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7/21/2019 Astrologie [LdMA] http://slidepdf.com/reader/full/astrologie-ldma 1/9 Astrologie I. Ursprünge Die meisten Gebildeten im MA glaubten in einem bestimmten Grad an Astrologie, d.h. sie glaubten, daß die Himmelskörper Einfluß auf die irdischen Ereignisse aus- übten. Den Ursprung der A. ührten sie, spätantiken Autoren folgend, entweder auf die »Chaldäer« oder die »Ägypter« zurück. Sie beabsichtigten damit entsprechend ma. Denken den Ursprung ihrer Wissenscha so früh wie möglich zu datieren; dabei unterschieden sie jedoch deutlich zw. A. und Astronomie im modernen Sinne. Aus Keilschritexten wissen wir heute, daß wichtige Grundbegriffe der Horosko- pieinderTatausBabylonstammen,sou.a.dieZuordnungvonGöernzuden→Pla- neten, der →Tierkreis mit seinen zwölf Zeichen. Auch die ältesten erhaltenen →Ho- roskope (ür die Jahre -409, -287, -262, …) wurden in Babylon angefertigt; nur dort hae man damals schon die Möglichkeit, Planetenpositionen numerisch zu berech- nen. Mit der Eroberung Mesopotamiens durch Alexander d. Gr. verbreitete sich die A. allmählich im hellenist. Raum: Die »Chaldäer« von Babylon machten ür Alexander und seine Nachfolger astrolog. Voraussagen. Berossos, ein Priester des Bel, siedelte um 280 v.Chr. von Babylon nach Ionien über und gründete auf Kos eine astrolog. Schule, Um dieselbe Zeit wurden die astron. und astrol. Lehren der »Chaldäer« in einem (nicht erhaltenen) Werk in griech. Sprache zusammengefaßt, von dem uns Ge- minus zwei größere Abschnie überlieferte (van der Waerden). Im 2. Jh. v.Chr. entstand in Ägypten eine ebenfalls verlorene griech. astrolog. Schri, die man dem myth. Kg. Nechepso und seinem Priester Petosiris zuschrieb. Dieser Traktat erlangte in der röm. Welt große Verbreitung wie auch andere Schrif- ten, die dem Go ot (Tôt), dem →Hermes Trismegistos der Griechen, und Alhand- reus (Alchandri) zugeschrieben wurden. Um 100 n.Chr. verfaßte auch →Dorotheos v. Sidon ein Lehrgedicht zur A. Alle obigen Schrien erlangten zwar später große Bedeutung, blieben jedoch im griech. Originaltext nur bruchstückweise erhalten. Die älteste erhaltene Gesamtdarstellung der hellenist. A. ist die »Tetrabiblos« des Ptolemaios (Mie 2. Jh. n.Chr.). Zweifellos war sie nicht das im MA am weitesten verbreitete Werk über A., aber die Lehren, die sie enthielt, bildeten, wenn auch später o verändert, den eigtl. Kern der späteren astrolog. Technik. Das Werk beginnt mit einer Verteidigung der A. Der Autor gibt zwar vor, von der Annahme auszugehen, daß die Einflüsse der Himmelskörper rein phys. sind, aber letzten Endes bietet er doch nur eine Kodifikation von ungerechtfertigten abergläub. Vorstellungen, die er von seinen Vorgängern übernommen hat. Das 2. Buch handelt von den kosm. Einflüssen auf die Völker und das Weer, das 3. und 4. Buch von den aus Horoskopen erschlossenen Einflüssen auf das Menschenleben. Die interrogationes und electiones werden jedoch noch nicht behandelt. Im 4. Jh. n.Chr. schrieben auch Paulus von Alexandria und Hephaistion von eben über die A. In der oben geschilderten Weise fanden östliche Ideen allmählich in der gesamten griechisch-hellenistischen Welt Verbreitung; sie traten einerseits in didakt. Traktaten wie der »Tetrabiblos« des →Ptolemaios auf, und ihr Einfluß reichte andererseits hin bis zu volkstüml. religiösen Praktiken. Überall modifizierten die Griechen und Römer  jedoch die übernommenen Ideen, und zwar bes. indem sie die astrolog. Vorstellun- gen mit der einflußreichen geometr. Planetentheorie verknüpen. Die Bestrebungen

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Überblick über die Astrologie im Mittelalter

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Astrologie

I. Ursprünge

Die meisten Gebildeten im MA glaubten in einem bestimmten Grad an Astrologie,d. h. sie glaubten, daß die Himmelskörper Einfluß auf die irdischen Ereignisse aus-übten. Den Ursprung der A. ührten sie, spätantiken Autoren folgend, entweder auf die »Chaldäer« oder die »Ägypter« zurück. Sie beabsichtigten damit entsprechendma. Denken den Ursprung ihrer Wissenscha so früh wie möglich zu datieren; dabeiunterschieden sie jedoch deutlich zw. A. und Astronomie im modernen Sinne.

