hat in einem Urteil vom 20.10.1988 den Standpunkt vertreten, dass der Beifahrer eines alkoholbeeinträchtigten Fahrers viel stärker gefährdet ist, als Personen und Sachen außerhalb des Fahrzeugs, weil der Fahrer sein Fahrzeug

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nicht mehr sicher beherrscht und deshalb jederzeit einen Unfall verursachen kann. Bei der Mitnahme von Fahrgästen wird danach auch bei einer folgenlosen Trun-kenheitsfahrt in der Regel der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung erfüllt sein. Ein wichtiger Auffangtatbestand für folgenlose Trunkenheitsfahrten mit Blutalkohol-konzentrationen unterhalb des strafrechtlich relevanten Grenzwerts wurde mit dem sog. 0,8-Promille-Gesetz im Straßenverkehrsgesetz (StVG) formuliert. Nach langer und kontroverser Diskussion erhielt das Gesetz 1998 die folgende Fassung: § 24 a StVG [Ordnungswidrigkeiten wegen Genusses von Alkohol oder berauschenden Mitteln] "(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkon-zentration führt. (2) (wird hier ausgelassen) (3) Ordnungswidrig handelt auch, wer die Tat fahrlässig begeht. (4) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und des Absatzes 2 mit einer Geldbuße bis zu dreitausend Deutsche Mark und im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 mit einer Geldbuße bis zu eintausend Deutsche Mark geahndet werden. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 3 beträgt der Regelsatz für die Geldbuße zweihundert Deutsche Mark." Das ursprüngliche „0,8-Promille-Gesetz“ war 1973 in Kraft getreten. Der Gesetzge-ber war davon ausgegangen, dass „nach dem Ergebnis der vielfältigen, im In- und Ausland durchgeführten Untersuchungen an sich bereits bei einem Blutalkoholwert zwischen 0,6 und 0,7 Promille so zahlreiche, tiefgreifende und vielgestaltige Leis-tungsminderungen vorliegen, dass von diesem Wert an die Mehrheit aller Kraftfah-rer eine nicht mehr hinzunehmende Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar-stellt“. Auch hier wurde also ein Sicherheitszuschlag berücksichtigt. Anders als beim Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit, bei dessen Überschreiten jeder Fahrer als fahruntüchtig angesehen wurde, wurde hier unterstellt, dass bei Überschreiten der 0,8-Promille-Grenze die Mehrheit der Fahrer eine potentielle Gefahr darstellt. Dieser neue Grenzwert wurde daher auch als Gefahrengrenzwert bezeichnet. Die Ordnungswidrigkeit sollte als Verwaltungsrecht die Trunkenheitsvergehen des Strafgesetzbuchs nicht ersetzen, sondern sie lediglich durch eine Zusatzregelung ergänzen, die der besseren Verwirklichung verkehrspolitischer Anliegen dient. Die Ordnungswidrigkeit stellte damit letztlich einen Auffangtatbestand dar. Nach langer öffentlicher und äußerst kontroverser Diskussion wurde dieses Ord-nungswidrigkeitengesetz 1998 durch mehrere neue Bestimmungen ergänzt, von denen hier nur zwei besprochen werden sollen: der neueingeführte zusätzliche Grenzwert von 0,5 Promille und die Festschreibung von eigenen Atemalkohol-Grenzwerten, die als Äquivalente zu den Blutalkohol-Grenzwerten bezeichnet wur-den. An sich war von vielen Seiten gefordert worden, den 0,8-Promille-Grenzwert auf 0,5 Promille herabzusetzen. Da dieses politisch schwer durchzusetzen war, resultierte ein Kompromiß: der bisherige Grenzwert blieb bestehen, aber es kam ein neuer 0,5-Promille-Grenzwert hinzu. Das Fahren mit einer BAK zwischen 0,5 und 0,79 Promille wird dabei mit einer wesentlich geringeren Sanktion bedroht. Ob die-

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ses eine glückliche Lösung war, steht dahin. Derzeit ist eine Korrektur jedenfalls nicht auszuschließen. Noch umstrittener war die Einführung eigener Atemalkohol-Grenzwerte. An dieser Stelle kann lediglich ein kurzer Einblick in die Problematik gegeben werden. Die Festlegung eigener Atemalkohol-Grenzwerte setzt voraus, dass die sog. „beweissi-chere“ Atemalkoholbestimmung wirklich beweissicher ist, was bis heute nicht wis-senschaftlich bewiesen ist. Zudem soll nach der Begründung des Gesetzgebers der Atemalkohol-Grenzwert von 0,4 mg/l dem Blutalkohol-Grenzwert von 0,8 Promille äquivalent sein und eine AAK von 0,25 mg/l soll einer BAK von 0,5 Promille ent-sprechen. Demnach wurde von einem Umrechnungsfaktor von 2,0 [Promille pro mg/l] ausgegangen, was dem Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen wider-spricht. Ein dritter Streitpunkt ist die Formulierung „oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atemalkoholkonzentration führt“. Die Formulierung im früheren § 24a StVG, die sich nur auf die Blutalkoholkonzentration bezog, war vom Schluß-Sturz-Trunk-Urteil des BGH übernommen worden (s.o.). Der BGH hatte dazu aus-geführt, dass der „Konzentrationsfehlbetrag“ bis zum Grenzwert durch die spezifi-sche Anflutungswirkung des Alkohols in der Resorptionshase zumindest ausgegli-chen würde. Dieser Annahme lag die richtige Vorstellung zugrunde, dass die BAK in der Resorptionsphase kontinuierlich bis zum Erreichen des Gipfelpunkts ansteigt. Auch wenn die Blutprobe während der Resorptionsphase entnommen wird, ent-spricht die darin festgestellte Konzentration also mindestens der Alkoholmenge im Blut. Dass dieses auch für die Atemalkoholkonzentration zutrifft, ist wissenschaftlich nicht bewiesen und nach dem bisherigen Kenntnisstand zu bezweifeln. Alle bisheri-gen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die AAK in der Resorptionsphase erheblich über der BAK liegt und starken Schwankungen unterlegen ist. Das Ergebnis eines Atemtests, der während der Resorptionsphase durchgeführt wird, kann daher zu hoch ausfallen und muss keineswegs der Alkoholmenge im Körper entsprechen. In diesem Zusammenhang muss noch das Problem der Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Atemalkoholuntersuchung angesprochen werden. Bei der Ent-nahme einer Blutprobe ist die Rechtslage klar. Sie ergibt sich aus der Strafproze-ßordnung (StPO). § 81 a StPO [Körperliche Untersuchung, Blutprobe] "(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Ent-nahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. (2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges auch der Staatsanwaltschaft und ihren Hilfsbeamten ... zu." In § 81 c StPO wird weitgehend Entsprechendes für Zeugen ausgeführt; hier steht die Anordnung aber nur dem Richter zu. Dass dem Betroffenen bei der Blutproben-entnahme kein gesundheitlicher Schaden erwachsen darf, ist eine Selbstverständ-lichkeit. Die Frage der Unzumutbarkeit ist am ehesten bei Blutern zu prüfen. Auch die Entnahme unter Zwang und gegen den Willen des Betroffenen muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehen.

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Bisher gibt es keine Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Atemalkoholunter-suchung gegen den Willen des Betroffenen. Diese dürfte auch technisch kaum durchführbar sein, da sie der aktiven Mitarbeit des Betroffenen bedarf. Das Erfor-dernis der aktiven Mitwirkung könnte auch verfassungsrechtlich problematisch sein, weil nach bisheriger Rechtsauffassung niemand gezwungen werden kann, an sei-ner eigenen Überführung mitzuwirken. Insofern unterscheidet sich der Atemtest von der Blutentnahme, weil letztere nur das bloße Erdulden voraussetzt. Tatsächlich wird bisher auf die Freiwilligkeit des Atemtests abgestellt. Wird er verweigert, muss nach wie vor auf eine Blutentnahme zurückgegriffen werden, was dem Betreffenden aber Nachteile einbringen kann und deshalb wiederum verfassungsrechtlich be-denklich sein dürfte. Ethanol und Schuldfähigkeit Alkoholgenuß in erheblichem Umfang kann die Schuldfähigkeit ausschließen oder erheblich einschränken. Dieses kann zwar auch bei alkoholbedingtenVerkehrsdelik-ten (§ 315 c oder 316 StGB), besonders bei Unfallflucht (§ 142 StGB) in Rede ste-hen. In der forensischen Praxis stehen aber andere Delikte im Vordergrund (Tö-tungs-, Eigentums- und Sittlichkeitsdelikte, Widerstand etc.). Für eine Tat zur Ver-antwortung gezogen werden kann nur derjenige, der schuldfähig ist. Nur wer eine bestimmte Altersstufe erreicht hat und nicht an einer schweren seelischen Störung oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung leidet, besitzt das Mindestmaß an Fähigkeit zur Selbstbestimmung, das von der Rechtsordnung vorausgesetzt wird. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, kann Straffreiheit (§ 20 StGB) oder Strafmilderung (§ 21 StGB) in Betracht kommen. Es kann auch der Tatbestand einer Rauschtat (§ 323a) gegeben sein (Siehe auch S. 29). § 20 StGB [Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen] "Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Stö-rung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." § 21 StGB [Verminderte Schuldfähigkeit] "Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermin-dert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden." Die Frage war, ob grundsätzlich von Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit auszugehen ist, wenn bestimmte Blutalkoholkonzentrationen über-schritten sind. Die höchstrichterliche Rechtsprechung war zunächst davon ausge-gangen, dass eine BAK von 2,0 Promille und mehr zur Tatzeit ein praktisch unwi-derlegbares Indiz für eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens ist. Ab einer BAK von 3,0 Promille komme Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB in Betracht. Diese Auffassung wurde in der juristischen Literatur überwiegend be-grüßt, nicht zuletzt, weil sie für praktikabel gehalten wurde und ein schematisches Vorgehen erlaubte. In der rechtsmedizinischen und forensisch-psychiatrischen Wissenschaft bestand demgegenüber Einigkeit darüber, dass die Blutalkoholkonzentration, schon gar

