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MedR 2003, Heft 12 685 RECHTSPRECHUNG DOI: 10.1007/s00350-003-1070-9 Aufklärungspflicht bei Eingriff aufgrund nachträglicher Befunde BGB § 823 Ergeben nachträgliche Befunde eine Indikation für einen medizinischen Eingriff, der ohne wirksame Ein- willigung vorgenommen wurde und deshalb rechtswid- rig ist, rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig den Eingriff nicht. Dies verbietet die Wahrung der persön- lichen Entscheidungsfreiheit des Patienten, die nicht begrenzt werden darf durch das, was aus ärztlicher Sicht oder objektiv erforderlich und sinnvoll wäre. BGH, Urt. v. 18. 3. 2003 – VI ZR 266/02 (OLG Zweibrücken) Zum Sachverhalt: Im Frühjahr 1995 stellte der Bekl. bei der Kl. anläßlich einer Krebsvorsorgeuntersuchung durch einen Abstrich eine Präkanzerose an der Gebärmutter fest. Am 21. 4. 1995 fand deshalb in der Praxis des Bekl. ein Gespräch zwischen den Parteien statt. Dabei wurde von der Kl. ein „perimed“-Merkblatt zur Aufklärung über die Entfernung der Gebärmutter mittels Bauchschnittes (Hysterektomie) unterzeichnet. Am 3. 5. 1995 wurde durch den Bekl. die Hysterek- tomie vorgenommen. Die feingewebliche Untersuchung des entnom- menen Gewebes ergab leicht- bis mittelgradige Plattenepitheldyspla- sien der Portio vaginalis uteri, die vom Pathologen als eine cervikale intraepitheliale Neoplasie des Typs II (CIN II) gewertet wurde. Nach postoperativen Komplikationen wurde die Kl. am Morgen des 5. 5. 1995 gegen 5 Uhr in ihrem Bett in der Pflegeabteilung des Kranken- hauses mit einem Schlaganfall aufgefunden. Sie ist seitdem rechtsseitig gelähmt und auf die Betreuung durch ihren Ehemann angewiesen. Die Kl. hat behauptet, eine Gebärmutterentfernung mittels eines Bauchschnittes sei nicht indiziert gewesen. Es hätte eine Konisation ausgereicht, um eine Gewebeprobe für eine histologische Untersu- chung zu entnehmen. Erst wenn der Befund den Krebsverdacht be- stätigt hätte, wäre eine Entfernung der Gebärmutter indiziert gewe- sen. Dies hätte der Bekl. um so mehr beachten müssen, als sie eine Risikopatientin gewesen sei. Bei einer Konisation hätte es nur einer wesentlich leichteren Narkose bedurft. Sie hätte deshalb danach höchstwahrscheinlich keinen Schlaganfall erlitten. Der Bekl. hafte für die eingetretenen Folgen der Operation, weil er sie unzureichend über deren Notwendigkeit und Risiken aufgeklärt habe. LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Aus den Gründen: I. […] II. […] 1. […] a) […] b) […] c) […] Die Abklärung des Befundes durch die Entnah- me von Gewebeproben für eine weitere histologische Un- tersuchung haben sowohl der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. als auch der Gutachter im vorprozessualen Schlichtungsverfahren Dr. S. in den ergänzenden Gutach- ten und bei der mündlichen Anhörung für geboten erach- tet und nach dem Kenntnisstand vor der Uterusentfernung als „Mittel der Wahl“ bezeichnet. Unter den Umständen des Streitfalls kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht bei der gegebenen Sachlage einen Behandlungsfehler schon mit der Begründung verneinen durfte, daß der später erho- bene histologische Befund die sofortige Entfernung des Uterus nachträglich als richtig erscheinen ließ. 2. Die Revision macht nämlich mit Erfolg geltend, daß die der Kl. erteilte Aufklärung nicht ausreichend gewesen sei. a) […] b) […] Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. hat es für erforderlich erachtet, daß der Kl. die Konisation als Metho- de der Wahl dargestellt worden wäre und nur daneben ein Hinweis darauf erforderlich gewesen wäre, daß