9
Aufstellungen als Aktive Imaginationen Bernhard v. Guretzky Der Mensch bedarf der Schwierigkeiten, sie gehören zu seiner Gesundheit. Es ist bloß ihr ungebührliches Maß, das einem überflüssig erscheinen will. C. G. Jung 1. Einführung In diesem Beitrag soll der Begriff der systemischen Strukturaufstellung weiter gefasst werden, d.h. es sollen Überschneidungen und methodische Ähnlichkeiten zu anderen therapeutischen Konzepten und Methoden hergestellt werden. Sinn dieser Übung ist es, einen anderen Blick sowohl auf Aufstellungen aber auch auf die anderen beteiligten Methoden zu erhalten. Der Vergleich psychischer Begriffskategorien macht diese deutlicher, klarer, bietet er doch andere Blickwinkel. Dies hilft dem theoretischen Verständnis, erlaubt es doch – zumindest ist das die Hoffnung – einen methodischen Austausch. Als vornehmlicher Kandidat wird hier eine von Jung eingeführte und gern benutzte Methode – die »aktive Imagination« – beschrieben. Sie hat innerhalb der Analytischen Psychologie noch einen Ableger, das Sandspiel. So lässt sich das Sandspiel sicher als eine Form von Strukturaufstellung sehen, so wie umgekehrt die Aufstellung als eine Form aktiver Imagination betrachtet werden kann, die das Wirken dominanter Archetypen sichtbar macht. Diese Einsicht geht auf die Beobachtungen von gut 150 Aufstellungen zurück, wo sich gezeigt hat, dass in den überwiegenden Fällen immer wieder dominante Archetypen in sich wandelnder Art und Weise aufgestellt werden. Letztendlich handelt es sich also um das Aufstellen von Komplexen; dies ist selbstverständlich eine rein psychologische Sichtweise und liefert noch keine Hinweise auf andere wissenschaftliche – physikalische oder neurologische – Erklärungen. Allerdings erweitert sich mit dieser Psychologischen Sichtweise das Erklärungspotenzial zu den Wirkmechanismen von Aufstellungen, denn wenn es nicht-psychologische Hinweise auf die Existenz von Archetypen gäbe, würden diese damit auch für Aufstellungen gelten. Dies ist der tiefere Sinn der folgenden Überlegungen. 2. Die Transzendente Funktion Um Kontakt mit dem Unbewussten aufnehmen zu können, bedarf es des Bewusstseins. Bewusstsein und Unbewusstes müssen in eine Form des Dialogs treten, wenn eine Veränderung stattfinden soll. Das Unbewusste ist das Transzendente und die Verbindung dazu lässt einen, frei nach Nietzsche, das eigene

Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Es sollen Überschneidungen und methodische Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen therapeutischen Konzepten und Methoden hergestellt werden. Dabei geht es einmal um die aktive Imagination und das Sandspiel als Methoden der analytischen Psychologie und andererseits um systemische Strukturaufstellungen.

Citation preview

Page 1: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

Aufstellungen als Aktive Imaginationen Bernhard v. Guretzky

Der Mensch bedarf der Schwierigkeiten, sie gehören zu seiner Gesundheit.

Es ist bloß ihr ungebührliches Maß, das einem überflüssig erscheinen will.

C. G. Jung

1. Einführung In diesem Beitrag soll der Begriff der systemischen Strukturaufstellung weiter gefasst werden, d.h. es sollen Überschneidungen und methodische Ähnlichkeiten zu anderen therapeutischen Konzepten und Methoden hergestellt werden. Sinn dieser Übung ist es, einen anderen Blick sowohl auf Aufstellungen aber auch auf die anderen beteiligten Methoden zu erhalten. Der Vergleich psychischer Begriffskategorien macht diese deutlicher, klarer, bietet er doch andere Blickwinkel. Dies hilft dem theoretischen Verständnis, erlaubt es doch – zumindest ist das die Hoffnung – einen methodischen Austausch. Als vornehmlicher Kandidat wird hier eine von Jung eingeführte und gern benutzte Methode – die »aktive Imagination« – beschrieben. Sie hat innerhalb der Analytischen Psychologie noch einen Ableger, das Sandspiel. So lässt sich das Sandspiel sicher als eine Form von Strukturaufstellung sehen, so wie umgekehrt die Aufstellung als eine Form aktiver Imagination betrachtet werden kann, die das Wirken dominanter Archetypen sichtbar macht.