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wenn sie durch Rückrechnung über längere Zeit ermittelt wurde, zwar ein „wichtiger Mosaikstein“ ist, aber andererseits nur eine „grobe Orientierungshilfe“ darstellt. Entscheidend sind die Auswirkungen der Alkoholisierung auf die freie Willensbe-stimmung des Täters. Deshalb ist zur Prüfung von Art und Ausmaß der Beeinträch-tigung der Steuerungsfähigkeit das psychopathologische Bild zu bewerten, das sich aufgrund der Tatumstände, des Leistungsverhaltens des Täters, seiner Persönlich-keit und aktuellen Befindlichkeit ergibt. Dieser Auffassung hat sich der BGH letztlich nicht verschlossen und im Urteil vom 29.4.1997 eingeräumt, dass psychopathologische Kriterien nicht durch Überbeto-nung der Blutalkoholkonzentration vernachlässigt werden dürften. Es sei daher geboten, nicht bereits aufgrund eines Blutalkoholwerts auf das alkoholbedingte Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB und zugleich seine Bewertung als erheblich im Sinne des § 21 StGB zu schließen. Erst recht sei eine gleichsam automatische Anwendung der in das Ermessen des Tatrichters gestellten Rechtsfolge der Strafrahmenmilderung nicht bereits bei Feststellung eines bestimmten Blutalkoholwerts angebracht. Vielmehr müsse durch Gesamtbe-wertung aller feststellbaren Beweisanzeichen geprüft werden, ob aufgrund einer Alkoholintoxikationspsychose eine krankhafte seelische Störung zur Tatzeit vorge-legen hat und ob sie die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert hat. Liegen Blutalkoholkonzentrationen über 2,0 oder 3,0 Promille vor, so ist der Tatrich-ter hiernach lediglich verpflichtet, die Frage der erheblichen Verminderung oder der Aufhebung der Schuldfähigkeit zu prüfen. Die BAK ist hierbei ein Indiz, welches im Prozeß durch ein anderes Indiz ersetzt oder widerlegt werden kann. Fehlen solche anderen Indizien, so kann bereits der Blutalkoholwert in Verbindung mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ im Einzelfall zur Anwendung von § 20 oder § 21 StGB führen. Der Tatrichter ist auf der anderen Seite nicht gehindert, nach Anhörung von Sachverständigen psychopathologische Kriterien, die für oder gegen eine alkohol-bedingte Psychose des Straftäters zur Tatzeit sprechen könnten, mitzuberücksich-tigen. Die Aufhebung der vordem scharfen, an der BAK orientierten Grenzziehung zwi-schen voller Schuldfähigkeit und erheblich verminderter Schuldfähigkeit verdeutlicht andererseits, dass letztere prinzipiell auch bereits bei einer BAK unter 2,0 Promille vorliegen kann, was von Sachverständigen schon immer so gesehen wurde. Eine rauschbedingte Schuldunfähigkeit kann nach § 20 StGB also prinzipiell Straf-freiheit zur Folge haben. Nun wäre es aber grob ungerecht, z.B. einen Verkehrsteil-nehmer, der weniger Alkohol konsumiert hat, wegen eines Verstoßes gegen §§ 315c oder 316 StGB zu bestrafen, einen anderen aber völlig straffrei zu lassen, nur weil er so viel Alkohol getrunken hat, dass er schließlich sinnlos betrunken war. Deshalb hat der Gesetzgeber mit dem § 323a StGB einen Auffangtatbestand ge-schaffen. § 323 a StGB [Vollrausch] "(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berau-schende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dieses nicht auszuschließen ist. (2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

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(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte." Der Vollrausch ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Schuldvorwurf liegt im fahrlässigen (oder vorsätzlichen) Sich-Betrinken. Dieses ist aber nur dann strafbar, wenn in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Tat begangen wird. Der Gesetz-geber geht davon aus, dass man wissen kann, dass man durch den Konsum großer Mengen alkoholischer Getränke möglicherweise einen Vollrausch herbeiführen kann. Zur Erfüllung des Tatbestands ist nicht erforderlich, dass der Betreffende konkret mit der Begehung einer Straftat gerechnet hat. Vorsatz oder Fahrlässigkeit beziehen sich auf die Herbeiführung des Rausches und nicht auf das im Rausch begangene Delikt. Man kann daher auch wegen fahrlässigen Vollrausches bestraft werden, obwohl die strafbare Handlung Vorsatz erfordert (z.B. Unfallflucht nach § 142 StGB). Ein für juristische Laien nicht immer leicht zu verstehender Begriff ist die actio- libera-in-causa. Von ihr wird ausgegangen, wenn jemand sich in einen Rausch versetzt, obwohl er von vornherein damit rechnen muss, dass er in diesem Zustand eine Straftat begeht. Am einleuchtendsten (und häufigsten) ist folgende Konstellati-on: Jemand fährt mit seinem Fahrzeug zu einem Lokal, stellt dieses dort ab und beginnt Alkohol zu konsumieren ohne Vorsorgen zu treffen, die ihm die spätere Rückfahrt verunmöglichen. Das Prinzip der vorverlegten Schuld besagt nichts ande-res, als dass der Betreffende bereits bei Trinkbeginn, also im Zustand der Zurech-nungsfähigkeit, in Kauf genommen hat, dass er im späteren Rausch sein Fahrzeug in Gang setzt. In einem solchen Fall ist er für die begangene Tat voll verantwortlich und wird nach §§ 315 c oder 316 StGB bestraft. Führt der Täter diesen Zustand vorsätzlich herbei, oder weiß er, dass er in dem erwarteten Zustand eine strafbare Handlung begehen wird, so liegt eine vorsätzliche actio-libera-in-causa vor. Die Rechtsfigur der actio-libera-in-causa ist in jüngerer Zeit allerdings wieder in die Diskussion geraten. Der BGH hat in einem Urteil vom 22.8.1996 nämlich erklärt, die Grundsätze der actio-libera-in-causa seien auf eine Straßenverkehrsgefährdung und auf das Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht anwendbar, weil die entsprechenden Straftaten voraussetzen, dass der Täter das Fahrzeug „führt“. Der Begriff des Füh-rens sei aber noch nicht einmal erfüllt, wenn der Täter in der Absicht, alsbald weg-zufahren, den Motor seines Fahrzeugs anläßt und das Abblendlicht einschaltet. Umsomehr müsse eine Ausdehnung auf zeitlich vorverlagerte Handlungen aus-scheiden. Im Sich-Berauschen in Fahrbereitschaft liege dementsprechend noch nicht der Beginn der Trunkenheitsfahrt. Demgegenüber hielt der 3. Strafsenat in seinem Beschluss vom 19.2.1997 an den Grundsätzen der actio-libera-in-causa fest. Diese Auffassung ist kritisiert worden. Es wurde u.a. eingewandt, dass das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand oder ohne Fahrer-laubnis auch auf Fahrlässigkeit beruhen kann. Die Sorgfaltswidrigkeit, die zu einem solchen Geschehen führe, liege also ebenfalls zeitlich zurück. Entscheidend sei, dass die Tathandlung bereits mit dem Ansetzen zum Aus-der-Hand-Geben des Geschehensablaufs beginne; es genüge, wenn zu diesem Zeitpunkt Schuld gege-ben sei. Die Diskussion wird weitergeführt. Ethanol in der Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit

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Im Zivilrecht haftet jeder Verkehrsteilnehmer für den Schaden, den er alkoholbe-dingt verursacht hat, aus § 823 BGB, denn er verletzt zumindest fahrlässig die dort aufgezählten fremden Rechtsgüter. § 823 BGB [Schadensersatzpflicht] "(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." (2) (hier unwichtig) Im Sozialrecht wurden die Voraussetzungen und Modalitäten der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen durch die Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt, die sich jetzt im Sozialgesetzbuch VII findet. Als Arbeitsunfall zählt auch ein Unfall auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz. Es wird bestimmt, dass die Leistung ganz oder teilweise versagt werden kann, wenn der Verletzte den Arbeits-unfall beim Begehen einer Handlung erleidet, die nach rechtskräftigem strafgericht-lichem Urteil ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen darstellt. Diese Be-stimmung kommt also nur für die Fälle der vorsätzlichen Begehung von Straftaten der §§ 315c und 316 StGB in Betracht. Meistens allerdings liegt nur Fahrlässigkeit vor. In diesem Fall ist zu prüfen, ob durch die Trunkenheit der innere Zusammen-hang der Tätigkeit (Fahrt) mit dem Betrieb gelöst war, d.h. kein Arbeitsunfall vorlag. In den übrigen Fällen wird nach dem Bundessozialgericht zur Unterbrechung des Zusammenhanges mit dem Betrieb verlangt, dass der Betreffende alkoholbedingt fahruntüchtig war und dass die Alkoholisierung die rechtlich allein wesentliche Ur-sache des Unfalls war. In der privaten Unfallversicherung ist eine Leistungspflicht nach § 3 Abs. 4 AUB (Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen) ausgeschlossen, wenn der Unfall infolge von „Geisteskrankheit oder Bewußtseinsstörungen“ eintrat, „auch soweit diese durch Trunkenheit verursacht sind“. Im allgemeinen wird alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit mit alkoholbedingter Bewußtseinsstörung gleichgesetzt. Der Beg-riff der Bewußtseinsstörung ist also nicht deckungsgleich mit dem des allgemeinen Sprachgebrauchs. Grenzwerte Aus den obigen Ausführungen folgt, dass es in Deutschland eine ganze Reihe von Alkohol-Grenzwerten gibt, die in Tabelle 2 zusammengestellt sind. Tab. 2 zeigt die derzeit in Deutschland geltende Grenzwerte der Blut- (BAK) und Atemalkoholkonzentration (AAK). BAK-Grenzwerte 0,3 Promille untere Grenze der „relativen Fahruntüchtigkeit“ von Kraftfahrern (BGH) 0,5 Promille Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 Nr. 2 StVG 0,8 Promille Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 Nr. 1 StVG 1,1 Promille „absolute Fahruntüchtigkeit“ von Kraftfahrern (BGH) 1,6 Promille Regelvermutung chronischer Mißbrauch 1,6 Promille „absolute Fahruntüchtigkeit“ von Radfahrern (mehrere OLGs) 1,7 Promille „absolute Fahruntüchtigkeit“ von Radfahrern (BGH) 1,7 Promille „absolute Fahruntüchtigkeit“ von Schiffsführern (OLG Köln) 2,0 Promille Regelvermutung erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) 3,0 Promille Regelvermutung Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) AAK-Grenzwerte 0,25 mg/l Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 Nr. 2 StVG 0,40 mg/l Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 Nr. 1 StVG

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Pharmakokinetik des Ethanols Ethanol gelangt gewöhnlich durch den Konsum alkoholischer Getränke in den menschlichen Organismus. Physiologischerweise wird Ethanol über die Schleim-häute aufgenommen. Ein Teil kann daher bereits über die Mund- und Speiseröh-renschleimhaut resorbiert werden; wegen der kurzen Verweildauer in der Mundhöh-le und im Oesophagus kann dieser Effekt aber vernachlässigt werden. Auch die Magenschleimhaut spielt eine vergleichsweise geringe Rolle (maximal 20 %). Hauptort der Resorption ist die Schleimhaut des Dünndarms.

Unter Resorption versteht man eigentlich einen aktiven Transportprozeß. Bei der Alkoholresorption handelt es sich in Wirklichkeit aber um einen reinen Diffusionsvorgang, der entsprechend den physikali-schen Gesetzen zu einem Ausgleich von Konzentra-tionsdifferenzen entsprechend dem Diffusionsgefälle führt. Die Geschwindigkeit dieses Diffusionsprozes-ses wird u.a. von der Menge und dem Ethanolgehalt des konsumierten Getränks bestimmt. Von Bedeu-tung sind aber auch der Füllungszustand des Ma-gens und des oberen Dünndarms, die Motilität des Magen-Darm-Traktes (besonders der Pylorustonus) und die Durchblutung der Schleimhäute. Der jeweili-

ge Einfluß dieser Faktoren ist im wesentlichen bekannt. Die Zusammenführung aller beschleunigenden und verlangsamenden Faktoren kann im Einzelfall aber durch-aus Schwierigkeiten bereiten. Sicher ist, dass die Alkoholresorption in Abhängigkeit von Konsum und Flüssig-keitsmengeaußerordentlich schnell verlaufen kann. Bei nahrungsmäßiger Nüch-ternheit ist die Resorption im Durchschnittsfall spätestens nach etwa 30 – 60 Minu-ten abgeschlossen. Beim Konsum geringer Mengen konzentrierter Getränke kann die Resorption des darin enthaltenen Alkohols aber auch schon nach 10 Minuten beendet sein. Durch reichliche Nahrungsaufnahme, Konsum größerer Mengen geringkonzentrierter Getränke oder bei Magenentleerungsstörungen kann die Re-sorptionsgeschwindigkeit aber auch erheblich verlangsamt werden. Störungen der Magenmotilität können z.B. durch vegetative oder psychische Störungen erzeugt werden (Angst, Ekel, Übelkeit). Schnelle Alkoholaufnahme kann einen Pylorospas-mus zur Folge haben, wodurch die Resorption erheblich verzögert werden kann. Wird andererseits die Funktionsfähigkeit des Pförtners operativ ausgeschaltet (sog. Pyloromyoplastik), wird der Alkohol erheblich schneller resorbiert, als bei intaktem Pylorus. Bedenkt man, dass Öffnung und Schließung des Pförtners durch autonome Reflexe und durch hormonale Rückkoppelung gesteuert werden und dass hierdurch für bestimmte Nahrungsmittel unterschiedliche Magenverweildauern resultieren, dann wird verständlich, dass auch die Art der Nahrung die Resorptionsgeschwindigkeit beeinflußt. Kohlenhydratreiche Nahrung verweilt beispielsweise nur kurz im Magen, eiweißreiche länger und fettreiche am längsten. Eine fettreiche Mahlzeit kann daher durch Hemmung der Magenentleerung die Alkoholresorption erheblich verlängern.

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Bilanziert man zwischen der insgesamt konsumierten Alkoholmenge und der im Organismus verteilten Menge, so ergibt sich immer ein Defizit, das sog. Resorpti-

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onsdefizit; ein Teil des in den Magen-Darm-Trakt gelangten Ethanols geht also verloren. Dieser Resorptionsverlust ist umso größer, je langsamer die Resorption erfolgt. Bei leerem Magen und geringer Trinkmenge beträgt das Resorptionsdefizit meist etwa 10 %; bei vollem Magen und größerer Trinkmenge kann es auch über 30 % erreichen. Eine überzeugende Begründung hierfür ist bis heute nicht vorge-legt worden. Die frühere Annahme, dass ein Teil des Alkohols an nicht resorbierba-re Nahrungsbestandteile adsorbiert wird, ist inzwischen praktisch widerlegt. Eine chemische Bindung durch Veresterung mit Aminosäuren o.ä. ist eher unwahr-scheinlich. Die biochemische Forschung erklärt das Phänomen des Resorptionsdefizits meist durch den sog. „First-pass“-Metabolismus, also einen enzymatischen Abbau vor der Verteilung im Körper. Mit „First-pass“ war zunächst die Erstpassage durch die Leber gemeint. Da der resorbierte Alkohol über die Pfortader der Leber zugeführt wird, diese also während der Erstpassage vollständig durchströmt, hatte man die Vorstellung, dass bei dieser Erstpassage mehr Ethanol metabolisiert werden kann, als nach der Verteilung im Körper, da schon bei der Zweitpassage nur noch eine Teilmenge Alkohol in die Leber rezirkuliert. Gegen einen solchen Mechanismus spricht aber, dass die Leber-ADH durch das rezirkulierende Blut sehr rasch saturiert wird; über die Pfortader nachströmender Alkohol kann also nicht rascher metabolisiert werden, als rezirkulierender. Der First-Pass-Effekt könnte demnach allenfalls während der Erstpassage der ersten Teil-menge des resorbierten Alkohols eine (dann wohl untergeordnete) Rolle spielen. Bei verzögerter Resorption müßte das Resorptionsdefizit also eher kleiner sein, was der Erfahrung aber widerspricht. Genau umgekehrt gehen andere Autoren davon aus, dass der mit der Pfortader zugeführte Ethanol in der Frühphase langsamer abgebaut wird. An sich ist ja nach-vollziehbar, dass die Ethanolkonzentration in der Pfortader gerade bei sehr lang-samer Resorption und geringer Ethanolbelastung so niedrig sein kann, dass die Leber-ADH noch nicht gesättigt ist, also nur vergleichsweise wenig Ethanol metabo-lisiert wird, weniger, als in der postresorptiven Phase. Da bei der retrograden Extra-polation der Alkoholkurve auf die Ordinate nach der Vorstellung Widmarks aber von einer gleichbleibenden Eliminationsgeschwindigkeit ausgegangen wird, muß unter diesen Voraussetzungen ein zu hohes c0 ermittelt werden. In Wirklichkeit sei das Resorptionsdefizit demnach ein Berechnungsartefakt. Inzwischen sind auch prähepatische „First-pass“-Mechanismen in Erwägung gezo-gen worden. Im Rattenversuch konnte durch den Vergleich zwischen intravenöser, intragastrischer, intraduodenaler und intraportaler Infusion gezeigt werden, dass das Resorptionsdefizit fast ausschließlich auf Alkoholabbau im Magen zurückgeht. Hierfür könnte verantwortlich sein, dass auch in der Magenschleimhaut ADH nach-gewiesen wurde. Bei aller Zurückhaltung, die immer angebracht ist, wenn man das Ergebnis von Tierversuchen auf den Menschen übertragen möchte, würde ein sol-cher Mechanismus jedenfalls erklären, dass die Größe des Resorptionsdefizits mit der Magenverweildauer korreliert ist. Der resorbierte Alkohol wird mit dem Blutstrom verteilt und durch Diffusion bis zum Erreichen des Diffusionsgleichgewichts von den Organen und Geweben aufge-nommen. Bis dahin ist die Alkoholkonzentration auf der arteriellen Seite des großen Kreislaufs höher, als auf der venösen. Der Ausgleich zwischen Blut- und Gewebe-alkohol erfolgt in den einzelnen Organen unterschiedlich schnell; die Geschwindig-

