33
ZUM EINFLUSS DER SPRECHGESCHWINDIGKEIT AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI VERZÖGERTER RÜCKMELDUNG DER EIGENEN SPRECHSTIMME ( LEE - EFFEKT ) : EVIDENZ FÜR EINE REAFFERENZTHEORIE DES SPRECHENS ? * Thomas Schulz

AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

ZUM EINFLUSS DER SPRECHGESCHWINDIGKEIT

AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI VERZÖGERTER

RÜCKMELDUNG DER EIGENEN SPRECHSTIMME

( LEE - EFFEKT ) : EVIDENZ FÜR EINE

REAFFERENZTHEORIE DES SPRECHENS ? *

Thomas Schulz

Page 2: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

Zusammenfassung

Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen

einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter ver-

schiedenen Bedingungen verzögerter akustischer Rückmeldung

(VAR) zu sprechen hatten. Es ergaben sich nur schwache,

wenn auch teilweise signifikante Zusammenhänge zwischen

Höhe der Verzögerungszeit bei maximaler Sprechstörung und

vorgegebenem Sprechtempo. Auch genauere Datenanalysen zeig-

ten eher eine Determination der Sprechgeschwindigkeit durch

die Störung als umgekehrt eine Änderung der Störung durch

das vorgegebene Sprechtempo.

In einem weiteren Experiment hatten Vpn Sequenzen von

einstelligen Zahlen in vorgegebenem Tempo unter einer In-

struktion zu maximaler Fehlerfreiheit zu sprechen. Auch

hier zeigte sich (bei minimaler Fehlerzahl) keine Abhängig-

keit des Störungsmaximums (Verlangsamung der Sprechrate)

vom vorgegebenen Tempo.

Die Bedeutung dieser Befunde für die herkömmlichen wie

auch Sprechplanungserklärungen der VAR-Störungen wird dis-

kutiert und eine alternative 'mentale Überraschungstheorie'

des VAR-Effekts vorgeschlagen.

Page 3: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

I, EINFÜHRUNG

Hört man seine eigene Stimme beim Sprechen oder Ablesen

eines Textes über Kopfhörer um eine gewisse Zeit verzö-

gert, so treten Sprechstörungen auf - hauptsächlich in

Form von Silben-Wiederholungen, -Dehnungen, -Auslassungen,

aber auch komplexeren Versprechern. Diese experimentelle

Bedingung wird als 'verzögerte akustische Rückmeldung'

(VAR) bezeichnet, der Effekt nach seinem ersten Bericht-

erstatter 'Lee-Effekt' (LEE, 1950).

Der Effekt tritt bei Verzögerungszeiten (VZn) zwischen

150 und 350 msec am deutlichsten auf und hat sein Maximum

bei etwa 230 msec (vgl. LINSENER & LINSENER, 1963; STURM

& SCHULZ, 1975; RÖCK, 1977). Für sein deutliches Auftre-

ten ist eine Bedämpfung der Knochenleitung durch entspre-

chende Schallpegel am Kopfhörer nützlich und üblich (LIN-

SENER & LINSENER, 1963); aber diese scheint nicht essen-

tiell notwendig (GIBNEY, 1973; RÖCK, 1977).

Die übliche Erklärung für den Effekt lautet, daß die

Rückmeldung der n.ten Silbe das Sprechen der n+1. Silbe

stört. Offen bleibt, ob es sich dabei um eine Störung der

Phonation oder der Artikulation handelt; KALVERAM (1978)

z.B. interpretiert seine Daten zugunsten letzterer Alter-

native. Hintergrund solcher Erklärungen ist die Konzeption

vom Sprechen als einem geregelten Prozeß, bei dem jede

Konsonant-Vokal-Einheit (d.h. die 'phonetische Silbe') auf

ihre korrekte Ausführung hin überprüft werden muß, so daß

unter VAR-Bedingungen die zeitlich passende Rückmeldung

phonetisch nicht paßt (RÖCK, 1977, p. 23). (Wir kommen

darauf zurück, daß anscheinend die Störung maximal ist,

wenn die Silbe auch phonetisch paßt!)

In solchen Erklärungen wird der Lee-Effekt als Auswir-

kung eines Mechanismus der Sprachregelung, der durchein-

andergebracht wird, angesehen. Spezifisch setzen diese Er-

klärungen voraus, daß die maximale Störung bei einer VZ

Page 4: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

2

auftritt, die der üblichen Sprechzeit für eine Silbe gleich

ist (s. RÖCK, 1977). Wir haben bereits vor einiger Zeit

(a.a.0) darauf aufmerksam gemacht, daß dies nur ungefähr zu-

trifft: Die optimale VZ (im Sinne der maximalen Störung)

liegt eher wohl etwas tiefer als die übliche Silbensprech-

zeit, auch wenn es sich dabei nur um einen Betrag in der

Größenordnung von 20-40 msec handeln dürfte. Aus der Psy-

chologie der Informationsverarbeitung wissen wir jedoch,

daß dies keineswegs eine unwesentliche Größenordnung ist

(vgl. etwa MASSARO, 1975; LACHMAN, LACHMAN & BUTTERFIELD,

1979).

Auch wiesen wir seinerzeit schon darauf hin, daß ja un-

ter VAR-Bedingungen typischerweise langsamer gesprochen

wird, so daß die Störung ja dann eigentlich nicht mehr auf-

treten dürfte. Gesteht man zu, daß die Kompensation durch

langsameres Sprechen erfolgreich sein kann, so müßte sich

ein periodischer Störungsverlauf ergeben, was m.W. bis

heute nicht überprüft wurde und auch hier nicht weiter ver-

folgt werden soll.

Bleibt man bei der Rahmenerklärung einer Störung des

Sprechregelungsprozesses, so gibt es zwei einander entge-

gengesetzte Hypothesen über die Funktion des Zeitparame-

ters der Regelung: Entweder leitet man das typische Sprech-

tempo aus den Zeiteigenschaften des Regelgliedes ab und

faßt diese als eine quasi unveränderliche, eher periphere,

zentral nicht zu kontrollierende Größe auf, so daß die

VZopt durch Änderung des Sprechtempos nicht beeinflußt

werden kann (RÜBELING & KROMBHOLZ, 1978), oder man postu-

liert, daß gerade die VZopt die Veränderliche ist, die

allein vom Sprechtempo abhängt. Der empirische Aufweis ei-

ner solchen Beziehung würde freilich eine Rückmelde-

Regelungshypothese nicht eindeutig stützen, da ja zwischen

Sprechen, Geschwindigkeit des Sprechens und Rückmeldung

vermittelnde Prozesse ('Planung') gedacht werden können.

Page 5: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

II, EMPIRISCHE HINWEISE ZUR FRAGE DER SPRECHTEMPO-

ABHÄNGIGKEIT DES LEE-EFFEKTS

Eher für die einfache Rückmeldehypothese der Wirkung von n

auf n +-1 spricht z.B. die Untersuchung von FLETCHER &YATES (1971), nach der das repetierte Sprechen von Silben/

Phonemen unter VAR gegenüber dem Tempo unter nicht-verzöger-

ten Bedingungen (NAR) beeinträchtigt wird. Dieses Ergebnis

steht jedoch im Gegensatz zu den alten Befunden von CHASE

(1958), der unter VAR-Bedingungen eine Beschleunigung der

Artikulation von repetierten 'b' s fand (entsprechend sei-

ner Rezirkulationshypothese).

FLETCHER & YATES (1971) fanden auch eine Korrelation von

.31 (bei n=100) zwischen normalem Sprechtempo und VAR-

Sprechtempo, erzielten jedoch insignifikante Ergebnisse bei

Vorgabe des Sprechtempos (167 msec/Silbe vs. 333 ms/Silbe).