Diese Einsicht geht auf die Beobachtungen von gut 150 Aufstellungen zurück, wo sich gezeigt hat, dass in den überwiegenden Fällen immer wieder dominante Archetypen in sich wandelnder Art und Weise aufgestellt werden. Letztendlich handelt es sich also um das Aufstellen von Komplexen; dies ist selbstverständlich eine rein psychologische Sichtweise und liefert noch keine Hinweise auf andere wissenschaftliche – physikalische oder neurologische – Erklärungen. Allerdings erweitert sich mit dieser Psychologischen Sichtweise das Erklärungspotenzial zu den Wirkmechanismen von Aufstellungen, denn wenn es nicht-psychologische Hinweise auf die Existenz von Archetypen gäbe, würden diese damit auch für Aufstellungen gelten. Dies ist der tiefere Sinn der folgenden Überlegungen.

2. Die Transzendente Funktion

Um Kontakt mit dem Unbewussten aufnehmen zu können, bedarf es des Bewusstseins. Bewusstsein und Unbewusstes müssen in eine Form des Dialogs treten, wenn eine Veränderung stattfinden soll. Das Unbewusste ist das Transzendente und die Verbindung dazu lässt einen, frei nach Nietzsche, das eigene

Page 2: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

2

Schicksal lieben und gestalten, statt von Neurosen durchs Leben getrieben zu werden. Jung hat diejenige psychologische Funktion, die "aus der Vereinigung bewusster und unbewusster Inhalte" hervorgeht und "die sich ihrer Art nach mit einer mathematischen Funktion gleichen Namens vergleichen lässt und eine Funktion imaginärer und reeller Zahlen ist", als »transzendente Funktion« bezeichnet. (Jung, 1958, §131) Die Psyche, sagt Jung, verfügt über diese Funktion, aus der Spannung zwischen Bewusstsein und Unbewussten heraus eine dritte Position zu erreichen, die die Essenz der beiden Positionen beinhaltet (Ulanov, 1997, S.310) oder um es mit Jungs Worten auszudrücken: "Die Trennung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Inhalte einseitig durch bewusste Entscheidung verurteilt werden, sondern vielmehr dadurch, dass ihr Sinn für die Kompensation der Einseitigkeit des Bewusstseins erkannt und in Rechnung gestellt wird. Die Tendenz des Unbewussten und die des Bewusstseins sind nämlich jene zwei Faktoren, welche die transzendente Funktion zusammensetzen." (Jung, 1958, §145)

Die transzendente Funktion verbindet Bewusstes mit Unbewusstem. Dies geschieht durch »aktive« Phantasien oder Vorstellungen – Imaginationen. Der Begriff »transzendente Funktion« bezeichnet also die Funktion, während man unter »aktiver Imagination« die Methode dieses Prozesses bezeichnet. Jung benutzte diesen Begriff das erste Mal in dem gleichnamigen Aufsatz aus dem Jahr 1916, der erst 1958 leicht überarbeitet veröffentlicht wurde. Das Jahr 1916 ist insofern von Bedeutung, weil in diese Zeit – im Zuge der Trennung von Freud – die intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Unbewussten fiel, die sich im Roten Buch niederschlug. Neben dem Assoziationstest zur Bestimmung von Komplexen ist die transzendente Funktion Jungs zweite Methode, auf die er seine analytische Arbeit zur Bearbeitung von Komplexen stellt. Er forderte seine Patienten auf, sich mit Hilfe der transzendenten Funktion Zugang zu ihrem Unbewussten zu verschaffen und sich so auf einen Prozess der Selbsterfahrung einzulassen. Seine eigenen Erfahrungen zu dieser Zeit bekamen damit einen "paradigmatischen Charakter" (Shamdasini, 2012, S.39).