Aus Keilschritexten wissen wir heute, daß wichtige Grundbegriffe der Horosko-pie in der Tat aus Babylon stammen, so u. a. die Zuordnung von Göern zu den →Pla-neten, der →Tierkreis mit seinen zwölf Zeichen. Auch die ältesten erhaltenen →Ho-

roskope (ür die Jahre -409, -287, -262, …) wurden in Babylon angefertigt; nur dorthae man damals schon die Möglichkeit, Planetenpositionen numerisch zu berech-nen. Mit der Eroberung Mesopotamiens durch Alexander d. Gr. verbreitete sich die A.allmählich im hellenist. Raum: Die »Chaldäer« von Babylon machten ür Alexanderund seine Nachfolger astrolog. Voraussagen. Berossos, ein Priester des Bel, siedelteum 280 v. Chr. von Babylon nach Ionien über und gründete auf Kos eine astrolog.Schule, Um dieselbe Zeit wurden die astron. und astrol. Lehren der »Chaldäer« ineinem (nicht erhaltenen) Werk in griech. Sprache zusammengefaßt, von dem uns Ge-minus zwei größere Abschnie überlieferte (van der Waerden).

Im 2. Jh. v. Chr. entstand in Ägypten eine ebenfalls verlorene griech. astrolog.

Schri, die man dem myth. Kg. Nechepso und seinem Priester Petosiris zuschrieb.Dieser Traktat erlangte in der röm. Welt große Verbreitung wie auch andere Schrif-ten, die dem Go ot (Tôt), dem →Hermes Trismegistos der Griechen, und Alhand-reus (Alchandri) zugeschrieben wurden. Um 100 n. Chr. verfaßte auch →Dorotheosv. Sidon ein Lehrgedicht zur A. Alle obigen Schrien erlangten zwar später großeBedeutung, blieben jedoch im griech. Originaltext nur bruchstückweise erhalten.

Die älteste erhaltene Gesamtdarstellung der hellenist. A. ist die »Tetrabiblos« desPtolemaios (Mie 2. Jh. n. Chr.). Zweifellos war sie nicht das im MA am weitestenverbreitete Werk über A., aber die Lehren, die sie enthielt, bildeten, wenn auch spätero verändert, den eigtl. Kern der späteren astrolog. Technik. Das Werk beginnt miteiner Verteidigung der A. Der Autor gibt zwar vor, von der Annahme auszugehen, daßdie Einflüsse der Himmelskörper rein phys. sind, aber letzten Endes bietet er doch nureine Kodifikation von ungerechtfertigten abergläub. Vorstellungen, die er von seinenVorgängern übernommen hat. Das 2. Buch handelt von den kosm. Einflüssen auf dieVölker und das Weer, das 3. und 4. Buch von den aus Horoskopen erschlossenenEinflüssen auf das Menschenleben. Die interrogationes und electiones werden jedochnoch nicht behandelt. Im 4. Jh. n. Chr. schrieben auch Paulus von Alexandria undHephaistion von eben über die A.

In der oben geschilderten Weise fanden östliche Ideen allmählich in der gesamtengriechisch-hellenistischen Welt Verbreitung; sie traten einerseits in didakt. Traktatenwie der »Tetrabiblos« des →Ptolemaios auf, und ihr Einfluß reichte andererseits hinbis zu volkstüml. religiösen Praktiken. Überall modifizierten die Griechen und Römer jedoch die übernommenen Ideen, und zwar bes. indem sie die astrolog. Vorstellun-gen mit der einflußreichen geometr. Planetentheorie verknüpen. Die Bestrebungen

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der Astrologen wurden in positiver Weise, wenn auch unbeabsichtigt, durch die Leh-ren Platons und der Pythagoreer von der Gölichkeit der Gestirne unterstützt. In derSpätantike konnte der Astrologe sich als Interpret des Willens der Himmelsgöerbetrachten. Mit der Verbreitung des Christentums verschwand diese Vorstellung als

theol. Lehrsatz zwar nach und nach (als lit. Element wurde sie im ganzen MA gernherangezogen), aber die A. überlebte als eine Form der Weissagung, die astron. Fach-kenntnisse voraussetzte.

 J. D. North/B. L. van der Waerden

II. Astrologie in Byzanz

Die byz. A. ist die direkte Fortsetzung der spätgriechischen. Zur Berechnung von Pla-netenpositionen wurden griech. Tafeln benutzt, bes. die »Handlichen Tafeln« des Pto-lemaios mit den Kommentaren von Pappos, →eon v. Alexandria und Stephanos v.

Alexandria. Sie wurden durch Spezialtafeln ür die Breite von Byzanz ergänzt. Im14. Jh. benutzte man auch arab. Tafeln (→Tafeln, astronomische, →Astronomie). Fürdie astrolog. Deutung war v. a. die »Tetrabiblos« des Ptolemaios maßgebend, danebenwurden aber auch »Hermes Trismegistos«, Dorotheos v. Sidon, Paulus v. Alexandria,Hephaistion v. eben und andere griech. Autoren zitiert. Später schöpe man auchaus arab. und pers. ellen.

Die im großen »Catalogus codicum astrologorum Graecorum« (12 Bde, 1898-1953)besprochenen und teilweise reproduzierten Hss. stammen größtenteils aus Byzanz.Die Masse der Hss. zeugt von der unentwegten Aktivität der byz. Astrologen.