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keit wird durch die Durchblutungsgröße bestimmt. Da in die gut durchbluteten Or-gane (z.B. Gehirn) wesentlich mehr Alkohol gelangt, ist das arteriovenöse Gefälle hier geringer, als in weniger durchbluteten (z.B. Muskulatur). Zugleich wird auch das Maximum der Blutalkoholkurve in diesen Organen schneller erreicht. Der Konzentrationsausgleich zwischen Blut und Hirngewebe erfolgt wegen der starken Durchblutung besonders rasch. Daher ist im Gehirn während der Resorpti-onsphase mehr Alkohol, als in den anderen Organen. Hierauf ist zurückzuführen, dass die Ausfallserscheinungen bei gleich hoher BAK in der Resorptionsphase stärker sind, als in der Eliminationsphase („Anflutungswirkung“). Auch die Nieren gehören zu den stark durchbluteten Organen. Der Konzentrations-ausgleich zwischen arteriellem Blut und Nierengewebe wird rasch erreicht, erkenn-bar daran, dass das arterielle Blut und das Nierenvenenblut den gleichen Alkohol-gehalt aufweisen. Trotzdem steigt die Urinalkoholkonzentration in der Resorptions-phase langsamer an, als die Blutalkoholkonzentration, was daran liegt, dass die Blase zunächst alkoholfreien Urin enthält, der einen Verdünnungseffekt ausübt. In der Eliminationsphase liegt dagegen die Blasenurin-Alkoholkonzentration über der Blutalkoholkonzentration. Die BAK sinkt ja infolge der Metabolisierung ab, während die Blasenurin-Alkoholkonzentration nur über den nun auch fortlaufend weniger Ethanol enthaltenden Ureterenurin verdünnt wird. So gesehen handelt es sich bei der Blasenurinkonzentration (Miktionen ausser acht gelassen) bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Wassergehalte um eine Resultante aller, während und nach einer Alkoholaufnahme jemals vorliegenden Blutalkoholkonzentrationen. Die Lungen nehmen bei der Verteilung des Alkohols im Organismus eine Sonder-stellung ein, die auf folgendes zurückzuführen ist: der Alkohol gelangt zunächst in die Pfortader, nach der Leberpassage über die untere Hohlvene in das rechte Herz und von hier in die Lungen. Erst nach der Lungenpassage wird er über das linke Herz in den großen Kreislauf verteilt. Mit anderen Worten: die Lungen unterliegen (wie die Leber) während der Resorptionsphase einem „First-pass“-Effekt; sie erhal-ten hochkonzentriertes alkoholhaltiges Blut vor dem Gehirn und vor allen anderen Organen. Da ein Teil des Alkohols in das Lungengewebe diffundiert und über die Atemluft ausgeschieden wird, gelangt nur noch niedriger konzentriertes Blut über die Aorta in das Gehirn und andere Organe. Bei deren Durchströmung wird wieder Alkohol abgegeben, weshalb das venöse Blut noch einmal weniger Alkohol erhält. Hieraus ergibt sich in der Konsequenz, dass in der Resorptionsphase die Lungen-BAK höher ist, als die arterielle BAK (auch des Gehirns) und diese höher, als die venöse. Das Verteilungsgleichgewicht im Körper kann erst erreicht werden, wenn die Re-sorption vollständig abgeschlossen ist. Der Alkoholgehalt der einzelnen Gewebe folgt deren Wassergehalt. Organe mit hohem Wassergehalt weisen eine hohe Or-gan-Alkoholkonzentration auf und umgekehrt. Dieses Gleichgewicht gilt für die gesamte Eliminationsphase, in der die Alkoholkonzentration der Gewebe und Kör-perflüssigkeiten wie die des Bluts ständig verringert wird. Der Verteilungsfaktor "r" Widmark (1932) hatte das Verhältnis der Alkoholkonzentration im Gesamtkörper zu der im Blut indirekt berechnet. Er war davon ausgegangen, dass der im Körper

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vorhandene Alkohol (a) dem Produkt aus der Blutalkoholkonzentration (c), dem Körpergewicht (p) und dem Verhältnis Körperalkohol/Blutalkohol (r) entspricht:

a = c × p × r. Würde sich der gesamte Alkohol im Augenblick des Konsums schlagartig im Körper verteilen, dann entspräche folglich die aufgenommene Alkoholmenge (A) dem Pro-dukt aus der Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt 0 (c0), dem Körpergewicht und dem Verteilungsfaktor: A = c0 × p × r. Da c0 der Schnittpunkt der linearen Blutalko-holkurve mit der Ordinate ist, kann die Ausgangskonzentration durch Extrapolation der Blutalkoholkurve im Trinkversuch ermittelt werden. Bei Einsatz der Trinkmenge und des Körpergewichts kann folglich der nach ihm benannte Widmarksche Vertei-lungsfaktor r berechnet werden, was allerdings vollständige Resorption voraussetzt. In einer Versuchsserie ermittelte Widmark für „r“ einen Mittelwert von 0,68 für Män-ner und von 0,55 für Frauen, wies aber darauf hin, dass erhebliche interindividuelle Abweichungen von diesen Mittelwerten vorkommen. In der forensischen Praxis hat sich die Verwendung eines Verteilungsfaktors von 0,6 für Frauen und von 0,7 für Männer eingebürgert, wobei im Einzelfall aber durchaus Abweichungen nach unten oder oben berücksichtigt werden. Für den "weiblichen" Wert ist der höhere Fettan-teil des Körpers verantwortlich, dementsprechend muss man bei adipösen Männern ebenfalls der Faktor 0,6 verwenden. Abbau des Ethanols Die Elimination des Ethanols erfolgt hauptsächlich über den enzymatischen Abbau zu Acetaldehyd (ca. 90 – 95 %). Drei Enzyme sind hierzu in der Lage: die cytosoli-sche Alkoholdehydrogenase (ADH) hauptsächlich der Leber, das mikrosomale ethanol-oxidierende System des endoplasmatischen Reticulums (MEOS) und die in Peroxisomen lokalisierte Katalase. Die ADH spielt unter normalen Bedingungen die wichtigste Rolle beim enzymati-schen Abbau des Ethanols in der Leber (Abb. 4). Bei der von der ADH katalysierten Oxidation kommt es zunächst zur Bildung eines Tertiärkomplexes aus NAD+, Etha-nol und ADH. Die eigentliche Reaktion ist die Übertragung des Wasserstoffs aus dem Ethanolmolekül auf NAD+, wobei Acetaldehyd entsteht und das Enzym wieder freigesetzt wird. Der geschwindigkeitsbestimmende

NAD+ NAD+NADH NADH

Ethanol Acetaldehyd Acetat

Alkoholdehydrogenase Acetaldehyddehydrogenase

NAD+ NAD+NADH NADH

Ethanol Acetaldehyd Acetat

Alkoholdehydrogenase Acetaldehyddehydrogenase Abb. 4: Hauptweg des Metabolismus von Ethanol und Acetaldehyd in der Leber Faktor ist nicht die Enzymaktivität selbst, sondern die Rate der NADH-Reoxidation. Die ADH hat für Ethanol eine Michaelis-Konstante von unter 2 mM, sie ist also bereits bei einer Ethanolkonzentration von etwa 0,1 Promille halb, bei einer solchen von 0,5 Promille nahezu vollständig gesättigt. Hieraus erklärt sich, dass schon bei sehr niedrigen Konzentrationen die maximale Abbaugeschwindigkeit des Ethanols erreicht ist.