auf Grund der persönlichen Situation und gesundheitlichen Verfassung der Kl. auch eine Hysterektomie in Betracht komme. Dem entsprach die vom Bekl. erteilte Aufklärung nicht. […] Der Bekl. hat danach die Kl. auf die Alternativen Ko- nisation oder Hysterektomie hingewiesen und ihr empfoh- len, sich die Gebärmutter bis spätestens Herbst 1995 entfer- nen zu lassen. Selbst wenn aufgrund der persönlichen Si- tuation und der gesundheitlichen Verfassung der Kl. mög- licherweise eine Hysterektomie auch schon zum Zeitpunkt der Operation in Betracht gezogen werden konnte, hätte der Bekl. jedenfalls darauf hinweisen müssen, daß die Hy- sterektomie nicht die Methode der Wahl sei, sondern zu- erst der Befund durch eine Konisation abzuklären sei. War die Hysterektomie nur vertretbar, um der Kl. eine weitere Operation zu ersparen, hätte sie in Wahrung ihres Selbstbe- stimmungsrechts darüber aufgeklärt werden müssen, daß und mit welchem Risiko ein Aufschieben oder gänzliches Unterlassen des Eingriffs verbunden ist (vgl. Senatsurt. v. 14. 1. 1997 – VI ZR 30/96 –, VersR 1997, 451, 452). Indem der Bekl. der Kl. zwar die Konisation und die Hy- sterektomie als Alternativen dargestellt hat, zu letzterem Eingriff aber geraten und dabei Herbst 1995 als zeitlichen Rahmen genannt hat, hat er erkennbar den Kern der gebo- tenen Aufklärung verfehlt und insbesondere die Kl. darüber im Unklaren gelassen, daß diese Operation nach dem vor- liegenden Befund aus medizinischer Sicht nicht zwingend durchgeführt werden mußte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird dieser Mangel der Aufklärung auch nicht dadurch beseitigt, daß die Empfehlung zur Entfernung der Gebärmutter durch den nachoperativen histologischen Befund bestätigt wurde. Selbst bei einem aus ärztlicher Sicht sinnvollen Eingriff bleibt es stets dem Patienten überlassen, ob er sich für ihn entscheidet und ihm zustimmt (vgl. Senatsurt. v. 26. 6. 1990 – VI ZR 289/89 –, VersR 1990, 1238 ff.). Ergeben – wie im Streitfall – nachträgliche Befunde eine Indikation für den Eingriff, rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig nicht einen medizinischen Eingriff, der ohne wirksame Einwilligung vorgenommen wurde und deshalb rechtswid- Problemstellung: Die Wahl der richtigen Behand- lungsmethode ist grundsätzlich allein Sache des Arztes; prinzipiell beschränkt sich seine Pflicht zur Aufklärung seines Patienten auf die Darstellung von Art und Risi- ken des Vorgehens. Über einen von ihm verworfenen Weg muß der Arzt den Patienten aber aufklären, wenn dieser als echte Alternative mit gleichwertigen Chancen, aber andersartigen Risiken konkret in Betracht kommt oder zum medizinischen Standard gehört, von dem der Arzt abweichen will. Dabei muß er dem Patienten – wie generell auch sonst – das Für und Wider seines Vorge- hens fair darstellen; er darf nicht durch Angaben über Indikation, Dringlichkeit und Chancen, die der medizi- nische Befund so nicht hergibt, den Patienten in seinem Sinn zu beeinflussen suchen. Im Streitfall war zu entscheiden, ob eine aus medizi- nischer Sicht ex ante insoweit unzutreffende Aufklärung (über die Indikation einer Hysterektomie bei der Risi- kopatientin ohne weitere histologische Abklärung des Krebsverdachts aufgrund einer Konisation) nach dem deswegen rechtswidrigen Eingriff durch ex post gewon- nene Erkenntnisse nachträglich geheilt werden kann, oder ob das dem Schutzzweck der Patientenselbstbe- stimmung widerspricht, nach dem zur Legitimation des ärztlichen Vorgehens zur medizinischen Indikation die Einwilligung des zutreffend aufgeklärten Patienten als zweiter Pfeiler hinzutreten muß.