3. Aktive Imagination

»Aktive Imagination« ist diejenige Technik oder Methode, die den Dialog zwischen Bewusstsein und Unbewusstem ermöglicht; aktiv, weil das Ich die Imagination steuert und damit kontrollierend und verändernd in den Strom der Bilder eingreift, im Gegensatz zu einer passiven Imagination oder Phantasie, in der das Ich diesen Strom lediglich passiv verfolgt (Kast, 1998, S.190). Es geht also nicht um ein planloses ins Blaue phantasieren, sondern um eine "aktive Hervorrufung von inneren Bildern" (Jacobi, 1959, S.218). Für Hillman gilt sogar im Bereich der Therapie das Primat der Fantasie über das der (psychoanalytischen) Konzepte (Hillman, 2013, S.7), deshalb hat die aktive Imagination mit ihrer bisweilen dramatischen oder auch poetischen Ausdrucksweise für ihn einen höheren therapeutischen Wert als "zweitrangige Abstraktionen" (ebd., S.9).

Page 3: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

3

Jeder kreative – und allemal jeder künstlerische – Prozess basiert auf einem Austausch zwischen Bewusstsein und Unbewusstem. Bei einer solchen "kreativen Imagination" geht es um das Hervorbringen kultureller Formen oder Artefakte aus Religion, Kunst oder Wissenschaft, wo hingegen es bei der aktiven Imagination um den Bezug zur eigenen Persönlichkeit geht. Beide Formen unterscheiden sich in ihrem Telos (Chodorow, 2006, S.216), wobei im letzteren Fall kein vorgegebenes Ziel verfolgt wird, sondern es darum geht zu schauen und das Bewusstsein offen für das zu halten, was sich zeigen will. Es geht nicht in erster Linie darum, intellektuell Zusammenhänge neu zu entdecken, sondern vielmehr darum, die Gefühle und Empfindungen, die sich bei diesen Bildern und Phantasien einstellen, wahrzunehmen. Das Wesentliche ist das Erleben und nicht das Deuten; das Erleben macht das Unbewusste erfahrbar.

»Aktiv« auch deshalb, weil nur durch eine Schwächung des Bewusstseins dessen Einfluss auf das Unbewusste eingeschränkt wird. Dieser Schwächung des Bewusstseins entspricht Pierre Janet's Begriff des »abaissement du niveau mental«, mit dem die Kontrolle des Bewusstseins über das, was das Unbewusste hervorbringt, "abgesenkt" werden soll. Diese Absenkung der Bewusstseinsschwelle hat zum Ziel, mit Hilfe von Sehnsüchten, Bildern, Symbolen, Gefühlen, körperlichen Empfindungen etc. dem Bewusstsein Zugang zur den "unergründlichen Tiefen des Unbewussten" (Ashton, 2007, S.239) zu erschließen. Diese verringerte energetische Spannung erlaubt logische Diskontinuität, Fragmentarische, Analogiebildungen, Assoziationen sprachlicher, klanglicher und bildlicher Natur (Jung, 1958, §152). Das »Aktive« der Imagination erhöht die energetische Spannung und schafft Ordnung, Sinnzusammenhang und Wertigkeit, sprich Bewusstsein. "Beschreibt ein Traum eine Momentaufnahme einer bestimmten Situation, so ist die aktive Imagination eine Videosequenz, die das 'Davor' und 'Danach' verbindet" (Ashton, 2007, S.240). Nimmt das Bewusstsein aktiv Teil an einer Phantasie und wird diese erlebt und ansatzweise verstanden, so kann man sich von einem Bild zum nächsten hangeln, so entsteht eine Bilderfolge – eben eine solche Videosequenz, die darüber hinaus noch eine Zielrichtung hat. Man kann also eine ganze Variation möglicher Szenarien einer Situation in der Imagination "durchspielen", die einzelnen Szenarien auf ihre "Verträglichkeit" mit der eigenen Empfindungswelt testen und dabei eine mittlere Position "zwischen Bewusstsein und Unbewusstem, eine Eigenschaft angenäherter Gegensätze" (Jaffé, 1978, S.86) bzw. die richtige Balance zwischen Regression und Progression finden. Sie ist ein Hilfsmittel, "mit seinem Wesen zu experimentieren", sie verhilft "zu schöpferischer Unabhängigkeit, zu seelischer Reife" (Ammann, 1978, S.17) und gestattet uns, über Sehnsuchtsbilder letztendlich auch eine selbstgestaltete Zukunft (Kast, 1998, S.67). In der aktiven Imagination – wie im Traum – "wird vieles möglich, was wir nicht für möglich halten", weil die Begrenzung durch die Zeit aufgehoben wird. Es ist der Raum, der in die "Gegenwart hereingeholten Zukunft" (ebd. 239). Die Imagination wird so zu einer Ressource, mit der Möglichkeiten und Perspektiven erlebbar werden.