B. L. van der Waerden

III. Der kulturelle Hintergrund der Astrologie

in Spätantike und Frühmittelalter

Bereits in der Spätantike waren die sog. chaldaei und mathematici, d. h. diejenigen, dieHoroskope stellten, sehr zahlreich, wenn wir von den häufigen Angriffen ausgehen,denen sie von seiten der Magistrate und der Satiriker ausgesetzt waren. Auch im 4. Jh.waren Edikte gegen Astrologen in Kra, in einer Zeit, in der zu den bisherigen polit.Argumenten von den chr. Ks.n religiöse Vorbehalte angebracht wurden. Constantiuserklärte 357 das Wahrsagen zu einem Kapitalverbrechen, und diese Strafandrohung

wurde 373 und 409 wiederholt (Cod. eod. 9. 16.4, 8, 12). Erst mit Palchos, Eutokiosund Rhetorius (alle aus dem späten 5. Jh.) gelangen wir jedoch zu einer Periode, inder die astrolog. Praxis stark unterdrückt wurde, bis sie im 8. Jh. ihre Wiedergeburterlebte (Cumont, Astrol. rom. 53-54).

Die antike Tradition der astrolog. Wahrsagung hae einen starken Einfluß auf diemed. Praxis im gesamten MA (→Astrologische Medizin) und wurde z. B. in der didakt.Dichtung durch den Stoiker Marcus Manilius verkörpert, der unter Augustus und Ti-berius schrieb. Seine »Astronomica« hae erhebl. Einfluß auf das MA, bes. vor demEindringen der islam. astrolog. Werke im 12. Jh.; auf berusmäßige Astrologen hae erallerdings geringeren Einfluß. Folgenreich ür die Haltung des ma. Christentums ge-genüber der A. war v.a. Augustinus’ »De civitate Dei«, in dem sich der Kirchenvatergegen alle diejenigen wandte, »die genethliaci genannt werden wegen ihrer Betrach-tung der Geburtstage und die jetzt beim Volke auch mathematici heißen«. Er warf ihnen vor, den freien menschl. Willen zu unterjochen, indem sie den Charakter und

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das Schicksal der Menschen aus den Gestirnen weissagten. Wenn sich die Vorhersa-gen bewahrheiteten, so wäre das dem Glück oder den Dämonen zuzuschreiben (Deciv. Dei, V. 7). Augustinus hae selbst einst an die A. und an die Wirksamkeit vonOpfern, die den »Dämonen« dargebracht wurden, geglaubt. Er trat auch später noch

ür die Prädestination und das göl. Vorherwissen ein. Sein Dilemma war eines, mitdem sich das ma. Christentum stets konfrontiert sah. Augustinus’ Hauptstütze gegendie A. war das alte Argument von den Zwillingen, die - wie Jakob und Esau - untergleichen himml. Einflüssen geboren waren, aber dennoch gegensätzl. Charaktere undSchicksale haen. (Dieses Argument wurde schon von Cicero, Favorinus und SextusEmpiricus benutzt.) Augustinus wies auch darauf hin, daß die astrolog. Lehre von denelectiones, welche die Wahl eines geeigneten Augenblicks ür eine bestimmte Hand-lung umfaßte, unvereinbar war mit dem Glauben an die Determination des Lebensvon der Geburt an. Besaß Augustinus auch kaum nähere astrolog. Kenntnisse, so wur-den seine einfachen und wenig selbständigen Argumente im MA dennoch stets aufs

neue wiederholt. Augustinus hielt die Astronomie zwar an sich ür unbedenklich, jedoch ür geährlich in Verbindung mit der A. (De doctrina Christiana, II. 29).

Trotz dieser Warnungen trugen zahlreiche chr. Schristeller, deren Werke im MAhäufig gelesen wurden, zur Begründung einer christianisierten A. bei. Ein Wegbe-reiter ür diese war →Origenes (3. Jh.), welcher glaubte, daß die A. vom Fatalismusgereinigt werden könne. Das astrolog. Werk »Mathesis« des →Firmicus Maternus(geschrieben 334/337) war, obwohl es von geringer techn. Kenntnis zeugt, wie das- jenige des Origenes bereits von Augustinus benutzt worden, obgleich es sich in die-sem Fall um eine Schri handelte, die noch vor dem Übertri seines Verfassers zumChristentum entstanden war. Firmicus, der bes. im 12. Jh. gelesen wurde, meinte, daß

der Mensch durch das Gebet den Einflüssen der Gestirne widerstehen könne (Kroll-Skutsch I, 280, I, 18). Ein anderer chr. Astrologe und enger Zeitgenosse des Augustinuswar →Synesios v. Kyrene (406/411), ein Freund und Schüler der Hypatia. Synesiosbeeinflußte den ma. Westen zwar nicht, jedoch Byzanz.

IV. Einflußreie astrologise Srien

Ein anderer einflußreicher, allerdings heidn. Autor war der Neuplatoniker Macrobius,Verfasser eines Kommentars zu Ciceros »Somnium Scipionis«. Macrobius’ Werk warim Westen weit verbreitet und wurde im 12. Jh. von →Abaelard und im 13. Jh. von→omas v. Aquin hoch gepriesen. Macrobius betrachtete die Sterne als Zeichenküniger Ereignisse, aber nicht als ihre Ursache. Er war in der Lage, dieses Problemauf allgemein philos. Ebene abzuhandeln, aber bei der Erklärung der astrolog. Terminizeigen seine Bemerkungen eine auällige Unkenntnis.