Aufklärungspflicht bei Eingriff aufgrund nachträglicher Befunde

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Page 1: Aufklärungspflicht bei Eingriff aufgrund nachträglicher Befunde

MedR 2003, Heft 12 685

R E C H T S P R E C H U N G

DOI: 10.1007/s00350-003-1070-9

Aufklärungspflicht bei Eingriff aufgrund nachträglicher BefundeBGB § 823

Ergeben nachträgliche Befunde eine Indikation füreinen medizinischen Eingriff, der ohne wirksame Ein-willigung vorgenommen wurde und deshalb rechtswid-rig ist, rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig denEingriff nicht. Dies verbietet die Wahrung der persön-lichen Entscheidungsfreiheit des Patienten, die nichtbegrenzt werden darf durch das, was aus ärztlicherSicht oder objektiv erforderlich und sinnvoll wäre.BGH, Urt. v. 18. 3. 2003 – VI ZR 266/02 (OLG Zweibrücken)

Zum Sachverhalt: Im Frühjahr 1995 stellte der Bekl. bei der Kl.anläßlich einer Krebsvorsorgeuntersuchung durch einen Abstrich einePräkanzerose an der Gebärmutter fest. Am 21. 4. 1995 fand deshalb inder Praxis des Bekl. ein Gespräch zwischen den Parteien statt. Dabeiwurde von der Kl. ein „perimed“-Merkblatt zur Aufklärung über dieEntfernung der Gebärmutter mittels Bauchschnittes (Hysterektomie)unterzeichnet. Am 3. 5. 1995 wurde durch den Bekl. die Hysterek-tomie vorgenommen. Die feingewebliche Untersuchung des entnom-menen Gewebes ergab leicht- bis mittelgradige Plattenepitheldyspla-sien der Portio vaginalis uteri, die vom Pathologen als eine cervikaleintraepitheliale Neoplasie des Typs II (CIN II) gewertet wurde. Nachpostoperativen Komplikationen wurde die Kl. am Morgen des 5. 5.1995 gegen 5 Uhr in ihrem Bett in der Pflegeabteilung des Kranken-hauses mit einem Schlaganfall aufgefunden. Sie ist seitdem rechtsseitiggelähmt und auf die Betreuung durch ihren Ehemann angewiesen.

Die Kl. hat behauptet, eine Gebärmutterentfernung mittels einesBauchschnittes sei nicht indiziert gewesen. Es hätte eine Konisationausgereicht, um eine Gewebeprobe für eine histologische Untersu-chung zu entnehmen. Erst wenn der Befund den Krebsverdacht be-stätigt hätte, wäre eine Entfernung der Gebärmutter indiziert gewe-sen. Dies hätte der Bekl. um so mehr beachten müssen, als sie eineRisikopatientin gewesen sei. Bei einer Konisation hätte es nur einerwesentlich leichteren Narkose bedurft. Sie hätte deshalb danachhöchstwahrscheinlich keinen Schlaganfall erlitten. Der Bekl. hafte fürdie eingetretenen Folgen der Operation, weil er sie unzureichendüber deren Notwendigkeit und Risiken aufgeklärt habe.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Kl.führte zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

Aus den Gründen: I. […] II. […] 1. […] a) […] b)[…]

c) […] Die Abklärung des Befundes durch die Entnah-me von Gewebeproben für eine weitere histologische Un-tersuchung haben sowohl der gerichtliche SachverständigeProf. Dr. B. als auch der Gutachter im vorprozessualenSchlichtungsverfahren Dr. S. in den ergänzenden Gutach-ten und bei der mündlichen Anhörung für geboten erach-tet und nach dem Kenntnisstand vor der Uterusentfernungals „Mittel der Wahl“ bezeichnet. Unter den Umständendes Streitfalls kann dahinstehen, ob das Berufungsgerichtbei der gegebenen Sachlage einen Behandlungsfehler schonmit der Begründung verneinen durfte, daß der später erho-bene histologische Befund die sofortige Entfernung desUterus nachträglich als richtig erscheinen ließ.

2. Die Revision macht nämlich mit Erfolg geltend, daßdie der Kl. erteilte Aufklärung nicht ausreichend gewesensei.

a) […]b) […]Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. hat es für

erforderlich erachtet, daß der Kl. die Konisation als Metho-de der Wahl dargestellt worden wäre und nur daneben einHinweis darauf erforderlich gewesen wäre, daß auf Grundder persönlichen Situation und gesundheitlichen Verfassungder Kl. auch eine Hysterektomie in Betracht komme.