Die Autoren weisen zu Recht auf den Unterschied zwischen

'freier' Tempowahl und vorgegebenem Tempo hin, allerdings

meiner Vermutung nach in die falsche Richtung: Entscheidend

ist das Verhalten bei vorgegebenem Tempo für die These der

Regression von n + 1 auf n, während eine mäßige Kovaria-tion zwischen Sprechtempo bzw. Leistungen unter verschiedenen

(VAR-) Bedingungen als übliche Leistungskorrelation nicht all-

zusehr überraschen wird (welche Leistungsdaten korrelieren,

richtige Polung vorausgesetzt, nicht mäßig positiv miteinan-

der?).

STURM & SCHULZ (1975) ermittelten ebenfalls eine Korrela-

tion von .31 (n.s.) bei 30 Vpn zwischen normalem Sprech-

tempo und VAR-Sprechtempo und interpretierten dies als Beleg

gegen die Sprechtempohypothese. Gegen die Logik dieser in-

direkten überprüfung kann eingewandt werden, daß relevant

entweder nur die Korrelation zwischen normalem Sprechtempo

und Betrag der VZopt oder überhaupt nur die Korrelationzwischen Sprechtempo unter VAR-Bedingungen und Betrag derVZopt ist. Auf letzteres Vorgehen würden allerdings die

Page 6: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

schon obenerwähnten Einwände, daß Störung und Kompensation

derselben miteinander vermascht werden, zutreffen.

Das beste Vorgehen ist natürlich die experimentell kon

trollierte Variation des Sprechtempos unter VAR- und Kontroll-

Bedingungen. Ein solcher Versuch wurde in der Tat bereits

von ROBINSON (1972) berichtet. ROBINSON ließ Lichter rhyth-

misch aufblitzen und instruierte seine Vpn (N = 4 ), die

Blitze laut zu zählen. Als Leistungsmaß verwendete er die

Fehlerrate unter Variation der VZ (von 90 bis 360 msec) und

des Rhythmus (von 100 bis 1000 msec/Silbe(Zahl)). Nach Trans-

formation dieser Daten auf einen intraindividuellen Bezug

(Gesamtsumme der Fehler = 100%), der m.E. zu einer Extremi-

sierung der Daten führt, die die Hypothese der Sprechtempo-

abhängigkeit begünstigt, ergab sich eine Verschiebung der

V von 90 über 180 auf 360 msec mit sinkender SprechrateVZ

(bzw. ansteigender Zeit/Silbe). Der Autor bestimmte die in

dieser Beziehung enthaltene Regression mit

VZopt = 1/6 Silbendauer + 160 msec

und interpretierte sie als Beleg für eine Sprechtempoabhän-

gigkeit des VAR-Effekts, die von ihm als external bezeichnet

wurde. 'External' soll bei ihm bedeuten, daß die für den

Lee-Effekt wesentlichen Zeiteinheiten von 'außen', d.h. durch

den Experimentator bzw. das vorgegebene Sprechtempo definiert

werden, der Zeitparameter also nicht 'intern' (i.S. der oben

angesprochenen physiologischen Größe) festliegt.

Erweist sich dieses Ergebnis als replizierbar, so ist da-

mit die Hypothese von der Unveränderbarkeit der VZopt wi-

derlegt, allerdings - qualitativ besehen - noch nicht die

Gültigkeit der Hypothese von der Interferenz zwischen n.ter

Silbenrückmeldung und Sprechen der n+1. Silbe; im Gegen-

teil, diese würde ja eine solche Abhängigkeit voraussagen.

Uns erschienen jedoch nach einer eingehenden Inspektion der

von ROBINSON publizierten Zahlen die Daten insgesamt als zu

schwach, um eine deutliche Beziehung zwischen Sprechtempound Lage der VZ

opt annehmen zu können. Die von ROBINSON

publizierten Zahlen ergeben nur für 3 der insgesamt 4 Vpn

Page 7: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

eine [deutliche] Regression der VZopt auf das Sprechtempo.

Quantitativ besehen erstaunt, wieso bei einer VZ von 360 msec

und einer Geschwindigkeit von 1 sec/Silbe ein Fehlermaximum

auftaucht: Wenn so langsam gesprochen wird, fragt man sich,

wieso eine Rückmeldung, die relativ so früh liegt, noch stö-

ren kann. Warum warten die Vpn nicht einfach die 'falsche'

Rückmeldung vor dem Weitersprechen ah? Die Frage nach dieser

Strategie wird uns noch beschäftigen. Schließlich kann man,

unabhängig von solchen Zweifeln an den Daten, fragen, ob

sich ein solches Ergebnis auch für das Sprechen von Texten

generalisieren läßt (SCHULZ, MUTHIG & KOEPPLER, 1981). Sollte

dies nicht der Fall sein, so wird man nach den Ursachen fra-

gen, und dies kann unsere Einsicht in den Effekt nur fördern.

Aus allen diesen Gründen (zweifelhafte Auswertung; quan-

titativer Widerspruch zur Ausgangshypothese; unklare Genera-

lisierbarkeit) beschlossen wir, eine Replikation des ROBIN-

SON-Experiments mit Textmaterial zu versuchen, bei dem zu-

sätzlich auch mehr VZ-Stufen und Sprechgeschwindigkeitsstufen

realisiert werden sollten. Schließlich beschäftigte uns zum

damaligen Zeitpunkt noch ein weiteres Problem, das kurz viel-

leicht als die Frage nach der 'peripheren' oder 'zentralen'

Lokalisierung des Lee-Effekts bezeichnet werden kann. Auf

Grund mehrerer Praktikumsversuche, die trotz Einbeziehung

einer zweiten Kontrollbedingung (nämlich VZ 0 und VZ06 ) eine

völlige Unbeeinflußbarkeit (perfekte Additivität) des VAR-

Effekts vom Grad des Textzusammenhangs (Redundanzstufe Ovs.4)

gezeigt hatten (vgl. auch RÖCK, 1977), neigten wir zu der

Ansicht, daß der Lee-Effekt eher peripherer Natur sei, d.h.

z.B. mit der Sprechplanung, wie sie beim Lesen vorausgesetzt

werden kann, im Gegensatz zu der von NEUMANN (1982) vorge-

stellten Hypothese, nichts zu tun habe. Erweist sich aber die

Lage der VZopt als vom Sprechtempo abhängig, so wider-

spricht dies zunächst einer solchen Ansicht; denn auch, wenn

man die Wahl des Sprechtempos nicht unbedingt als ähnlich

zentral wie das Textverständnis oder die Lesevorplanung an-

sehen will, so wird man doch zugestehen, daß das Sprechtempo

Page 8: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

6

auch von zentralen Vornahmeakten abhängig sein wird, vor allem

dann, wenn die Aufgabe gerade darin besteht, das Tempo kon-

stant auf einer bestimmten Rate zu halten. Von daher gesehen

hatten wir starke Zweifel an einer Replizierbarkeit des

ROBINSON'schen Befundes.

Auch auf der Basis des von uns (1975) vorgestellten Reaffe-

renzmodells des VAR-Effekts würden sich Hypothesen über den

Ausgang eines solchen Versuchs ableiten lassen. Wir verweisen

auf die Arbeit (1975) als Ergebnis damaliger Überlegungen

und halten fest, daß wir auf Grund dieses Modells eine beson-

dere Empfindlichkeit der Silbenverdopplungsfehler erwarteten:

Unser Reafferenzmodell (STURM & SCHULZ, 1975) postuliert, daß

beim normalen Sprechen die Efferenzkopie (EK) einer Silbe von

der Reafferenz (RA) gelöscht wird. Trifft die RA nicht (bzw.

verspätet) ein, so bleibt die EK im Sinne eines Echos persi-

stierend erhalten. Kommen mehrere gleichklingende Phoneme

('manamana') im Text vor, so reaktiviert die Vorbereitung der

neuen Silbe (EKn+1) die alte, nicht gelöschte (EKn), und führt

so zur Störung (an dieser Stelle setzt 0. NEUMANN's Idee der

serialen, hierarchischen Abarbeitung ein, nach der die zeit-

lich geordnete Abarbeitung (der 'Plan') in Unordnung gerät -

die Silbe wird im Zweifel noch einmal gesprochen (NEUMANN,

1982)). (Die Unterschiede zwischen RA-Modell und 'Plan'-

Modell liegen m.E. im Bereich der zeitlichen Erstreckung:

Das RA-Modell sagt direkt nur Störungen von n nach n+1 vorher,

andere Störungen sind nur mittelbare Folge; im 'Plan'-Modell

können sie unmittelbare Folge sein).