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In der Leber kommen verschiedene Isoenzyme der ADH vor. Für den Ethanolabbau wichtig sind insbesondere die Isoenzyme der Klasse I, die durch beliebige dimeri-sche Assoziation von α-,β- und γ-Polypeptid-Untereinheiten gebildet werden, kon-trolliert von drei verschiedenen Gen-Loci (ADH1, ADH2 und ADH3). Sie kommen nicht nur in der Leber, sondern auch in der Mucosa des Magen-Darm-Trakts und in der Lunge vor. An den Loci ADH2 und ADH3 wurden verschiedene Allel-Varianten nachgewiesen. Lebern, die den normalen homozygoten ADH2-Phänotyp (β1β1) enthalten, zeigen ein pH-Optimum bei 10,0-11,0, während Lebern mit einem atypi-schen heterozygoten (β1β2)- oder einem atypischen homozygoten (β2β2)-Phänotyp ein pH-Optimum bei 8,5 haben. Diese „atypische ADH“ hat folglich ein pH-Optimum, welches wesentlich weiter im physiologischen Bereich liegt. Die atypi-sche homodimere Variante hat einen signifikant höheren Km-Wert und eine höhere Vmax für Ethanol, als die heterodimere und alle anderen Varianten. Die atypische ADH kommt in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in sehr unterschiedlicher Häufigkeit vor. In Europa wurden meist Frequenzen zwischen 5 und 15, maximal 20 % festgestellt, in asiatischen Populationen (China, Japan) aber meist über 85 bis maximal 98 %. Die kinetischen Besonderheiten der atypischen ADH ließen prinzipiell daran denken, dass Personen, die dieses Enzym besitzen, insbesondere bei hohen Blutalkoholkonzentrationen Ethanol schneller abbauen, als Personen mit typischer ADH. Da die atypische ADH in der mongoliden Bevölkerung vielfach häufiger vorkommt, schien hierzu auch die Beobachtung zu passen, dass die Ethanol-Eliminationsraten bei Chinesen und Japanern im Durchschnitt über der von Kaukasoiden liegt. Bei Mongoliden wird häufig nach Alkoholaufnahme ein un-gewöhnlich hoher Acetaldehydspiegel festgestellt. Auch dieses wurde als Indiz für einen beschleunigten Abbau von Ethanol gesehen. In anderen Studien konnte jedoch nicht belegt werden, dass zwischen der Eliminationsrate von Trägern der atypischen ADH und der typischen ADH signifikante Unterschiede bestehen. Die wirkliche Bedeutung der ADH-Isoenzyme ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Pyrazol ist in vitro ein potenter Hemmstoff für die ADH. In vivo zeigte sich jedoch, dass Pyrazol den Alkoholabbau in der Leber nur teilweise hemmt. Mit steigender Alkoholkonzentration wurde eine Zunahme des durch Pyrazol nicht hemmbaren Anteils des Ethanolmetabolismus in der Leber festgestellt. Hieraus wurde abgelei-tet, dass neben der ADH auch ein ADH-unabhängiger Abbauweg insbesondere bei höheren Alkoholkonzentrationen existiert. Inzwischen ist gesichert, dass der ADH-unabhängige Ethanolmetabolismus dem mikrosomalen alkoholoxidierenden System (MEOS) zuzuschreiben ist. MEOS ist NADPH-abhängig und mit den Cytochrom-P450-Oxygenasen in enger Beziehung (Abb. 5). Dass MEOS am Ethanolabbau beteiligt ist, wird auch deshalb als bewiesen ange-sehen, weil die erhöhte Eliminationsgeschwindigkeit bei hohen Alkoholkonzentrati-onen nicht durch die Wirkung der konzentrationsunabhängigen ADH erklärt werden kann. Auch die gesteigerte Oxidationsrate bei chronischem Alkoholmißbrauch wird auf MEOS zurückgeführt; MEOS kann im Gegensatz zur ADH nämlich durch häufi-ges Substratangebot stimuliert werden. Schließlich stimuliert Ethanol auch den Metabolismus zahlreicher Medikamentenwirkstoffe, für deren Abbau MEOS zustän-dig ist.

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NADPH

NADP

PhospholipidEthanol

O2

H O2

Acetaldehyd

Cytochrom P450

NADPH-Cytochrom P -

Reduktase450

Reduziert

Reduziert

Oxidiert

Oxidiert

Abb. 5: Beteiligung mikrosomaler Enzyme am Mikrosomalen Ethanol-oxidierenden System (MEOS) MEOS weist für Ethanol eine Michaeliskonstante von 10 mM auf. Bereits bei einer Alkoholkonzentration von 0,5 Promille zeigt das Enzymsystem also seine halbma-ximale Aktivität. Man schätzt, dass MEOS bereits in diesen Konzentrationsberei-chen mit etwa 25 % am Alkoholabbau beteiligt ist. Der maximale Umsatz durch MEOS findet oberhalb von etwa 2,5 Promille statt. MEOS spielt daher besonders bei chronischem Alkoholmißbrauch eine wichtige Rolle, was die bekannte Beobach-tung zu erklären vermag, dass die Eliminationsrate bei chronischen Alkoholikern auffallend hoch ist. Auch die Katalase kann am Alkoholabbau beteiligt sein. Der limitierende Faktor der Katalaseaktivität ist die Bereitstellung von Wasserstoffperoxid. Da Katalase haupt-sächlich in den Peroxisomen vorkommt, die eine Reihe von Oxidasen enthält, ist dieser Abbauweg nicht auszuschließen. Früher glaubte man, dass bis zu 20 oder sogar 25 % des Alkoholabbaus der Katalase zugemessen werden kann. Heute ist man generell der Meinung, dass dieser Abbauweg eher unbedeutend ist. Die Oxidation von Ethanol, gleich auf welchem Wege, führt zu seinem Metaboliten Acetaldehyd. Für dessen Weiterabbau stehen mehrere unspezifische Enzyme zur Verfügung, etwa die Aldehydoxidase und die Xanthinoxidase. Der Hauptabbau erfolgt jedoch über die NAD+-abhängige Aldehyddehydrogenase (ALDH). Die von der ALDH katalysierte Reaktion ist irreversibel und verläuft über einen Binärkom-plex aus Enzym und NAD+. Hierdurch entsteht Acetat. Es existieren mindestens zwei verschiedene Gruppen von Acetaldehyddehydroge-nasen, die sich durch ihre Lokalisation und zahlreiche weitere Eigenschaften von-einander unterscheiden. Eine Gruppe (ALDH I und II) ist an die mitochondriale Matrix gebunden und hat eine sehr niedrige Michaelis-Konstante für Acetaldehyd im mikromolaren Bereich. Die zweite Gruppe (ALDH III und IV) ist vorwiegend im Cy-tosol lokalisiert, kommt aber auch in Mitochondrien vor. Diese zweite Gruppe zeich-net sich durch eine sehr hohe Michaelis-Konstante für Acetaldehyd von etwa 1 M aus [1268]. Umgekehrt ist die Michaelis-Konstante von ALDH I und II für das Coenzym NAD+ im millimolaren Bereich, die von ALDH III und IV aber im mikromo-laren Bereich. Daher wird NAD+ von den „low-Km“-Isoenzymen als Coenzym bevor-zugt, die „high-Km“-Isoenzyme können aber auch NADP benutzen. Wegen der ho-hen Michaelis-Konstante nimmt man an, dass die cytoplasmatische ALDH mit ihrer relativ niedrigen Affinität zum Acetaldehyd für dessen Oxidation keine bedeutende Rolle spielt. Bei ALDH I, II und III wurden Enzymvarianten nachgewiesen, von denen diejenige der ALDH I besondere Aufmerksamkeit erfahren hat. Es wurde nämlich festgestellt,

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dass dieses Enzym bei Kaukasoiden und Negriden regelmäßig vorkommt, dass bei Orientalen, besonders Mongoliden, aber auch südamerikanischen Indianern in bis zu etwa 50 % der Fälle eine ALDH-I-Defizienz besteht. Es wurde bewiesen, dass die Inaktivierung des Enzyms auf eine Punktmutation zurückzuführen ist. Die aktive Form dieses Enzyms wird seither als ALDH I1 bezeichnet und die inakti-vierte ALDH I2. Man nimmt an, dass es sich um Allele handelt, die von demselben Genort codominat exprimiert werden. Daraus wurde abgeleitet, dass es außer ho-mozygoten Genotypen mit bzw. ohne Enzymaktivität auch heterozygote Genotypen mit schwacher Aktivität geben muß. Auch dieses wurde inzwischen bewiesen und durch Familienstudien untermauert. Die Defizienz von ALDH I wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Betreffenden nach gleichem Alkoholkonsum erheblich höhere Blut-Acetaldehydspiegel aufwei-sen, als normale Personen. Dieses führt zu einer Reihe von Reaktionen, von denen das Flushing am bekanntesten ist. Das Flushing, am einfachsten erkennbar an der ziemlich rasch einsetzenden Gesichtsrötung, ist auch aus der Disulfiram- (Antabus-)-Aversionstherapie bekannt, bei welcher ebenfalls an eine Anreicherung von Ace-taldehyd durch Inhibition der ALDH gedacht wurde. Eliminationskinetik des Ethanols Widmark war davon ausgegangen, dass die Blutalkoholkurve in der postresorptiven Phase linear abfällt. Dieses würde einer Kinetik 0. Ordnung entsprechen. Diese Vorstellung wurde in die forensische Praxis übernommen, da sie für die Rückrech-nung auf die Tatzeit-BAK einfache Voraussetzungen bietet. Von Biochemikern wurde entgegengehalten, es sei unmöglich, dass irgendein Stoff in allen Konzentra-tionsbereichen linear eliminiert wird; es könne sich immer nur um eine Michaelis-Menten-Kinetik handeln. Tatsächlich hatte schon Widmark eingeschränkt, dass ein linearer Abfall nur statt-finden kann, solange Ethanol in einem gewissen Überschuß im Verhältnis zu den an der Reaktion beteiligten Stoffen vorhanden ist. Unterhalb dieses Wertes komme es zu einer exponentiellen Verringerung. Auch dieses wurde seit langer Zeit in der forensischen Praxis berücksichtigt. Wurde in einer Blutprobe eine Alkoholkonzent-ration unter 0,1 Promille nachgewiesen, galt eine lineare Rückrechnung als obsolet. Es sei daran erinnert, dass die Michaelis-Konstante der ADH für Ethanol unterhalb 2 mM liegt, was einer BAK von etwa 0,1 Promille entspricht (s.o.). Detoxikation Bestimmte körpereigene, aber auch körperfremde Stoffe können in der Leber Um-wandlungsreaktionen unterzogen werden, die entweder unmittelbar eine Verringe-rung der toxischen Wirkung dieser Substanzen zur Folge haben oder auch mittelbar zu einer beschleunigten Ausscheidung führen, z.B. durch Erhöhung der Wasserlös-lichkeit. Dieser Vorgang wird Entgiftung oder Detoxikation genannt. Eine Erhöhung der Wasserlöslichkeit wird insbesondere durch Konjugation mit Glucuronsäure erreicht. Für die Glucuronidbildung ist „aktive Glucuronsäure“ erforderlich, die durch enzymatische Oxidation aus Uridindiphospatglucose entsteht. Hydroxylver-bindungen können mit der UDP-Glucuronsäure unter Mitwirkung der UDP-