Dem entsprach die vom Bekl. erteilte Aufklärung nicht.[…] Der Bekl. hat danach die Kl. auf die Alternativen Ko-nisation oder Hysterektomie hingewiesen und ihr empfoh-len, sich die Gebärmutter bis spätestens Herbst 1995 entfer-nen zu lassen. Selbst wenn aufgrund der persönlichen Si-tuation und der gesundheitlichen Verfassung der Kl. mög-licherweise eine Hysterektomie auch schon zum Zeitpunktder Operation in Betracht gezogen werden konnte, hätteder Bekl. jedenfalls darauf hinweisen müssen, daß die Hy-sterektomie nicht die Methode der Wahl sei, sondern zu-erst der Befund durch eine Konisation abzuklären sei. Wardie Hysterektomie nur vertretbar, um der Kl. eine weitereOperation zu ersparen, hätte sie in Wahrung ihres Selbstbe-stimmungsrechts darüber aufgeklärt werden müssen, daßund mit welchem Risiko ein Aufschieben oder gänzlichesUnterlassen des Eingriffs verbunden ist (vgl. Senatsurt. v.14. 1. 1997 – VI ZR 30/96 –, VersR 1997, 451, 452).Indem der Bekl. der Kl. zwar die Konisation und die Hy-sterektomie als Alternativen dargestellt hat, zu letzteremEingriff aber geraten und dabei Herbst 1995 als zeitlichenRahmen genannt hat, hat er erkennbar den Kern der gebo-tenen Aufklärung verfehlt und insbesondere die Kl. darüberim Unklaren gelassen, daß diese Operation nach dem vor-liegenden Befund aus medizinischer Sicht nicht zwingenddurchgeführt werden mußte.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wird dieserMangel der Aufklärung auch nicht dadurch beseitigt, daßdie Empfehlung zur Entfernung der Gebärmutter durchden nachoperativen histologischen Befund bestätigt wurde.Selbst bei einem aus ärztlicher Sicht sinnvollen Eingriffbleibt es stets dem Patienten überlassen, ob er sich für ihnentscheidet und ihm zustimmt (vgl. Senatsurt. v. 26. 6.1990 – VI ZR 289/89 –, VersR 1990, 1238 ff.). Ergeben –wie im Streitfall – nachträgliche Befunde eine Indikationfür den Eingriff, rechtfertigt dieser Umstand regelmäßignicht einen medizinischen Eingriff, der ohne wirksameEinwilligung vorgenommen wurde und deshalb rechtswid-

Problemstellung: Die Wahl der richtigen Behand-lungsmethode ist grundsätzlich allein Sache des Arztes;prinzipiell beschränkt sich seine Pflicht zur Aufklärungseines Patienten auf die Darstellung von Art und Risi-ken des Vorgehens. Über einen von ihm verworfenenWeg muß der Arzt den Patienten aber aufklären, wenndieser als echte Alternative mit gleichwertigen Chancen,aber andersartigen Risiken konkret in Betracht kommtoder zum medizinischen Standard gehört, von dem derArzt abweichen will. Dabei muß er dem Patienten – wiegenerell auch sonst – das Für und Wider seines Vorge-hens fair darstellen; er darf nicht durch Angaben überIndikation, Dringlichkeit und Chancen, die der medizi-nische Befund so nicht hergibt, den Patienten in seinemSinn zu beeinflussen suchen.

Im Streitfall war zu entscheiden, ob eine aus medizi-nischer Sicht ex ante insoweit unzutreffende Aufklärung(über die Indikation einer Hysterektomie bei der Risi-kopatientin ohne weitere histologische Abklärung desKrebsverdachts aufgrund einer Konisation) nach demdeswegen rechtswidrigen Eingriff durch ex post gewon-nene Erkenntnisse nachträglich geheilt werden kann,oder ob das dem Schutzzweck der Patientenselbstbe-stimmung widerspricht, nach dem zur Legitimation desärztlichen Vorgehens zur medizinischen Indikation dieEinwilligung des zutreffend aufgeklärten Patienten alszweiter Pfeiler hinzutreten muß.