Page 9: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

III, VERSUCHSBEDINGUNGEN UND DURCHFÜHRUNG

Gemäß den angestellten Überlegungen sollten für eine genaue

Überprüfung des ROBINSON-Experiments

a) mehr sowie ein größerer Bereich von VZn,

b) mehr Geschwindigkeitszwischenstufen und

c) ein sinnvoller, zusammenhängender Text

verwendet werden. Für die Realisation wurden folgende VZn

ausgewählt: 120, 180, 240, 300, 400, 600 und 1000 msec.

Folgende Sprechgeschwindigkeiten (Zeit/Silbe) (abgekürzt VG)

wurden zur Vorgabe ausgewählt: 100, 200, 300, 400, 500, 750

und 1000 msec. Aus der Auswahl wird deutlich, daß eine

zeitliche Nähe von VZ und VG als Kriterium mit berücksich-

tigt wurde (zu möglichen Gründen s.o.).

Die VZn wurden mittels eines Sprachverzögerungsgerätes

der Fa. ZAK (Baujahr 1975/76), das ein Tonband mit Endlos-

schleife verwendet, hergestellt. Als Taktgeber bzw. Signal-

geber für die VGn wurden elektronische Einheiten vom Typ

Massey-Dickinson verwendet, derart, daß eine rote Lampe je-

weils zum Zeitpunkt des Beginns der zu sprechenden Silbe

aufleuchtete.

Die Lautstärke wurde (mangels geeigneter Meßgeräte), wie

in der Untersuchung (1975), so eingestellt, daß die Vp ihre

eigene Stimme mit einem Pegel knapp unterhalb der Schmerz-

grenze hörte - entsprechend einer in den allermeisten Fällen

fast maximalen Einstellung am Lautstärkeregler für den Kopf-

hörer am Verzögerungsgerät. Diese Einstellung wurde indivi-

duell vorgenommen.

Die Versuche fanden in der Wohnung des Untersuchers (Dr.

B. Sturm) mit ausschließlich männlichen Vpn (zumeist wehr-

pflichtigen Angehörigen des Sanitätsdienstes, mit denen der

Untersucher beruflich Kontakt hatte) statt.

7

Page 10: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

8

Gelesen wurden von jeder Vp unter allen 7x 7 - Bedingungen

4 leicht modifizierte Texte von insgesamt 100 Silben (vgl.

STURM & SCHULZ, 1975), die auf einem Prüftext von LERCHE &

NESSEL (1956) basieren, einmal. Die Reihenfolge der 49 Be-

dingungen war für jede Vp zufällig.

IV. ERGEBNISSE

Ausgewertet wurden die Protokolle (über 2. Tonband) von 19 Vpn;

11 weitere Vpn wurden wegen erheblicher Schwierigkeiten in

der Befolgung der Instruktion ausgeschieden. 1)

Erhoben wurden durch Abhören des Tonbands die tatsächliche

Lesezeit (T), die Anzahl der Verdopplungsfehler (VERD) und

die Anzahl der Auslassungsfehler (AUSL). Die tatsächliche

Lesegeschwindigkeit ist, da V=Weg/Zeit, V=Gelesene Silben/T.

Die Zahl der gelesenen Silben wurde wie folgt ermittelt:

Z = Textlänge (= 100) + VERD - AUSL. Also ist V = Z/T, und die

verwendete Zeit pro gesprochener Silbe ist 1/V.

ZUR BEFOLGUNG DER INSTRUKTION (EINHALTUNG DER VG)

Abb. 1 zeigt die Variable 1/V (gemittelt über die 19 Vpn) in

Abhängigkeit von VG. Man sieht, daß eine Geschwindigkeit von

unter 200 msec/Silbe gar nicht erreicht wird; und selbst bei

VG= 200 msec/Silbe wird eher mit 250 msec/Silbe gesprochen,

-während bei den langsameren Vorgaben eine Tendenz zum Schnel-

lersprechen besteht. Die Bedeutung dieser Befunde werden wir

Abb. 1

1) Die Einschränkung der Generalisierbarkeit, die sich daraus ergibt,erscheint mir eher formal (vgl. SCHULZ et al., 1981, sowie Diskus-sion p.20 ff.), da es sich zunächst nur darum handelt, daß Vpn nichtwillens oder nicht in der Lage waren, das rhythmische Aufblitzen ei-

' nes Lichts in Sprechrhythmus umzusetzen. Soweit es sich dabei um ei-ne 'Unfähigkeit' handelt, muß diese nicht zwingend mit dem Lee-Effektzu tun haben.

Page 11: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

später wieder aufgreifen. Hier ging es nur darum, zu zeigen,

daß die Instruktion, wenn auch nicht absolut, so doch rela-

tiv (der Effekt der VG ist natürlich hoch signifikant, s.u.)

im Schnitt befolgt wurde.

ÜBERPRÜFUNG DER EFFEKTE VON VZ UND VG

Die verschiedenen abhängigen Variablen (V, VERD, AUSL) wurden

einer 7 x 7 -Varianzanalyse für wiederholte Messungen 2) unter-

zogen. Von besonderem Interesse war dabei die Interaktion

VZ x VG: Würde sich die Interaktion als nicht signifikant

erweisen, so wäre eine weitere Bestimmung der Regression von

VZopt auf VG überflüssig (da der Test der Interaktion auf

einen Über-Alles-Signifikanztest der Korrelation zwischen VZ

und VG hinausläuft, vgl. GARNER & MORTON, 1969).

Dem über die Einhaltung der Geschwindigkeit schon Gesagten

entspricht das Ergebnis der Varianzanalyse für V (Anzahl ge-

sprochener Silben/Lesezeit). Trotz dieses durchschlagenden

Haupteffekts wird auch die Interaktion VZ xVG signifikant.

Eine folgende überprüfung auf Veränderung der Störungsmaxima

(der Lage von VZ opt ) - in diesem Fall also Vmin - erweist

sich als schwierig, da keine deutlichen bzw. eindeutigen

Minima vorliegen. Es ergibt sich eine schwache Erhöhung der

VZopt in Sprüngen. Für V als abhängige Variable (AV) ergibt

sich folgende Regression, die auf den Mittelwerten der Stich-

probe beruht (0:

VZopt = 0.33 VG (sec/Sil) + 0.07 (sec) oder

VZopt ~ 1/3 VG (sec/Sil) + 70 msec.

Ähnliches zeigt sich für die AV = 1/V. Hierzu sind die

Mittelwerte und die sich ergebende Regression in Abb. 2

dargestellt.

Abb. 2

2) Die Berechnungen wurden auf der IBM 370 des RHRZ Bonn- hauptsächlich mit Datatext-Prozeduren - durchgeführt.

Page 12: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 1 0 -

Die Gleichung lautet:

VZopt = 0.21 VG (Sil/sec) + 0.08 (sec) oder

VZopt = 1/5 VG (Sil/sec) + 80 msec.

Weitergehende Überlegungen sind jedoch mutmaßlich überflüssig,

da eine Überprüfung der Regressionen auf der Basis der indi-

viduellen Meßwerte (VZopt pro Individuum und VG) keine Signi-

fikanz ergibt.³) Der Mittelwertstrend kann also als Artefakt

angesehen werden, dessen Hintergründe allerdings noch unklar

bleiben (s. weiter unten).

Eine eventuelle Interpretation müßte davon auszugehen ha-

ben, daß die Beeinflußbarkeit der Geschwindigkeit zeigt, daß

der Lee-Effekt sich in Fehlern äußern kann, zur Vermeidung

von Fehlern aber natürlich auch die Geschwindigkeit kompensa-

torisch zurückgenommen werden kann (vgl. NEUMANN & SCHULZ,

1982). Wenden wir uns also den Fehlern zu.