Page 4: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

4

Dem Unbewussten wird damit durch Externalisierung die Chance gegeben, das Bewusstsein zu analysieren und zu verändern. Eben diese Externalisierung unbewusster Inhalte zusammen mit der Gestaltung auf der subjektiven Ebene entspricht der »Rücknahme eigener Projektionen«. Die Methode der aktiven Imagination wird so zum probaten Mittel, Schatten und inferiore Funktion bewusster zu machen, weil sie sich in Phantasien und Bildern ausdrücken können; sie erlaubt es dem Bewusstsein, mit dem Unbewussten tatsächlich zu arbeiten, ohne sie ist die Entwicklung des Selbst, das was Jung als Individuation bezeichnet hat, kaum möglich. Und dort, wo ein innerer Begleiter als Gefährte auftaucht, wird der Imaginierende selbstständiger und kann Probleme mehr und mehr in eigener Regie angehen; der Analytiker wird internalisiert und verliert im Außen seine Bedeutung (Kast, 1998, S104).

Aktive Imagination ist der Meditation, dem Gebet und dem gerichteten Traum nicht unähnlich. Wie bei der Meditation geht es darum, einen inneren Dialog zu führen, jedoch im Gegensatz zur Meditation, diesen Dialog nicht abzubrechen, sowie er bewusst wird, sondern weiter zu verfolgen; das Ego bleibt also aktiv und soll eben nicht ruhig gestellt werden (Ashton, 2007, S.186). Auch beim Gebet geht es um die Verbindung zum Unbewussten und dass sich das Selbst bzw. das innere Bild Gottes einem offenbart bzw. bewusst wird und man mit diesem in einen Dialog treten kann (Edinger, 1996, S.97). Und dann natürlich die Träume, die sich nicht nur bewusst lenken, sondern auch bewusst hervorrufen lassen, wie vor Freud und erst recht vor Jung die beiden französischen Traumforscher Léon d’Hervey de Saint-Denys und Louis Alfred Maury beschrieben haben (Ellenberger, 1973, S.423).

Im therapeutischen Kontext erhält die aktive Imagination noch einen hermeneutischen Aspekt. Denn die Bilder und Symbole, die sich zeigen, sind, wenn sie wörtlich, "konkretistisch" verstanden werden, wertlos. Sie sind hermeneutisch zu interpretieren (Jung, 1916, §491): Während der Analysand den Bildern und Symbolen, die sich ihm zeigen, eine eigene Bedeutung, eine ganz persönliche Lesart zuweist, wird der Analytiker diesen Rahmen von einem archetypischen Standpunkt aus erweitern und objektivieren. "Durch dieses Prozedere wird das Ausgangssymbol erweitert und bereichert, und es entsteht ein höchst komplexes und vielseitiges Gemälde" (ebd. §493). Und weiter führt Jung aus: "So gibt uns die Phantasie das, was im Werden begriffen ist, in Gestalt einer mehr oder weniger treffenden Analogie. [Das Symbol] entspricht aber seinem Wert und Sinn, wenn wir ihm eine hermeneutische Bedeutung angedeihen lassen" (ebd., §492).