Die Schrien des →Martianus Capella aus dem. 5. Jh. waren vom chr. Standpunktweniger empfehlenswert, jedoch weitaus populärer. Sie enthielten viel an elementarerAstronomie und nur wenig an astrolog. Technik, daür einige einflußreiche Gedankenüber die unterschiedl. Ordnungen geistiger Wesen und ihrer Ansiedlung im Kosmos.Dieses Werk trug zweifellos zu einer ma. Weltsicht bei, in der die A. einen festen Platzeinnahm.

Ptolemaios’ »Tetrabiblos« selbst fand im Westen erst seit dem späteren MA weite-re Verbreitung, wenn auch seine quasi-wissenschal. Haltung im ma. Denken Spurenhinterließ, sogar bei Augustinus, wo der A. als einer »Naturwissenscha« zahlrei-che Konzessionen gemacht werden. So verschiedenartige ma. Autoren wie omas

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v. Aquin und Dante billigen der A. diese Stellung zu. Wir haben gute Gründe anzu-nehmen, daß selbst patrist. Verdammungsurteile über die A. späteren GenerationenInformationen überlieferten. Dasselbe gilt ür den Enzyklopädisten →Isidor v. Sevilla(7. Jh.), der sich in seinen Werken »Etymologiae« und »De natura rerum« gegen die

»astrologia superstitiosa« wendet und dennoch Informationen über astrolog. Medi-zin überliefert, wobei Isidor durchaus eine Billigung dieser Methoden andeutet (z. B.Etymol. 4. 13.4). Er glaubt auch, daß →Kometen Anzeichen ür Umwälzungen, Kriegeund Epidemien sind (De nat. rer., 26.13). Hierin bildet Isidor eine elle ür →BedaVenerabilis und →Hrabanus Maurus. Einflüsse Isidors sind auch bei →Ivo v. Char-tres, →Gratian, →Alkuin, →Johannes v. Salisbury und →Hugo v. St-Victor klar zuerkennen.

Isidor war eine sehr unergiebige elle ür alle, die sich mit alter A. vertraut ma-chen wollten; die Werke von Firmicus, Chalcidius und Macrobius, die z. B. von derSchule v. →Chartres eifrig studiert wurden, waren kaum inhaltsreicher. In den frü-

hen Jahren des 12. Jh. setzt jedoch eine neue Entwicklung ein: Eine zunehmende Zahl»wissenschal.« Traktate findet ihren Weg vom islam. Spanien in das nördl. Euro-pa. In Chartres schreibt Johannes v. Salisbury noch in der Tradition Isidors und derKirchenväter, doch die Werke des unmielbar nachfolgenden Wilhelms v. Conches(um 1154) sind bereits von islam. astrolog. Einflüssen durchdrungen. Bald erfahren dieabendländ. Schulen, daß Werke arab. und hebr. Sprache eine Fülle astrolog. Kenntnis-se bieten, die weit über die alten lat. ellen hinausgehen. Das ist der Beginn einesneuen Zeitalters, in dem die A. in das Curriculum der →Universitäten eintri und derAstrologe an den Höfen der Fürsten und Prälaten eine bedeutende Rolle zu spielenbeginnt.

V. Die Übersetzung arabiser Werke in Spanien

Unter der byz. Herrscha hae die polit. und religiöse Uneinigkeit zw. Konstantino-pel und den oriental. Völkern zu einer allmählichen Schwächung der gr. Kultur undSprache geührt; diese Schwächung aber war verbunden mit einem Bestreben, diealexandrin. Kultur zu erhalten. Übersetzungen wurden angefertigt, gewöhnlich zu-erst ins Syr. von syr. Nestorianern oder Monophysiten (6. Jh.) und ins Pahlavi, späterv.a. ins Arabische. Die Erben der alexandrin. Wissenscha waren die Araber, bes. inBagdad, wo die gr. Tradition mit Elementen aus Persien, Indien und anderen Ländernverschmolzen wurde. Durch die Wissenschasörderung der abbasid. Kalifen erleb-ten A. und Astronomie eine gemeinsame Blüte. Von diesem Zentrum aus verbreitetesich die Kenntnis dieser Wissenschaen in der gesamten arab. sprechenden Welt. InSpanien, das sich vom 8. bis zum 11. Jh. unter islam. Herrscha befand, berührte sichdie arab. Welt mit dem chr. Europa. Auch Sizilien und S-Italien waren ür diese Kon-takte von einiger Bedeutung.