FEHLERANALYSE

Betrachten wir zunächst die laut unserem Modell kritischen

Verdopplungsfehler (VERD): Die VA der Variable VERD zeigt

alle Effekte als signifikant an, besonders (P <0.001) VG und

VG x At. Nachdem also die Interaktion hoch-signifikant wird,

soll der Regression VZopt (VERD) auf VG nachgegangen werden.

Die auf der Basis individueller VERD-Maxima berechnete li-

neare Regression wird mit F(1,1³1) =22.6 hoch-signifikant. ³)

Die Regressionsgleichung lautet:

VZopt (VERD) = 0.415 VG (sec/Sil) + 29³ (msec).

Von dieser Anpassung werden 14,7 % der Varianz aufgeklärt.

Zum Vergleich ist die aus den Mittelwerten abgeleitete Re-

gressionsgleichung interessant, weil sie eine Abschätzung

der durch Mittelung entstehenden Verzerrungen erlaubt, falls

die einzelnen Vpn unausgeprägte Maxima-Lagen aufweisen, die

3) Die Berechnungen auf der Basis individueller Maxima wurden voncand.psych. Stefan Schug durchgeführt, dem dafür gedankt sei.

Page 13: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

11 -

im Mittel zu einer Null-Effekt-Regression führen würden.

Diese Gleichung lautet:

VZopt (VERD) = 0.85 VG (msec/Sil) + 12.³ (msec).

Die Berechnung auf der Basis der Mittelwerte führt also zu

einer deutlichen Überschätzung des Anstiegs und der Abhän-

gigkeit. In Abb. 3 sind beide Regressionsgrade sowie die

Mittelwerte eingezeichnet, um einen Überblick zu geben.

Abb. ³

Außerdem gibt Tab. 1 die gesamten Mittelwerte wieder, damit

sich der Leser selbst eine Vorstellung von der in der Re-

gression erfaßten Beziehung machen kann (die Tabelle zeigt,

daß ein Anwachsen der Werte von links oben nach rechts unten

sozusagen nur gruppen- oder phasenweise erfolgt, vgl. später

S. 19/20).

Tab. 1

An den Verhältnissen bei der Variable VERD läßt sich able-

sen, daß die über die Mittelwerte ermittelten Regressionen

die Beziehung möglicherweise deshalb überschätzen, weil in

den individuellen Daten die Maxima z.B. auf Grund zu gerin-

ger Gesamtfehlerzahlen zu wenig ausgeprägt sind.

Bezüglich der Variable Auslassungsfehler begnügen wir uns

mit einigen Bemerkungen: Zwar wird die Interaktion VZ x VG

signifikant, die Anpassungen auf Grund individueller Maxima

erreichen jedoch keine Signifikanz (R2 =0.056), und auch in

den Mittelwerten läßt sich diesmal kein klarer Trend ausma-

chen (VZopt = - 0.18 VG (msec/Sil) + 518 (msec) mit R= - .28- die weitaus schlechteste Mittelwertanpassung bisher).

Page 14: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 12 -

DISKUSSION

An dieser Stelle brachen wir vor einigen Jahren die Arbeit

ab. Es schien uns, daß wir ROBINSON (1972), zumindest was

die Generalisierbarkeit seiner Hypothese angeht, widerlegt

hatten; auch paßte das Ergebnis betreffs der Variable VERD

in unsere Erwartungen.

Was uns nicht paßte, war die auf Grund der Beschäftigung

mit den Daten zunehmende Erkenntnis, daß selbst die Voraus-

setzungen für eine solche Interpretation brüchig waren. Zum

einen, weil individuell die Maxima (Abhängigkeiten) wenig

ausgeprägt erschienen, zum anderen, weil, wie schon anfangs

berichtet wurde, die kritischen Sprechgeschwindigkeiten gar

nicht bzw. nur ungefähr realisiert worden waren; ein Punkt,

der besonders von 0. NEUMANN in der Diskussion hervorgeho-

ben wurde.

Allerdings läßt sich argumentieren, daß die Frage der

Einhaltung der Sprechgeschwindigkeit für unser Reafferenz-

modell keine so wesentliche Bedingung darstellt, da wir im

ursprünglichen Modell einen vermittelnden Speicher (das AIS)

annahmen, der wie ein (Gummi-)Puffer Zeitunterschiede aus-

gleichen könnte (STURM & SCHULZ, 1975). Für ROBINSON's

These der 'externen' Steuerung der V und NEUMANN's 09mVZ

These der Störung der Sprechplanung als Ursache des Lee-

Effekts wäre diese Frage der Geschwindigkeitseinhaltung

allerdings entscheidend.

Wie erinnerlich fanden wir ja auch bei den Sprechge-

schwindigkeiten selbst eine Verschiebung der Minima (Maxima)

mit wachsender VG, wenn auch nur bei den Mittelwerten, d.h.

relativ (zur VG) verlangsamtes Sprechen bei jeweilshöherer

VZ. Bei der Fehleranalyse ergaben sich Anhaltspunkte dafür,

daß die Mittelwerttrends zwar die wahre Abhängigkeit stark

überschätzten, aber wohl doch einen entsprechenden Hinter-

grund haben. Wir gehen deshalb davon aus, daß der Mittel-

wertstrend bei der Sprechgeschwindigkeit, wenn auch vor-

sichtig, so doch interpretiert werden sollte.

Page 15: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 1 ³ -

Generell bedeutet das unserer Meinung nach, wie schon oben

erwähnt, daß eine Anpassung an die Störung auch durch

Verlangsamen erfolgt, was gleichzeitig zur Folge hat, daß Feh-

ler vermieden und dementsprechend statistisch unreliabler

werden. Dies kann aber nur ein Teil des Effekts sein, da ja

bei den langsameren Tempi - im Schnitt jedenfalls - nicht

zu langsam gesprochen wird. Spezifisch bedeutet der Effekt

deshalb vor allem, daß die Anpassung an den Lee-Effekt bei

langsameren Vorgabetempi auch erst bei höheren VZ sbhwieri-

ger wird. Wenn diese Anpassung aber bereits über die Ge-

schwindigkeit erfolgt, so ist natürlich eine Wirkung auf

die tatsächlichen Fehler unwahrscheinlich (generelles Argu-

ment).

Von dieser Überlegung her scheint dann jedoch eine stren-

gere Überprüfung der Ausgangshypothese möglich und nützlich:

Wir dürften genaugenommen nur die Vpn betrachten, die das

vorgegebene Tempo sehr genau eingehalten haben. Schon die

bisher betrachteten 19 Vpn waren ja nach diesem Kriterium

(nur entsprechend lascher angesetzt) ausgewählt worden. Die

oben angestellten Überlegungen lassen jedoch eine noch schär-

fere Formulierung der Hypothese zu.

VI, ZUR BEZIEHUNG ZWISCHEN EINHALTUNG DES TEMPOS

UND VZ -VERSCHIEBUNGOPT

Wenn wir eine Abhängigkeit der VZopt von VG nur bei den Vpn

erwarten, die nur minimal von VG abweichen, so bedeutet dies

quantitativ formuliert, daß wir eine Korrelation zwischen

der Stärke der VG-VAR -Abhängigkeit und dem Betrag dermaxVG-Abweichung erwarten. Diese Hypothese prüften wir inverschiedenen Anläufen:

Wir tabellierten die Abweichungen der einzelnen Vpn von

den 7 Vorgabetempi (VG), bestimmten die mittleren Abweichun-

gen (Aw) und die absolute mittlere Abweichung ( lAwl) von

der Sollgeschwindigkeit. Die individuellen Regressionen von

Page 16: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 14 -

VG auf VZopt und VZopt auf VG (für die Variable VERD)

lagen bereits vor bzw. wurden bestimmt. Von unserer Hypo-

these her ist die zuletztgenannte Beziehung die wesentliche;

aus Kontrollgründen prüfen wir jedoch auch die umgekehrte

Beziehung, was sich als nützlich erweisen wird.