4. Zur Technik der Aktiven Imagination

Um dem Unbewussten in Form von Bildern, Worten, Gedanken, Tönen oder Melodien etc. Zugang zum Bewusstsein zu ermöglichen, muss zu Beginn der aktiven Imagination die kontrollierende und "kritische Aufmerksamkeit" (Jung, 1958, §170) abgeschaltet werden. Dieses »Abschalten« der kritischen Aufmerksamkeit, ob das

Page 5: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

5

überhaupt in seiner Ganzheit geht, sei einmal dahingestellt, ist auf jeden Fall kein einfacher Prozess und erfordert einige Übung, geht es doch darum, dem Ego die Kontrolle zu entziehen bzw. "ein 'Loch' im Bewusstsein zu produzieren" (Shamdasani, 2012, S.53). Dabei konzentriert man sich auf eine bestimmte Stimmung, hypnagogische Bilder (Maury), Traumbilder, visuelle oder auditive Eindrücke oder innere Dialoge, das was als Selbstgespräche bezeichnet werden, um mit den damit assoziierten Phantasien und Empfindungen eine Verbindung zu erhalten. Diese emotional aufgeladenen inneren Erlebnisse – Affekte – sollen sich frei entfalten können, ohne sie regulieren zu wollen. Das können auch Affekte sein, die einen stören und man lieber vermeidet, mit denen man aber umzugehen lernen will. Denn gerade im Affekt gibt man Wahrheiten preis, die man sonst lieber nicht kundtun würde. Davon abgesehen verlieren Emotionen, die hinter den Affekten stecken, ihre Kraft, wenn man ihnen mit Bewusstsein begegnet; und erst dann kann man sie verändern. "Der Phantasie", sagt Jung, "muss freiester Spielraum gelassen werden, jedoch nicht so, dass sie den Umkreis ihres Objektes, nämlich des Affektes, verlässt, indem sie sozusagen vom Hundertsten ins Tausendste fortschreitend weiter assoziiert." (Jung, 1958, §167)

Es geht nicht darum, einen analysierenden Standpunkt einzunehmen, sondern sich vielmehr einer selbstreflektierenden, psychologischen Sichtweise zu bedienen. Ziel ist es, dass sich die Affekte in Symbolen zeigen. Der entscheidende Schritt besteht nun darin, in einen Dialog mit den auftauchenden Symbolen oder Figuren einzutreten. Nur diese Symbole oder Figuren, die durch besagtes Loch im Bewusstsein aus dem Unbewussten emporsteigen sind dem Bewusstsein zugänglich. Sie können zu einer Veränderung des Affektes oder der Stimmung führen, wenn diesen Phantasiesymbolen Neues – "noch nicht Gewusstes" (Kast, 1998, S.42) beigefügt wird und damit deren "Energielage" verändert wird.

Verena Kast war es m.W., die die Methode der aktiven Imagination stärker in den therapeutischen Kontext eingebunden hat: Sie schlug sog. »geführte Imaginationen« vor, bei denen der Analytiker ein Bild oder eine Szene vorgibt, um den Analysanden zu Symbolbildungen zu ermutigen, die nicht nur außerhalb seiner konkreten Lebensumstände liegen, sondern auch nicht mehr in der Nähe seiner üblichen Phantasien anzusiedeln sind (ebd. S.51). Der Nutzen hierbei liegt darin, dass der Analytiker aus den Erfahrungen, die er mit dem Analysanden gemacht hat, Bilder vorgeben kann, die jener lieber vermeiden wird. Die dabei wirkende psychische Energie – Libido – kann auf die Art gesteigert werden, und sehr viel eher zu affektgeladenen Bildern führen, mit denen in der Therapie dann weiter gearbeitet werden kann.

