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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 302 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 302 – 305 Der Astrophysiker Carl Sagan (1934– 96) prägte damals den Begriff „Tho- lin“ für die mutmaßlich komplexen organischen Moleküle, welche diesen Nebel bilden. Er spekulierte weiter- hin, dass der Niederschlag solcher Moleküle eine meterdicke Schicht auf der Oberfläche des Mondes bil- den könnte, in der es mit Hilfe vulka- nischer Energie zu ähnlichen Reak- tionen kommen könnte wie jenen, die in der Urzeit unseres Planeten zur Entstehung des Lebens führten. Seitdem gilt Titan als einer der in- teressantesten Himmelskörper unse- res Sonnensystems, ja sogar als Außenseiterkandidat für die Ent- deckung außerirdischen Lebens. Bei der Cassini-Mission, die seit 2004 das Saturnsystem erforscht, wurde des- halb eine Begleitsonde namens Huy- gens eingeplant (benannt nach Titans Entdecker, Christiaan Huygens, 1629–95), welche sich im Januar 2005 in Kamikaze-Manier zur Titan- Oberfläche stürzte und im freien Fall durch die Atmosphäre einige Messun- gen zu deren Zusammensetzung durchführte. Stickstoff und Methan sind Hauptbestandteile der Atmosphäre Genaueren Einblick in die Chemie des orangefarbenen Titan-Nebels er- hielten die NASA-Forscher allerdings erst jetzt, nachdem detaillierte spek- troskopische Daten von zahlreichen Vorbeiflügen der Cassini-Sonde um- fassend analysiert wurden. Cassini verfügt über zwei Analy- sengeräte, die für diese Untersuchun- gen nützlich sind. Zum einen das Ionen-Neutral-Massenspektrometer (INMS), das vor allem kleinere und mittelgroße Moleküle nachweisen kann, und bereits nach den ersten Vorbeiflügen Einzelheiten über die Hauptbestandteile der Atmosphäre lieferte. Das zweite Gerät, das sich auch für die Analyse der Tholine selbst eignet, ist das Cassini Plasma- Spektrometer (CAPS). Die Arbeitsgruppen von Hunter Waite und Brian Magee am South- west Research Institute in San Anto- nio,Texas, haben nun die CAPS-Daten analysiert und mit den bereits vor- handenen INMS- und Huygens-Daten in Zusammenhang gebracht.Auf die- se Weise konnten sie erstmals ein zu- sammenhängendes Bild davon erhal- ten, wie in der Atmosphäre des Sa- turnmondes aus einfachen Molekülen komplizierte und farbenfrohe organi- sche Verbindungen entstehen. Hauptbestandteil der Titan-Atmos- phäre – ebenso wie unserer eigenen – ist molekularer Stickstoff. Zweithäu- figstes Molekül – ebenso wie auf der urzeitlichen Erde – ist Methan. Am äußeren Rand der Atmosphäre wer- den diese kleinen Moleküle durch die UV-Strahlung der Sonne und durch ernergiereiche Teilchen aus dem Weltraum so aktiviert, dass sie sowohl neutrale Moleküle (Kohlen- wasserstoffe, Blausäure, Nitrile) als auch reaktive organische Ionen bilden. Diese wiederum reagieren mit- einander unter Ausbildung von großen Mengen an Benzol, polyzykli- schen Aromaten und komplexen Stickstoffverbindungen.Weitere Reak- tionen führen zu erstaunlich schwer- gewichtigen negativen Ionen mit Mo- lekulargewichten bis zu 8000 Dalton, die offenbar als Aerosole in der Atmosphäre schweben, und letztend- lich die noch größeren Tholin-Teil- chen bilden. Lebensformen? Soviel organische Chemie auf einmal hat man außerhalb der Erde wohl noch nie beobachtet.Auch wenn Ti- tan mit seinen Seen aus flüssigem Methan nicht gerade als bewohnbar für Lebensformen unserer Art gelten kann, macht seine interessante Che- mie ihn doch zu einem erstklassigen Forschungsobjekt der Astrobiologie und zu einem vorrangigen Ziel für weitere Raumsonden. Literatur Waite, J. H. et al. Science 2007, 316, 870. Michael Groß www.michaelgross.co.uk ASTROCHEMIE | Atmosphärenchemie des Saturnmonds Titan Als die Raumsonden Voyager I und II in den Jahren 1981–82 das Saturn- system durchquerten, lieferten sie beeindruckende Fotos nicht nur von dem Ringplaneten selbst, sondern auch von seinen zahlreichen Traban- ten. Einer der Monde blieb allerdings den scharfen Augen der Sonden verborgen, da er dauerhaft in einen dicken Nebel aus orangefarbenen Chemikalien eingehüllt zu sein schien: Titan. Tholinbildung in der oberen Atmo- sphäre des Titan [Bild: NASA] energiereiche Partikel Sonnenlicht Dissoziation C 2 H 2 , C 2 H 4 , C 2 H 8 , HCN Ionisierung C 2 H + 5 , HCNH + , CH + 5 , C 4 N + 5 Molekularer Stickstoff und Methan Benzol (C 6 H 6 ) andere komplexe organische Verbindungen (100–350 Da) Organische Anionen (20–8000 Da) Tholine Titan

Atmosphärenchemie des Saturnmonds Titan

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302 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 302 – 305

Der Astrophysiker Carl Sagan (1934–96) prägte damals den Begriff „Tho-lin“ für die mutmaßlich komplexenorganischen Moleküle, welche diesenNebel bilden. Er spekulierte weiter-hin, dass der Niederschlag solcherMoleküle eine meterdicke Schichtauf der Oberfläche des Mondes bil-den könnte, in der es mit Hilfe vulka-nischer Energie zu ähnlichen Reak-tionen kommen könnte wie jenen,die in der Urzeit unseres Planetenzur Entstehung des Lebens führten.