Betrachten wir also zunächst die Regression VZopt VG:

Als Parameter der Beziehung verwenden wir den Anstieg. Den

Anstiegsparameter der Regression von VG auf VZ opt korre-

lieren wir zunächst mit der mittleren Sollabweichung. Ergeb-

nis:

Anstieg (VZopt ->VG) = 0.191 Aw + 0.187, R=0.02.

Es besteht also weder eine deutliche noch signifikante Be-

ziehung. Weder von einer mehr'passiven Steuerungstheorie

(ROBINSON) noch einer mehr aktiv konzipierten Sprechplanungs-

theorie (NEUMANN) her ist einzusehen, welchen Unterschied

eine positive Abweichung gegenüber einer negativen machen

sollte. Wir betrachten also die mittlere Sollabweichung ohne

Vorzeichen. Ergebnis:

Anstieg (VZopt - VG) =- 5.448 I Aw I +0.³78, R = - .³69 (p < .05, N=19)

(Werden statt der Maßzahlen die Ränge korreliert, so ergibt

sich r = .-³85).

Je höher also die absolute Abweichung von der Sollge-

schwindigkeit, desto niedriger ist der Anstieg der Regression

von VG auf VZ (für die Variable VERD), wobei erwähntoptwerden sollte, daß 4 der 19 Vpn einen negativen Anstieg in

der VG VZ -Regression aufweisen.

Wenn die Steuerungshypothese richtig ist, so müßten wir

nun für die Regression von VZopt auf VG eigentlich eine

noch deutlichere, zumindest aber nicht schwächere Beziehung

finden. Auf Grund der obigen Erfahrungen können wir uns das

(schwache) Ergebnis auf der Basis der vorzeichenbewerteten

Sollabweichungen sparen und kommen gleich zum Ergebnis aufder Basis der absoluten Abweichungen.

Anstieg (VG -> VZ) = - 2.10 lAwl + O. . 278 , R= - .128 (n. s )opt

Page 17: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 1 5 -

Nach diesem enttäuschenden Ergebnis unternahmen wir einen

letzten Versuch zur Rettung der Hypothese mit dem Maß 'ab-

solute mittlere Abweichung' (das Vorzeichen der bereits

gemittelten Abweichung wird nicht berücksichtigt). Für die

Regression VZ VG ergibt sich danach ein R = - .08, für

die Regression VG VZ ein R = - .02 . Wenn man hieraus

überhaupt etwas ablesen will, dann wohl nur das gleiche wie

schon oben, nämlich daß die Sollabweichung stärker mit der

Regression VZopt VG als mit der Regression VG VZ optzusammenhängt. Das umgekehrte Ergebnis war aber die Vorher-

sage.

VII, ALLGEMEINE DISKUSSIONUnser Versuch, die Hypothese der Sprechtempoabhängigkeit

des Lee-Effekt-Maximums an den vorliegenden Daten schärfer

zu prüfen, als es über die schlecht verteilten Fehlerdaten

allein möglich ist, hat eher unsere Zweifel bestätigt: Die

einzig abzusichernde Beziehung war die zwischen Sollgeschwin-

digkeitsabweichung und VZ opt – VG-Regression, eine Bezie-

hung, die eher der Umkehrung der Ausgangshypothese entspricht.

Der positive Teilbefund der ersten Datenanalyse in Form der

Abhängigkeit der VZopt von VG wird zwar dadurch nicht be-

seitigt, aber doch relativiert. Entweder bedeutet dies näm-

lich, daß er ganz anders zu interpretieren ist, als hier

bisher geschehen, oder aber der Effekt wird als Spitze des

Eisbergs, der sich Sprechtempohypothese nennt, angesehen,

und die Ergebnisse der zweiten Analysestufe werden als Be-

leg dafür betrachtet, daß der Geschwindigkeitsdruck in die-

sem Experiment nicht ausreichend war, so daß die Effekte,

die auf die Fehler durchschlagen sollten, sich zu stark auf

die Geschwindigkeit ausgewirkt haben. Zusätzlich müßte dann

postuliert werden, daß die Störungskompensation durch Ge-

schwindigkeit zur Folge hatte, daß die Störung das Tempo

eher bestimmte als umgekehrt; denn genau dies war ja das

Ergebnis der letzten Analyse. Man kommt also nicht an dem

Page 18: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 16 -

Schluß vorbei, daß die Vorhersage, nur bei sehr genauer Ein-

haltung der VG finde sich die Abhängigkeit der VZopt von

ihr, sich nicht bewahrheitet hat. Die Frage ist nun, bevor

wir eine radikalere Alternative bedenken, ob dieser Befund

selbst gegen die Planungshypothese spricht bzw. der Zusatz-

befund, daß Geschwindigkeitssollabweichungen und Vorhersag-

barkeit der VG durch die Lage der VZ zusammenhängen,o p tdie Gegenhypothese stützt, daß die VZopt kaum beeinflußbar

ist; und nur sie selbst (als Störung) die Reaktion auf ande-

re Variablen (VG) beeinflußt.

Rufen wir uns die Analyseschritte noch einmal ins Gedächt-

nis zurück:

(1) Bestimmt man individuell die VZ, bei der das Fehlerma-

ximum (VERD) auftritt, benutzt diese VZ als Prädiktor für

die Höhe der VG und korreliert dann den Steigungskoeffizien-

ten dieser Beziehung mit der (individuellen) mittleren abso-

luten Abweichung von (allen) VGn (über alle Vpn), so erhält

man eine substantielle negative Korrelation (keine andere

vergleichbare Beziehung erreicht diese Höhe).

(2) Bei Vpn, die sich sehr genau an die vorgeschriebene

Geschwindigkeit halten, kann man also aus der Lage der

VZopt die VG brauchbar vorhersagen.

(3) Entscheidend ist nun die folgende Tatsache: Versucht man

das Umgekehrte, nämlich die Vorhersagbarkeit von VZopt durch

VG zu korrelieren, so verschwindet diese Beziehung. Das

heißt also nicht etwa, daß diese Vorhersagbarkeit weniger

ausgeprägt wäre als erstere (de facto ist dieses Verhältnis

nahezu gleich: 9 von 19 Vpn zeigen ein R > .50 für VG -b-VZ opt ,

8 von 19 ein R>.50 für VZopt VG), sondern schlicht nur,

daß der Grad dieser Abhängigkeit nicht mehr mit der Sollge-

schwindigkeitsabweichung korreliert.

Das Fazit muß deshalb m.E. so lauten: Soweit die VG die

Lage der VZopt determiniert, gibt es keinen Zusammenhang

mit der Abweichung von der Sollgeschwindigkeit, wohl aber

dann, wenn man aus der VZopt versucht, auf die VG zurück-

zuschließen. Die Geschwindigkeitsabweichungen sind also nur

Page 19: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 17 -

Ausdruck der Störung. Die Vermutung, die Wirksamkeit der VG

auf die Lage von VZopt sei auf die Fälle beschränkt, wo

die VG genau realisiert sei, war also falsch. Wenn die VGüberhaupt die VZopt -Lage determiniert, was sie immerhin

bei 9 Vpn deutlich tut, dann unabhängig davon!

So gesehen, läßt sich der diskutierte Befund der diffe-

rentiellen Abhängigkeit zwischen VG und VZ durchaus zugun-sten einer Planungshypothese deuten: Geplante Geschwindig-keit kann die Lage der VZopt determinieren; realisierte

Geschwindigkeitsabweichungen hängen nicht systematisch davon

ab, sondern sind nur Ausdruck der Störungen.