Die ersten Übersetzungen von Bedeutung wurden in Spanien am Ende des 10. Jh. angefertigt (Millás-Vallicrosa). Im folgenden Jahrhundert wurde die Astronomiein origineller Weise weiterentwickelt, häufig von Juden oder Arabern, ihre Arbeitenwurden jedoch meist rasch ins Kast. oder Lat. übersetzt. Es kann kaum ein Zweifelbestehen, daß die A. der Beweggrund ür diese Bestrebungen war. Frühe Übersetzun-gen, z. B. aus dem Kl. →Ripòll, verbreiteten sich schnell in ganz Europa, die Überset-zungstätigkeit erreichte wohl vom Ende des 11. Jh. bis zum Beginn des 12. Jh. ihrenHöhepunkt, u. a. durch den Einfluß des bekehrten Juden →Petrus Alfonsi. Petrus war

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stolz auf seinen astron. und astrolog. Sachverstand und kritisierte diejenigen, die sichauf Macrobius stützten (orndike II, 71). Er soll der Arzt Heinrichs I. v. Englandgewesen sein. Auf jeden Fall hat er →Walcher v. Malvern beeinflußt, der eine derastron. Arbeiten des Petrus Alfonsi übersetzt und bearbeitet hat (etwa 1120). Ein an-

derer zeitgenöss. Spanier war Abraham bar Ḥiyya aus Barcelona, der mit →Plato v.Tivoli in der Zeit von 1134-45 bei vielen Übersetzungen zusammenarbeitete. Einigeseiner astrolog. Übersetzungen enthalten die sog. »Almansoris Iudicia« des in Persiengeborenen Arztes Muḥammad ibn Zakarīyāʿ ar-Rāzī. Diese Arbeit war im MA weitverbreitet und wurde o abgeschrieben (erst im 17. Jh. gedruckt).

Die besten span. Übersetzungen wurden im 12. Jh. von einer Gruppe angefertigt,die in →Toledo im Dienst der chr. Bf.e stand. Der rätselhae →Johannes Hispanusschloß in seine Übersetzungen sehr einflußreiche astrolog. Werke v. →Māšāʿallāh→Abū Maʾšar und →al-Qabīṣī ein. Der bedeutendste dieser Übersetzer aus Toledo im12. Jh., →Gerhard v. Cremona, fertigte Übersetzungen von ünf astrolog. Werken ent-

weder selbst an oder überwachte ihre Erstellung. Hierbei handelt es sich jedoch nurum einen kleinen Teil der 87 Übersetzungen, die man ihm zuschreibt. Im folgenden Jahrhundert entstanden in Toledo weitere Übersetzungen, jetzt jedoch ins Kast., un-ter dem Patronat mehrerer aufeinanderfolgender Könige. Ptolemaios’ »Tetrabiblos«wurde zu dieser Zeit von Aegidius de Tebaldis aus dem Kast. ins Lat. weiterübersetzt.Astronomie und A. übertrafen jetzt alle anderen wissenschal. Bereiche an Wichtig-keit. Astrolog. Werke enthielten der »Libro de las cruces« und der »Libro del atazir«,der von Rabi Zag kompiliert wurde.

Der hervorragendste Beitrag dieser neuen toledan. Gruppe zur A. waren jedoch dieTablas Alfonsíes, die in den Jahren 1263-72 auf Befehl von →Alfons X. zusammen-

gestellt wurden. Diese Tafeln wurden, nachdem sie ünfzig Jahre später (um 1320)nach Paris und Oxford gelangt waren, in ganz Europa verbreitet und bis ins 16. Jh. ürastrolog. Berechnungen benützt.

VI. Eine Versmelzung der Kulturen

Am Beispiel eines der populärsten der neu übersetzten Autoren, des Bagdader Astro-nomen Abū Ma’šar, können wir uns eine Vorstellung der ungewöhnl. kulturellenKomplexität der neuen Situation machen. Sein »Kitāb al-mudḫal« (»Introductoriummagnum«), entstanden 849/850 und in Spanien zweimal übersetzt (1133, 1140), ent-

hält v.a. aristotel. Gedankengut mit neuplaton. Elementen (→Aristoteles, →Neupla-tonismus). Zahlreiche Leser düren ihre erste Bekanntscha mit aristotel. Ideen (bes.mit »De caelo« und »Physica«) dieser scheinbar so bedeutungslosen elle verdan-ken (Lemay). Abū Maʾšars eigene ellen waren die Schrien der Bewohner vonḤarrān, die sich zu astrolog. Zwecken Aristoteles’ physikal. Ideen der Übermilungvon Bewegungen zw. den Himmelssphären zu eigen gemacht haen (Pingree, 34).Abū Maʾšar unterstützte die A. jedoch auch mit einem eigenen Argument, indem eralle Aussagen über die Natur - einschließl. der astrolog. Wahrheit - auf eine reineund göl. elle zurückührte. Seine unkrit. Schrien verbinden pers., ind. und gr.Elemente; und die ma. europ. Autoren, die seine Werke so bereitwillig ausschrieben,waren ebenso wenig wie er darum besorgt, dem Gemisch an Gedanken und Vorstel-lungen, welches das Ergebnis derartiger Kompilationen war, kritisch zu begegnen. Ei-ne bei Abū Maʾšar bes. beliebte Lehre bestand darin, Aufstieg und Niedergang polit.oder religiöser Schicksale mit den sog. »Großen →Konjunktionen« von Saturn und

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 Jupiter in Verbindung zu bringen. Westl. Autoren bedienten sich gern dieser Vorstel-lung zur Erklärung vergangener Ereignisse (z. B. der Geburt Christi oder dem Aufstiegdes Islams) oder gegenwärtiger Vorkommnisse (wie dem Aufstieg und Niedergang re-ligiöser Sekten; vgl. North, Astrology). Noch zur Zeit Keplers war diese Vorstellung

ein Bestandteil des astrolog. Dogmas; sie diente zur Erklärung der Reformation wieauch anderer zeitgenöss. religiöser Ereignisse und Episoden. Eine andere, stets wie-derkehrende Vorstellung im Zusammenhang mit den Großen Konkunktionen war dieVorhersage des Weltuntergangs (so in Chaucers »Canterbury Tales«; vgl. dort »eMiller’s Tale«).