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Glucuronyl-Transferase gekoppelt werden. Durch Konjugation mit der Hydro-xylgruppe entstehen Glykoside. Nachdem die Arbeitsgruppe um Bonte bereits zu Beginn der achtziger Jahre indi-rekt, nämlich durch enzymatische Spaltung der Glucuronide, den Beweis erbracht hatte, dass höhere aliphatische Alkohole teilweise in glucuronidierter Form vorlie-gen, waren 10 Jahre später mehrere Arbeitsgruppen der Frage nachgegangen, ob auch Ethanol diesem Detoxikationsprozeß unterliegt. Dieses ist tatsächlich der Fall. Allerdings werden nur etwa 0,04 % der konsumierten Ethanolmenge auf diesem Wege ausgeschieden. Gleichwohl ist dieses von forensischer Bedeutung. Ethylglu-curonid kann nur in der Leber gebildet werden, setzt also den Konsum alkoholi-scher Getränke voraus. Das Fehlen von Ethylglucuronid wurde daher als Bestäti-gung der Behauptung gewertet, Ethanol müsse bei oder nach der Blutprobenent-nahme, also extracorporal, in eine Blutprobe gelangt sein. Aus dem Konzentrati-onsverhältnis der Glucuronide von Ethanol und Fuselalkoholen in einer Urinprobe sind darüberhinaus zeitliche Rückschlüsse auf das Intervall zwischen Trinkbeginn und Harnprobensicherung möglich. Ausscheidung Ein vergleichsweise geringer Teil des aufgenommenen Alkohols wird in den Urin, den Körperschweiß und die Atemluft ausgeschieden. Der Anteil, der in den Urin übergeht, liegt zwischen etwa 0,5 und 2,0 %. Er nimmt mit wachsendem Harnvolu-men zu. Durch forcierte Diurese läßt sich gleichwohl eine merkliche Beeinflussung der Blutalkoholkonzentration nicht erzielen. Mit dem Schweiß wird weniger als 0,5 % der aufgenommenen Alkoholmenge ausgeschieden. Dieser Anteil wird auch durch starkes Schwitzen nicht wesentlich gesteigert. Von praktischer Bedeutung ist die Ausscheidung in die Atemluft. Der prozentuale Anteil der abgeatmeten Alkoholmenge an der dem Körper zugeführten Gesamt-menge liegt zwischen etwa 0,5 und 5,0 %. Je höher die Blutalkoholkonzentration ist, umso größer ist auch die in der Atemluft ausgeschiedene Alkoholmenge. Durch eine Erhöhung des Atemminutenvolumens durch Steigerung der Atemfrequenz und Vertiefung der Atmung kann die Ausscheidung in die Atemluft geringfügig vermehrt werden. Eine merkliche Veränderung der Blutalkoholkonzentration wird hierdurch nicht erzeugt. Die Ausscheidung des Alkohols in die Atemluft erfolgt durch Diffusion des Alkohols aus den Lungenkapillaren in die Alveolarluft. Zwischen beiden Kompartimenten stellt sich relativ rasch ein Verteilungsgleichgewicht ein, welches dem Henry-Daltonschen Gesetz folgt. Für eine bestimmte Temperatur ist hiernach der Löslich-keitskoeffizient unabhängig von der Alkoholkonzentration. Wenn der sog. Ostwald-sche Löslichkeitskoeffizient bekannt ist, müßte man folglich aus der Alkoholkon-zentration der Alveolarluft die Alkoholkonzentration im Lungenkapillarblut errechnen können. Da es aus anatomischen und meßtechnischen Gründen unmöglich ist, Alveolarluft und Lungenkapillarblut zu analysieren, wurde als Modell für das Konzentrationsver-hältnis zwischen beiden das auf physikalischen Voraussetzungen beruhende Ver-teilungsverhältnis des Alkohols zwischen Luft und Wasser bzw. zwischen Luft und Blut herangezogen. In-vitro-Versuche ergaben, dass das Verteilungsverhältnis Luft : Wasser bei 340 C bei etwa 1 : 2130 liegt. Das Verteilungsverhältnis Luft : Plasma

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liegt geringfügig darunter, jenes für Luft : Vollblut noch etwas niedriger. Es stellte sich die Frage, ob sich die bei in-vitro-Versuchen ermittelten Verteilungswerte auf in-vivo-Verhältnisse übertragen lassen. Im in-vivo-Experiment wurde schließlich ein Verteilungsverhältnis Atemluft : Blut von etwa 1 : 2100 festgestellt. Dieses wurde die Bezugsgröße, auf welche man sich bei der Kalibrierung der Atemtestgeräte einigte. Obwohl das Kapillarblut und die Alveolarluft nirgends direkten Kontakt miteinander haben, wie bei dem in-vitro-Verteilungsmodell, schien damit die Übertragbarkeit der Modellversuche auf das Verteilungsverhältnis zwischen Atemluft und Blut bestätigt. Es blieben aber Fragen offen. Die Alkoholkonzentration des Lungenkapillarbluts dürfte in der postresorptiven Phase (und nur in dieser) zwar der bisherigen Bezugs-größe, der venösen BAK, weitgehend entsprechen. Ausatemluft kann aber nicht ohne weiteres mit Alveolarluft gleichgesetzt werden. Letztlich könnte also ein un-taugliches Modell mit einem anderen verglichen worden sein. Es blieb also zu klä-ren, ob die Blut-Luft-Schranke in der Lunge ohne Einfluß auf das Verteilungsver-hältnis ist und in wieweit die Ausatmungsluft Alveolarluft repräsentiert. Unter idealen Verhältnissen müßten alle 300 Millionen Alveolen gleichmäßig mit Blut versorgt werden. Dieses trifft jedoch nicht zu. Die Lunge wird schon unter phy-siologischen Bedingungen nicht gleichmäßig durchblutet, schon garnicht bei patho-logischen Zuständen (etwa bei Schock, Hypotonie, Emphysem, embolischen Ge-fäßverschlüssen). Dabei ist mit regional unterschiedlichen Voraussetzungen zu rechnen. Dieses betrifft auch die alveolokapilläre Membran, deren Dicke nicht über-all gleich ist und unter Krankheitsbedingungen generell zunehmen kann. Die Folge ist eine Verringerung der Diffusionskapazität, die zudem von weiteren Faktoren abhängig ist (u.a. Körperbau, Lungenvolumen, Alter, Körperlage). Auch die Koordination von Perfusion und alveolärer Ventilation ist nicht überall optimal. Beispielsweise können nicht-durchblutete Alveolen normal belüftet werden („Totraumventilation“). In diesen Alveolen wird dann kein Alkohol in die Alveolarluft abgegeben. Werden Alveolen bei normaler Ventilation ungenügend durchblutet oder bei normaler Durchblutung vermehrt ventiliert, wird weniger Alkohol abgege-ben, als normal („verschwendete Ventilation“). Der alveoläre Totraum kann durch Erhöhung der Atemfrequenz oder des Atemzugvolumens vergrößert werden. Die-ses bedeutet, dass der Anteil der nicht-alkoholisierten „Frischluft“ an der Ausat-mungsluft von Fall zu Fall verschieden sein kann. Die Frage, welcher Teil der Ausatmungsluft der Alveolarluft am besten entspricht, wurde unterschiedlich beantwortet. Es besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass es nicht ausreicht, nur eine dem anatomischen Totraum entsprechende Ausatmungs-menge vor der Atemalkoholmessung zu verwerfen. Meist wurde vorgeschlagen, etwa 65 – 70 % der Ausatmungsluft oder sogar mindestens 70 % der Vitalkapazität zu verwerfen. Bei einer Versuchsreihe, in der 2 Liter Exspirationsluft verworfen wurden, konnte dennoch nicht näherungsweise das postulierte Atem-Blut-Verteilungsverhältnis 1 : 2100 erhalten werden. Das Verteilungsverhältnis lag im Mittel bei 1 : 2300, streute aber inter- und intraindividuell. Dass von einem für alle Fälle geltenden festliegenden Verhältnis der Atem- zur Blutalkoholkonzentration nicht ausgegangen werden kann, ist inzwischen zweifels-frei bewiesen. Die angegebenen Streubreiten sind zumeist enorm. Manche Autoren nannten beispielsweise eine Variation von 1 : 2407 ± 213 (Mittelwert ± einfache Standardabweichung). Im Gutachten des Bundesgesundheitsamts wird eine Streu-