Ist nun eine Entscheidung pro oder contra ROBINSON, Sprech-

planungshypothese oder Reafferenzmodell, möglich? Wir meinen,

daß die ROBINSON'sche Hypothese zumindest in ihrer generali-

sierten Fassung, die Lage der VZopt sei schlicht vom Sprech-

tempo abhängig, widerlegt ist, nicht jedoch eine eingeschränkte

Hypothese derart, daß Sprechplanung den Lee-Effekt allein odermitverursacht, ohne daß dies hier im einzelnen diskutiert

werden könnte (vgl. NEUMANN, 1982). Daß gerade die Verdoppe-

lungsfehler (als Störungskriterium) eine Abhängigkeit vom

Sprechtempo zeigen, stützt sicher auch das Reafferenzmodell;

jedoch kann dieses wohl nicht im Gegensatz zur Planungshypo-

these betrachtet werden, sondern muß eher als spezielle tech-

nische Fassung eines generellen Planungsansatzes betrachtet

werden (auch hier kann nur auf NEUMANN, 1982, 1984; NEUMANN

& SCHULZ, 1982; STURM & SCHULZ, 1975, verwiesen werden).

Eine entscheidende Schwäche, die das vorliegende wie die mei-sten älteren Lee-Experimente in ihrer Aussagekraft schwächt,

ist die Unklarheit bezüglich des Geschwindigkeits-Genauig-

keitsaustausches: Da eine typische Mischinstruktion verwen-

det wurde, wissen wir nicht, worauf die Vpn mehr aus waren

(die oben (5.16/17) geführte Diskussion könnte die Idee nähren,

sowohl Geschwindigkeits- wie Genauigkeitsanhänger seien klar

vertreten gewesen, und im nachhinein kann man - auch aus rein

statistischen Gründen - das Ausscheiden der anderen 11 Vpn

doch bedauern).

Page 20: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 1 8 -

NEUMANN & SCHULZ (1982) haben deshalb den Versuch vorgestellt,den Lee-Effekt mit einer eindeutigen Instruktion in Richtung

Fehlerfreiheit bei gleichzeitig verbesserter (Zeit-)Messungder Sprechdauer zu untersuchen, und man darf an dieser Stelle

wohl sagen, daß dieses Verfahren - rein methodisch gesehen-

Erfolg hatte. Die Konsequenz daraus wäre natürlich, die Me-

thode der Sprechdauermessung unter eindeutiger Genauigkeits-

instruktion mit der Methode des vorgegebenen Tempos zu kom-

binieren.

Dies wurde in der Tat in einem Praktikumsexperiment im WS

1982/83 versucht. Das Ergebnis - um es vorwegzunehmen - war

genauso negativ oder sogar noch negativer als das des eben

vorgestellten Experiments. Eine genauere Darstellung muß ei-

ner anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben; aber hier sei

soviel berichtet: Die Geschwindigkeiten 150/200/250/³70 msec

pro Silbe wurden vollständig mit den VZn 20 (Kontrolle)/100/

150/200/³20 msec kombiniert. Zu sprechen waren, wie bei NEU-

MANN & SCHULZ (1982), in Anlehnung an STERNBERG, MONSELL &

KNIGHT (1978), Sequenzen von einstelligen Ziffern aufstei-

gender Reihenfolge und variabler Länge (also etwa 2,3,4 oder

4,5); im vorliegenden Experiment wurden nur die Längen (Um-

fänge) 1, 2 oder 3 verwendet. Gemessen wurde die kumulierte

Sprechdauer (hier einschließlich der Sprechpausen). Aus der

kumulierten Sprechdauer wurde die mittlere Sprechrate pro

Einheit (Ziffer) über lineare Regression ermittelt, was in

den allermeisten Fällen zufriedenstellend (R 2 >= .70) mög-

lich war.

Ergebnis war, daß einzig die VG= ³70 (msec/Ziffer) zu ei-

ner im Mittel höheren VZopt(252 msec) führte. M.a.W. es

fand sich kein Hinweis auf eine Abhängigkeit des Sprechrate-

maximums vom vorgegebenen Tempo innerhalb des Bereichs von

150- 250 msec VZ.

Eine überprüfung der Daten der einzelnen Vpn ergibt (fürjeweils 4 Datenpunkte, die 4 VGn gekoppelt mit 4 VZn mit ma-ximaler Sprechrate) für zwei von sechs Vpn substantiell er-scheinende Korrelationen von .75 und .79, für weitere zweiVpn mäßige (.52 und .³0) und für die restlichen zwei Vpn ne-gative Beziehungen (-.21 und -.8³). Danach kann von einerAbhängigkeit der Lage des Störungsmaximums von der VG wohlkaum die Rede sein. Zusätzlich ist nämlich noch zu bedenken,daß sich bei der Stufung unserer Bedingungen eine substan-

Page 21: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 19 -

tielle Korrelation schon dann einstellt, wenn die langsamsteVG (³70 msec) ihr Störmaximum bei VZ = 320 msec hat. Genaudies ist der Fall bei den beiden Vpn, die die substantiellpositiven Korrelationen aufweisen - ohne die extreme VG -VZ -Bedingung ist die Beziehung eher negativ. Die beiden substan-tiell positiven Korrelationen gehen also anscheinend auf diespezifische Schwierigkeit der VZ = ³20 msec - Bedingung zu-rück. Daß es sich um eine merkwürdig schwierige Bedingung -jedenfalls in diesem Experiment - handelt, geht auch daraushervor, daß weitere 2 Vpn auch bei anderen VGn dort ihr Stör-maximum haben, und diese Bedingung mit 1,8% auch die höchsteFehlerrate aufweist. Die Verhältnisse lassen sich an den Ein-zelergebnissen von Vp ³ (s. Abb. 4 ) deutlich machen:

Abb. 4

Die Korrelation zwischen Lage der Störmaxima (nach Sprech-rate) und VG beträgt hier -.8³, die Korrelation zwischenSprechrate (gemittelt über VGn) und VZ beträgt hingegenr= .85. Zweimal findet sich das Störmaximum bei VZ=320 msec,jedoch nicht in Verbindung mit den langsamen VGn.

Bei anderen Vpn sind die Verhältnisse gemischter; wir in-terpretieren dies jedoch nur so, daß unsere VG-Bedingungenan dem typischen Lee-Effekt-Maximum bei 200 msec nur wenigändern (wie im ersten Experiment); lediglich das Ausmaß derzusätzlichen Schwierigkeit durch die VZ-³20 msec -Bedingungschwankt. Ein Teil dieser Schwierigkeit tritt wiederum be-vorzugt in der Verbindung mit der VG= 370 msec - Bedingungauf; dies führt zu der oben berichteten Verlagerung der VZoptin Richtung ³20 msec, reicht aber nicht aus, um einegenerelle Abhängigkeit aufscheinen zu lassen.

Diese Unempfindlichkeit in diesem zweiten, von der Anlage

her sehr viel einschlägigeren Versuch als dem geschilderten

ersten, brachte uns zu einer alternativen Überlegung: Wenn

eine schwache Beziehung in zwei Experimenten gefunden wird,

die so unterschiedlich angelegt sind, und in beiden Fällen

jedoch strukturelle Ähnlichkeiten derart auftreten, daß der

Bereich zwischen 100 und 300 msec völlig unempfindlich ist,

der darüber jedoch nicht, so führen wir dies eben nicht auf

den Zufall oder etwa Unsauberkeiten in den Daten zurück, son-

dern halten es für typisch.

Unsere alternative Überlegung geht also davon aus, daß die

VZ sich zwischen Vorgabegeschwindigkeiten von 100-³00optmsec/Silbe nicht ändert, nur wenig für etwas langsameres

Sprechen, aber deutlich bei sehr langsamem Sprechen. In Wirk-

Page 22: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 20 -

lichkeit gibt es also keine stetige, sondern nur eine diskon-

tinuierliche Abhängigkeit. Eine diskontinuierliche

Abhängigkeit kann aber nicht mit der Interferenz von Gesprochenem

bzw. dessen Rückmeldung mit dem gerade oder gleich zu Spre-

chenden (Geplanten) erklärt werden. Für eine solche Abhängig-

keit würde man eine konstante Zeitdifferenz (zwischen Zeit

pro Einheit und VZ) erwarten. Anscheinend kommt es nur darauf

an, daß die VZ ungefähr im Bereich des Sprechtempos ist - ob

die Rückmeldung jedoch 50, 100, 150 oder 200 msec früher ein-

trifft, scheint nicht so wichtig zu sein.