Um die schnelle Verbreitung der neu entdeckten astrolog. Ideen in Europa zu illu-strieren, ist es lehrreich, die Wanderungen →Adelards v. Bath (1120/40) zu verfolgen,der von England nach Frankreich, Italien, Sizilien (wo er Arab. lernte), Syrien undvielleicht auch Palästina und Spanien zog. Er übersetzte Abū Maʾšars »Ysagoga mi-nor« (Lemay, 355) und ein astrolog. Werk des Ṭābit ibn rra. Adelard stand offenbar

dem engl. Hof nahe und war wohl mit Petrus Alfonsi bekannt (obwohl ihre genaueVerbindung schwer zu bestimmen ist) (Millás-Vallicrosa, 105-108). Sein »De eodemet diverso« zeigt, daß er bestimmte Beziehungen zu →Chartres hae. Dort studier-te sein Zeitgenosse →Petrus Venerabilis, Abt v. Cluny. Er hae sicherlich Spanienbereist, wo er →Hermann v. Carinthia, ebenfalls aus Chartres, traf, der der zweiteÜbersetzer von Abū Maʾšars »Introductorium magnum« war.

VII. Apologetiker

Die Mobilität der Gelehrten und der Austausch zw. den großen wissenschal. Zentren

begünstigten die Verbreitung der neuen Ideen, die einmal entdeckt, ür mehrere Jahr-hunderte kaum noch Veränderungen erfuhren. Daß sie mit Aristoteles und dadurchmit dem kirchl. Dogma in Einklang gebracht werden konnten, war ein Faktor ür einegewisse Anerkennung; und es wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, umdie Kirche mit der A. zu versöhnen. Erste Zeichen ür eine Tolerierung der A. durchdie Kirche, die der span. Übersetzungstätigkeit folgten, finden sich innerhalb enzy-klopäd. Werke: Alanus ab Insulis nahm Elemente der A. in seinem »Anticlaudianus«auf, während →Alexander Neckam, →Vinzenz v. Beauvais und →BartholomaeusAnglicus in Prosawerken nachfolgten. Bei vielen Gelehrten existierte eine stillschwei-gende Tolerierung von Vinzenz’ Ansicht, daß die Gestirne in Wahrheit nur die mate-riellen Elemente lenkten und dadurch Gewalt über die anima vegetabilis der Pflanzen(→Pflanzenseele) und die anima sensibilis der Tiere (→Tierseele, →Seele) gewinnenkönnten, so daß allein diese von der Materie abhängig würden (Speculum naturale,4. 34; Wedel, 65). Vinzenz ührte zur Unterstützung seiner Auffassung →AlbertusMagnus an. Dagegen wurde ür die menschl. Seele keine direkte Abhängigkeit vonder Materie angenommen, sondern nur secundum quod; daher kann die Seele zwargeneigt sein, nicht aber gezwungen werden, in einer bestimmten Weise zu handeln.Auf diese Weise war die Anerkennung der →Willensfreiheit gewährleistet, und dieKirche änderte allmählich ihre ablehnende Haltung gegenüber der A.

→omas v. Aquin folgte Albertus’ Vorbild und vertrat die Ansicht, daß der Astro-loge bei seinen Voraussagen nur deshalb häufig Erfolge erziele, weil nur wenige Men-schen in der Lage seien, ihren Trieben (→appetitus) zu widerstehen (S. th. I. 1. 115.4).Die gleiche Toleranz gegenüber dem Glauben an einen starken astrolog. Einfluß, ver-bunden mit einer Hochschätzung des wissenschal. Wertes der A., findet sich in

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→omas Bradwardines »De causa Dei« (Hahn). omas v. Aquin verwarf astrolog.-magische Praktiken und →Nekromantie mit ihrem Gebrauch von Zauberbildern (ima-gines) und Amuleen, doch lehnte er sie aus religiösen Gründen ab; und keineswegs,weil er von ihrer Unwirksamkeit überzeugt war (S.th. II. 2.96.2). Wenn →Roger Ba-

con und später Cajetan diese Gegenstände diskutieren, so geht es stets um spezielleFragestellungen der astrolog. Doktrin, etwa ob Inschrien oder Intervention von Dä-monen notwendig sind, um die Zauberbilder wirken zu lassen; die astrolog. Lehrewird jedoch keineswegs in ihrer Gesamtheit abgelehnt. Die Edikte Étienne →Tem-piers, Bf.s v. Paris, von 1277 bekämpfen die averroistische Leugnung der Willens-freiheit (→Averroës) und die Anrufung von Dämonen, aber nicht die A. schlechthin(Denifle-Châtelain I, 543). Anscheinend wurde auch der Astrologe →Cecco d’Ascoli,Magister in Bologna, 1327 verbrannt, weil er mit seinen häret. Lehren teufl. Geisternund dem Determinismus den Weg geebnet habe, nicht aber wegen seiner Beschäi-gung mit der A. als solcher.