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686 MedR 2003, Heft 12 Rechtsprechung

rig ist. Dies verbietet die Wahrung der persönlichen Ent-scheidungsfreiheit des Patienten, die nicht durch das, wasaus ärztlicher Sicht oder objektiv erforderlich und sinnvollwäre, begrenzt werden darf (vgl. Senatsurt. v. 26. 6. 1990 –VI ZR 289/89 –, a.a.O., S. 1239).

(Bearbeitet von VorsRiBGH i. R. Dr. iur. Erich Steffen, Kriegsstraße 258, D-76135 Karlsruhe)

Kündigung eines Bankdarlehens für einen VertragsarztBGB a. F. § 607 Abs. 1; AGB Banken (Fassung 1993) Nr. 19Abs. 3

1. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigungkann in der unmittelbar drohenden Gefahr der Zah-lungsunfähigkeit des Darlehensnehmers liegen.

2. Bei der Berechnung der liquiden Mittel könnendie bereits verdienten und gegenüber der KV abge-rechneten, aber noch nicht auf das Konto des Vertrags-arztes überwiesenen Honorare aus der Behandlung ge-setzlich Versicherter nicht berücksichtigt werden.(Leitsatz 2 vom Bearbeiter)BGH, Urt. v. 20. 5. 2003 – XI ZR 50/02 (OLG Hamm)

Zum Sachverhalt: Die klagende Bank hatte dem Bekl., einemRadiologen, Kredite in einer Gesamthöhe von 1,28 Millionen Euromit einer Laufzeit von zehn Jahren gewährt. Hiermit finanzierte derBekl. seine Praxiseröffnung. Nach einem Jahr sollte die erste Rate zurRückzahlung fällig werden. Bereits einen Monat vor diesem Terminzeichnete sich ab, dass dem Bekl. die hierfür erforderlichen Barmittelnicht zur Verfügung standen.

Die Kl. kündigte deshalb noch vor Fälligwerden der ersten Ratealle Kredite fristlos und verlangte die Rückzahlung der Darlehen samtZinsen. Der Bekl. rechnete mit Schadensersatzforderungen wegenunberechtigter Kündigung der Kredite auf. Er machte geltend, dassihm im Zeitpunkt der Kündigung noch liquide Mittel zur Verfügunggestanden hätten. Insbesondere habe er Honorare in erheblicherHöhe verdient. Dass die Kassenärztliche Vereinigung die Honorareüblicherweise erst einige Monate nach Ende des Quartals überweise,stehe der Bewertung der bereits verdienten Honorare als liquide Mit-tel nicht entgegen.

Das LG gab der Zahlungsklage der Bank statt, das OLG wies sie ab.Die hiergegen gerichtete Revision der Kl. hatte Erfolg und führte zurWiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen: Die Revision ist begründet; sieführt zur Zurückweisung der Berufung.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klage-abweisung im wesentlichen ausgeführt:

Die Kl. habe die Kredite nicht wirksam gekündigt, weilkein wichtiger Grund i. S. der Nr. 19 Abs. 3 S. 2 AGB-Banken, Nr. 10.5 der Allgemeinen Bedingungen für ge-werbliche Darlehen vorgelegen habe. Die Vermögenslagedes Bekl. habe sich nicht wesentlich verschlechtert. Ihm

hätten im Zeitpunkt der Kündigung noch liquide Mittelvon mindestens 69.000 DM aus dem Gewerbe- bzw. Be-triebsmittelkredit zur Verfügung gestanden. In diesem Be-trag seien die Ansprüche des Bekl. gegen die Kassenärzt-liche Vereinigung aufgrund der Honorarabrechnungen fürdas zweite und dritte Quartal 1994 enthalten. Daß die Kas-senärztliche Vereinigung ihre Leistungen üblicherweise erstdrei bis vier Monate nach dem Ende des jeweiligen Quar-tals erbringe, stehe der Bewertung der bereits verdientenHonorare als liquider Mittel nicht entgegen. Hingegenseien die auf die Annuitätendarlehen für die Zeit vom 9. 6.1993 bis 26. 9. 1994 zu entrichtenden Zinsen nicht liqui-ditätsmindernd zu berücksichtigen. Diese Zinsen seien biszum 30. 9. 1994 gestundet worden. Wortlaut und Inhaltdes Darlehensvertrages v. 9./13. 6. 1993 sei nicht zu ent-nehmen, wann sie dem Bekl. hätten belastet werden dür-fen. Diese Unklarheit dürfe sich rechtlich nicht zum Nach-teil des Bekl. auswirken. Vielmehr sei davon auszugehen,daß der Bekl. die Summe der gestundeten Zinsen zum Ab-lauf der Geschäftsbeziehung zu entrichten gehabt hätte.