Handelt es sich dann beim VAR-Effekt etwa um eine Aufmerk-

samkeitsstörung ? Daß dem nicht so ist, ist lange bekannt,

denn ein 'fremder' input (etwa die Stimme eines anderen) stört

ja keineswegs (YATES, 1965).

Im übrigen muß ja die Rückmeldung nicht unbedingt eintref-

fen, wie NEUMANN (1982) noch einmal überzeugend dargestellt

hat. Natürlich können wir bei großem Lärm bzw. totaler Ver-

täubung ohne größere Störung sprechen (vgl. etwa GATES &

BRADSHAW, 1974). Liegt hier am Ende das Geheimnis verborgen:

Suggeriert die Verzögerung der RM, sie werde nicht eintreffen,

aber dann tut sie es doch?

Diese Hypothese ist in der Tat der Kern unserer alternati-

ven VAR-Effekt-Erklärung. Der VAR-Effekt ist eine Reaktion

auf das Fehlen und Doch-noch-Eintreffen der RM.

Wir wollen am Schluß nur kurz einige der Phänomene, die ein

solcher Ansatz erklären bzw. vorhersagen würde, auflisten.

Die "Überraschungstheorie" des Lee-Effekts sagt vorher:

(1) Eine hohe VZ ist normalerweise deshalb uneffektiv, weil

sie weit über dem Sprechtempo liegt.

(2) Die Störung bleibt gleich, solange die RM verspätet ist,

aber noch innerhalb eines im Sprechratenbereich liegen-

den Intervalls eintrifft; deshalb ist der Bereich zwi-

schen 100-³00 msec unempfindlich gegenüber Tempoände-rungen.

Page 23: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 21 -

(3) Eine hohe Varianz der VZ bzw. relativ wenigAbhän

gigkeit vom Sprechtempo, da die Fähigkeit, von Unerwar-

tetem abzusehen, eine Rolle spielt.

(4) Wichtigste Kompensationsstrategie ist daher das Abwar-

ten der RM. Vom Abwarten her läßt sich ableiten, daß

a) die Sprechraten fast unabhängig von der VZ in etwa

verdoppelt werden müßten (was bei geeigneter Sprech-

dauermessung genau das Ergebnis zu sein scheint,

vgl. NEUMANN & SCHULZ, 1982),

b) abgehacktes Lesen bei hohen VZn, wie es bereits von

LINSENER & LINSENER (1962) berichtet wurde.

c) Ein Training, das Abwarten zu unterlassen, müßte

möglich sein. Erfolgreiche Trainingsversuche in der

Tradition der Adaptationsversuche wurden im übrigen

schon von BUTOLLO & MALY (1967) wie EHLERS & COHEN

(1966) berichtet, wenngleich die Frage des Trainings-

erfolgs kontrovers ist (KATZ & LACKNER, 1977, GOLDIA-

MOND et al., 1962).

Wir wollen es bei dieser Aufzählung vorläufig bewenden las-

sen, in der Hoffnung, daß sie davon überzeugt hat, daß die

überraschungstheorie nicht nur eine 'mentalistische' Idee

ist, sondern strukturelle und testbare Hintergründe hat.

Man beachte etwa, daß die hier (S. 20 ff.) benutzten Formu-

lierungen z.B. den Vermutungen von HOWELL, POWELL & KHAN

(198³), nach denen der VAR-Effekt eine

Sprech-Rhythmus-Störung ist, durchaus nicht widersprechen. Gemeinsamer Aus-

gangspunkt der Überlegungen von HOWELL (198³), NEUMANN (1982),

wie schon STURM & SCHULZ (1975) war und ist schließlich der

Gedanke , daß eine Handlung wie das Sprechen nicht nur auf

Rückmeldung, sondern auch auf Steuerung aufbaut, und insoweit

eine Rückmeldung zum Sprechen auch gar nicht notwendig ist.

Letzteres schließt jedoch nicht aus, daß ihr spätes Eintref-

fen stört: Natürlich können wir, wenn wir beim Autofahren

Page 24: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 22 -

einen Tunnel vor uns sehen, auch ohne Licht durch diesen

hindurchfahren, indem wir das Lenkrad festhalten; aber man

stelle sich vor, es werde nach dem Einfahren in den Tunnel

hell und man sehe erst (noch) einmal die Einfahrt vor sich

(verzögerte RM). Nur den wenigsten wird es möglich sein,

von dieser - gar nicht mehr benötigten - Information abzu-

sehen.

Ob diese Analogie den Lee-Effekt richtig abbildet, und

wenn ja, welcher Aspekt daran der entscheidende ist, der

zeitliche (Rhythmus - von Planung und Ausführung?, vgl.

S. 1 ff.) oder der mentale (Eindringen von sich qua Ähnlich-

keit relevant gebender Information, vgl. bereits GOLDIAMOND

et al., 1962), wird empirisch noch zu klären sein.

Page 25: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 2³ -

VIII, LITERATUR

Butollo, W.H. & Maly, Anpassung an die verzögerte Rückmeldung der -Lautsprache in einem 3-Tage-Versuch. Z. für Experimentelle undAngewandte Psychologie 1967, 14, 343 - 350

Chase, R.A., Effect of delayed auditory feedback on the repetition ofspeech sounds. J. Speech and Hearing Disorders 1958, 23, 583-590

Ehlers, W. & Cohen, R., Eine Untersuchung zur Adaptation an die ver-zögerte akustische Rückmeldung der Sprache unter verschiedenen. In-,struktionen. Z. für Experimentelle und Angewandte Psychologie1966, 13, 367 - 377

Fletcher, J.F. & Yates, A.J., The repetition of single speech soundsunder delayed auditory feedback. Brit. J. Psychol. 1971, 62, 73-79

Garner, W.R. & Morton, J., Perceptual independence: definitions, modelsand experimental paradigms. Psychol. Bull. 1969, 72, 233 - 259

Gates, A. & Bradshaw, Effects of auditory feedback on a musicalperformance task. Percept. & Psychophys. 1974, 16, 105 - 109

Gibney, N.J., Delayed auditory feedback: changes in the volume inten-sity and the delay interval as variables affecting the fluency ofstutterers speech. Brit. J. Psychol. 1973, 64, 55-63

Goldiamond, 1., Atkinson, C.J. & Bilger, R.C., Stabilization of Be-havior and Prolonged Exposure to Delayed Auditory Feedback.Science 1962, 135, 437 - 438

Howell, P., The effect of delaying auditory feedback of selected com-ponents of the speech signal. Percept. & Psychophys. 1983, 34,387 - 396

Howell, P., Powell, D.J. & Khan, I., Amplitude Contour of the DelayedSignal and Interference in Delayed Auditory Feedback Tasks.J. Exp. Psychol.: Human Percept. and Perform. 1983, 9, 572 - 584

Kalveram, K.Th., Über die Koordination zwischen Artikulation undPhonation: Ein Beitrag zur Sensumotorik des Sprechens. In: Schüle,W. (Hrsg.): Wahrnehmungspsychologie: Aktuelle experimentelle Bei-träge. Frankfurt: Fachbuchhandlung für Psychologie, Verlagsabtei-lung 1978

Katz, D.I. & Lackner, J.R., Adaptation to delayed auditory feedback. Percept. & Psychophys. 1977, 22, 476 - 486

Lachman, R., Lachman, J.L. & Butterfield, E.C., Cognitive Psychologyand Information Processing: An Introduction. Hillsdale, N.J.:Lawrence Erlbaum 1979

Lee, B.S., Effects of delayed speech feedback. J. Acoust. Soc. Amer.1950, 22, 824 - 826

Page 26: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

- 24 -

Lerche, E. & Nessel, E., Neue Beobachtungen bei Reihenuntersuchungenmit verzögerter Sprachrückkopplung (Lee-Effekt). Arch. Ohr.-Nas.-Kehlk.-Heilk. und Z. Hals-Nas.-Ohrheilk. 1956, 169, 505 - 508

Linsener, J. & Linsener, H.J., Untersuchungen zum Lee-Effekt I.Zur Klassifizierung von Sprachfehlern bei verzögerter Rückmeldungder Lautsprache. Z. f. Psychologie 1962, 168, 26-58

Massaro, D.W., Experimental Psychology and Information Processing.Chicago: Rand McNally 1975

Neumann, 0., Sprechplanung als Erklärungskonzept. Überlegungen zuminneren Sprechen beim Lesen und zum Lee-Effekt. Bericht aus demPsychol. Institut der Ruhr-Universität Bochum, ArbeitseinheitKognitionspsychologie, Nr. 25, 1982

Neumann, 0., Delayed Auditory Feedback and the Control of Speech Produc-tion. Report No 6/1984 Research Group an Perception & Action at ZIF,Bielefeld.