Zusammenfassend möchte ich Jung selbst noch einmal zu Wort kommen lassen, der in einem Brief über die Methode der aktiven Imagination schrieb: "Vermeiden Sie jeden Versuch, es in eine bestimmte Form zu bringen, tun Sie einfach nichts anderes als

Page 6: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

6

beobachten, welche Wandlungen spontan eintreten. Jedes seelische Bild, wird sich früher oder später umgestalten. Ungeduldiges Springen von einem Thema zum anderen ist sorgfältig zu vermeiden. Halten sie an dem einen von Ihnen gewählten Bild fest und warten Sie, bis es sich von selbst wandelt. All diese Wandlungen müssen Sie sorgsam beobachten, und sie müssen schließlich selbst in das Bild hineingehen: Kommt eine Figur, die spricht, dann sagen Sie, was Sie zu sagen haben, und hören auf das, was sie zu sagen hat. Auf diese Weise können sie nicht nur ihr Unbewusstes analysieren, sondern Sie geben dem Unbewussten die Chance, Sie zu analysieren." (zitiert nach Kast, 1998, S.188f)

5. Sandspiel

Schon in seinem Aufsatz über die Transzendente Funktion hat Jung von der Notwendigkeit gesprochen, Träume und Phantasiebilder darzustellen, um ihnen eine Realität zu geben, mit der weiter gearbeitet werden kann: "Es ist nicht in allen Fällen genügend, nur den gedanklichen Kontext eines Trauminhaltes sich klarzumachen. Oft drängt sich die Notwendigkeit auf, dass undeutliche Inhalte durch sichtbare Gestaltung verdeutlicht werden müssen. Dies kann geschehen durch Zeichnen, Malen und Modellieren." (Jung, 1958, §180) Damit hat er die Basis für das Sandspiel gelegt und dasselbe Argument lässt sich natürlich auch für die Nützlichkeit von Aufstellungen heranziehen.

Zu Beginn der 1980iger Jahre entwickelte die Schweizer Therapeutin Dora Kalff die sog. »Sandspieltherapie«. Da Jung jede Gestaltung eines aus dem Unbewussten auftauchenden Symbols als aktive Imagination bezeichnete, sei es nun eine bildhafte Darstellung oder in Form von Figuren, Tanz oder Musik, hatte er Kalff auf Grund seiner eigenen Erfahrungen mit der aktiven Imagination dazu ermuntert, diese Therapieform weiter zu entwickeln. Es ist – wie die aktive Imagination – eine Methode an die Inhalte des Unbewussten über die Modellierung innerer Bilder mit Hilfe von Sand, Wasser und Miniaturen heranzukommen. Diese physisch in Sand gestalteten Bilder sind Projektionen der inneren Befindlichkeit und können mit Hilfe des Therapeuten entziffert werden.

Der Sandkasten entspricht in seiner Ausdehnung dem Blickfeld. In diesem Raum durch freies, kreatives Spiel bekommt die Phantasie mit Hilfe von Sandspielfiguren und dem Arrangement im Sand eine Form und unbewusste Vorgänge werden in dieser dreidimensionalen Form sichtbar gemacht. Im Sandspiel zeigen sich die Komplexe am Anfang als »Rohlinge« und differenzieren sich dann in nachfolgenden Formen. Eine Serie von Sandbildern stellt eine fortlaufende Auseinandersetzung zwischen Bewusstsein und Unbewusstem dar. Meistens spiegelt das erste Bild eine Situation wieder, die noch näher an der Bewusstseinsebene liegt, aber doch schon Hinweise auf die Problematik enthält. Weitere Bilder führen in tiefere Schichten mit unbewussten Inhalten. In solch einer Serie lässt sich die Entwicklung dieser Auseinandersetzung mit den unbewussten Inhalten – die Ausdifferenzierung der Komplexe – dann

Page 7: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

7

nachvollziehen. Deshalb ist es sinnvoll, sich nicht zu vorschnellen Interpretationen hinreißen zu lassen, sondern der Wirkung als auch ihrer weiteren Entwicklung Raum und Zeit zu geben.