VIII. Astrologie im Spätmittelalter

Die A. verbreitete sich nun mit großer Schnelligkeit von den bedeutendsten europ.Bildungszentren aus, entwickelte aber unterschiedl. Formen: vom theatral. it. Stil, wieer durch Cecco und Guido Bonai verkörpert wurde (Dante verbannt Guido mit Mi-chael Scous in den achten Kreis des Inferno) bis hin zum trockeneren math. Stil, derür die A. in Paris und Oxford kennzeichnend war. →Petrarcas berühmter Angriff auf die A. in seinem Brief an →Boccaccio von 1363 war eine feine Satire auf Schar-latane und Schwindler mit einem rhetor. Zusatz, der in augustin. Tradition steht; er

verrät jedoch wenig Kenntnis von den Ergebnissen der besten wissenschal. A. seinerZeit, derjenigen nämlich, die aus arab. ellen schöpe. Boccaccio gab bekanntlichseinen Glauben an den Einfluß des Gestirne nicht auf, und manche der angebl. so auf-geklärten Humanisten (wie →Poggio, Bernardo Tasso und →Pontano) taten es ihmhierin gleich. Die kosmolog. Struktur, die →Dante seiner »Divina Commedia« gibt,ist zwar nicht offen astrolog. geprägt, doch trug sie zur weiteren Ausbildung eineslit. Stils bei der astrolog. Vorstellungen einschloß. Das wohl komplizierteste Beispielür ein Werk, dessen Handlungsauau wie Metaphorik von der A. ausgeht, ist wohldas von Geoffrey →Chaucer, der zahlreiche Nachahmer wie →Gower und →Lydga-te fand (North, Kal.). Nicht alle astrolog. Metaphorik des 14. Jh. kann jedoch auf dieneuentdeckte arab. Lit. zurückgeührt werden.

Das schnelle Anwachsen des Ansehens der A. im 14. Jh. ührte dazu, daß sie nichtnur in die Lit., sondern auch in Baukunst, Buchmalerei und andere Bildende Kün-ste starken Eingang fand. Viele Leute hielten damals - und dasselbe gilt auch nochim 17. Jh. - ein →Horoskop in einem Kirchenfenster oder auf einem Grabstein nichtür unangemessen. Die großen astron. Uhren (→Uhr), die sich seit dem 14. Jh. anKathedralen wie St. Albans, Wells oder Straßburg befanden, waren voll von astro-log. Bildwerk. Die erste dieser Uhren baute →Richard v. Wallingford, der beste engl.Astronom des MA; sie enthielt ein Rad der →Fortuna.

Es wäre falsch zu glauben, daß die Astronomie nur der A. wegen erlernt wordenwäre, doch war diese zweifellos eine verbreitete Rechtfertigung ür ihr Studium. Wiedie astron. Tafeln, die seit dem 14. Jh. in großer Zahl kopiert wurden, fand auch dashochkomplizierte Instrument des Richard v. Wallingford, gen. »Albion«, ür astrolog.Berechnungen Verwendung, und Richard selbst schrieb zumindest ein astrolog. Werk,

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das »Exafrenon«. Ein weiteres Werk, das möglicherweise von ihm stammt, war einerKgn. gewidmet, was uns an die Verbindung zahlreicher Astronomen mit kgl. oder fsl.Gönnern erinnert - z. B. Geoffroi de Meaux (Gaufredus de Meldis) mit Karl V. v. Frank-reich, John Somer mit Johanna, Prinzessin v. Wales, Nicholas v. Lynn mit Johann v.

Gaunt, John Holbrook mit Heinrich VI v. England, Johannes de Muris mit Philipp III.v. Navarra. Viele wie Geoffroi de Meaux waren Ärzte, die offensichtl. astrolog. Medi-zin praktizierten: John Somerset war Arzt Humphreys, Hzg.s v. Gloucester; Lewis v.Caerleon diente in dieser Eigenscha mehreren Mitgliedern der engl. Königsfamilie;Gulielmo Parrono war Arzt Heinrichs VII. v. England. Die meisten von ihnen wa-ren angesehene, ja gute Astronomen. Daß ebenso auch weniger seriöse Abenteureran die Fürstenhöfe strömten, ist aus den Listen des →Simon de Phares ersichtlich(orndike III, Kap. 34).

Bei seinem Angriff auf die A., einem Angriff höchst rationaler und origineller Art,scheint es →Nikolaus v. Oresme v.a. darum gegangen zu sein, leichtgläubigen Fs.en

die Augen zu öffnen, damit sie nicht auf die leeren Versprechungen der Astrologenhereinfielen (orndike III, Kap. 25, 28; Pruckner).