Neumann, 0. & Schulz, Th., Zeitparameter der Interferenz bei verzö-gerter auditiver Rückmeldung. Vortrag auf der 24. Tagung exp.arbeitender Psychologen, Trier 1982 (Ms. in Vorb.)

Robinson, G.M., The delayed auditory feedback effect is a function ofspeech rate. J. Exp. Psychol. 1972, 95, 1-5

Röck, E., Verzögerte auditive Rückkopplung (VAR). Persönlichkeit,Leistung, Belastung. Bern, Stuttgart, Wien: Huber 1977

Rübeling, H. & Krombholz, H., Untersuchungen zu kritischen Zeitpara-metern bei periodischer Sprachunterbrechung und verzögerter Sprach-rückmeldung. Psychol. Beiträge 1978, 20, 41-71

Schulz, Th., Muthig, K.P. & Koeppler, K.F., Theorie, Experiment undVersuchsplanung in der Psychologie. Stuttgart: Kohlhammer 1981

Sternberg, S., Monsell, S., Knall, R.L. & Wright, C.E., The latencyand duration of rapid movement sequences: Comparison of speech andtypewriting. In: G.E. Stelmach (Ed.), Information processing inmotor control and learning. New York: Academic Press 1978

Sturm, B. & Schulz, Th., Lee-Effekt und Interferenz: Ein Planversuchzum Zusammenhang von verzögerter akustischer Rückmeldung und Inter-ferenz. Z. für Experimentelle und Angewandte Psychologie 1975,22, 668 - 692

Yates, A.J., Delayed Auditory Feedback and Shadowing. Quart. J. Exp.Psychol. 1965, 17, 125 - 131

Page 27: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

-- 2 5 -

Page 28: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter
Page 29: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter
Page 30: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter
Page 31: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter
Page 32: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

BERICHTE AUS DEM PSYCHOLOGISCHEN INSTITUT DER RUHR-UNIVERSITÄT

BOCHUM, ARBEITSEINHEIT KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

Neumann, 0., Eine Umkehrung des 'semantischen Gradienten' beim Benennen vonStroop-Reizen (1/1977)

Neumann, 0., Steuerung der Informationsselektion durch visuelle und 'seman-tische' Reizmerkmale (2/1977)

Neumann, 0., Intramodale und intermodale Interferenz zwischen einer Nachsprech-('Shadowing'-) und einer Entdeckungsaufgabe (3/1978)

Scheerer, E., Probleme der Modellierung kognitiver Prozesse: Von der Funktions-analyse zur genetischen Analyse (4/1978)

Neumann, 0., Zum Mechanismus der Interferenz beim dichotischen Hören (5/1978)

Neumann, 0., Visuelle Aufmerksamkeit und der Mechanismus des Metakontrasts(6/1978)

Neumann, 0., Zeitliche und funktionale Asymmetrien beim Stroop-Effekt (7/1979)

Scheerer-Neumann, G., Zur Analyse des Leseprozesses beim Grundschulkind(8/1979)

Neumann, 0., Über den Unterschied zwischen Lesen und Benennen (9/1979)

Neumann, 0., Einführung in die Planung und Durchführung einer experimental-psychologischen Untersuchung (10/1979)

Stoffer, Th., Aspekte einer generativen Syntax zur Beschreibung musikalischerStrukturen für eine kognitive Musikpsychologie (11/1979)

Neumann, 0., Bemerkungen zum Leistungsbegriff der Kognitionspsychologie(12/1979)

Reinert, G., Visuelles Suchen in Strichzeichnungen unterschiedlicher Organisa-tion bei Variation der situativen Nähe der Suchobjekte (13/1980)

Reinert, G., Der Einfluß eines situativ fernen Kontextgegenstandes auf dieSuche (14/1980)

Matthäus, W., Planung der Gedächtnistätigkeit bei Doppelaufgaben (15/1981)

Reinert, G., Begrenzung des relevanten Suchfeldes bei der Suche in komplexenSzenen (16/1981)

Schulz, Th., Das ikonische Gedächtnis - oder: Vom schlecht zugänglichen visuel-len Speicher und dem langandauernden Ikon (Teil I: Visuelle Elementarmerk-male) (17/1981)

Neumann, 0., Interferenz beim Beachten simultaner sprachlicher Texte: Unspe-zifische Kapazitätsbegrenzung oder spezifische Verarbeitungsschwierig-keiten? (18/1981)

Page 33: AUF DIE SPRECHSTÖRUNGEN BEI ... - ruhr-uni-bochum.de · Zusammenfassung Es wird ein Experiment berichtet, in dem Versuchspersonen einen Text in verschiedenen vorgegebenen Tempi unter

Neumann, 0., Über den Zusammenhang zwischen Enge und Selektivität derAufmerksamkeit (19/1981/1983)

Reinert, G., Visuelle Suche in Szenen unterschiedlicher Objekt- undMerkmalsdichte (20/1981)

Matthäus, W., Psychologische Mechanismen der Tätigkeitsregulation.Referat über ein Buch von Oleg Alexandrovic Konopkin (21/1981)

Stränger, J., Schorneck, D. & Droste, 1., Wahrnehmungsstrukturierungund Erinnerung konkreter Handlungen (22/1981)

Neumann, 0. & Kautz, Semantische Förderung und semantische Inter-ferenz im Benennungsexperiment (23/1982)

Neumann, 0., Experimente zum Fehrer-Raab-Effekt und das 'Wetterwart e–Modell der visuellen Maskierung (24/1982)

Neumann, 0., Sprechplanung als Erklärungskonzept. Überlegungen zuminneren Sprechen beim Lesen und zum Lee-Effekt. (25/1982)

Kolbert, J., Müsseler, J. & Neumann, 0., Scheinbare Abstandsverkürzungdurch Bewegung: Der 'Tandem'-Effekt (26/1982)

Lison, E., Das ZNS - ein taugliches Instrument zur Erfahrung andererRealitäten? Überlegungen zur Interpretation von

"near-death-experiences". (27/1982)

Reinert, G., Augenbewegungen bei geistig behinderten Kindern (28/1983)

Schulz, Th., Ikonisches Gedächtnis (Teil II: Untersucht am Paradigmader Einzelitemauslese) (29/1983)

Mankwald, B., Lösungsstrategien bei Analogieaufgaben - Kritik an STERNBERGSund MULHOLLANDs Komponententheorien (30/1983)

Matthäus, W., Metagedächtnis. (31/1984)

Bardin, K.V., Die Entdeckung neuer Klangdimensionen bei der Lautstärke-diskrimination im Schwellenbereich. Übersetzung von vier Arbeitenzur Psychophysik von Kirill Vasilevic Bardin & Mitarbeitern.(W. Matthäus, 32/1984)

Schulz, Th., Zum Einfluß der Sprechgeschwindigkeit auf die Sprechstörungenbei verzögerter Rückmeldung der eigenen Sprechstimme (Lee-Effekt):Evidenz für eine Reafferenztheorie des Sprechens? (33/1985)