Seitdem gilt Titan als einer der in-teressantesten Himmelskörper unse-res Sonnensystems, ja sogar alsAußenseiterkandidat für die Ent-deckung außerirdischen Lebens. Bei

der Cassini-Mission, die seit 2004 dasSaturnsystem erforscht, wurde des-halb eine Begleitsonde namens Huy-gens eingeplant (benannt nach TitansEntdecker, Christiaan Huygens,1629–95), welche sich im Januar2005 in Kamikaze-Manier zur Titan-Oberfläche stürzte und im freien Falldurch die Atmosphäre einige Messun-gen zu deren Zusammensetzungdurchführte.

Stickstoff und Methan sind Hauptbestandteile der AtmosphäreGenaueren Einblick in die Chemiedes orangefarbenen Titan-Nebels er-hielten die NASA-Forscher allerdingserst jetzt, nachdem detaillierte spek-troskopische Daten von zahlreichenVorbeiflügen der Cassini-Sonde um-fassend analysiert wurden.

Cassini verfügt über zwei Analy-sengeräte, die für diese Untersuchun-gen nützlich sind. Zum einen dasIonen-Neutral-Massenspektrometer(INMS), das vor allem kleinere undmittelgroße Moleküle nachweisenkann, und bereits nach den erstenVorbeiflügen Einzelheiten über dieHauptbestandteile der Atmosphärelieferte. Das zweite Gerät, das sichauch für die Analyse der Tholineselbst eignet, ist das Cassini Plasma-Spektrometer (CAPS).

Die Arbeitsgruppen von HunterWaite und Brian Magee am South-west Research Institute in San Anto-nio,Texas, haben nun die CAPS-Datenanalysiert und mit den bereits vor-handenen INMS- und Huygens-Datenin Zusammenhang gebracht.Auf die-se Weise konnten sie erstmals ein zu-

sammenhängendes Bild davon erhal-ten, wie in der Atmosphäre des Sa-turnmondes aus einfachen Molekülenkomplizierte und farbenfrohe organi-sche Verbindungen entstehen.

Hauptbestandteil der Titan-Atmos-phäre – ebenso wie unserer eigenen– ist molekularer Stickstoff. Zweithäu-figstes Molekül – ebenso wie auf derurzeitlichen Erde – ist Methan.Amäußeren Rand der Atmosphäre wer-den diese kleinen Moleküle durchdie UV-Strahlung der Sonne unddurch ernergiereiche Teilchen ausdem Weltraum so aktiviert, dass siesowohl neutrale Moleküle (Kohlen-wasserstoffe, Blausäure, Nitrile)als auch reaktive organische Ionenbilden.

Diese wiederum reagieren mit-einander unter Ausbildung vongroßen Mengen an Benzol, polyzykli-schen Aromaten und komplexenStickstoffverbindungen.Weitere Reak-tionen führen zu erstaunlich schwer-gewichtigen negativen Ionen mit Mo-lekulargewichten bis zu 8000 Dalton,die offenbar als Aerosole in derAtmosphäre schweben, und letztend-lich die noch größeren Tholin-Teil-chen bilden.

Lebensformen?Soviel organische Chemie auf einmalhat man außerhalb der Erde wohlnoch nie beobachtet.Auch wenn Ti-tan mit seinen Seen aus flüssigemMethan nicht gerade als bewohnbarfür Lebensformen unserer Art geltenkann, macht seine interessante Che-mie ihn doch zu einem erstklassigenForschungsobjekt der Astrobiologieund zu einem vorrangigen Ziel fürweitere Raumsonden.

LiteraturWaite, J. H. et al. Science 22000077, 316, 870.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

A S T RO C H E M I E |Atmosphärenchemie des SaturnmondsTitan

Als die Raumsonden Voyager I und II in den Jahren 1981–82 das Saturn-system durchquerten, lieferten sie beeindruckende Fotos nicht nur vondem Ringplaneten selbst, sondern auch von seinen zahlreichen Traban-ten. Einer der Monde blieb allerdings den scharfen Augen der Sondenverborgen, da er dauerhaft in einen dicken Nebel aus orangefarbenenChemikalien eingehüllt zu sein schien: Titan.

Tholinbildung inder oberen Atmo-sphäre des Titan[Bild: NASA]

energiereiche Partikel

Sonnenlicht

Dissoziation C2H2, C2H4, C2H8, HCN

Ionisierung C2H+

5, HCNH+,CH+

5, C4N+5

Molekularer Stickstoff und Methan

Benzol (C6H6)andere komplexe organische Verbindungen (100–350 Da)

Organische Anionen (20–8000 Da)

Tholine

Titan