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ung von 1 : 2098 ± 110 genannt. Bei einem Praxistest streuten die Quotienten von 1 : 1607 bis 2515. Neuere Untersuchungen lassen noch größere Streuungen er-kennen. Endogener Alkohol Die Anwesenheit von endogenem Alkohol im menschlichen Organismus ist seit langer Zeit vermutet worden, konnte aber letztlich erst nach Einführung empfindli-cher Analysenverfahren gesichert werden. Vorläufer des endogenen Ethanols ist Acetaldehyd, welches durch ADH und NADH zu Ethanol reduziert wird. Acetalde-hyd entstammt vorwiegend dem Stoffwechsel der intestinalen Mikroflora, kann aber auch von Enzymen, wie der Pyruvatdehydrogenase, der Phosphoethanolamin-Phospholyase und der 5-Deoxypentose-Phosphataldolase gebildet werden. Bei der Analyse von 130 Blutproben alkoholnüchterner Versuchspersonen wurde eine Verteilung mit ausgeprägt positiver Asymmetrie festgestellt. Die meisten Werte lagen im Konzentrationsbereich zwischen 0,1 und 0,2 mg/l, was später bestätigt wurde. Die höchsten Werte lagen bei etwas unterhalb von 0,8 mg/l. Bei den ande-ren Untersuchungen wurden vereinzelt auch Konzentrationen bis fast 1,9 mg/l ge-sehen. Früher war gelegentlich behauptet worden, dass der endogene Ethanol bei be-stimmten Erkrankungen in wesentlich höheren Konzentrationen vorkommen kann. In der älteren Literatur werden bei Leberschäden und Diabetes Konzentrationen bis in den Promille-Bereich genannt ], wobei die Analysenmethoden aus heutiger Sicht aber insuffizient waren. Neuere Untersuchungen haben hingegen bei Diabetikern, Patienten mit Pankreatitis, Hepatitis und Lebercirrhose, wie auch bei Alkoholikern im Entzug keine Erhöhung der endogenen Ethanolkonzentration feststellen können. Zusammenfassend ist aus diesen Beobachtungen abzuleiten, dass die endogenen Ethanolspiegel auch bei Stoffwechselstörungen in einem so niedrigen Bereich lie-gen, dass sie keinen Einfluß auf die durch Alkoholkonsum aufgebaute BAK haben. Der Verlauf der Blutalkoholkurve Alle bisher besprochenen Faktoren beeinflussen die Blutalkoholkurve. Diese wie-derum beschreibt die Veränderungen der Blutalkoholkonzentration zu verschiede-nen Zeitpunkten nach Trinkbeginn. Sie wird folglich von der Resorption in die Blut-bahn, dem Metabolismus, der Diffusion in die Gewebe und der Ausscheidung des Ethanols bestimmt. Je nach Zeitpunkt und Trinkverhalten ändert sich der Einfluss der einzelnen Faktoren auf die Resultante. Im klassischen Trinkversuch gliedert sich die Blutalkoholkurve in den steil ansteigenden Teil der Resorptionsphase und

den langsamer abfallenden Teil der Eliminations- oder postre-sorptiven Phase. Wie aus der „normalen“ Blutalkoholkurve ersichtlich (Abb. 6) ist, überwiegt aber zunächst die Resoption die Elimination bei weitem.

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Abb. 6: Normaler Verlauf der Blutalkoholkurve Dies verwundert auch gar nicht, wenn man bedenkt, dass die im Magendarmtrakt zur Resorption vorliegenden Ethanolkonzen-trationen im Prozent-Bereich liegen, während die im Blut zirkulierenden Konzentrationen, die ja Grundlage der Eliminati-on sind, imPromille-Bereich liegen. Im klassischen Trinkversuch baut sich am Ende der Resorptionsphase ein deutlicher Gipfel auf, der den Zeitpunkt kennzeichnet, an dem sich Resorptions- und Eliminationvorgänge etwa die Waage halten. Die Re-sorption ist nun schnell abgeschlossen, die Ethanolelimination bestimmt ab jetzt den Abfall der Blutalkoholkurve. An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass im Rahmen der Alkoholbegutachtung der Begriff Resorptionsphase gebraucht wird, obwohl es sich bei der Alkoholauf-nahme um reine Diffusionsvorgänge handelt. Der Begriff Diffusion ist der Verteilung aus dem Blut ins Gewebe vorbehalten. Der Diffusionsausgleich (Diffusionsphase) tritt nach erfolgter Resorption innerhalb kürzester Zeit ein. Selbstverständlich laufen alle drei Vorgänge simultan ab. Unmit-telbar mit der Aufnahme von Alkohol beginnt die Resorption ins Blut, damit aber auch die Diffusion ins Gewebe und die Elimination. Die drei unterschiedlichen Pha-sen der Blutalkoholkurve sind jeweils nach dem beherrschenden Element benannt. In der Resorptionsphase überwiegt die Resorption bei weitem, während in der Eli-minationsphase die Elimination überwiegt, postresorptive Vorgänge sind dort mini-mal und bald ganz abgeschlossen. Berechnungen mit der Widmark-Formel Die Berechnung des Verteilungsfaktors „r“ wurde bereits oben beschrieben. Wid-mark beschrieb das Verhältnis der Ethanolkonzentration im Körper zu der im Blut als „reduzierte Körpermasse r“. Die Gesamtmenge an Ethanol, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Körper befindet (a), entspricht dem Produkt aus der Etha-nolkonzentration im Körper und dem Körpergewicht (p). Da sich die Konzentration im Gesamtkörper als Produkt von Blutalkoholkonzentration (c) und reduzierter Kör-permasse (r) berechnet, ergibt sich:

a = c ⋅ p ⋅ r Da die Metabolisierungsgeschwindigkeit konzentrationsunabhängig ist und die Eliminationsphase prägt, könnte man für jeden Zeitpunkt die Konzentration berech-nen, auch den theoretischen Maximalwert c0, d.h. den Wert, der sich ergäbe, wenn aller aufgenommene Alkohol (A) sich im Verteilungsgleichgewicht befinden würde. Bei vollständiger Resorption kann der Wert über die postresorptive Phase extrapo-liert werden. Es gilt also die Formel:

A = c0 ⋅ p ⋅ r Mit dieser Form der Formel kann man die Menge an Alkohol in Gramm berechnen, die bei bekanntem Körpergewicht und Reduktionsfaktor mindestens aufgenommen werden musste, um eine festgestellte Blutalkoholkonzentration erreichen zu können. Mit Auflösen der Formel nach c0

c0 = A / p ⋅ r kann bei bekannter Alkoholaufnahme in Gramm sowie bekanntem Körpergewicht und Reduktionsfaktor die theoretisch mögliche maximale Blutalkoholkonzentration berechnet werden (Berücksichtigung von Trinkzeit etc. siehe Heft 2).

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Abb. 7: Ermittlung der theoretischen Maximalkon-zentration c0 durch Extrapolieren Zeitlicher Abfall der Blutalko-holkonzentration: β und β60 Der Abfall der Blutalkohol-konzentration wird seit Widmark als „β“ bezeichnet, der stündliche Abfall als „β60“. Der zeitliche Abfall der Blutalkoholkonzentration besagt nichts Genaues über die tatsächliche Ethanolmetabolisierung im Organis-

mus. Der β-Wert wird nämlich vom Körperwassergehalt, also dem Verteilungsfaktor r beeinflusst. Dies sei an einem Beispiel erläutert:

Blu

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tion

Zeit

c0

Trinken zwei gleichschwere Menschen, von denen der eine aber ausgesprochen fettleibig, der andere sehr muskulös ist, die gleiche Menge Alkohol, muss beim Fettleibigen eine höhere Blutalkoholkonzentration entstehen, da er weniger Kör-perwasser als Verteilungsraum bietet. Da das Körperfett kaum Ethanol zu spei-chern vermag, liegt die Ethanolkonzentration in den übrigen Geweben und damit auch dem Blut bei ihm höher. Beim muskulösen Typus ist es genau umgekehrt, der Ethanol verteilt sich in den Geweben; die Blutalkoholkonzentration liegt, da wenig Fett vorhanden ist, niedriger. Wenn man die Ethanolausscheidung, die ja konzent-rationsabhängig ist, einmal ausser Acht lässt und einen gleichstark ausgeprägten Ethanolmetabolismus bei beiden Personen unterstellt, ist zu erwarten, dass beide, da sie ja die gleiche Menge Ethanol aufgenommen haben, zum selben Zeitpunkt wieder ethanolfrei sind. Da beim Fettleibigen aber aus den oben dargelegten Grün-den eine höhere maximale Blutalkoholkonzentration vorgelegen hat, muss er den Ethanol dann schneller pro Zeiteinheit metabolisiert haben als der Muskulöse, sein β60 muss folglich höher gewesen sein. Dieses Beispiel macht klar, dass fettleibige Personen mit deutlich weniger ethanol-haltigen Getränken dieselbe Blutalkoholkonzentration wie muskulöse Typen errei-chen und dann eher wieder ethanolfrei sind. Um es noch einmal zu verdeutlichen: der β-Wert gibt nur Informationen über den Abfall der Blutalkoholkurve, nicht über den tatsächlichen Ethanolmetabolismus im Körper. Für die Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration ist der β- bzw. β60-Wert uner-lässlich, deshalb wurde versucht, in Trinkversuchen seine Höhe zu bestimmen. Man fand in 174 Trinkversuchen in 25 Prozent eine verlängerte Resorptionszeit und häufig Nachresorptionen, man sah damals eine Rückrechnung unter forensischen Aspekten sehr kritisch. Andere Autoren hingegen fanden bis auf wenige erklärbare Ausnahmen einen rektilinearen Verlauf der Blutalkoholkurve in der Eliminations-phase. Sie ermittelten einen durchschnittlichen β60-Wert von 0,16 Promille. Weitere Untersuchungen folgten. Für die forensische Praxis hat sich ein Minimalwert von 0,1 Promille und ein Maximalwert von 0,2 Promille eingebürgert. Auch über den maximalen β60-Wert von 0,2, der im Rahmen von Strafprozessen eine grosse Bedeutung für die Beurteilung der Schuldfähigkeit hat, wurden unter-schiedliche Auffassungen vertreten. Die von Seiten der Juristen geforderten höhe-