Der Prozess der Gestaltung der Sandspielformen kann sowohl für den Therapeuten als auch für den Analysanden zu einem emotional und körperlich empfundenen Erlebnis werden. Auf Seiten des Therapeuten ist dabei gerade auf ein abaissement du niveau mental zu achten, um einer Vermengung mentaler Zustände mit dem Analysanden entgegenzuwirken. Diese Ausprägung der Gegenübertragung während des Sandspiels ist leicht zu beobachten, weshalb Shamdasani etwa die Meinung vertritt, dass das Sandspiel auch wichtig für den Individuationsprozesses ist.

6. Aufstellungen und aktive Imaginationen

Das Familienstellen von Hellinger und seinen Schülern versucht eine "objektive" Wirklichkeit des Klientensystems zu finden. Es ist der Gastgeber der Aufstellung, der deren Verlauf mit seiner Erfahrung und seiner Intuition ganz wesentlich bestimmt und er beruft sich dabei auf ein »wissendes Feld«, eine Begriffsbildung die auf Rupert Sheldrake zurückgeht. Solche Aufstellungen folgen sehr viel weniger den aktuellen Reaktionen der Repräsentanten als vielmehr denen des Gastgebers. Die systemischen Strukturaufstellungen nach Varga und seiner Schule konzentrieren sich dagegen auf Veränderungen von Körperempfindungen bei den Repräsentanten, das was im Jargon als »repräsentierende Wahrnehmung« bezeichnet wird, um ein passendes Schlussbild zu finden. Auch bei der Interpretation des Schlussbildes werden andere Wege gegangen. Während bei Hellinger et. al. das Schlussbild eine konkrete Situation des Klienten darstellt, deren Ignorierung die Familienstruktur des Klienten verletzt, so dass nach seiner Lehrmeinung ernsthafte negative Konsequenzen für ihn nicht auszuschließen sind, sind die sich im Verlauf einer Strukturaufstellung ergebenden Bilder eben keine Abbilder einer "objektiven" Wirklichkeit des Klienten, sondern beschreiben Möglichkeiten des aufgestellten Modellsystems. Das Schlussbild der Aufstellung ist hier – wie der Verlauf der aktiven Imagination – als Ressource zu interpretieren, mit der Möglichkeiten und Perspektiven erlebbar werden. Aufstellungen à la Hellinger unterscheiden sich also fundamental von Strukturaufstellungen, für die das Wesentliche das Erleben und nicht das Deuten im Vordergrund steht. Mit einer von außen kommenden Deutung wird psychologisch selten etwas erreicht; das Unbewusste muss erfahrbar sein, damit dessen Wirkungen verstanden werden. Das ist genau auch das Grundprinzip der aktiven Imagination.

Aufstellung wie aktive Imagination erlauben dem Klienten Szenarien "durchzuspielen", die dabei sich zeigenden Empfindungen und Konflikte projektiv zu testen, d.h. in Form von inneren Bildern oder nach außen hin auf ein mit Repräsentanten projiziertes System. Die Analogie zum Sandspiel drängt sich dabei auf. Auch hier werden innere Bilder im Außen modelliert also projiziert.

Page 8: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

8

Eine weitere Form von Aufstellungen sind sogenannte »bewusstseinsinterne Aufstellungen«. Darunter wird das »Durchspielen« einer Situation mit all ihren relevanten Akteuren verstanden, wobei man versucht, sich an die Stelle dieser Akteure hineinzuversetzen, um ihre Reaktion zu testen. Aufgrund dieser "Simulation" kann man sich seine eigene Reaktion oder Vorgehensweisen überlegen. Der – möglicherweise – entscheidende Unterschied von solch bewusstseinsinternen Aufstellungen zur aktiven Imagination, zum Sandspiel oder zur Aufstellung ist die fehlende Externalisierung der inneren Bilder, die in der Aufstellung und im Sandspiel ganz direkt sich vollzieht, während sie bei der aktiven Imagination indirekt durch die therapeutische Begleitung erfolgt. Diese unabhängige Bestätigung von außen, sei es durch den Therapeuten oder den Repräsentanten ist ein notwendiges Korrektiv, um nicht den eigenen Projektionen oder Wünschen zu verfallen. Wir können also sagen, dass diese "Externalisierung einen Quantensprung" darstellt, eben weil sie nicht nur kontrollierbare Ergebnisse liefert, sondern vor allem durch die Internalisierung der Bilder den psychologischen Lernprozess beschleunigt und vertieft. Auf jeden Fall können bewusstseinsinterne Aufstellungen für "innere Sortierungen und Vorbereitungen im Äußeren" dienen. Der Diskurs über den Nutzen und Wirksamkeit solcher Aufstellungen ist noch nicht entschieden.