Die Polemik des Nikolaus v. Oresme war das Werk eines ähigen math. Geistes.Er wandte ein, daß in Anbetracht der Tatsache, daß die Planetenbewegungen inkom-mensurabel sind, strikte Wiederholungen der Konfigurationen der Planeten unmög-lich sind und daher eine der Hauptannahmen der Astrologen wegfalle. Trotz die-ser Argumentation basierten die meisten Einwände gegen die A. auch weiterhin auf der Behauptung ihrer spirituellen Geährlichkeit. Keiner der Einwände erzielte da-bei nachhaltige Wirkungen. Im Zusammenhang mit den umfassenden naturwissen-schal. Bestrebungen der Universitäten setzte sich das Interesse an A. vielmehr wäh-

rend des ganzen 15. Jh. unvermindert fort, wie sich aus den überlieferten Hss. schlie-ßen läßt.

Im 16. Jh. erfolgte auf der höheren akadem. Ebene eine allmähl. Abschwächungder Popularität der A., doch war diese Entwicklung anscheinend weder durch einerationale Kritik im Sinne des Nikolaus v. Oresme noch durch kopernikan. Einflüsse(wie o behauptet worden ist) bedingt. Der Schüler des Kopernikus, Georg Joachim(Rheticus), war ein überzeugter Anhänger der traditionellen A. und wurde durch des→Pico della Mirandola »Disputationes adversus astrologos« irritiert, wobei er mein-te, daß Pico seine Schri nie verfaßt häe, wenn er ein astron. System von der Zuver-lässigkeit des kopernikan. kennengelernt häe. Rheticus schuf schließlich eine neue

Art von A., die die heliozentr. Astronomie mitberücksichtigte. Hierin folgten ihm vie-le Astrologen (North, Richard v. Wallingford). Die Kirche der Gegenreformation, dervon protest. Seite, weithin zu Unrecht, eine Begünstigung astrolog. Praktiken vorge-worfen wurde, nahm nach den Beschlüssen des Tridentinums und den päpstl. Bullenvon 1586 und 1631 einen festen Standpunkt gegen die Geheimwissenschaen ein, wo-bei es die Inquisition allerdings vermied, gegen Astrologen, die ihre Künste lediglichin Haushalt, Privatleben und Medizin anwendeten, vorzugehen.

Trotz zahlreicher Angriffe blieb die A. am Ende des MA im wesentl. unangefoch-ten. Sie verlor ihren Status als Gegenstand ernsthaer intellektueller Forschungenerst allmählich seit dem 17. Jh., als aus den vereinten Bemühungen von Astronomieund Naturphilosophie, eine intellektuell befriedigendere Kosmologie hervorging. Zuden Methoden und Techniken der A. und zu speziellen Fragen →Horoskop, →Astro-log. Medizin, →Planeten, →Tierkreis usw.

 J. D. North

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IX. Astrologie im Judentum

Obwohl im bibl. Schritum (→Bibel) eher diskreditiert (vgl. Jer 10, 2 und Jes 47, 13),scheinen im Frühjudentum und bes. im Judentum der talmud. Zeit astrolog. Vorstel-

lungen und Überzeugungen Allgemeingut weiter Kreise geworden zu sein, wobei mansich - zumindest in der Bildungsschicht - der Spannung zw. der traditionellen Got-tesvorstellung (Go als Herr der Geschichte) und astrolog. Konzeptionen durchausbewußt war. Zur systemat. Ausbildung kam jedoch die A. im Judentum erst in islam.Zeit. Ihre bedeutendsten Vertreter sind hier →Māšāʿallāh (im Osten) sowie →Abra-ham bar Ḥiyya und Abraham ibn Ezra (im Westen), alle drei auch Astronomen vonRang (→Astronomie). Von Māšāʿallāh, der arab. schrieb, ist in hebr. und lat. Überset-zung u. a. ein »Buch der Befragungen« überliefert. Abraham bar Ḥiyyas »Megillat ha-megalläh« (

”Rolle des Enthüllers“) enthält eine astrolog. Berechnung des Eintris der

messian. Zeit. Abraham ibn Ezra hat ein ganzes Corpus astrolog. Schrien hinterlas-sen, das der Traktat »Rēʿšît ḥokmāh« (

”Anfang der Weisheit“) anührt. Es ist sowohl

ins Frz. als auch ins Lat. übersetzt worden und wird im hebr. wie im lat. Schritum(wo der Autor Avenezra oder Avenare, auch - wie Abraham bar Ḥiyya - Abraham Ju-daeus heißt) häufig zitiert. Der Glaube an den Einfluß und die Macht der Gestirne warim ma. Judentum weit verbreitet, und zwar in Gruppen unterschiedlichster Orientie-rung: sowohl im Bereich der →Mystik, einschließlich der →Kabbala (Buch →Jezira,→Zohar) wie auch in eher gemäßigten orthodoxen Kreisen (→Saadja Gaon, Abra-ham ben David aus Posquières [12. Jh.]) und erst recht im Umkreis des Rationalismusoder Intellektualismus - die A. stellt hier alles andere als Obskurantismus, vielmehrden ernsten Versuch rationaler, d. h. die Kausalzusammenhänge bloßlegender Welter-klärung dar (Abraham ibn Ezra, →Gersonides). Indes war →Maimonides ihr Gegner;

doch ist sein Brief an die südfrz. Gemeinden, in dem er die A. einer durchgreifendenKritik unterzieht, ohne größeren Einfluß geblieben.

H. Greive