Die Kündigung sei auch vor dem Hintergrund des seitMitte des Jahres 1994 zu verzeichnenden Anstiegs der Pa-tientenzahlen nicht gerechtfertigt gewesen. Da die Kreditemangels Eigenkapitals des Bekl. nur aus den Praxiseinnah-men zurückgezahlt werden konnten, komme dem Dek-kungsgleichstand von Einnahmen und Ausgaben maßgeb-liche Bedeutung zu. Angesichts der im Vertrag v. 9./13. 6.1993 zum Ausdruck kommenden Prognose habe die Kl.nicht davon ausgehen dürfen, daß dieser Gleichstand vordem 30. 4. 1995 erreicht werde. Aufgrund ihrer vorschnel-len Kündigung gehe die Ungewißheit über die weitereEntwicklung der Praxis zu ihren Lasten.

Zudem sei die Kündigung zur Unzeit erfolgt, weil derBekl. die im Schreiben der Kl. v. 4. 8. 1994 zum Ausdruckkommenden Auflagen, soweit sie ihm nach Treu undGlauben abverlangt werden konnten, erfüllt habe.

Schließlich erscheine die Kündigung treuwidrig. DieParteien seien bei Abschluß des Darlehensvertrages von dergemeinsamen, zur Geschäftsgrundlage erhobenen Vorstel-lung ausgegangen, daß die Praxis des Bekl. auch bei einemFortbestand der Ermächtigungen der Klinik für Nuklear-medizin, M., und ihres Leiters zur Patientenversorgungrentabel arbeiten werde. Von dem damit übernommenenRisiko könne die Kl. sich nicht einseitig lösen, nachdemdie fortbestehenden Ermächtigungen sich als erheblichesHindernis für die Ausnutzung der Kapazitäten der Praxisdes Kl. erwiesen hätten.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfungnicht stand.

Die Kl. hat gegen den Bekl. gemäß § 607 Abs. 1 BGB a. F. einen fälligen Anspruch auf Zahlung von 1 MillionDM, weil sie den Darlehensvertrag mit Schreiben v. 26. 9.1994 wirksam gekündigt hat.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lagein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung i. S. der Nr. 19 Abs. 3 S. 2 AGB-Banken vor, weil eine wesentlicheVerschlechterung der Vermögenslage des Bekl. einzutretendrohte und dadurch die Erfüllung seiner Verbindlichkeitengegenüber der Kl. gefährdet war.

a) Die tatrichterliche Entscheidung der Frage, ob ein diefristlose Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund be-steht, unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicherNachprüfung (Senat, Urt. v. 11. 3. 2003 – XI ZR 403/01–, WM 2003, 823, 825 –, zur Veröffentlichung in BGHZvorgesehen). Dieser Überprüfung hält das Berufungsurteilnicht stand, weil das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft ver-kannt hat, daß im Zeitpunkt der Kündigung der Eintrittder Zahlungsunfähigkeit des Bekl. unmittelbar bevorstand.

b) Nach der Rechtsprechung des BGH berechtigt dieunmittelbar drohende Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des

Problemstellung: Das Urteil befasst sich mit derFrage, wann ein wichtiger Grund vorliegt, der eineBank nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen(AGB-Banken) berechtigt, einen mit einem Vertragsarztgeschlossenen Darlehensvertrag zu kündigen. Hierbeikam es entscheidend auf die Berechnung der liquidenMittel des Vertragsarztes an, und im Zusammenhangdamit auf die Frage, ab wann Honorare eines Vertrags-arztes aus der vertragsärztlichen Tätigkeit diesen zuge-rechnet werden können. Diskutiert wurde der Zeit-punkt der Leistungserbringung, der der Abrechnung ge-genüber der KV oder der der Überweisung des Ho-norars von der KV.