Ob nun externalisiert oder bewusstseinsintern, in jedem Fall werden zu Beginn der Aufstellung vom Gastgeber die Repräsentanten im Zustand eines »abgesenkten Bewusstseins« platziert, so wie zu Beginn die Hände sich selbst überlassen werden, um eine »Ausgangsform« für das Sandspiel zu modellieren oder ein »Ausgangsbild« für die Imagination zu finden. In allen Fällen geschieht das »abaissement du niveau mental« indem man sich in eine Art von Trancezustand versetzt, "den Geist leert" (Chodorow, 2006, S.233) und so die Möglichkeit schafft, Bilder und Gedanken im Geiste entstehen zu lassen, die Assoziationen, neue Gedankenverbindungen, aufzeigen helfen. Ein solch plötzlich ablaufender Prozess nimmt oft die Form einer Offenbarung an. Das so entstehende Bild bekommt dann Symbolcharakter und über die auftretenden Symbole erlangt der Klient/Analysand Zugang zu seinem Unbewussten. Alle drei Therapieformen sind Hilfsmittel, Unbewusstes sichtbar zu machen. Erst wenn man selber in die Phantasie, sei es die im Sandspiel, in der Aufstellung oder in der aktiven Imagination, eintritt und mit den Figuren einen Dialog führt, ihnen Rede und Antwort steht, kann Unbewusstes ins Bewusstsein integriert werden. "Was einem in der Phantasie geschieht, muss einem selbst geschehen" (Ammann, 1978, S.104), indem man Zeuge seiner eigenen inneren Prozesse wird. Dies ist Voraussetzung für die Internalisierung der ins Außen projizierten Bilder des Unbewussten.

7. Literaturverzeichnis

[1] Amman, A. N. (1978): Aktive Imagination; Walter Verlag, Olten.

[2] Ashton, P.W. (2007): "From the Brink – Experiences of the Void from a Depth Psychology Perspective";

Page 9: Aufstellungen Als Aktive Imaginationen

9

Karnac London.

[3] Chodorow, J. (2006): Active Imagination; aus: R. P. Papadopoulos: The Handbook of

Jungian Psychology; Routledge, London.

[4] Dourley, J. P. (2010): "On Behalf of the Mystical Fool"; Routledge, London.

[5] Edinger, E. (1996): "The New God-Image"; Chriron Publications, Wilmette.

[6] Ellenberger, H. (1973): "Die Entdeckung des Unbewussten" (Band 1); Hans Huber Verlag, Bern.

[7] Hillman, J.; Shamdasani, S. (2013): "Lament of the Dead – Psychology after Jung's Red Book"; W.

W. Norton, New York.

[8] Jacobi, J. (1959): "Die Psychologie von C.G. Jung", Rascher Verlag, Zürich.

[9] Jaffé, A. (1978): "Der Mythus vom Sinn im Werk von C.G. Jung"; Walter Verlag, Olten.

[10] Jung, C.G. (1916/1995): Die Struktur des Unbewussten; GW 7, Walter Verlag, Düsseldorf.

[11] Jung, C.G. (1916/1958): Die Transzendente Funktion; in: GW8, Walter Verlag, Zürich.

[12] Kast, V. (1998): "Imagination als Raum der Freiheit"; Walter Verlag, Olten.

[13] Shamdasani, S. (Hrsg.) (2012): "The Red Book – A Reader's Edition": Norton&Co., New York.

[14] Ulanov, A. (1997): "Jung and Religion: The opposing Self", in: "The Cambridge Companion to Jung", Cambridge University Press