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ren Rückrechnungswerte, die auch Eingang in höchstrichterliche Entscheidungen fanden, wurden von den meisten Alkoholsachverständigen als zu schematisch abgelehnt. Andere Autoren fanden aufgrund statistischer Überlegungen in Verbindung mit zahlreichen Trinkversuchen, dass die maximale Blutalkoholkonzentration, berech-net nach der Formel BAKmax = BAK (Blutprobe) + 0,2 Promille + t ⋅ 0,2 Promille in mehr als 99 Prozent der Fälle eine Benachteiligung im Sinne eines fälschlich zu niedrig berechneten Maximalwertes auschliesst (t = Rückrechnungszeitraum in Stunden). Dieser einmalige Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille zur Rückrechnung mit dem maximalen β60 von 0,2 Promille hat mittlerweile allgemeine Anerkennung und Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Abweichungen von der idealen Blutkurve Im Unterschied zu dieser klassischen Blutalkoholkurve können infolge von Beson-derheiten im Trinkverhalten, bei der Resorption, Diffusion in die Gewebe und Elimi-nation auch andere Kurvenverläufe vorliegen, die von rechtsmedizinischer Bedeu-tung sein können. Beim protrahierten Trinken, also einer relativ gemächlichen, aber regelmässigen Aufnahme auf leeren oder nur wenig gefüllten Magen verläuft die Blutalkoholkurve wesentlich flacher; der Gipfel ist kaum zu erkennen; vielmehr findet sich ein fast unauffälliger Übergang in die Eliminationsphase). Ein Diffusionssturz soll nur auftreten können, wenn die Diffusionsschranke zwi-schen resorbierendem Magen-Darm-Trakt und Blut grösser ist als die Diffusionsbar-riere zwischen Blut und Gewebe. Wenn schnell getrunken wird und die Resorption sehr schnell abläuft, kann die Verteilung der resorbierten Ethanolkozentration in den Körper nicht Schritt halten. Es entsteht ein temporäres Verteilungsdefizit, wel-ches sich nach Erreichen des Scheitelpunktes, im Sinne einer nachgezogenen Verteilung, zur Elimination addiert und so zu einem steilen Kurvenabfall (Diffusions-sturz) führt. Ist das Verteilungsdefizit ausgeglichen, geht die Blutalkoholkurve wie-der in den klassischen rektilinearen Verlauf über. Erfolgt die Alkoholaufnahme während eines opulenten Mahls oder im Anschluss daran, verläuft die Resorptionsphase verzögert, d.h. die Kurve steigt weniger steil an und gegen Trinkende hin kann es zu einer Plateaubildung kommen. Resorption und Elimination halten sich in dieser Phase etwa die Waage. Nach dem Erstbeschreiber spricht man vom „Gréhantschen Plateau“. Erst mit deutlicher Ver-zögerung geht die Blutalkoholkurve in den nahezu klassischen Verlauf über. Eine verzögerte Resorption kann aber auch beim Sturztrunk auftreten. Man spricht von einer „Depotfunktion“ des Magens, die über den Pylorus gesteuert wird. In ihren Trinkversuchen mit Patienten mit einer Pyloromyotomie stellten sie im Vergleich mit Magengesunden eine wesentlich schnellere Resorption fest, insbesondere bei

kurzfristiger grösserer Alkoholaufnahme. Die Magenge-sunden reagierten im Gegensatz dazu offensichtlich mit Pylorusspasmen und daraus resultierender Resorptions-verzögerung. Scharfe Gewürze sollen auch geeignet sein, eine Resorp-tionsverzögerung zu verursachen. Gleiches gilt auch für

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fettreiche Speisen, die sowohl die Magensaftproduktion wie auch die Magenentlee-rung hemmen. Werden am Ende der Trinkzeit forciert grössere Mengen Alkohol aufgenommen, kommt es zu einem kurzfristigen steilen Anstieg der Blutalkoholkurve mit nachfol-gendem Diffusionssturz. Im Experiment wurden BAK-Differenzen bis zu 0,8 Pro-mille innerhalb von 10 Minuten gemessen. Beim eher mäßigen Schlusstrunk bzw. beim Sturztrunk auf vollen Magen ist allerdings eher mit einer Plateaubildung zu rechnen. In der Eliminationsphase fällt die Blutalkoholkurve normalerweise rektilinear, also annähernd geradlinig ab. Dies erfolgt trotz der Konzentrationsabhängigkeit der Ethanolausscheidung, da die konzentrationsunabhängige Ethanolmetabolisierung diese bei weitem überwiegt. In hohen BAK-Bereichen ist allerdings ein etwas höhe-rer Abfall der Blutalkoholkurve pro Zeiteinheit zu erwarten, was von mehreren Un-tersuchern bestätigt wurde Wird das Trinken unterbrochen oder erfolgt nach einer längeren Unterbrechung, also innerhalb der Eliminationsphase eine zweite Trink-phase , so äußert sich dies in einer wellenförmigen Veränderung der Blutalkohol-kurve. In selteneren Fällen kommt es während der Eliminationsphase zu vorüber-gehenden Schwankungen der Blutalkoholkurve. Solche kurzfristigen Schwan-kungen werden beobachtet bei Erbrechen, stärkerem Blutverlust, zentralnervösen Reizen wie Hirnprellung und Gehirnerschütterung, bei Wassereinlagerungen wie durch Ascites und Ödeme oder nach Infusionen. Auch einige Medikamente sind hier zu nennen, die die Resorptionsgeschwindigkeit beschleunigen, also zum plötz-lichen Ansteigen der Blutalkoholkurve über Nachresorptionen führen können. Medi-kamente wie Doryl, welche die Magen-/Darmmotilität beschleunigen, sind hier zu nennen. Der Einfluss von Blutverlust und Volumenersatz: Im Tierversuch fand man nach Tod durch Verbluten erniedrigte Blutethanolspiegel. Die Übertragung auf den Men-schen zeigte, dass es bei Blutalkoholkonzentrationen bis zu 2,6 g Promille und temporären Blutentnahmen von bis zu 750 ml zu keinen relevanten Auffälligkeiten kam. Gleiches gilt für Fälle mit künstlichem Volumenersatz. Man untersuchte das Verhalten der BAK-Kurve an 20 chirurgischen Patienten unter Intensivbehandlung (Volumensubstitution). Hier stellte man fest, dass der Vollblutwassergehalt erheb-lich stärker ansteigt als der Serumwassergehalt. Somit werden bei normaler Um-rechnung (ohne Wassergehaltsberücksichtigung) diese Probanden nicht benachtei-ligt, was rechtlich entscheidend ist. Bei Erbrechen zeigt sich in der Resorptionsphase ein wesentlich geringerer Kur-venanstieg, was über den Alkoholverlust aus dem Magen, der wiederum einen Resorptionsentzug bedeutet, verständlich ist. In der Eliminationsphase sollen sich keine Unterschiede im Kurvenverlauf beim Vergleich mit Versuchspersonen ohne Erbrechen zeigen. Nach diesen Versuchsergebnissen ist eine besondere forensi-sche Beurteilung der Blutalkoholkonzentration nach Erbrechen offenbar abzuleh-nen. Eine Ausnahme ist natürlich in der Resorptionsphase gegeben, wenn kein BAK-Wert vorliegt und die Blutalkoholkonzentration aus den Trinkangaben berech-net werden muss. Eine zentrale Beeinflussung der Blutalkoholkurve durch traumatische Bewusstlo-sigkeit, inbesondere durch eine Gehirnerschütterung sollte nach älterer Ansicht zu einem langsameren Ethanolmetabolismus führen. Eine neuere Auswertung von

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141 Fällen mit Commotio ergab keinerlei Besonderheiten im Vergleich zum Gesun-den, weder bei tiefer Bewusstlosigkeit noch bei Commotio ohne Bewusstlosigkeit. Es finden sich keine Unterschiede in den Blutalkoholverlaufskurven im Tiefschlaf und im Wachzustand. Die früher vertretene Meinung, im Schlaf sei der Alkoholab-bau verlangsamt, musste damit aufgegeben werden. Weitere Untersuchungen beschäftigten sich mit körperlicher Belastung unter Ethanoleinfluss. Es konnten keine Unterschiede in den Blutalkoholkurven festgestellt werden. An Erkrankungen, die den Verlauf der Blutalkoholkurve beeinflussen können, sind wie bereits schon erwähnt an erster Stelle Magenkrankheiten zu nennen. Bei ma-genresezierten Patienten, bei Magenkarzinomen aber auch bei Magenschleimhaut-entzündungen kann es zu Resorptionsstörungen kommen. Bei Lebererkrankungen ist mit Ausnahme von künstlich angelegten Anastomosen nach Varizenblutung (Leberminderdurchblutung) mit keinen Auffälligkeiten zu rechnen. Hinweise auf weiterführende Literatur finden sich in Teil 2!

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Scriptenreihe „Arzt und...“ zur Hauptvorlesung Rechtsmedizin Heft 1 Huckenbeck/Gabriel/Barz Arzt und Tod Heft 2 Huckenbeck Arzt und Alkohol (1) Heft 3 Huckenbeck Arzt und Alkohol (2) Heft 4 Gabriel/Huckenbeck Arzt und Recht 245/2